- -
- 100%
- +
Das flexible Polymer war bis auf einen schmalen schwarzen Streifen am linken Rand durchsichtig, sodass sie die Tischplatte darunter sehen konnte: Aluminium, irgendwann einmal glattpoliert, mittlerweile zerkratzt und von hässlichen Flecken übersät. Das war nun ihr Tisch. In ihrer Kabine. In einer Asteroidenstation, deren taumelnde Schwerkraft ihr immer noch ein mulmiges Gefühl gab, sobald sie die Schwerelosigkeit ihres Choppers hinter sich ließ und Hangarboden betrat. Eine schmale Tür führte in eine winzige Nasszelle, in der sich alles Notwendige aus den Wänden klappen ließ. Der Rest des Raums war nicht viel größer: ein Bett, das gleichzeitig als Schrank diente – gerade stand es aufgestellt an der Wand, aber mit dem Lösen zweier Hebel und einem kräftigen Ruck konnte sie es herabziehen und dann auf einer sich bedauerlicherweise nicht mehr auf ihre Körperform anpassenden Formschaum-Matratze auf der Rückseite des Schranks schlafen. Im Schrank befanden sich Gurte, um die Klamotten zu befestigen. Da sie erst nicht gewusst hatte, wozu diese gut waren, waren ihre wenigen Besitztümer durcheinandergepurzelt, als sie sich von der grimmigen Garuda hatte zeigen lassen, wie sie in diesem Albtraum von beengter Kabine schlafen konnte.
Garuda hatte sie zufällig im Korridor getroffen. Die hagere Frau mit den Dreadlocks und dem Dämonenvogel, der auf ihren Rücken tätowiert war und seine Arme um ihren Hals geschlungen hatte, hatte zwar mehr Abneigung für Mama übrig als für Danai, aber sie ließ auch Danai deutlich spüren, dass sie nicht wusste, was diese in der Gang zu suchen hatte.
Danai wusste es selbst nicht.
Zu den wenigen Gelegenheiten, zu denen sie sich »planetside« im Hadronic HQ befunden hatte, hatte sie ein Zimmer mit Fenster bewohnt. Klar, Papa hatte dafür gesorgt, nur das Beste für sie, nicht wahr?
Um gewisse Dinge hatte sich immer Papa gekümmert. Und jetzt kümmerte Mama sich um sie. Sie war einunddreißig, verdammt! Es war deprimierend.
Deprimierend wie das ausgeschaltete, durchsichtige Tablet vor ihr.
Sie presste den Daumen auf eine runde Markierung am schwarzen Rand, und so wie sich der Kleiderschrank in ein Bett verwandeln konnte, verwandelte sich das dünne Kunststofftablet, das eher einem durchsichtigen Tisch-Set ähnelte, in ein Fenster zur Galaxis.
Sie starrte hinunter und hinaus.
Der Browser machte ihr einige Angebote, doch sie hatte das Tablet neu erstanden und sich noch keine Accounts erstellt, keine Einkäufe getätigt und keine ID hinterlegt. Da sie weder Kopfhörer noch Zimmerboxen eingeloggt hatte, teilte es ihr lautlos mit, wer die Castingshow auf Arapnap Vee gewonnen hatte, und dass Digits AI eine neue Konzernkanzlerin gewählt hatte. Außerdem fragte es nach ihren Kaufinteressen. Von Gesichtslosen wie ihr wurden offenbar gerade die »MassAcc-Hawk-VI«, eine, so der Text, »handliche Schusswaffe für den Privatgebrauch«, und die »günstigsten Flugtickets auf allen gängigen Highways« bevorzugt, sodass sie dementsprechende Werbung erhielt.
Zögernd hob sie das Tablet an, knickte es leicht und stellte es auf. Es projizierte sofort eine Tastatur vor sie auf den Tisch und fragte, ob sie es per Stimmerkennung steuern wolle.
Vielleicht war es ein wenig paranoid, aber weder Stimmerkennung noch ein Einloggen in alte Accounts kam für Danai infrage, egal, wie abgelegen diese Highwayausfahrt lag. Sie schloss die Stimmerkennungsanfrage und öffnete stattdessen einen Browser. Schloss ihn wieder.
