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Er selbst trat zurück, die MP im Anschlag.
Nun traten die Mädchen einzeln an die Laderampe. Sie blinzelten in das gleisende Licht, dann sprangen sie herunter und nahmen die Hände über den Kopf.
Nils war verblüfft. Irgendwie schienen die Russen heute besonders schlecht gelaunt zu sein, und er war zugleich traurig. Die armen Mädchen. Sie wurden unter irgendeinem Vorwand hierher gelockt, aber das war Frischfleisch für den boomenden Nuttenmarkt in Berlin und anderswo.
Es waren junge Mädchen. Sie waren schlecht gekleidet. Offenbar hatte es in den LKW nicht einmal eine Toilette gegeben. Es stank. Sie sprangen einzeln heraus und sie zitterten vor Angst, Müdigkeit und Hunger. Einige konnten sich kaum auf den Beinen halten. Welch ein Jammer.
Der LKW war wirklich voll. Zum Schluss standen vielleicht hundertzwanzig Mädchen im Scheinwerferlicht, die Hände immer noch über den Köpfen. Es waren Mädchen dabei, die mochten gerade mal 12 sein.
Der Russe trat nun an den LKW, leuchtete mit einer Stablampe hinein und stöhnte. „Was für ein Dreck.“ Er winkte vier seiner Freunde herbei und sie spielten „Hammelsprung“. Sie stellten sich gegenüber auf und winkten die Mädchen herbei. Zwei tasteten die Mädchen ab. Gesicht, Zähne, Brüste, Hüften, Beine. Dann reichten sie die Mädchen zum zählen weiter. Es bildeten sich zwei Haufen. Ein großer und ein kleiner.
Dann kam einer der anderen Russen ins Licht und befahl den Fahrern aufzustehen. Er nahm sie mit zu dem kleineren Haufen, und befühlte die Mädchen alle noch einmal. Einem der Mädchen leuchtete er ins Gesicht. „Wasń das. Pjotr. Komm doch mal her. Er gab ihm die Taschenlampe. „Ins Gesicht“, befahl er. Er fasste dem Mädchen unters Kinn und bewegte das Gesicht hin und her. „Pickel“, meinte er. „Hast du noch woanders Pickel? Arme, Po, Beine?” Er sah, wie das Mädchen den Kopf schüttelte. „Ma’ aufmachen.“ Er zeigte auf den Reißverschluß der Jacke, und als das Mädchen nicht schnell genug reagierte, griff er ihr in die Haare und riß den Kopf hin und her. Das war schmerzhaft und das Mädchen schrie gequält. „Arme hoch“, befahl er. Dann griff er dem Mädchen links und rechts an die Brüste, zog mit einem schnellen Griff den Reißverschluß auf, fasste in die Bluse und riß sie auf, so dass zwei Knöpfe wegsprangen. Das Mädchen zuckte, aber es traute sich vor Angst nicht, was zu sagen. Er griff in die geöffnete Bluse, holte die Brüste raus wie zwei Würste, und befahl, „mehr Licht.“ Dann ließ er die Hände hinunter wandern. „Umdrehen“. Er drückte sich von hinten an das Mädchen, schlang die Hände um die Taille, ließ sie an den Hüften hinunter fahren, befühlte die Oberschenkel und griff ihr in den Schritt. „Wie heißt du?“ „Jasmin“, flüsterte das Mädchen. „Lauter.“ „Jasmin“, wiederholte das Mädchen und der Russe machte zwei Stoßbewegungen von hinten mit der Hüfte. Dann drehte er sie mit einem schnellen Griff um und drückte sich von vorne an sie. Er presste sie an sich, dann griff er ihr in die Haare, ging einen halben Schritt zurück und stieß sie zu dem großen Haufen. Sie stolperte und fiel, aber das schien den Russen nicht mehr zu interessieren.
Er prüfte den kleinen Haufen noch einmal. Vier der Mädchen schickte er zu den anderen, die anderen ließ er stehen. „Was sollen wir mit denen machen“, fragte er, „sie erfüllen nicht die Norm.“ Die Fahrer zuckten die Schultern. Sie waren bloss die Fahrer. Sie standen in der Hierarchie immerhin so hoch, dass sie berechtigt waren, das Geld entgegenzunehmen, aber sie waren bloss die Fahrer.
