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Kian lachte. »Klar. Weil Corp-Turfler wie du alles viel zu eng sehen. Ist doch bloß ein bisschen Gevögel, warum denkt ihr da direkt dran, dass jemand sauer ist. Vielleicht ist auch jemand so richtig gut drauf, weil sie gerade die Bettgeschichte ihres Lebens erlebt.«
»Wäre vielleicht auch mies für die Konzentration.«
»Für welchen Konzern bist du eigentlich geflogen?«
»Gar nicht«, sagte Danai eisig. »Ich war Controllerin. Rechnungswesen.«
Er starrte sie kurz an, und sie versuchte, mit keiner Wimper zu zucken.
»Du … du hast doch gerade was von Staffel gesagt?«
»Ich habe nicht gesagt, meine Staffel.«
»Du verarschst mich. Du bist eine Jockey! Du hast doch sogar die Reflexmodder!«
»Dann verarsch ich dich wohl.«
»Okay, und sagst du mir, für wen du geflogen bist?«
»Ich war Controllerin«, wiederholte sie eisern. Sie würde diesem Smashwit sicherlich nichts über ihre Vergangenheit erzählen. Wenn er beschloss, das zu NetCoins zu machen, war sie die Gearschte.
»Hundo P, dann eben nicht, Prinzessin.« Er sah auf den Bildschirm herab und lächelte sie dann an. Seine Tattoos waren wirklich irritierend in diesem Halblicht. »So, da sind die Accounts wieder. Vergiss nicht, mein neues Channel-Video zu faven, kay?«
»Hundo … P«, bestätigte sie gedehnt, er gab ihr einen Daumen nach oben und schob sich dann vom Tisch. Kurz stand er fast an ihren Knien.
Sie sah sitzend zu ihm auf. Was jetzt, wollte er es drauf ankommen lassen? Wenn er noch näherkam, würde ihr Knie sich gleich ganz woanders befinden!
»Und wenn du mal nicht im Dunkeln auf deinen Screen starren willst – deine Mit-Daredevils sind für dich da. Muss ja nichts Körperliches sein, wir können auch ’ne Runde pokern oder so was. Ein Hologame. Tetherball. Einfach abhängen mit einem Bier oder zwei.«
Damit ging er zur Tür, ohne es drauf ankommen zu lassen.
»Kein Interesse«, knurrte Danai. Vielleicht sollte ich irgendeine von ihnen flachlegen. Einfach mal ausprobieren, ob es macht, was er sagt. Aber nicht ihn. Sie dachte ein paar Sekunden nach, während sich die Tür hinter Kian schloss. Sie alle nicht, stellte sie dann fest. Sie stand eben einfach nicht auf Gang-Jockeys.
Danai strich mit dem Daumen zufrieden über die drei Sparrow-Silhouetten, die sie außen an ihrem Chopper, direkt unterhalb der Cockpitkanzel und neben ihrem Callsign Princess aufgesprayt hatte. Drei Abschüsse im ersten Einsatz. In ihrer Zeit beim Konzert hatte sie bereits deutlich mehr angesammelt, obwohl es in ihrem Job seltener zu echten Kampfhandlungen gekommen war als das im Umfeld von Jockey-Staffeln offensichtlich der Fall war. Mit fünf Abschüssen galt eine Pilotin als Ass, und sie hatte diese Marke bereits vor sieben Jahren hinter sich gelassen. Aber das war in ihrem alten Leben gewesen. Hier fing sie von vorne an.
Immerhin war der Run kein schlechter Start in diese morbide Art von Wettbewerb gewesen. Es war ein Spiel mit dem Tod, das alle, ob Chopper-Jockey oder Corp-Turf-Kampfpilotin, zu gern mitspielten.
»Na? Stolz?«, erklang eine Stimme hinter ihr. Sie wandte sich um und erblickte eine der Zwillingsschwestern. Sie war in einen Mechanikerinnen-Overall gekleidet und sah aus, als wäre sie in ein Fass mit Schmieröl gefallen. Die kleine, zierliche Frau reinigte gerade mit einem Lappen das Induktionsphalanxelement einer Bordkanone und sah zu Danai hoch. Sie trug ihr glattes schwarzes Haar als Sidecut. Ihr Callsign Yokai kam aus dem Japanischen, wenn Danai sich nicht irrte – zumindest den Namen von Yokais Schwester, Kami, hatte sie schon einmal von einem ehemaligen Kollegen gehört, der Shintōist war.
