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»Ich … kann nicht! Versmashter Dreck! Meine Systeme fahren nicht hoch!« Die Stimme klang panisch. Danai glaubte nicht, dass das irgendein abgekartetes Spiel war, um sie in Schwierigkeiten zu bringen. Tabs hatte eben schon zögerlich geantwortet. Sie hatte mit einem neuen Zielcomputer geprahlt, also hatte sie offensichtlich vor kurzem an ihrem Chopper herumgeschraubt und etwas eingebaut, das ein bisschen zu gut war, um wahr zu sein. Das Reaper-Virus musste in ihrem Zielcomputer eine potenzielle Gefahr erkannt haben und hatte ihren Chopper lahmgelegt. Wahrscheinlich wollte sich Tabs keine Blöße geben und hatte Deardevil trotz ihrer Systemausfälle Einsatzbereitschaft signalisiert – und Danai musste es nun ausbaden. Dies Gehabe manövrierte sie alle in die Scheiße!
»Bleib, wo du bist. Ich lock sie von dir weg!«
Sie öffnete einen Kanal zum Rest der Staffel und wurde mit einem Geschnatter aus Funksprüchen empfangen.
»Ziel markiert.«
»An meiner Sechs, könnte mir den jemand vom Hals schaffen?«
»Passt auf dieses Flakfeuer auf! Ich schnapp mir das Geschütz, damit du einen Angriffsvektor findest.«
»Friss das, du Corp-N00b! Yeah! Hab ihn! Siebter Abschuss! Mein Like-Zähler dreht sich wie irre, werte Bros!«
»Rock Drei. Torpedo unterwegs … und Treffer! Ziel manövrierunfähig.« Das war Prophets Stimme.
»Partyboot: Los geht’s, schnappt euch das Paket!«, antwortete Deardevil.
Danai warf ein »Hier Princess. Ein Bandit auf dem Weg zu euch, ich beschäftige den Rest!« in die Runde.
Sie war wieder ins Asteroidenfeld abgetaucht, um ein wenig Deckung vor den stetig spuckenden Bordgeschützen ihrer beiden Verfolger zu finden. Sie musste die gesamte Aufmerksamkeit dieser Smashwits binden, damit sie nicht Tabs’ hilflos im All hängenden Chopper entdeckten. Also tauchte Danai noch tiefer ins Asteroidenfeld ein, mit direktem Kurs aufs Schwarze Loch.
Jetzt bemerkte sie die unvorhersehbaren, aus verschiedenen Richtungen zerrenden Anziehungskräfte der Gravitationsanomalien ihrer Umgebung. Das Gravitoniumerz wechselwirkte auf rätselhafte Weise mit dem schwarzen Loch und erzeugte ein unberechenbares physikalisches Chaos aus hin- und herziehender Schwerkraft. In letzter Sekunde konnte sie einem großen Brocken, der unvermittelt vor ihr auftauchte, ausweichen. Eine Kollision mit einem der kleineren schüttelte ihre Slipstream durch und zog eine große Schramme über die linke Seite. Die plötzlichen Richtungswechsel und verrücktspielenden G-Kräfte nahmen ihren Orientierungssinn in die Mangel. Es war eine verdammt riskante Vorgehensweise, um die beiden Verfolger loszuwerden, aber sie wirkte. Ihre Sensoren registrierten in diesem Moment einen Feuerball auf ihrer Sechs, kurz gefolgt von einem zweiten.
Das war’s. Sie drehte ihre Maschine in einem weiten Bogen und machte sich unbehelligt auf den Rückweg. Ausmanövriert – Treffer und versenkt.
Als sie den Konvoi erreichte, war die Schlacht vorbei: keine Verluste. Erst war es ihr unsinnig erschienen, mit einem zusammengewürfelten Haufen aus Choppern und Jockeys mit so unterschiedlichen Stärken und Schwächen eine koordinierte Konzerneskorte anzugreifen, deren baugleiche Jäger einander optimal unterstützen konnten. Aber die Daredevils wussten, was sie taten. Auf dieser Seite eines Überfalls von Free-Turflern gegen Corp-Turfler hatten sie eindeutig mehr Erfahrung.
