Das verlorene Seelenheil

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Richards Herz klopfte bis zum Hals hinauf, als er hinter dem Vorhang hervortrat, doch zu seiner Überraschung war das riesige Bett leer. „Amanoue?“, fragte er, sich umsehend und nahm sogleich eine Bewegung in einer der dunklen Ecken des großen Raumes wahr. „Amanoue, bist du das?“
Amanoue kam schnellen Schrittes auf ihn zu und hielt abrupt inne, als er ihn erkannte. Auch das erleichterte Lächeln auf seinen Lippen verschwand jäh und er schloss bitter die Augen.
„Du hast jemanden anderen erwartet, stimmts?“, fragte der Herzog mitleidig erkennend und Amanoue sah ihn traurig an. „Ich hoffe trotzdem, dass du dich wenigstens ein klein wenig freust, mich wiederzusehen“, sagte Richard betroffen und sein Gegenüber nickte schluckend.
„Onkel Richard“, kam es sehr leise zurück und das brach dem fast das Herz. Ohne ein weiteres Wort zog er Amanoue in seine Arme und drückte ihn fest an sich.
„Ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert ich bin, dich gesund zu sehen“, raunte er ergriffen und erhielt ein leises Schluchzen als Antwort. „Mein lieber Junge, ich weiß nicht wie ich dir jetzt noch helfen kann, aber ich werde alles in meiner Macht stehende unternehmen um dich hier rauszuholen! Das verspreche ich dir.“
Amanoue trat einen Schritt zurück und legte den überirdisch schönen Kopf leicht schräg. „Dann wird er also nischd kommen“, erwiderte er, so als ob er es eh schon geahnt hätte. „Warum?“, fragte er dennoch, an Richard vorbeigehend und setzte sich auf die Bettkante.
„Er“, Richard atmete hilflos durch, „er ist nicht mehr, er selbst“, sagte er, zu ihm gehend und setzte sich daneben. „Du weißt was geschehen ist?“, fragte er und nahm Amanoues zarte Hand in seine.
„Ich konnte seine Kind nischd retten und deshalb ist er böse auf mich“, antwortete er betrübt. „Es tut mir so leid, ehrlisch! Aber ich konnte doch nischds dafür, wieso bestraft er mich?“
Richard tätschelte ihm seufzend die Hand. „Er weiß es, Liebes, alles“, erklärte er sanft. „Ist es wirklich wahr, war das Kind von dir?“
Amanoues Blick ging zur Seite und er nickte leicht. „Isch wollte ihm meine Kind schenken, obwohl es mir die Hers brach. Er `at sich doch so sehr eine Erbe gewünscht“, antwortete er, Richard auf seine unschuldige Art ansehend.
„Geschah es mit Sybillas Einwilligung?“, fragte der bedächtig und Amanoue runzelte die glatte Stirn wie ein Kind, das nicht verstand, was man ihm vorwarf.
„Isch verstehe nischd?“
„Liebes, sie sagte, dass es gegen ihren Willen geschah, also dass du sie ohne ihre Zustimmung nahmst“, erklärte Richard bedächtig und zu seiner Überraschung nickte Amanoue.
„Das `atte sie auch su mir gesagt, eben, dass sie misch anklagen würde, wenn isch sie verraten würde“, seufzte er geknickt und sein Blick senkte sich wieder. „Isch `abe ihr keine Gewalt angetan, wirklisch nischd und das hatte isch auch nischd nötig, ehrlisch! Sie wollte es genauso wie isch und sie konnte gar nischd genug von mir bekommen, die erste Mal. Wir liebten uns in eine alte Hütte und es war wunderschön. Sie war so voller Leidenschaft und isch war wie versaubert von ihr. Isch weiß auch nischd, aber sie war so freundlisch und gütig su mir und die schönste Frau, die isch jemals gesehen hatte. Als isch sie sum ersten Male sah, war isch wie von meine Sinne beraubt und sofort in sie verliebt, aber sie wies mich surück, nachdem wir uns hier wiedersahen. Sie nannte misch eine Dämon, eine Incubus und drohte mir damit, misch als diese ansuklagen und wer hätte mir schon geglaubt? Sie ist die Königin und isch nur eine Sklave, also schwieg isch. Auch ihretwegen, weil sie mir trodsdem leidtat. Deswegen habe isch `enry su ihr geschickt, damit er dachte, dass es seine Kind wäre aber isch war so traurig und auch tief verledsd über Sybillas Surückweisung und dies war auch die Grund, warum isch `enrys Briefe nischd gelesen habe und ihm nischd antwortete. Schließlisch war es doch meine Kind und isch durfte misch nischd eine Mal darüber freuen, so wie alle anderen sisch mit ihm freuten. Aber dann konnte isch nischd länger schweigen, `enry hatte sich so verändert, als er von seine Rundreise surückkam. Er ist so liebevoll su mir gewesen, obwohl isch wirklisch nischd nett su ihm war und gans gleisch wie sehr isch ihn auch ärgerte, begegnete er mir doch stets mit Verständnis und Liebe. Isch wollte ihn nischd länger belügen“, schniefte er mit geschlossenen Augen.
