Das verlorene Seelenheil

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Naja, und eigentlich wollte er Laurin auch gar nicht mehr missen. Verdammt, er mochte den Kleinen, musste er sich ebenfalls eingestehen. Nicht so, aber eben einfach nur seine Nähe. Wie er ihn mit seiner Unbeschwertheit zum Lachen brachte, seine kleinen Frechheiten, eben. Manchmal erinnerte er ihn damit sogar ein klein wenig an, IHN…
Er verscheuchte schnell die Gedanken an Amanoue und setzte sich. „Wein!“, befahl er herrisch und Laurin beeilte sich ihm einzuschenken.
„Eure Majestät“, sagte der so leise, dass es schon einem Flüstern glich, reichte ihm den Pokal und setzte sich zu seinen Füßen auf den Boden.
Henry lächelte auf ihn hinab, zwar etwas bitter, aber dies war wieder einer dieser Momente, in denen sein Herz für diesen Knaben aufging. Unwillkürlich streichelte er ihm über das rötliche Haar und über die blassen Wangen. „Danke.“
„Aber wofür denn?“, flötete Laurin mit den Wimpern klimpernd zu ihm hoch.
„Einfach so. Es ist schön, dass du da bist“, antwortete Henry beinahe liebevoll, was ein schüchternes Lächeln auf Laurins Lippen zauberte.
„Ich bin gerne hier, bei Euch“, säuselte er zurück und nahm Henrys linke Hand ganz sachte in seine. Als er sie an seinen Mund führen wollte, glitt der Ärmel des Morgenmantels ein klein wenig zurück und gab den Armreif preis, den der König seitdem an seinem Handgelenk trug. „Was für ein schönes Schmuckstück!“, entfuhr es dem Jungen beeindruckt und er schob den Ärmel noch ein Stückchen höher.
Henry entzog ihm unwohl die Hand und bedeckte den goldenen Reif wieder, was Laurin fragend aufblicken ließ. „Warum versteckt Ihr ihn?“
Henry holte langsam und tief Luft und sein Gesicht nahm einen bittersüßen Ausdruck an. „Es ist eine schmerzliche Erinnerung, an jemanden“, antwortete er leise und sein Page runzelte die Stirn.
„Warum tragt Ihr ihn dann?“, fragte er stutzend und des Königs Blick ging an ihm vorbei.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte er, hilflos die Schultern hebend. „Vielleicht, weil es mir mal sehr viel bedeutete?“, meinte Henry und strich ihm lächelnd über die Wange.
„Seid Ihr deshalb immer so traurig?“, fragte Laurin vorsichtig und prompt wurden Henrys Augen feucht.
Er nickte bedächtig und blinzelte die Tränen fort. „Warst du schonmal verliebt? Ich meine, keine Schwärmerei, sondern die ganz große Liebe“, fragte er sanft und Laurin zuckte leicht die Achseln. „Nein, dafür bist du wohl noch zu jung“, schlussfolgerte Henry daraus und wieder blickte er zur Seite. „Weißt du, ich war schon oft verliebt, aber es waren eben nur kurze Liebeleien, die wahre Liebe erfuhr ich nur ein einziges Mal und diese Liebe brach mir das Herz. Deshalb trage ich dieses Armband, damit es mich immer daran erinnert, was für ein Narr ich war“, murmelte er vor sich hin, schnaufte tief durch und sah ihn lächelnd an. „Tja, vielleicht bin ich inzwischen doch nur noch ein alter einsamer Mann, zumindest im Vergleich zu dir und vielleicht findest auch du irgendwann deine große Liebe und denkst dann an mich zurück?“, sagte er und Laurins Stirn legte sich erneut in Falten.
„Vielleicht sollten sich Eure Majestät besser wieder hinlegen, ich denke, Ihr habt wieder Fieber“, meinte er treusorgend, da er Henrys wirre Worte darauf bezog und der musste darüber schmunzeln.
„Denkst du?“, fragte er amüsiert und der Kleine schnaufte durch, als hätte er schon sonst was durchgemacht.