Der Zieltransporter war von Purples Enforcern aufgebracht worden. Danai hatte diese Leute als irgendetwas zwischen Schlägertrupp und Ex-Konzernmarines kennengelernt, die nun gerade die Ladung auf eine eigene Transportfähre schafften. Das waren die harten, kantigen Leute gewesen, die im Loco Hana weniger geprahlt und dafür mehr getrunken hatten.
Außerdem schien Danai mit ihrem Abschuss und dem Stunt im Asteroidenfeld einen fulminanten Start ihrer Gramstar-Karriere hingelegt zu haben. Ihr Stream, mit quantenverschränkter AnsVi-Tech-Kommunikation ohne Zeitverzögerung durchs Datanet an die Endgeräte in der ganzen von Menschen besiedelten Galaxie gesendet, wies bereits tausende Likes und hunderte Kommentare auf.
Ihr Sponsor würde wahrscheinlich sehr zufrieden sein.
»Unser Sponsor ist noch nicht zufrieden«, sendete Deardevil an die Staffel auf einem geschlossenen Kanal. »Bulldoxx hat entschieden, dass das Saubermann-Image nicht genug Aufmerksamkeit erzeugt. Ein bisschen Tabubruch muss her, ein bisschen Schock.« Sie schwieg kurz. »Wir sollen die anderen Transportschiffe aus dem All schießen.«
Die schwerfälligen Frachter waren ohne Geleitschutz leichte Beute. Danai sah sie in ihrer Zieloptik, und ihr wurde schlecht.
Wehrlose Beute ohne wertvolle Fracht. Bei einem Umzug dieser Art befanden sich neben kostbaren Gütern auch sicherlich eine Menge ausgebeutete Angestellte und deren Familien an Bord.
»Princess an Staffelführerin. Befehl bitte bestätigen. Wir sollen das Feuer auf Wehrlose eröffnen?«
Sie stotterte leicht beim letzten Wort, was ihr im Cockpit sonst nicht passierte. Nein, sie mochte als Ex-Konzernass das Ausführen von Befehlen strenger sehen als die anderen Jockeys der Staffel, aber diesen würde sie verweigern. Sie war doch nicht bei Hadronic von der Fahne gegangen, um nun Unschuldige abzuknallen! Und sie würde auch nicht zulassen, dass ihre Wingpals das taten.
Nicht schon wieder.
»Spinnst du, Liebes? So was machen die Daredevils nicht«, knurrte ihre Mutter zurück. »Im Disclaimer steht, wir streamen orange! Ich begeh doch keinen Datanet-Selbstmord!«
Danai verstand den letzten Teil nicht ganz, gab es eine Altersfreigabe für die Daredevils-Streams? Orange … wie in ab 16? Sie erlaubte es sich aber bereits, erleichtert auszuatmen.
»Wir sagen einfach, dass wir abhauen mussten, weil Verstärkung unterwegs war. Da konnten wir nichts machen.«
»Nein«, wiederholte Princess, »da konnten wir nichts machen.«
»Dann, Daredevils, Schätze. Schöner Run, Mission erfolgreich. Schleppt jemand Tabs ab? Bacon führt uns über den Highway wie immer. Ab nach Hause!«
Kian scrollte sehr zufrieden durch die Liste seiner neuen Follower. Der Run hatte einiges gebracht, obwohl oder vielleicht sogar weil sie bei der Orange-Freigabe geblieben waren. Danach warf er einen Blick auf das Programm, das ihn über die Unfollows informierte, und ihm klappte die Kinnlade herab: PrincessDD war ihm entfolgt!
Was denkt sie sich dabei? Er rief Details auf. Sie war ihm nicht einfach entfolgt. Sie hatte ihren Account gelöscht – nach der Rückkehr vom Run! Er starrte auf den leeren, ausgegrauten Account, und in diesem Moment rief seine Ex an.
Das Videocall-Symbol in der rechten oberen Ecke blinkte auf, und die Boxen unterbrachen das Basswummern des Jockeybeats für einen nervigen Klingelton.
Er lehnte die Anfrage der im undurchsichtigen Rand des Tablets integrierten Kamera ab und nahm den Anruf nur per Audio entgegen. Neval wusste, wie sehr er Videochats hasste, konnte sie ihm nicht wie jeder normale Mensch eine Message diktieren?
