- -
- 100%
- +
Überhaupt mutete am Anfang die Baustelle in Bad Elbis-Solbach wie aus dem vorigen Jahrhundert an. Es schien nicht nur so, als wären die Quartiere mitten auf der Baustelle, sie waren es! Nur in manchen amerikanischen Filmen hatte Frank-Peter ähnliche Kulissen gesehen.

Ein Leben auf der Baustelle, provisorische Türen zu den Schlafgelegenheiten
Erstaunlicherweise hatte Friedrich Rübner immer rechtzeitig Hinweise erhalten, wenn ihm vermutlich von gekündigten Mitarbeitern der Zoll auf die Baustelle geschickt wurde. Er ließ dann die Polen, die seit Jahren als Schwarzarbeiter bei ihm malochten, „verschwinden“. Die Vorwarnzeiten wurden immer kürzer und Friedrich Rübner drohte dem Rest der Mannschaft, die Baustelle zu schließen. Wenn abends noch Einkäufe getätigt werden mussten, gab es immer welche, die für die Polen, die die Spitznahmen Lolek und Bolek erhielten, vor allem Bier mitbrachten. Diese wollten die preiswerteste Sorte, der Kasten solcherart Bier kostete 5,95 Euro. Frank-Peter hat es auch probiert. Ab dem zehnten Bier war es halbwegs genießbar.
Der Geschäftssinn von Friedrich Rübner war ungebrochen. Durch Kontakte seiner polnischen Schwarzarbeiter erhielt Friedrich Rübner Zugang zu einer polnischen Firma nahe der ukrainischen Grenze, die Parkett herstellt. Bei den Fahrten dahin war stets Woitek als Dolmetscher mit dabei. Die Lebensgefährtin von Friedrich Rübner, eine ehemalige Busunternehmerin, verfügte mit den Busgaragen noch über immensen Lagerraum und Friedrich Rübner kaufte Parkett. Wenn er den kompletten Sattelzug mit Parkett für 30.000 Euro abnimmt, kostet der Quadratmeter Friedrich Rübner nur etwa sieben Euro. In zwei Monaten luden in der Regel drei Sattelzüge Parkett ab, wusste Woitek zu berichten. Über ebay wurde das Parkett zu Preisen von 17 Euro bis 24 Euro angeboten, die preiswerteste Art der Anzeige, wie Friedrich Rübner bekannte. Im Gegensatz zu den lokal erscheinenden Presseerzeugnissen konnte er so europaweit für seine Waren werben, das auch noch zeitlich unbefristet. Da er ganz akkurat bei ebay auch angab, dass er als Firma tätig ist, Telefonnummer und Adresse angab, braucht es nicht zu wundern, dass nach 3 Jahren nur etwa 100 Bewertungen auf seinem ebay-Konto registriert waren. Jeder ernsthafte Kunde wird bei seiner Kaufentscheidung nicht die anonyme Bestellung bei ebay nutzen, sondern erst einmal eine telefonische Anfrage, eventuell eine Musterbegutachtung vornehmen. Ist hier eine Gesetzeslücke oder ist Friedrich Rübner nur besonders clever? Die Polen wurden bei den Parkettverkäufen stets als Fachleute mit angeboten, weil Friedrich Rübner sonst keine Garantie gewähren könne. Als Frank-Peter davon erfuhr, rechnete er nach und kam auf die Summe von monatlich über 100.000 Euro Schwarzgeld, das Friedrich Rübner auf diese Art und Weise einnahm. Schließlich war das Risiko von Schwarzarbeit zu hoch geworden und die Polen mussten sich selbstständig machen. Dazu wusste Woitek, der mit seinen Landsleuten einen guten Kontakt pflegte, eine unglaubliche Geschichte, die er Frank-Peter erzählte: „Frank-Peter, du wirst es nicht glauben, aber Lolek ist mit seinem Start als Selbstständiger mit Friedrich Rübner zur Bank, um sich ein Konto einzurichten. Er kennt allerdings weder die Kontonummer, noch hat er eine EC-Karte, die hat ihm Friedrich Rübner gleich abgenommen. Dafür ist der Alte aber kontoberechtigt. Lolek und Bolek bekommen jetzt pro Stunde je sechs Euro netto.“