„Naja, Ihr sollt Euch doch schonen und“, Laurin senkte verschämt den Blick, „Ihr seid nicht alt. Vielleicht einsam“, meinte er achselzuckend, „aber daran könnt nur Ihr allein etwas ändern. Es betrübt mich zutiefst, Eure Majestät so traurig zu sehen und ich würde alles dafür tun, wenn ich Euer Leid wenigstens ein wenig lindern könnte. Bitte, vergebt mir“, hauchte er und sah ihm tief in die Augen. Ganz langsam richtete er seinen Oberkörper etwas weiter auf, beugte sich zu Henry hin und küsste ihn zart. Es war nur ein flüchtiger Kuss, sanft wie ein Windhauch und doch ließ es den König am ganzen Leib erzittern.
„Nicht“, flüsterte er und stand rasch auf.
„Warum nicht? Ich will es doch!“, erwiderte Laurin uneinsichtig und voller kindlichem Trotz.
Henry seufzte schwer. „Du bist doch noch fast ein Kind! Laurin, bitte, tu das nicht! Nütze nicht die Schwäche meines einsamen Herzens aus! Ich weiß nicht, ob ich dir auf Dauer widerstehen könnte, also bitte, geh“, bat er inständig, drehte sich um und ging rasch in sein Schlafzimmer.
Auf Laurins Lippen entstand ein kleines, aber sehr siegessicheres Lächeln. Mehr brauchte er gar nicht zu erfahren und, er hatte Zeit…
Henry setzte sich geschafft aufs Bett und stützte seinen Kopf in beide Hände. Was hätte er beinahe getan?
Oh ja, er war einsam! Aber das war noch nicht alles, was ihn zermürbte. Denn da war ja auch noch dieses andere Bedürfnis, welches sich mehr und mehr bemerkbar machte und gestillt werden wollte. Auch wenn er es immer wieder verdrängte, sein kleiner Freund da unten hatte noch nie so lange stillhalten müssen und meldete sich wegen dieser Vernachlässigung immer häufiger, um endlich Erlösung zu bekommen. Auch jetzt, ausgerechnet jetzt! Dieser flüchtige Kuss hatte schon genügt, um ihn hart werden zu lassen, verdammt!
Naja, wenigstens hatte er noch zwei gesunde Hände und damit musste sich sein kleiner König erstmal zufriedengeben! Seufzend erhob er sich und warf einen Blick nach vorn. Laurin war tatsächlich gegangen und so schlurfte er zurück zum Bett.
Doch dann hielt er wieder abrupt inne. Nein, nicht hier! Denn wenn Laurin morgen das Bett machen würde, würde er unweigerlich auch die Spuren der letzten Nacht entdecken und wie peinlich wäre das dann wieder! Und es würde dem kleinen Biest auch noch in die Taschen spielen! Der König hat sich nach meinem Angebot einen `Runtergeholt´, na Klasse!
Damit würde er völlig unglaubwürdig mit seiner Ablehnung rüberkommen und Laurin würde dies sicher nur noch mehr anstacheln, ihn verführen zu wollen…
Er könnte wieder nach drüben gehen, da wäre er ungestört und das Bett hatte so wunderbar nach IHM geduftet…
Nur ein wenig träumen, sich daran erinnern, wie sie sich dort immer geliebt hatten… Seufzend schnappte er sich den nächstbesten Kerzenleuchter und machte sich auf den Weg.
Dieses Mal würde er sich aber nicht den Arsch abfrieren und so machte er als erstes ein ordentliches Feuer im Kamin. Danach zündete er noch etliche Kerzen an und dabei fiel sein Blick auf den Zobelfellumhang, der auf einer der Kleidertruhen lag. Nicht einmal den, hatte Amanoue mitgenommen, ob er überhaupt etwas von seinen Geschenken mitgenommen hatte? Ohne weiter zu zögern, ging er zu den Truhen und öffnete eine nach der anderen.
