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Wie ein ironischer Kommentar dazu wirkt ein Zitat Jean Pauls: «Es hat keinen Sinn, die Kinder zu erziehen, sie machen einem doch alles nach.»
Aus diesen Aussagen ergibt sich eine Forderung an die Lehrerschaft, denn wie können Kinder und Jugendliche gesundheitsförderndes und selbstfürsorgliches Verhalten lernen, wenn nicht durch das Beobachten der Personen, die nach dem Elternhaus die größte Wirkung auf ihre Psyche haben: ihre Lehrpersonen. Das Erlernen dieser grundsätzlichen sozialen Kompetenzen erfolgt, wie es die Hirnforschung bestätigt hat, durch Beobachtung und Nachahmung und nicht durch einen theoretischen Diskurs (vgl. Bauer, 2010, S. 6−9). Ralph Waldo Emerson bringt es auf den Punkt: «What you are speaks so loudly that I can’t hear what you say you are» (2017). Daher ist es spannend, sich zu den benannten Aspekten das LehrerInnenverhalten anzuschauen, denn wie es schon Einstein sagte: «Es gibt keine andere vernünftige Erziehung, als Vorbild zu sein.»
Um nicht das breite Feld der Lehrerinnen- und Lehrergesundheit komplett aufzurollen, hier nur einige ausgewählte Zahlen. In der Schweizer Nationalfondstudie (Kunz et al., 2015) der Fachhochschule Nordwestschweiz gab jeder fünfte Pädagoge an, «ständig überfordert» zu sein, jeder dritte gab an, einmal im Monat an «depressiven Stimmungen zu leiden» und wird als Burnout-gefährdet eingestuft. Verschiedene Gründe werden in der Studie für die hohe Belastung der Lehrpersonen verantwortlich gemacht: eine hohe Arbeitsmenge, Konflikte mit Eltern, schwierige Schülerinnen und Schülern und der sogenannte «Präsentismus» (das Weiterarbeiten im Krankheitsfall).
Schon diese Studie macht deutlich, dass von Seiten der Lehrpersonen eher das Vorleben des in der Gesellschaft herrschenden Drucks stattfindet und eine Neuorientierung nur durch die Bewusstseins- und Verhaltensänderung der einzelnen Lehrpersonen möglich ist, dass dazu aber ebenso das System hinterfragt und umstrukturiert werden sollte, um die nötigen Freiräume zu ermöglichen. Sich diese Freiräume zu erobern, kann die Haltung der Achtsamkeit unterstützen.
Achtsamkeitsprogramme für Lehrpersonen und deren Auswirkung
Es lag nahe, hier das besterforschte säkulare Achtsamkeitsprogramm «Mindfulness-Based Stress Reduction» (MBSR) zu nutzen, das in den 1970er-Jahren von Dr. Jon Kabat-Zinn an der University of Massachusetts entwickelt wurde und seither in über 100 Studien u. a. Effekte wie Stressreduktion und erhöhtes Wohlbefinden zeigte (ausführliche Zusammenstellung von Wirkungen auf www.achtsamleben.at/forschung).
In einer jüngst erschienenen Studie aus dem Freiburger «Musse»-Projekt konnten durch die Implementierung von MBSR-Kursen für 49 Lehrerinnen und Lehrer zwar keine unmittelbaren Effekte auf ihre Gesundheit nachgewiesen (Gouda, 2017), aber subtile Veränderungen auf Prozessebene festgestellt werden, welche die Bewältigungsressourcen, Lebenszufriedenheit und die sozial-emotionalen Kompetenzen von Lehrkräften unterstützen. Zu ähnlichen Ergebnissen kam bereits eine Studie von Silke Rupprecht. Es entstand weniger Resignation bei Misserfolgen, wodurch Angst, Stressgefühle und Depression abnahmen. Durch die verstärkte Präsenz im Körper stieg die Entspannungs- und Erholungsfähigkeit an, wodurch Wohlbefinden, Ruhe und Ausgeglichenheit zunahmen (Rupprecht, 2015).
Ausgehend vom MBSR-Programm wurden zahlreiche inhaltlich und strukturell auf den Schulkontext abgestimmte Programme entwickelt und empirisch überprüft.
