Das verlorene Seelenheil

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Kai holte tief Luft und nickte. „Ich hoffe nur, dass er auch mitgehen kann“, grummelte er vor sich hin und folgte Brac in den düsteren Raum.
Ein starker Veilchenduft wehte ihnen sofort entgegen und Brac konnte sich ein tiefes Seufzen nicht verkneifen. „Jedes Mal, wenn ich hier reinkomme, ist es das gleiche! Jedenfalls riecht`s immer gleich“, murmelte er und beide blieben kurz stehen.
Marius saß am Bett und sah sie genauso überrascht an, wie sie ihn. „Wie kommt ihr beiden denn hier rein?“, fragte er und blickte zur Tür als würde er gleich noch die Wachen erwarten.
„Egal!“, winkte Brac ab und kam rasch heran. „Wie geht’s ihm? He, Kleiner!“
Amanoue schien zu schlafen, doch dann erkannte er, dass dessen Augen offenstanden und starr nach oben blickten. „Jesus! Er ist doch nicht etwa tot?!“, rief Brac erschrocken aus und fasste sich ans Herz.
„Nein, er liegt oft so da und starrt dort hinauf“, antwortete Marius und deutete auf den Baldachin. „Wochenlang schon, allerdings ging es ihm die letzten Tage besser und er konnte sogar schon wieder gehen, aber seit gestern Abend ist er wieder in diesem Zustand“, meinte er seufzend.
Brac näherte sich vorsichtig und setzte sich auf die Bettkante. Unter seinem Gewicht sank die Matratze auf seiner Seite derart ein, dass Amanoues Körper beträchtlich in Schieflage geriet und zu ihm kippen zu drohte. „Kleiner?“, fragte der Riese sanft und Amanoue sah ihn tatsächlich an.
Mit einem überraschten „Huch“ rollte er seitwärts in die tiefe Mulde um Bracs breiten Hintern herum und klebte für einen Moment förmlich an dem, bis er sich mit allen Vieren strampelnd wieder aus dem Loch befreien konnte. „Brac!“, rief er freudig aus und warf sich in dessen Arme. „Was machst du denn hier?“
„Na hör mal, haste echt gedacht, ich würde dich hier drin verrotten lassen? Ich bin hier um dich hier rauszuholen!“, antwortete Brac und drückte ihn fest. „Mann, alles wieder weg! Bist wieder Mager wie eh und je“, brummte er ihm ins Ohr und Amanoue schluchzte leise. Er hielt ihn noch einen Moment fest und schob ihn dann sachte von sich. „Komm, Kleiner, lass uns von hier abhauen, bevor sich`s der Alte noch anders überlegt!“
„Er lässt misch gehen?“, fragte Amanoue ungläubig und Brac nickte mit verzogenem Mund.
„Naja, ehrlich gesagt, möchte er dich nie wiedersehen und das gleicht wohl dann eher einem Rausschmiss als einem Gehenlassen“, meinte er verhalten. „Oh Mann, Kleiner, da hast du dieses Mal echt den Bock abgeschossen! Auf alle Fälle hast du damit deinen Wunsch erfüllt, als du sagtest, dass du ihm richtig wehtun möchtest. Da wäre es mir echt lieber gewesen, wenn du dir doch wieder einen von meinen Jungs ausgesucht hättest! Aber Sybilla? Das wird er dir nie verzeihen“, brummte er vorwurfsvoll.
Amanoue biss sich auf die Unterlippe und ließ den Kopf hängen. „Das habe isch doch nischd gewollt“, schniefte er tief bekümmert.
Brac seufzte laut. „Jetzt ist halt so und wir können nichts mehr daran ändern, das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, das kann man nicht mehr ungeschehen machen und jetzt lass uns gehen, zieh dich an“, raunte er und Amanoues Kopf ruckte wieder hoch.
„Die Kind ist in eine Brunnen gefallen?!“, rief er erschrocken und klatschte vor Entsetzen seine Hände gegen seine Wangen.
