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Fünftes Capitel.
Roman des Mondes.
Ein mit unendlich scharfem Blick begabter Beobachter in dem unbekannten Centrum, um welches die Welt gravitirt, würde zu der Zeit, als das Weltall im Chaos lag, gesehen haben, wie Myriaden Atome den Raum erfüllten. Aber allmälig, im Laufe der Jahrhunderte, ging eine Veränderung vor, indem ein Gesetz der Anziehung auf die bis dahin unsteten Atome wirkte. Diese Atome traten ihrer Verwandtschaft gemäß in chemische Verbindung, wurden zu Elementartheilchen und bildeten jene Nebelmassen, welche durch den Himmel in seinen Tiefen zerstreut sind.
Diese Massen wurden sogleich von einer Bewegung um ihren Mittelpunkt beseelt. Solch ein Centrum unbestimmter Elementarbestandtheilchen begann in allmäliger Verdichtung sich um sich selbst zu drehen; ferner nahm nach unveränderlichen mechanischen Gesetzen, im Verhältniß wie sein Umfang durch Verdichtung abnahm, seine Rundbewegung an Schnelligkeit zu; und indem diese beiden Wirkungen fortdauerten, ergab sich dadurch ein Hauptstern, der das Centrum der Nebelmasse bildete.
Bei aufmerksamer Betrachtung würde der Beobachter damals gewahrt haben, daß die anderen Elementartheilchen der Masse sich ebenso wie der Centralstern verhielten, sich in eigenthümlicher Weise durch eine Rundbewegung von steigender Schnelligkeit verdichteten, und in Gestalt unzähliger Sterne um denselben als ihren Schwerpunkt kreisten. So entstand ein Nebelflecken, deren die Astronomie jetzt gegen fünftausend aufzählt.
Unter diesen fünftausend Nebelflecken befindet sich die von den Menschen sogenannte Milchstraße, welche achtzehn Millionen Sternen zählt, deren jeder das Centrum einer Sonnenwelt geworden ist.
Hätte der Beobachter damals seine besondere Aufmerksamkeit einem von den achtzehn Millionen Sternen, welcher zu den bescheidensten und am mindesten glänzenden gehört, gewidmet, einem Sterne vierten Ranges, der mit Stolz Sonne genannt wird, so würden sich alle Erscheinungen der Weltbildung der Reihe nach vor seinen Augen vollzogen haben.
In der That würde er diese Sonne noch im gasförmigen Zustand und aus beweglichen Elementarbestandtheilchen gebildet gesehen, und gewahrt haben, wie sie sich um ihre Achse drehte, um ihr Concentrationswerk zu vollziehen. Er würde beobachtet haben, wie diese Bewegung, nach den Gesetzen der Mechanik, mit der Abnahme des Umfangs an Schnelligkeit zunahm, und dann ein Zeitpunkt kam, wo die centrifugale Kraft über die centripetale, welche die Elementarbestandtheile dem Centrum zutreibt, das Uebergewicht bekam.
Dann wäre vor den Augen des Beobachters eine andere Erscheinung vorgegangen. Er hätte gewahrt, wie die Elementartheile in der Gegend des Aequators, gleich dem Stein einer Schleuder, deren Schnur plötzlich zerreißt, sich losmachten, und um die Sonne herum mehrere concentrische Ringe gleich denen des Saturn bildeten; wie sodann diese aus dem Urstoff bestehenden Ringe für sich in eine Rundbewegung um die Centralmasse fortgerissen zerbrachen und in Nebelgestirne untergeordneter Art, d. h. in Planeten, auflösten.
Hätte der Beobachter hierauf alle seine Achtsamkeit auf die Planeten gerichtet, so hätte er gewahrt, daß dieselben sich gerade wie die Sonne verhielten und einem oder mehreren kosmischen Ringen den Ursprung gaben, woraus jene Gestirne niederen Ranges entstanden, welche man Trabanten nennt.