Tatsächlich, alles noch da. Die edlen Tuniken, die kostbaren Stiefel, der hübsche Sommerumhang, die Hemden und Hosen, der Schmuck, alles hatte er zurückgelassen. Warum nur?
Na klar, weil er eben nichts von ihm haben wollte und schon gar nichts behalten, was ihn an seine `Gefangenschaft´ hier erinnern könnte! Und an ihn…
Ärgerlich knallte er den Deckel zu und wandte sich der letzten Truhe zu. Es war die asconische und Henry war sich sicher, dass zumindest diese leer wäre, doch als er sie öffnete, blickte er erstaunt auf den unberührten Inhalt. Auch noch alles da, soweit er es erkennen konnte. Warum?
Henry kramte ein wenig darin herum, holte den Stapel Kleider heraus, darunter lagen die weichen, weißen Stiefel, selbst die edelsteinbesetzten Gürtel waren noch da und die Schatulle. Er nahm sie heraus und voller Überraschung stellte er fest, dass Amanoue auch hiervon nichts mitgenommen hatte. Der kostbare asconische Schmuck, die Perlen, alles noch da! Aber was war das? Henry nahm ein zusammengefaltetes Tüchlein heraus und legte die Schatulle weg. Vorsichtig faltete er den seidenen Stoff auseinander und erstarrte.
Darin befand sich ein Schneeglöckchen und Henry schluchzte beim Anblick des verwelkten Blümchens heftig auf. Warum hatte er es behalten?
Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, an ihren Ausritt, zu zweit auf Apollo und wie er plötzlich dieses Schneeglöckchen am Wegesrand entdeckt und gepflückt hatte und wie sehr sich Amanoue darüber gefreut hatte. `Für mich?´, hatte er so schüchtern gefragt und das kleine Blümchen die ganze Zeit über in seiner zarten Hand gehalten. Und all die Zeit über, seit diesem tragischen Winter in Averna, hatte er es aufbewahrt und gehütet, wie einen kostbaren Schatz. Warum?
Momentmal, in einer der anderen Truhen hatte er auch ein seltsames Bündel entdeckt, einen Sack oder sowas ähnliches und hatte es achtlos beiseitegeschoben. Henry legte das Schneeglöckchen vorsichtig zurück in das Schmuckkästchen und ging zurück. Welche war es doch gleich wieder gewesen? Ah, die da! Er nahm den Sack heraus, der sich als Kissenbezug entpuppte und blickte hinein. Nanu? Schriftrollen? Waren das etwa? Ja, seine Briefe! Alle, die er an Amanoue geschickt hatte und einige der Pergamente waren leicht angekohlt…
Henry schlurfte damit zum Bett und schüttete die Briefe heraus. Er setzte sich und entrollte den erstbesten. Ja, unverkennbar seine Handschrift, aber was war das? Unter seiner eigenen Signatur, befand sich ein weiterer, in Amanoues filigraner Schrift verfasster Satz:
Ich liebe dich, bitte verzeih mir
Henry stieß die Luft aus und zog die Nase hoch. Mit tränenden Augen öffnete er auch die anderen Rollen und unter jedem davon hatte Amanoue diese Botschaft hinterlassen, bis auf den von Henry zuletzt verschickten, denn dieser war rund um seine Nachricht herum beschrieben worden und was er dort las, ließ ihn vollends die Fassung verlieren.
Mein König, mein Herr, mein Henry, ich liebe dich!