Öffnete LoggTube und starrte übellaunig auf die Startseite. Nein, bei allen interplanetaren Geistern der Vergangenheit: Sie würde nicht ihre Fresse in eine Kamera halten, sie würde nicht in irgendein Mic stammeln und sich dem Spott aussetzen, dass sie nur im Cockpit geradeaus sprechen konnte.
LoggTube schließen. Pixxor öffnen.
Die gängigsten Social Media waren schon vorinstalliert, gaben ihr einen kleinen Einblick in die Funktionen und lockten mit weiteren, sobald sie sich anmeldete. Je mehr du preisgibst, schienen sie zu wispern, desto toller wird es hier mit uns!
Sie biss die Zähne zusammen.
D-A-R-E-D-E-V-I-L-S. Der Gangname ergab nicht eben wenige Treffer. Es schien auch einen uralten Comichelden gleichen Namens zu geben, zu dem immer noch Fanart herumgeisterte. Ihr Finger schwebte über dem M, um den Namen ihrer Mutter einzutippen, doch dann entschied sie sich um. Kian, tippte sie. Sie wusste seinen Nachnamen nicht, nicht einmal, ob er sich denn jetzt Prophet oder Marauder nannte – und ob er überhaupt Entscheidungsgewalt in dieser Sache hatte.
Diese Einengung jedenfalls ergab einen Treffer – Kian Parata, Prospect der Daredevils.
Sie hielt sich selbst davon ab, das Gesicht in den Händen zu vergraben, aber die Foto- und Videogalerie provozierte zum Fremdschämen.
Vielleicht habe ich zu behütet vor mich hingelebt. Hier sind die Sitten rauer. Hier ist es vielleicht normal, dass man Tattoos postet, die normalerweise von der Hose bedeckt werden.
//Pixxor
Das Vid auf Pixxor läuft automatisch ab, eine Kamera folgt den Linien auf Kians Körper, während oben zwischen seinen Schulterblättern noch eine leere Stelle von einer ebenfalls am ganzen Körper tätowierten Frau gefüllt wird, die mit etwas hantiert, das nach einem traditionellen Tätowierwerkzeug aussieht. Es ist nicht zu sehen, wer die Kamera führt – vielleicht ist es eine Drohne, denn sie fährt den fluoreszierenden Linien auf Kians Körper mit einer Präzision nach, die das Ganze vielleicht doch trotz des nackten Hinterns, der sehr präsent in die Kamera ragt, zu einer Art Kunstform macht. Die Kamera gleitet nun von Kians Linien auf die Hände der Tätowiererin über, für die prompt Werbung eingeblendet wird, bei der schon allein die Schriftart Abzüge gibt, was die Seriosität angeht:
Traditionelle Navigtattoos Tā moko
einzigartig – schmerzhaft – nur für die Harten
LIKES 3.429.450
COMMENTS 74.801.
Beliebteste Kommentare
GloryToTheQuing: Arsch mit Tattoos. So was kann nur im Kobeni-Gürtel Kunst sein.
MarauderDD: *Mein* Arsch mit Tattoos ist überall Kunst.
Dass Kian der Legende der Navigatattoos aufsaß, schien Danai nicht verwunderlich. Sie sah dem Video fasziniert weiter zu: Die Frau öffnete mit einer sehr langen und sehr dünnen Klinge, die weiß und beinern glänzte, die Haut in vielen kleinen Rissen und gab dann mit zwei klauenartigen Fingernägeln der anderen Hand erst ein Pulver und dann eine Art Öl in die winzigen Wunden. Wann immer ihre Finger im Blickwinkel der Drohne wieder sichtbar wurden, glänzte das Öl bläulich schillernd an diesem einen Nagel. Danai runzelte die Stirn. Kian hatte vermutlich keine Ahnung, was er da unter seine Haut ließ, und erfreute sich einfach nur an der Optik.
Und den Likes.
Sie seufzte. Wegen der Likes war sie auch hier, oder?
Sie scrollte rasch durch Kians Pic-Galerien.
