Das verlorene Seelenheil

- -
- 100%
- +
„Da hast du dir ja was Schönes aufgehalst“, meinte Finn grinsend und Amanoue entkam ein kleiner Seufzer.
Selbstverständlich kamen die Jungs zuerst dran und so begann Finn ihm den ersten Brief zu diktieren. Der nächste, Matto, beugte sich tief zu ihm hin und flüsterte geradezu die Worte, die Amanoue für ihn aufschreiben sollte und bald kniff der die Augen konzentriert zusammen. „Was?“, fragte er, weil er den letzten Satz nicht verstanden hatte. „Kannst du bitte lauter spreschen?“
„Nein“, raunte Matto leise zurück, „das geht denen schließlich nichts an!“
„Ach so! Ja, ähm…“, stotterte Amanoue, als Brac mit lauten Schritten herantrat.
„Was zum Geier, is`n hier los? Habt ihr sie noch alle? Das ist unser Schlafraum und ihr trampelt alle mit euren dreckigen Stiefeln hier rein, wie `ne Horde Rindviecher! Wer soll`n das wieder saubermachen?! Raus hier, aber schnell“, donnerte er die dicht gedrängten Soldaten an. „So geht das nicht!“, fuhr er den verdutzten Amanoue an, „hier is ja mehr los, als drüben in der Halle!“
Amanoue zog den Kopf ein und hob unschuldig die Schultern. „Tschuldige, mit so viel Andrang `abe isch escht nischd gereschnet und isch werde nachher alles wieder pudsen.“
„Da brauchst du ja noch die halbe Nacht! Nee, mein Freund, bei aller Liebe und Verständnis, du musst das anderes koordinieren!“, lehnte Brac dennoch rigoros ab.
„Ja, ein bisschen mehr Privatsphäre wäre echt nicht schlecht, muss ja nicht jeder zuhören, was man dir sagt“, mischte sich Matto wieder dazwischen.
Brac sah ihn an, als hätte der sie nicht mehr alle und zeigte zum Ausgang. „Raus hier! Wer nicht hier reingehört!“, brüllte er mit seiner Bärenstimme und die Soldaten zogen murrend Leine. „Kleiner, das geht echt nicht, tut mir leid! Also entweder du lässt die nur einzeln hier rein und ohne Stiefel, was wir an Gestank aber dann bald nicht mehr ertragen würden, oder du suchst dir ein anderes Büro! Benny hat sich bei mir beschwert, weil er sich `ne Stunde aufs Ohr hauen wollte, was ich dieses Mal auch wirklich verstehen kann, da er Nachtwache hat und weißt du, was er mir sagte? Dass die ihn nicht vorbeigelassen haben und er sich gefälligst hintenanstellen sollte, wenn er da rein wolle! In seinen eigenen Schlafraum! Manou, das geht so nicht, in diesem Fall muss ich auf seiner Seite stehen“, sagte er bestimmt.
Amanoue atmete frustriert durch und nickte. „Du hast reschd, das habe isch nischd bedacht und bitte Benny“, sagte er kleinlaut zu dem, „es tut mir leid. Natürlisch kannst du disch hinlegen, wann immer du es möschtest. Isch werde sofort meine Sachen susammenpacken.“
„Ach ja? Und der ganze Dreck? Und schau dir mal die Betten an! Die haben sich einfach draufgesetzt und alles beiseitegeschoben!“, meckerte der ihn mit vor der Brust verschränkten Armen an.
Amanoue schluckte betroffen und biss sich auf die Unterlippe. „Oje!“
„Ja, oje! Oh Mann, du bist und bleibst `ne Nervensäge“, beschimpfte Benny ihn noch wütend und marschierte zickig wieder vor zu seinem völlig zerwühlten Bett. „So `ne Scheiße, Mann“, zeterte er, während er es einigermaßen wieder zurecht machte und Amanoue bekam einen hochroten Kopf.
„Isch hole schonmal die Pudsseug“, nuschelte er verlegen und schmuggelte sich an Brac vorbei.
Tags darauf eröffnete er sein Büro in der Rüstkammer und vergab zu allererst feste Termine an die Soldaten.