Betrachten wir nun genauer, welche Auswirkungen diese Forschungsergebnisse auf die Handlungsspielräume der Lehrpersonen haben.
Mithilfe der achtsamen Haltung wird die Entwicklung der kognitiven Flexibilität (Kashdan & Rottenberg, 2010) gefördert, ebenjener Fähigkeit, die im Unterricht die Basis eines situationsadäquaten Vermittelns darstellt. Sich spontan von einer festgelegten Struktur zu lösen, um auf die Bedürfnisse und Nachfragen der Schülerinnen und Schüler zu reagieren und zu einer flexiblen Neugestaltung des Lerninhalts zu kommen, wird auf diese Weise unterstützt. «Wenn ich mich auf eines verlassen kann», beschreibt ein Kollege, «dann darauf, dass immer alles anders läuft als geplant.» Je grösser die kognitive Flexibilität, desto leichter sind situationsadäquate Veränderungen in Struktur oder Vermittlungswegen möglich (in Krämer, 2019, S. 32).
Durch die Förderung der Selbstreflexion (Farb et al., 2007) können Achtsamkeitsprogramme Lehrkräften dabei helfen, die «Tendenz zu emotionaler Impulsivität (als Reaktion auf Schülerverhalten) zu überwinden, welche zu emotionaler Erschöpfung und Burnout führt» (Chang, 2013, Jennings & Greenberg, 2009) und so «die Zyklen negativer Impulsivität zu durchbrechen» (Safran & Segal, 1990 In: Jennings, 2017, S. 52−54). Das kurze Innehalten der durch Achtsamkeit entwickelten Impulsdistanz führt zu der Fähigkeit, selbstbestimmt zu agieren und sich «mit effektiven Problemlösungsstrategien zu beschäftigen» (ebd.). Wie stark sich die Fähigkeit der Emotionsregulation auf das tägliche Unterrichtsgeschehen auswirkt, wird durch die Relation zur Beziehungsfähigkeit klar: «Die Qualität der Lehrer-Schüler-Beziehung hängt zum Teil davon ab, wie die Lehrperson negative Emotionen ausdrücken bzw. steuern kann» (George & Solomon, 1996). Und welche Relevanz die Beziehung auf das Classroom-Management hat, wird in einer Metastudie von Marzano et al. (2003) deutlich: «Lehrpersonen, deren Beziehungen zu SuS eine hohe Qualität aufweisen, haben 31 % weniger auffälliges Verhalten in ihren Klassen.»
Ergänzender Faktor für die Beziehungsfähigkeit ist neben der Emotionsregulation auch die sich entwickelnde Präsenz, die der Gymnasiallehrer Max Althammer beschreibt: «In den zwei Jahren, in denen ich jetzt Achtsamkeit an der Schule praktiziere, konnte ich beobachten, wie sehr sich die Beziehungen (zu Kollegen, Eltern und Schülern) verbessern, und meine Erklärung dafür ist ziemlich einfach. Jeder Mensch will wahrgenommen werden und jeder Mensch will als der, der er ist, wertgeschätzt werden. Achtsamkeit ermöglicht es mir im Unterricht nicht nur, mich mit mir selbst zu verbinden, sondern auch jeden einzelnen Schüler in den Blick zu nehmen und zumindest einen kurzen Moment wirklich wahrzunehmen. Das spüren die Schüler. Und das führt dann dazu, dass sich ein höheres Mass an Vertrauen bildet. Auf diese Lehrer-Schüler-Beziehung des gegenseitigen Vertrauens und der Wertschätzung lässt sich dann auch ein guter, produktiver Unterricht gestalten» (Althammer, 2016).
Ebenjene Auswirkungen auf die Beziehungsfähigkeit sind entscheidende Faktoren für die Lehrerinnen- und Lehrergesundheit. Joachim Bauer benennt im Freiburger Modell die Beziehungsarbeit als einen der drei Bestandteile des «magischen Dreiecks» der Lehrerinnen- und Lehrergesundheit (neben der Identität und sozialen/kollegialen Unterstützung). «Da fortgesetzt gestörte Beziehungsabläufe den Menschen krank werden lassen, kommt in Berufen, in denen das Beziehungsgeschehen eine herausgehobene Rolle spielt, vorbeugenden Massnahmen gegen psychosomatische Erkrankungen eine besondere Rolle zu. Dies betrifft in besonderem Masse den Lehrerberuf» (Bauer et al., 2007, S. 4).
