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Irgendwann jedoch meldeten sich die Nachfahren derer von Quappendorff bei der Treuhand und bekundeten Interesse an dem alten Gut. Als sie erfuhren, was für Altlasten sie dabei mit zu übernehmen hatten, kühlte das Interesse merklich ab. Nur der alte Baron von Quappendorff, ein pensionierter Gymnasiallehrer, der seine frühe Kindheit noch in dem Verwaltungsgebäude von Gut Lankenhorst verlebt hatte und mit seinen Eltern 1945 Richtung Rheinland fliehen musste, brachte wirkliches Interesse für die geschundene Immobilie auf. Für die symbolische Summe von einer D-Mark erwarb er das Gut von der Treuhand.
Allerdings war mit diesem Vorzugskauf eine Klausel verbunden, die aus dem Gut in den nächsten Jahren wieder ein Schmuckstück in der Region werden lassen sollte. Der alte Herr verpflichtete sich in einem Zusatzvertrag mit der Treuhand und den örtlichen Behörden der neugegründeten Kommunalverwaltung zu recht umfangreichen Investitionen. Dabei ging es nicht nur um die Wiederinstandsetzung der Gebäude und des Parks, sondern auch um die nachhaltige Schaffung von Arbeitsplätzen und die Einbindung des Gutes in die kommunalen Strukturen.
Quappendorff hatte ehrgeizige Pläne. Er fühlte sich noch nicht zu alt für eine solche Aufgabe, zumal er seit acht Jahren nun schon als Witwer lebte und seit seiner Pensionierung vor einem Jahr nichts so richtig mit seiner Zeit anzufangen wusste.
Irgendwie hatte er es geschafft, seine Verwandtschaft zu überreden, mit zu machen bei der Wiedererweckung des alten Stammsitzes der Familie. Seine Verwandtschaft bestand in erster Linie aus vier Personen: da war seine Schwester Friederike-Charlotte von Quappendorff, genannt Friedel, eine in stiller Bescheidenheit ergrauten Dame, die seit dem letztem Jahr jedoch bettlägerig war und in einem Seniorenheim unweit Berlins betreut wurde. Zu seiner Schwester hatte der Baron kaum Kontakt. Sie war damals in den Osten gegangen, hatte da auch geheiratet, sich wieder scheiden lassen und nur wenig mit den anderen Quappendorffs zu tun.
Des Weiteren gab es noch seine beiden Töchter Irmingard-Sophie, genannt Irmi, und Clara-Louise, genannt Klärchen, beide gut situiert, verheiratet mit erfolgreichen Männern und mit einer Schar Kinder gesegnet, die entsprechend selbstbewusst auftraten, sowie seinen Neffen Lutger von Quappendorff, Sohn des leider viel zu früh verstorbenen Bruders Hektor Neidhardt von Quappendorff.
Sein Neffe machte ihm etwas Sorgen. Dessen Naturell war ganz anders als bei den übrigen Quappendorffs, von einem krankhaften Geltungsdrang bestimmt. Der Baron führte diesen Drang auf die mütterliche Seite Lutgers zurück. Sein Bruder hatte eine Frau geheiratet, die sehr viel Wert auf Titel gelegt hatte und dafür auch eine Ehe mit einem fast zwanzig Jahre älteren Mann eingegangen war. Rochus warnte seinen Bruder vor dieser Liaison. Ihm war es suspekt, was diese junge ehrgeizige Frau mit seinem stillen und introvertierten Bruder anfangen wollte. Der frühe Tod des Bruders war wahrscheinlich auch auf den hektischen Lebensstil seiner jungen Gattin zurückzuführen.
Alle drei waren im Stiftungsrat von Gut Lankenhorst. Dazu gesellte sich noch der Filialleiter der Märkischen Kreditbank aus der Kreisstadt Oranienburg, Gernot Hülpenbecker. Er verwaltete die Konten der Stiftung und war auch gleichzeitig zuständig für die persönliche Beratung Rochus‘ von Quappendorff in allen Geldfragen.