Der Russe war wirklich sauer. Er hatte Vereinbarungen getroffen, was die Qualität der Ware angeht, und er war schon mehrfach enttäuscht worden. Jetzt war Schluss. Sicher. Er könnte den Schrott als billige Arbeitskräfte an eine Hühnerfarm oder an einen Schlachthof verkaufen. Die gutsituierten Bürger in Berlin, Hamburg und anderswo gierten nach billigen Haushaltshilfen. Selbst die Krankenhäuser waren gute Abnehmer. Es gab da genug halbseidene Zeitarbeitsfirmen, denen er die Mädchen verkaufen konnte, aber er würde Verluste machen. Er hatte schließlich für gute Ware auch einen guten Preis vereinbart. Jetzt würde er ein Exempel statuieren. Er würde sich bei seinen Lieferanten Ärger einhandeln, aber er würde diesen Konflikt ausstehen. Notfalls würde er über seine Kontaktleute einen andern Lieferanten finden.
„OK“, sagte der Russe, „ich hab euch schon zweimal verwarnt. Die zieh’n wir von der Rechnung ab. Sagt euren Freunden, wir wollen das nächste Mal ordentliche Ware. Nicht so'n Dreck wie das hier.“ Er machte eine Kopfbewegung. Dann winkte er einem seiner Leute. Der öffnete einen Koffer. Der Russe nahm drei Bündel Geld heraus, blätterte, zog einen Teil davon ab, warf es in den Koffer, steckte sich den Rest in die Tasche, klappte den Koffer zu und gab ihm dem Fahrer. „Ich habe dir nur einen Teil abgezogen. Die da nimmst du wieder mit. Los jetzt“, befahl er den Mädchen, „wieder auf die Laderampe.“
Die Mädchen wussten nicht, wie ihnen geschah, war das nun gut oder schlecht? „Dawai, dawai“, fuhr der Russe sie an, und sie kletterten die Laderampe wieder hinauf.
Dann drehte sich der Russe um, nahm einem seiner Leute die automatische Waffe aus der Hand und feuerte wild in den LKW hinein. Er leuchtete mit der Taschenlampe hinein und schickte noch eine Garbe hinein, dann winkte er seinen Kumpels, die Paletten wieder reinzufahren und die Türen zu verriegeln.
Zu den Fahrern sagte er. „Dein Chef weiß jetzt, was wir mit schlechter Ware machen. Mach hin“, rief er dem Staplerfahrer energisch zu, „los jetzt. Wir haben keine Zeit zu verlieren.“
Théra war bereits unerkannt in das Führerhaus des Trucks geflogen. Jetzt die kletterten auch die Fahrer hinein, warfen den Truck an und rollten rückwärts aus dem Tor. „So eine verdammte Scheiße“, fluchte der Fahrer, „wie sollen wir das denn erklären. Jetzt müssen wir auch noch den Dreck da loswerden.“ Dann wendete er und fuhr davon.
Nils war total geschockt, aber Dennis hatte ihm signalisiert, jetzt nicht einzugreifen. Als der Truck losfuhr hatten sie sich schon längst in Bewegung gesetzt.
Sie begleiteten den Truck. Nach drei Kilometern blieb der LKW plötzlich stehen. Dennis und Nils holten auf, Nils verwandelte sich in seine Menschengestalt zurück, öffnete die Beifahrertür und Théra kam herausgeflogen. Sie verwandelte sich, dann kletterte sie in den Truck, holte eine Tasche heraus und drehte sich nach ihrem Vater um.
Die Fahrer waren bereits tot. Théra hatte sich in eine Spinne verwandelt und zugebissen. Das Gifft dieser Sorte Spinnen war absolut tödlich. Das war auch so ein Talent ihrer Familie. Sie hatten das schon ein paar mal benutzt, um sich zu wehren. Auch Nils konnte das.
