Das verlorene Seelenheil

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„Wer?“, fragte sein Neffe scheinbar ahnungslos zurück.
„Du weißt genau, wen ich meine! Amanoue! Lebt er noch?“, verlangte Richard mit sanftem Nachdruck zu wissen.
„Oh ja, er lebt“, antwortete Henry knapp und bitter.
Richard nickte einmal. „Und wie lange willst du ihn noch einsperren?“
„Von mir aus, bis er verrottet“, kam es von Henry derart verbittert, dass es schon einem Hilferuf gleichkam.
Wieder nickte sein Onkel, tief betrübt und voller Mitgefühl. „Möchtest du es mir nicht erzählen? Auch wenn ich wohl schon das Wesentlichste von deinem Bruder erfahren habe, so würde ich doch gerne die ganze Geschichte hören, von dir. Ich spüre doch, dass viel mehr auf deinem Herzen lastet“, bat er sanft.
Statt einer Antwort schloss Henry die Augen und ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. „Kai, würdest du uns alleine lassen?“, wandte der Herzog sich dem jungen Diener zu und der bejahte es mit einem stillen Nicken. Nachdem er gegangen war, zog Henry nicht gerade königlich die Nase hoch und trank einen großen Schluck.
„Er war mir so nahe, wie nie zuvor“, begann er einigermaßen gefasst zu erzählen, „wir, waren uns so nahe. Nachdem du fort warst, hatten wir einen fürchterlichen Streit und er schimpfte mich aus wie ein Rohrspatz“, sagte er lächelnd, was auch Richard zum Schmunzeln brachte. „Du kennst ja sein überschäumendes Temperament und ich dachte schon, entweder er haut mir jetzt vor versammeltem Hofstaat eine runter oder er grillt mich an Ort und Stelle“, sprach Henry weiter. Richard runzelte ungläubig die Stirn und sein Neffe nickte bestätigend. „Ehrlich! Für einen Moment dachte ich, so, das wars, jetzt kommt gleich ein Blitz und schickt mich geradewegs zu Ambrosius in die Hölle. Ich habe es gespürt, wie sich die Luft um uns auflud und er begann zu leuchten! Er leuchtete heller als die Sonne, zum ersten Male sah ich es mit eigenen Augen, er leuchtete!“, sagte er geradezu überwältigt. „Satory warf mir einmal vor, dass ich ihn eben einfach noch nie zum Leuchten gebracht hätte, weil ich mich darüber lustig machte und ja, er hatte recht, ich war wohl einfach nicht dazu in der Lage, bis zu diesem Tag! Er stand vor mir und leuchtete, aber nicht aus Freude, sondern vor Wut“, meinte er betrübt. „Es kam kein Blitz“, fuhr er achselzuckend fort, „er beschimpfte mich nur weiter und weiter, bis mir der Kragen platzte und ich ihn hinter mir herzog, bis in meine Gemächer. Wir stritten noch eine Weile und er beteuerte mir, dass es nur noch mich geben würde. Ja, du hattest recht, ich war eifersüchtig! Ich hatte einfach nur Angst ihn wieder verloren zu haben, an dich…“
„Heinrich“, unterbrach Richard ihn leise und leicht vorwurfsvoll. Er griff hinüber, drückte ihm kurz die Hand und Henry sah ihn voller Bestürzung an.
„Allein der Gedanke, dass er wieder einen anderen haben könnte, machte mich fast wahnsinnig, aber er sagte mir, dass ich keinen Grund dazu hätte und es nur noch mich in seinem Leben geben würde. Ich glaubte ihm“, raunte Henry und hielt sich im selben Moment die Stirn. „Er log mich an, log mir dreist ins Gesicht, aber dass er mich mit Sybilla betrogen hatte, hätte ich nie erwartet. Nie! Verstehst du?“, krächzte er heiser weiter und schüttelte gleichzeitig fassungslos den Kopf. „Einige Wochen später hatten wir wieder einen Streit, ich war sauer auf ihn und er mal wieder auf mich, weil ich mich nicht mehr ausreichend um ihn kümmern würde, so warf er es mir vor und ich habe ihn einfach stehen lassen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet und tags darauf, oder wohl eher die Nacht darauf, hatte ich die vielleicht schönste Nacht meines Lebens. Wir liebten uns wie noch nie und er sagte mir zum ersten Male, dass er mich lieben würde“, erzählte er immer leiser werdend und wieder drückte Richard ihm die Hand. „Ich brach einfach in Tränen aus, heulte sprichwörtlich Rotz und Wasser, vor lauter Glück und dann…“
„Dann?“, hakte Richard gefühlvoll nach, als Henry auch nach einer kurzen Weile nicht weitersprach.