„Für sechs Euro kann doch ein Selbstständiger niemals arbeiten“, entgegnete Frank-Peter. Woitek nickte und fuhr fort: „Lolek hat wegen der Steuer und der mögliche Rückerstattung beim Alten nachgefragte, weil dieser die Steuererklärung und den gesamten Schreibkram für die beiden macht und bekam zur Antwort, dass etwa im Mai die Unterlagen (zum abheften5) kommen werden. Lolek hat aber niemals die Steuererklärung unterschrieben. Gute Freunde des Alten6 haben erzählt, dass dieser sich über die beiden Polen beschwerte. Sie arbeiten nicht mehr so wie früher“ – 12 … 14 Stunden pro Tag hat Frank-Peter selbst beobachtet – „und sie werden zunehmend aufmüpfig. Damit kann nur die Frage von Lolek nach der Steuerrückerstattung gemeint sein. Auf diese Firma zugelassen ist ein kleiner Lieferwagen, Sprit und alles, was mit diesem zusammenhängt, zahlt der Alte.“ Die Vermutung liegt natürlich sehr nahe, dass Friedrich Rübner mit diesem Konto seine Einnahmen aus dem Internet-Parketthandel verschleiert. Im Falle eines Falles wird er natürlich von allem nichts wissen und den beiden Brüdern die Arschkarte zuspielen. Sklaverei der modernen Art!
Das Holz für das Parkett wird mit organisierter Kriminalität in der Ukraine gestohlen, wusste Woitek weiter zu berichten. Bei der Einfuhr nach Polen gibt es ordentlich deklarierte Papiere. Bringt der Fahrer seinen Teil der Papiere dann zum Grenzer zurück, werden die kompletten Papiere dieser Einfuhr vernichtet und der Fahrer, sowie der Grenzer erhalten ihren Anteil am Gewinn. Einmal sollen auch radioaktiv verseuchte Bäume aus der Umgebung von Tschernobyl verarbeitet worden sein. Für dieses verstrahlte Parkett gab es in Polen keine Abnehmer. Friedrich Rübner kaufte den gesamten Posten. Wer weiß, bei wem jetzt die Filme immer schon belichtet sind, wenn sie in einen Fotoapparat einlegt werden – aber jetzt gibt es ohnehin Digitalfotoapparate.
Als ein riesiges altes Villengrundstück in Bad Kaiser, das Friedrich Rübner zu äußerst günstigen Konditionen erworben hatte, in sechs Eigentumswohnungen umgebaut werden sollte, wurde Frank-Peter gefragt, ob er sich diese Arbeit zutraue. Da er inzwischen genügend Erfahrungen gesammelt hatte, sagte er zu und hatte ab sofort eine über 100 km weitere Fahrstrecke. Das Quartier wurde in der Nähe der Baustelle in einem Pflegeheim von Friedrich Rübner, welches er verpachtet hatte, unter dem Dach aufgeschlagen. Nach einem Aufstieg über eine Aluleiter – die Klapptreppe war Jahre zuvor von besoffenen Bauleuten gekillt worden – war erst einmal in gebückter Körperhaltung so lange zu „gehen“, bis die ansteigende Dachschräge einen aufrechten Gang ermöglichte. Besonders wenn am Sonntag die Anreise mit der gefüllten Reisetasche erfolgte, war es schon ein akrobatischer Akt, die Stiege zu erklimmen.