»Yo, Neval«, sagte er. Die Antwort dröhnte so laut aus den viel zu hoch geregelten Lautsprechern in jeder Zimmerecke, dass er zusammenzuckte: »Kian. Kannst du nicht die Kamera anmachen?«
Mit schmerzverzerrtem Gesicht verringerte er die Lautstärke. Ihr Gesicht war auf seinem Bildschirm erschienen, eine steile Falte stand zwischen ihren ausdrucksstarken Augenbrauen, vermutlich, weil sie statt seines Gesichts nur ein Pic seines neusten Tattoos sah.
»Mach du sie doch einfach aus«, schlug er mürrisch vor.
Sie seufzte. »Hätte dich gern gesehen, das ist alles.«
Er seufzte ebenfalls und schaltete die Kamera nun doch an. Die Falte zwischen Nevals Augenbrauen verschwand nicht ganz, glättete sich aber etwas. Kurz musterten sie einander.
»Du hast noch mehr Tinte im Gesicht«, sagte sie schließlich. Er musterte sie, das runde stupsnasige Gesicht mit den drei Leberflecken auf der rechten Wange. Die schwarzen Haare waren zurückgebunden und verschwanden unter einem dunkelroten Tuch, das sie um ihren Hinterkopf gewickelt hatte. Sie sah gut aus, aber auch ein bisschen staubig. Der Hintergrund war dunkel, er konnte nichts erkennen. Für eines jedoch reichte das Licht, das die Kamera fing: »Du hast Sommersprossen. Wusste gar nicht, dass du Sommersprossen kriegst. Sweet. Bist du irgendwo, wo es Sonne gibt?«
»Ich bin auf Valoun II«, brachte sie hervor und strich sich kurz über die Augen, als müsste sie sich wieder unter Kontrolle bringen. Als hätte sie sich gerade an seiner Schulter ausgeweint.
»Immer noch auf deiner humanitären Mission, ja?« Er wollte eigentlich nicht spotten. Sie hatten die Akademie beide verlassen, sie hatten beide einen Grund gehabt, und ihrer war objektiv weit, weit besser als seiner, das war ihm klar. »Klingt mir langsam nicht mehr nach einem Sabbatical.«
»Ist es auch nicht mehr. Hab das Studium geschmissen.«
Das wusste er natürlich. Er stalkte schließlich auch ihren Account.
»Ist was passiert?«, tastete er sich vorsichtig vor.
»Ja. Ja, es ist was passiert. Guckst du die Videos von SisX auf PolitiX nicht mehr?«
»Hab … also … schon, die haben sich aber etwas angesammelt.«
»Zu viel Jockey-Kram zu tun, was? Gramstar werden und so?« Der Spott war nun unüberhörbar. Nein, es war nicht mal richtiger Spott. Es war Enttäuschung, ganz so, wie seine Gramma geklungen hatte, als er das Navigstudium geschmissen hatte.
»Urteile ich über deine Lebensentscheidungen?«, knurrte Kian.
»Weiß ich nicht. Jedenfalls: Falls du Mainstream-Medien guckst – da reden sie nicht über Valoun II. Aber der PolitiX-Kanal hat von uns allen die Vids angefordert, alles an Bildmaterial, und sie analysieren, was das Zeug hält.«
»Okay, soll ich mich erst durch SisX’ neuste Verschwörungstheorien klicken, oder fasst du mir kurz zusammen, warum du mich anrufst?«, fragte er, mittlerweile mehr besorgt als genervt.
