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»Und weshalb wollen Sie dann zu meinem Sohn und meiner Schwiegertochter? Glauben Sie, die haben damit etwas zu tun? Das ist doch Unsinn!«
»Nein, nein! Wir befragen jeden. Ganz systematisch. Es geht uns darum, Hinweise über den Toten zu bekommen. Vielleicht kannte ihn ja jemand …«
Mit einem undefinierbaren Brummen, was wohl Zustimmung andeuten sollte, lud der Mann in dem grauen Kittel Linthdorf ein, rüberzukommen.
»Sie sind …?«
»Erhard Kappenbach, Ingenieur, jetzt Rentner …«
Linthdorf sah sich um. Er erkannte die kreative Hand eines technisch versierten Menschen. Überall waren kleine Bewegungsmelder angebracht, die wahrscheinlich die Außenbeleuchtung kontrollierten. Mit Kennerblick betrachtete Linthdorf den Wintergarten. Er mochte solche Anlagen.
In der grauen Winterszeit saß er oft stundenlang in den Glashäusern des Botanischen Gartens, tankte Grün und schnupperte die feuchtwarme Luft der Pflanzen. Seine Favoriten waren die Gewächshäuser mit den wildwuchernden Tropenpflanzen aus den Regenwäldern. Rieselanlagen sorgten für ständige Feuchtigkeit und große Heizaggregate garantierten eine angenehme Temperatur.
Kappenbach hatte seinen Wintergarten vor allem mit nützlichen Pflanzen bestückt. Tomatenstauden, Paprikabüsche, am Boden reiften Gurken und Zucchini, sogar eine Auberginenpflanze entdeckte er, deren Früchte bereits eine lila Färbung annahmen.
Eine Seite jedoch war den Zierpflanzen vorbehalten. Eine Dieffenbachie, ein Ficus Benjamini, diverse Draconias, zwei Acapanthus-Stauden in Pflanzkübeln, ein Hibiskus-Bäumchen und ein großer Bottich mit Zyperngras grünten in trauter Eintracht mit den Gemüsepflanzen.
»Wollen Sie mal probieren? Schmecken echt prima.«
Ehe Linthdorf ablehnen konnte, hatte er zwei leuchtend rote Tomaten in die Hand gedrückt bekommen. Sie rochen wirklich sehr angenehm, genauso wie reife Tomaten duften sollten. Er kannte den Geruch aus seiner Kindheit, als im Garten seiner Großmutter Stabtomaten reiften, deren kleine gelbe Blüten ihn schon damals faszinierten. Wie aus den kleinen Blüten dann erst leuchtend grüne und schließlich sattrote Kugeln wurden, war für den damals zehnjährigen Gartenhelfer ein Wunder. Jetzt war plötzlich dieses wunderbare Gefühl aus seiner Kindheit wieder da. Linthdorf ertappte sich dabei, sentimental zu werden. Für einen Moment waren die Ermittlungen ausgeblendet und die zwei Männer standen sich gegenüber als fachkundige Tomatenliebhaber.
Ein flüchtiges Lächeln huschte über sein Gesicht. »Danke, ja, ich liebe frische Tomaten.«
Erhard Kappenbach war zufrieden. Endlich mal jemand, der sein Gärtnertalent würdigte. Gisela maulte nur immer herum, egal was er ihr auch präsentierte, alles war nicht gut genug für sie. Tomaten mochte sie schon gar nicht, warum, wusste er nicht. Dabei war ein gut gewürzter Tomatensalat doch etwas Herrliches.
»Gut, also, Tomaten, ja, die sind bei Ihnen wirklich in guten Händen. Nochmal vielen Dank. Aber sie ahnen, dass ich nicht wegen ihrer Gartenkünste gekommen bin. Es geht um den Toten.«
Kappenbach seufzte. Ja, natürlich, seit der Tote am Sonnabend von dem Herumtreiber Flachbein gefunden worden war, gab es eigentlich nur ein Gesprächsthema.