Aufstieg ins Quartier
Schlafstätten musste man sich erst selber bauen, auf große Holzklötzer gestellte Lattenroste. Gemessen an den Polen, die bei der Parkettverlegung oft nur auf alten Matratzen schlafen, die sie auf das Parkett legen, dass sie tagsüber verlegen, und mit den Lösungsmitteldämpfen des Parkettklebers in ein Koma fallen, waren es luxuriöse Bedingungen. Werner Adler war mit kollabierendem Blutdruck für längere Zeit ausgefallen und so übernahm Sven Bachmann die Baustelle. Sven Bachmann war mit seinen Eltern Anfang der neunziger Jahre in den Westen gekommen und hatte Klempner gelernt.

Frank-Peters Quartier mit dem Selbstbaubett
Ahnung hatte er nicht, Kompetenz auch nicht, aber er wusste sich bei Friedrich Rübner in einer Weise wichtig zu machen, dass es schon regelrecht penetrant war. Friedrich Rübner hatte einen Narren in Sven Bachmann gefressen. Wie schon früher mit Werner Adler auf deren gemeinsamen Fahrten von Bad Elbis-Solbach nach Bad Kaiser, wo beide wohnten, hatte sich Sven Bachmann Werners großzügige Stundenabrechnung angewöhnt. Da er diese Unterlagen immer Friedrich Rübner persönlich gab, war es den anderen Beschäftigten auf der Baustelle auch lange Zeit nicht bekannt, wie unverfroren betrogen wurde. Natürlich macht jeder einmal einen Fehler und auch Sven Bachmann. Er vergaß seinen Stundezettel auf der Baustelle, ebenso Werner, als er nach einer Kur wieder die Führung übernahm. Werner rechnete 220 Stunden im Monat ab, war jedoch nach Frank-Peters Übersicht weniger als 150 Stunden auf der Baustelle.

Werners Adlers Stundenzettel
Die bei der Entkernung der Villa demontierten Kupferkabel machten ebenfalls diese Beiden zu barer Münze und spendierten dem Rest der Truppe einmal ein Päckchen Kaffee. Auch hier verplapperte sich Sven Bachmann und die tatsächlichen Einnahmen von mehreren hundert Euro wurden bekannt. Das Husarenstück der beiden war jedoch, dass sie auf Friedrich Rübners Kosten Dachabdeckung besorgten und einer Oma, die ein Haus gegenüber der Baustelle hatte, die Nebengebäude neu bedachten. Immer in der Mittagspause, wenn die anderen drei der Truppe rund 5 km in das von Friedrich Rübner verpachtete Pflegeheim fuhren, wo sie kostenfrei beköstigt wurden, waren die beiden fleißig. Werner Adler richtete sich in einer der Wohnungen, die aus dem Zimmerverbund der Villa gebaut wurden, eine Bastelstube und eine Pflanzaufzucht ein. Er hatte die Räumlichkeit mit Bedacht ausgesucht. Eine kleine Treppe führte in ein Obergeschoß. Mit Fenstern nach allen Seiten hatte Werner „seine“ Leute stets im Blick und sah auch rechtzeitig, wenn Friedrich Rübner aufkreuzte. Dort bastelte er Gestecke für Weihnachten oder renovierte alte Möbel. Für seine Pflanzaufzucht baute Werner extra einen Tisch und regelte die Elektroheizung auf Maximum.