So bekommt man denn, aufsteigend vom Atom zum Elementartheilchen, von diesem zum Nebelflecken und weiter zum Nebelgestirn und zum Hauptstern, von diesem zur Sonne, zu dem Planeten und seinen Trabanten – einen Begriff von der ganzen Reihe der Umbildungen, welche die Himmelskörper seit dem Ursprung der Welt erfuhren.
Die Sonne scheint sich in der Unermeßlichkeit der Sternenwelt zu verlieren, und dennoch gehört sie, der gegenwärtigen wissenschaftlichen Theorie nach, zu den Nebelflecken der Milchstraße. So klein sie auch inmitten der ätherischen Räume erscheinen mag, so ist sie doch Centrum einer Welt und von enormer Größe, denn diese beträgt vierzehntausendmal die der Erde. Um sie herum kreisen acht Planeten, welche zur ersten Schöpfungszeit aus ihr selbst hervorgegangen sind. Diese sind, vom nächsten zum entferntesten weiter gehend: Merkur, Venus, Erde, Mars, Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Außerdem kreisen zwischen Mars und Jupiter regelmäßig noch andere weniger beträchtliche Himmelskörper, vielleicht unstete Trümmer eines in mehrere tausend Stücke zerbrochenen Gestirns, von welchen das Teleskop bis jetzt siebenundneunzig entdeckt hat.
Von diesen abhängigen Körpern, welche die Sonne nach dem großen Gravitationsgesetz in ihrer elliptischen Bahn beherrscht, besitzen einige ihre eigenen Trabanten. Uranus hat deren acht, Saturn acht, Jupiter vier, Neptun vielleicht drei, die Erde einen; dieser, der einer der unbedeutendsten der Sonnenwelt ist, heißt Mond: derselbe, den das kühne Genie der Amerikaner zu erobern trachtete.
Das Nachtgestirn hat durch seine verhältnißmäßige Nähe und die rasch erneuerte Anschauung seiner Phasen von allem Anfang an zugleich mit der Sonne die Aufmerksamkeit der Erdbewohner auf sich gezogen; aber die Sonne ermüdet beim Anblick, und der blendende Glanz ihres Lichtes nöthigt ihre Beschauer die Augen abzuwenden.
Die blonde Phöbe dagegen ist menschenfreundlicher, läßt sich gefällig in ihrer bescheidenen Anmuth betrachten; sanft anzuschauen, wenig ehrgeizig, erlaubt sie sich doch zuweilen, ihren Bruder, den strahlenden Apollo, in Schatten zu stellen, ohne je von ihm verdunkelt zu werden. Die Muhammedaner haben in dankbarer Erkenntlichkeit gegen diese treue Freundin der Erde, ihre Monate nach ihrem Umlauf geregelt.
Die Urvölker widmeten dieser keuschen Göttin einen besonderen Gottesdienst. Die Aegyptier nannten sie Isis, die Phönizier Astarte, die Griechen verehrten sie unter dem Namen Phöbe, Tochter der Latona und Jupiter's, und erklärten ihre Verfinsterungen durch die geheimnißvollen Besuche der Diana beim schönen Endymion. Der mythologischen Legende nach durchstreifte der Nemeische Löwe, bevor er auf der Erde erschien, die Gefilde Luna's, und der Dichter Agesianax verherrlichte in Versen die süßen Augen, die reizende Nase und den freundlichen Mund, welche die bestrahlten Theile der anbetungswürdigen Selene erkennen lassen.
Aber begriffen auch die Alten den Charakter, das Temperament, kurz, die moralischen Eigenschaften Luna's vom mythologischen Gesichtspunkt aus, so waren doch selbst die Gelehrtesten derselben in der Selenographie sehr unwissend.
