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Aber das tröstete sie kaum über die fremde Umgebung, die unbekannten Leute, die ungewohnten Sitten und diese sexuell aufgeladene und gleichzeitig irgendwie unkalkulierbar gewaltbereite Atmosphäre hinweg. Nicht, dass sie diese toxische Proll-Attitüde nicht von der Akademie kannte, aber damals waren sie wenigstens alle Neulinge gewesen, und die Regeln wurden ihnen von den Ausbildenden ständig ins Hirn geschrien.
Zu allem Überfluss hatte Mama sie bei ihrer Vorstellung zu einer vollwertigen Jockey befördert. Danai zweifelte keine Sekunde daran, dass sie das fliegerisch verdient hatte. Sie hatte es nun mal drauf, und das wusste selbst Mama. Aber diese retardierte Bande von likesüchtigen Alkis, die sich Daredevils nannte, wusste es nicht. Eigentlich mussten Anwärterinnen eine Phase der Demütigung und Selbstbehauptung durchstehen – einer Grundausbildung nicht unähnlich, kam ihr in den Sinn – und sie hatte das einfach übersprungen. Das würde man ihr nicht so leicht verzeihen.
Danai hatte Schutz gesucht, ja, ein verdammtes, neues Zuhause, nachdem sie Hadronic hinter sich gelassen hatte. Dass sie aber gleich mit fliegenden Fahnen in die Gang aufgenommen wurde, war nicht abgesprochen gewesen. Jetzt konnte Danai allerdings auch nicht zurückstecken. Weder konnte sie es mit ihrem Ego vereinbaren, sich selbst zum Prospect zu erklären, noch würde eine solche Bescheidenheit ihr Standing hier verbessern. Es wäre genau das Zeichen von Schwäche, auf das diese Raubtiere lauerten.
Sie wurde schon die ganze Zeit beobachtet, und es war nur eine Frage der Zeit bis … ja, da kam sie auch schon, die Quittung für die Anmaßung, die Mama ihr eingebrockt hatte: Die drei Prospects der Gang steuerten, nach einer Druckbetankung sichtlich angetrunken, von der Bar aus auf sie zu. Drei gekränkte Halbstarke, das bedeutete Ärger.
Danai blieben nur wenige Optionen. Sie konnte ihr kaum geleertes Bierglas stehenlassen und sich ins Quartier verkrümeln, das Mama ihr schon im ehemaligen Arbeiterkomplex des Minenasteroiden zugewiesen hatte. Aber jetzt einfach zu verschwinden würde die Konfrontation nur hinauszögern. Sie sah sich um. Von der President keine Spur. Letztlich war das gleichgültig. Wenn Danai jetzt nach ihrer Mama rief, wäre sie endgültig unten durch.
»Da ist es ja, unser neues Vollmitglied«, spottete die junge Frau in der Mitte des Trios. Ihre kleine Gestalt und die zarten Gesichtszüge standen im Kontrast zu ihrer Glatze und dem Tank-Top, das den Blick auf ihre kräftigen Arme frei ließ. Subkutane Stränge unter dunkler Haut verstärkten ihre Oberarmmuskeln und vermittelten zusammen mit Schlangentattoos den Eindruck eines wimmelnden Gewirrs auf ihrer Haut. Callsign »Tabs«, erinnerte sich Danai.
Zu Danais Linken beugte sich ein schmächtiger, weißer Kerl mit langer, platinblonder Haarmatte zu ihr herab und grinste herausfordernd. Eine neurologische Schnittstelle war seitlich an seinem Hals angebracht und in seine nackte Hühnerbrust waren zahlreiche Zierblättchen implantiert.
Dean, oder so? Nein, Nean. Noch ohne Callsign.