Théra hatte den Truck an der vereinbarten Stelle gestoppt. Seitlich der Straße gab es ein Wäldchen mit dichtem Gebüsch, von der Strasse getrennt durch einen Bach. Dennis war sofort dahin geflogen und hatte sich zurückverwandelt. An einer gut getarnten Stelle holte er ein Etui aus dem Versteck, das die Freunde „des Dicken“ vor drei Stunden dort hingelegt hatten. Das war Generalstabsarbeit gewesen.
Jetzt hatte Dennis eine Maschinenpistole in der Hand. Es war ein seltsames Bild. Ein völlig nackter Mann mit MP. Nils grinste innerlich. Dann entsicherte Dennis und schickte die volle Ladúng in das Führerhaus, in den Kühler und in die Reifen des Trucks. Es zischte, als die Reifen platt wurden und der LKW vorne in die Knie ging.
Die MP-Salve diente der Tarnung.
Dennis nickte seinen Kindern zu. „Beeilung, sie werden in drei Minuten da sein. Wir haben nicht viel Zeit. Nils, stell jetzt bitte keine Fragen, lass uns abhauen.“ Sie sprangen in ihr Versteck, Théra nahm einen kleinen Beutel, sprang zu dem Lkw zurück und warf das Messer ein Stück von dem LKW weg in das Feld, ohne es mit den Fingern zu berühren. Dann sprang sie wieder zu Dennis und Nils zurück.
Dieses Messer spielte bei diesem Unternehmen die Schlüsselrolle. Théra hatte es Stunden vorher einem Chinesen entwendet, der Hua Guo Lang hieß. Er war der operative Leiter der Berliner Chinesenmafia. Ein vielleicht 35 Jahre alter und ein äußerst intelligenter und brutaler Gangster, der sich ganze Ladungen von Mädchen aus China und Thailand schicken ließ.
Schon lange bestand zwischen den Chinesen und den Russen eine Art Krieg um die besten Märkte in Berlin, Hamburg, Frankfurt, München und in anderen Städten. Das Geschäfte mit der Prostitution war fast genauso gut wie das Rauschgiftgeschäft. Auch in diesem Sektor mischte der Chinese mit.
Er hatte direkten Draht zu Produzenten in den Anbaugebieten in Ostasien. In der Szene war bekannt, dass er dieses Messer hatte. Es war etwas Besonderes. Eine alter Stahl mit mehrfach geschwungener doppelseitiger Klinge, wie das früher in Indonesien benutzt worden war. Er liebte es, die Mädchen damit gefügig zu machen. Kein anderer hatte so ein Messer.
Wenn das Messer jetzt hier lag, dann musste Hua Guo Lang hier gewesen sein. Freiwillig würde er das Messer nie hergeben. Jetzt wartete es dort in der Wiese, bereit, um von den Russen gefunden zu werden. Das würde ein Schlachtfest geben.
Dennis hatte Nils in die Arme genommen, denn Nils schlotterte vor Entrüstung und Wut. „Papa, was ist jetzt mit den Mädchen“, fragte er. Dennis war energisch: „...können wir jetzt nichts machen. Ich werde mich morgen darum kümmern. Jetzt müssen wir hier weg. Wir dürfen nichts riskieren.“
Sie sprangen direkt in das Büro „des Dicken“ und verstauten das Geld. Dennis legte die MP auf den Tisch. „Die lässt du wieder verschwinden.“ „Der Dicke“ nickte. „Alles glatt gegangen?“ Nils seufzte. „Alles. Nur die armen Mädchen tu’n mir leid. Ich möchte die Drecksäue am liebsten alle umbringen.“
„Der Dicke“, der inzwischen von dem Mord auf der Laderampe wusste, sah Nils bedauernd an. „Klar, aber was sollen wir machen. Dann sind wir auch nicht besser als die. Wir haben schließlich unseren Kodex. So ein Gemetzel hab ich auch noch nie erlebt. Die Mädchen? Wir können sie nicht aufnehmen. Das Risiko der Entdeckung ist zu groß. Die Russen werden sie auch nicht freiwillig zurückschicken. Sie haben dafür bezahlt. Das ist lebendes Kapital. Sie werden die Mädchen noch in dieser Nacht verschwinden lassen. Irgendwo in Berlin oder in Brandenburg. Ich weiß nicht wo. Für die Russen brennt jetzt die Luft. Nun müssen sie auch noch diesen Truck loswerden oder sogar das Gehöft aufgeben. Das läuft sowieso über einen Strohmann. Also ich würde an ihrer Stelle dort verschwinden, alles anzünden, um die Spuren zu verwischen und den LKW einfach dort stehen lassen, bis er am Sonntag durch einen Zufall gefunden wird. Es geht jetzt um Schadensbegrenzung.“