Der Stiftungsrat traf sich quartalsweise auf dem Gut Lankenhorst zu seinen Sitzungen. Eigentlich waren die Sitzungen des Stiftungsrates ja mehr ein Familientreffen, zumal Gernot Hülpenbecker fast schon als Familienmitglied angesehen wurde. Er war ein Studienfreund der Töchter des alten Barons und begleitete ihn durch die Jahre mit freundschaftlichem Rat und tatkräftiger Hilfe.
Die Idee, eine Stiftung aus dem alten Gut zu machen, war auch von Hülpenbecker gewesen. Alles andere jedoch war im Kopfe des alten Quappendorffs gewachsen. Endlich konnte er seine Vorhaben, die er schon als Gymnasiallehrer hatte, auch umsetzen. Überall, wo ihm die engen Strukturen der Schulverwaltung und die langsame Arbeitsweise der Behörden einen Strich durch die Rechnung machten, wurde er ausgebremst.
Aber dieses alte Familienanwesen, an das er sich kaum noch erinnern konnte, bot plötzlich Raum für all das, wofür sich der alte Herr Zeit seines aktiven Schullebens eingesetzt hatte. Durch den Wegfall der Mauer konnte er endlich seine langgehegten Pläne umsetzen. Er brauchte auch nicht lange zu argumentieren, um seine Töchter und letztendlich auch seinen Neffen für die Idee eines Kunst- und Kulturzentrums auf Gut Lankenhorst zu begeistern.
Alle wussten von seiner Passion. An seinem Gymnasium hatte er bereits vor über dreißig Jahren den Neubau einer schuleigenen Bibliothek mit Veranstaltungsräumen und kleiner Werkstatt durchgesetzt. Im Landkreis war man aufmerksam geworden auf ihn. Auch im Stadtrat engagierte er sich ehrenamtlich für diverse Kulturprojekte. Er war glücklich, dass auf seine Initiative hin direkt im Erdgeschoss des alten Rathauses eine Stadtgalerie eingerichtet und ein Posten des Ortschronisten ausgelobt wurde. Er kümmerte sich um den alten Stadtpark, der sonst wahrscheinlich zu Bauland umfunktioniert worden wäre, und er sorgte sich um die verkehrstechnische Anbindung der Dörfer aus dem Umland, so dass der Busverkehr im Kreisgebiet eine Vorbildfunktion für das gesamte Bundesland hatte.
Baron von Quappendorff war ein Philanthrop durch und durch. Ihm schwebte ein Schloss vor, dass für jeden zugänglich war und dass als kultureller Mittelpunkt die ganze Region mit erblühen lassen sollte. Die Gegend rings um Lankenhorst war bisher vom Aufschwung weitgehend verschont geblieben.
Von Berlin war es schon zu weit weg um noch vom »Speckgürtel« zu profitieren. Der »Speckgürtel« war ein knapp fünfzig Kilometer breiter Ring, der sich um die Hauptstadt zog. Die darin liegenden Ortschaften und Städte waren in den letzten sechzehn Jahren vom Glück begünstigt worden. Massive Investitionen in die Infrastruktur des »Speckgürtels« zahlten sich nun aus. Das Straßennetz war ausgebaut und modernisiert worden. Viele Orte hatten S-Bahnanschluss. Wohnparks und Gewerbegebiete schossen wie Pilze aus dem Boden und die Einwohnerzahl hatte sich fast verdoppelt. In den neuen, schönen Einfamilienhäusern wohnten gutverdienende Leute. Es gab viele Kinder und auch das Kulturangebot war entsprechend reichhaltig.
Fuhr man jedoch etwas weiter hinaus ins Brandenburgische, dann änderte sich die Gegend schlagartig. Dünn besiedelt war hier das Land. In den Dörfern wohnten meist ältere Menschen und die Verlierer der Wende. Die Dorfstraßen waren rumplig und die Fassaden warteten noch auf ihre Verschönerung. Alte verlassene Backsteinbauten wuchsen wie das Dornröschenschloss langsam zu. Keiner wusste mehr so genau, was da mal früher drin gemacht worden war. Geschlossene Dorfkneipen und Läden weckten Erinnerungen an einstige Prosperität.