Gisela hing seitdem nur noch bei ihrer Schwester herum und hörte sich deren Schauermärchen an. Irene wollte den Todesschrei gehört haben und konnte seither nicht mehr richtig schlafen. Sie hatte panische Angst. Anfangs dachte sie, einer Illusion aufgesessen zu sein, doch der Leichenfund gab ihr recht. Sie hatte wirklich etwas gehört. Jedem erzählte sie nun ihre Geschichte, ob er sie hören wollte oder nicht.
Kappenbach berichtete dem Kommissar von seiner Schwägerin und ihren Nachterlebnissen. Es war ja nicht das erste Mal, dass Irene seltsame Dinge berichtete. Angeblich schlich auch Hubi, ihr Verstorbener nachts durch das Haus. Aus purer Bosheit würde der Geist ihres Mannes das machen, um sie zu kontrollieren. Kappenbach erwähnte das, um dem Polizisten eine Idee von dem Wahrheitsgehalt in Irenes Äußerungen zu geben.
Er war jedenfalls der festen Meinung, dass seine Schwägerin seit dem Tod ihres Gatten Hubert ein wenig gelitten habe. Allein in dem großen Haus …, naja, wundern müsse man sich da nicht. Zumal sie nie allein gelebt habe. Immer war jemand für sie da.
Seit Huberts Tod würde seine Frau Gisela immer mehr die Stellung Huberts bei Irene einnehmen. Täglich fuhr sie mit ihrem Elektroroller zu ihr, betüttelte sie, kümmerte sich um alles und erledigte diverse Botengänge.
Dabei war Gisela im Gegensatz zu Irene gehandicapt. Mit ihrer künstlichen Hüfte könne sie kaum laufen.
Kappenbach war von seiner Schwägerin sichtlich genervt. Wenn Gisela nur ein Zehntel der Energie, die sie für Irene aufbrächte, zu Hause einsetzen würde, wäre das schon okay. Aber da blieb alles an ihm hängen, zusätzlich bekäme er auch noch von dem Sohn und der Schwiegertochter Aufträge.
Als ob er der Hausmeister wäre!
Linthdorf war anfangs noch amüsiert von dem langen Monolog des Tomatenzüchters. Aber je mehr er die Verbitterung des Mannes bemerkte, desto unwohler fühlte er sich.
Ob denn Irene anzutreffen sei?
Kappenbach zuckte mit den Schultern. Möglich, möglich auch nicht. Manchmal fuhren Irene und Gisela einfach in die Stadt zum Einkaufen und Kaffeetrinken.
Und wo das Haus …?
Ach, die Nummer Zehn?
Das ockerfarbene Haus am anderen Ende …?
Linthdorf wurde nachdenklich. Wenn die Schwägerin, die am weitesten entfernt vom Fundort der Leiche wohnte, den Todesschrei gehört hatte, dann musste der Schrei wirklich sehr laut gewesen sein. Konnte man mit einer solchen tödlichen Verletzung überhaupt noch so laut schreien? Er musste dringend mit dem Gerichtsmediziner sprechen.
Und wenn der Schrei nicht von dem Toten, sondern vom Täter stammte? Was für ein Drama hatte sich in der Nacht abgespielt?
Plan der Siedlung Krähwinkel
1
3
2
7
11
8
12
4
10
5
6
9
13
14
Haus Nr. 1 altes Vorwerk Krähwinkel, Ruine, steht leer
Haus Nr. 2 Bauernhof, Doppelhaus: Weidenbaums, Gontschoreks
Haus Nr. 3 Bauernhof, Kleinschmidts (Jesko und Wanda)
Haus Nr. 4 Bauernhof, Doppelhaus: Flachbeins, Wüllersbarths
Haus Nr. 5 einfaches Haus: Bachhorn
Haus Nr. 6 einfaches Haus: Baierstedts (sind im Pflegeheim in
Lindow), steht leer
Haus Nr. 7 einfaches Haus: Lehmbecks (verstorben), steht leer
Haus Nr. 8 einfaches Haus: Kruses
Haus Nr. 9 Doppelhaus: Schallerts, Leimdank
Haus Nr. 10 einfaches Haus: Flumming
Haus Nr. 11 Doppelhaus mit Anbau: Humprecht, Spengelraths,
Vasquez-Heumann
Haus Nr. 12 einfaches Haus: Golm
Haus Nr. 13 einfaches Haus: Kleinschmidts (Boris und Nancy)
Haus Nr. 14 Doppelhaus: Kappenbachs Senior und Junior
II
Siedlung Krähwinkel
Dienstag, 2. Oktober 2007

Das Haus Nummer Zehn war eindeutig kein Bauernhaus. Es hätte in jedem beliebigen Vorort einer größeren Stadt stehen können. Ein zweistöckiges Einfamilienhaus, wie es üblicherweise in den Sechziger gebaut wurde. Praktisch, schmucklos und ohne dem sonst für Landhäuser so typischen Charme.