Ganz rechts und etwas abseits stand der dritte, auf dessen Jacke sie beim Eintreten gelatscht war, weil ihr Blick so angespannt von Gesicht zu Gesicht gewandert war. Mit verschränkten Armen und düsterem Blick musterte er sie. Er war stämmig und muskulös, bartlos, das lange Haar zu einem Dutt gebunden. Er war Navig oder wollte zumindest den Anschein erwecken, denn ein Geflecht von dunklen und dennoch fluoreszierenden Linien bedeckte Arme, Hände, Finger und Hals. Es breitete sich sogar im Gesicht übers Kinn und wie zwei stilisierte Flügel über die Stirn aus. Die Tätowierungen wirkten wie irgendetwas zwischen Datenleitungen und Beschwörungssymbolen einer vergessenen Religion. Kian, Callsign »Marauder«, oder war es »Prophet«? Zu viele neue Namen …
Die drei trugen, wie beinahe alle hier im Raum, ärmellose Kutten mit Projektionen des Ganglogos auf dem Rücken: dem Teufelsgesicht mit der Retro-Fliegerbrille. Alkoholgeschwängerter Atem schlug ihr entgegen.
Danai lehnte sich in ihre kunstlederbezogene Sitzbank zurück und gab sich Mühe, ganz entspannt zu wirken.
»Andere müssen hier hart arbeiten. Aber mit einer Mum, die zufällig Queen und President ist, erspart man sich jede Menge Drecksarbeit. Nicht wahr, Prinzessin?«, fragte Tabs, als befänden sie sich gerade bereits mitten im Gespräch.
Nean lachte dreckig, als hätte die Glatzentussi etwas besonders Schlagfertiges gesagt. »Ha! Genau – Prinzessin!«
»Leck mich«, antworte Danai nur und nahm demonstrativ gleichgültig einen Schluck Bier.
»Oh«, spottete Tabs und deutete eine fahrige Verbeugung an, »verzeiht, Eure Hoheit, dass das Fußvolk Eure Kreise stört. Dann lasst doch die Hose runter, damit ich der durchlauchtigsten Anweisung den königlichen Arsch betreffend besser nachkommen kommen!«
Nean überschlug sich vor Lachen und hämmerte mit der Faust auf den Tisch, immer noch nach vorn gebeugt. Er schien nicht die hellste Diode in der Konsole zu sein, wohingegen Tabs sich übertrieben gewählt ausdrücken konnte.
»Was denkst du dir, Frischling?«, hakte Kian ein. »Kommst hier ins Loco Hana, kriegst von deiner Mami ’ne boots Extrawurst gebraten, und anstatt uns ein Bier auszugeben wie ein Ehrenbro, kriegen wir von dir nur ein ›Leck mich‹? Aus welchem Grund hältst du dich für was Besseres, du Corp-Frakster?«
Danai beugte sich nach vorne, um zu antworten. Wie immer in Situationen dieser Art kämpfte sie darum, die passenden Worte aus ihrem Mund zu pressen und suchte nach alternativen Wegen: Wörter, die nicht mit Vokalen begannen. ›Arschloch‹, ›aber‹ und ›albern‹ fielen damit weg.
Wie sollte das für sie in dieser verdammt lächerlichen Jockey-Soap-Show funktionieren? Wäre sie in der Lage, einen coolen Spruch zu droppen, hätte sie dem Trio damit vielleicht schon den Treibstoff aus den Triebwerken nehmen können, aber dieser Pfad stand ihr wie üblich nicht offen. Natürlich war sie nervös, wenn drei mit Wut und Alkohol vollgetankte Free-Turfler vor ihr standen – wie es jeder andere Mensch, egal wie hart drauf, in dieser Situation auch wäre. Aber ihr Stottern versaute ihr jeden lässigen Spruch, und wenn das Stottern ihn nicht versaute, dann das Nachdenken darüber, ob das Stottern ihn versauen würde. Dieses Drecksstottern gesellte sich zu ohnehin schon vorhandener sozialer Anspannung wie die Follower zu einem Gramstar. Und die Hyänen vor ihr würden ihre Sprechweise als nackte Angst auslegen, was den Jagdtrieb nur noch mehr anstacheln würde.
»I–, nein, will keinen Stress, nur in Ruhe mein Bier trinken.« Alle Corp-Strategien, die sie kannte, um flüssig zu sprechen, waren vergessen. Andererseits hätte es hier auch kaum geholfen, wenn sie den Satz gesungen hätte. Also stotterte sie ihn.
Und so sicher wie das Prost in der Bar lachte Nean sie aus.