Lankenhorst war so ein Dörfchen jenseits des »Speckgürtels«. Früher gab es hier sogar mal ein Kino. Das Gebäude stand sogar noch als baufällige Ruine mitten im Dorf. Bäume waren inzwischen hoch gewachsen und versteckten so gnädig den direkten Blick auf die Fassade. Auch die beiden Dorfkneipen waren schon seit Jahren verwaist. Der große Gasthof »Zur alten Linde« war mit dunkelbraunen Jalousien verbarrikadiert worden und die kleine Dorfkneipe mit dem verblassten Schild »Lankenhorster Krug« hatte nicht eine ganze Scheibe mehr. Die wenigen Kinder des Ortes hatten sich einen Spaß daraus gemacht, mit ihren Katapulten Zielschießen darauf zu veranstalten.
Etwas versteckt am Rande des Dorfes lag das alte Gut mit seinem Park und den alten Wirtschaftshöfen. Auch sie boten jahrelang ein Bild des Jammers. Seit drei Jahren war das Gut wieder belebt. Der alte Quappendorff hatte als erstes Fenster und das Dach des Gutshauses instand setzen lassen, dann die Räume renoviert und eine Zentralheizung einbauen lassen. Der Park wurde vorsichtig entrümpelt und der kleine Teich im hinteren Teil des Parks sah nach zwei Sommern schon wieder ganz manierlich aus. Dennoch war das Pensum der noch zu bewältigenden Aufgaben immens.
Quappendorff hatte vom Landkreis ein paar Strukturfonds anzapfen können und einige brauchbare Mitarbeiter wurden ihm auf Anfrage vermittelt. Aus der Vielzahl der Bewerber für die ausgeschriebenen Stellen hatte er sich drei Leute auserwählt. Den etwas unauffälligen Leuchtenbein, den praktisch veranlagten Zwiebel und die etwas schrille, dafür aber vielseitige Gunhild Praskowiak. Allesamt waren keine jungen Hüpfer mehr, hatten einige Brüche in ihrer Vita, aber waren doch für die Ideen des Barons zu begeistern. Im Übrigen arbeitete er sowieso lieber mit gestandenen Leuten als mit den jungen Hitzköpfen. Das hatte er lange genug als Lehrer praktizieren müssen – jetzt wollte er endlich einmal etwas effizient und zügig durchziehen.
II
Auszug aus dem Gutachten zur
Schätzung und Taxierung des Grundstücks Lankenhorst
A 47/2322/FG-XIII-Az. 03299/01
Lage des Grundstücks: äußere Ortslage Dorf Lankenhorst
Größe: 45 000 qm
Ausweisung: denkmalgeschütztes Ensemble bestehend aus:
1) Gutshaus, erbaut 1821, zweigeschossiger Bau mit
2 Seitenflügeln und Walmdach, überdachte Fläche 1175 qm
2) Torhaus, erbaut 1888, eingeschossiger Bau mit
ausgebautem Dachgeschoß, überdachte Fläche 147 qm
3) Pavillon, erbaut 1847, offener Rundbau, 22 qm
4) Eiskeller, wahrscheinlich 1823 erbaut, einsturzgefährdet
5) Park, alter Baumbestand mit 2400 Laubbäumen und ca.
3000 Nadelbäumen, darunter zahlreiche seltene Arten (u.a.
Eiben, Blutbuchen, Traubenstieleichen), Teich, ca.400 qm,
umlaufende Mauer aus Feldsteinen, zwei Parktore, Zugang zum
Hellsee mit Bootssteg und eigenem Ufer, befestigt
Gesamtschätzwert: 418 000 Euro
Gegenwärtiger Besitzer: Land Brandenburg
Pacht: Stiftung Kultur-Gut Lankenhorst e.V., vertreten durch Rochus von Quappendorff
Pachtdauer: 99 Jahre
gez. Dr. Achim Wellenkamp
Dipl. Architekt, Büro Wellenkamp & Möller, Eberswalde
III
Der Archivar

Rolf-Bertram Leuchtenbein war ein unauffälliger Mensch. Unauffälligkeit war sein Lebensprinzip. Schon als Schuljunge zeichnete er sich durch seine diskrete Art aus. Keiner bemerkte ihn so richtig. Auf dem Schulhof stand er immer etwas abseits, schaute zwar stets interessiert zu, wenn es ab und zu mal zu kleineren Prügeleien kam, aber beteiligen oder gar selbst einmal eine Prügelei anfangen, war nicht sein Ding.