Yokai war die Schwester mit dem Cyberbein, das unter dem Overall zwar nicht zu erkennen war, sich aber durch die Art verriet, wie die junge Frau sich bewegte. Beide Zwillinge hatten sich bei einem Crash schwere Verletzungen zugezogen, hatte Deardevil erzählt, als sie die einzelnen Jockeys vor ihrer ersten Vorstellungsrunde einmal durchgegangen waren.
»A… Beginnerglück«, rief Danai von oben. Sie stand auf der Leiter, mit der man das Cockpit erreichen konnte.
»Schon klar. Anfängerglück. Ziemlich krasses Anfängerglück. Wo lernt man das?«
Danai schüttelte nur ihre Locken und kletterte die Leiter hinab. Sie standen jetzt auf Armeslänge Abstand und mussten nicht mehr schreien, um sich über die Distanz und die üblichen Hintergrundgeräusche auf dem Flugdeck hinweg verständigen zu können.
»Geht mich ja nichts an«, sagte Yokai und wechselte das Thema auf ein noch Persönlicheres: »Dein Sprachfehler … wenn ich dich über die Commleitung vom Cockpit höre, merk ich nichts davon. Wie kommt das?«
Danai presste die Lippen aufeinander. Konnten sie nicht weiter über ihre Flugkünste sprechen? Oder gar nicht reden? Wollte Yokai was auf die Nase? Aber da lag keine Gehässigkeit in ihrem Blick, auch keine Arroganz – im Gegenteil, sie strahlte Danai geradezu an, mit offener Freundlichkeit, vielleicht ein bisschen schelmisch.
Danai entschied, das so hinzunehmen. Sie zuckte nur mit den Schultern und lächelte sogar andeutungsweise zurück. Yokai fuhr fort: »Deardevils Tochter. Ich wusste nicht, dass unsere President ein Kind hat. Okay, sie ist schon der mütterliche Typ irgendwie. Habt euch nicht oft gesehen in deiner Kindheit, was?«
»Du bist ganz schön neugierig, Yokai!«
»Neugierig-Sein ist sozusagen mein Signature Move. So wie es offenbar deiner ist, wilde Stunts in verzerrten Gravitionsfeldern abzuziehen.« Sie nahm einen Kondensatorring von einem kleinen Tisch und flanschte ihn an das Bauteil in ihrer Hand an. Dabei sagte sie, ohne von ihrer Tätigkeit aufzusehen: »Komm schon, wir sind doch jetzt in einer Gang und sollten zusammenarbeiten. Dazu es ist gut, was übereinander zu wissen. Wingpals müssen sich doch aufeinander verlassen können. Selbst dort, wo du herkommst. Jetzt, wo du brofessionell fliegst, ist gegenseitiges Vertrauen noch wichtiger!«
Danai prustete. »Brofessionell? Das ist nicht dein Ernst! Soll ich mir in Punkto Slang eine Scheibe Bro-t von euch Jockeys abschneiden?« Das war doch einfach nur lächerlich. Jetzt flammte kurz Unmut in Yokais Miene auf.
Vielleicht wäre es schlau, die Lebensweise der Leute hier ernster zu nehmen, wenn sie künftig mit ihnen Flügel an Flügel fliegen würde? Die Daredevils stellten schließlich ihre letzte Zuflucht vor der Vergangenheit dar. Sie waren jetzt eben genau das: ihre Bros.
»Wir!«, betonte Yokai, wie um Danais Überlegung zu bestätigen. »Wir Jockeys. Das wolltest du doch sagen. Du gehörst jetzt zu uns.« Sie lächelte wieder breit. »Lernen wir uns doch besser kennen.«
Die Tüftlerin spannte ein Element des neumontierten Teils ihrer Bordkanone mit einem Varo-Schlüssel. Dabei sprach sie zum Bauteil, nicht zu Danai: »Hier, so läufst du wieder rund. Lass mich im nächsten Kurvenkampf nicht mehr im Stich, hörst du!« Dann wandte sie sich wieder Danai zu.