„Nee! Das war eine Redewendung! Herrgott nochmal! Dem Kind, deinem Kind“, verbesserte er schnaubend, „geht’s gut! Hoffe ich zumindest…“
Marius und Kai warfen sich mulmige Blicke zu und beide schnauften so schwer durch, dass sie unweigerlich ihre Aufmerksamkeit auf sich zogen. „Oh, Kai, du bist ja auch da, schön disch su sehen“, sagte Amanoue, noch immer etwas verwirrt erscheinend.
„Äh, ja, hallo“, war alles was der junge Diener im Moment herausbrachte.
„Wieso gut?“, murmelte da Marius verständnislos. „Das Kind ist doch gestorben!“
Kai trat ihm dermaßen gegen das Schienbein, dass Marius aufheulte wie ein getretener Hund. „Halt die Klappe, du Idiot!“
„Hast du sie noch alle?!“, schimpfte Marius empört zurück und Brac blickte argwöhnisch zwischen ihnen hin und her.
„Is mir hier irgendwas entgangen? Das Kind lebt gar nicht mehr?“, fragte er ungläubig und die drei senkten wie auf Kommando ihre Augen. „Heiliger Bimbam!“, entfuhr es Brac entsetzt, „aber, also, was ist das dann, also, das ganze Getue um einen Thronfolger, ER, hat gar keinen?!“
„Na toll, bravo, gut gemacht!“, zischte Kai Marius an und der zog eine verlegene Schnute.
„Die Kind ist gleisch nach die Geburt gestorben, Sybilla `at es getötet“, flüsterte Amanoue und alle fuhren zu ihm herum.
„Was?“, kam es gleichzeitig aus ihren Mündern und Amanoue nickte traurig.
„Isch `abe es gesehen, sie `at unsere Kind einfach an sisch gedrückt, bis es tot war“, schluchzte er los. „Sie `at es erstickt, nur weil es meine Kind war und isch fühlte es, `ier“, heulte er, sich ans Herz fassend.
„Heilige Scheiße“, murmelte Brac fassungslos. „Das wird ja immer schlimmer! Kein Wunder, dass Henry so drauf is! Das haut echt den Stärksten um!“
„Das darfst du niemandem sagen! Hörst du! Oder er lässt uns alle einen Kopf kürzer machen und nur wegen dir Idiot!“, schnauzte Kai und stieß Marius wieder grob an.
„Keine Angst, ich verrate bestimmt nichts“, brummte Brac zu ihnen hin und wandte sich wieder um. „Komm jetzt, Kleiner! Aber zieh dich warm an, is saukalt draußen!“
„`at es geschneit?“, schniefte Amanoue und wischte sich die Augen trocken.
„Nee, leider noch nicht. Wir haben Ostwind und der bringt nur trockene Kälte! Damit`s schneien kann, müsste der Wind drehen und von Westen kommen, vom Meer her. Der würde dann mildere und feuchtere Luft mitbringen, verstehst du?“, erklärte Brac und Amanoue nickte.
`Du kannst die Elemente beeinflussen´, hörte er in seinem Kopf und zwinkerte verstört.
„Ich weiß nicht, ob er schon so weit laufen kann“, warf Marius währenddessen skeptisch ein. „Er ist noch ziemlich schwach und ihr solltet lieber den langen Weg nehmen, über die Treppe“, meinte er, mit dem Finger die ungefähre Richtung anzeigend.
„Klar, oder denkst du echt, ich latsche mit ihm munter durch Henrys Heiligtum?“, erwiderte Brac mürrisch. „Ich werde den Kleinen halt tragen, das macht doch nix, hm, du Fliegengewicht?“, wandte er sich um einiges freundlicher an Amanoue und der rutschte endlich zur Bettkante. „Ähm, Kai, würdest du ihm seine Sachen einpacken?“
„Sicher!“, antwortete der Diener nickend und wollte sich schon umdrehen.
„Nein!“, widersprach Amanoue jedoch und senkte den Blick. „Isch möschte nischds von ihm mitnehmen“, hauchte er leiser.
„Kleiner! Da draußen ist es saukalt und du kannst wohl schlecht nur mit deinem Hemd am Leibe da rausgehen! Was Warmes solltest du dir schon anziehen!“, riet ihm Brac eindringlich, doch Amanoue schüttelte wieder den Kopf.