Er fuhr fort: „Wenn die Russen erst mal zu wissen glauben, wer hinter dem Anschlag steckt, werden sie noch mehr Feuer spucken, als jetzt. Dann möchte ich in dieser Stadt kein Chinese sein. Théras Plan ist gut. Überlassen wir es diesen Ganoven, sich gegenseitig umzubringen.“
Er wandte sich an Dennis. „Ich kann meine Leute da jetzt nicht hinschicken. Wenn die entdeckt werden, fliegt unser Unternehmen auf. Es ist eure Sache, den Fortgang des Geschehens zu beobachten.“
Dennis nickte. „Théra und Nils gehen jetzt schön ins Bett. Ich werde noch mal zurückspringen und die Russen beobachten. Das Messer muss auch wirklich gefunden werden.“ Dann überlegte er einen Moment. „Théra, vielleicht solltest du das lieber machen. Es kann Situationen geben, wo deine besondere Kraft benötigt wird.“ Théra nickte. Das war für sie eine Kleinigkeit.
Nachdem sie verschwunden war, wandte sich „der Dicke“ an Dennis und Nils: „Ich bleibe hier und lese Akten. Ihr verschwindet jetzt.“ Er mahnte Nils mit dem Finger. „Keine unüberlegten Aktionen“, und dann mit einem verschmitzten Blick zu Dennis. „Weist du, was du da für eine schöne Tochter hast?“ Dennis nickte. „Alanque ist ihre Mutter. Vergiss das nicht.“ Alanque war Dennis „zweite Frau“, die Mutter von Théra. Sie lebte in Peru.
Das Geld wanderte in den Safe. Dennis nahm Nils an der Hand und sprang mit ihm nach Hause. Er brauchte jetzt den Vater mehr als je zuvor.
Zwei Stunden später kam Théra zurück. Sie gab „dem Dicken“ einen kurzen Lagebericht.
„Sie haben die Geschichte gefressen. Ab morgen ist hier der Teufel los. Du solltest noch eins wissen. Ich hab die Mädchen freigelassen und in alle Windrichtungen davon gejagt. Sie haben mich nicht gesehen. Die Russen wissen jetzt nicht, wo ihnen der Kopf steht. Sie müssen jetzt auch noch im Dunkeln den Mädchen hinterherjagen. Vier der ganz ganz Kleinen hab ich nach Rüdersdorf gebracht. Natascha ist jetzt bei ihnen.“
„Der Dicke“ runzelte die Stirn. „Das war nicht ausgemacht.“
Théra nickte. „Ich werde mich um die Kücken kümmern. Natascha ist zuverlässig. Ich werde die Mädchen für uns gewinnen.“
„So wie du das immer machst“, fragte „der Dicke“ und Théra nickte. „So wie ich das immer tue.“
Théra überlegte einen Moment, dann sprang sie zurück in die Wohnung in Rüdersdorf. Sie traf Natascha und die Mädchen dort an, die völlig verstört waren. Théra setzte sich zu ihnen und stimmte ihr Gesumm an, fast wie ein Lallebei. Es dauerte nicht lange, da waren die Mädchen eingeschlafen. „Ist der Kühlschrank voll?“ Natascha nickte. „Immer.“
Théra umarmte Natascha und schickte sie nach Hause. „Sie haben dich nie gesehen. Verlass dich drauf.“ Natascha kannte einige von Théras Kräften. „Mach ich. Wenn du mich brauchst, ruf mich.“
„Der Dicke“ wusste nicht, dass Théra jetzt die Nacht in Rüdersdorf blieb, einem Vorort von Berlin, wo die Organisation eine ihrer getarnten Wohnungen hatte, wie in vielen Stadtteilen. Er musste jetzt handeln. Er rief seinen Freund Trifter und einige seiner „Leutnants“ an und bestellte sie sofort ein.