Jedoch entdeckten einige Astronomen der frühesten Zeiten einige besondere Eigenschaften, welche zu heutiger Zeit von der Wissenschaft bestätigt wurden. Behaupteten die Arkadier, schon zu einer Zeit, da der Mond noch nicht existirte, auf der Erde gewohnt zu haben; hielt Simplicius ihn für unbeweglich am kristallenen Himmelsgewölbe befestigt; sah Tatius ihn als ein von der Sonnenscheibe abgetrenntes Fragment an; nahm des Aristoteles Schüler Klearch ihn als einen polirten Spiegel, auf welchem die Gebilde des Oceans sich abstrahlten; sahen Andere in demselben nur eine Anhäufung von Ausdünstungen der Erde, oder eine Kugel, die halb aus Feuer, halb aus Eis bestand und sich um sich selbst bewegte: so gab es doch einige Gelehrte, die trotz des Mangels an optischen Instrumenten durch scharfsinnige Beobachtung die meisten Gesetze erriethen, welchen das Nachtgestirn unterworfen ist.
Thales aus Milet äußerte 460 Jahre vor Christus die Meinung, der Mond sei von der Sonne erleuchtet; Aristarch zu Samos gab die richtige Erklärung seiner Phasen; Kleomenes lehrte, er strahle entliehenes Licht wieder. Der Chaldäer Berosus machte die Entdeckung, daß die Dauer seiner Rundbewegung der seines Umlaufs gleich sei, und erklärte daraus die Thatsache, daß der Mond stets die nämliche Seite zeigt. Hipparch endlich, zwei Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung, erkannte einige Ungleichheiten in den anscheinenden Bewegungen des Erdtrabanten.
Diese Beobachtungen bestätigten sich in der Folge, und wurden den neuen Astronomen nützlich. Ptolemäus im zweiten Jahrhundert, der Araber Abul-Wefa im zehnten, vervollständigten des Hipparch Bemerkungen über die Ungleichheiten, welche der Mond im Verfolgen der wellenförmigen Linie seiner Bahn unter Einwirkung der Sonne zu erleiden hat. Später haben Kopernicus im fünfzehnten Jahrhundert, und Tycho Brahe im sechzehnten, das Weltsystem und die Rolle, welche der Mond unter den Himmelskörpern spielt, vollständig dargestellt.
Zu dieser Zeit wurden seine Bewegungen fast vollständig bestimmt; aber von seiner physischen Beschaffenheit wußte man wenig. Damals erklärte Galiläi die in gewissen Phasen eintretenden Lichterscheinungen durch die Existenz von Bergen, welchen er eine durchschnittliche Höhe von 4500 Toisen beilegte.
Später setzte Helvetius, ein Astronom aus Danzig, die höchsten Angaben auf 2600 Toisen (15,600 par. Fuß) herab; aber sein Genosse Riccioli kam wieder auf 7000 Toisen. Am Ende des achtzehnten Jahrhunderts beschränkte Herschel, der mit dem stärksten Teleskop bewaffnet war, diese Maße bedeutend, indem er für die höchsten Berge neunzehnhundert Toisen annahm, und als durchschnittliche Höhe nur vierhundert Toisen (2400 par. Fuß). Aber auch Herschel irrte noch, und es bedurfte der Beobachtungen von Schröter, Louville, Halley, Nasmyth, Bianchini, Pastorf, Lohrmann, Gruithuysen, und besonders der ausdauernden Studien von Beer und Mädler, um die Frage entschieden zu lösen. Ihnen verdankt man es, daß man jetzt die Höhe der Mondberge genau kennt. Die Letzteren beiden haben neunzehnhundertundfünf Berghöhen gemessen, von denen sechs zweitausendsechshundert Toisen überragen, zweiundzwanzig über 2400; ihr höchster Gipfel reicht bis an 3801 Toisen über der Mondfläche.