In der Klasse saß er meist weit hinten, blickte oft interessiert aus dem Fenster, nahm aber ansonsten an dem ganzen Unterrichtsgeschehen nicht so richtig teil. Sowohl die Lehrer als auch seine Mitschüler waren etwas ratlos, wie man mit diesem offensichtlich recht langweiligen Menschen umgehen sollte. Seine Eltern, beide schon etwas älter – daher auch der etwas antiquierte Vorname – waren eigentlich ganz froh über den unauffälligen Nachwuchs. Er machte nicht diese Probleme, die andere Eltern mit ihren renitenten Kindern hatten, und er war auch nicht so anstrengend wie die übermäßig begabten Kinder, die ständig beschäftigt werden mussten, um ihren unnatürlichen Wissensdrang zu stillen. Eigentlich ein Glücksfall.
Seine Leistungen waren nicht überragend, aber auch nicht so schlecht, dass man sich schämen musste. Berti, so wurde er damals genannt, schlängelte sich überall durch. Er war der Idealtyp des Mitläufers. Wenn jemand in der Klasse über ihn stolperte, dann lag das vor allem daran, dass man ihn nicht bemerkte.
Berti trug stets ausgesprochen unauffällige Kleidung. Grelle Farben waren im suspekt. Sein Outfit war den Bedingungen einer Polytechnischen Oberschule in einem Berliner Vorort optimal angepasst. Jeans, meist in einem undefinierbaren Farbton zwischen Blau und Grau, graue Pullover und eine olivgrüne Jacke – anders sah man Berti eigentlich nicht in der Öffentlichkeit. Er war nicht groß, aber auch nicht klein. Berti bewegte sich in all seinen schulischen Entwicklungsphasen stets im Durchschnitt. Seine Stimme war nur sehr leise zu vernehmen. Lautes Gebrüll oder andere akustische Signale waren nie von ihm zu erwarten.
Einmal sollte er im Musikunterricht ein Lied singen. Alle waren gespannt und warteten auf diese ungewöhnliche Lautäußerung. Berti kniff. Er entschuldigte sich mit einer plötzlichen Erkältung, die ihn erwischt hatte. Der Musiklehrer schaute etwas ungläubig auf den Jungen und ließ ihn fortan in Ruhe. Es war mitten im schönsten Mai, als das passierte.
Auch später - Berti machte eine Lehre zum Versicherungskaufmann - fiel er durch seine unauffällige Art nicht weiter auf. Erstaunlich war dann jedoch, dass er nach dem erfolgreichen Abschluss seiner Lehre nicht bei der Staatlichen Versicherung seinen Berufsweg begann. Er revoltierte.
Etwas Unerhörtes schien sich da in ihm seinen Weg zu brechen. Berti, der sich jetzt mit dem etwas cooleren Namen Rolfbert anreden ließ, bewarb sich bei der Stadtbezirksbibliothek von Berlin-Friedrichshain als Aushilfskraft. Natürlich wurde er genommen.
Hier schien er sich sichtlich wohler zu fühlen als im Versicherungswesen. Die Bücher um ihn herum schwiegen still und alles hatte seine Ordnung. Außerdem hatte er hier eine sehr nette und freundliche Kollegin. Eigentlich war es seine Chefin. Eine jugendlich frische, resolute Dame mit goldlockigem Wallehaar und wohlgeformten Rundungen. Allerdings hielt sich Rolfbert diskret zurück. Schließlich sollte man ja nicht während der Arbeitszeit ..., und überhaupt, eine Liaison d’Amour im Arbeitsverhältnis galt immer als problematisch.