»Guck mal, es ist ganz einfach: Yokai ist mein Callsign, meine Zwillingsschwester rufst du Kami. Wir sind eineiig und uns häufig einig, in der Kuppelstadt Atara-Edo aufgewachsen, wo sich unsere Mutter immer noch mit dem Verkauf von Synthfleisch über Wasser hält – wir nennen das Zeug liebevoll Beyond Snail. Wir fliegen immer gemeinsam in einer Maschine – ich als Pilotin, Kami als Sozia –, schrauben gern an Choppern rum. Kami behauptet, ich fliege besser, sie schraubt besser, aber ich schraube auch boots gut, danke der Nachfrage. Meine Lieblingsfarbe ist mattschwarz, Kamis ist eisblau-metallic.«
Danai seufzte und ließ sich auf das Spiel ein. »Na gut. Ich komme aus dem Corp-Turf, keine Details. Bin bei meinem Vater aufgewachsen. Mama hat uns ab und zu besucht, einmal im Jahr vielleicht. Sie hatte es nicht so mit dem Familienleben, und Papa hat sein Bestes getan, mich von …« Danai machte eine umfassende Geste. »… all dem hier fernzuhalten. Alles in allem ziemlich langweilig. Mehr gibt es da nicht zu erzählen.«
So langweilig die Ausbildung in einer Elite-Raumpilotenakademie von Hadronic Inc. eben sein konnte. Aber Yokai musste ja nicht alles wissen.
»Ach ja, Schwarz ist keine Farbe und meine Lieblingsfarbe ist Türkis … was war das?«
Ein Geräusch von Metall auf Metall – ihr Blick fuhr zu ihrem Chopper. Eine weitere Person im Mecha-Overall hatte eine Leiter an ihr Triebwerk gelehnt und war mit dem Oberkörper komplett darin verschwunden.
»Was bei Immelmanns Arsch soll das?«, fragte Danai und rief dann lauter in Richtung des Geschehens: »Hey! Was glaubst du, was du da tust? Das ist mein Chopper! Sieh zu, dass du da rauskommst!«
»Keine Sorge, das ist nur Kami. Und die Brüllerei wird dir nichts bringen. Sie schaltet ihre Audioimplantate immer stumm, um konzentriert arbeiten zu können.« Danai erinnerte sich, bei Yokais Schwester ein eisblau schimmerndes Cochlea-Implantat hinter einem Ohr gesehen zu haben, sichtbar gemacht durch den Sidecut, den Kami genau wie ihre Schwester trug. Seit dem Unfall, der ihre Schwester ein Bein gekostet hatte, war sie gehörlos.
Eine Mischung aus Fassungslosigkeit über die Dreistigkeit und Sorge um ihre Slipstream überkam Danai, gemischt mit der Wut, die in diesen Tagen immer so nah unter der Oberfläche lauerte. Als Kami tatsächlich nicht auf die Rufe reagierte, packte Danai die Leiter, um diese N00b eigenhändig an den Füßen aus ihrem Triebwerk zu ziehen, aber Yokai ergriff sanft ihren Arm und hielt sie zurück.
»Warte! Sie stellt nichts an. Wir kümmern uns genauso wie die Deckcrew ein wenig um die Chopper unserer Pals.«
»Bescheid sagen wäre eine gute Idee gewesen! Und was soll das überhaupt werden, wenn es fertig ist?«
»Der Überhitzschutz ist ab Werk normalerweise zu konservativ eingestellt und riegelt früher ab, als es wirklich nötig wäre. Kami rejustiert das und kitzelt damit noch ein Quäntchen Extraleistung aus den Triebwerken heraus. Glaub mir, du wirst glücklich damit sein, bei den Runs, die wir vorhaben.«
Danai war alles andere als glücklich, aber sie hielt sich zurück. In ihrem alten Job hatte sie den Vogel auch immer Profis überlassen, und Yokai und Kami wussten sicherlich, was sie taten. Sie gab ein Schnaufen von sich, gleichzeitig Unzufriedenheit und zögerliche Zustimmung. »Hab aber keine Lust drauf, beim nächsten Flug zu explodieren«, knurrte sie.
