Das verlorene Seelenheil

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Er schlenderte den Weg entlang, entdeckte voller Freude die von ihm gesetzten Erdbeerpflänzchen, die sich ebenfalls anschickten den Frühling zu begrüßen und sogar schon die ersten kleinen Blütenknospen in ihren Herzen bargen. Einige Bienen flogen bereits in der Hoffnung auf Nektar herum, ein erster Zitronenfalter gaukelte noch etwas steif wirkend über die ehemalige Wiese, die bald ein Blütenmeer werden würde und Amanoues Blick folgte ihm lächelnd, bis er ihn aus den Augen verlor. Langsam spazierte er weiter, genoss jeden einzelnen Atemzug der lauen, zart duftenden Frühlingsluft und hinter der sanften Biegung tauchte das Kernstück des Gartens auf. Sein Meisterstück! Genau in der kreisrunden Mitte des von ihm erschaffenen kleinen Paradieses, thronte der steinerne, dreistufige Springbrunnen, mit den antiken Götterstatuen drumherum. Er lief zwar nicht, aber dennoch war sein Anblick geradezu imponierend in seiner majestätischen Schönheit und Amanoue brach endgültig in Tränen aus.
Weinend ließ er sich zu Boden sinken und verbarg sein schönes Gesicht hinter seinen Händen. Wie stolz war er gewesen, wie sehr hatte er sich gefreut, darauf gefreut, dies alles Henry zeigen zu können und nun war alles aus und vorbei.
Was war er nur für ein Narr gewesen, eben, ein dummes Ding, wie Sebastian ihn so oftmals bezeichnet hatte und die Erinnerung an den alten Mann brachte ihn noch mehr zum Weinen. Völlig aufgelöst saß er heulend da, bis endlich keine Tränen mehr kamen und so raffte er sich schließlich auf.
Was würde nun aus ihm werden? Brac hatte ihm ja schon bei seinem Umzug eindeutig zu verstehen gegeben, dass er hier nicht länger als nötig erwünscht wäre, höchstens bis zum Frühling und der stand unmittelbar vor der Tür. Aber wo sollte er hin?
Er war völlig mittellos. Irgendwie, musste er zu Geld kommen, denn alles, was er besaß, trug er am Körper, einen Körper, den er verkaufen konnte…
***
„Eure Majestät, es ist mir eine Ehre“, bedankte sich der Graf von Lothringen mit einer tiefen Verbeugung, als er die Einladung zum abendlichen Bankett aus dem Munde des Königs erhalten hatte.
„Und mir eine außerordentliche Freude“, entgegnete Henry mit einem aufgesetzten Lächeln. „Wir sehen uns also später, Ihr und Euer Sohn werdet Euch sicher noch etwas frischmachen wollen.“
Der hohe Adlige deutete erneut eine Verbeugung an und gab seinem Spross einen leichten Stoß. Der junge Mann wirkte recht unbeeindruckt und blickte gelangweilt, wenn nicht sogar unverschämt hochnäsig, umher. Nach der unmissverständlichen Aufforderung seines Vaters sah er sich jedoch genötigt, seine Aufmerksamkeit wieder dem König zu widmen und so verbeugte auch er sich mit einem frechen Lächeln. Er war hübsch, ohne Frage, auffallend hellhäutig und seine vorwitzige Stupsnase zierten unzählige rötliche Sommersprossen. Sein Haar war blond, ebenfalls mit einem kupfer-rötlichen Schimmer und einige Fransen hingen ihm keck in die Stirn, was ihm zusätzlich noch ein unverschämt freches Aussehen verlieh. Die ungewöhnlich bernsteinfarbenen Augen hielten den König einen Moment länger als nötig fest und zwangsläufig stahl sich auch auf dessen Lippen ein kleines Lächeln. Oh ja, dieser Frechdachs war ganz nach seinem Geschmack, wäre es zumindest früher gewesen, als er noch ein Beuteschema gehabt hatte und sein Herz noch funktionierte. Aber jetzt war es wie taub, alles in ihm war taub geworden und, verbittert.