„Wir schlossen eine Art Pakt, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll, er saß auf mir und stach mir mit einem Dolch in die Brust, genau hier“, sagte sein Neffe und tippte sich auf die Herzseite. Richards Augen weiteten sich augenblicklich vor Schreck und vor Unglauben. „Nicht schlimm, nur so tief, dass es etwas blutete“, fuhr Henry deshalb rasch fort. „Vertraue mir, sagte er und ich vertraute ihm“, wieder machte er eine kleine Pause, „er schnitt sich in die Hand und legte sie auf meine Wunde und sagte: Jetzt sind wir eins, von einem Blut, du gehörst mir und ich dir oder so ähnlich. Ich war, es war, wie in einem Traum, ich fühlte mich, wie in einem Traum gefangen, unfähig mich zu bewegen und eine bleierne Müdigkeit überfiel mich plötzlich. Alles was ich noch hörte, war sein Geständnis. Eben, dass Sybillas Kind von ihm wäre und ich nie eigene Kinder haben würde. Er bat mich sogar um Verzeihung und sagte, dass er alles nur für mich getan hätte, weil ich mir doch so sehr ein Kind gewünscht hätte…“, schluchzte er verzweifelt auf. Als Richard sich zu ihm hinüberbeugen wollte, wehrte er allerdings mit beiden Händen ab und rutschte sogar ein klein wenig von ihm fort. „Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, alles war weg“, schniefte er hilflos, „bis es mir plötzlich wieder einfiel! Am Tag als Sybilla das Kind gebar!“ Erneut musste er innehalten, um erst einmal tief Luft zu holen und wischte sich fast ärgerlich über die nassen Augen. „Dann kam Gregorius und sagte, dass es tot wäre, dass mein Kind, gestorben wäre! Alles um mich herum drehte sich nur noch und meine letzte Hoffnung war Amanoue. Ich rannte zu ihm, aber seine Tür war verschlossen, ich flehte ihn an, meinem Kind zu helfen, aber er erhörte mich nicht, ich hämmerte wie ein Verrückter gegen diese verfluchte Tür, bis meine Fäuste bluteten und plötzlich öffnete Marius“, berichtete er so als könne er es selbst nicht glauben. „Ich stieß ihn weg und versuchte wie von Sinnen Amanoue zu wecken, doch alles war vergebens. Er konnte mich nicht hören, weil Marius ihm den Bauch aufgeschnitten und ihm das Geschwür entfernt hatte. Da fiel es mir auf einem Male wieder ein, als ich später allein hier war. Ich saß da und wusste alles wieder, konnte mich glasklar an jene Nacht erinnern und damit auch an sein Geständnis. Ich weiß, dass es vor allem meine Schuld war, ich habe ihm so oft Vorwürfe gemacht, weil er mir kein Kind schenken konnte und vielleicht habe ich ihn sogar damit regelrecht in Sybillas Arme getrieben, aber vergeben, kann ich ihm nicht“, endete er beinahe flüsternd und mit geschlossenen Augen.
Richard lehnte sich tief durchschnaufend zurück. „Und seitdem warst du nicht bei ihm? War überhaupt jemand, bei ihm?“, fragte er erschüttert.
Henry öffnete die Augen und nickte leicht. „Marius. Er kümmerte sich weiterhin um ihn, versorgte die Wunde und brachte ihm Essen. Drei Wochen lag er da, dem Tode näher als dem Leben, dann ging es ihm langsam besser. Seit einer Woche etwa, scheint er über den Berg zu sein, so berichtete es mir Gregorius, aber mich kümmerte es nicht. Es ist mir gleich, was von nun an mit ihm geschieht“, antwortete er ohne jede Regung und ohne seinen Onkel anzusehen, der sich fassungslos an den Kopf fasste.