In diesem Sinne ist es ganz besonders erfreulich, die ersten veröffentlichten Ergebnisse aus dem NRW-Landesmodellprojekt GIK (Gesundheit − Integration − Konzentration) zu lesen, welches in 21 Solinger Grundschulen stattfand. SchulleiterInnen und LehrerInnen, welche Interesse an den adaptierten mehrwöchigen MBSR-Kursen zeigten, wurden in einem Umfang von 20 h weitergebildet, um sie damit in ihrer «gesundheitlichen und beziehungsrelevanten Selbstkompetenz» zu stärken. Im darauffolgenden nächsten Schritt wurden in einem Team von Lehrpersonen und AusbilderInnen achtsamkeitsbasierte Interventionen für die Kinder ausgewählt, selbst entwickelt und eingeübt und deren Umsetzung im Schulalltag begleitet (Altner et al., 2018). Als Ergebnisse konnten klare Verhaltensveränderungen beobachtet werden, die sich ausgehend von der Selbstwahrnehmung und -regulation insbesondere auf die Kommunikation im Kollegium und mit den Schülerinnen und Schülern ausgewirkt haben: Bedürfnisse und Grenzen werden klarer ausgedrückt. Es wurden gemeinsame Kommunikationsregeln vereinbart, z. B. «ein bewusster Verzicht auf gegenseitiges Abwerten und Klatsch, den Fokus auf das Mitteilen der eigenen Wahrnehmung, Gefühle und Wünsche zu legen, anstatt dem Jammern über Zustände und System-Blaming, wird ein gemeinsames Finden von kreativen Lösungen angestrebt» (Altner et al., 2018, S. 6).
In der Folge wurde eine ganze Liste an konkreten, kreativen Neuerungen in den einzelnen Kollegien beschlossen, um eine Kultur des entstressenden und gesundheitsfördernden Miteinanders zu entwickeln (nachlesbar auf www.achtsamkeit.com/gik).
Auf das gleichermassen von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern geäusserte Bedürfnis nach mehr Ruhe wurden ganz konkrete Massnahmen eingeführt:





Diese Ergebnisse sind auch relevant, um die oft vorgebrachte Kritik an Achtsamkeitsprogrammen zu entschärfen, dass die akzeptierende Grundhaltung zu einer Duldung von ungerechten Zuständen führt. Diese würden zwar helfen, die eigene Balance wieder zu einem Grad herzustellen, der einen nicht erkranken lässt, aber dadurch das Verharren in unmenschlichen, nicht zumutbaren Verhältnissen ermöglichen. Die Ergebnisse des GIK-Projekts legen nahe, dass die Sensibilität für Missstände und Ungerechtigkeiten und die Fähigkeit, deren Auswirkungen «am eigenen Leibe» zu spüren, steigt, was nicht zum Rückzug, sondern zum bewussten Gestalten der eigenen Umwelt führt. Die Lehrerin und Entwicklerin des Polly-Ananda-Programms Nanine Schulz beobachtet, «dass die Menschen, die sich mit Achtsamkeit beschäftigen, eine andere Form von Wachheit bzw. Bewusstheit gegenüber ihrer Umwelt entwickeln. Achtsamkeit trägt dazu bei, dass wir klarere Entscheidungen treffen, wissen, was zu tun ist und wann wir Stopp sagen müssen. Wenn Achtsamkeit dazu beiträgt, dass wir kraftvoll und voller Energie bleiben können, haben wir die Möglichkeit, uns für unsere und die Rechte der Kinder an der Schule gezielt einzusetzen» (in Krämer, 2019, S. 31).
So ist es sinnvoll, über eine breite Implementierung in die LehrerInnenaus- und -weiterbildung nachzudenken. «Wenn jeder [und jede] angeleitet werden würde, sich selbst mehr zu verstehen, auf Gedanken-Gefühls- und Körperebene, dann würden Konflikte anders ausgetragen werden. Das sollte meiner Meinung nach in der Schule verankert sein und zu einer Art Grundausbildung gehören» (in Krämer, 2019, S. 158), schlägt die MBSR-Ausbilderin und Grundschulpädagogin Karin Krudup vor.