„Es wäre nischd richtig, es würde sich nischd richtig anfühlen, für misch und isch würde mir wie eine Dieb vorkommen. Er hat mir all diese schöne Sachen geschenkt, aber isch kann sie jedsd nischd mehr annehmen, lieber gehe isch nackt…“
„Das würdest du ziemlich schnell bereuen, glaub mir!“, brummte der große Mann. „Zieh dir wenigstens das Nötigste an oder willste dir wieder den Arsch abfrieren, wie in Averna? Und das war noch gar nix gegen die Kälte, die wir grad haben!“
Amanoue sah ihn dermaßen erschrocken an, dass Brac unwillkürlich lachen musste. „Oje, oje, nein, dass, will isch dann doch nischd“, brabbelte er entsetzt.
„Siehste! Also dann doch lieber ein paar warme Klamotten mopsen und glaube mir, Henry wird’s scheißegal sein“, meinte Brac, etwas betreten die überbreiten Schultern hebend.
„Aber mitnehmen werde isch sonst nischds! Nur eine warme Gewand, mehr nischds“, bekräftigte Amanoue nochmals und schob plötzlich seinen rechten Ärmel hoch. Nachdenklich betrachtete er das Sklavenarmband. „Er möschte misch wirklisch nie wieder, sehen?“, fragte er bangend aber auch ein wenig hoffnungsvoll, während seine Augen wieder feucht wurden und Brac nickte seufzend.
„Das waren seine Worte, leider! Und dieses Mal denke ich, meint er es wirklich so! Wie konntest du auch so einen Bockmist bauen“, kam es sehr vorwurfsvoll von ihm zurück.
Amanoue nickte nur und hielt ihm den Arm hin. „Machst du es ab?“, fragte er bittend und unweigerlich kamen ihm die Tränen. „Isch `abe es gehasst und nun ist es, als würde isch mir eine Teil von meine Hers herausschneiden“, schluchzte er herzzerreißend.
„Hör mal, das Ding ist aus Gold, du solltest es vielleicht behalten, nur für alle Fälle, denn auf Dauer kannst du nicht bei uns drübenbleiben, das hat er mir ebenfalls klargemacht und zwar unmissverständlich! Wenn es nach Wilhelm gegangen wäre, stünde hier nämlich ein Henker, statt ich! Und Richard wollte dich eigentlich auf seine Burg schaffen lassen, aber bei der Kälte geht das im Moment nicht. So leid es mir auch tut, aber spätestens im Frühjahr wirst du uns wohl doch verlassen müssen“, gestand ihm Brac bestürzt.
„Mach es bitte ab“, flehte Amanoue dennoch und so nahm Brac ihm schweren Herzens das schön verzierte Armband ab.
„Hier“, sagte er, es ihm reichend.
Amanoue sah es geradezu zärtlich an, küsste es sanft und legte es aufs Kopfkissen, Henrys Kopfkissen. Er rutschte aus dem Bett, zog sich die warmen Wintersachen an und Kai hielt ihm den herrlichen Zobelfellmantel hin. „Lege ihn wieder weg, ich möchte ihn nischd“, sagte er und Kai nickte betroffen. „Danke Kai, für alles und vergib mir bitte“, hauchte er und Kai fiel ihm um den Hals.
„Du mir auch, verzeih mir bitte“, wimmerte er ebenso und beide umarmten sich schluchzend.
„He, Mann! Jetz langst aber!“, brummte Brac schniefend. „Noch isser ja nich weg! Kannst doch jederzeit rüberkommen!“
Kai nickte zwar, aber tief in seinem Inneren wusste er, dass er genau dies nicht tun würde. Er hatte seine Wahl getroffen und die war Henry. Sich mühsam zusammennehmend ließ er Amanoue los und trat einen Schritt zurück.