//Pixxor
Gallery MySweetChopper (13.051 Pics)
zeigt genau das: Kians Manta aus allen Perspektiven, im Hangar, im All, über einer öden Planetenoberfläche, das Cockpit von innen und außen. Manchmal Kian halbnackt mit ausgebreiteten Armen, auf einem Flügel des rochenartigen Jägers drapiert.
Gallery Manta Paintjobs und Tunings (5.735 Pics)
zeigt variierende Lackierungen der Manta, neue Teile, Chrom, immer mal wieder subtil ins Bild gerückte Politur der Marke Foamo oder den ROFL-Energydrink Lite.
Gallery Influence (604 Pics)
zeigt ROFL-Energydrinks Lite und Politur Foamo deutlich weniger subtil, meist in Kians Hand, während die andere einen Daumen nach oben zeigt. Manchmal krault er Deardevils Cyberdoggo MacGuffin.
Gallery Privat (7.406 Pics)
ist trotz des Namens nicht privat und zeigt Pics, in denen Kian wechselnde Leute umarmt, während beide Selfie-Posen machen oder sich übertrieben fotogen küssen. Kian mit anderen Daredevils. Kian erneut mit dem hässlichen Chromdoggo, Kian und Eyegle, die lachend versuchen, die Kamera zuzuhalten, während sie herummachen, Kian mit einer Stripperin. Und, die ältesten Pics: Kian achtzigmal hintereinander mit einer hübschen Frau, die Tücher in verschiedenen Rottö nen um ihr Haar geschlungen hat.
Die Likes, Danai!, ermahnte sie sich selbst. Sie war gerade dabei, in das bodenlose Loch des Pixxor-Stalkings zu fallen. Sie rettete sich, indem sie auf die Schaltfläche tippte, von der aus sie durch das Erstellen eines neuen Accounts gelotst werden sollte. Sie starrte das Tablet grimmig an.
Sie war jetzt Free-Turflerin. Wenn sie als Jockey über Wasser bleiben wollte, brauchte sie Kohle. Reichweite.
Likes.
Fünf Minuten später hatte »Princess Daredevil« ein Profil. Das Bild zeigte ihren Helm: das Visier abgedunkelt, das Logo abgekratzt, sicherheitshalber darüber noch eine rote Zeichentrickkrone gesetzt, die sich um sich selbst drehte. Am längsten hatte sie noch gebraucht, um ein Kronen-Meme zu finden, das als perlenbesetztes Amacubi durchgehen konnte. Nicht nur die Tätowiererin konnte sich mit ihrem irdischen Erbe brüsten, Danai hatte das auch drauf, oder nahm es sich zumindest vor. Im Corp-Turf war dein Corp Teil deiner Identität – ein großer und immens wichtiger Teil. Hier im Free-Turf brachte es Likes aka Reichweite aka Kohle, möglichst nicht ganz so zu sein wie alle anderen.
Sie gab allen Mitgliedern der Daredevils ein Follow, und weil sie übermütig geworden war, erstellte sie sich ein vorerst passives Konto auf Loggtube und abonnierte da ebenfalls ihre zukünftigen Wingpals, ebenso wie die einflussreichsten Jockeys des Kobeni-Gürtels. Sie wollte schließlich noch etwas lernen, bevor sie mit eigenen Inhalten online ging.
Danach lehnte sie sich zurück, beobachtete, wie die Daredevils ihr zurückfolgten und hatte ein merkwürdiges Gefühl zwischen Leere und Befriedigung, ganz so, als hätte sie gerade mit der falschen Person herumgemacht.
Die Daumen nach unten gaben Kian ein miserables Gefühl
Er hatte das Übungsgefecht mit der Prinzessin zwar aufgezeichnet, aber nicht live gestreamt, weil es ihm wenig ruhmreich erschienen war, zu dritt gegen eine einzelne Pilotin anzutreten. Selbst im Nachhinein hatte er es nicht zusammengeschnitten und hochgeladen – auch wenn es Interesse für die Neue wecken würde, nagte es doch zu sehr an seinem Stolz, wie sehr Danai Tabs, Nean und ihn nassgemacht hatte.