Der Graf hatte sich längst mit seinem Sohn zurückgezogen, als Wilhelm ihn am Arm packte und derart fest zudrückte, dass Henry fast aufschrie. „Sie sind weg! Du kannst aufhören, Löcher in die Luft zu starren!“, raunte er verständnislos und Henry sah ihn an.
„Willst du diese Rotzgöre tatsächlich als deinen nächsten Knappen in deine Dienste nehmen?“, fragte Richard beinahe erzürnt.
Henry atmete gelassen durch und zuckte die Schultern, als würde ihn das alles nichts angehen. „Was bleibt ihm anderes übrig? Der Graf von Lothringen ist ein enger Verbündeter und er würde ihm mit einer Ablehnung wohl unnötig vor den Kopf stoßen“, erwiderte Wilhelm ebenfalls recht barsch und beide sahen zu Henry hin, der noch immer irgendwie recht unbeteiligt wirkte. „Also, was wirst du tun?“
„Keine Ahnung, ist mir auch gleich, entscheidet ihr“, antwortete Henry und stand auf. „Ich muss mich umziehen“, meinte er und schlenderte davon.
„Verdammt!“, zischte Wilhelm und schnaufte wütend durch. „So geht das nicht weiter! Er wirkt wie eine Marionette! Nickt nur oder lächelt starr vor sich hin, wie ein Idiot!“
Auch Richard entkam ein Schnauben, allerdings klang es eher verzweifelt. „Wenn wir ihm doch nur helfen könnten! Wenn irgendwer, ihm doch nur helfen könnte“, sagte er kopfschüttelnd und Wilhelm verengte die Augen.
„Dieser kleine rothaarige Bastard eben, hast du gesehen, wie er Henry angesehen hat? Als würde ein Jäger ein Wild anvisieren“, raunte er grübelnd und grinste plötzlich. „Vielleicht ergibt sich da bald ganz etwas wie von selbst“, meinte er verschwörerisch. „Lass mich nur machen, diese kleine Rotznase werde ich mir heute noch genauer ansehen und, einer eingehenden Befragung unterziehen!“, meinte er und sein Onkel seufzte geschafft.
„Sag mir wenigstens, was du vorhast“, flehte er.
„Wenn ich mit meiner Beobachtung recht liege, dann wird uns dieser Kleine vielleicht helfen können und damit Henry bald auf andere Gedanken bringen“, antwortete sein Neffe verheißungsvoll und schritt davon.
Richard sah ihm mit einer schrecklichen Vorahnung hinterher und konnte nur noch den Kopf in beide Hände stützen.
***
Das Bankett, dem auch Sybilla notgedrungen beiwohnte, entpuppte sich als außerordentlicher Erfolg. Jedenfalls was Wilhelms Bemühungen anbelangte. Gleich nach dem Abendessen nahm er sich zuerst den Jungen vor und danach führte er ein ausführliches, selbstverständlich vertrauliches, Gespräch mit dessen Vater. Der Graf schien Anfangs nicht gerade erbaut von Wilhelms Vorschlag, stimmte dann aber doch mit einem bedauerlichen Nicken zu, als Wilhelm ihn mit eindeutig zweideutigen Bemerkungen auf die Vorlieben seines Sohnes ansprach. Ganz wie nebenbei erwähnte er noch eine erst kürzliche Hinrichtung eines wegen Sodomie angeklagten Bürgers und der Graf senkte augenblicklich den Blick vor ihm. Der Mann wäre zuvor noch vor aller Augen auf einen Pfahl aufgespießt worden und hätte geschrien wie ein Schwein auf der Schlachtbank bevor er auf dem Scheiterhaufen landete, erzählte er dem Grafen anschaulich weiter und der schien endlich die versteckte Drohung darin zu erkennen. Wilhelm versprach ihm zu schweigen, aber natürlich nicht ohne Gegenleistung und so kamen sie überein, dass der missratene Spross der angesehenen Adelsfamilie als des Königs neuer Knappe bleiben durfte. Wie üblich sollte er zuerst ein Dienstjahr absolvieren, um Gehorsam und Demut zu erlernen und der Graf wünschte Henry daraufhin seufzend viel Glück und Geduld, wenn auch in dessen Abwesenheit. Wilhelm lachte nur und meinte, dass gerade dies eine besondere Herausforderung für seinen Bruder darstellen würde und der schon mit so manch andere, aufmüpfige Adelssprösslinge fertig geworden wäre. Der Graf solle nur dafür sorgen, dass sein Söhnchen ihren traurigen König endlich wieder auf andere Gedanken bringen würde, wie auch immer. Die beiden schlugen wie nach einem Viehhandel ein und so erhielt der König einen neuen Pagen. Und was für einen!