Richard verzog betrübt den Mund. „Oh Junge, ich weiß ehrlich nicht mehr weiter, wenn ich dir doch nur irgendwie helfen könnte“, murmelte er vor sich hin und Amanoue sah ihn an.
„Bitte, ich muss ihn sehen! Wenn Ihr ihn darum bittet, für misch, dann könnte ich es ihm erklären!“, flehte er verzweifelt.
„Ach Liebes, das habe ich doch schon versucht, aber er will nicht einmal mehr über dich sprechen, sein Herz ist wie verhärtet und er starrt nur noch vor sich hin“, antwortete Richard bestürzt und drückte ihm die Hand. „Aber sag, wie geht es dir jetzt? Marius hat mir erzählt, was mit dir geschah und wie schlecht es dir ging.“
„Lange Seit ging es mir gar nischd gut und es war, als wäre isch in eine Swischenwelt gefangen gewesen. Isch konnte misch nischd bewegen, so als würden misch unsichtbare Hände festhalten. Sie fühlten sisch glühend heiß an und isch dachte, isch müsste innerlisch verbrennen“, erzählte Amanoue ihm bitter. „Es war seltsam, denn isch konnte Marius sehen und hören, aber ihm nischd antworten, dann ging es mir langsam besser“, sagte er und seufzte schwer. „Seit eine paar Tage erst, kann isch wieder laufen und eigentlisch sollte isch froh darüber sein und Marius dankbar, aber vielleischd wäre es besser gewesen, wenn er misch hätte sterben lassen. Nischd nur für misch, auch für meine arme `enry, dann wäre er wenigstens diese Sorge los und seine Hers könnte heilen. Es muss ihm fürchterlich wehgetan haben, ich, habe ihm so fürchterlich wehgetan“, schluchzte er, die Hände vors Gesicht haltend. „Ich wollte es nischd, ich wollte ihn doch nur glücklisch machen!“
Richard räusperte sich seufzend. „Es tut mir so leid“, war alles, was er in diesem Moment noch herausbrachte und Amanoue sah ihn mitfühlend an.
„Mir auch! Auch, dass isch Euch solche Kummer bereite, denn ich weiß doch, was Ihr für ihn empfindet. Es muss Euch ebenfalls sehr wehtun, ihn so leiden su sehen, ohne ihm helfen su können“, sagte er ehrlich bedauernd.
Richard sah ihn nur an und schloss vor Rührung die Augen. Eine ganze Weile saßen sie nur noch schweigend nebeneinander, bis sich Amanoue zu ihm hinüberlehnte und ihm einen zarten Kuss auf die Wange hauchte. „Ihr könnt ruhig gehen“, meinte er verständnisvoll und Richard holte tief Luft, um irgendwie nicht gänzlich die Fassung zu verlieren. „Bitte, seid für ihn da, ja? Er braucht Euch jedsd mehr denn je“, sagte Amanoue liebevoll und der Herzog konnte nur noch nicken.
Er schluckte schwer und stand auf. „Ich werde dich nicht im Stich lassen“, raunte er tief ergriffen, drehte sich rasch um und eilte hinaus.