Zu gleicher Zeit wurde die Kenntniß von der Beschaffenheit des Mondes vollständiger; er zeigte sich voll Krater, und seine wesentlich vulkanische Natur ward durch jede Beobachtung bestätigt. Aus dem Mangel an Brechung der Lichtstrahlen bei den von ihm verdeckten Planeten schloß man, daß ihm eine Atmosphäre fast gänzlich fehle. Aus diesem Mangel an Luft war auf Mangel an Wasser zu schließen. Daraus ergab sich klar, daß die Seleniten, um zu leben, besonders organisirt und von den Bewohnern der Erde sehr verschieden sein müßten.
Endlich haben die in Folge der neuen Methoden noch mehr vervollkommneten Instrumente den Mond unablässig untersucht und ließen keinen Punkt seiner Oberfläche undurchforscht, und doch mißt sein Durchmesser zweitausendfünfhundert Meilen, seine Oberfläche beträgt den dreizehnten Theil der Erdoberfläche, sein Umfang den neunundvierzigsten Theil der Erdkugel; aber dem Auge der Astronomen blieb keins seiner Geheimnisse verborgen, und diese geschickten Gelehrten gelangten mit ihren wundervollen Beobachtungen noch weiter.
So bemerkten sie, daß zur Zeit des Vollmondes die Scheibe an manchen Stellen von weißen Linien durchfurcht schien, zur Zeit der Phasen mit schwarzen. Durch genauere Studien gelang es ihnen, über die Natur dieser Linien sich nähere Auskunft zu verschaffen. Es waren lange, enge Furchen, tief zwischen parallelen Rändern, welche meist in die Umkreise von Kratern ausliefen, von achthundert Toisen (4800 Fuß) Breite und zehn bis hundert Meilen Länge. Die Astronomen nannten sie Furchen (Streifen), das war aber auch Alles; denn ob es ausgetrocknete Bette vormaliger Flüsse seien, konnten sie nicht bestimmt entscheiden. Daher hofften auch die Amerikaner, diese geologische Thatsache früher oder später in's Reine zu bringen. Auch behielten sie sich vor, jene Reihe von parallelen Wällen zu durchforschen, welche der gelehrte Professor Gruithuysen zu München entdeckte, der sie für von seleniten Ingenieuren errichtete Befestigungswerke hielt. Diese beiden noch unklaren Punkte, und unstreitig noch viele andere können wohl nicht eher als nach Herstellung einer directen Verbindung mit dem Monde in's Reine gebracht werden.
In Betreff der Stärke seines Lichtes war nichts weiter zu lernen; man wußte, daß dasselbe dreihunderttausendmal schwächer als das Sonnenlicht ist, und daß seine Wärme nicht berechenbar auf die Thermometer wirkt. Was die unter dem Namen »aschfarbiges Licht« bekannte Erscheinung betrifft, so ist sie natürlich durch die Wirkung der von der Erde auf den Mond zurückgeworfenen Sonnenstrahlen zu erklären, welche die Mondscheibe zu ergänzen scheinen, wann dieser in Form eines Halbmonds beim ersten und letzten Viertel zu sehen ist.
Diesen Stand der Kenntnisse, welche man über den Trabanten der Erde gewonnen hatte, in allen Gesichtspunkten, dem kosmographischen, geologischen, politischen und moralischen, zu vervollständigen, machte sich der Gun-Club zur Aufgabe.
Sechstes Capitel.
Was in den Vereinigten Staaten nun nicht mehr unbekannt sein kann, und was man nicht mehr glauben darf.
Barbicane's Vorschlag hatte zur unmittelbaren Folge, daß alle astronomischen Thatsachen, welche sich auf das Gestirn der Nacht bezogen, auf die Tagesordnung kamen. Jeder machte sich daran, dieselbe eifrig zu studiren. Es schien als sei der Mond zum ersten Male am Horizont aufgetreten, und es habe ihn bisher noch Niemand am Himmel gesehen. Luna wurde zur Mode: sie wurde Löwin des Tages, ohne deshalb weniger bescheiden aufzutreten, sie nahm ihren gebührenden Rang unter den »Gestirnen« ein, ohne darum mehr Stolz erkennen zu lassen. Die Journale wärmten die alten Anekdoten wieder auf, worin diese »Sonne der Wölfe« gepriesen wurde; sie erinnerten an den Einfluß, welchen die Unwissenheit früherer Zeiten ihr geliehen, und sangen ihre Loblieder in allen Tonarten; fast hätten sie bon mots von ihr zum Besten gegeben; ganz Amerika wurde mondsüchtig.