»Guck ihr einfach auf die Finger, wenn du willst. Ist schließlich dein Chopper«, sagte Yokai.
Danai hielt jedoch noch inne. »Was meintest du mit ›bei den Runs, die wir vorhaben‹? Was steht an?«
Yokai blickte finster, als sie antwortet. »Deardevil will es nachher allen mitteilen, aber die Info macht schon die Runde, weil es ein Vid von Bulldoxx dazu gibt. Die Frakster waren unzufrieden mit der Ausführung des letzten Runs. Scheiße unzufrieden. Sie haben unsere Ausrede nicht geschluckt und den Geldhahn komplett zugedreht – natürlich erst, nachdem sie die Ladung Gravitonium entgegengenommen hatten. Vertrag aufgekündigt, Credits futsch. Die waren unser wichtigster Sponsor. Das tut richtig weh in der Gangkasse. Um das auszugleichen, werden wir riskante Aufträge annehmen müssen. Oder durch krasse Aktionen auf uns aufmerksam machen, um einen Ersatzsponsor zu finden. Das ist jedenfalls das, was üblicherweise in solchen Fällen geschieht. So oder so wird es ungemütlich.«
»Blöd«, sagte Danai, obwohl für sie, die ihr Standing in dieser Staffel verbessern musste, eine Herausforderung gerade recht kam, um sich zu beweisen.
»Blöd«, bestätigte Yokai.
»Gibt’s auf diesem Felsen eigentlich auch Gelegenheit für ehrliche A… Tätigkeit?«, fragte sie interessehalber.
»Na klar. Willst du umsatteln? Im C-Bezirk der Minen wird immer noch Erz abgebaut, aber kein Gravitonium mehr. Was sie da an seltenen Erden finden geht in die Platinenwerkstätten auf Delay-6. Dann haben wir hier ein bisschen was an Casinos und Kaschemmen für Durchreisende. Aber die meisten hier arbeiten in der Chemie: Du hast sicher schon von Lokkers Skywards-Küche gehört?«
»Ehrliche Tätigkeit in der Drogenküche?«, fragte Danai spöttisch.
»Nee, dafür ist Lokkers Labor zu klein, und er lässt sich nicht gern über die Schulter schauen.« Yokai lachte. »Lokker nutzt dafür Räume und Apparaturen von ROFL, die haben hier ihren Hauptsitz.«
»ROFL? Energydrink-ROFL? Den gibt’s sogar auf Corp-Turf in jedem Kiosk!«, entfuhr es Danai.
»Klar, Baby! Aber hier sind die Mieten günstiger!«, erwiderte Yokai, bevor sie sich alle daranmachten, ihre Chopper für die anstehenden Runs aufzumotzen.
Fire and Brimstone
Spacebook
Debatte um Altersfreigabe und Kennzeichnung auf Loggtube
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Tox-O-Meter: @SexualSalvationWarrior Ich will halt mal mehr sehen als nur ein bisschen Feuerwerk. Lass Feuer und Tod vom Himmel regnen! Das wird man doch wohl noch sagen dürfen.
Fervin hatte die Hände in die Hüften gestemmt, als Neval den Raum wieder betrat. Ihre informelle Anführerin hatte sie gebeten, noch einen Versuch der Kontaktaufnahme mit Deardevil zu unternehmen, doch weder sie noch Kian hatten auf Nevals Anruf reagiert. Von Kian war immerhin ein »Ich kann gerade nicht, melde mich« gekommen, doch sie begann zu glauben, dass er einfach keine Möglichkeit sah, seine President von diesem Einsatz zu überzeugen und deshalb das Gespräch mit ihr mied. Das hieß, sie mussten eine andere Gang bezahlen, denn mehr als ein paar Kriminelle aus dem Free-Turf würden sie sich als Luftunterstützung kaum leisten können. Aber Neval kannte nur einen Chopper Jockey, und das war nun einmal Kian. Wenn sie andere Leute bezahlten, wie konnte sie sich sicher sein, dass sie dabei nicht irgendwelchen Menschenhändlern die Tür aufstießen?