Schnellen Schrittes ging er zurück zur Treppe, die ebenfalls zum Geheimgang führte und nahm den längeren Weg, vorbei an den Gesinderäumen, die gleich neben der Küche lagen. So war er auch schon zuvor gegangen, um zu Amanoues Gemach zu gelangen, weil er es nicht gewagt hatte, durch Henrys Gemächer zu schleichen. Schwer geschafft suchte er seine eigenen Räumlichkeiten auf und setzte sich erst einmal. „Wie soll ich ihm nur noch helfen“, murmelte er hoffnungslos vor sich hin und stützte sein langsam ergrauendes Haupt in seine Hände.
Lange saß er so da, bis er sich wieder aufraffte und sich erneut auf den Weg zum privaten Audienzzimmer machte. Wie erwartet traf er dort seine beiden Neffen an und ein einziger Blick auf die beiden genügte, um ihre Stimmung zu erkennen. „Schon wieder gestritten?“, fragte er und sie sahen ihn mürrisch an.
„Dieser Sturkopf macht mich noch wahnsinnig!“, schimpfte Wilhelm, die Augen verdrehend und zeigte auch noch anklagend auf Henry. „Ganz gleich was ich ihm auch vorschlage, er blockt alles ab!“
„Was denn?“, hakte Richard nach, wobei er nicht gerade interessiert wirkte.
„Diese blöde Namenstagfeier kann mir gestohlen bleiben“, brummte Henry und wandte ihnen trotzig den Rücken zu.
„Gut, dann lassen wir sie eben ausfallen“, meinte Richard lässig und beide sahen ihn gleichermaßen verdutzt an. Wilhelm vor Verständnislosigkeit und Henry echt überrascht. „Warum auch nicht? Wenn es sein Wunsch ist? Es ist eh eiskalt draußen und wer möchte sich schon gerne den Arsch abfrieren, nur um einen König zu sehen, der eine Trauermiene zur Schau trägt als stünde sein Reich in Flammen“, winkte er ab und setzte sich. „Könntest du nicht wenigstens Kai wieder reinlassen?“, brummte er und schenkte sich selbst ein. „Und würde einer von euch mal Holz nachlegen?“
Henry stampfte trotzig zu ihm hinüber und warf gleich eine ganze Unmenge davon in die glimmende Glut, was eine starke Rauchentwicklung zur Folge hatte. „Willst du uns alle umbringen?“, schnauzte Wilhelm ihn an, stieß ihn vom Kamin fort und fischte die Hälfte der Scheite wieder heraus.
„Wäre keine schlechte Idee“, zischte Henry hämisch zurück, während sein Bruder in der Glut herumstocherte.
„Jetzt reichts wirklich langsam!“, fuhr Richard mit erhobener Stimme dazwischen. „Hör endlich auf damit! Dein Bruder meint es nur gut mit dir und will dir helfen! So, wie wir alle“, zwang er sich wieder ruhiger zu sprechen.
„Ach ja? Und wenn ich mir nicht helfen lassen will? Mir kann sowieso niemand mehr helfen und wieso überhaupt Alle? Wer denn?!“, wurde dafür Henry mit jedem Wort lauter und ungehaltener. „Ich sehe hier nur euch zwei!“, schrie er schließlich seinen Onkel an und verschränkte vor lauter Hilflosigkeit die Arme vor seiner bebenden Brust wie ein Schutzschild. „Jedem anderen bin ich doch mittlerweile entweder scheißegal oder sie verachten mich! Ja! Es wäre tatsächlich besser, wenn ich krepieren würde“, hängte er wieder leiser werdend dran und ließ den Kopf hängen.
„Langsam kann ich es nicht mehr hören! Seit Wochen zerfließt du jetzt in Selbstmitleid und ja, allmählich bin ich auch deiner Meinung, dass du dir einfach nicht helfen lassen willst!“, brüllte Wilhelm plötzlich los, packte ihn grob bei den Schultern und schüttelte ihn heftig durch. „Wir sind hier, bei dir! Weil wir dich lieben, du Vollidiot!“
Henry ließ sich wehrlos abermals von ihm durchschütteln und sank danach schluchzend in sich zusammen. Wilhelm fing ihn auf und hielt ihn fest an sich gedrückt in seinen Armen. Auch Richard erhob sich seufzend und umarmte beide. „Bitte, Heinrich, gib dich nicht auf“, flüsterte er mühsam und endlich nickte der nachgebend.