***
Die Audienz war in vollem Gange und wie gewöhnlich auch mal wieder recht lautstark. Zwei Händler stritten sich gerade, während sie sich gegenseitig des Betruges bezichtigten. Henry war bereits völlig genervt von ihrem Gezeter, als sich Laurin plötzlich mitten durch die aufgeregte Menge schob. „Eure Majestät!“, rief er mit seiner noch etwas kindlichen Stimme und tänzelte aufgeregt heran. Ohne auf die beiden Streithähne zu achten, hüpfte er die Stufen hinauf und hielt dem König seine zu einem Ball übereinander gelegten Hände hin. „Seht doch nur!“
Henry hob überrascht die Augenbrauen und starrte darauf. Laurin nahm die obere Hand weg und präsentierte einen Zitronenfalter auf seiner unteren Handfläche. Unwillkürlich war es still geworden und aller Augen richteten sich auf den Jungen. Der hübsche Schmetterling hob und senkte die gelben Flügel, was ein leises, schabendes Geräusch verursachte und auf den Lippen des Königs breitete sich ein zaghaftes Lächeln aus. „Ist der nicht hübsch?“, fragte Laurin und sah ihn so zauberhaft unbedarft an, dass sich Henrys erkaltetes Herz augenblicklich ein klein wenig wärmer anfühlte.
„Ja, sehr“, sagte er und Laurin strahlte heller als die Sonne.
„Und er bringt Glück!“, rief Laurin überzeugt aus. Der Schmetterling hob flatternd ab und flog über ihre Köpfe davon. „Huch“, machte der Junge fast ein wenig erschrocken und blickte ihm wehmütig nach. „Jetzt ist er fort!“, meinte er achselzuckend und Richard räusperte sich vernehmlich.
„Merkst du nicht, dass du die Audienz störst?“, fragte er vorwurfsvoll und deutete auf die raunenden Leute.
„Oh!“, entkam es Laurin nur und er lächelte den König an. „Tut mir leid!“
„Das macht nichts, die gingen mir eh auf die Nerven“, meinte Henry leise zu ihm hin und der Junge kicherte in seine vorgehaltene Hand. „Du gehst trotzdem besser nach hinten, hm? Stell dich neben Kai“, sagte der König ungewöhnlich milde und Laurin grinste breit.
„Ich weiß was Besseres!“, sagte er mit erhobenem Zeigefinger und marschierte hinüber zu einer der an den Wänden stehenden Sitzbänken. Kurzerhand nahm er sich ein Kissen, natürlich das dickste und größte und trabte damit zurück. Wieder genau vor Henrys Thron, schräg neben dessen Füßen, legte er es auf den Boden und setzte sich, den König einschmeichelnd anlächelnd, darauf.
„Äh, aber, das geht doch nicht“, stammelte Richard fassungslos und sah auffordernd zu Henry, der allerdings nur lässig die Achseln zuckte.
„Warum denn nicht? An Eurer Seite sitzt immerzu diese hechelnde Töle, da kann ich mir doch auch ein kleines Schoßhündchen zulegen“, meinte er fast herausfordernd zärtlich und strich dem Jungen sogar noch lächelnd über die Wange. „Bleib nur sitzen, aber du musst still sein, ja?“, sagte er, ganz so als würde er tatsächlich zu einem Hündchen sprechen.
Richard durchbohrte zuerst ihn und dann Wilhelm mit einem geradezu tödlichen Blick. „Na Bravo, da hast du ja was Feines angerichtet“, zischte er hinter Henrys Rücken letzterem zu. „Sieh bloß zu, dass du den wieder loskriegst!“
Wilhelm hob entschuldigend die Hände. „So, habe ich es mir sicher nicht gedacht, aber zumindest hat sich Henrys Laune erheblich gebessert, das ist doch schonmal was, oder?“
„Was ist mit mir?“, fragte der prompt und wandte sich um.
„Nichts, Bruder, mach nur weiter“, wiegelte Wilhelm ab und so widmete sich der König wieder den beiden Nervensägen vor ihm, die ihren Streit wieder lautstark aufgenommen hatten.