Die Wende beendete das paradiesische Leben in den labyrinthischen Gängen der Bibliothek. Rolfbert wurde kurzerhand eingespart, die Stadt hatte andere Sorgen als das öffentliche Lesebedürfnis ihrer Bewohner. Nun fing ein harter und traumatischer Leidensweg für den schüchternen, jungen Mann an. Endlose Gänge durch die Arbeits- und Sozialämter der Stadt, ab und an eine Gelegenheitsarbeit, dann mal wieder eine Umschulung. Rolfberts Alltag wurde immer trister.
Wenig Erbauung hatte er noch. Es schien sich zu rächen, was einst so vorteilhaft war: seine Unauffälligkeit. Ein Wesenszug, der im real existierenden Sozialismus ein sorgenfreies und grundsolides Leben ermöglichte, der aber jetzt in der schrill bunten Welt der Selbstdarsteller und Möchtegernhelden eher kontraproduktiv war. Überall wurde er ignoriert und kam bei Bewerbungen nicht so recht zum Zuge. Stets drängelte sich ein anderer, meist unverschämter Mitbewerber vor und bekam auch stets die begehrte Stelle.
Ihm blieben meist nur tröstende Worte. Eines Morgens fand Rolfbert einen Brief vom Arbeitsamt in seinem Briefkasten. Er solle sich doch bitte bei einem Baron von Quappendorff vorstellen. Eine Stelle als Archivar wäre vakant. Zwar vorerst nur als Dreijahresvertrag, aber mit einem interessanten Einsatzgebiet und einer ganz ordentlichen Entlohnung.
Seufzend setzte sich Rolfbert an seinen Computer, kopierte kurz seinen Lebenslauf, die abgespeicherten Zeugnisse und Referenzen, und tippte eine kurze Bewerbung nach Standardmuster. Viel Hoffnung machte er sich ja nicht.
Ein Baron, nun ja, bisher hatte er mit dem Adel noch nicht so viel Erfahrungen sammeln können. Aber warum denn auch nicht.
Eine Woche später sprach er dann auf Gut Lankenhorst vor. Der ältere Herr in seiner grünen Strickjacke war ihm sofort sympathisch. Und eine Wohnung bot er ihm auch gleich noch an. Dann zeigte er ihm die Berge von Büchern in den alten Kellergewölben und auf dem Dachboden, die auf seine professionelle Begutachtung warteten. Ob er denn auch als persönlicher Sekretär ... Rolfbert nickte nur begeistert. Er war endlich angekommen.
IV
Aushang in diversen Dörfern und Städtchen der Regionen Oberhavel und Niederbarnim:
Kulturtage in Lankenhorst
Schloss Lankenhorst lädt ein zum Dritten Lankenhorster Kulturherbst:
Sonnabend, 28.10.2006
Auftaktveranstaltung mit dem Kammerorchester »Brenabor«
Sonntag, 29.10. 2006
Schlossparkfest mit Wildschwein vom Spieß, selbstgebackenem Kuchen, Live-Musik und Spielen
Vernissage in der Schlossgalerie: »Märkische Flecken und Dörfer – eine Hommage an Theodor Fontane« – neue Bilder und Graphiken von Brandenburger Künstlern
Montag, 30.10. 2006
Festsitzung des Anglervereins Oberhavel, Prämierung der Sieger vom Anglerwettbewerb »Quappe, Hecht & Zander«
Dienstag, 31.10.2006
Halloween-Feier mit Hexe Gunhildis am Lagerfeuer
Mittwoch, 1.11.2006
Halali – Konzert der Jagdhornbläsergruppe der Kreismusikschule Bernau
Donnerstag, 2.11.2006
Diskussionsrunde im Schloss »Lankenhorster Träume und Pläne«
Filmvorführung »Die Lemikolen Brandenburgs« von Prof. Dr. R. Distelmeyer
Freitag, 3.11.2006
Vortrag »Pilze – richtig sammeln und zubereiten«
Lampionumzug durch den Park »Auf den Spuren der »Weißen Frau« von Lankenhorst«
Samstag, 4.11.2006
Abschlussveranstaltung mit dem Harfenquintett »Veneziana« und anschließendem Comedy-Slapstick-Abend mit unserem Allround-Entertainer Siggi Keule-Paschulke
V
Lankenhorst - Das Alte Gutshaus
Sonntagnacht, 22. Oktober 2006

Der alte Quappendorff schlief schlecht. Schon seit vielen Jahren hatte er diese Probleme mit dem Einschlafen. Lange Zeit konnte er durch abendliche Einnahme von Baldrian-Tropfen dem Problem eine wirksame Lösung entgegensetzen. Aber seit längerem wirkten die Tropfen nicht mehr.