„Kann ich zu ihm?“, fragte er nach einer stillen Weile und endlich schien Henry aus seiner Starre zu erwachen.
„Warum?“, fragte er, ihn überrascht ansehend.
„Warum? Weil ich ihn sehen möchte! Und sprechen! Wenn du ihm keine Gelegenheit gibst, sich zu rechtfertigen, möchte ich wenigstens erfahren, weshalb und warum“, antwortete Richard verständnislos.
„Ah! Wie bei Sybilla, ja?“, nickte Henry ihm zu und Richard griff sich erneut seufzend an die Stirn.
„Henry! Ich bin auf deiner Seite, wirklich! Ich heiße ganz gewiss nichts gut, weder Sybillas noch Amanoues Verhalten, aber ich möchte mir eben ein eigenes Bild darüber machen. Und ehrlich gesagt, bin ich völlig durcheinander, im Moment! Mir schwirrt der Kopf über das, was ich heute alles erfahren habe oder musste. Vielleicht sollten wir erstmal darüber schlafen und morgen beraten wir uns weiter, ja?“, versuchte er ihn zu besänftigen, was Henry jedoch mit einem Schnauben quittierte.
„Morgen, Übermorgen, Überübermorgen, was soll sich ändern?“, fragte er ihn mit schiefgelegtem Kopf. „Nichts ist mehr so, wie es war und es wird auch nie mehr so werden, jedenfalls nicht für mich.“
Richard konnte nur wieder seufzen, schwer und voller Mitgefühl. Er klopfte seinem Neffen noch tröstlich das Knie und erhob sich. „Versuche zu schlafen und glaube mir, die Zeit heilt jede Wunde oder macht es zumindest erträglicher“, sagte er bitter und schlurfte hinaus.
Allerdings schlug er den Weg zu Gregorius` Gemächern ein und klopfte wenig später an dessen Tür, die auch gleich darauf von Marius geöffnet wurde. „Euer Gnaden?!“, grüßte der junge Mann erstaunt.
„Verzeiht die späte Störung, kann ich mit dir und deinem Meister sprechen?“, fragte der Herzog und Marius trat sofort zur Seite.
„Aber sicher, bitte, tretet ein“, erwiderte er, sich verbeugend.
Richard nickte ihm lächelnd zu und schritt ins Vorzimmer, während Marius nach Gregorius rief. Der Heiler kam überraschten Blickes aus dem Schlafraum und hielt verdutzt inne. „Kann ich Euch sprechen?“, fragte der Herzog und Gregorius machte eine einladende Handbewegung zu den Sitzplätzen hin.
„Euer Gnaden, welch Ehre“, antwortete er und beide setzten sich. „Nun, womit kann ich Euch dienen?“, fragte er ihn freundlich und Richard verzog derart missmutig das Gesicht, dass Gregorius unwillkürlich nickte. „Aha, ich kann es mir schon denken“, meinte der Heiler daraufhin und sah zu seinem Gehilfen auf. „Marius, bringe uns doch einen Krug von dem Gewürzwein, den wir vorhin aufgesetzt haben, ja?“
Marius nickte nur, holte den heißen Wein und drei Becher, goss ein und setzte sich ebenfalls. „Danke“, raunte Herzog Richard und umfasste seinen mit beiden Händen.
„Vorsicht, heiß“, warnte Gregorius und nippte an seinem Getränk. „Mmh, genau richtig gewürzt, gut gemacht“, lobte er Marius lächelnd. „Es gibt nichts besseres, an einem kalten Winterabend, als ein gut gewürzter, heißer Wein, nicht wahr? Besonders in unserem Alter!“
Richard schloss kurz die Augen, dann sah er sie beide fast flehend an. „Wie geht es Amanoue? Lebt er?“, fragte er tief besorgt und ohne Umschweife.