Wenn du dies hier liest, bedeutet es wohl, dass du mir nicht vergeben konntest und ich habe es ehrlich gesagt auch nicht anders erwartet. Aber eines möchte ich dir dennoch versichern, bitte glaube mir, ich tat es letztendlich doch nur für dich! Dies soll keine Entschuldigung für mein Handeln sein, denn was ich dir damit angetan habe, lässt sich durch nichts entschuldigen. Ravio riet mir, also sein Geist, dir die Wahrheit zu sagen und dass ich auf deine Liebe zu mir vertrauen solle. Tja, wie es aussieht, lag er damit wohl doch daneben und mich gibt es nicht mehr in deinem Leben. Vielleicht hast du mich sogar hinrichten lassen? Ich weiß es zu diesem Zeitpunkt nicht und kann nur hoffen, dass du wenigstens Sybilla verschont hast und vergeben konntest, da sie nicht wirklich die Schuld an unserem Betrug an dir, trägt. Sie liebt dich wirklich und ich weiß selbst nicht, weshalb sie mir verfiel. Sie bezeichnete mich danach als einen Incubus und wer weiß, vielleicht bin ich ja tatsächlich eines von diesen Höllengeschöpfen und auch deine Liebe zu mir entstand nur deshalb, weil du den Verführungskünsten eines Dämons zum Opfer fielst.
Du sagtest so oft zu mir, dass du mich lieben würdest, aber nun bezweifle ich es doch immer mehr und vor allem zweifle ich an mir und an dem, was ich wirklich bin. Oh Henry, es gibt noch so vieles, was ich dir noch hätte sagen wollen, über mich! Stattdessen sitze ich nun da und schreibe dir diese Zeilen, in der Nacht, die ich wohl Zeit meines Lebens nie vergessen werde. Es ist diese Nacht, in der wir unser Bündnis mit unserem Blut besiegelten und ich schreibe dies auch mit meinem Blut nieder. Zum einen, weil ich keine Tinte habe und zum anderen, weil ich es möchte. Es stammt zwar aus meiner Handwunde, aber es fühlt sich für mich an, als wäre es mein Herzblut!
Ja, dieses Kind, Sybillas Kind, ist von mir und ich muss dir gestehen, dass ich mich anfangs auch in sie verliebt hatte, dachte ich zumindest. Aber ich bin eben nur ein dummes Ding, ich muss jetzt ein klein wenig schmunzeln über unseren lieben alten Sebastian und doch hatte er recht damit! Ich war so dumm! Und erst jetzt, hoffentlich ist es noch nicht zu spät, erkenne ich, wie sehr ich dich inzwischen liebe. Ich glaube es begann schon in Averna, nur wollte ich es da wohl noch nicht wahrhaben, du kennst ja meine Sturheit und ich bereue auch dieses, zutiefst! Was habe ich dir nur angetan, in all der Zeit, in der du mir stets nur mit deiner Liebe entgegengekommen bist! Ich kann es leider nicht rückgängig machen, aber ich kann nun mit Gewissheit sagen, dass du dich schon damals erfolgreich in mein kleines Herz geschlichen hast und es inzwischen geschafft hast, alle anderen daraus zu vertreiben!
Mein Herz gehört nur noch dir allein, das musst du mir glauben!
Und wenn ich dich auch betrogen habe, dieses Kind will ich dir schenken, von ganzem Herzen und als Beweis meiner Liebe zu dir! Denn Gott wird dir niemals deinen langersehnten Erben schenken, ich weiß, das ist jetzt wirklich zynisch von mir! Bitte, vergib mir, es tut mir so leid und ich sagte es dir vorhin bereits, du wirst nie eigene Nachkommen haben können aber vielleicht wirst du diesem Kind irgendwann wenigstens ein klein wenig von der Liebe schenken können, die du mir entgegengebracht hast.
Ich muss weinen, verzeih die verwischten Flecken…
So, jetzt geht es wieder, hoffe ich wenigstens, wie du weißt, bin ich eine schlimme Heulsuse und wie oft hast du dich darüber beschwert, weil dir mein ständiges Geheule auf die Nerven ging!
Naja, jetzt bist du mich ja los und ich kann nur hoffen, dass du ohne mich glücklicher bist. Ich wünsche es dir wirklich!!! Mit wem auch immer, von mir aus sogar mit Benny, werde glücklich, Henry!
Während ich dies hier schreibe, schläfst du tief und fest und wirkst so zufrieden. Es sieht fast so aus, als würde ein glückliches Lächeln deine Mundwinkel umspielen und ich werde dich gleich darauf küssen, weil ich gar nicht anders kann!