Die wissenschaftlichen Zeitschriften behandelten ihrerseits die mit der Unternehmung des Gun-Clubs zusammenhängenden Fragen specieller; das Schreiben des Observatoriums zu Cambridge wurde von ihnen veröffentlicht, erläutert und rückhaltlos gebilligt.
Kurz, selbst dem mindest wissenschaftlichen Yankee war es nicht mehr gestattet, in Beziehung auf seinen Trabanten nur eine einzige Thatsache nicht zu kennen, sowenig wie der bornirtesten alten Mistreß, ferner die in Betreff desselben gehegten abergläubischen Irrthümer gelten zu lassen. Die Wissenschaft gelangte unter allen Formen zu ihnen, drang durch die Augen und Ohren in ihren Geist; es war nicht mehr möglich, ferner ein Esel zu sein ... in Sachen der Astronomie.
Bisher war es vielen Leuten unbekannt, wie man die Entfernung des Mondes von der Erde zu berechnen im Stande war. Man benützte diesen Umstand sie zu belehren, daß man diese Kenntniß durch Messung der Parallaxe des Mondes gewinne. Waren sie über dieses Wort betroffen, so sagte man ihnen, so heiße man den Winkel, welchen zwei gerade Linien bildeten, die man von den beiden Enden des Erddurchmessers zu dem Monde hinzog. Zweifelten sie an der Zulänglichkeit dieser Methode, so bewies man ihnen unmittelbar, nicht allein, daß dieser mittlere Abstand wohl zweihundertvierunddreißigtausenddreihundertsiebenundvierzig (engl.) Meilen (= vierundneunzigtausenddreihundertunddreißig Lieues) betrug, sondern auch, daß die Astronomen sich nicht um siebenzig Meilen irrten.
Denen, welche mit den Bewegungen des Mondes nicht genau bekannt waren, erklärten die Journale täglich, daß er zwei verschiedene Bewegungen habe, erstens die Umdrehung um seine Achse, und zweitens den Umlauf um die Erde, welche beide Bewegungen in gleicher Zeit vorgingen, nämlich binnen siebenundzwanzig und einem Drittel Tag.
Die Umdrehung um seine Achse bewirkt für die Mondoberfläche Tag und Nacht; nur daß es binnen eines Monats auf dem Mond nur einen Tag giebt, und nur eine Nacht, von denen jedes dreihundertvierundfünfzig und ein Drittel Stunden dauert. Aber zum Glück ist die der Erde zugekehrte Seite von dieser mit einem Licht bestrahlt, welches vierzehnmal stärker als das Mondlicht ist. Die andere, stets unsichtbare Seite hat natürlich dreihundertvierundfünfzig Stunden absolute Nacht, welche nur durch das schwache Licht, das von den Sternen her ihr zufällt, gemildert wird. Diese Erscheinung rührt einzig von der Eigentümlichkeit her, daß die Bewegungen der Umdrehung und des Umlaufs in vollständig gleicher Zeit vor sich gehen; eine Erscheinung, die nach Cassini und Herschel auch bei den Trabanten Jupiter's, und sehr wahrscheinlich bei allen anderen Trabanten vorkommt.