»Wir sind bombardiert worden. Aus dem Nichts, Kian.«
»Was, wir, im Sinne von ›Leute auf Valoun II‹, oder wir, im Sinne von ›du und der Ort, an dem du dich gerade aufhältst‹?«
»Fervintown, wo ich zwei Jahre gelebt hab! Vierunddreißig Tote! Wir sind in die Berge geflohen, haben hier einen Haufen Verletzte, drei Schwangere und ein paar Kinder, die keine Eltern mehr haben.«
»Was? Scheiße!« Was wurde das hier? Warum rief sie ihn an? »Werdet ihr evakuiert? Organisiert PolitiX einen Transport?«
»Die Schwerverletzten werden morgen hoffentlich wegtransportiert. Wir anderen … Kian, dass wir evakuieren, ist doch genau das, was der Angriff bewirken sollte. Das war ein chirurgisches Bombardement, wenige Detonationen, aber wirkmächtig. Die sollten uns nicht ausradieren, die sollten uns eine Scheiß-Angst einjagen, damit wir die Siedlungen verlassen.«
»Wer?«
»Was weiß ich, wer! Wir sind auf eine Rohstoffmenge gestoßen, Kian, die uns von armen Schluckern, die nur das Nötigste haben, zu einer autarken Gemeinschaft machen könnten! Entweder, wir haben Zorn auf uns geladen, weil wir autark sein wollen, oder Leute haben es auf die Rohstoffe abgesehen!«
»Von welchen Rohstoffen reden wir, Neval?«
Sie presste kurz die Lippen zusammen und schaute in die untere Ecke ihres Tablets. Vermutlich lief gerade parallel eine Verschlüsselungssoftware. »Die Staffel, für die du fliegst. Ihr seid okay, oder? Ihr macht Kunstflüge mit Sponsoring, Schmuggel, so was?«
»Hm«, machte Kian und befand selbst, dass das alles bedeuten konnte.
»Also, hab gehört, ihr habt so einen okayen Ruf im Datanet. Keine Attentate, Menschenhandel oder so was. Streamt maximal in orange.«
Kian hoffte, dass sie ihn nicht nach Lokkers Drogengeschäften fragte, denn sie schnitten zwar momentan im Sponsoring auch nicht schlecht ab, aber Deardevil hätte sich das Loco Hana und den Unterhalt der Gang ohne Lokkers Skywards-Tropfen wohl kaum leisten können. Die brachten die wahre Kohle, das war ein offenes Geheimnis.
»Wieso? Was soll das?«
»Kian, sag es mir einfach: Wenn ich euch dafür bezahle, herzukommen, dann schleift ihr nicht irgendwann die Hälfte der Leute hier in einen Transporter, um sie auf irgendeiner Minenkolonie als ›unfreiwillige Arbeitskräfte‹ zu verkaufen, oder?«
»Nee, so was machen wir nicht.«
»Okay, dann Folgendes: Ich rufe an, weil ich euch anheuern will.«
Er starrte in den Bildschirm. Ihre Augen begegneten sich nicht, weil sie beide rechts von der Kamera aufs Tablet starrten. Sie sah vollkommen ernst aus, ihr hübsches, ein bisschen niedliches Gesicht strahlte all die Ernsthaftigkeit aus, die zum Ende ihrer Beziehung geführt hatte.
»Das … das muss ich mit Deardevil besprechen«, sagte er langsam.
»Ich würde gern selbst mit ihr sprechen. Wenn du uns kontakten würdest.« Plötzlich so businessmäßig. Er atmete tief durch.
»Neval, wie geht es dir denn? Bist du verletzt?«
»Hab eine Metallstange durchs Bein gekriegt, aber es geht schon wieder. Ich hab Gehstützen, aber die Nanos wirken flott. Kian – wir sprechen später. Die versuchen, die Daten, die wir von Valoun aus senden, abzufangen, ich hab nicht viel Zeit. Wenn deine First Lady gerade verfügbar ist, würde ich gern die Details mit ihr besprechen.«
»Okay«, sagte Kian. »Ich … ich geb dir ihre Kontaktdaten.« Und als er diese mit dem Finger ins Chatfenster gezogen hatte, erlosch der Anruf so unvermittelt, wie er begonnen hatte. Mit einem Gefühl des plötzlichen Verlusts starrte er auf sein Tablet, während die Boxen wieder auf die Playlist umschalteten und den neusten Track von Gramsterkink durch seine winzige Kabine wummern ließen.
Planetside
//Yologram
Pic von @CowpersonYeeha
User CowpersonYeeha mit bläulich verschmierten Fingern, übers ganze Gesicht strahlend.