»Ru-ru-ru-ru«, äffte Tabs sie zeitgleich nach. »Jetzt hast du die Prinzessinnenhosen voll, was?«
Danai hasste nichts im Leben so sehr wie dieses Nachäffen. Für sie war es nicht einfach Spott, wie er eben unter Jockeys, unter Pilotinnen, unter Angetrunkenen üblich war; für sie war es wie das Aufstoßen einer Tür zu all den vergangenen Schmähungen, und schlimmer noch: zum Ärger über sich selbst, nicht einfach normal sprechen zu können, zur Frage, ob sie es nicht einfach genug wollen musste, damit es doch klappte. Irgendwo musste dieser Zorn jetzt hin. Pech für die erbärmlichen Prospects. Leider blieb ihr wohl nichts anderes übrig, als diesen drei Affen die Fressen blutig zu schlagen. Tabs, auf die sich ihre Wut fokussierte, war allerdings außer Reichweite. Sie nahm das zweitbeste Ziel: den vorgebeugten Nean und sein fieses Lachen. Ihre Faust traf ihn voll; ohne auszuholen ließ sie die Rechte vorschnellen und pflanzte sie seitlich in seine Fratze, wie einen brutalen Kuss direkt auf den Wagenknochen. Die Wucht des Hakens riss den Kerl von den Beinen. Er knallte am Tischrand auf und glitt dann unkoordiniert mit den Armen rudernd zu Boden.
Noch in der Schlagbewegung war Danai aufgesprungen, aber Tabs hatte auch keine Sekunde gezögert. Sie packte Danai am gefütterten Kragen ihrer Fliegerjacke. Zum Glück verließ sich die Prospect dabei vor allem auf ihre verstärkten Cybermuskeln. Danai stieß einmal mit dem Kopf nach hinten, um den Reflexmodder einzuschalten und spürte dann das rauschartige Gefühl, als ihre körperlichen Reaktionen übermenschlich beschleunigten.
Dazu kam ihr Training im Hadrona, der bei Hadronic Inc. favorisierten und für alle Mitglieder der Streitkräfte obligatorischen Kampfkunst. Sie drehte sich seitlich und schlug in einer raschen Bewegung mit dem Ellbogen von oben auf die sie greifenden Arme. Schon war sie dabei um den Tisch, bekam Tabs’ Kopf zu fassen und drückte fest zu, ein Griff wie in einem Schraubstock. Danai fühlte die aus Schmerz und Orientierungslosigkeit geborene Panik ihrer Gegnerin. Die Frau tastete wild herum, griff sich eine Flasche und zerschmetterte sie auf der Tischplatte.
»Stopp!«, schrie Kian. Tatsächlich atmete Danai einmal tief ein und ließ von Tabs ab, bevor das hier in einer blutigen Sauerei für eine von ihnen beiden gipfeln würde.
Tabs hielt den Flaschenhals, der in messerscharfe Glassplitter auslief, in der rechten Hand, und rieb sich mit der anderen den Kopf. Nean hievte sich mühsam hoch, setzte sich auf den Tisch und hielt sich den Kiefer. Eine Menge Augenpaare aus dem Raum richteten sich auf das Geschehen. Marlene schlug einer Frau im Mecha-Overall das vermutlich immer noch filmende Tablet aus der Hand.
Keine Pics von ihrer Tochter.
Während Danai noch für einen Wimpernschlag dankbar für diese rasche Reaktion war, stellte sich Kian zwischen Tabs und Danai, hielt beide Kontrahentinnen mit den Armen auf Abstand.
»Stopp!«, wiederholte er. »Regt euch mal ab! Wenn ihr euch die Fressen einschlagt, wissen wir am Ende doch immer noch nicht, ob unser Prinzesschen den Jockeyposten verdient hat oder nicht. Wir klären das HOTAS, im Cockpit.«
Danai nickte, zufrieden mit der Entwicklung. » Ich gegen euch drei Witzfiguren.«
Tabs spuckte aus. »Lern du erstmal, ›Witzfiguren‹ graderaus zu sagen, Missy!«
Danai spürte den Zorn wieder in sich aufsteigen, diesmal aber kälter, geduldiger, berechnender. Kian funkelte seine Bro an. »Gegen uns drei gleichzeitig?«, wandte er sich dann an Danai. »Vielleicht besser, wenn du früh merkst, dass du nicht unbesiegbar bist. Wenn du die Abreibung unbedingt auf diese Weise kassieren willst, sind wir dir ergeben zu Diensten und verpassen sie dir morgen nach dem Frühstück. Wir treffen uns auf dem Flugdeck.«
Danai nickte. »Null Neunhundert?«
Kian pfiff verächtlich. »Corps-Gelaber. Ja, ungefähr. Kann auch was später werden, ich schlaf gern aus.«
»Wir werden sehen, Prophet«, sagte sie.