Gregorius und Marius blickten sich in stummer Verständigung an und letzterer nickte schließlich. „Ja, er ist am Leben. Ihr wisst, was geschah? Dass ich ihm das Geschwür herausgeschnitten habe?“, fragte er und Richard nickte kurz. „Es stand wirklich schlimm um ihn und so lange hatte er noch nie gebraucht, um sich zu erholen. Drei Wochen kämpfte er um sein Leben und ich war Tag und Nacht bei ihm, denn sonst durfte niemand zu ihm, seine Majestät hatte es verboten“, fuhr er beinahe angewidert fort, „und das gestattete er auch nur später und weil Gregorius ihn darum anbettelte!“
„Marius!“, rügte der auch gleich.
„Warum nimmst du ihn immer in Schutz? Ich verstehe es nicht! Ich verstehe dich nicht und das in hundert Jahren nicht! Amanoue wäre gestorben! Und er hätte eiskalt dabei zugesehen! Von mir aus, soll er verrecken! Sagte er uns ins Gesicht!“, blaffte Marius Richard wütend an und der senkte mit geschlossenen Augen bitter den Blick.
„Das sagte seine Majestät doch nur im ersten Moment seiner tiefen Trauer! Er hatte sein Kind verloren und…“
„Und, und, und! Ich kann es nicht mehr hören!“, fauchte Marius aufspringend. „Ich war als einziger bei ihm und habe wenigstens versucht, ihn zu retten, während du doch nur Henrys Händchen gehalten hast!“
„Marius! Seiner Majestät ging es ebenfalls sehr schlecht und jemand musste sich auch um ihn kümmern! Ich habe eben mittlerweile ein ganz gutes Verhältnis zu ihm aufgebaut…“, rechtfertigte Gregorius sein Handeln und wieder unterbrach ihn sein Gehilfe.
„Oh ja, Verhältnis! Das glaube ich inzwischen gern! Tagtäglich sitzt du bei diesem Scheusal und sprichst ihm auch noch Mut zu!“, schrie Marius nun schon beinahe.
„Bitte, Marius, ich möchte nur wissen, wie es ihm jetzt geht und habt vielen Dank, für alles“, versuchte Richard daher schnell die Wogen zu glätten.
„Was denkt Ihr wohl, hm?“, fuhr Marius erzürnt zu ihm herum. „Drei Wochen lag er nur da, von Fieberkrämpfen geschüttelt, ohne Nahrung aufnehmen zu können und es ist mir ein Rätsel, wie er dies überhaupt überleben konnte! Ich habe ihm nur Brühe einflößen können und auch nur heimlich! Ich schlich mich täglich hintenherum, über die Treppe, die zum Geheimgang führt und seit er wach ist, stehen auf Anweisung seiner Majestät zwei Wachen vor seiner Tür, damit niemand sonst zu ihm rein kann! Weil er“, er zeigte auf Gregorius, „es seiner Majestät ja brühwarm berichten musste! Daraufhin verbot dieser Mistkerl mir jeglichen weiteren Kontakt zu Manou und lässt ihn seither bewachen. Zwei volle Tage war er vollkommen allein dort eingesperrt!“
„Marius! Zum letzten Mal, ich verbiete dir, derart über seine Majestät zu lästern!“, tadelte Gregorius ermahnend und sein Blick schien dabei zu sagen: `Und das auch noch vor einem Mitglied des Königshauses´!
„Na und? Es ist mir gleich! Von mir aus kann jeder hören, was ich von deinem Henrylein halte!“, knallte Marius ihm trotzdem an den Kopf.
„Ich gehe wohl besser“, raunte Richard betreten und wollte schon aufstehen.
„Bitte, Euer Gnaden, vergebt meinem jungen Gehilfen! Es ist die jugendliche Unreife, die aus ihm spricht und sein ungezügeltes Temperament…“
„Jugendliche Unreife?“, schrie Marius völlig fassungslos.
„Bitte! Es reicht! Marius!“, ging der Herzog jetzt doch ziemlich energisch dazwischen. „Was ist denn nur los, mit dir? So kenne ich dich gar nicht! Du warst doch sonst immer so ruhig und besonnen, ist ja schon gut! Von mir aus kannst du meinen Neffen betiteln, wie du möchtest, es interessiert mich nicht, hörst du? Im Augenblick interessiert mich nur Amanoue und wie wir ihm helfen können! Denn in einem hast du recht! Auf seine Majestät können wir hierbei wohl nicht mehr zählen, das ist auch mir inzwischen klargeworden“, sagte er bedauernd aber eindringlich. „Er hat auch mir so etwas ähnliches gegenüber angedeutet, indem er sagte, dass Amanoue von ihm aus verrotten könne, also beruhige dich“, hängte er milder an.