CowpersonYeeha:
Leute, das ist WAHNSINN!!!! Mink-Öl!!! Jede Menge! Direkt unter meiner Farm! Wenn ich das nächste Mal poste, bin ich entweder reich … oder tot, falls die Gater schneller sind als das Konzernshuttle!
Eine Faust hämmerte an Danais Tür.
Danai hörte am Klirren des Schmucks am Handgelenk, dass es ihre Mutter war. Sie hatte nie eine Kindheit gehabt, in der Marlene wütend an ihre Zimmertür gehämmert hätte – das hatte alles Danais Vater übernommen, oder eine der immer wieder wechselnden privaten Betreuungspersonen, denn als Teil des gehobenen Managements hatte Efhosa Nhira nicht immer Zeit für Gespräche mit einer bockigen Pubertierenden gehabt.
Danai drehte sich in ihrem Stuhl um, in dem sie im Schneidersitz hockte und rief: »Herein!«
Die Tür entsperrte sich. Hier im Devil’s Rock mochte es nicht viel stimmgesteuerte Technik geben, aber Türschlösser mit Stimmerkennung waren überall an der Tagesordnung.
Nicht nur Mama stand mit dem Cyberköter auf dem Arm im Türrahmen, sondern auch der breitschultrige Kian, der zwar in Mamas Schatten zu verschwinden versuchte, dem das aber nicht gelang. Was auch an seinen verdammten leuchtenden Tattoos liegen konnte. Einfach lächerlich.
»Yo, Mama«, sagte Danai, und ihre Mutter presste die heute tieflilafarbenen Lippen aufeinander.
»Kian hier wird deinen Account wiederherstellen. Mit den Likes, Danai, und ich dulde keinen Widerspruch.«
»Als meine Mama oder als meine Queen?«, fragte Danai gedehnt.
»Als deine versmashte President, junge Frau!«, zischte Mama. »Was fällt dir ein, den Account zu löschen?«
»Was fällt euch ein, ihn so zu pushen? Ich hab keinen Bock auf Likes-Melken, ich hol mir keinen drauf runter wie ihr!«
Sie sah, dass Kians vorher leicht betretener Gesichtsausdruck hart wurde. Solange beim Wort Runterholen nichts anderes an ihm hart wird. Marlene nutzte die Tatsache, dass sie sich an einem Wort verhakt hatte, um sie zu unterbrechen, statt abzuwarten, bis das Stottern vorbei war, wie es jede höfliche und normale Person tun würde.
Wie es vielleicht zwanzig Prozent höflicher und normaler Personen tun …
»Danai, du bist jetzt …«
Danai hatte sich wieder gefangen. »Es ist mir zu gefährlich. Ich hab keinen Bock da drauf. Die Konzerne haben meine ganze Laufbahn über Flugmustererkennungsdaten gesammelt. Mein Ex-Arbeitgeber, aber auch die wichtigen Konkurrenzfirmen. Setzen Headhunter drauf an, die Talentiertesten …« Diesmal wartete Mama das Stottern ab, das unweigerlich vor dem Vokal A wartete. »… abzuwerben. Oder Spectres, um sie runterzuschießen. Wenn ich fliege und das streame, dann habt ihr die bald hier. Und mich dann nicht mehr lange.«
Mama ließ den Köter runter, tätschelte ihm kurz über den Kopf, als vergäße sie dabei die Unterhaltung, und verschränkte dann die Arme.
»Hier? Im Free-Turf?« Sie lachte spöttisch mit ihrer rauchigen Stimme. »Mach dich nicht lächerlich. Die kommen hier nicht an dich ran. Nicht mit den Daredevils als Wingpals!«
»Mama«, seufzte Danai. »Ich will lieber …« – anonym fängt mit A an – »… unerkannt bleiben!«
»Dich hier bei uns aufzuspüren wäre selbst für Spectre-Ops eine Selbstmordmission«, ließ sich nun Kian verlauten, der bislang geschwiegen hatte. Seine Stimme wollte nicht so ganz zu seiner Erscheinung passen, er klang jünger, als er aussah. Da sie vor wenigen Minuten noch seine Stimme in einem seiner Vids gehört hatte, wurde ihr bewusst, dass er sie dort offenbar ein wenig modifizierte.