„Ich werde auf alle Fälle weiterhin für dich da sein und nach dir sehen“, sagte Marius, als ob er Kais Gedanken gelesen hätte und schnaufte ebenfalls tief durch. „Bis bald, ja?“
Amanoue konnte nur noch nicken. Er holte den alten Umhang, den Sebastian ihm einst mit Kaninchenfellen unterfüttert hatte und legte ihn sich um. Brac zog ihn sanft an sich, führte ihn zur Tür und Amanoue drehte sich noch einmal um. „Dies war für misch wie eine Kerker und doch fühle isch misch jedsd wie eine eingesperrte Vogel, der plödslisch die offene Käfigtüre erblickt und Angst davor hat, davonsufliegen“, raunte er.
„Komm, Kleiner, die Freiheit wartet auf dich und du brauchst nur die Flügel auszubreiten, auch wenn du dich jetzt davor fürchtest und du nicht weißt, was auf dich zukommt“, meinte Brac mitfühlend und schob ihn hinaus.
Als hätte der Himmel Bracs Worte gehört, drehte noch in derselben Nacht der Wind auf West und brachte den langersehnten Schnee. Und zwar gleich Haufenweise davon. Es schneite tagelang ohne Unterlass und bald lag über allem eine meterdicke, weiße Daunendecke. Damit fiel zu Henrys Erleichterung dessen Namenstagfeier endgültig aus und es fanden auch zwangsläufig keine weiteren Audienzen mehr statt, was eine fast gespenstische Ruhe zur Folge hatte.
Der König grübelte weiterhin still vor sich hin, Sybilla verblieb einstweilen weiterhin in ihren Gemächern und Amanoue zog in die Gardisten Unterkünfte ein.
Frühlingserwachen
Brac marschierte mit Amanoue auf seinen Armen über den Hof und blieb vor dem U-förmigen Bauwerk stehen. „Also nur noch mal zur Erklärung, die Soldatenunterkunft besteht aus drei Langhäusern, die miteinander verbunden sind. Links von uns, wohnt die erste Abteilung, also Herriks Männer, die zweite, also wir, sind in der Mitte untergebracht, aber das weißte ja eh schon und das rechte Gebäude wird von Ulrichs Leuten bewohnt. Jedes Langhaus besitzt fünf Schlafräume à zehn Mann und noch eines für die Unteroffiziere, allerdings penn ich lieber bei meinen Jungs! Ich hab mir eh ein anderes Bett anschaffen müssen, das in der Offizierskammer war ein bissel zu kurz für mich und viel zu schmal“, meinte er augenzwinkernd. „Außerdem gibt’s noch einen Gemeinschaftsraum, da wo wir immer rumhocken, den kennst du ja auch zur Genüge und direkt dahinter sind unsere Schlafräume. Die Hauptleute sind in einem eigenen Trakt untergebracht, selbstverständlich im Schloss“, sagte er etwas spöttelnd.
Amanoue nickte leicht. „Lässt du misch bitte runter? Isch würde lieber auf meine eigene Füße reingehen“, bat er leicht verlegen.
„Kannste denn gehen?“, fragte Brac abschätzend und Amanoue nickte erneut.
„Klar doch, die paar Schritte schaffe isch schon“, meinte er bestimmt und so setzte Brac ihn vor sich ab. Amanoue schnaufte tief durch, was einem schweren Seufzer gleichkam. „Und wo schlafe isch?“
„Na bei uns! Wir stellen dir einfach noch ein Bettchen rein! Ach nee, brauchen wir ja gar nicht, Alecs Bett ist eh noch unbesetzt, wenn`s dir nix ausmacht?“
Amanoue schüttelte kurz den Kopf. „Nein, gar nischds und außerdem kann isch in meine Situation wohl eh keine Ansprüsche stellen“, seufzte er zu ihm hoch.
Brac grinste auf ihn hinab und tätschelte ihm aufmunternd die Schulter. „Na dann, lass uns reingehen und ein erstes Bierchen auf dein neues Zuhause schlürfen!“
„Oje, was die Jungs wohl dasu sagen werden?“, murmelte Amanoue befürchtend, doch Brac schob ihn schon sachte an.
„Na was wohl, die werden sich freuen! Wie immer, wenn sie dich sehen, naja, außer Benny vielleicht. Der wird wohl nich ganz so erfreut darüber sein, aber du musst ja zum Glück nicht direkt neben ihm pennen. Alecs Bett steht ganz hinten und Bennys ziemlich weit vorne, auf der anderen Seite und an seine dummen Sprüche bist du doch eh schon gewöhnt“, winkte Brac lässig ab.