Neval hatte seit einigen Jahren die Hoffnung gehegt, dass es ihnen vielleicht sogar gelingen würde, so etwas wie eine unabhängige Ratsregierung für Valoun II zu etablieren. Es gab bereits eine Art Gremium, eine Interessensvertretung, in der die größten auf dem Mond siedelnden und grabenden Parteien Konflikte ohne Gewalt ausbügelten.
Ihre Siedlung war noch nicht Teil davon geworden. Zu klein, zu unbedeutend, auch wenn Neval immer wieder Anträge gestellt hatte, sich in ihrer Freizeit mit Regelungen anderer besiedelter Planeten herumgeschlagen und diese als Argumente zusammengesucht hatte. Ihre Bemühungen waren nie von Erfolg gekrönt gewesen, die Konzernvertretungen verständigten sich im Gremium über die Köpfe der zivilen Siedelnden hinweg. Damit war die Gefahr wieder groß, dass sich dieser Free-Turf auf kurz oder lang in Corp-Turf verwandeln würde – die einzige Frage war: In wessen Corp-Turf?
Neval presste grimmig die Kiefer zusammen. Sie hatte Konzernrecht studiert wie alle Jurastudiengänge des Kobeni-Gürtels, es gab keine andere Variante mehr. Dass sie Gerechtigkeit abseits davon suchte, war einer der Gründe, warum sie das Studium geschmissen hatte. Und jetzt war der einzige Nutzen, den sie für Fervins Gemeinschaft hatte, der, dass sie diesen einen Ex-Freund-Kontakt zu einer Chopper-Gang hatte.
Fervin, Deen, Leron, Mera und Vaya standen um das Tablet herum, das aufgestellt das Gesicht von SisX von PolitiX zeigte.
»Sollten wir als die Hauptleidtragenden da nicht auch gefragt werden?«, fragte Fervin das Hologramm von SisX.
»Ich kann es dir nicht sagen, ich bin nicht auf eurem Mond – warum werdet ihr nicht gefragt?«, entgegnete SisX. Ihr androgynes, silbernes Gesicht war ein Avatar, im politischen Dark Datanet weltenbekannt, aber unidentifizierbar. Niemand wusste, wer SisX war, aber sie stellte eine verlässliche Verbündete im Kampf gegen Konzerne dar.
»Wir sind nicht Teil des Gremiums. Das ist über die Köpfe der kleineren Siedlungen hinweg gegründet worden. Neval hier hat sich für eine Reformation starkgemacht, aber daran scheint ihnen nichts zu liegen.«
»Das offizielle Statement lautet, dass die Gater für den Angriff verantwortlich sind.«
»Aber die Gater verfügen doch nicht über Jagdflugstaffeln!«, stieß Fervin hervor.
»Dann haben sie sie vermutlich angeheuert«, sagte SisX. »Was ihr im Übrigen auch tun solltet.«
»Wir versuchen es! Es ist nicht einfach, wir sind wirklich nicht in der besten Position.« Fervin warf Neval einen Blick zu, und diese schüttelte den Kopf. Sie hatte nichts Neues erreicht.
»Jedenfalls sagt meine Quelle, dass sie sich zu militärischen Gegenschlägen gegen die Gater bereithalten. Das kann gut für euch sein«, erläuterte SisX.
»Es kommt mir fishy vor, dass sie die Gater verantwortlich machen. Ich würde meinen linken Arm verwetten, dass das Corp-Flieger waren, die uns angegriffen haben!«, sagte Deen, dessen linker Arm wesentlich teurer war als der rechte, denn nach einem Unglück mit Minengerät hatte die Gemeinschaft zusammengelegt, um ihm einen kybernetischen Ersatz zu finanzieren.
»Vielleicht kriegen die Gater Corp-Unterstützung«, gab Vaya zu bedenken und blickte in der provisorischen Kommandozentrale umher. Außer den fünf Menschen um den Tisch herum saßen noch einige auf Decken oder Klappstühlen, und Sherin bastelte gerade an der Beleuchtung, die immer wieder ausfiel. Immerhin war das Datanet stabil.