Damit sie tiefer klingt. Als harter Ganger willst du dir doch nicht nachsagen lassen, du hättest eine Jungenstimme.
»Kian«, sagte sie langsam und vielleicht so, als spräche sie mit jemandem, der jünger war, als Kian es tatsächlich war. »Du hast gesehen, wie ich fliege. Du hast gesehen, wieviel besser als ihr ich bin, ja? Weißt du, warum ich so viel besser bin?«
Er versuchte, nicht zu reagieren, wenn sie stotterte, aber seine Augenlider zuckten nervös.
»Weil du Marlenes Tochter bist. Es kotzt mich zwar an, das zu sagen, aber: du fliegst verdammt geil.«
»Ach, du bist ein Schatz, Kian, dear«, kicherte Mama und sah ihn auf eine so … zärtliche Weise an, als habe sie ihn adoptiert und vergessen, es Danai zu sagen.
»Nein. Weil ein Haufen Geld in meine Ausbildung, meine Ausrüstung und meine Nervenmods gepusht wurde, Kian, dear«, äffte Danai ihre Mutter nach. »Deshalb fliege ich so verdammt geil.«
»Talent war nicht dabei? Wieso waren diese Konzernjäger dir dann so unterlegen beim Run?«
»Weil unterschiedliche Mengen an Credits in uns hineingepumpt wurden. Talent spielt auch eine Rolle, aber nicht so viel, wie du meinst.«
»Ich bin selbst Pilot!«, stieß er hervor und musterte sie wütend, wie sie da – hoffentlich äußerlich gelassen – im Schneidersitz auf ihrem Stuhl saß.
»Ja, dann siehst du ja, was Geld ausmacht«, erwiderte Danai und wusste nun wirklich nicht, inwiefern sein Argument ein Gegenargument sein sollte.
»Schluss jetzt, Kinder. Ich bin die President. Du hast deine Accounts gelöscht. Die wir brauchen, Schätzchen. Kian stellt sie wieder her, und dann pushen wir sie noch ein bisschen mit NetCoins nach oben. Und es gibt keine Widerrede, weil du Angst um deine Anonymität hast. Die ist im Moment gut für dich, die ganze Jockeywelt rätselt schon, wer du bist, dieses mysteriöse Supertalent, das drei Abschüsse in einem Run hingekriegt hat!« Danai wollte widersprechen, aber Marlene hatte sich den letzten Rest gutmütiger Mütterlichkeit aus dem Gesicht gefegt. »Kian, leg los. Gib ihm Zugriff auf dein Tablet, oder du bleibst am Boden, Princess, Abschüsse hin oder her.«
»Soll mir das Angst machen?«
»Du kannst nicht zu mir kommen, irgendwelche Gefallen einfordern und keine Gegenleistung erbringen.«
»Ich habe drei Konzernn00bs a–… runtergeknallt!«
»Aber das ist lange nicht alles, was ich von dir erwarte. Wenn du nicht anfängst, so zu ticken wie die anderen Devils, dann fliegst du, und zwar ohne Jäger. Wenn du Schiss hast, dass irgendjemand sich an deine Fersen heftest, hau die Zwillinge an, die modden deine Slipstream, bis du quasi unkenntlich bist. Die können dir limitierte KIs einbauen, die deine Flugmuster so verändern, dass du safe bist.«
»Ich will einfach nur keine versmashten Social-Media–…« Bevor sie das Wort »Accounts« hervorgebracht hatte, hatte Marlene sich umgedreht und den Raum verlassen. Danai schrie ihr einen wortlosen Laut der Frustration hinterher.
Kian stand näher als vorher.
»Also, ich soll deine Accounts wiederherstellen«, sagte er betont unbeteiligt und sah über ihre Schulter hinweg auf ihr Tablet. »Kann dich natürlich nicht zwingen, Bro.« Der Köter saß auf dem Boden und starrte sie mit leicht rötlich glühenden Augen an. Danai fragte sich, ob Mama ihn hiergelassen hatte, weil sie sie durch seine Augen hindurch beobachten konnte.
Danai entsperrte mit ihrem Daumen das Tablet und fühlte sich auf einmal kindisch und naiv – wie hatte sie denken können, sie könne über ihre eigenen Accounts bestimmen, über das, was sie sendete. Über ihr Leben!