„Und wie wollt Ihr ihm helfen?“, fragte Marius nicht gerade überzeugt.
„Ich weiß es ehrlich gesagt noch nicht, aber ich werde Brac mit ins Boot holen! Vielleicht kann der wenigstens zu Henry durchdringen“, antwortete Richard und so suchte er den noch am gleichen Abend auf.
***
Gleich nach dem Mittagessen ließ Henry Sybilla erneut zu sich in die kleine Halle zitieren und dieses Mal wirkte die Königin um einiges gefasster. Sie trug wieder Schwarz und das verlieh ihr noch zusätzlich etwas Erhabenes. Stolz und ebenso unnahbar wie Henry am Vortag stand sie vor dem großen Tisch und sah ihren drei Richtern geradewegs ins Gesicht.
„Seine Majestät und wir haben uns erneut über Euren Fehltritt, wenn ich es so bezeichnen darf, beraten“, sagte Wilhelm ernst und machte eine bedeutungsvolle Pause. „Und wir sind übereingekommen, keine Anklage gegen Euch zu erheben“, er senkte kurz den Blick und tippte alle zehn Fingerspitzen gegeneinander, „aber selbstverständlich kann seine Majestät Euren Betrug nicht einfach so hinnehmen und darüber hinwegsehen! Ihr werdet Euch für unbestimmte Zeit in ein Kloster Eurer Wahl zurückziehen um dort Buße für Euer Vergehen zu üben! Als Grund werdet Ihr angeben, dass Ihr Gott für die glückliche Geburt und Gesundheit Eures Kindes danken wollt und es als Eure weitere Berufung anseht, ihm zu dienen! Eure engsten Hofdamen dürfen Euch aus freien Stücken begleiten, außer Herzogin Hildegunde selbstverständlich! Sie, als Eure teure Freundin, wird sich bereit erklären, den Kronprinzen an Eurer statt aufzuziehen“, schloss er kalt ab.
Sybilla nickte zuerst nur, doch dann straffte sie sich. „Und wenn ich mich weigere? Ich fürchte mich nicht vor einem öffentlichen Prozess“, erwiderte sie ebenso unterkühlt.
Wilhelm hielt sich kurz die Stirn. „Das dachten wir uns fast, aber seid gewiss, bei einem öffentlichen Prozess wird man Euch nicht mit Samthandschuhen anfassen, so wie wir! Die Anwälte seiner Majestät werden Euch gnadenlos auseinandernehmen, verlasst Euch darauf! Und Ihr werdet natürlich in Gewahrsam genommen, im Kerker! Es ist Winter, Madame und auf einem schmutzigen Strohlager zu liegen, bei Wasser und Brot? Ich kann mir Schöneres vorstellen und solltet Ihr weiterhin diesen Unsinn von einem Incubus verzapfen, dann wird der Euch gleich dabei Gesellschaft leisten und ihr werdet beide der Unzucht angeklagt, ganz einfach! Seine Majestät hat nichts mehr mit seinem ehemaligen Adjutanten zu schaffen und es ist ihm herzlich gleich, was mit ihm geschieht. Es würde ein sehr schmutziger Prozess werden, glaubt mir und Ihr müsstet jedes noch so kleine Detail Eures Beischlafs mit ihm beschreiben. Und seid Euch ebenfalls gewiss, dass es uns nicht an Zeugen, die selbstredend allesamt gegen Euch sein werden, mangeln wird! Wollt Ihr dies wirklich oder zieht Ihr nicht doch ein würdevolles Leben, in dem man Euch weiterhin mit Achtung begegnen wird, dem vor? Es liegt bei Euch, Sybilla von Savoyen! Ihr habt bis morgen Zeit um Euch zu entscheiden und solltet Ihr ein Kloster wählen, gewährt seine Majestät Euch sogar noch eine großzügige Apanage damit es Euch auch weiterhin an nichts mangelt. Ihr hättet weiterhin Eure Dienerinnen und könntet ein ruhiges, wenn auch bescheidenes, Leben führen! Ihr dürft gehen“, antwortete er ruhig und voller geheuchelter Sanftmut.