***
Zwei Tage später gab der König die erste Audienz im neuen Jahr. Es kamen allerdings wegen der Eiseskälte nur die wichtigsten ansässigen Adligen und ein paar hochrangige Bürger der Hauptstadt, um dem Königspaar persönlich ihre Glückwünsche auszusprechen und so konnte Henry sich bereits am frühen Nachmittag wieder zurückziehen. Jedenfalls dachte er es.
Der letzte Adlige hatte sich gerade verabschiedet, als Brac sich vor dem Thron aufbaute. „Eure Majestät“, sagte er mit einer tadellosen Verbeugung, „auch ich möchte es mir nicht nehmen lassen und Euch persönlich zu Eurem Thronfolger gratulieren! Und ich soll Euch selbstverständlich auch die Glückwünsche meiner Jungs überbringen! Äh, ja, gut gemacht, alter Junge“, meinte er und klopfte dem überraschten Henry etwas unbeholfen die Schulter.
Der König blinzelte irritiert, doch dann riss er sich zusammen. „Habt vielen Dank, Baron de Brac und dankt auch Eurer Truppe vielmals“, presste er gedämpft hervor.
„Is was? Also, warum schaust`n so angepisst? Wir sind nur noch unter uns, der fette Sack is weg, was soll`n der Käse mit dem förmlichen Gerede?“, fragte jetzt auch Brac verwirrt, als sich Henry einfach erhob und Richtung kleine Halle umwandte. „Was`n los? Henry?“, rief Brac ihm nach und ging ihm hinterher. „Eigentlich wollte ich dich noch was Persönliches fragen, jetzt wart halt mal!“
Henry blieb nicht stehen und so latschte Brac ihm und den beiden Herzögen nach, bis ins private Audienzzimmer. „Kann ich mit rein?“, fragte er unschlüssig und Richard nickte.
„Komm schon rein! Eigentlich hätte ich dich schon früher erwartet“, raunte der leise und Brac sah ihn verblüfft an.
„Wie denn? Er hatte sich doch noch gar nich öffentlich gezeigt und die Holzköpfe vor seiner Tür ham mich nicht zu ihm gelassen“, entschuldigte er sich brummend.
Henry stand vor dem Kamin und blickte argwöhnisch zu ihnen. „Macht ihr endlich die Tür zu? Was willst du noch?!“
„Boaah, hier isses ja noch kälter, als draußen! Gleich wachsen noch die Eiszapfen von der Decke“, erwiderte Brac auf Henrys unterkühlten Tonfall hin und marschierte erst einmal auf Wilhelm zu. „Du, äh, Eure Gnaden, tut mir echt leid, mit deinem Kleinen, wie packst du`s denn so?“, fragte er auf seine etwas tollpatschige und rüde Art und legte ihm mitfühlend eine seiner Riesenpranken auf die Schulter.
Wilhelm hätte beinahe gelacht, doch dann konnte er sich gerade noch zurücknehmen. „Vielen Dank für deine Anteilnahme“, antwortete er, ohne ihn anzusehen.
„Echt blöde Frage, grad von mir, ´tschuldige! Muss dir echt Scheiße gehen und Hilde sicher erst recht“, meinte Brac, der Wilhelms gesenktes Haupt als Trauer deutete und der zwang sich zu nicken.
„Genug!“, fauchte Henry plötzlich. „Du hast jetzt deine Sprüche zum Besten gegeben, also herzlichen Dank und auf Wiedersehen!“
Brac drehte sich zu ihm um und starrte ihn mit offenem Mund an. „War das `n Rauswurf? Wenn ja, dann bin ich auch gleich wieder weg, aber eins möchte ich dich noch fragen, was is`n mit Amanoue los? Und wieso hast`n den unter Bewachung gestellt? Und nur von Ulrichs Leuten? Keiner von uns weiß was über ihn und von denen sagt uns auch keiner was! Nur Richard war neulich bei mir drüben und hat `ne komische Andeutung gemacht, dass du ihn eingesperrt hättest und ich mal mit dir reden soll! Also, hier bin ich und ich gehe nicht eher, bis ich eine ordentliche Antwort von dir erhalten habe“, meinte er entschlossen.