Dein dich liebendes Kätzchen
Henry ließ den Brief sinken, schloss die Augen und eine Flutwelle an Tränen ergoss sich über sein Gesicht.
Nach einer Weile stand er auf, löschte die Kerzen und verließ das Gemach wieder, mit dem Schwur, es nie wieder zu betreten. Dieser Raum sollte fortan das Grabmal seiner verlorenen Liebe sein.
***
Amanoue streckte sich und blinzelte über seinen gebeugten Arm zu seinem ersten Stammkunden hoch. Der Mann strich ihm gerade mit den Fingerrücken über die Wirbelsäule entlang, bis zum Steiß. „Du bist geradezu unvorstellbar schön und ich bin immer auf der Suche nach schönen Menschen. Möchtest du mir nicht mal Modell stehen? Mein Name ist Rafael und ich bin ein recht angesehener Künstler hier im Land. Ich habe kürzlich einen größeren Auftrag erhalten und du wärst das richtige Vorbild dafür“, sagte er und musterte ihn nochmals eingehend, bevor er aufstand um sich anzukleiden.
Auch Amanoue rutschte aus dem Bett, trat zum Waschtisch und begann sich ungeniert zu säubern. Er hatte längst wieder jegliches Schamgefühl abgelegt und war ohne weiteres in sein altes Leben als Lustknabe zurückgeglitten. „Verdient man als Modell gut?“, fragte er und wischte sich mit einem feuchten Lappen über die Innenseiten seiner Schenkel.
„Zumindest besser, als hier“, meinte sein Kunde lächelnd. „Und, es ist bei weitem sicherer! Als männliche Hure erwischt zu werden, bedeutet den Scheiterhaufen! Aber als Muse eines Künstlers würde man dir sogar Respekt entgegenbringen. Du siehst, es hätte also nur Vorteile für dich, wenn du mein Angebot annimmst! Wir müssten allerdings schon morgen beginnen, da das Bildnis bis Ostern fertig sein soll.“
„Was ist das für ein Auftrag?“, fragte Amanoue ohne allzu großes Interesse und hockte sich über die Waschschüssel.
„Es soll ein Heiligenbild werden, zu Ehren der Taufe des Thronfolgers. Ein Triptychon, das ist ein dreiteiliges Altarbild. In der Mitte die heilige Jungfrau mit ihrem Kind, flankiert von zwei Engelsbildnissen“, erklärte der Mann und Amanoue sah ihn überrascht an. „Du würdest den perfekten rechten Engel abgeben, obwohl du auch für die Jungfrau selbst wie geschaffen wärst“, meinte er etwas zynisch und Amanoue schnaubte lachend.
„Da wäre ich wohl eher für die andere die richtige Wahl! Wie hieß sie noch gleisch? Maria Magdalena?“, raunte er spöttisch und Rafael lachte derb auf.
„Auch wieder wahr! Die heilige Hure“, spottete er zurück und kniff gleichzeitig grübelnd die Augen zusammen. „Dein Gesicht ist wahrlich wunderschön, beinahe zu schön, für diese Welt! Was macht eine solche Schönheit wie du, in so einer heruntergekommenen Absteige? Wie kommst du hier her und woher stammst du? Du sprichst beinahe Akzentfrei unsere Sprache aber dein Aussehen ist eher orientalisch anmutend.“
Amanoue hielt mit seiner Waschung inne und erhob sich. „Ich komme von Nirgendwo her und bin nur sufällig hier gelandet“, antwortete er achselzuckend und warf den Lappen auf den kleinen Tisch.
„Dann bist du einer vom fahrenden Volk?“, fragte Rafael erstaunt und Amanoue sah ihn nachdenklich an.
„Ihr meint, ob isch eine Sigeuner bin? Ja, vielleischd, bin auch ich eine von diese heimatlose Vertriebene und nur eine Staubkorn, die die Wind aus einer Laune heraus hierher geweht `at, hat“, sinnierte Amanoue versonnen. „Ich habe keine Heimat, sumindest nischd mehr“, meinte er dann bestimmt und Rafael nickte verstehend.