»Kein Corp steht auf der Seite einer fundamentalistischen Sekte.« Die Frau auf dem Tabletbildschirm schüttelte den Kopf. Sie hielt inne, nein – ihr Avatar fror ein. Offenbar war sie kurz abwesend oder in einem anderen Programm aktiv. Das, oder das Datanet kämpfte nun auch mit Schwankungen.
SisX kehrte zurück. »Unangenehme Neuigkeiten.«
Fervin lächelte grimmig. »Na klar. Was ist es?«
»Eine unserer Hackerinnen hat sich ins Gremium einschalten können. Horcht durch ein schlecht gesichertes Tabletmikro mit.« Wieder hielt der Avatar inne. Vielleicht war eine unserer Hackerinnen auch einfach SisX selbst, vielleicht bestand PolitiX nur aus ihr und sie machte sich und ihren Channel größer, als sie waren.
»Die Gater sind in Fervintown eingedrungen. Eure … eure Siedlung ist in ihrer Hand.«
»Tod noch mal!« Fervin rang mit den Händen, beherrschte sich offenbar mühsam und tauschte einen Blick mit Leron, der bereits argumentiert hatte, dass sie sich nicht auf die Konzerne als Gegner einschießen solle – die Gater stellten die größte Gefahr dar. Die Mink-Öl-Sekte war in den vergangenen Monaten immer gewaltbereiter geworden, hatte Gegenden vermint und eine Community etwa zweihundert Kilometer südlich durch Heckenschützen so zermürbt, dass diese ihren Claim aufgegeben hatten.
Aber sie haben keine Jagdmaschinen.
Offenbar waren auch diese Freaks jetzt in der Lage, Geld auf Gang-Konten zu überweisen.
»Das können wir nicht dulden!«, stieß Leron jetzt auch hervor. Er hasste die Gater, hatte in der Vergangenheit schon schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht, über die er sich ausschwieg. »Die setzen sich ins gemachte Nest! Wir sind auf ein großes Reservoir gestoßen, das ist unser Claim! Sie nutzen vermutlich sogar unsere Bohrtürme und Fördermaschinen, diese Eiterhirne!«
»Natürlich tun sie das. Was das angeht, waren sie immer schon schlecht ausgestattet«, knurrte Vaya. »Das war vermutlich das Ziel der ganzen Übung.«
»Aber jetzt haben sie keine Jäger mehr«, murmelte Neval. »Das war eine Aktion für genau eine Nacht.«
Die anderen sahen sie an, sogar SisX suchte sie durch die Kamera.
Mera, die bislang nichts gesagt hatte, nickte heftig. »Sie hat recht. Wenn wir uns drauf verlassen, dass das Gremium da irgendwelche Schritte einleitet, dann sind das die falschen Schritte. Dann nehmen die den Gatern unseren Claim weg und behalten ihn für sich. Wenn wir unseren Besitz zurückwollen, müssen wir ihn uns nehmen. Die Gater sind zu wenige, um unser eigenes Gelände gegen uns zu halten. Wir hauen ihnen diese Nacht aufs Maul.«
Dabei legte sie eine Hand auf das Gewehr, das sie umgeschnallt trug, und alle im Raum wussten, dass sie Tödlicheres als einen Faustkampf meinte.
»Das können wir nicht zu sechst entscheiden!«, wehrte sich Fervin.
»Nee. Das kannst du ganz allein entscheiden, Fervin«, sagte Vaya. »Es ist dein Claim, und wir sind deine Leute.«
»Wir haben immer als Gemeinschaft gehandelt.«
»Und wir sind noch zweihundertachtzehn Erwachsene hier oben. Frag uns, wenn es dir dann besser geht – und dann holen wir uns zurück, was uns gehört!«
Fervin sah über das Tablet hinweg in Nevals Richtung, als bräuchte sie deren Genehmigung. Sie sieht mich immer noch als Instanz irgendeiner interstellaren Gerechtigkeit, die es nicht gibt und nie gab. Neval war der Gedanke zuwider, den Claim gewaltsam von den Gatern zurückzuerobern. Sie schielte auf ihr eigenes, zusammengefaltetes Tablet, das weiterhin schwieg. Weder Kian noch Marlene hatten sich gemeldet.
Sie nickte Fervin zu und gleichzeitig ging das Licht flackernd wieder an, heller als zuvor. Vielleicht brauchen wir die Daredevils nicht.