Eine Woche später reiste der Graf ohne seinen Sohn Laurin wieder ab und der zog zu Kai in die Kammer der königlichen Diener. Nach der ersten Einweisung setzte der Junge sich auf sein ihm zugewiesenes Bett und überprüfte mit dem Gesäß auf und ab hüpfend die Beschaffenheit der Schlafunterlage. „Darauf soll ich schlafen?“, fragte er höhnisch und stand wieder auf. „Ist mir zu hart! Das geht gar nicht, hol mir gefälligst eine weichere Matratze“, sagte er in einem unverschämt arroganten Tonfall und Kai sah ihn an wie ein Kalb wenn`s donnert.
„Ich glaube, du hast es noch nicht ganz kapiert, hm? Du bist jetzt nichts anderes mehr als ich! Ein einfacher Diener seiner Majestät und noch weniger sogar, da ich über dir stehe!“, antwortete er ebenso spöttisch. „Also wirst du tun, was ich dir sage und zwar ohne Widerspruch, verstanden?!“
Der Grafensohn drehte sich mit einem gelangweilten Schnauben um und verschränkte die Arme vor der Brust. „Du denkst doch nicht im Ernst, dass ich den Nachttopf seiner Majestät leere“, raunte er beinahe fassungslos.
„Genau das wirst du als erstes machen! Danach säuberst du die Schüssel gründlich und bringst sie zurück ins königliche Schlafgemach“, erwiderte Kai genüsslich. „Und jetzt komm, ich zeige dir den Weg!“
Der junge Mann stieß genervt die Atemluft aus und folgte ihm die Augen verdrehend. „So habe ich mir das nicht vorgestellt“, murmelte er brummig und schlurfte ihm hinterher.
„Wirst dich schon daran gewöhnen!“, meinte Kai nur und führte ihn hinüber in Henrys Gemächer.
„Wie sieht`s hier denn aus?“, entkam es Laurin erstaunt. „So viel Geschmack hätte ich dem alten Griesgram gar nicht zugetraut! Ist der eigentlich immer so schlecht gelaunt?“, fragte er, sich wie selbstverständlich auf eine der römischen Liegen setzend und streckte sich der Länge nach darauf aus.
„Was machst du da?! Steh sofort wieder auf!“, entkam es Kai empört, doch Laurin dachte gar nicht daran. Er verschränkte gelangweilt die Hände hinter dem Kopf und blickte trotzig in die andere Richtung.
„Ich glaube, hier könnte ich es eine Weile aushalten“, sagte er wie zu sich selbst.
„Mach sofort, dass du da runterkommst! Bevor ich dir in deinen aristokratischen Hintern trete!“, herrschte Kai ihn jetzt doch langsam wütend werdend an und der Junge schenkte ihm einen genervten Blick.
„Hör zu, ich werde hier keinen Finger krumm machen, jedenfalls nicht mehr als unbedingt nötig und deinen blöden Nachttopf kannst du dir sonst wohin stecken! Ich, werde den Dreck ganz sicher nicht wegmachen, auch nicht, wenn es sich um den Dreck des Königs handelt“, erwiderte er schnippisch und Kai konnte nur noch den Kopf schütteln über so viel Frechheit.
„Das werden wir noch sehen“, murmelte er und marschierte ins Schlafgemach.
Laurin rührte tatsächlich keinen Finger und blieb eiskalt liegen, bis sich sein knurrender Magen meldete. „Ich habe Hunger“, meinte er, stand auf und stolzierte hinaus.
Wenig später betrat Henry seine Gemächer und setzte sich geschafft. „Eure Majestät“, begrüßte ihn Kai mit einer tiefen Verbeugung und zog ihm ohne besondere Aufforderung die Stiefel aus.