Werner Adlers „Bastelecke“

… und seine Pflanzenzucht

Dafür muss kräftig geheizt werden
Alle Dinge, die auf der Baustelle falsch liefen, waren zum Glück nicht Frank-Peter zuzuordnen, er war ernsthafter und bemühte sich, Qualitätsarbeit zu leisten. Sven Bachmann hat sich vom Fachhändler sauteure „reflektierende“ Folie aufschwatzen lassen, die unter den Estrich kommt um die Wärme der Fußbodenheizung nicht nach unten in den Keller verschwinden zu lassen. Wie soll das im Dunklen mitten im Beton funktionieren? Das Ergebnis sah so aus, dass nach Zuschalten der elektrischen Fußbodenheizung vierzehn Tage lang nichts passierte. Zumindest nicht in der Wohnung. Dafür war die Kellerdecke richtig handwarm. Frank-Peter kontrollierte jeden Tag die Zählerstände, trug die Daten in den Computer ein wenn er an den Wochenenden zu Hause war und errechnete, dass die größte der so entstandenen Wohnungen pro Monat bei voller Heizung über fünfhundert Euro Stromkosten verbraucht. Da ist noch keine Lampe an, kein Liter Wasser zum Duschen erwärmt und kein elektrisches Gerät angeschaltet. Erst sehr viel später, als Frank-Peter nicht mehr auf dieser Baustelle war, soll die Kellerdecke isoliert worden sein. Eines Tages wurden Kupferbleche geliefert. Werner Adler und Sven Bachmann machten eine alte Blechbiegemaschine wieder flott und bauten aus den Kupferblechen eine Wanne, die mittig zwischen zwei Dächer als Dachrinne eingebaut wurde. Sven Bachmanns Fachkenntnisse beim Löten reichten nur, um das Blei-Zinn-Gemisch flüssig zu machen und es auf die Kupferbleche laufen zu lassen. Mit Löten hatte das nichts zu tun. So verwunderte es nicht, dass das erste Regenwasser einen Weg durch die verunstalteten Kupferbleche direkt in die darunter liegenden Wohnungen fand. Im Ergebnis dieses niederschmetternden Resultats wurde Dachpappe auf die Kupferbleche geklebt! Man hätte so auch verzinktes Blech nehmen und dieses mit Euroscheinen bekleben können. Das hätte die gleichen Kosten verursacht, wäre aber schneller gegangen.


Vom „Spezialisten“ gelötet
Das riesige Grundstück diente zwischendurch als Müllhalde für allerlei Sachen. Darunter auch für ausrangierte Bleiakkus, die aus einer demontierten Notbeleuchtungsanlage aus Bad Elbis-Solbach stammten. Sie wurden vom LKW einfach abgekippt und erhielten dadurch Risse in den Gehäusen. Ein halbes Jahr später war die Akkusäure weg. Wo diese Akkus letztlich abgeblieben sind, konnte Frank-Peter auch nicht in Erfahrung bringen.

Im freien gelagerte defekte Bleiakkus
Eine Überraschung erlebte Frank-Peter trotzdem mit „seiner“ Elektrik. Ab und zu hatten ihm Kollegen, auch Sven Bachmann schon einmal zur Hand gehen müssen. Sven Bachmann wurde mit seinen „Gynäkologenhänden“ gebraucht, wenn Kabel in den Wänden des Trockenbaus gesucht werden musste. Er konnte seine Arme bis zu den Ellenbogen in die ausgesägten Löcher stecken, wo Frank-Peter nicht einmal mit der Hand hinein kam. Frank-Peter und der Fliesenleger sollten ganz schnell mal für drei Tage nach Leipzig, wo eine ehemalige Apotheke in einem von Friedrich Rübners Häusern zu einer Tierarztpraxis umgebaut werden sollte. Aus diesen drei Tagen wurden geschlagene drei Monate. Sven Bachmann sollte in dieser Zeit die Elektrokabel für die Beleuchtung des mit 80 m2 größten Wohnzimmers in die Decke einbringen, damit die Trockenbauarbeiten abgeschlossen werden können. Frank-Peter gab dazu die erforderlichen Eckdaten und schärfte Sven Bachmann ein, die Lampenauslässe sinnvoll anzuordnen, wie er es von einer eigenen Wohnung auch erwarten würde. Als Frank-Peter nach drei Monaten wieder auf dieser Baustelle aufkreuzte, sah er die Bescherung. Sven Bachmann hatte das absolute Maximum der abgesprochenen Eckdaten installiert: zweiundzwanzig Lampenauslässe mit einundzwanzig verschiedenen Schaltmöglichkeiten! Und das in einem Wohnzimmer. Die Aufregung war natürlich groß. Die Beschaffenheit der Decke ließ keine Entfernung von Kabeln zu. Stundenlang saß Frank-Peter am Computer, den er inzwischen mit in sein Quartier genommen hatte, um eine sinnvolle Zusammenstellung der mit jeweils einem Schalter zu steuernden Lampen zu finden und auch in der Perspektive Änderungen zuzulassen. Im Ergebnis dieser Überlegungen musste Frank-Peter eine weitere Unterverteilung einbauen, die ausschließlich für die Verwaltung der Wohnzimmerbeleuchtung zuständig war. Welch Aufwand durch die Fehleinschätzung des „gesunden Menschenverstandes“ von Sven Bachmann durch Frank-Peter. Übrigens gab es für die Arbeit an der Tierarztpraxis in Leipzig bei den in den alten Bundesländern angestellten Bauarbeitern keine Auslöse. Die kostenlose Verpflegung und Unterkunft, die als Bestandteil des relativ niedrigen Lohnes vereinbart war, fiel ebenso weg. Nur Frank-Peter profitierte von kürzeren Fahrwegen, der Fliesenleger, der einige Kilometer hinter Halle wohnte, hatte durch die täglichen Fahrten sogar mehr Fahrkilometer pro Woche als mit den Fahrten auf die Baustelle in den alten Bundesländern.