Nean hingegen kannte diese Zurückhaltung nicht. Er hatte das Gefecht erst aus der Ego-Perspektive aufgenommen und dann aus dem Cockpit Tabs’ Untergang und Kians Kapitulation dokumentiert. Ein ruhmloses Match: Das bisschen Social-Media-Fame, das sie für die geheimnisvolle Fremde in ihrem kennzeichenlosen Konzernjäger erhielten, wurde davon untergraben, dass diese sie so eiskalt abservierte.
Das Vid hatte mehr Dislikes als Likes, die Kommentare waren hämisch, und Kian hatte ein paar Dutzend Follower verloren, weil er von Nean markiert worden war.
»Mann, Nean, du Smashwit, danke für nichts«, grollte er als Sprachnachricht.
»Diese Princess und unsere Follower sind die Smashwits, Bro, man sieht doch, dass das eine freundschaftliche Begrüßung in der Gang ist. Ich versteh die Dislikes nicht. Undankbare Bande«, kam sofort zurück. Nean starrte anscheinend auch auf die Daumen unter dem Vid.
»Die Dislikes haben wir uns nicht mit irgendeiner netten Begrüßung verdient, sondern damit, dass wir voll ablosen, Nean!«, nahm er auf, doch bevor er es absenden konnte, meldete ihm sein Stalker-Programm, dass eine anonyme Person, die sich kurz darauf ein Profil namens »Princess Daredevil« erstellte, auf seinem Account herumwühlte, der natürlich öffentlich war, aber, verdammt, er fühlte sich trotzdem plötzlich, als hätte er die Hosen unten! Und dann, das Wildeste, gab sie ihm ein »Follow«.
Er sah zur Tür. Ihre Kabine lag gerade einmal fünf Meter den Korridor hinab. War sie auf seiner Sechs, scharf auf ihn, oder was? Er machte einen verächtlichen Laut zu seinem Tablet. Das sollte sie nur mal versuchen, für diese Art Mensch war er sich glatt zu schade.
Obwohl sie ein Snack war.
Kian schickte die Nachricht an Nean ab. Er musste an seiner Karriere als Gramstar arbeiten. Vielleicht werd ich ja irgendwann mit Princess geshippt, schoss es ihm durch den Kopf. Das bringt auch Fame.
»Hey«, kam eine neue Nachricht von Nean. »Die Prez hat gerade Infos zu einem neuen Run auf den Server geladen. Du Kackn00b bist dabei, Prophet. Tabs auch. Zeit für dich, nicht abzulosen.« Kurze Zeit später kam eine zweite. »Du musst unseren guten Ruf wiederherstellen, my boy. Verkack das nicht!«
Kian lachte laut auf und öffnete mit einer Geste den Server mit den Details zum Run. Er nahm dabei eine weitere SpraNa auf: »Egal, ob verkackt oder gerockt, ich mach das nur für mich, Nean, Bro. Such dir deine eigenen Likes! Meine kriegst du nicht.«
Offenbar hatten das Leben als Konzernpilotin und das als Chopper-Jockey eine wesentliche Gemeinsamkeit: Kurze Phasen lebensbedrohlicher Action wechselten sich mit langen Phasen ab, die nur aus Warten bestanden. Mit Warten begann auch Danais erster Run für die Daredevils.
Die Staffel versteckte sich im Bouman-Asteriodenfeld, zwischen den Überresten eines Planeten, der von der Gravitation eines Schwarzen Lochs im Zentrum des Systems auseinandergerissen worden war und nun langsam, aber unaufhaltsam auf spiralförmigen Bahnen in das masseverschlingende Ungetüm stürzte. Danai drängte sich der Vergleich mit einem gefräßigen Bengel auf, der sich eine Lakritzschnecke reinzog.
Sie blickte aus dem Cockpitfenster, dessen Scheiben nahe der Stahlverstrebungen leicht beschlagen waren, auf das kosmische Spektakel, das wie für sie veranstaltet wurde: das Schwarze Loch, durch den Gravitationslinseneffekt von einem Halo aus Licht umgeben, davor ein glitzerndes Meer zwischen den Asteroiden, hervorgerufen durch zahllose Eiskristalle, die das Licht des Halos reflektierten. Das Wechselspiel der Gravitationsfelder des Schwarzen Lochs und der größeren Asteroidenbrocken würde einen Flug Richtung Zentralgestirn zu einem Höllenritt machen, lange bevor die Zeitdilatation irgendwelche Schweinereien mit dem eigenen Alter anstellte. Zum Glück hielten sich die Daredevils bei diesem Job nur in den Randbereichen der Anomalie auf.