„Es ist mir auch gleich, woher du kommst. Alles was für mich zählt ist dein überaus hübsches Aussehen! Dein wundervoll vollkommener Körper und dein engelhaftes Gesicht sind viel zu schade, um sich hier zu verstecken! Lass mich dich malen und alle Welt Anteil an deiner Schönheit haben lassen! Was sagst du?“, rief er begeistert aus und Amanoue schnaufte grübelnd durch.
„Habt Ihr eine Badewanne?“, fragte er, der Maler nahm stutzend den Kopf zurück und nickte. „Gut! Wenn ich vorher ein ausgiebiges Bad nehmen kann, komme ich mit Euch!“, schlug Amanoue ein und schlüpfte in sein Hemd.
Und so stand er am darauffolgenden Morgen pünktlich in dem Künstleratelier. Während ein Diener das Bad für ihn vorbereitete, sah er sich in dem großzügigen Raum um. Er betrachtete eingehend die Werke und blieb schließlich vor dem unfertigen Triptychon stehen. Der linke Engel war bereits vollendet, ein schöner geflügelter Mann, blond und blauäugig, in goldener Rüstung und einem leuchtenden erhobenen Schwert, blickte ermahnend auf ihn herab. Zu dessen Füßen wanden sich wie in unsäglicher Pein allerlei kriechendes Getier, Schlangen und seltsame Fabeltiere mit hässlichen Fratzen schienen sich selbst zu fressen und auch nackte Menschen streckten mit greinenden Gesichtern flehend die Hände nach dem himmlischen Wesen aus, um dem lodernden Höllenfeuer unter ihnen zu entkommen.
Das Bild in der Mitte war hingegen voller Trost für den Betrachter. Die Madonna, eingehüllt in einem hellblauen Mantel, hielt ihr süßes Kindlein beschützend in ihren Händen und obwohl sie noch kein Antlitz besaß, strahlte das Werk jetzt schon so viel mütterliche Fürsorge aus, dass Amanoue unwillkürlich leicht lächelte.
„Gefällt es dir?“, fragte Rafael und Amanoue drehte sich zu ihm um.
„Es ist riesig!“, entkam es ihm überwältigt nickend.
„Mehr hast du dazu nicht zu sagen?“, meinte der Künstler lachend und nickte ebenfalls. „Es muss ja auch so groß sein, immerhin soll es ja den neuen Altarraum schmücken, den die Königsfamilie aus Dankbarkeit gestiftet hat!“
„Wofür sollte es doch gleich wieder sein?“, fragte Amanoue stirnrunzelnd.
„Als Dank, dass unserem König ein Thronerbe geschenkt wurde! Das Königspaar hat für die Taufe des Kronprinzen eine neue Ausschmückung ihres Altarraumes gespendet“, antwortete Rafael erklärend und Amanoues Miene wurde immer stutziger.
„Was für eine Thronerbe? Ist die Kind nischd gestorben?“, fragte er verdutzt nach und Rafael schüttelte erstaunt den Kopf.
„Nein, wie kommst du darauf? Ah“, meinte er dann allerdings erkennend, „du verwechselst da sicher etwas! Das Kind des Herzogspaares, Wilhelms und Hildegundes Sohn verstarb leider im letzten Jahr ganz plötzlich! Das Königshaus war voller Trauer darüber und deshalb hatte seine Majestät auch alle Festlichkeiten absagen lassen, aus Respekt und tiefem Mitgefühl für seinen geliebten Bruder“, erklärte er. „Zu Ostern soll nun aber die Taufe des kleinen Heinrichs stattfinden und die Königin ist so froh über dessen Geburt, dass sie sich sogar für eine Weile aus Dankbarkeit in ein Kloster zurückzuziehen gedenkt, um Gott zu preisen und zu dienen“, sagte er tief beeindruckt, was bei Amanoues nur zu noch mehr Verwirrung führte.