„Ja, schon“, seufzte Amanoue wieder und zog den Umhang enger um seine schmale Gestalt. „Wirklisch saukalt, brrr“, machte er und Brac lachte.
„Dann Abmarsch mit dir, rein ins Warme“, sagte er drängend und beide betraten rasch das Wachgebäude.
Wie immer war der Aufenthaltsraum gut gefüllt, wenn nicht sogar überfüllt und wirklich jeder Tisch und Sitzplatz war besetzt. Brac schob Amanoue weiterhin vor sich her und nicht wenige der Soldaten grüßten freundlich, als sie deren Tische passierten, um an ihren Stammplatz zu gelangen.
Natürlich waren die Jungs erstmal baff als sie erfuhren, dass Amanoue bei ihnen einziehen würde und Benny verschränkte auch gleich abschätzend die Arme vor der Brust. „Was hast du denn jetzt wieder angestellt?“, fragte er, die Augen maßlos übertrieben verdrehend.
„Er hat gar nichts angestellt!“, antwortete Brac sogleich. „Seine Majestät meinten nur, dass es dem Kleinen mal guttun würde, wenn er als sein Adjutant auch das echte Soldatenleben kennenlernt!“
„Wer`s glaubt“, raunte Benny höhnisch und Brac hob drohend eine seiner riesigen Pranken. „Ist ja schon gut“, wiegelte Benny schnippisch ab, „man wird ja mal fragen dürfen! Herrje, was bist`n so schlecht drauf!“
„Halt deine vorlaute Klappe, Benny! Oder ich lass dich `ne extra Wache schieben und zwar draußen“, drohte Brac ihm nochmals nachdrücklich an und sein jüngster Rekrut wandte sich beleidigt ab.
„Du hast ja wahnsinnig abgenommen!“, sagte er dafür wieder übertrieben staunend zu Amanoue. „Wie hast`n das geschafft, bei der Wampe, die du hattest?“
Amanoue zuckte nur die Achseln und wich seinen musternden Blicken aus, was Benny noch mehr Zunder zu geben schien. „Also die Fastenkur musst du mir echt mal verraten oder lag es daran, dass du dich seit Wochen hier nicht mehr hast blicken lassen? Wo hast`n gesteckt?“
„Mir ging es eine Seitlang nischd so gut“, antwortete Amanoue verhalten und Benny klatschte in die Hände.
„Wusste ich`s doch! Wir haben uns nämlich alle schon gewundert, wegen der eigens zu deiner Bewachung abgestellten Leute“, platzte es aus ihm heraus. „Nun erzähl schon, was war wieder los?!“
Auch die anderen am Tisch sahen Amanoue neugierig an und so blickte der hilfesuchend zu Brac. „Lass ihn in Ruhe, Benny! Ihr alle!“, brummte ihr Vorgesetzter. „Holt uns lieber mal einer von euch Knilchen `n Bier!“, verlangte er und Finn nickte.
„Da war doch wieder was, zwischen dir und seiner Majestät“, ließ Benny einfach nicht locker und endlich sah ihn Amanoue direkt an.
„Wir sind nischd mehr susammen, alles klar jedsd? Seine Majestät hat misch rausgeworfen, endgültig! Und wenn ihr den Grund dafür auch noch wissen wollt, isch habe ihn betrogen, mit eine Frau“, sagte er und senkte durchschnaufend wieder seinen Blick.
Alle am Tisch starrten ihn an. „So, jetzt wisst ihr es und nun kein weiteres Wort mehr darüber“, zischte Brac sie drohend an. „Der Kleine wird erstmal hier bei uns unterkommen und im Frühjahr wird sich zeigen, wie es weiter geht, aus, ende!“
Finn stand schluckend auf, holte zwei Bier und stellte sie vor ihnen hin. „Scheiße Mann“, sagte er zu Amanoue und der nickte seufzend.
„Das kannst du laut sagen!“
„War sie`s wenigstens wert?“, fragte Matto grinsend.