Qualitätsarbeit auch bei ungewollten Zusatzkomponenten

Verstärker und Verteiler für Kabelfernsehen
Frank-Peter hatte auf dieser Baustelle die Planung und Installation der gesamten elektrischen Anlage, für die Telefonvorbereitung und das Kabelfernsehen übernommen, eigenverantwortlich über den mit Friedrich Rübner befreundeten Elektromeister Rolf Teubner das Material bestellt und die Anlagen fertig gestellt. Als ein Fachmann des örtlichen Betreibers der Kabelfernsehanlage wegen der geplanten Zuschaltung des Fernsehsignals die Anlage inspizierte, war er begeistert. „Mit wem muss ich reden, wenn wir diese Anlage käuflich übernehmen wollen?“, wurde Frank-Peter von dem Angestellten gefragt.
Nachdem Frank-Peter nach Erfüllung seiner Aufgaben entlassen worden war, rief ihm Woitek abends an. „Du, der Rolf Teubner war bei Friedrich Rübner, er hat deine Arbeit in höchsten Tönen gelobt!“ Rolf Teubner war ein guter Freund von Friedrich Rübner und Elektromeister. Über Rolf Teubner wurden sämtliche Elektromaterialien bestellt, auch schon die der Seniorenheime. Für diesen ein gutes Einkommen zum Nulltarif. Die lobenden Worte indes müssen bei Friedrich Rübner einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, denn Jahre später rief er bei Frank-Peter an und bot ihm Arbeit bei der Sanierung eines seiner Leipziger Häuser an. Da hatte Frank-Peter aber bereits wieder eine feste Arbeitsstelle und lehnte dankend ab.
9. Die nächste Etappe
Durch die Zeitarbeitsfirma in Teuma wurde er an eine Elektrofirma vermietet, die in der ehemaligen EHfL, jetzt Kunstakademie, umfangreiche Installationsarbeiten zu bewältigen hatte. Pünktlich traf er früh an der mit dem nächsten Arbeitgeber vereinbarten Stelle einen Monteur, der fast gleichaltrig wie Frank-Peter war. Thilo Eckert ließ sich vom Firmenfahrzeug bringen, das aber gleich darauf zur nächsten Baustelle fuhr. Thilo Eckert war sympathisch und erklärte genau, was zu tun sei. Die Arbeit war angenehm, erforderte Genauigkeit und branchenübergreifende Kenntnisse. So musste Frank-Peter als erstes einen Anschlussschutzkasten einbetonieren. Anschließend wurden Funktionskontrollen an Seilzuganlagen für Lampen in einer riesigen Halle, der Soltauhalle, durchgeführt. Die Halle war komplett eingerüstet, Thilo war auf der Rüstung in einer eingezogenen Arbeitsebene unter der Decke und Frank-Peter unten an einem dicken Strang Kabel. Man rief sich die zu prüfenden Kabelnummern zu. Nicht immer erfolgreich bei den Geräuschen der anderen Gewerke, wie etwa die zwei Meter nebenan arbeitende Mischmaschine. In diesem Augenblick kam der Chef und holte, als er das sah, aus dem Auto zwei Handfunkgeräte. Eine wesentliche Arbeitserleichterung. Das erste Mal seit Wochen war pünktlich Feierabend. Auch der folgende Tag war angenehm. Obwohl bei der Wärme wieder Kabel gezogen wurden, war das Arbeitsklima nicht von der Hektik geprägt, die Frank-Peter auf anderen Baustellen stets kennen gelernt hatte. Thilo Eckert erzählte seine Lebensgeschichte. Sein Sohn, jetzt 33, sei