Er spürte es schon vor dem Zubettgehen. Immer wenn er sich aufgeregt hatte, blieb diese Anspannung in ihm, die es unmöglich machte, einzuschlafen. Heute war wieder so ein Tag. Die abendliche Diskussionsrunde mit seinen drei Getreuen und die hohen Erwartungen, die dem morgendlichen Stiftertreffen galten, erzeugten jenes, dem alten Baron so wohlbekannte Kribbeln, das ein Einschlafen unmöglich machte.
Oftmals half da ein nächtlicher Spaziergang durch den Park. Der Baron besann sich kurz und zog dann seine alten Stiefel an, warf seinen grünen Lodenmantel über und suchte auch seinen Schlapphut, den er immer bei seinen nächtlichen Ausflügen zu tragen pflegte.
Draußen war es neblig, feucht und kühl. Tief sog er die sauerstoffreiche Luft in sich ein und ging langsam los. Er lief immer eine Runde, die ihn quer durch den Park führte. Wenn er langsam ging, brauchte er zwanzig Minuten, wenn er rüstig ausschritt, schaffte er den Rundweg auch in einer Viertelstunde. Den Weg kannte er. Selbst im tiefsten Dunkel der Nacht wusste er, wohin er seine Füße zu setzen hatte. Zuerst kam immer das Wegstück quer durch die Rhododendron-Büsche.
Jetzt im Herbst waren sie zu unscheinbaren Schatten ihrer selbst geworden. An die Hecken schloss sich eine größere Wiese an. Der Weg zog sich linkerhand an einem kleinen Wäldchen entlang, bog dann scharf rechts ab und gabelte sich nach wenigen Schritten. Der rechte Weg führte weiter hinein in das Wäldchen, entlang der alten Parkmauer bis hinter, in den noch weitgehend unberührten Teil des Parks. Der linke Weg hingegen zog sich in einem sanften Bogen zu dem kleinen Pavillon und dem gleich dahinter liegenden Teich. Dieser Teil des Parks war von Meister Zwiebel bereits wieder instand gesetzt worden. Das Unterholz war ausgedünnt, neue Sträucher und Bäumchen angepflanzt worden und der Ententeich hatte eine neue Uferbefestigung bekommen. Zwiebel hatte sogar ein kleines Holzhüttchen gezimmert. Es stand nun mitten im Teich und diente den beiden Stockenten und ein paar Blesshühnchen als Unterschlupf.
Der Baron mochte diesen Teil des Parks sehr. Direkt am Teich hatte er eine Parkbank aufgestellt. Hier saß er oft und sah den gefiederten Bewohnern des Teichs bei ihrem Tun zu.
An dieser Stelle war auch der am weitesten entfernte Punkt seines Rundwegs erreicht. Meistens verweilte er hier kurz, genoss die vollkommene Stille, die ihn umgab.
Er hatte sich gerade bequem hingesetzt als er sie sah. Am anderen Ufer des kleinen Teichs bewegte sich durch den Nebel eine weiße Gestalt. Sie schien zu schweben. Lautlos wie die Erscheinung gekommen war, verschwand sie auch wieder. Dem Baron fröstelte es. Er schüttelte kurz den Kopf.