»Ihr habt recht«, seufzte Fervin. »Wir müssen ihnen das Gebiet wieder wegnehmen, bevor sie sich da einnisten und die Lebensformen gegen uns verwenden können.«
SisX’ Avatar erwachte wieder zum Leben. »Ich informiere euch, wenn ich noch weitere Informationen herausfinde, über das Gremium oder anderweitig. Aber ich unterbreche jetzt meine Verbindung zu euch. PolitiX bleibt in gewaltsamen Konflikten neutral.«
»Danke«, sagte Fervin und streckte die Hand aus, um das Fenster zu schließen. »Dann … dann sollten wir jetzt …« Sie sah etwas ratlos in die Runde. »Wie bereitet man einen Krieg vor?«
Vaya lachte nervös, und Deen runzelte die Stirn. Seine beiden Kinder, beides Teenager, vielleicht fünfzehn und sechzehn, traten an seine Seite und versuchten, entschlossen auszusehen. Beide waren bewaffnet, wie alle, die sich jetzt noch in den Bergen aufhielten und nicht evakuiert worden waren.
»Kein Krieg«, sagte Neval in die Runde, als könnte das die Gemüter beruhigen. »Wir schmeißen diese Eiterhirne nur aus unserem Dorf. Wenn wir es gut planen, geht es schnell und sauber.«
»Sie werden nicht freiwillig gehen. Dann kann es langsam und schmutzig werden«, wandte Deen ein.
»Dann wird es das!«, stieß Leron hervor. »Ich übergebe denen ganz sicher nicht mein Leben und versauere hier oben in den Bergen!«
»Und ich übergebe ihnen nicht unser Mink-Vorkommen, damit sie sich damit ihr Hirn wegbrennen.« Fervin hatte sich entschieden.
»Informieren wir das Gremium über unseren Angriff?«, fragte Neval. »Vielleicht unterstützen sie uns.«
»Nein.« Leron schüttelte den Kopf. »Wenn doch ein Corp mit den Gatern zusammenarbeitet und ihnen die Jäger gestellt hat, dann sitzen wir tief in der Scheiße.«
»SisX hat gesagt, dass kein Corp mit Gatern zusammenarbeiten würde! Und sie hat sie immerhin abgehört.«
»SisX kann sich auch irren. Wer weiß, wer da wen für seine Zwecke nutzt? Wir machen eine effiziente, schnelle Aktion draus. Und lassen die Gater nicht am Leben. Diese Freaks sind wie die Schmeißfliegen, wenn wir sie nur vertreiben, kommen sie wieder. Für sie riecht Minkowskium unwiderstehlich, wie Scheiße für Fliegen.«
Neval starrte Leron an. Der Mittfünfziger erwiderte den Blick gelassen, bis sie es nicht mehr aushielt und beiseite sah. Er tätschelte herausfordernd das Gewehr an seinem Schulterriemen.
Das Problem war, dass er recht hatte.
Vor wenigen Wochen hatten sie endlich ein großes Reservoir entdeckt, und ersten Schätzungen nach war es nicht das einzige in dieser Gegend. Ein gewaltiges Vorkommen, größer als alle bisherigen Reserven des Planeten zusammengenommen, konzentriert in geologischen Sattelstrukturen unterhalb ihrer Heimatdörfer. Das war bei weitem genug, um ihr karges Dasein auf dieser Welt dauerhaft zu verändern. Aber diese Mengen weckten natürlich Begehrlichkeiten – seitens der Konzerne und seitens religiöser Spinner, die glaubten, dass ihnen eine übernatürliche Macht die alleinige Verfügungsgewalt über den begehrten Rohstoff der Sternenreisenden zugesprochen hatte. Wenn die Gater nun dort waren, wussten sie bereits von diesem Vorkommen. Und würden ihren neuen Besitz bis aufs Blut verteidigen.
Aber selbst, wenn wir ihn zurückerlangen, wie lange können wir etwas behaupten, das so sehr Segen und Fluch gleichzeitig ist?
Neval wusste es nicht. Sie sah noch einmal auf ihr Tablet. Keine Nachricht. Ihr Kiefer schmerzte, so angespannt war sie.