Sie lauerten versteckt im Sensorschatten von Asteroiden nahe der Förderstation Kruger XXIV, von der aus die Minkowskium- und Gravitoniumvorkommen des Asteroidenfelds gefördert wurden – die beiden wertvollsten Rohstoffe der Galaxis, die nur in der Nähe von außergewöhnlich starken Gravitationsfeldern oder Wurmlöchern vorkamen. Das zähflüssige Minkowskium erlaubte nach der Raffinerie das Reisen auf Highways, also durch Wurmlöcher, während Gravitoniumerz essenziell zum Erschaffen künstlicher Schwerkraftfelder auf Raumstationen war und auch in den Trägheitsdämpfern ihres Choppers mitwirkte.
Kruger Cybernetics verlegte heute sein Hauptquartier mit mehreren Konvois in eine schicke, nigelnagelneue Raumstation drei Highwaytransits von ihrem alten HQ entfernt. Die Konzernleitung hatte versucht, das genaue Datum geheim zu halten, aber so eine große Aktion ließ sich nicht wasserdicht verschleiern, wenn man wusste, wen man bestechen musste. Einer dieser Konvois nahm bei Kruger XXIV auf dem Weg noch eine große Ladung Gravitonium an Bord eines ihrer Frachter auf, bevor er über den Highway den neuen Firmensitz ansteuerte.
Bei Kruger Cybernetics handelte es sich um den Hauptkonkurrenten von Bulldoxx, des wichtigsten Sponsors der Daredevils. Das hässliche Logo der Firma prangte nun auch auf dem Flügel ihrer Slipstream: eine fiese, vercyberte Bulldogge – identisch mit dem Bulldoggenmodell, das Mama ständig mit sich rumschleppte. Ekel überlief Danai, wenn sie daran dachte, wie Mama das sabbernde Werbegeschenk ständig auf die Schnauze küsste. Zum Ekel gesellte sich das ungute Gefühl, dass Danai selbst, beziehungsweise ihre Abwesenheit in früher Kindheit, vielleicht die Ursache für dieses merkwürdige Verhalten war. Hatte Mama vielleicht am Ende doch noch mütterliche Instinkte entwickelt? Hatte sie einen Ersatz für ihr verlorenes Mädchen gesucht? Marlene hatte den Köter selbst im Cockpit ihrer Starstallion in einem eigens angefertigten Sitz und einem albernen winzigen Druckanzug an ihrer Seite.
Beide Firmen, Bulldoxx und Kruger Cybernetics, waren jedenfalls groß im Geschäft kybernetischer Körpermodifikationen, die Tiere stellten bei Bulldoxx nur einen Nebenzweig dar. Einen Umzug des Hauptkonkurrenten konnte sich Bulldoxx natürlich nicht entgehen lassen.
Der Konvoi machte sich gerade daran, von Kruger XXIV abzudocken und am Asteroidenfeld vorbei den Kurs Richtung Highway-Auffahrt zu nehmen, dem Eintrittspunkt des Wurmlochs.
»Okay, meine Schätze, gleich geht es los!«, sendete Deardevil mit guter Laune und geringer Signalstärke, um ihren Hinterhalt nicht auffliegen zu lassen. »Angriffsrotte bereit?«
»Garuda bereit, fühlt sich aber von ›Schatz‹ nicht angesprochen«, ließ sich die Vice-President vernehmen, und Danai witterte ein altes Spiel zwischen den beiden.
»Bacon schön knusprig«, antwortete eine raue Männerstimme.
»Yokai und Kami hier. Kann jederzeit losgehen«, bestätigte Yokai, die Pilotin des Zweisitzers.
»Sehr schön. Scan-Team?«, fragte Deardevil weiter.
»Eyegle unsichtbar, aber anwesend«. Eyegle prahlte immer ein bisschen mit xieser sensorabweisenden Tarnbeschichtung.