„Wo ist denn der neue?“, fragte der König wie beiläufig, denn es interessierte ihn nicht wirklich.
Kai seufzte erst einmal. „Mit Verlaub, Eure Majestät, aber ich denke nicht, dass er die richtige Wahl für einen neuen Diener ist! Der ist noch um einiges schlimmer als es Benedicto zu Anfang war“, meinte er und Henry hob tatsächlich die Augenbrauen.
„Und weshalb?“, fragte er.
Kai verzog mürrisch das Gesicht. „Dieser Wicht ist nicht nur stinkfaul, sondern auch noch rotzfrech!“, platzte es aus ihm heraus.
Henry wirkte jetzt doch überrascht. „Du wirst schon mit ihm fertig werden“, meinte er dann jedoch wieder eher uninteressiert.
„Ja, wenn ich Sebastian wäre“, brummte Kai ärgerlich. „Wann kommt er eigentlich wieder?“
Der König zuckte die Schultern. „Was weiß ich“, war alles was er antwortete, als die Türe aufflog und besagter Nichtsnutz hereinplatzte.
„Eure Majestät sind schon da?“, überfiel er den geradezu übermäßig erfreut und stürmte auf ihn zu. Ohne irgendwelche höfische Etikette zu wahren, ließ er sich zu Henrys Füßen nieder und küsste ihm einfach die rechte Hand. „Ich kann gar nicht sagen, was es mir bedeutet in Eurer Nähe sein zu dürfen! Und ich war vollkommen hingerissen von diesem antiken Interieur! Ich liebe die altrömische Kultur und Geschichte! Waren die Römer nicht einfach wunderbar? Was sie alles erschufen und uns brachten! Wart Ihr schon selbst dort? In Rom? Oh, habt Ihr das Kolosseum gesehen? Ich war regelrecht ergriffen von diesem Anblick!“, rief er begeistert aus und Henry nahm verdutzt den Kopf zurück.
„Du warst in Rom?“, fragte er ungläubig und war für einen Moment einfach nur sprachlos. Damit hätte er wirklich nicht gerechnet und so zwinkerte er auch noch verstört, als Laurin eifrig zu ihm hochnickte.
„Oh ja! Ich durfte vor drei Jahren meine Eltern auf eine Pilgerfahrt dorthin begleiten und war restlos überwältigt von dieser wundervollen Stadt! All diese großartigen Bauwerke zu sehen, mit meinen eigenen Augen und auch noch betreten zu dürfen! Ich fühlte mich wie Cäsar selbst, in diesem herrlichen Augenblick, als ich auf die Stadt herabblickte! Ich kann Euch gar nicht sagen, wie ergriffen ich war, als ich sie betrat und kann es nur schwerlich in Worte fassen! Ich habe die Engelsburg besucht und Kaiser Hadrians Grab gesehen!“, brach es überwältigt aus dem Jungen heraus.
„Nun, also, ich muss sagen, ich bin wirklich überrascht“, brabbelte Henry blinzelnd. „Nicht einmal ich, war schon dort“, meinte er verwirrt.
„Eure Majestät müssen unbedingt die Heilige Stadt besuchen! Oh, wie wäre es wundervoll, wenn wir es zusammen, tun würden! Es wäre mein größter Traum!“, erwiderte Laurin voller Inbrunst und senkte kurz den Blick. „Ich habe ein Geschenk für Eure Majestät mitgebracht, wenn Ihr erlaubt?“, fragte er mit einem unverschämt koketten Augenaufschlag und sah ihn durch seine langen rotbraunen Wimpern an. Ohne eine Antwort abzuwarten, stand er auf, flitzte hinaus und kam wenige Augenblicke mit einem Päckchen in seinen Händen zurück. Wieder ließ er sich zu Henrys Füßen nieder und hielt ihm das Präsent schüchtern lächelnd hin.
Der König nahm es beinahe vorsichtig und wickelte das doch recht schwere Geschenk behutsam aus. Es war eine kleine Götter Skulptur, gerade mal so groß, dass sie der Länge nach in Henrys ausgestreckte Hände passte. Ein wunderschön filigran gearbeiteter Jüngling, aus weißem Marmor und, nackt. „Ähm, ich bin in der Tat, sprachlos“, kam es wieder irritiert aus seinem Mund.