schon mit 18 aus dem Haus gegangen. Er hatte wie er Elektriker gelernt und ging danach zur Bundeswehr, wo er jetzt noch beschäftigt ist. Einzig die verschiedenen Standorte mit den langen Heimfahrten am Wochenende zu Frau und Kind waren ein Problem. Sein Sohn wohnte im Nachbarhaus von Thilo Eckert, der seit sieben Monaten stolzer Opa war. Thilo Eckert war früher Elektriker in der Landwirtschaft. Er hatte Berufsausbildung mit Abitur gemacht, wollte auch studieren, war aber nach dem Militärdienst der Meinung, dass er zu lange aus dem Lernbetrieb heraus war. Dafür baute er sich ein Häuschen auf Bodenreformland. „Und war der frühere Eigentümer da und wollte das Land wieder haben?“, fragte Frank-Peter. „Natürlich, aber an das bereits vergebene Bodenreformland kam der nicht mehr ran, nur an das, was noch im Besitz der Kommune war“. Thilo Eckert erzählte von seinem früheren Arbeitgeber, der einmal in Konkurs gegangen war. Die Beschäftigten hatten davon nur wenig mitbekommen. Das Verfahren wurde mangels Masse eingestellt, die Frau übernahm die Firma. Nach sieben Jahren setzte sie die Firma auch in den Sand und der alte Firmeninhaber war danach wieder der Chef. Auch hier sollte das Verfahren mangels Masse eingestellt werden. Einer der kleinen Chefs einer geprellten Firma, die ihre Außenstände nun unwiderruflich den Bach herunter gehen sah, hatte einen Schwager bei einer Bank. Dieser fand heraus, dass sein Chef noch über ein weiteres Konto mit 80.000 Euro verfügte, genau dem Zahlungseingang der letzten Baustelle. Dieses machte der kleine Chef bei Gericht geltend. Das Konto wurde nun in die Konkursmasse einbezogen und es kam nicht zu einer Einstellung mangels Masse. Hier zeigt sich grenzenlose Raffgier. Wie die Arbeitnehmer oder die geprellten Lieferanten abschneiden, interessiert herzlich wenig. Oder sollte man das „herzlich“ in diesem Zusammenhang verbieten?
Abends fuhr Frank-Peter noch in den Garten, die Pflanzen brauchten dringend Wasser, vor allem diejenigen, die in Kübeln standen. Hier kam er ins Gespräch mit der Tochter seines Gartennachbarn Ulrike. Sie ist Kontrolleurin bei den Leipziger Verkehrsbetrieben.
„Ich denke, die Kontrolleure sind von einer Fremdfirma?“, fragte Frank-Peter. „Ja, aber diese ist eine 100-prozentige Tochter der Verkehrsbetriebe“. Frank-Peter erfuhr, dass mit der Ausgliederung der Kontrolleure in eine Tochtergesellschaft 1997 der Lohn um 300 Euro verringert wurde. Urlaubsgeld wurde gestrichen und das Weihnachtsgeld wurde in 1/12-Teilen jeden Monat gezahlt, aber nur, wenn man nicht krank ist. Als erstes nach diesem Lohneinschnitt musste sie ihr Auto verkaufen. Zum Glück bekamen sie im Jahr 2000 einen Haustarifvertrag. Die neuen Kollegen erhalten 800,- Euro im Monat, sie gerade einmal 100 Euro mehr, aber das seit dem Jahr 2000. Jede Lohnerhöhung der „neuen“ Kollegen wird aufgrund des Haustarifes bei ihr nur umgerechnet.
„Seit nunmehr 10 Jahren mit dem gleichen Einkommen, aber alles herum wird ständig teurer!“, schimpfte sie. „Ich weiß nicht, wie lange sich die Leute das noch gefallen lassen!“