Nach dem Mittagsmahl, dem Laurin auf Richards Geheiß hin nicht hatte beiwohnen dürfen, zog sich Henry wie immer für eine Stunde in seine Gemächer zurück. Laurin, der beharrlich vor der Tür zum kleinen Saal gewartet hatte, folgte ihm wie selbstverständlich nach, oder besser gesagt ging er eiskalt neben dem König her und das letzte Stückchen lief er sogar noch voraus. Er öffnete die Türe und marschierte ohne auf Henry zuwarten, hinein. Kai war so verblüfft darüber, dass er für einen Moment wie erstarrt stehenblieb und auch die beiden Wachen schienen fassungslos über die Dreistigkeit des Jungen zu sein. Der König selbst hatte nur die Augenbrauen gehoben und schlenderte seinem neuen Pagen lächelnd hinterher. „Normalerweise betrete ICH als erster mein Gemach“, sagte er mit ermahnender Miene und Laurin wirkte ehrlich erstaunt.
„So? Oh, das wusste ich nicht!“, antwortete er und legte keck den Kopf schief.
„Und eigentlich, wäre jetzt zumindest eine Entschuldigung fällig!“, platzte es aus Kai heraus. „Was erlaubst du dir noch alles, hm?“
Laurin zeigte sich keineswegs betroffen über die Rüge und zuckte hochnäsig die Achseln. „Ja, in einem muss ich dir rechtgeben, eine Entschuldigung wäre allerdings fällig! Also, ich warte“, sagte er zum König hin, verschränkte die Arme und tippte ungeduldig mit einem Fuß auf und ab.
Henry begann einfach zu lachen und er lachte, wie lange nicht mehr. Auch über Kais verdutztes Gesicht, aber am meisten über diesen rotzfrechen Lümmel, der mit trotziger Miene vor ihm stand. „Lacht Ihr mich etwa aus?! Ich finde schon, dass ich eine Entschuldigung verdient habe, immerhin habt Ihr es zugelassen, dass Euer Onkel mich nicht mitspeisen ließ! Was denkt Ihr eigentlich, von was ich hier leben soll? Etwa von dem Fraß, den man mir in der Küche vorsetzt?!“, erdreistete der sich zu sagen.
„Fraß?! Das ist das normale, tägliche Essen, für die Bediensteten!“, schimpfte Kai wieder los. „Es reicht jetzt wirklich langsam! Mach, dass du rauskommst, du freches Ding!“, rutschte es ihm ganz nach Sebastians alter Manier heraus, wenn dieser früher immer Amanoue auf diese Weise ermahnt hatte und sofort war Henry wieder still.
Der König schnaufte zwangsläufig schwer durch, bei der Erinnerung an die beiden und Kai erkannte augenblicklich seinen Fehler. „Vergebung, Eure Majestät, das wollte ich nicht“, stammelte er betreten und Henry sah ihn an.
„Schon gut, Kai“, meinte er und drehte ihnen den Rücken zu. „Ich möchte allein sein, geht, beide“, raunte er, plötzlich mit belegter Stimme.
Während Kai sich mit einer betretenen Verbeugung abwandte, blickte Laurin ganz offen auf Henrys bebende Schultern. „Was ist mit Euch? Eure Majestät?“, fragte er erstaunt und ging zu ihm. „Eure Majestät, es tut mir leid, ehrlich“, sagte der Junge vorsichtig und vollkommen ahnungslos. „Seid Ihr meinetwegen böse?“
Henry schüttelte langsam den Kopf. „Ich bin nicht böse“, antwortete er leise, „und sicher nicht, auf dich.“
„Warum seid Ihr immer so traurig?“, fragte da Laurin frei heraus und wagte es ihm sachte eine Hand auf den Oberarm zu legen, was Henry regelrecht erzittern ließ.
„Lass ihn los!“, schrie Kai erbost, eilte hinüber und stieß ihn grob weg. „Wie kannst du es wagen, den König anzufassen!“
Laurin schien nun doch erschrocken zu sein und zum ersten Mal senkte er wirklich erschüttert über sein Handeln, den Kopf. „Vergebt mir, Eure Majestät“, murmelte er verlegen, nur um gleich wieder aufzusehen. „Ich möchte Euch doch nichts Böses, ganz im Gegenteil sogar! Ich sehe doch, dass Euch etwas quält und dies ist mir schon von Anfang an aufgefallen. Alle reden hinter Eurem Rücken, über Euch, nennen Euch `ihren traurigen König´, was ja noch recht nett klingen mag, denn ich hörte schon andere Bezeichnungen, die man Euch gibt! `Trauerkloß´, oder `mürrischer, alter Plagegeist´, nennen sie Euch in der Küche und nicht nur da“, empörte er sich, auch mit einem Seitenblick auf Kai, der daraufhin ertappt die Lippen zusammenkniff.