„Absolute Tarnung“, bat er. „Die Diebstähle sind im gesamten Stadtgebiet einzustellen. Die Kids im Untergrund bleiben von der Strasse weg, außer, wenn wir Sonderaufträge haben.“ Er wandte sich an Trifter. „Telefonier’ heut’ früh sofort mit dem Innensenator. Lass dich unterrichten. Von Eva will ich, dass sie sich morgen an das Fernsehen ranklemmt.“ Dann wandte er sich an seine Leutnants.
„Théra hat die Mädchen freigelassen. Das sind über hundert Stück. Der Großteil wird von den Russen wieder aufgegriffen werden. Ein kleiner Teil wird vorübergehend entkommen. Werft unsere Kontakte zur Polizei und zum Roten Kreuz an, zu den Auffangstationen für Obdachlose, alles das. Sie haben Théra zwar nicht gesehen, aber wenn wir ein paar von ihnen von der Strasse holen, dann kann uns das vielleicht nützen, obwohl’s gefährlich ist. Sie haben keine Papiere, kein Geld, keine Nahrung und sprechen kein Wort deutsch. Spannt Ewalowa und einige unserer Freunde aus Tschechien und Polen ein. Wir müssen in diesem Sprachsegment mehr Präsenz zeigen. Wenn ihr Erfolg habt, bringt ihr die Mädchen nach Eberswalde, bloss nicht nach Berlin. Dann sagt ihr Théra sofort Bescheid. Es ist ihre Aufgabe, die Mädchen für uns zu gewinnen.“ Er schaute noch mal in die Runde. „Alles klar? Dann los jetzt.“
6.
Es gab viele Schleuserbanden in Deutschland und in Europa. Die meisten Menschen wurden gegen ein irrwitzig hohes Transportgeld über die Grenzen geschafft, um hier im Billiglohnsektor zu arbeiten. In Schlachtereien, am Bau, am Fließband und in Sozialberufen. Manche wurden ganz sich selbst überlassen. Was hier gerade geschehen war, hatte einen anderen Charakter. Hier ging es um großes Geld. Prostitution war ein gutes Geschäft, direkt hinter Rauschgift und Erpressung. “Der Dicke” und Nils hattren solche Aktionen schon öfter gemacht, aber dieses Wochenende sollte das Leben von Nils nachhaltig beeinflussen. Ohne dieses brutale Geschehen wäre sein Leben mit Sicherheit anders verlaufen.
Manchmal werden unsere Schicksale von Zufällen beeinflusst. Wir können uns nicht dagegen wehren.
Am nächsten Morgen weckte Dennis seinen Sohn. „Steh auf. Wir müssen jetzt Wache schieben, immer abwechselnd, und denk daran: keine unüberlegten Reaktionen, keine spontane Bestrafung.“ Er gab Nils eine Adresse. Du bleibst unsichtbar. Wenn du genug hast, dann löse ich dich ab. Er sah auf die Uhr. So um Zwölf. Ist das OK?
Nils nickte. Er sprang nach Teltow, weil er wusste, dass die chinesische Mafia dort ein Zentrum hat, das den Russen bekannt war, dann wartete er ab. Um Zwölf emfing er von Dennis einen Energiestrahl. Er sprang zurück und legte sich wieder ins Bett. Als er um fünf aufwachte, war Dennis wieder da. „Théra ist jetzt unterwegs. Sie hat gestern Nacht übrigens vier der Mädchen gerettet. Sie hat sie eingewebt und Natascha ist jetzt bei ihnen. Die Mädchen werden keine Probleme machen.“ Nils atmete tief ein. „Immerhin vier.“
Dennis nickte. „Der Dicke hat seine Kontaktleute in Marsch gesetzt. Er sagt, er kriegt jetzt ständig Berichte von der Polizei und den Hilfsdiensten vor Ort. Sie haben schon zehn weitere Mädchen aufgegriffen. Vier davon sind jetzt in Sicherheit bei unseren Freunden.“
Nils nickte erleichtert. Das war eine gute Nachricht.