»Yo, mach’s halt«, knurrte sie.
»Ich guck mir auch nicht die Ordner mit dem Schmuddelkram an«, grinste er im Versuch, die Stimmung aufzulockern.
»Ist das eine Anmache? Willst du mich klarmachen, oder was? Das Tablet ist brandneu, ich war sicher nicht dumm genug, da was Persönliches draufzuladen.«
»Okay. Worauf stehst du so? Bin ich dein Beuteschema?«, fragte Kian nachdenklich, während er in den Untiefen von Pixxor nach den Wiederherstellungsoptionen buddelte.
»Willst du mich verarschen?«
»Ich dachte, du willst vielleicht nicht bis in alle Ewigkeit hier in der Bude hängen. No fomo, ich steh zu deiner Verfügung.«
Sie starrte ihn an. Er hob den Blick und starrte zurück, aber die Linien auf Kinn und Stirn bewegten sich ein wenig – gut sichtbar in der mangelhaften Beleuchtung der Kabine –, als wäre er nervös.
»Was?«, fragte Danai.
»Was?«, fragte er zurück und schüttelte dann den Kopf. »Okay, eigentlich bist du nicht mein Typ.«
»Schläfst du lieber mit meiner Mutter, Kian, dear?«
Kian lachte auf und wandte sich wieder dem Tablet zu. Er antwortete aber nicht. Danai gab einen angeekelten Laut von sich.
»Was, nein, ich hab nicht mit deiner Mutter geschlafen! Also, zumindest noch nicht«, sagte er und grinste hinterlistig, als hätte er sie absichtlich so lange zappeln lassen. »Aber ernsthaft: Ich hab nicht mit allen in der Gang geschlafen.«
Er setzte sich in Ermangelung einer zweiten Sitzgelegenheit auf ihren Tisch und sah sie über das Tablet hinweg immer wieder an.
»Lass mich raten: Du erzählst mir gleich, wie du … no-fomo-mäßig eine Nummer mit den Zwillingen geschoben hast, zu der’s auf WhiteHub ein Vid in den Top Ten gibt.«
»Nee.« Er zögerte kurz. »Also, nicht, dass ich die Zwillinge nicht heiß fände, sie sind heiß. Aber erstens … Schwestern, das ist mir ein bisschen zu weird. Und zweitens stehen die Zwillinge nicht auf mich. Eyegle ist eher Yokais Fall. Was Kami heiß findet? Keine Ahnung, sie redet nicht drüber, aus ihr kriegt man selten was raus. Die mysteriöse Kami. Also, mit Eyegle hatte ich mal was, falls du das wissen willst.«
»Hab ich mir gedacht, es gab Fotos auf deinem und xiesem Profil.«
»Angezogene, hoffe ich. Für deine unschuldigen Corp-Augen.«
»Angezogen, aber eindeutig.«
»Weißt du, wir hängen halt in der Gang zusammen rum. Brokrastinieren.« Sie lachte kurz über diese typische Free-Turf-Wortschöpfung, die sie nur aus AnsVee-Shows kannte. »Haben Spaß. Mal so, mal so. Alle, wie sie mögen, weißt du. Gilt auch für dich. Wenn du willst. Nichts hilft vor einem heiklen Flug so sehr wie eine Runde Abschalten. Ist sogar gut fürs Teamwork. Ich sag’s nur. Falls du das auch als Beinahe-Ass mal nötig hast.«
Sie hob die Augenbrauen und schüttelte den Kopf.
»Okay. Muss ja nicht mit mir sein. Purple steht übrigens nur auf Frauen, falls das von Belang ist für dich.«
Danai entknotete ihre Beine und lehnte sich im Stuhl zurück. »Vielleicht«, sagte sie und lächelte kühl. Sein Blick irrte einmal an ihren Körperformen entlang und dann wieder aufs Tablet.
»In meinem alten Job war’s nicht verboten, aber ziemlich schlecht angesehen, wenn innerhalb der Staffel gevögelt wurde. Wenn ein Wingpal wegen irgendeiner Beziehungskiste sauer ist, wirkt sich das mies auf die ganze Staffel aus.«