„Nein, nischd wirklisch“, antwortete Amanoue genervt. „Sie war nur eine von diese willige Weiber, wie du immer sagst, isch habe sie einfach flachgelegt und das wars!“
Bernard hob die Augenbrauen. „War sie wenigstens hübsch? So wie die Kleine in Averna?“
„Ja! Und noch viel `übscher!“, zischte Amanoue zu ihm hin.
„Na dann, c`est la vie, mon ami“, meinte er und stieß mit ihm an.
„Du hattest schon mal was, mit `ner Frau?“, piepste Benny entsetzt.
„Stell dir vor! Und, nischd nur mit diese! In Averna waren es sogar swei!“, antwortete Amanoue angekratzt und unwillkürlich lachten einige auf.
„Die fette Lola!“, prusteten Finn und Matto los und auch Brac musste grinsen.
„Ach haltet doch die Klappe“, zischte Amanoue sie beleidigt an und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Ich fasse es nicht“, murmelte Benny schockiert, „kein Wunder, dass ER dich rausgeschmissen hat! Also ich, würde seine Majestät ja nie…“
„Halt die Klappe, Benny!“, kam es aus den Mündern seiner Kameraden und Benny ruckelte beleidigt mit dem Kopf.
„Na denn, Prost“, meinte Matto und hob seinen Krug. „Willkommen, bei unserem Haufen!“
***
Henry schlug die Decke zurück, küsste sich zärtlich über die linke Pobacke nach oben und Amanoue rekelte sich lächelnd. Er blickte ihn über seine linke Schulter hinweg an und Henry küsste ihn auch darauf. „Isch liebe disch“, flüsterte Amanoue und Henry sah ihn liebevoll an. Doch dann begann sich dessen Gesicht zu verändern, zerfloss wie schmelzendes Wachs und wurde mehr und mehr zu einer entstellten Fratze.
„Ich hasse dich“, kam es aus dem verzerrten Mund und Amanoue wachte schreiend auf.
„Wieder mal ein Albtraum?“, nuschelte es von Finn herüber.
„Ja“, antwortete Amanoue und setzte sich halb auf. „Und es ist immer die gleische…“
„Oh Mann, halt die Klappe“, kam es genervt von weiter vorn. „Jede Nacht das Geschreie, von dir! Wie soll man da schlafen?! Du musst ja nicht frühmorgens aufstehen“, meckerte Benny.
„Isch kann doch auch nischds dafür“, verteidigte Amanoue sich betreten. „Entschuldige, bitte.“
„Hättest halt deinen Schwanz besser unter Kontrolle halten sollen“, brummte Matto.
„Wahnsinn, dass wir beide mal einer Meinung sind“, sagte Benny zynisch. „Ich habe doch glatt, gerade das gleiche gedacht…“
„Ruhe!“, bellte Brac herüber und alle legten sich wieder hin.
Amanoue starrte eine Weile vor sich hin, bis wieder die üblichen Schlafgeräusche der anderen erklangen. Brac schnarchte vor sich hin, Finn seufzte leise im Traum, ein anderer nuschelte irgendetwas unverständliches und irgendwer furzte langgezogen. Stöhnend zog er die Decke über seinen Kopf und versuchte vergeblich wieder einzuschlafen, nur um eine Stunde später doch aufzustehen. Leise zog er sich an, schnappte sich noch den Umhang und schlich sich hinaus, so wie er es in den letzten Nächten oft getan hatte.
Der Schnee glitzerte wie eine blaue, mit Diamanten übersäte Decke und Amanoue atmete tief durch. Die Nachtluft war kalt, aber nicht mehr so eisig wie noch vor zwei Wochen, als er sein Gemach verlassen hatte. Seitdem verlief jeder Tag gleich, Amanoue wanderte die halbe Nacht ruhelos umher, legte sich erst bei Sonnenaufgang wieder hin und schlief dann bis mittags. Danach aß er etwas und suchte sich anschließend irgendeine Arbeit. Als erstes hatte er sich ihren Schlafraum vorgenommen und der erstrahlte seitdem in einem nie dagewesenen Glanz. Auch hatte er es sich zur täglichen Aufgabe genommen fortan die Betten der Jungs zu machen und so war deren Schlafraum mittlerweile zu dem wahrscheinlich ordentlichsten der ganzen Garde geworden. Nach dem Abendessen vertrieb er sich die Zeit im Gemeinschaftsraum, würfelte mit den Jungs oder unterhielt sich mit Marius, der ihn wie versprochen, regelmäßig aufsuchte. Doch der konnte ihm jedes Mal auch nur immer das gleiche berichten, nämlich so gut wie gar nichts. Da noch immer keine öffentlichen Audienzen stattfanden, vergrub sich der König weiterhin in seinen Gemächern oder saß mit seinem Onkel und seinem Bruder im kleinen Saal herum.