Linthdorf konnte beim Anblick des Hauses sofort verstehen, warum Irene nachts Geister sah. Das Haus hatte etwas Düsteres an sich. War es nun der dunkle Putz oder die hohen, ungeschnittenen Obstbäume, die rings um das Haus wuchsen und so den Fenstern das Licht wegnahmen, Linthdorf konnte es schwer konkretisieren. Es war eher ein unbestimmtes Gefühl.
In den Bäumen im Garten waren ungewöhnlich viele schwarze Vögel zu sehen. Als ob der Garten ein Krähenparadies war. Als Linthdorf sich näherte, flatterten sie aufgeregt schimpfend davon.
Kein Vergleich zu den bisher besuchten Häusern, die eine gewisse ländliche Gelassenheit ausstrahlten. Er würde in so einem Haus spätestens nach einem Jahr depressiv sein. Wer weiß, was die Besitzerin für dunkle Obsessionen hatte, wenn sie es hier aushielt.
Linthdorf suchte die Klingel. Versteckt neben dem Briefkasten war ein kleines Namensschildchen, direkt darunter befand sich ein runder Klingelknopf aus schwarzem Aminoplast. Solche Klingeln waren schon lange nicht mehr üblich. Sie stammte wohl noch aus der Zeit des Hausbaus.
Ein schwerer Gong ertönte. Die Klingel funktionierte. Der Kommissar hatte das kleine Elektrofahrzeug entdeckt, dass im Schatten eines Fliederbaums parkte. Es gehörte sicherlich der Schwester von Irene Flumming, der Gattin von Erhard Kappenbach. Nun, die würde er dann gleich mit kennenlernen.
Wieder vergingen lange Sekunden bis sich die Tür öffnete. Die Dorfbewohner schienen selten Besuch zu bekommen. Aber vielleicht kam es Linthdorf auch nur so langsam vor.
Der Lebensrhythmus hier draußen war von einer zähen Langsamkeit geprägt. Alles wurde bedächtig und mit Ruhe vollzogen. Die wenigen Autos schlichen mit Tempo dreißig durchs Dorf, selbst die Katzen liefen betont langsam, als ob sie wüssten, dass auf den stillen Straßen keine Gefahr drohte.
In der Tür erschien eine ältere Dame mit kupferrot gefärbtem Haar. Sie schaute skeptisch auf den großen Mann am Gartentor. Wer war das denn?
»Haben sie geklingelt?«
Linthdorf fand die Frage dumm. Wer denn sonst?
Er ignorierte die Frage und ging in die Offensive. »Sind Sie Frau Irene Flumming?«
Die Frau zögerte einen Moment bevor sie antwortete.
»Ja, bin ich. Und wer sind Sie?«
Linthdorf zückte seinen Ausweis. »Linthdorf, LKA Potsdam. Ich untersuche den Todesfall. Sie erinnern sich? Samstags wurde bei Ihnen vor dem Dorf ein Toter im Straßengraben gefunden.«
Natürlich erinnerte sich Irene Flumming. Das Ereignis verfolgte sie sogar bis nachts in ihre Träume, die einen erholsamen Schlaf unmöglich machten.
Hinter Irene Flumming tauchte eine zweite Frau auf. Etwas kleiner, dafür deutlich kompakter. Das musste Gisela Kappenbach sein, die Schwester Irenes.
»Was ist denn los? Mit wem sprichst du denn?«
Irene schaute zu ihrer Schwester, die sich gerade so unwillig zu Wort gemeldet hatte.