„Naja, ganz unrecht haben sie da wohl nicht“, brummte der König und drehte sich seufzend wieder zu ihnen um. „Die letzten Monate war ich wirklich nicht gerade freundlich und umgänglich. Ist schon gut, Kai, er hat ja recht und wenigstens ist er ehrlich zu mir und heuchelt mir nichts vor!“
„Eure Majestät, ich habe nie…“, erwiderte Kai kleinlaut und Henry schnitt ihm mit einer Geste das Wort ab.
„Lass es, Kai! Oder denkst du im Ernst, ich wüsste nicht, was du über mich denkst? Was alle, über mich denken? Dass ich ein gefühlloser, undankbarer und empfindungsloser Egoist bin, der seine Gemahlin zwingt in ein Kloster zu gehen und…“ Henry konnte den Namen noch immer nicht aussprechen, es ging einfach nicht, `Amanoue rausgeworfen hat´, dachte er den Satz zu Ende. Und sah bitter zur Seite.
„Seht Ihr, genau das ist es, was ich meinte“, mischte Laurin sich sanft dazwischen. „Dieser traurige Blick und dieser fürchterliche Schmerz, auf Eurem Antlitz. Vielleicht kann ich Euch ja helfen darüber hinwegzukommen, über was auch immer“, sagte er achselzuckend. „Zumindest davon ablenken, hm?“, meinte er so spitzbübisch, dass Henry tatsächlich leicht schmunzeln musste. „Und ich weiß auch schon, wie!“, rief er, darüber ermutigt und grinste breit. „Was haltet Ihr davon, wenn wir heute Abend zusammen speisen?! Nur wir beide und zwar hier! In Eurem Gemach und zwar nach römischer Sitte! Oh ja, bitte“, klatschte er erfreut über seinen eigenen Vorschlag in die Hände. „Bitte, Eure Majestät, ich werde mich auch um alles kümmern“, bettelte er und Henry kaute kurz skeptisch an seiner Unterlippe. „Ich verspreche Euch, dass Ihr es nicht bereuen werdet und, Ihr werdet begeistert sein!“ Laurin sah ihn so herzerweichend an, dass Henry schließlich nur noch nicken konnte. „Oh, danke!“, rief sein Page und wäre ihm beinahe um den Hals gefallen. Im letzten Moment hielt er jedoch noch inne und verzog verlegen den Mund. „Verzeiht mir, ich bin manchmal etwas ungestüm.“
Henry schnaubte leise, wie immer, wenn er sich im Stillen über etwas amüsierte. „Schon gut“, meinte er nur wieder und schon strahlte der kleine Wirbelwind wieder.
„Dann bis heute Abend, ja? Und denkt daran, vorher nichts essen!“, sagte er ermahnend und stürmte hinaus.
„Bitte vergebt mir, Eure Majestät“, wagte Kai sich dazu zu äußern, „aber vielleicht wäre es besser, wenn Ihr diesen Burschen nicht so vertraulich entgegenkommt? Ich meine nur, Ihr kennt ihn doch gar nicht und er erdreistet sich Dinge zu tun oder zu sagen, dass man nur noch fassungslos danebensteht!“
„Ich kann mich zwar nicht daran erinnern, dich um deine Meinung gebeten zu haben, aber nun gut, jetzt hast du sie kundgetan“, raunte Henry achselzuckend und ging nach hinten in sein Schlafgemach. „Wecke mich in einer halben Stunde, falls ich einschlafen sollte!“
Kai hätte ihm am liebsten etwas hinterhergeworfen und nicht nur verbal. „Wenn doch nur Sebastian hier wäre“, murmelte er vor sich hin, drehte die Sanduhr um und hockte sich demonstrativ trotzig auf eine der Liegen. Noch am gleichen Tag verfasste er eine Nachricht an Sebastian und klagte dem darin sein Leid.