Dennis legte sich zum Schlafen. Nils war immer noch aufgewühlt und er trödelte ein bisschen herum. Dann besuchte er seine Mutter, die heute im Büro Wache schob und klärte sie leise über den Stand der Dinge auf. Er musste einfach reden.
Eva war ohne sein Wissen unterwegs. Sie hatte gute Kontakte zum Fernsehen. Sie war vor Ort, dort, wo der zersiebte Truck stand, mit fünfzehn Mädchenleichen im Auflieger. Es war ein Fressen für die Presse. Das drei Kilometer entfernte Gehöft war völlig niedergebrannt. Es gab nur noch rauchende Trümmer. Spuren würde man da wohl kaum finden.
Als Théra um acht kam, war sie richtig groggy. Das waren zwei harte Tage und Nächte gewesen. Nils löste sie jetzt ab und signalisierte Dennis um zehn, „alles ruhig, aber ich brauche jetzt mein Bett.“
Dennis löste seinen Sohn bei der Wache ab.
Papa kam spät in der Nacht zurück. Er legte sich sofort hin und legte einen Zettel für Théra und Dennis auf den Küchentisch. Phase 2 erfolgreich, stand da.
Als Nils am nächsten Morgen in die Schule ging, gab es überall Sonderverkäufer. „Extrablatt“, schrien sie, und versuchten die Zeitungen an den Mann zu bringen. Sie wurden ihnen förmlich aus der Hand gerissen. „Überfall auf Chinesenlokale“, „Mädchenleichen in LKW“, „Brutales Gemetzel auf dem Strich“. Nils ließ sich ein Exemplar geben. Es stand nicht viel drin, aber diese Nacht musste ziemlich blutig gewesen sein. Die Chinesen würden jetzt aufrüsten und es den Russen heimzahlen. Er grinste plötzlich. Das hatte Théra gewollt. Sie würden sich jetzt gegenseitig ausrotten. Eine Vendetta.
Die andern Banden würden sich da raushalten. Sie würden beobachten und dann versuchen, den freien Markt unter sich aufteilen. Das würde nicht ohne neue Kämpfe abgehen. Die Hintermänner der Russen und der Chinesen würden auch anreisen. Sie würden Killerkommandos schicken. Die Kids und alle ihre Freunde würden jetzt sehr vorsichtig sein müssen, um nicht in diesen Strudel hineingerissen zu werden, aber sie würden schon dafür sorgen, dass ihre Unkosten gedeckt werden würden. Damit kannten sie sich aus.
Als er von der Schule heimkam, wachte Dennis gerade auf. Nils besprach sich mit seinem Vater.
Dennis nickte. „Es wird Zeit, dass wir den Behörden ein paar Tipps geben. Wofür haben die Räumkommandos.“ Er lachte Nils an. „Théra hat da in ein Wespennest gestochen, aber wir müssen höllisch vorsichtig sein. Wir müssen all unsere Kids warnen. Keine Diebstähle mehr. Die Stadt wimmelt jetzt von Detektiven. Ich werde mich gleich auf den Weg machen.“
„Wo ist Théra“, fragte Nils. „Sie kümmert sich um die Mädchen. Eva ist schon wieder mit dem Fernsehen unterwegs. Mach dir mal keine Sorgen. Théra wird die Mädchen irgendwo bei unseren Freunden unterbringen, wenn sie sich sicher ist.“
Nils nickte. „Darf ich wieder ins Bett? Ich hab was nachzuholen.“ Heute ging er nicht zum Training. Das Kickboxen musste heute warten. Ellen musste heute warten.
Am Abend wurde er wach. Théra war gerade gekommen. „Alles OK mit den Mädchen?“ Théra nickte. “Natascha und Ewalowa haben das jetzt in die Hand genommen. Ich werde noch ein paar Tage hier bleiben, dann werde ich wieder nach Peru gehen. Dann seid ihr alleine, du und Papa. Kriegt ihr das hin?“
Nils zuckte mit den Schultern. „Wird schon gehen.“
7.