»Polizei, die Polizei will etwas von mir. Wohl wegen der Leiche vom Sonnabend …«
»Siehste, das hast davon, dass du überall rumposaunt hast mit deinen Fantastereien. Ach, Renchen!«
Gisela ignorierte den Kommissar vollkommen. Sie hatte nur Augen für ihre Schwester. Linthdorf fühlte sich trotz seiner körperlichen Präsenz wie ein überflüssiges Wesen. Die Schwestern schienen in ihrer eigenen Welt zu leben.
»Kann ich Ihnen ein paar Fragen stellen?«
Die beiden Frauen stutzten. Ja, der Mann stand immer noch vor dem Gartentor. Irene schaute zu Gisela, die mit den Schultern zuckte. »Das haste dir selber eingebrockt.«
Linthdorf hatte sich inzwischen schon Richtung Haustür bewegt. Erstaunt stellten die beiden Frauen fest, was für ein Riese sich da vor ihnen aufbaute. Beeindruckt durch die Größe, die durch den schwarzen Hut noch um ein paar Zentimeter höher erschien, duckten sich die beiden Frauen unwillkürlich.
»Kann ich reinkommen? Oder wollen wir die Befragung hier an der Haustür fortsetzen?«
Ungehalten über so viel Ignoranz und Ablehnung trat Linthdorf einfach ins Haus. Die beiden Frauen trabten hinterher. Irene ergriff endlich das Wort, unsicher, wie man mit einem solchen Gast denn zu verfahren habe.
»Ja, die Sache mit dem Schrei … Keiner wollte es mir glauben. Aber ich habe ihn gehört. Ganz sicher.«
»Wann haben Sie den Schrei gehört?«
»In der Nacht zum Donnerstag, letzte Woche. Ich konnte wieder einmal nicht schlafen. Wissen Sie, seit Hubi, also Hubert, mein Mann, also, seit Hubi tot ist, da kann ich nicht mehr gut schlafen. Immer habe ich das Gefühl …«, sie stockte für einen Moment, sah zu ihrer Schwester, die gelangweilt zum Küchenfenster hinausschaute, als ob sie das alles gar nichts anginge.
Linthdorf bemerkte den Blick. »Also, sie konnten nicht einschlafen. Was für ein Gefühl hatten Sie?«
Irene schluckte und fuhr mit leiser Stimme fort.
»Naja, manchmal denke ich, dass Hubi noch da ist und leise im Haus umgeht.«
Linthdorf war dieses Phänomen bekannt. Speziell bei Menschen, die lange Zeit zusammengelebt hatten, war das ein übliches Symptom der Verarbeitung des Verlustes. Es hatte nichts mit etwaigen Sinnesstörungen oder beginnender Verrücktheit zu tun.
Verständnisvoll nickte er und schaute Irene mitfühlend an. Die schien, durch die Zustimmung ermutigt, wieder etwas selbstsicherer zu werden.
»Ich mache mir dann immer den Radio an, um abgelenkt zu werden und setze mich in die Küche. Auch letzten Mittwoch war es so. Hubis Geist war mir begegnet. Draußen vorm Haus sitzen die Krähen im Baum und machen Krach. Es sind Totenvögel. Sie haben die Seelen der Verstorbenen in sich. Huberts Seele ist auch dabei. Er kontrolliert mich, schaut nach mir, ob alles in Ordnung ist. Dennoch ist es mir immer nicht geheuer. Also, ich saß da im Dunkeln und hörte Radio, als plötzlich ein langgezogener Schrei ertönte, so als ob jemand großen Schmerz erleidet. Ich kann bis heute nicht sagen, ob es ein Mann oder eine Frau war.«
»Wann genau haben Sie den Schrei gehört?«
»Es war so gegen Drei. Die Nachrichten kamen gerade im Radio. Die kommen immer nachts jede volle Stunde, weiß ich ganz sicher.«
Linthdorf nickte. Die Frau hatte wirklich denselben Schrei gehört, den auch Golm gehört hatte. Ihre Angaben deckten sich.
»Ist Ihnen sonst noch etwas aufgefallen?«
Irene schüttelte den Kopf. Es war für ihre angegriffenen Nerven schon genug. Der Schrei verfolgte sie. Gisela verstand das nicht. Für Gisela war sie eine Spinnerin.