»Mein Callsign ist Marauder!«
»Schon klar, Prophet.« Jockeys konnten natürlich versuchen, ein Callsign für sich zu etablieren. Aber wenn sich eine Staffel einmal auf einen Rufnamen eingeschossen hatte, wurde man den nicht los, und Danai hatte ein Gespür dafür, wann ein Callsign dabei war, sich einzuschleifen. Kian wandte sich zum Gehen. Nean war schon verschwunden, vermutlich auf der Suche nach einem Beutel Eis, während Tabs immer noch unschlüssig herumstand. Die zerbrochene Flasche hatte sie zu Danais Erleichterung wieder auf den Tisch gelegt. Kian drehte sich um und richtete sich noch einmal an sie: »Apropos Callsign: ich will wissen, wen ich morgen in meiner Zieloptik haben werde, Frischling. Um Null Neunhundert. Epsilon-17, oder wie immer ihr euch in der Konzernfliegerei so nennt, is‘ hier nicht. Wie nennen wir dich unter Daredevils im Cockpit?«
Sie hatte sich bereits Gedanken dazu gemacht. Natürlich: Ein Callsign war essenziell in der Jockeykultur, sie kannte die Klischees.
Bisher war ihr nichts eingefallen.
Icarus, die mit brennenden Flügeln mit ihrer Flugkunst zwischen Sonne und Meer bestehen musste? So hatte ihre erste Freundin auf der Flugakademie sie genannt. Nein. Keine Worte mit I am Anfang.
Proton? Sie schüttelte den Kopf, das erinnerte zu sehr an ihre Hadronic-Vergangenheit.
Hummingbird, passend zu einigen ihrer besseren Manöver? Zu platt.
Vortex, die die Falschen in den Abgrund zieht? Nein, keine Lust auf ständige Gewissenbisse. Sie hatte nur Befehle befolgt.
Sie entschied sich spontan für etwas anderes – etwas, das die Staffel sicher problemlos akzeptieren würde.
»Princess«, antwortete sie. Sie sprach es aus, ohne zu stottern. Vielleicht ein gutes Omen. »Mein Callsign ist Princess.«
»Ernsthaft? Wie passend«, sagte Kian. »Den Rest klären wir morgen – im All!«
Dare to fly
//Wizzler
Feed von @GarudaDD // neueste Kommentare ihrer Fans
Gramstar999: Geile Stunts da draußen! Hast du jemals im blassen Mondlicht mit einem Daredevil getanzt? Dass es die Neue so drauf hat wie @GarudaDD bezweifle ich aber!
Tox-O-Meter: Ich habe gehört, jede Minute im Orbit um ein schwarzes Loch macht dich ein Jahr jünger. @Deardevil sollte das vielleicht mal versuchen, wenn sie weiter mithalten will.
Drei Maschinen jagten mit Vollschub auf Danai zu. Eine gegen drei – die armen Schweine hatten keine Chance.
Danai widerstand dem Impuls, beizudrehen, sich vorerst aus dem Staub zu machen und eine Gelegenheit zu suchen, bei der sie aus einem günstigeren Winkel würde angreifen können, der es ihnen nicht erlauben würde, sofort zurückzuschießen. Nein, durch Weglaufen machte man sich in einem Kurvenkampf nur zum Opfer. Sie war keins. Also drehte sie die Nase ihrer I-9 Slipstream den Kontrahenten entgegen und drückte den Schubhebel bis zum Anschlag nach vorn.