Sybilla hatte kaum noch Farbe im Gesicht und sie schnappte mehrere Male nach Luft. „Das werdet Ihr noch bereuen“, zischte sie zornig, drehte sich um und ging.
„Das fürchte ich auch“, murmelte Wilhelm vor sich hin und sah zu seinem Bruder. „Und, bist du nun zufrieden?“
„Ich werde wohl nie wieder zufrieden sein“, raunte der ohne ihn anzusehen, zurück.
„Zumindest bist du sie erstmal los“, meinte Wilhelm achselzuckend, „und niemand kann dir etwas vorwerfen! Das ist doch schonmal was, oder?“ Er blickte von ihm zu Richard und der seufzte schwer.
„Das bleibt abzuwarten! Wer weiß eigentlich sonst noch Bescheid, also über die Sache mit den ausgetauschten Kindern?“, fragte er mulmig.
„Außer uns dreien, natürlich die Königin und ihre zwei engsten Hofdamen, Hildegunde und ihre Amme, Gregorius und dessen Gehilfe, Kai und eine Zofe“, antwortete Wilhelm entnervt.
„Du liebe Zeit!“, entfuhr es Richard erschrocken, „das ist ja der halbe Hofstaat!“
„Oh ja“, seufzte Wilhelm.
„Und? Wie willst du das wieder bewerkstelligen? Denkst du ernsthaft, dass die alle dichthalten werden?“, wandte Richard sich Henry zu, der recht teilnahmslos zwischen ihnen saß.
„Selbstverständlich haben wir mit allen beteiligten gesprochen und sie haben geschworen, zu schweigen. Wohl jeder aus einem anderen Grund, die Hofdamen und die anderen Frauen um Sybillas Willen, tja und der Rest, keine Ahnung“, erklärte Wilhelm ratlos.
„Können wir ihnen vertrauen?“, hakte Richard weiter nach und wieder hob Wilhelm die Schultern.
„Ich weiß es nicht! Aber ganz sicher können wir wohl nie dabei sein, irgendwann wird vielleicht jemand darüber plaudern, sei es aus Unbedacht oder aus welchem Grund auch immer, sie alle werden eine stetige Gefahr für ihn sein“, nickte er zu seinem Bruder hin. „Und dann gibt es auch noch Phineas! Wie viel der davon noch mitbekam wissen wir nicht, er verschwand jedenfalls in der Nacht spurlos!“
Richard stützte fassungslos den Kopf in beide Hände. „Großer Gott!“
„Gregorius wird schweigen! Und Kai ebenfalls“, murmelte Henry vor sich hin.
Seinem Onkel entkam ein schnaubendes Lachen, wie von jemandem, der am Ende seiner Nerven angekommen war. „Und die anderen?“
„Wir haben mit allen eingehend gesprochen, also ich und ihnen unmissverständlich klargemacht, was geschieht, wenn einer von ihnen sein Schweigen brechen sollte“, antwortete Wilhelm unmissverständlich. „Es würde ihnen den Kopf kosten, allen voran ihrer geliebten Königin und somit sind wir zumindest halbwegs auf der sicheren Seite, jedenfalls was deren Seite betrifft. Bei dem Rest, wie gesagt, wirklich Sicher, können wir wohl nie sein, es sei denn, naja, wir bringen sie anderweitig zum Schweigen und damit endgültig! Was Hildegunde anbelangt, sie schweigt totsicher! Immerhin ist ihr Kind jetzt der Thronfolger und sie scheint sich langsam damit anzufreunden, wenngleich sie sich auch immer noch weigert, das eheliche Bett mit mir zu teilen“, seufzte er. „Als erstes solltest du jetzt endlich wieder zum geregelten Alltag zurückkehren und dich nicht länger vor der restlichen Welt verstecken!“, brummte er zu Henry hin, was ihren Onkel fragend die Augenbrauen heben ließ und Wilhelm sah wieder zu ihm rüber.