Diese Forderungen sind teilweise bereits umgesetzt, im anglo-amerikanischen Raum ist die Implementierung in Lehrpersonenaus- und -fortbildung mittlerweile weit verbreitet, doch auch im deutschsprachigem Raum entstehen Angebote. Noch sind es einzelne Projekte, die von einer flächendeckenden Verbreitung weit entfernt sind, aber das Interesse, welches Achtsamkeit in der Gesellschaft entgegengebracht wird, ist auch im Bildungssektor angekommen.
Dazu nun eine Auswahl der bestehenden Programme:
Achtsamkeit für Lehrerinnen und Lehrer Träger/Ort AutorInnen SMART: Management and Relaxation Techniques in Education University of BC/Vancouver Margaret Cullen u. a. CARE: Cultivating Awareness and Resilience in Education Stress Garrison Institute/New York Patricia Jennings u. a. MBWE: Mindfulness-Based Wellness Education University of Toronto Patricia Poulin u.a AiSchu: Achtsamkeit in der Schule, Persönlichkeit und Präsenz Schulamt Frankfurt/M. AKiJu/Berlin Vera Kaltwasser GAMMA MultiplikatorInnen-Schulung: Gesundheit, Achtsamkeit und Mitgefühl im menschenbezogenen Arbeiten Universität Duisburg-Essen Nils Altner Wache Schule: Mit Achtsamkeit zu Ruhe und Präsenz (im Aufbau) Universität Leipzig Susanne Krämer DAS-Training: Dialog und Achtsamkeit (vgl. S. 231 f. in diesem Buch) PH Luzern Detlev VogelTabelle 1: Achtsamkeitsprogramme für Lehrpersonen
Betrachten wir nun genauer, welche Inhalte diese Programme vermitteln. Strukturell ist häufig ein Dreischritt festzustellen:



In der ersten Phase findet die Vermittlung der meditativen Basisübungen (Atemmeditation, Bodyscan, Gehmeditation und/oder eine Form der Bewegungsmeditation) statt, welche auch aus dem MBSR-Programm bekannt sind. Hinzu wird oft ein Schwerpunkt auf die «Übung zur Entwicklung von Mitgefühl» (Metta-Meditation / pali, «liebende Güte») gesetzt, da die wohlwollende, fürsorgliche Haltung sich selbst und anderen gegenüber sowohl als Resilienz- wie auch als Beziehungsfaktor im schulischen Kontext eine entscheidende Rolle spielt. Hinzu kommen Übungssequenzen im Alltag: eine Alltagstätigkeit mit Achtsamkeit verrichten (Hausarbeit, Essen, Radfahren, Treppensteigen …). Auch wird ein kurzes Innehalten über den gesamten Tagesablauf als Pausenstruktur – nach dem stressreduzierenden «Sägezahnprinzip» (vgl. Harrer 2013, S. 132) – oft mit im Alltag wiederkehrenden Remindern verbunden (rote Ampeln, Wartezeiten an Haltestellen, Hochfahren des Computers etc.). Diese Erinnerungsfunktion wird in manchen Programmen auch durch den Einsatz von Apps oder ein gegenseitiges «Peer»-Innehalten per SMS-Kommunikation übernommen.
Hinzu können selbstreflexive (Beobachtungs-)aufgaben ergänzt werden:



In der zweiten Phase findet die Integration in den schulischen Kontext statt, wobei der Aufbau einer achtsamen Kommunikation oft eine Brücke von der kontemplativen Praxis zum Handeln bildet. Übungsformate sind der achtsame Dialog (vgl. Einsichts-Dialog, Kramer, 2009), Elemente der gewaltfreien Kommunikation (Rosenberg, 2016) oder nichtwertender Kommunikation (Lohmann, 2013).