Sie grinste: Zum Glück saß sie im Cockpit! Anders als in der schmierigen Jockeybar wusste sie hier, was von ihr erwartet wurde, wie sie eine Auseinandersetzung überstehen konnte, ohne das Gesicht zu verlieren. Sie genoss die vertraute Beschleunigung, die sie in den Sitz presste, das Adrenalin, das der nahende Raumkampf durch ihre Adern jagte, genoss es, wie ihre Aufmerksamkeit sich wie durch das Drehen eines Reglers, der sich nur im Cockpit drehen ließ, aufs Äußerste steigerte. Danai, nein, Princess nickte mit dem Kopf nach hinten und spürte das Kribbeln im Nacken, ein Zeichen dafür, dass ihre Cyberware erwachte, um ihre Nerven wie Drahtseile zu spannen. Sie bildete sich ein, die Wärme der elektrischen Impulse zu spüren, die ihre Wirbelsäule entlangliefen und sich als wohlige Euphorie in ihrem Körper breitmachten, um ihren Reflexen diesen zusätzlichen Kick zu verleihen.
Mit einer Beschleunigung von mehreren tausend Metern pro Sekundenquadrat auf drei waffenstarrende Chopper zuzurasen war sicher nichts, was die meisten Menschen unter Spaß verstanden, zumindest dann nicht, wenn sie so etwas nicht lediglich mit VR-Brille konsumierten. Danai stand drauf. Bereits nach wenigen Sekunden waren die drei gegnerischen Daredevils auf Waffenreichweite heran und eröffneten das Feuer.
Ein Hagel aus Leuchtspurgeschossen sirrte an ihrem Chopper vorbei. Dieses Sperrfeuer musste den Munitionszähler der Prospects wie einen Kreisel gen Null drehen lassen.
Diese N00bs!
Schließlich betätigte auch Danai den Auslöser an ihrem Steuerknüppel. Kurze, fiese Feuerstöße. Ein Wirkungstreffer war unwahrscheinlich, da sie selbst ständig kleine Ausweichkorrekturen fliegen musste. Aber das war auch nicht nötig, sie wollte die drei bei diesem Tanz nur ein wenig aus der Ruhe bringen.
Die Raumjäger auf null Uhr – ihre Silhouetten erinnerten sie an Adler, groß und kraftvoll – waren schwerer gepanzert und spuckten ihre Verachtung für Danai aus einer größeren Anzahl Mündungsrohre. Ihre Slipstream war dagegen ein Falke. Sie war nur mit den Zwillingsläufen im Bug bewaffnet, aber sie konnte die geringere träge Masse ihres Abfangjägers agiler ausrichten. Außerdem verfügte sie über die Reflexe, Konstitution und Erfahrung, um auch bei abrupten Richtungswechseln ein Ziel anvisieren und treffen zu können.
Und genau das tat sie. Während die drei Chopper an ihr vorbeirasten und bereits in zu weiten Kurven zu einem zweiten Anlauf ansetzten, ließ sie ihren Slipstream-Abfangjäger mit kurzen Stößen aus den Manöverdüsen waagerecht um die Mittelachse rotieren und feuerte eine Salve in den leeren Raum – direkt in die erhoffte Flugbahn eines dieser Möchtegern-Jockeys.
Ihre Erwartung wurde nicht enttäuscht: Volltreffer! Der Chopper kreuzte die Bahn der Geschosse, die als blaue Mikro-Blitze über seine chromglänzende Oberfläche tanzten. Das Leuchten seiner Triebwerke erstarb, und er trudelte hilflos im All. In einem echten Gefecht wäre er bei einem solchen direkten Treffer aus nächster Nähe in Stücke gerissen worden – Panzerung hin oder her. In diesem Fall aber registrierten die Hüllensensoren der Maschine die elektrische Ladung der Übungsmunition, und eine Bordsoftware nahm Neans Maschine im Trainingsmodus für den Rest des Tanzes aus dem Spiel, indem sie alle nicht-lebenswichtigen Systeme herunterfuhr.
Dann waren es nur noch zwei – Tabs und Prophet.
Diese beiden hatten sich schnell vom Schreck erholt und die wenigen Sekunden genutzt, die Danai benötigte, um sich nach dem Manöver zu orientieren und sich von den Beschleunigungskräften, die der Trägheitsdämpfer nicht völlig hatte kompensieren können, zu erholen. Die beiden Jäger hefteten sich an ihr Heck und feuerten erneut aus allen Rohren. Danai flog ständig abrupte Kurswechsel, um einem Treffer zu entgehen, aber so würde sie sie nicht abschütteln.