***
Laurin hatte nicht zu viel versprochen, denn als der König am Abend wieder zurück in sein Gemach kam, staunte er nicht schlecht. Der Mosaiktisch war überfüllt mit allerlei Köstlichkeiten, gebratene Hühnerkeulen, gedünstetes Gemüse, gekochter Schinken, bereits in Scheiben geschnitten, helles Brot, Käse und eine Schüssel mit kandierten Früchten waren darauf angerichtet und Laurin selbst war wie ein Römer mit einer antikanmutenden weißen Toga bekleidet. Um seine Stirn lag ein goldener Reif und auch das kniekurze Gewand wurde von goldenen Spangen über den nackten Schultern zusammengehalten. Der Junge empfing ihn mit einem strahlenden Lächeln und einem geradezu herausfordernden „Na!“, auf den Lippen und brachte Henry damit prompt wieder zum Lachen.
„Du hast dir wirklich viel Mühe gegeben und in der Tat nicht zu viel versprochen! Ich bin, was soll ich sagen, doch überrascht“, meinte er ehrlich beeindruckt und der Kleine strahlte glücklich.
„Wein?“, fragte er und beeilte sich zwei Becher einzuschenken. Einen davon reichte er Henry und der nahm ihn lächelnd entgegen. „Bitte, mein König, nehmt doch Platz“, forderte Laurin ihn auf und Henry setzte sich auf die vordere Liege. „Hm“, machte der Junge nachdenklich und sah zu Kai, der sauertöpfisch etwas abseitsstand. „Wäre es zu vermessen, wenn ich dich bitte, mir ein wenig zur Hand zu gehen? Wärst du so nett und würdest seine Majestät bedienen? Im Liegen geht das ja wohl schlecht“, erklärte er liebenswürdig.
Kais Gesicht entglitt regelrecht und sein Mund öffnete sich, allerdings weil ihm im wahrsten Sinne die Kinnlade herunterfiel. „Danke, Kai!“, antwortete Laurin daher selbst, trippelte um den Tisch herum und nahm die zweite Liege in Beschlag. Er legte sich sofort seitlich darauf und Henry warf einen Blick auf dessen nackte Beine. Er trug tatsächlich hochgeschnürte römische Sandalen und die Riemchen reichten bis unter die Kniekehlen.
„Hübsche Schuhe“, sagte er und deutete schmunzelnd darauf, was Laurin erröten ließ.
„Habe ich mir auch aus Rom mitgebracht“, flötete er, sich ein wenig genierend windend.
Henry nickte nur und trank einen Schluck. „Ähm, ja, dann lass uns doch anfangen, ich bin wirklich hungrig“, meinte er und Kai stampfte heran wie ein wütender Ochse. Unwirsch spießte er eine der Fleischscheiben auf und pfefferte sie auf einen der Teller.
„Gemüse?“, fragte er brummig und Henry nickte, wenn auch leicht irritiert. Kai nahm eine Kelle voll davon, klatschte es daneben und stellte den Teller lautstark vor dem König ab, während Laurin sich selbst etwas von den Speisen nahm.
Genüsslich begann er zu essen und auch Henry widmete sich seinem nicht gerade ansehnlich aussehenden Mahl. Wenigstens schmeckte es vorzüglich, der Schinken war zart und saftig und so sah er darüber hinweg. Als des Königs Becher leer war, hob der diesen um sich nachschenken zu lassen hoch, doch Kai reagierte nicht darauf. „Seine Majestät hätten gerne noch etwas Wein“, sagte Laurin liebreizend und dem Diener platzte der Kragen.
„Dann schenke ihm welchen ein! Die Karaffe steht doch genau vor deiner Nase, du Wicht“, fuhr er den Jungen unbeherrscht an.
„Kai!“, entkam es Henry empört, „was ist denn los mit dir?“
„Was mit mir los ist?! Ich habe die Schnauze sowas von gestrichen voll!“, fauchte Kai zurück. Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ wutentbrannt das königliche Gemach.
Die beiden starrten ihm nach, sahen sich an und begannen zu lachen. „Herrje, was war das denn?“, kicherte Laurin überaus amüsiert und Henry schüttelte nur den Kopf über das Verhalten seines Dieners.