„Gefällt sie Euch?“, fragte der kleine Frechdachs zu seinen Füßen erwartungsvoll und Henry nickte.
„Doch, schon, sie ist sehr hübsch“, raunte der, weil er nun wirklich nicht mehr wusste, wie ihm geschah.
„Ich habe sie mir heimlich auf einem Markt in Rom gekauft und bis jetzt versteckt gehalten, aber als ich diesen wundervollen Raum sah, wusste ich wohin sie von nun an, gehört“, grinste er spitzbübisch. „Ihr könntet sie dorthin stellen!“, zeigte Laurin auf die freie Stelle im Regal und Henry kniff die Augen zusammen, da dort einst die kostbaren römischen Gläser ihren Platz besessen hatten.
„Ähm, ja, warum nicht“, meinte er trotzdem.
Laurin sprang auf, nahm ihm die Statue weg und ging wiegenden Schrittes zu besagtem Regal. „Wie dafür gemacht“, sagte er und stellte sie hämisch grinsend auf, da ihm dabei Kais fassungsloser Blick begegnet war. „Oh ich liebe dieses Gemach!“, rief er, sich wieder zu Henry umdrehend. „Sind diese Pergamentrollen etwa echt? Darf ich?“ Erneut wartete er keine Antwort ab und schnappte sich eine der antiken Aufzeichnungen.
Das war dann doch zu viel. „Vorsicht!“, rief Henry, rasch aufstehend und war mit wenigen Schritten bei ihm. „Sie sind sehr alt und dementsprechend wertvoll! Es sind unter anderem Briefe von römischen Feldherren und einer ist sogar von Kaiser Konstantin selbst verfasst!“, sagte er und nahm ihm die Rolle wieder ab.
„Darf ich sie vielleicht irgendwann einmal sehen? Mit Eurer Majestät zusammen?“, säuselte Laurin zu ihm hoch und Henrys linke Augenbraue wanderte nach oben.
„Du bist mir ja so einer“, brummte er und gab ihm mit der Schriftrolle einen leichten Hieb auf die Nase, bevor er sie wieder zurücklegte.
Laurins Lächeln war mittlerweile zu einer offenen Einladung geworden und sein herausfordernder Blick besagte mehr als tausend Worte. Er hatte den König um den Finger gewickelt, da war er sich inzwischen mehr als sicher und er würde hier ganz gewiss nicht einen einzigen Nachttopf leeren…
***
„Isch hätte eine Bitte“, sagte Amanoue zu Marius, der ihn gerade noch einmal untersucht hatte. Mit den Fingerspitzen strich der gerade noch einmal über die kaum noch sichtbare Narbe und sah ihn an.
„Wenn ich dich nicht selbst aufgeschnitten hätte, würde ich es nicht glauben“, meinte er, ohne auf Amanoues Anfrage einzugehen. „Vor drei Monaten war da noch eine riesige Wunde und jetzt ist kaum noch was davon zu sehen, bis auf diesen dünnen Strich!“
„So ist es doch immer, bei mir“, nuschelte Amanoue etwas unwohl und zog sich das Hemd wieder über. „Außerdem habe ich regelmäßig Gregorius` Wundersalbe aufgetragen, die hat schon immer gut gegen Narbenbildung geholfen“, sagte er achselzuckend.
Marius legte den Kopf schief. „Aber gewiss nicht, so! Dein Bauch müsste eigentlich für den Rest deines Lebens in zwei Hälften gezeichnet sein!“
„Ist doch egal, jedsd“, winkte Amanoue ab. „Außerdem ist es ja auch schon siemlich lange her, eben, drei Monate, wie du sagtest! Das war genug Seit, um heilen su können und eigentlich hat es diese Mal eh viel su lange gedauert“, brummte er und Marius nickte nachdenklich.
„Ja, das ist mir auch aufgefallen, sonst war bei dir alles immer viel schneller verheilt, seltsam“, grübelte er nach und sah ihn stirnrunzelnd an. „Wie fühlst du dich sonst?“
„Alles wieder gut, keine Schmersen mehr, keine Schwindel und auch sonst ist alles wieder beim Alten, deshalb wollte isch disch ja auch um etwas bitten“, hakte er leicht genervt nach.