Ein Aufblinken der Comm-Anzeige verriet ihr, dass sie gerufen wurde, aber Danai hatte keine Lust auf die Sprüche, Angebereien und Drohungen ihrer Verfolger. Sie ließ die Anlage stummgeschaltet. Sie war nun Princess, und Princess fühlte sich geradezu lächerlich selbstsicher – selbst mit zwei gegnerischen Schiffen am Heck. Sie wusste, dass Können von unten wie Arroganz aussah, aber sie war nun einmal gut. Verdammt gut. Vielleicht einfach die Beste.
Und dennoch: Auch im Trainingsmodus konnte diese arrogante Tollkühnheit sie das Leben kosten, warnte eine leise Stimme in ihrem Kopf. Das unkontrollierte Manöver hätte auch in einer katastrophalen Kollision enden können, und das alles nur für einen Fake-Abschuss, um zu klären, wer die dickeren Eier in Stock oder Hose hatte. Dennoch erlaubte sie sich ein kurzes Lächeln. Dieses archao-anarchische Umfeld ihrer lange ignorierten Mutter, die ebenso ungeschriebenen wie ihr unbekannten neuen Regeln, all das war hier und jetzt vergessen.
Zum Glück war ihre Konkurrenz entweder geil darauf, sie fertigzumachen, oder Danai hatte sie mit Neans schnellem Abschuss aufgestachelt: Sie konzentrierten sich jetzt ganz auf die Jagd und verschwendeten keinen Gedanken an Staffeltaktik. Einer der beiden hätte sie ablenken, sich als Ziel präsentieren oder sie in eine Serie von Scherenmanöver verwickeln können, während die andere ihre Maschine in Ruhe ins Visier nahm: ein klassisches Sandwich. Da sie das nicht taten, hatten sie zwar beide eine starke Position, aber damit konnten sie Danai weder überraschen noch aus der Reserve locken. Trotzdem durfte sie jetzt nicht zulassen, dass es sich die beiden Prospects dort hinten gemütlich machten. Früher oder später würden sie sich auf sie einschießen.
Wie, um das zu bezeugen, sah sie blaue Funkenentladungen auf der langgezogenen Nase ihrer Slipstream aufflackern. Nicht genug, dass das System sie als zerstört verbuchte, aber genügend Motivation, diese Sache rasch zu beenden. Sie setzte zu einer Fassrolle an: Während sie den Schubregler zu sich zog und am Steuerknüppel riss, feuerte sie die Bremstriebwerke und die Manöverdüsen. Die beiden Prospects versuchten, ihr zu folgen, aber sie gingen nicht so weit wie Danai, setzten ihre Körper nicht der Belastung eines derart heftigen Richtungswechsels aus. Die G-Kräfte, die trotz Kompensator zu ihr durchkamen, zogen an ihr, pressten die Luft aus ihren Lungen und das Blut aus ihrem Hirn. Die Welt wurde erst in ein blasses, dann ein tiefes Rot getaucht, Danai fühlte den Rand einer Ohnmacht locken und grinste: Keine große Sache, nichts, was sie nicht schon hunderte Male geübt hätte. Wenn sie ehrlich mit sich war, liebte sie diesen Moment, in dem sie den Grenzen ihres eigenen Körpers nah kam, er war etwas ganz und gar Außergewöhnliches – ihr Sichtfeld zog sich so weit zusammen, dass sie kurz davor war, sich selbst im All zu verlieren. Dann ließ der Druck in ihrem Schädel schlagartig nach. Sie sog die Luft ein, Euphorie und die Lust an der Angst vor dem Kontrollverlust fluteten ihre Adern. Und der Einsatz lohnte sich. Während sich die beiden Prospects noch in der Rolle befanden, setzte sich Danai hinter sie. Einer der beiden Chopper tauchte direkt im Fadenkreuz ihres Zielsystems auf.
Feuer.
Treffer!
Ziel zerstört.
Sie erlaubte sich ein erneutes Grinsen.
***
»Tabs? Melden, Tabs!« Das Comm schwieg ihn an. Tabs war raus.