„Er hat Weihnachten abgesagt und Silvester und seine Namenstagfeier soll auch ausfallen“, beantwortete er die ungestellte Frage mürrisch. „Gut, er hat es damit begründet, dass er es mir und Hildegunde zuliebe getan hat, aus Respekt vor dem plötzlichen Tod unseres Kindes“, sagte er zynisch, „aber irgendwann muss er wieder seinen Pflichten als König nachgehen! Und zwar bald! Immerhin wurde dem Königshaus ein Erbe geschenkt und Konr…, äh, der kleine Heinrich, ist noch nicht getauft! Wir könnten noch ein, zwei Monate warten aber dann musst du ihn endlich dem Adel und der restlichen verdammten Welt präsentieren! Hörst du?!“, fuhr er Henry ziemlich barsch an, weil der wieder nur teilnahmslos vor sich hinstarrte. „Henry!“, herrschte er ihn laut an und schlug mit der flachen Hand vor dem auf die Tischplatte, woraufhin der leicht zusammenzuckte und schließlich leicht nickte. „Gut! Wenigstens scheinst du uns halbwegs zugehört zu haben, Herrgott nochmal!“
„Hast du nicht jemanden vergessen?“, warf Richard vorsichtig ein und seine beiden Neffen sahen ihn an. Wilhelm fragend überrascht und endlich auch Henry, der allerdings wenig bekümmert wirkte. „Was ist mit Amanoue? Was soll mit ihm geschehen?“
Wilhelm hielt für einen Moment den Atem an und hob abwehrend die Hände. „Das liegt einzig allein bei ihm, ich mische mich da sicher nicht mehr ein“, antwortete er mit einem genervten Seitenblick auf Henry, der wieder die Tischplatte mit seinen Augen absuchte.
„Henry! Hast du mich verstanden? Was geschieht mit ihm? Willst du ihn für den Rest seines Lebens wegsperren?“, stellte Richard erneut seine Frage und Henry erhob sich wie jemand, der sich ein langweiliges Theaterstück nicht weiter ansehen wollte. Gähnend drehte er sich um, streckte sich und schlenderte zum Kamin. „Ich fasse es nicht“, murmelte Richard nur noch kopfschüttelnd und Wilhelm sah ihn beinahe mitleidig an.
„Das tue ich schon lange nicht mehr“, brummte er nur zurück und beide wandten sich zu Henry um.
„Willst du mir nicht wenigstens antworten?“, drängte Richard verärgert.
„Ich habe dir bereits geantwortet und es gibt nichts mehr dazu hinzuzufügen!“, kam es hart aus Henrys Mund.
„Gut!“, erwiderte Richard mit einem bekräftigenden Nicken, „dann kannst du ihn auch meiner Obhut überlassen, wenn dir eh nichts mehr an ihm liegt.“
Henry wandte sich halb zu ihm um und kniff abschätzend die Augen zusammen. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren setzte er sich in seinen Lieblingssessel und gönnte sich einen Schluck Wein.
„So kommen wir nicht weiter“, sagte sein Onkel und riss sich zusammen. „Heinrich, bitte, lass mich wenigstens zu ihm gehen und nach ihm sehen, bitte! Ich war gestern Nacht schon dort aber die Wachen ließen mich nicht zu ihm, also bitte ich dich um einen Passierschein, das ist alles. Er hat dir das Herz gebrochen, ja, aber er hat mir meines zurückgegeben“, versuchte er es mit einem versöhnlicheren Tonfall. „Ich war ein alternder, verbitterter Mann, doch er zeigte mir einen Weg heraus. Die Monate mit ihm kann ich nicht vergessen und ich möchte es auch nicht, darum bitte ich dich nochmals, erfülle mir diesen einen Wunsch, lass mich ihn noch ein einziges Mal sehen.“
Henry blickte auf und wieder zur Seite. „Wenn es dich glücklich macht, meinetwegen“, erwiderte er schließlich achselzuckend. „Bring mir ein Stück Pergament und ich gebe dir deinen verdammten Wisch.“
„Danke“, sagte Richard ehrlich gemeint, stand auf und brachte ihm die Schreibutensilien.
Henry tauchte die Feder in das Tintenfässchen und stellte ihm das gewünschte Schriftstück aus.