»Haste dem Polizisten auch von deinen Gespenstern erzählt? Die du drüben in der Sieben immer siehst?«, Gisela war unwillig. Sie hatte dem kurzen Dialog gelauscht und fand die ganze Fragerei für ziemlich albern. Was sollten die nächtlichen Alpträume einer überspannten, alten Frau mit dem Mord zu tun haben?
Der Polizist sollte ruhig merken, was für eine vertrauenswürdige Person Irene war. Irene tickte doch nicht mehr ganz richtig!
Linthdorf schaute fragend zu der zu einem Häufchen Elend zusammengeschrumpften Frau auf dem Küchenstuhl. Ihr war es sichtlich peinlich, dass ihre Schwester das Thema angesprochen hatte. Seit ein paar Wochen glaubte sie, schräg über die Straße in dem leerstehenden Haus Nummer sieben Stimmen gehört zu haben. Mitten in der Nacht. Auch Licht brannte dort, obwohl die Jalousien heruntergelassen waren. Es war ihr unheimlich.
Nur Gisela hatte sie davon erzählt. Die hatte nur den Kopf geschüttelt. Seit Jahren war keine Menschenseele mehr in der Sieben zugange. Das wüsste sie doch. Sie sehe eben schon Gespenster.
Linthdorf bedankte sich bei Irene Flumming für ihre Mitarbeit, grüßte mit einem Kopfnicken Richtung Gisela Kappenbach und verließ das Haus Nummer Zehn.
Es war an der Zeit, sich dem verlassenen Haus Nummer Sieben zu widmen. Möglicherweise gab es dort Spuren, die auf den Mord hinwiesen. Abwegig war es nicht.
III
Siedlung Krähwinkel, Haus Nr. 7
Dienstag, 2. Oktober 2007

Das Haus Nummer sieben war ein unscheinbarer Bau. Es machte einen ärmlichen Eindruck. Nur einstöckig, kleine Fenster und mit einem schmalen Garten. Die der Straße zugekehrte Seite war verputzt, grau, allerdings schon stark nachgedunkelt. Alte hölzerne Jalousien verhinderten den Blick ins Innere. Auch die Haustür war mit einer Jalousie versehen. Unnahbar wirkte das kleine Gehöft. Zwei kleine Rotdornbäumchen zierten den Eingangsbereich, das war alles. Kein Vorgarten, keine schattigen Bäume, nichts.
Hinter dem Haus gab es einen schmalen Garten, der inzwischen vollkommen verwildert war. Brennnesseln standen meterhoch, der windschiefe Zaun war von Kletterpflanzen überwuchert. Eine alte Wanne war mit Regenwasser randvoll gefüllt.
Möglicherweise waren schon seit Jahren keine ordnenden Hände mehr tätig gewesen. Linthdorf hatte in seiner Liste eine Besitzerin aus Schwalbach in Hessen ausgewiesen. Die schien sich aber nicht weiter um ihren Besitz im Brandenburgischen zu kümmern.
Er hatte das Anwesen einmal umrundet. Auf der Rückseite gab es eine zweite Tür, die nicht mit einer Jalousie verhangen war. Auch die Fenster auf der Rückseite waren frei. Vorsichtig schaute Linthdorf hinein. Er musste sich dazu nicht weiter anstrengen mit seinen zwei Metern Körpergröße.
Dämmeriges Licht im Innern. Die Räume waren leer. Viel konnte er nicht erkennen. Alles machte den Eindruck von Dornröschenschlaf. Auf dem Fußboden sah er etwas Schwarzes liegen. Linthdorf schaute noch einmal genauer hin. Es war eine tote Krähe.
Wahrscheinlich war sie über den Schornstein ins Haus gelangt und fand nicht mehr hinaus. Sie war jämmerlich verhungert. Er seufzte. »Armes Tier.«
Als Linthdorf wieder auf die Straße zurückkam, stand ein älterer Mann vor ihm. Er schien gewartet zu haben.
»Da wohnt schon lange keiner mehr.«
»Wissen sie, wann das Haus verlassen wurde?«
Der alte Mann kratzte sich am Kopf.