Henry warf seinem Onkel einen bitterbösen Blick zu, sah dann wieder zu Brac und verschränkte die Arme. „Das geht dich nichts an und jetzt raus, bevor ich die Wachen rufe!“, drohte er und der riesige Mann stellte sich entspannt hin.
„Da musst du schon ein ganzes Bataillon aufbieten! Die paar Hansel da draußen machen mir keine Angst“, erwiderte er trocken. „Wenn du mich loshaben willst, dann gib mir eine vernünftige Antwort. Was zum Geier, ist hier los?!“
Richard und Wilhelm sahen sich fragend unschlüssig an und dann zu Henry hin. „Sagst du´s ihm?“, fragte sein Onkel vorsichtig. „Also, ich meine, es ist Brac und er gehört ja schon fast zur Familie, zumindest ist er dein bester Freund, aber es liegt bei dir“, meinte er, die Hände abwehrend hebend.
„Ja, was denn?“, warf Brac noch verwirrter dazwischen.
„Wieviel hast du ihm schon verraten, hm?“, bellte Henry seinen Onkel an.
„Eigentlich nichts! Ich sagte ihm lediglich, dass du mal wieder einen heftigen Streit mit Amanoue hattest und du ihn deshalb eingesperrt hättest und ja, ich bat ihn, mit dir zu sprechen!“, gab Richard achselzuckend zu und Henry schnaubte mal wieder zynisch.
„Einen heftigen Streit“, raunte er voller Hohn und nickte vor sich hin. „So kann man es auch nennen!“
„Kann mir endlich mal einer sagen, was hier los ist?“, mischte sich Brac wieder ein, „ich kapier nämlich gar nix! Wilhelms Trauermiene kann ich ja verstehen, aber bei dir? Du hättest doch allen Grund dich zu freuen und feiernd durch die Gegend zu tanzen! Mensch, du hast endlich deinen Erben und ziehst ein Gesicht, als wäre morgen deine eigene Beerdigung! Was`n los mit dir, spuck`s endlich aus! Oder is was mit dem Kleinen, also Amanoue, meine ich“, fragte er schließlich, schon das Schlimmste befürchtend.
Wieder kam nur ein Schnauben von Henry und Richard sah ihn auffordernd an. „Du solltest es ihm sagen“, meinte er leise.
„Das Kind war nicht von mir!“, platzte es plötzlich aus Henry heraus. „Es war von ihm!“
„Von wem?“, kam es vollkommen überrascht von Brac und er blickte unwillkürlich zu Wilhelm hin, woraufhin der sofort verdutzt eine Augenbraue hob und geradezu empört den Kopf schüttelte.
„Nein! Es war von“, begann Richard sich windend, „ach Scheiße!“
„Amanoue!“, brüllte Henry heraus. „Er hat mich betrogen! Mit Sybilla!“
Brac stand da als hätte man ihm gerade einen schlechten Witz erzählt, dessen Pointe er nicht verstand und sein Gesicht nahm einen so ungläubigen Ausdruck an, dass es schon mitleiderregend wirkte. „Quatsch“, brabbelte er nur und blinzelte sie an.
Richard schnaufte tief durch. „Es ist wahr, leider und dies ist auch der Grund, weshalb er ihn einsperrt. Es geht Amanoue den Umständen entsprechend gut, aber…“
„Was, aber?“, brüllte Henry ihn an, „er hat mich betrogen und belogen, wie schon seit je her! Von Anfang an, hat er mich immer nur hintergangen, erst mit Ravio und mit wem weiß ich noch und nun hat er dem Ganzen die Krone aufgesetzt! Jetzt ist mir auch klar, warum er so wütend auf mich war, er war tatsächlich eifersüchtig! Aber nicht auf Sybilla, sondern auf mich, weil ich bei ihr sein konnte und nicht er! Ich will ihn nie wiedersehen! Und es ist mir gleich, was mit ihm geschieht! Von mir aus, nimm ihn mit, ich will ihn nicht länger hier im Schloss haben!“, schrie er verbittert, wobei sich seine Stimme fast überschlug, vor Schmerz. „Ich kann ihn nicht länger in meiner Nähe ertragen“, kam es schließlich nur noch schluchzend aus seinem Mund. Sein Kopf sackte herab und er verbarg sein Gesicht hinter seinen zitternden Händen.