»Prophet bereit.« Kian war mit von der Partie, im Gegensatz zum callsign-losen Nean, der wohl noch nicht so weit war. Kians Chopper verfügte über die leistungsstärksten Sensoren. Seine Teilnahme machte also durchaus Sinn, auch wenn es bei einem eher riskanten Einsatz wie diesem hier für den Prospect gefährlich werden konnte.
»Was macht das Partyboot?«
»Purple bereit«, antwortete die Sergeant-at-arms. Sie führte die Enforcer des Enterkommandos an Bord eines Kanonenboots an.
»Und wie sieht es mit dem Backup aus?«
»Princess bereit«, meldete Danai ordnungsgemäß.
Eine kleine Pause trat ein. »Tabs hier, äh …, Tabs tritt gleich in ein paar Ärsche dank ihres brandneuen Zielcomputers!«
Ausgerechnet Tabs. Deardevil hielt es für eine gute Idee, Danai mit Tabs zu versöhnen, indem sie sie in eine Zweier-Rotte steckte. Ganz tolle Idee. Danai war zwar die Queen dieses Backups und Tabs ihre Flügelbro, aber ob Tabs irgendwelche Befehle befolgen oder ihr sogar den Rücken decken würde, blieb zweifelhaft. Danai konnte wohl schon froh sein, wenn Tabs sie nicht rein zufällig mit einem Bandit verwechselte und abschoss.
»Hier kommt der Konvoi. No Yolo, wir lassen sie passieren. Alles wie besprochen. Und jetzt, meine Schätze: Funkstille«, ertönte die Stimme ihrer Mutter aus dem Comm.
No Yolo – Danai kannte den Ausdruck nur außerhalb des Cockpits, wo er offenbar bedeutete, dass man etwas nicht anzüglich oder sexuell meinte.
»Staffelführerin bitte kommen. No Yolo? Befehl unklar, bitte spezifizieren«, sagte sie und erhielt als Antwort Tabs’ ungläubiges Lachen aus dem Comm. »Dass wir kein unnötiges Risiko eingehen sollen – also, das, was dir dein Konzern eh immer eingebläut hat!«
Danai verdrehte die Augen. Wie konnte diese Mission ohne jegliche Disziplin ein Erfolg werden? Sie beobachtete – die Sicht nur von wenigen Gesteinsbrocken behindert – wie die Jäger der gegnerischen Vorhut an den lauernden Daredevils vorbeischossen. Etwas später schoben sich die massigen Rümpfe der Frachter schwerfällig ins Sichtfeld. Etwa ein Dutzend Transporter zog an ihnen vorbei wie eine Walschule der alten Erde auf ihren Wanderungen. Dann ertönte Deardevils Stimme erneut.
»Angriffsrotte … und Action!«
Die Sensoren ihrer Slipstream registrierten, wie die Systeme von vier Choppern zum Leben erwachten. Triebwerke und Waffensysteme wurden hochgefahren, und auch der Livestream ins Datanet wurde freigeschaltet. Neben dem Gravitonium winkten ein paar Likes als Beute, was auch ihrem Sponsor ein paar Verkäufe als Nebeneffekt einbringen sollte. Danai selbst übertrug natürlich noch nichts live ins Datanet, um ihre verdeckte Position nicht an Follower zu verraten, die ihnen nicht wohlgesonnen waren. Streamsniper lauerten überall und durchforsteten auch für Konzerne das Datanet, um die Positionen gegnerischer Parteien zu verraten.
Nun konnte Danai das Triebwerksglühen der vier Jäger auch schon visuell ausmachen, als sie sich aus dem Asteroidenfeld katapultierten und wie Raubvögel auf die Jägereskorte am hinteren Ende des Konvois stürzten. Ein Schwarm Raketen löste sich von Deardevils Starstallion, und eine Explosion zeugte von einem ersten Abschuss – Danai sah das Notsignal des Schleudersitzes. Sie hatte sich immer schwer vorstellen können, dass ihre Mutter in ihrem sichelförmigen Raumüberlegenheitschopper als Ass mit weit über hundert Abschüssen bekannt war, doch jetzt fragte sie sich, wie sie daran hatte zweifeln können.