„Ach ja! Und um was?“, fragte Marius neugierig.
„Naja, isch werde ja wohl bald von hier fortmüssen, aber isch habe keine Geld und da dachte isch mir, dass isch mir welsches verdienen könnte“, erwiderte Amanoue etwas verhalten.
„Ach! Und wie?“, wollte Marius skeptisch wissen und Amanoue setzte sich zurecht.
„Pass auf! Die meisten Soldaten hier können weder lesen noch schreiben und müssen immer su eine Schreiberling in die Stadt gehen, wenn sie jemandem eine Brief schicken möschten! Also dachte isch mir, dass das doch genauso gut isch für sie machen könnte, gegen eine kleine Obolus, selbstverständlisch. Nischd so teuer, wie diese Halsabschneider in die Stadt und sie bräuschten dann auch nischd eine freie Tag dafür opfern! Aber dafür bräuschte isch eine Grundausstattung, verstehst du?“, fragte er verlegen. „Also wollte isch disch bitten, ob du mir eine Feder, Tinte und einige Pergamentstücke besorgen könntest, isch würde es dir selbstverständlisch später surücksahlen.“
Marius hob erstaunt die Augenbrauen. „Du willst dir hier ein Schreibbüro einrichten? Das ist, echt, eine gute Idee! Ja, sicher, besorge ich dir alles was du brauchst, dafür!“
„Oh danke!“, rief Amanoue erleichtert und fiel ihm um den Hals. „Gibt es sonst eigendlisch was Neues?“, fragte er dann allerdings wieder recht geknickt und setzte sich zurück. „Wie geht es, IHM?“
Marius` Lächeln verschwand augenblicklich. „Wie immer! Sitzt da wie ein Ölgötze und vertreibt mit seiner miesen Laune jede Fröhlichkeit“, meinte er mürrisch. „Ihre Majestät packt schon ihre Sachen zusammen“, sagte er verständnislos. „Sie hat unzählige Bittbriefe und Gnadengesuche an ihn geschickt und er hat alle abgelehnt! Weißt du, auch wenn sie ihn betrogen hat, tut sie mir doch leid! Sie ist doch noch so jung und schön und sie war immer so nett zu jedermann und nun muss sie sich in ein Kloster zurückziehen! Der alte Dreckskerl hat sie doch auch jahrelang betrogen und hintergangen, aber das steht in keinster Weise zur Debatte! Ist das nicht ungerecht? Auch dir gegenüber! Ich verstehe es sowieso nicht, dass du ihm immer noch nachtrauerst! Immerhin hast du ihm mehrmals das Leben gerettet und er schert sich einen Dreck darum, was aus dir nun wird“, schimpfte er wütend los.
Amanoue ließ seufzend den Kopf hängen. „Immerhin `at er mir meine Leben gelassen, also steht meine Leben, für seine und damit sind wir dann wohl quitt“, antwortete er traurig. „Und, isch kann es ihm wirklisch nischd verdenken, dass er so reagiert hat. Er muss misch doch dafür hassen, weil isch ihm das angetan `abe und ihm seine Hers gebrochen habe. Dabei habe isch ihn doch geliebt und isch liebe ihn immer noch, was war isch doch für eine Idiot!“
„Oh ja!“, meinte Marius zustimmend. „Du bist in der Tat ein Idiot, wenn du immer noch so für ihn empfindest! Ich wollte es dir eigentlich ersparen, aber jetzt sage ich es dir trotzdem! Seine Majestät hat anscheinend bereits einen Ersatz für dich gefunden“, presste er geradezu angewidert hervor. „Ja, da staunst du, hm? Ein neuer Knappe“, sagte er voller Spott. „Seit gut zwei Wochen ist der erst hier und hat seine Majestät“, wieder betonte er es höhnisch, „bereits um den Finger gewickelt und fest im Griff! Du kannst dir gar nicht vorstellen, was dieser Rotzlöffel sich alles rausnimmt! Er sitzt sogar bei den Audienzen neben Henry! Auf dem Boden! Auf einem dicken Sitzkissen, wie ein Schoßhund und beide flüstern ständig miteinander und er macht sich über die Bittsteller lustig! Und was macht seine Majestät? Guckt darüber hinweg und lächelt! Also, du brauchst dir wegen ihm echt keinen Kopf zu machen, dein Henry hat längst wieder einen, der ihn über dich hinwegtröstet!“, warf er ihm hart entgegen.