„Scheiße, Mann“, murmelte Brac fassungslos entsetzt. „Entschuldigt, aber das is jetzt echt kein Witz? Das, das, kann doch nicht wahr sein!“ Sein Blick glitt über jeden einzelnen von ihnen und blieb an Henry hängen.
„Mir ist es eh ein Rätsel, dass du ihn bisher am Leben gelassen hast“, sagte Wilhelm plötzlich und die beiden anderen sahen ihn erschrocken an. „Was? Er sollte ihm den Kopf abschlagen lassen, dafür! Dann käme er endlich zur Ruhe!“
„Hast du `ne Meise?! Der Kleine hat uns alle gerettet!“, entfuhr es Brac wütend.
„Ich kann es langsam nicht mehr hören“, murmelte Wilhelm genervt. „Gut, er hat euch allen das Leben gerettet! Aber schau ihn dir an!“, brummte er, auf Henry deutend. „Mein Bruder ist völlig am Ende und lieber ein Ende mit Schrecken, als dieses endlose Drama! Du hast Sybilla verurteilt und schickst sie in die Verbannung! Also beende es endlich und fälle auch ein Urteil über ihn! Du musst endlich wieder zur Vernunft kommen und das kannst du nur, wenn du einen Abschluss findest! Und zwar jetzt gleich!“, sagte er aufgebracht.
„Halt die Fresse!“, herrschte Brac ihn an und machte einen drohenden Schritt auf ihn zu. „Dem Kleinen krümmt keiner ein Haar, kapiert?! Henry! Hör bloß nicht auf den, der weiß doch gar nicht was Sache ist! Amanoue hat dir mehrmals den Arsch gerettet! Und was ist mit seiner letzten Vorhersage, hm? Hast du`s schon wieder vergessen? Er riet dir Wasser und Kornspeicher anzulegen! Was, wenn er recht hatte, hm? Und das hat er! Du weißt es! Wir alle, wissen es! Bis auf diesen ignoranten Idioten, da drüben! Es ist noch keine einzige Schneeflocke vom Himmel gerieselt! Es ist zwar saukalt aber furztrocken!“
„Hört auf!“, schrie Henry verzweifelt und plötzlich nickte er. „Wilhelm hat recht, ich muss es zu Ende bringen! Holt ihn aus seinem Gemach und macht mit ihm was ihr wollt, ich möchte ihn nie wiedersehen! Sein Leben kann ich ihm nicht nehmen, das ist alles, was ich noch dazu sage“, fuhr er immer leiser werdend fort.
„Ich halte mich da raus und werde nichts dergleichen tun! Nicht dass du es mir später dann doch noch irgendwann zum Vorwurf machst, dass ich den Retter Austriens den Kopf abschlagen ließ!“, erwiderte Wilhelm äußerst zynisch. „Also Brac, du hast ihn gehört! Nimm ihn mit und sieh bloß zu, dass er ihm nie wieder über den Weg läuft!“
„Mit deiner Erlaubnis, könnte ich ihn auch einstweilen auf meine Burg bringen lassen“, schlug Richard vor.
„Es ist saukalt! Viel zu kalt, für eine mehrtägige Reise, keiner kann jetzt auch nur eine Nacht draußen verbringen und der Kleine erst recht nicht!“, widersprach ihm Brac allerdings sofort verständnislos.
„Es ist mir gleich!“, schrie Henry wieder. „Ich will nichts mehr hören!“, gellte seine Stimme durch den Raum und er drehte sich die Ohren zuhaltend, um.
„Also bleibt vorerst nur eines“, brummte Brac, einen missmutigen Blick auf seinen König werfend, „ich nehme ihn mit rüber, bis es wärmer wird und dann sehen wir weiter, einverstanden?“
Richard nickte und Wilhelm zuckte desinteressiert mit den Schultern. „Hauptsache, er ist erstmal weg und sollte er hier nochmals auftauchen, mache ich ihn persönlich kalt“, murmelte er genervt, während Richard ein kurzes Schriftstück aufsetzte und damit zu Henry ging.