„Noch lange“, sprach Frank-Peter, „noch lange. Für eine Solidarisierung untereinander geht es den Leuten ja noch zu gut“.
„Und dann wissen sie nicht, was sie machen sollen“, ergänzte die Frau, die die 50 schon ein Weilchen erreicht hatte.
Am Donnerstag kam der Chef auf die Baustelle. Er war mit dem Fortgang der Arbeiten sehr zufrieden, obwohl Frank-Peter andere Tempos gewohnt war. Hier war auch nicht jeder Handgriff planbar und die benötigte Zeit mit anderen Leistungen nicht vergleichbar. Er sprach Frank-Peter gleich mit „du“ an und verkündete: „Also, du wirst mindestens vierzehn Tage hier gebraucht.“ Beim Frühstück holte Thilo Eckert einen Brief aus der Tasche. „Mein Lohnzettel“, verkündete er. „Du hast doch bestimmt einen zweistelligen Stundenlohn?“, fragte Frank-Peter. „Bei meinem vorherigen Arbeitgeber hatte ich 8,40 Euro, jetzt habe ich 8,20 Euro“, berichtete Thilo Eckert und zeigte Frank-Peter seine Lohnbescheinigung. Auszuzahlender Betrag 1044 Euro, konnte Frank-Peter lesen. „Ist es nicht komisch, dass die Elektriker auf den Baustellen den niedrigsten Lohn haben, aber die fundierteste Ausbildung nachweisen müssen?“, begann Thilo Eckert. „Jeder Trockenbauer, der in vierzehn Tagen angelernt wird, bekommt mehr!“ Thilo Eckert kannte unendlich viele Witze. Damit lag er mit Frank-Peter gleichauf und die Arbeit verging wie im Fluge, auch wenn das schwül warme Wetter die ganze Woche körperlich von ihnen viel abverlangte. Selbst Freitagmittag war es noch 35° C und die Luft im großen Hörsaal, wo die Kabel gezogen wurden, stickig. Jedes einzelne Kabelpaar, das gezogen werden musste, war eher eine leichte Aufgabe. Nachdem aber pro Tag zwei Kilometer Leitung gezogen worden waren, merkte man jeden daran beteiligten Muskel. Bis Dienstag zog Frank-Peter mit seinem Kollegen acht Kilometer Datenleitung im großen Hörsaal, wobei Frank-Peter die Position auf dem Gerüst bekam. Diese acht Kilometer wurden zwar von zwei Kabeltrommeln abgespult, aber Frank-Peter musste wie bei Klimmzügen auf dem Gerüst jeden Meter Stück für Stück von den Trommeln ziehen.

Ein Bündel Datenkabel bei der Verlegung

Der große Hörsaal mit dem Raumgerüst. Oben links sind die Datenkabel erkennbar.
Eines Tages kam der Elektroplaner in den Hörsaal. Das war gut, denn es gab einige Detailfragen zu klären. Nebenbei bemerkte Frank-Peter: „Das ist ja eine riesige Baustelle. Gibt es auch schon einen Fertigstellungstermin?“ Der Ingenieur winkte ab. „In der Tat, die Baustelle ist gewaltig. Aber wir bauen nicht nach Termin, sondern nach Finanzen. Immer wenn Geld da ist, wird gebaut. Und gegenwärtig gibt es wieder Fördermittel!“ Dieses bauen nach dem Geldbeutel ist eine riesige Geldvernichtungsmaschine. Allein im großen Hörsaal ist ein Raumgerüst seit März aufgebaut. Betrachtet man nur die Mietkosten dieses Gerüsts, von den anderen Baustelleneinrichtungen ganz zu schweigen, ist schnell klar, dass es hier eine Menge Leute geben muss, die sich eine goldene Nase verdienen.