Es war wirklich ein totaler Krieg ausgebrochen. Die überlebenden Chinesen wussten längst, wer sie angegriffen hatte. Der gefährliche Hua Guo Lang würde sich bitter rächen. Fünf seiner wichtigsten Lokale waren zur gleichen Zeit angegriffen worden. Auf dem Strich hatten die Russen gewütet und sechzehn seiner chinesischen und thailändischen Strichmädchen niedergemäht. Zur gleichen Zeit waren sie in Kreuzberg aufgetaucht und hatten eines seiner besten Bordelle in Fetzen geschossen. Dann waren sie untergetaucht. Wie von der Bildfläche verschwunden.
Er selbst war nur durch einen Zufall mit dem Leben davongekommen.
Der Angriff war völlig überraschend gekommen. Viele seiner Leute waren jetzt tot. Das würde viel Arbeit geben.
Dann war da noch die Sache mit seinem Messer. Es war weg. Er konnte sich das nicht erklären. Er hatte es einmal in Honkong gekauft, bei einem Trödler. Es war sicher 300 Jahre alt. Ein handgeschmiedeter Stahl. Etwas Besonderes.
Jetzt würde er erst mal versuchen, zu retten, was zu retten ist. Dann würde er seine Organisation neu aufbauen und die Russen jagen.
Er gab Anweisung, in Deckung zu gehen, und dort auch zu bleiben. Straßenstrich nur unter Bewachung. Die fünf anderen Puffs mussten großräumig abgesichert werden. Irgendwo musste das Geld ja herkommen.
Den Heroinverteilerring hatten die Russen noch nicht angegriffen. Auch da musste er jetzt äußerste Vorsicht walten lassen.
8.
Nils blieb in dieser Woche in Deckung. Er ging normal zur Schule. Mittags und abends übernahm er geheime Überwachungsaufgaben, alles andere ließ er schleifen. Er sah in dieser Woche weder Ellen noch Helen. Er überlegte kurz. Bei dieser Namensnennung war es möglich, sich zu versprechen, aber er könnte sich immer rausreden. Hatte auch sein Gutes. Er grinste und machte sich wieder an die Arbeit.
Er hatte zusammen mit Papa und Théra verschiedene Verstecke der Russen und der Chinesen ausfindig gemacht. Der Heroinverkauf ging vorsichtig weiter und jetzt gab Papa den Behörden einen Tipp. Er ließ das durch Trifter einfädeln, der unter vier Augen mit dem Innensenator sprach. „Sie sind sicher“, fragte der Innensenator, der inzwischen ein guter Freund von Trifter war und Trifter nickte.
In der selben Nacht noch überfiel ein Kommando der SOKO-Miliz (das inzwischen gegründet worden war, um die ständige Bedrohung durch Banden in der Stadt zu bekämpfen) ein Haus in Kreuzberg. Die Russen wehrten sich. Sie wurden in einem heftigen Schusswechsel niedergemäht. Die Beute war gewaltig. 25 Kilo reines Heroin und 1,5 Millionen Euro in bar.
Doch auch die Chinesen gingen nicht leer aus. Wieder gab Dennis einen Tipp. Diesmal war die Wohnung weit vor Berlin gelegen, in Neuruppin, mitten in Brandenburg. Der Innensenator spitzte seine Kontakte zu den Kollegen im Nachbarland an. Auch in dieser Nacht waren sie erfolgreich. 8 Kilo reines Heroin und 1,8 Millionen Euro in bar. Auch hier gab es Tote und es gab fünf Festnahmen.
Der Innenminister reichte seinem Kollegen nach Abschluß der Aktion persönlich die Hand. „Darf ich erfahren, wie Sie an die Information gekommen sind?“
Der Berliner Innensenator, der sich mit einem Hubschrauber hatte einfliegen lassen, zuckte mit den Schultern. Wir haben in Berlin eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit vielen Stellen im Untergrund. Mehr darf ich Ihnen auch nicht sagen, um meine Quellen nicht zu gefährden.“