Manche recht gescheite, aber etwas starre Köpfe begriffen nicht sogleich, daß, wenn der Mond bei seinem Umlauf um die Erde derselben stets das nämliche Antlitz zuwendet, er während derselben Zeit sich dabei um sich selber dreht. Zu diesen sagte man: »Treten Sie in Ihren Speisesaal und gehen Sie um den Tisch herum, so daß Sie den Blick stets dem Centrum zuwenden; wenn Sie mit diesem Rundgang fertig sind, findet sich, daß Sie zugleich sich selbst umgedreht haben, denn Ihr Auge hat nach und nach alle Punkte des Saals angeblickt. Nun! Der Saal ist der Himmel, der Tisch ist die Erde, und der Mond sind Sie!« – Und sie waren höchlich befriedigt durch den Vergleich.
Also, der Mond zeigt der Erde unablässig dieselbe Seite; doch muß man, um exact zu sein, beifügen, daß er, in Folge einer gewissen schwankenden Bewegung von Norden nach Süden, und von Westen nach Osten, welche man »Libration« nennt, etwas mehr als die Hälfte seiner Scheibe, nämlich ungefähr siebenundfünfzig Hunderttheile, sehen läßt.
Als die Unwissenden über die Rundbewegung des Mondes ebenso viel wußten, als der Director des Observatoriums zu Cambridge, beunruhigten sie sich über seine Umlaufbewegung um die Erde, und zwanzig wissenschaftliche Zeitschriften waren rasch bei der Hand, sie zu belehren. Sie lernten dabei, daß das Firmament mit seinen unzähligen Sternen wie ein großes Zifferblatt angesehen werden kann, worauf der Mond herum spaziert und allen Erdbewohnern die richtige Stunde angiebt; daß das Nachtgestirn bei dieser Bewegung seine verschiedenen Phasen zeigt; daß es Vollmond ist, wenn er auf der der Sonne entgegengesetzten Seite (in Opposition) steht, d. h. die drei Gestirne in derselben Linie, in der Mitte die Erde; Neumond dagegen, wenn er seinen Stand zwischen der Erde und der Sonne hat (mit ihr in Conjunction ist); endlich, daß der Mond in seinem ersten oder letzten Viertel sich befindet, wenn er an der Spitze eines rechten Winkels steht, welchen die beiden Linien, nach der Sonne und der Erde hin, bilden.
Einige scharfsinnige Yankees zogen daraus den Schluß, daß die Verfinsterungen nur zur Zeit der Conjunction oder Opposition stattfinden könnten, und sie urtheilten richtig. Im Stand der Conjunction vermag der Mond die Sonne zu verfinstern, während bei der Opposition die Erde ihn verfinstern kann, und daß nur deshalb die Finsternisse nicht zweimal bei jedem Mondumlauf eintreten, weil die Ebene der Mondbewegung gegen die Ekliptik, d. h. die Bahn der Erdbewegung, geneigt ist.
Was die Höhe betrifft, welche das Nachtgestirn über dem Horizont einnehmen kann, so hatte das Schreiben des Observatoriums in der Hinsicht Alles gesagt. Jeder wußte, daß diese Höhe sich nach dem Breitegrad des Beobachters ändert. Aber die einzige Zone, für welche der Mond im Zenith, d. h. gerade über dem Scheitel seiner Bewohner, stehen kann, liegt nur zwischen dem Aequator und dem achtundzwanzigsten Grad südlicher wie nördlicher Breite. Deshalb wurde so dringend empfohlen, das Experiment nur auf einem Punkt innerhalb dieser Zone vorzunehmen, damit man das Geschoß senkrecht abschleudern und um so schneller der Wirkung der Schwere entziehen könne. Das Gelingen des Vorhabens war an diese wesentliche Bedingung geknüpft und die öffentliche Meinung mußte sich daher lebhaft dafür interessiren.
In Betreff der Linie, welche der Mond bei seiner Bahn um die Erde beschreibt, hatte das Observatorium zu Cambridge hinlänglich, auch den Ignoranten aller Länder, gezeigt, daß dieselbe nicht ein Kreis ist, sondern eine Ellipse, worin sich die Erde an einem der Brennpunkte befindet. Diese elliptischen Bahnen finden sich bei allen Planeten, wie bei allen Trabanten, und die rationelle Mechanik beweist mit aller Schärfe, daß es nicht anders möglich ist. Selbstverständlich begriff man, daß die Erdferne des Mondes seinen Stand an demjenigen Punkt seiner Bahn bedeute, welcher am weitesten von der Erde ab liegt, seine Erdnähe den an dem nächsten bei derselben.