„Du musst es unterzeichnen“, sagte er sanft und Henry unterschrieb ohne einen weiteren Blick auf die geschriebenen Worte zu werfen. „Danke“, meinte Richard leise und klopfte ihm die Schulter. „Vielleicht ist es wirklich besser so“, raunte er belegt, das Pergament an Brac weiterreichend und der große Mann nahm es nickend entgegen.
„Und damit wäre es wieder einer mehr“, murmelte Wilhelm wieder, die Augen verdrehend.
„Brac, ich muss dir nicht sagen, dass dies hier unter uns bleibt, ja?“, sagte Richard daraufhin eindringlich.
„Warum tust du`s dann trotzdem? Denkst du echt, ich würde es sofort draußen herum posaunen?“, erwiderte Brac fast beleidigt. Er wartete noch einen Moment unschlüssig und als von Henry nichts mehr kam, deutete er schließlich eine Verbeugung an. „Es tut mir wirklich leid, Henry“, sagte er noch und machte sich auf den Weg.
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Allerdings marschierte er völlig ungehemmt durch die königlichen Gemächer und auch der vollkommen überrumpelte Kai konnte ihn nicht aufhalten. Mürrisch blieb Brac erst wieder vor den beiden Wachen stehen und hielt einem davon das Pergament unter die Nase. „Ich bin hier, um den Kleinen mitzunehmen!“, sagte er unumwunden.
„Was soll das heißen, Ihr nehmt ihn mit?“, fragte die Wache überrascht.
„Na lies es doch selbst, Mann!“, herrschte Brac ihn ungeduldig an und der Gardist zog ein belämmertes Gesicht.
„Ich kann nicht lesen, du vielleicht?“, fragte er seinen Kameraden und der schüttelte ratlos den Kopf.
„Oh Mann, Jesus!“, brummte Brac nur und las genervt vor:
„Hiermit erteile ich Baron de Brac die Erlaubnis, den Gefangenen mit sich zu nehmen, unterzeichnet von seiner Majestät, König Heinrich von Austrien! Zufrieden?“, blaffte er sie an und die beiden tauschten die Blicke.
„Das kann ja jeder behaupten!“, meinte der andere schnippisch und sein Kamerad nickte bestätigend.
Brac wandte sich halb um, packte Kai am Kragen und zog ihn vor sich. „Was steht da? Hab ich recht? Na los, sag`s ihnen!“, verlangte er barsch und Kai überflog die Zeilen.
„Ja, es stimmt“, sagte er kleinlaut und Brac ließ ihn los.
„Also, siehste! Der da ist mein Zeuge und jetzt macht ihr zwei die Fliege!“, fuhr der gigantische Mann sie an.
„Ist ja schon gut, beruhige dich“, wiegelte der erste Gardist mulmig ab und wollte ihn schon durchlassen.
„Nee, nee“, schüttelte der andere den Kopf, „nicht mit mir! Wir dürfen niemanden da reinlassen, außer Marius! So lautet die Order!“
„Ich geb dir gleich `ne Order, du Hampelmann!“, schnauzte Brac ihn an und beugte sich bedrohlich über ihn. Der Soldat war mindestens anderthalb Köpfe kleiner als er und nur halb so breit und so trat er eingeschüchtert zur Seite.
„Gut, aber du bestätigst es wirklich!“, piepste er zu Kai hin und der nickte rasch.
„Macht `n Abgang! Aber schnell, oder meine Faust überlegt sich`s doch noch“, donnerte Brac die beiden an und die verzogen sich umgehend. „Und du? Gehst du mit rein?“, fragte er Kai und der seufzte unschlüssig.
„Ich weiß nicht, ich darf eigentlich nicht und es ist mir echt schleierhaft, wie du das geschafft hast! Ist das Schriftstück wirklich echt? Es ist jedenfalls nicht von Henry selbst geschrieben, das erkenne ich nämlich“, antwortete er.
„Klar ist es echt, du Holzkopf! Hat zwar Herzog Richard aufgesetzt, aber der Alte hat`s unterschrieben! Und jetzt lass mich da rein, wenn du schon nicht genug Mumm dazu hast! Ich werde Amanoue auf alle Fälle mitnehmen!“, sagte Brac entschlossen und zog den Riegel zurück. „Was jetzt?“