Hinzu kommen auf den schulischen Kontext abgestimmte psychoedukative Elemente der Stressreduktion und die Beobachtung des eigenen professionellen Handelns: Was sind für mich schwierige kommunikative Situationen, welche Emotionen treten im Schulalltag auf und wie gehe ich mit ihnen um, welche Inhalte hat meine Kommunikation gegenüber Schülerinnen und Schülern, Eltern/Kollegen, was projiziere ich auf Schülerinnen und Schüler und welche Emotionen liegen zugrunde, gebe ich mir und Schülerinnen und Schülern genügend Zeit, über Fragen und/oder Aufgabenstellungen nachzudenken …?
In der dritten Phase werden die Inhalte bestehender Programme erfahrungsbasiert vorgestellt, Grundlagen der Didaktik vermittelt und das Anleiten von Übungen im situativen Probehandeln gefeedbackt. Fortbildungen arbeiten auch mit Super- oder Intervision, um unmittelbare Rückmeldungen zu geben.
Dieses Vorgehen ermöglicht eine fundierte Vermittlung auf Basis der eigenen persönlichen Entwicklung, welche seit den Ergebnisse der Hattie-Studie (2009) wieder in den Fokus der LehrerInnenausbildung gerückt ist. Um die Tiefe der stattfindenden Prozesse zu verdeutlichen, folgt der Portfolioeintrag eines Studenten: «Auf einer tieferen Ebene ermöglichen mir die Achtsamkeitsübungen, in die Annahme dessen, was ist, zu kommen und auch mich selbst immer mehr anzunehmen. In dieser tieferen Annahme, so ist mein Eindruck, mag auch das zarte und scheue aber irgendwie auch nicht zu unterdrückende wahre Innerste meines Wesens sich immer mehr zeigen, was wunderschön ist. Mit etwas Abstand wird mir auch bewusst, dass all mein erlittener Schmerz durch ein ‹Sich-diesem-innersten-Wesen-in den-Weg-Stellen› zustandekam.» Und eine Studentin ergänzt: «Das Achtsamkeitsseminar hat mich dazu gebracht, so tiefgründig und genau über mich und meine Persönlichkeit, mein Wirken nach aussen nachzudenken wie noch nie» (Student, Portfolio in Krämer 2019, S. 78).
Wege der Implementierung von Achtsamkeit
Bei der Weitervermittlung in der Schule gibt es zwei unterschiedliche Ansätze:


Beide Ansätze haben Vor- und Nachteile und können auch miteinander kombiniert und ergänzt werden. Im ersten Fall kann die Einführung durch eine noch nicht bekannte Person, frei von bisherigen Beziehungen und beidseitigen Einordnungen geschehen. Hier ist jedoch die Grundvoraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung, dass zumindest eine Lehrperson der geschulten Klasse die Achtsamkeitspraxis gutheisst und sie weiterführt.
Dieser entscheidende Faktor ist natürlich ganz anders gegeben, wenn die zweite Variante gewählt wird. Auch kann in dieser Form die Vermittlung an die Schülerinnen und Schüler in einer ganz anderen Bandbreite erfolgen, vom erläuterten Vorleben einer achtsamen Haltung im Schulalltag, welche das Lernen am Vorbild ermöglicht, über die Integration von kurzen Elementen in den bestehenden Lehrplan bis hin zur expliziten Unterweisung in Achtsamkeit.
Ein 14-köpfiges Autorenteam, unter ihnen einige der führenden Entwicklerinnen und Entwickler von Achtsamkeitsprogrammen an US-amerikanischen Schulen (Meiklejohn et al. 2012), untersuchte in einem Artikel anhand der vorhandenen Programme ebendiesen Ansatz. Ihr Fazit war, dass der «entwickelte Sinn für Präsenz, verkörpert von der Lehrperson in den alltäglichen Klassenzimmeraktionen und Lernstrategien (…), eine weitergehende und nachhaltigere Wirkung auf das Bildungssystem hat.» Er braucht das eigene, erfahrungsbasierte Lernen der Lehrpersonen. Die eigene Achtsamkeitspraxis bietet den Boden für eine Vermittlung.