»Elli und Karl sind nun schon seit drei Jahren tot. Kurz hintereinander gestorben, erst Elli, drei Monate später Karl. Davor waren sie vier Jahre im Pflegeheim. Naja, waren ja auch beide über Achtzig. Ja, so sieben Jahre wird es her sein … Warum wollen Sie das wissen? Möchten Sie es kaufen?«
»Nein, nein. Linthdorf mein Name, LKA Potsdam. Ich interessiere mich beruflich für das Haus. Wer sind Sie, wenn ich fragen darf? Wohnen Sie hier in der Nähe?«
»Nö, ich wohn‘ drü’m in der Fünf. Bachhorn mein Name.«
Von dem alten Mann ging ein strenger Geruch aus. Nikotin. Alles roch nach Zigarettenqualm an ihm. Er selbst sah von dem vielen Rauch aus wie vorzeitig mumifiziert. Die Haut war gelblich und voller Fältchen. Schwer einzuschätzen, wie alt er wirklich war.
Linthdorf bemerkte, dass er sich nur schleichend vorwärtsbewegte. Jeder Schritt schien ihm viel Kraft zu kosten. Alle drei Schritte blieb er stehen.
Ein trockener Husten schüttelte den alten Mann. Linthdorf wartete, bis er sich wieder gefangen hatte.
»Wohnt ab und zu noch mal jemand in dem Haus?«
»Wieso? Da gibt’s nix, absolut gar nix.«
»Wer kümmert sich denn um das Haus?«
»Na niemand. Es steht leer. Irgendwo in Hessen wohnt eine Nichte der beiden … Aber die war noch nie hier gewesen.«
»Wer hat das Haus denn leergeräumt?«
»Na, als die beiden ins Pflegeheim kamen, konnten sie doch ihre Möbel mitnehmen. Den Rest haben sie entsorgt. Sperrmüll …War ja nicht viel Zeugs, was da wegzuholen war.«
Wieder hustete und spuckte der Mann. Längeres Sprechen viel ihm ebenfalls schwer.
Linthdorf hatte Mühe alles zu verstehen, was der Raucher von sich gab, da fast nach jedem Satz ein Hustenanfall folgte.
»Die beiden alten Leute hatten keine Kinder?«
»Doch, hattense, Dorchen. Die ist aber schon lange tot. Verkehrsunfall. War gegen einen Baum gefahren. Nicht mal fuffzich geworden.«
»Ach!«
»Ja, das ist jetzt bestimmt schon zehn Jahre her.«
»Und Dorchen lebte hier mit im Haus?«
»Nee, nee! Dorchen war schon lange ausgezogen. In Neuruppin war die untergekommen. Arbeitete auch dort. Irgendwas im Büro. Hatte auch Pech mit den Männern. Naja, den Jungen hattse dann ja auch allein großgezogen.«
»Den Jungen?«
»Ja, sie hatte doch nen Sohn, der war immer mal in den Ferien hier bei seinen Großeltern. So nen kleines, schmales Bürschchen.«
Linthdorf wurde hellwach. Er holte das Foto hervor.
»Sah der Junge so aus?«
Bachhorn starrte lange auf das Foto. Dann zuckte er mit den Schultern. »Könnte möglich sein. Hab den Jungen schon lange nicht mehr geseh’n.«
»Wissen Sie, wie er hieß?«
»Rico, so habensen immer gerufen. Aber ich glaub‘, der richtige Name war Enrico. Nachnahmen weiß ich nicht. Könnte aber derselbe sein wie von Elli und Karl. Dorchen hatte ja nie geheiratet. Lehmbeck, so hießen die wohl.«
»Danke, Sie haben mir sehr geholfen.«
Linthdorf schüttelte dem Raucher die Hand. Seltsam kraftlos fasste die sich an, als ob kaum noch Energie in dem Mann war.
Dann marschierte er Richtung Vorwerk davon. Es wurde Zeit, zurückzufahren nach Wittstock. Jetzt begannen die Recherchen. Er würde einige Stunden in diversen Registern herumsuchen müssen um die mögliche Identität des Toten zu klären.
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