„Wenn das so weiter geht, werde ich mich in Zukunft wohl wirklich noch selbst bedienen müssen“, meinte er nachdenklich und schenkte sich eben selbst ein. „Irgendwie laufen mir in letzter Zeit alle Diener weg!“
Laurin zuckte die schmalen Schultern. „Wir brauchen ihn doch eh nicht und so ist es doch wesentlich intimer. Nur wir zwei, hier allein“, hauchte er mit einem verheißungsvollen Augenaufschlag.
Der König sah ihn schief an und räusperte sich leise. Von der etwas seltsamen Situation irritiert, trank er rasch einen großen Schluck und beobachtete mit wachsender Unruhe, wie Laurins Toga immer mehr verrutschte. Nicht nur der obere Teil, eine Schulterseite war nach unten gerutscht und entblößte mittlerweile eine Brusthälfte des Knaben, auch der Saum glitt merkwürdigerweise immer höher und gab einen guten Ausblick auf dessen milchweiße Schenkel preis. „Tja, wie wäre es mit etwas Süßem, zum Nachtisch?“, fragte er etwas verlegen und Laurin setzte sich auf.
„Oh ja, sehr gerne! Und ich wüsste auch, wo Ihr Euren Nachtisch vernaschen könntet“, antwortete er lasziv und stand mit einer fließenden Bewegung auf.
„Ähm“, machte Henry, sich schon in Abwehrstellung begebend, doch der Junge ging einfach an ihm vorbei und schlenderte hinüber ins Schlafzimmer. Der König war erst einmal baff über diese erneute Ungeheuerlichkeit und marschierte ihm schließlich hinterher.
Tatsächlich lag der Kleine bereits erwartungsvoll auf dem Bett und löste sich gerade verführerisch die Riemchen der Sandalen. „Was machst du da?“, fragte Henry fast amüsiert.
„Ich bereite Euren Nachtisch vor“, antwortete Laurin und ließ die erste Sandale verheißungsvoll baumeln, bevor er sie fallen ließ.
Henry legte grübelnd einen Zeigefinger vor die Lippen und verschränkte dann die Arme. „Wenn du dich damit meinen solltest, muss ich dich enttäuschen. Ich pflege mein Bett nicht mit Kindern zu teilen, also verlasse es bitte“, erwiderte er gelassen.
Laurin schnürte die zweite Sandale auf und warf sie ihm vor die Füße. „Ich bin kein Kind mehr, immerhin bin ich schon fünfzehn und werde bald sechzehn“, meinte er hochnäsig und Henry lachte kurz auf.
„Und damit zumindest noch ein halbes! Und jetzt raus, aus meinem Bett!“, wurde er um einiges deutlicher.
„Wollt Ihr nicht wenigstens davon kosten?“, ließ Laurin sich nicht von seinem Verführungsversuch abbringen und schob sich die Toga ganz über die Schultern.
„Was hast du an dem gerade von mir Gesagtem nicht verstanden?“, fragte Henry ihn stirnrunzelnd. „Nochmal, ich gehe nicht mit dir ins Bett! Du bist mir zu jung! War das jetzt deutlich genug? Und wenn du jetzt nicht sofort machst, dass du da rauskommst, lasse ich dir den Hintern versohlen und zwar von Kai! Ich möchte wetten, dass der sich darüber mehr freuen würde, als über jedes noch so kostbare Geschenk“, erklärte er ihm geradezu sanft.
Laurin zog ebenfalls die Stirn kraus und schnaufte beleidigt aus. „Hat der alte Mann etwa Angst vor mir?“, versuchte er es deshalb auf die provokante Tour.
„Alter Mann?“, empörte Henry sich erheitert, „ich gebe dir gleich selbst was auf deinen kleinen Hintern! Ich bin nicht alt, ich bin noch nicht einmal dreißig!“
Laurin wirkte tatsächlich überrascht. „Wirklich? Ich habe Euch viel älter geschätzt, eher im Alter meines Vaters, so um die vierzig, mindestens“, schnappte er höhnisch zurück und jetzt reichte es Henry endgültig.