Achtsamkeitsprogramme für Schülerinnen und Schüler und deren Auswirkung
In den derzeit veröffentlichten Achtsamkeitsprogrammen für Schülerinnen und Schüler finden sich dieselben Bausteine wie in den Phasen der Lehrpersonenfortbildungen wieder, nur alters- und hörerinnenzentriert aufbereitet und an die Lebenswelten der Schülerinnen und Schüler angeknüpft. Hierzu kommen in Phase 1 und 2 – insbesondere für die jüngeren Kinder – Achtsamkeitsübungen mit einem sinnlichen Fokus: Übungen, die auf das Hören ausgerichtet sind (Geräusche, Musik), mit haptischen Elementen arbeiten (Steine, Massagen, Barfusspfad) oder Möglichkeiten des nichtwertenden Sehens kultivieren (Vordergrund – Hintergrund, Lenkung des Fokus).
Wie bei den Lehrpersonenprogrammen liegt oft ebenfalls ein Schwerpunkt auf der Entwicklung von Empathie und Mitgefühl zur Stärkung des Einzelnen und des sozialen Klassengefüges. Hinzu kommen die Elemente der Bearbeitung von schwierigen Emotionen und der achtsamen Kommunikation. Äquivalent zu Phase 3, der «Vermittlung nach aussen», wird häufig der Einbezug der Schülerinnen und Schüler in die Anleitung der Übungen gefördert. In manchen Programmen wird ein «achtsames Projekt» initiiert, das in individueller Form (z. B. Dankesbriefe an die Eltern, Freunde) wie auch als gemeinsames Umwelt- oder Sozialprojekt das Ziel hat, die Qualitäten von Achtsamkeit (Mitgefühl, Verbundenheit, Übernahme der Verantwortung für das eigene Handeln) nach aussen zu tragen.
Was die Programme unterscheidet, ist weniger der Inhalt, sondern sind die Metaphern und Wege der Vermittlung. In diesem Sinn ist es ganz entscheidend, dass LehrerInnen den zu ihnen passenden, authentischen Ausdruck finden. Es gibt bereits Grundschulprogramme, die Kindern in einfachen Worten die neurologischen Hintergründe vermitteln, so z. B., wenn Vera Kaltwasser (2016, S. 98) die Limba-Kinder Angsti, Haui, Lusti, Miesi und Freudi als Verdeutlichung des limbischen Systems erfindet. Andere fühlen sich eher von der Weisheit und dem spielerischen Aspekt der Handschildkröte «Polly Ananda» angezogen, die den Kindern ein Identifikationsobjekt gibt. Eline Snel (2013) sucht den Zugang über Geschichten, die die Lebensrealitäten der Schülerinnen und Schüler widerspiegeln, und arbeitet mit Bildern wie «stillsitzen wie ein Frosch» oder die «Grübelfabrik». Daniel Rechtschaffen (2016) legt den Hauptschwerpunkt auf die Reflexion der Übungen durch die Schülerinnen und Schüler und Helle Jensen eröffnet den Zugang über intensive Körperübungen.
Schon in dieser Aufzählung findet sich die Vielfalt der Programme wieder, hier in einer Auswahl präsentiert:
Achtsamkeit für Schülerinnen und Schüler Land/Jahr AutorInnen Inner Kids Programme USA/2001 Susan Kaiser Greenland Still Quiet Place USA/2002 Amy Saltzman MindUP! USA/2004 Goldie Hawn (Sponsor) Mindful schools USA/2007 Megan Cowan Learning to BREATHE USA/2008 Patricia Broderick Mind the Music USA/2010 Soryu Forall Mindfulness in Schools Project/ .b GB/2008 Richard Burnett, Chriss Cullen Aandacht werkt! («Aufmerksamkeit hilft»)/ Stillsitzen wie ein Frosch NL/2010 Eline Snel AiSchu D/2008 Vera Kaltwasser Happy Panda Project D/2011 Cecile Kayla Polly Ananda. Die weise Schildkröte D/2014 Nanine Schulz Hellwach und ganz bei sich DK/2014 Helle Jensen Achtsamkeit macht Schule AT/2016 Frank Zechner Achtsamkeit und Mitgefühl in der Schule AT/2016 Dominik Weghaupt Wache Schule D/2018 Susanne Krämer … und viele Initiativen und Projekte einzelner Lehrerinnen und LehrerTabelle 2: Achtsamkeitsprogramme für Schülerinnen und Schüler