Die einzige Abwechslung war hin und wieder Satory, der ihn ebenfalls ab und zu besuchte, doch auch der wusste ihm nichts Neues zu erzählen, da Henry sich auch ihm gegenüber abschottete.
Und so verliefen die nächsten Wochen alle im selben Trott und vergingen zäh wie Leim. Der Februar kam und brachte zum Ende hin endlich milderes Wetter, der Schnee schmolz und das Schloss schien damit wie aus einem Dornröschenschlaf zu erwachen. Der König begann wieder Audienzen zu halten und somit mussten die Gardisten ebenfalls wieder ihren regelmäßigen Dienst in der großen Halle aufnehmen, was zur Folge hatte, dass Amanoue immer häufiger alleine herumsaß.
Am ersten März, seinem neunzehnten Geburtstag, schien die Sonne bereits wieder warm vom strahlend blauen Himmel und da seine Freunde allesamt zur Wache eingeteilt waren, verließ er gleich nach dem Mittagessen den Gemeinschaftsraum.
Eine Weile schlenderte er gelangweilt im hinteren Teil des riesigen Innenhofes umher, bis er schließlich vor dem großen, zweiflügeligen Tor stand. Nachdenklich blickte er auf den dicken, langen Querbalken, der es neuerdings noch zusätzlich verschloss und trat heran. Damals hatte er es nur mit Richards Hilfe geschafft, das schwere Tor zu öffnen und so seufzte er erst einmal. Wie wohl der Garten jetzt nach dem harten Winter aussah? Hatten die jungen Bäume überlebt? Stand der Pavillon überhaupt noch oder war er den schweren Herbststürmen zum Opfer gefallen? Was war aus dem Springbrunnen geworden? Oder hatte Henry vielleicht sogar tatsächlich alles wieder abreißen lassen und damit seine Drohung wahrgemacht…
Allein würde er den Querbalken niemals heben können, da war er sich hundertprozentig sicher und doch versuchte er es. Zaghaft legte er seine zierlichen Hände auf die Unterseite und drückte nach oben. Nichts bewegte sich, der Balken rührte sich keinen Millimeter breit und so versuchte er es noch einmal. „Na komm schon“, murmelte er vor sich hin, stemmte sich mit aller Kraft dagegen, das Holz knirschte verdächtig und, gab plötzlich nach. Wie von unsichtbaren Kräften unterstützt, hob Amanoue den zentnerschweren Balken hoch und warf ihn auf die Seite. „Puh!“, machte er durchschnaufend, schob den Riegel zurück und zog eine Flügelseite des Tores auf. Gerade soweit, dass er durch einen Spalt hindurchschlüpfen konnte und sah sich staunend um. Die ersten zarten Triebe zeigten sich an den jungen Obst- und Zierbäumen, grüne Sprosse der Lilien durchbrachen gerade das feuchte Erdreich, die Rosenbüsche zeigten die ersten rötlichen Blattknospen, hunderte blühende Schneeglöckchen säumten den Kiesweg rechts und links davon, einige vorwitzige Gänseblümchen hatten ihre kleinen Blütenköpfe dazwischengeschoben und hier und da blühten sogar schon einige Anemonen.
Amanoue wurden unwillkürlich die Augen feucht bei diesem unverhofften Anblick und die Erinnerung an die Erschaffung des Gartens ließ ihn leise schluchzen. Wie sehr hatten er und die Jungs geschuftet und sich abgerackert, monatelang unermüdlich daran gearbeitet und dann hatte alles ein so jähes Ende genommen…