Dieses also mußte jeder Amerikaner, er mochte wollen oder nicht, wissen, und anständiger Weise konnte Niemand darin unwissend sein. Aber verbreiteten sich auch dergestalt rasch die richtigen Ansichten, so war es nicht so leicht, eine Menge Irrthümer, manche falsche Besorgnisse, auszurotten.
So behaupteten z. B. manche wackeren Leute, der Mond sei ein vormaliger Komet, der bei seiner verlängerten Bahn um die Sonne in der Nähe der Erde vorbeigekommen und in seinem Anziehungskreis festgehalten worden sei. Diese Salon-Astronomen meinten damit das verbrannte Aussehen des Mondes zu erklären. Man brauchte ihnen aber nur die Bemerkung zu machen, daß die Kometen eine Atmosphäre haben, der Mond keine oder sehr wenig, und sie wußten nichts darauf zu erwidern.
Andere äußerten hinsichtlich des Mondes gewisse Besorgnisse. Sie hatten gehört, seit den zur Zeit der Kalifen gemachten Beobachtungen nehme seine Umlaufbewegung an Schnelligkeit in gewissem Verhältniß zu. Daraus folgerten sie ganz logisch, daß einer beschleunigten Bewegung eine Verminderung des Abstandes beider Gestirne entsprechen müsse, und daß, wenn diese doppelte Wirkung in's Unendliche fortdauere, am Ende der Mond einmal auf die Erde fallen müsse. Doch sie mußten ihre Besorgnisse um die zukünftigen Generationen aufgeben, als man sie lehrte, daß nach Laplace's Berechnungen diese Beschleunigung der Bewegung sich in sehr engen Schranken hält, und eine verhältnißmäßige Verminderung unfehlbar darauf folgen werde, demnach eine Störung des Gleichgewichts in der Sonnenwelt in Zukunft nicht stattfinden könne.
Nun blieben noch die abergläubischen Ignoranten, welche sich nicht darauf beschränken, nichts zu wissen, vielmehr wissen, was nicht ist; und hinsichtlich des Mondes wußten sie ein Langes und Breites. Die Einen sahen seine Scheibe wie einen Polirspiegel an, vermittelst dessen man an verschiedenen Punkten der Erde sich sehen und seine Gedanken mittheilen könne. Andere behaupteten, bei tausend Neumonden, die man beobachtete, seien auf neunhundertundfünfzig erhebliche Veränderungen erfolgt, Überschwemmungen, Revolutionen, Erdbeben etc.; sie glaubten daher an einen mysteriösen Einfluß des Nachtgestirns auf die menschlichen Schicksale; sie meinten, jeder Erdbewohner stehe durch ein Band der Sympathie mit einem Mondbewohner in Verbindung; mit dem Doctor Mead behaupteten sie, das Lebenssystem sei ihm völlig unterworfen, Knaben würden nur zur Zeit des Neumonds geboren, Mädchen zur Zeit des letzten Viertels etc., etc. Aber endlich mußten sie diese Irrthümer aufgeben; und wenn der Mond, seitdem er seines Einflusses beraubt ist, in den Augen gewisser Leute, die allen Mächtigen den Hof machen, gesunken ist, wenn Manche ihm den Rücken kehrten, so erklärte sich die immense Majorität zu seinen Gunsten. Die Yankees hatten keinen anderen Ehrgeiz mehr, als den, von diesem neuen Kontinent der Lüfte Besitz zu ergreifen, und das Sternenbanner der Vereinigten Staaten Amerikas auf seinem höchsten Gipfel aufzupflanzen.
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