Was für eine verdammte Killerpilotin! Wie konnte es sein, dass die ganze Sache noch keine Minute dauerte, in der sie bereits seine beiden Wingpals erledigt hatte? So etwas hatte Kian noch nie erlebt. Princess würde heute den Tag ihres Lebens haben, nachdem sie ihnen diese Abreibung verpasst hatte. Drei gegen eine – was bei allen verglühenden Sonnen war hier gerade passiert?
»Verdammte fick-smash Kackscheiße! Diese verfluchte Frakster!«, verbalisierte er seinen Frust ins Comm. Keine Antwort. Sowohl seine deaktivierten Flügelbros als auch seine Gegnerin schwiegen. Das war überhaupt das Schlimmste daran: Princess führte sie hier vor, schoss sie ab wie blutige Laien, vermieste ihnen die Aufnahme als Vollmitglied – und noch schlimmer: War es möglich, dass sie das Ganze nicht einmal streamte? Ein unglaubliches Beispiel an fliegerischem Können, undokumentiert? Die geistreicheren Spitzen, die Kian am Anfang des Kurvenkampfs vom Stapel gelassen hatte, waren ins Leere gesendet worden, unerwidert! Er konnte es nicht fassen.
Wenn dieses Vid getrendet wäre, hätte Kian trotz Niederlage davon profitiert. Aber diese Konzerngöre war nichts weiter als eine Frakster, die beiläufig Jäger aus dem All pustete – ohne Respekt für die Lebensart der Chopper-Jockeys. Ihr halsbrecherischer, angeberischer Scheiß hatte sie obendrein unnötig gefährdet – in einem Übungsduell. Und sie antwortete noch nicht einmal, immer noch nicht! Kian war außer sich, und das wurde auch nicht besser, als er das nur nachlässig abgekratzte Konzernlogo auf ihrer Hülle erkannte, während die Maschine über ihn hinwegschoss. Sie hatte nicht einmal genug … genug Spirit, um es richtig zu entfernen oder mit einem Paintjob zu verbergen (oder verbergen zu lassen, die Sterne wussten, dass sich die Zwillinge um so was rissen!).
Kians Manta war ein Aufklärer und leichter Bomber, kein Raumüberlegenheitsjäger. Ohne Flügelbro hatte er keine Chance gegen diese Pilotin und diesen wendigen Chopper. Resigniert nahm er die Hände von den Kontrollen und ließ sich im Sitz zurücksinken. Er wartete darauf, dass jetzt jeden Moment alle Systeme um ihn herum schwarz werden würden, vielleicht bis auf eine blinkende Nachricht, die ihn verhöhnen würde: »Du wurdest zerstört, Loser!« Aber die Sekunden verstrichen, ohne dass etwas geschah. Er blickte sich um. Überrascht entdeckte er Danai ganz nah: Sie flog rechts neben seinem Chopper, parallel zu seinem Kurs, und blickte in ihrem schlichten Druckhelm, an dem alles bis auf die auch hier abgekratzten Logos »Corp-Turf« schrie, zu Kian ins Cockpit.
Jetzt schaltete sie ihr Comm doch an. »Prophet«, hörte er ihre Stimme.
»Princess. Keine Lust auf einen weiteren Trainingssieg?«
»Nicht nötig. Ich denke, es ist jetzt klar, wer von uns das Ass im Ärmel der Daredevils ist. Es ist auch klar, warum auf meiner Jacke ›Jockey‹ steht und auf deiner ›Prospect‹. Und dass das nichts, aber auch gar nichts, mit meiner Mama zu tun hat. Haben wir uns verstanden?«
»Offensichtlich«, gab Kian zerknirscht zu. Er war nicht mal mehr wütend, eher fühlte er sich beschämt. Verlieren war eine Sache, aber wie hatten sie sich so vorführen lassen können?
»Hey, Princess! Warum hast du nichts davon gestreamt? Bist du ’ne Frakster, die es nicht nötig hat, oder was?«, setzte er noch nach.
Ein kurzes Schweigen. Dann, es klang beinahe nachdenklich: »Weißt du was, Typ, ich hab noch nicht mal einen verdammten Account.«
Danai starrte auf das Tablet.