Die Daredevils hatten ihre Gegner wie geplant völlig überrumpelt und schnell die Oberhand gewonnen. Der Weltraum war erfüllt von Leuchtspurgeschossen, abgefeuert von sich gegenseitig jagenden Maschinen. Dazu gesellten sich Explosionen der Flugabwehrgranaten der großen Schiffe. Aber nur wenige Frachter waren bewaffnet, ihre Ziele waren ohnehin zu klein und das Risiko war zu groß, mit Schüssen ins Getümmel die eigenen Jäger zu treffen.
»Jetzt der Scan, identifiziert das Paket!«, befahl Deardevil, woraufhin sich Eyegel und Prophet auf den Weg machten, um den Frachter mit der Gravitonium-Ladung zu suchen.
Die vier Jäger der Vorhut hatten beigedreht und tauchten nun viel früher als erwartet auf Danais passiven Sensoren auf. Die Angriffsrotte war noch mit der Eskorte beschäftigt. Solche Eskortstaffeln waren normalerweise nicht gerade mit der Crème-de-la-Crème einer Konzern-Top-Gun-Akademie oder mit hochbezahlten Leuten besetzt, sondern mit im Schnellverfahren ausgebildeten Schmalspurpiloten, Masse statt Klasse. Aber auch unter diesen befand sich dann und wann ein Naturtalent, das ein paar Chopper-Jockeys ins Schwitzen bringen konnte.
Wenn das so weiterging, würden Eyegel und Prophet ohne Bedeckung durch die anderen auf dem Präsentierteller sitzen. Die vier Bandits würden jeden Moment an Danais Position vorbeiziehen.
»Princess an Staffel. Greife ein. Tabs, schnapp dir den vordersten Bandit, dann zurück an meinen Flügel!«
»Äh … ja, klar. Ich … mach ich!« Danai hoffte, dass Tabs die Anweisung verstanden hatte, irgendwie hatte sie ein ungutes Gefühl nach dieser Antwort.
Princess’ Finger glitten eilig über die Kontrollen, um die Systeme ihres Choppers hochzufahren, und streiften dabei das daran geschraubte Pik Ass. Nur einen Augenblick später tauchte ihre Jagdmaschine hinter dem Gesteinsbrocken auf, in dessen Sensorschatten sie sich verborgen hatte, und schoss in dem Moment aus dem Asteroidenfeld, als die vier Bandits sie passierten. Rechtzeitig fiel ihr noch ein, das neue Feature ihres Choppers durch Umlegen eines Kippschalters zu aktivieren, den sie gestern erst selbst ins Cockpit eingebaut hatte: den Stream in ihren neuen Datanet-Channel, den sie jetzt, da ihre Position ohnehin nicht mehr verborgen war, aktivieren konnte – nein: sollte.
Kaum hatte sie das Asteroidenfeld hinter sich gelassen, deckte sie die hinterste Maschine mit Salven aus ihren Bordgeschützen ein. Einige schrappten über die Panzerung, aber ein paar Projektile schlugen ins Innere ein. Ihr Ziel begann zu trudeln.
Die vier Konzernjäger, Sparrows – günstige Standard-Mehrzweckjäger und Massenware – stoben auseinander wie ein Schwarm Fische vor einem zubeißenden Hai. Danai ließ sich nicht abschütteln, blieb am Heck ihres beschädigten Gegners kleben und traf das Triebwerk. Die Maschine brach auseinander, aber der Pilot wurde in letzter Sekunde von der Sicherheitsautomatik aus dem explodierenden Raumjäger geschleudert. Ihr erster Abschuss als Chopper-Jockey!
Danai schob in solchen Situationen den Gedanken beiseite, dass das hier keine Übung war und Menschen sterben konnten. Sie hob sie sich für später auf, für die tiefsten Stunden der Nacht, in denen die Schutzschilde aus Rationalität und Abgebrühtheit heruntergefahren waren.
Zwei Jäger drehten bei und kamen auf sie zu, der verbliebende dritte schoss Richtung Frachterkonvoi davon.
Wo zur Hölle steckte Tabs?
»Tabs? Brauchst du ’ne Extra-Einladung? Dein Ziel macht sich gerade davon, um deine Bros aus dem All zu blasen. Und mir kleben zwei Bandits am Arsch!«