„Raus, du frecher Bursche! Und das ist jetzt die allerletzte Aufforderung!“, raunte er ernst und der Tonfall schien anzukommen. Der frühreife Bengel zog zwar eine beleidigte Schnute, rutschte aber doch aus dem Bett und hob zickig seine Sandalen auf. „So! Und versuche das nie wieder“, riet ihm Henry unmissverständlich und trat einen Schritt beiseite, um den Durchgang freizumachen. „Ach, und Laurin, vergiss nicht abzuräumen! Wenn du gehst, sei so gut und schicke Kai zu mir, ja“, meinte er noch milde und sah dem beleidigten Jungen kopfschüttelnd hinterher.
Allerdings schien die Abfuhr Laurin nicht weiter zu kümmern, denn tags darauf nahm er ohne sich etwas anmerken zu lassen, seinen Platz zu Henrys Füßen wieder ein und wirkte so fröhlich ungezwungen wie eh und je. Ganz anders Kai, der sich fortan eiskalt weigerte, Laurins Aufgaben zu übernehmen und so betrat der König am selben Abend ein unaufgeräumtes Gemach. Der Tisch war nicht abgeräumt, neben dem Abendmahl vom Vortag standen noch die Frühstücksreste, das Bett war nicht gemacht und der Nachttopf randvoll. Henry durchschritt seine Gemächer und blieb durchschnaufend stehen. „Kann mir mal einer erklären, warum es hier aussieht, wie in einem Schweinestall?!“, fragte er noch ruhig seine beiden Diener.
Laurin zuckte unschuldig die Achseln und Kai verzog keine Miene. „Ich erwarte eine Antwort!“, fuhr der König nun in einem wesentlich schärferen Ton die beiden an und Kai hob seine Hände.
„Eure Majestät, seht Ihr das?“, fragte er und nickte auch gleich. „Genau, ich habe nur zwei Hände und teilen, kann ich mich auch nicht! Meine Aufgabe ist es, Eure Majestät jederzeit zur Seite zu stehen! Ich soll Euch ankleiden, Euch nach unten begleiten, um Euch gegebenenfalls zu bedienen, auch während der Audienzen und beim Mittagsmahl, stehe mir, um es auf gut Deutsch zu sagen, den ganzen Tag die Beine in den Arsch, während Euer Page es sich auf einem Sitzkissen gemütlich macht und, während Eure Majestät ein Mittagsschläfchen hält, habe ich meine wohlverdiente Pause. Eigentlich, denn auch ich muss zumindest ab und zu Nahrung zu mir nehmen! Und, da ich einstweilen die Position Eures davongelaufenen Leibdieners übernommen habe, sehe ich nicht ein, in meiner mir zustehenden Freizeit auch noch die Aufgaben eines zweiten Dieners zu übernehmen, der ja eigentlich dann in der Zwischenzeit Eure Gemächer sauber halten sollte“, brachte er es auf den Punkt.
Laurin sah ihn dermaßen schockiert an, dass es schon albern wirkte aber Henry fand den Vorwurf keineswegs zum Lachen. Der König war schlichtweg baff. „Ja, und jetzt?“, fragte er vollkommen überfordert.
„Mit Verlaub, Eure Majestät, ich habe es Euch schon gestern Abend erklärt, ich habe die Nase gestrichen voll! Seit Jahren bin ich in Euren Diensten, habe Euretwegen auf ein Privatleben verzichtet und meine beste Freundschaft zerstört. Oh ja, ich meine Amanoue damit, auch wenn Ihr mir verboten habt, diesen Namen je wieder in Eurer Gegenwart zu erwähnen! Euretwegen, habe ich ihn ausspioniert und verraten und, ich bedauere es zutiefst! Vergebung Majestät, aber diese Scheißstellung, war es schlichtweg nicht wert und noch zu allem Überfluss habt Ihr mir aus Eurer grenzenlosen Dankbarkeit und Güte heraus, auch noch Phineas vor die Nase gesetzt! Ihr habt diesem Verräter den mir zustehenden Posten als Sebastians Nachfolger überlassen und ich habe stillgehalten! Aber jetzt ist meine Geduld am Ende und ich quittiere hiermit meinen Dienst. Sucht Euch fortan einen anderen Deppen und, für den Übergang, habt Ihr ja noch Euren Pagen. Ich wünsche Eurer Majestät alles Gute für die Zukunft“, meinte er mit einer tiefen Verbeugung und Henry stand da wie vom Donner gerührt.