Amanoue blinzelte einige Male verstört, doch dann nickte er leicht. „Ist doch schön, wenn er wieder jemanden gefunden hat und ich wünsche es ihm von gansem Hersen. Hoffentlisch kann diese Junge ihn auch wirklisch wieder glücklisch machen“, erwiderte er relativ gelassen, aber der Schmerz in ihm war unübersehbar.
Marius schnaubte verständnislos. „Du bist einfach zu gut, für diese Welt“, brummte er. „Also ich könnte ihm das nicht so einfach vergeben und erst recht nicht verstehen und das habe ich auch Gregorius gegenüber nicht vor! Wenn er dieses Mal wieder sein Versprechen bricht, dann hau ich eben alleine ab und er kann hier allein versauern oder weiterhin Henry anhimmeln“, knurrte er eifersüchtig.
„Hm?“, machte Amanoue verwirrt und Marius verdrehte die Augen.
„Irgendetwas stimmt da nicht, zwischen den beiden! Ich bin doch nicht blöd! Zuerst hat er kein gutes Haar an ihm gelassen, wollte ihn sogar mehrmals verlassen und jetzt nimmt er Henry ständig in Schutz! Seine Majestät hier und da, er bräuchte ihn eben, der arme Henry und hätte doch niemanden, mit dem er reden könnte, warum ich das nicht verstehen würde und so weiter! Blablabla! Ich kann es nicht mehr hören!“, regte er sich wütend auf.
„Er braucht doch auch wirklisch jemanden, dem er sisch anvertrauen kann und Gregorius ist eine gute Suhörer! Sischer, sind sie nur gute Freunde…“
„Freunde?! Gregorius hat ihn regelrecht gehasst, nachdem was dieser Mistkerl dir alles angetan hatte und jetzt plötzlich sagt er, man müsse auch ihm Verständnis entgegenbringen! Nee, wirklich nicht!“, schüttelte Marius energisch den Kopf. „Und eines sage ich dir, solltest du wirklich weggehen müssen, dann warte ich keinen Augenblick länger und bin ebenfalls fort! Ob mit oder ohne Gregor!“, sagte er entschieden.
„Liebst du ihn denn nischd mehr?“
„Natürlich liebe ich ihn noch! Er ist die Liebe meines Lebens! Aber ich werde mir deshalb das auch nicht länger antun! Wenn er sich für seine Majestät entscheiden sollte, dann werde ich ohne ihn gehen!“, antwortete Marius mit verschränkten Armen.
„Das tut mir escht leid“, murmelte Amanoue betroffen und Marius schnaubte wie ein Stier.
„Mir auch!“, zischte er und stand auf. „Ich geh jetzt wieder rüber, wir haben einige stark erkältete Bedienstete drüben, um die ich mich kümmern muss! Also bis morgen, ja? Ich bringe dir dann das Schreibzeugs mit“, meinte er versöhnlicher und Amanoue nickte ihm dankbar zu.
Und somit eröffnete Amanoue zwei Tage später sein eigenes kleines Schreibbüro, das er sich kurzerhand in einer Ecke des Schlafraumes einrichtete. In der Tat konnten die meisten der gewöhnlichen Gardisten weder lesen noch schreiben und wenn doch, so konnten sie gerademal ihre Namen zu Papier bringen und damit hatte Amanoue erst einmal alle Hände voll zu tun. Jetzt, da auch die Botenreiter wieder ausgeschickt werden konnten, wollte beinahe jeder eine Nachricht nach Hause senden und Amanoue erschrak beinahe über die lange Schlange, die sich vor seinem improvisierten Schreibtisch gebildet hatte.
„Ach du liebe Seit!“, entfuhr es ihm und er blickte an den wartenden entlang.