Wahrscheinlich narrte ihn sein übermüdetes Gehirn und gaukelte ihm Spukgestalten aus seinem Unterbewusstsein vor. Er erhob sich langsam und setzte seinen nächtlichen Rundgang fort. Das Gutshaus war als tiefschwarze Silhouette zu erkennen. Der Weg führte durch eine kleine Bodenwelle zurück. Hier wartete ein alter Eiskeller, der seit Urzeiten schon verfallen war.
Mit Zwiebel hatte er das alte Gewölbe begutachtet. Zwiebel meinte zwar, dass man den Keller wieder instand setzen könne. Aber das müsse wohl ein Spezialist machen. Er selbst traue sich das nicht zu. Der Baron hatte den Eiskeller daraufhin erst einmal verschließen lassen, damit nicht jemand dort noch verschüttet werden konnte.
Der alte Mann trabte tief in Gedanken versunken durch diese kleine Senke. Plötzlich streifte ihn ein kühler Luftzug. Er blickte kurz auf und sah direkt über dem Eiskeller wieder einen hellen Fleck im Nebel. Er rieb sich kurz die Augen und sah ein zweites Mal hin. Es schien die Silhouette einer Person zu sein. Aber so richtig fassbar war sie nicht. Die Konturen verschwammen. Ob es nun am Nebel lag oder an dem spärlichen Licht, das in dieser Oktobernacht nur die Lichtungen etwas erhellte, jedenfalls konnte der Baron nicht mit Sicherheit feststellen, ob ihm seine übermüdeten Sinne einen Streich spielten oder ob da wirklich etwas war.
Er beschleunigte seinen Schritt, zählte in Gedanken seine Schrittfrequenz und sah sich nicht mehr um. Es war alles etwas zu viel gewesen am heutigen Abend. Außer Atem erreichte er endlich das Gutshaus. Vorbei der Spuk, dachte er noch beim Eintreten und ging dann still und leise die Treppe hinauf zu seinem Schlafzimmer.
Bevor er die Tür hinter sich schloss, hörte er jedoch einen merkwürdigen Klagelaut. Es war ein äußerst ungewöhnlicher Klageton, den er so noch nie vernommen hatte. Der alte Baron trat ans Fenster und spähte in die dunkle Nacht. Es war nichts zu sehen. Aber vielleicht täuschten ihn auch seine überreizten Sinne. Im Dunkel glaubte er sich bewegende Schatten zu erkennen. Er griff sich seine Jagdflinte, die er stets in einem stabilen Eckschrank seines Schlafzimmers aufbewahrte und zog sich seinen Morgenmantel über um noch einmal hinunter zu laufen. Etwas irritiert von dem Laut, der sich wie ein lang gezogenes Klagen anhörte, trat er noch einmal vor die Tür. Auf den ersten Blick war nichts zu erkennen, doch dann sah er diese dunkle Kontur direkt vor der Treppe. Plötzlich war auch Brutus, sein Berner Sennhund neben ihm und knurrte. Der Hund spürte, dass da etwas nicht stimmte und lief auf dieses dunkle Etwas zu. Schnüffelnd umkreiste er den dunklen Haufen. Beim Näherkommen erkannte der alte Quappendorff, worum es sich handelte. Vielleicht fünf oder sechs Kadaver von großen Vögeln lagen da. Die Köpfe waren abgetrennt und lagen etwas verstreut im Gras. Blut und Federn waren überall verteilt.
Ein Massaker, dachte der Baron zuerst. Beim zweiten Blick erschien ihm alles jedoch wie genau arrangiert und ausgerichtet. Eher eine rituelle Opferung oder eine Art Hinrichtung. Der alte Mann zog den Hund zurück, schaute sich noch einmal um und lief zurück ins Haus.
In der Speisekammer, gleich hinter der Küche lag immer eine große Regenplane. Die holte er jetzt und bedeckte damit die Überreste dieses blutigen Gemetzels. Dann schloss er sorgfältig die Tür, hing die kleine Kette vor und ging nachdenklich nach oben. Lange lag er diese Nacht noch wach und grübelte. Er wollte sich am Morgen mit Zwiebel noch einmal bei Tageslicht alles ansehen und dann entscheiden, wie weiter hier vorzugehen sei.
VI
Die Entertainerin