„Die kleine `einrisch? Isch glaube, isch verstehe hier wirklisch nischds mehr“, nuschelte er nur und winkte gleich wieder ab. „Na egal, isch, ich, finde es jedenfalls sehr schön und puh, auch eine wenig beeindruckend“, er drehte sich wieder zum Bild um und deutete auf den Engel. „Wie der einen ansieht, da könnte man eschd sofort eine schlechte Gewissen kriegen“, meinte er, instinktiv den Kopf einziehend. „Auf alle Fälle, habt Ihr damit aber die Geschmack von seine Majestät su hundert Prosent getroffen! Isch kenne da nämlich jemanden, der sieht dem da verdammt ähnlisch“, rutschte es ihm, dabei an Satory denkend, heraus. „Da stand Euch nischd sufällig eine gewisse Hauptmann Satorius Modell?“
Rafael blinzelt erst einmal irritiert. „Nun, ja, also ich muss gestehen, dass ich mich in der Tat von einem Hauptmann der Königsgarde habe inspirieren lassen, den ich kürzlich bei einer Audienz sah. Allerdings malte ich es aus dem Gedächtnis heraus, äh, woher kennst du ihn?“, fragte er durcheinander.
Amanoue zuckte nur die Achseln. „Sagen wir, ich kenne ihn einfach, ja? Und belassen es dabei“, erwiderte er, was einen erahnenden Ausdruck in Rafaels Mimik brachte. Ein regelrechts „Aaah!“, stand unausgesprochen in seinem Gesicht geschrieben und er nickte wohlweißlich. „Tja, und ich soll dann also die andere Engel werden?“, fragte Amanoue fast amüsiert nach und musste unweigerlich den Kopf darüber schütteln.
„Ja, genauso ist es!“, antwortete Rafael entschlossen.
„Warum hat die Jungfrau noch keine Gesicht?“, wollte Amanoue grübelnd wissen und Rafael seufzte hinter ihm auf.
„Ich habe ehrlich gesagt noch kein wirklich, wie soll ich es nennen, würdiges Antlitz dafür gefunden“, gab er ehrlich zu und räusperte sich leise. Amanoues Augenbrauen schnellten nach oben und er sah sich augenblicklich zu dem Künstler um. „Dein Gesicht, wäre wie erschaffen dafür“, meinte der beinahe entschuldigend und jetzt hätte Amanoue wirklich am liebsten gelacht. „Natürlich werde ich es leicht abwandeln, ihm noch weiblichere Züge verleihen, mütterliche, verstehst du?“
Amanoue musste sich abwenden und nickte nur. `Na, wenn IHN das mal nicht umhaut, Satory links, ich rechts und in der Mitte die heilige Jungfrau mit meinem Gesicht´, dachte er zynisch. Allerdings konnte er sich auch ein kleines Grinsen bei dem Gedanken daran nicht länger verkneifen und er musste sich eingestehen, dass er auch ein paar kleine, süße Rachegelüste dabei verspürte. „Seid Ihr Euch da wirklich sicher?“, fragte er dennoch sehr skeptisch und schlenderte zurück in die Wohnräume des Ateliers.
„Ja, selbstverständlich! Sonst wärst du ja nicht hier und umso länger ich dich betrachte, je sicherer werde ich mir“, antwortete Rafael, der ihm gefolgt war.
Amanoue zog sich aus und stieg in die Wanne. „Aah, das tut gut“, seufzte er, als er in das heiße Wasser glitt und erschauderte dabei wohlig, da sich in den letzten Wochen mittlerweile ein unangenehm juckender Schweiß und Fettfilm auf seiner Haut gebildet hatte. „Endlisch wieder eine Bad!“
„Warum suchst du nicht das öffentliche Bad auf? Es ist an mehreren Tagen im Monat auch für das gemeine Volk zugänglich und sogar umsonst“, meinte Rafael und setzte sich auf einen Hocker.
„Wirklisch? Das wusste ich gar nischd, aber, hm, nein! Lieber nischd, die ledsde Besuch dort hat mir gereischd“, erwiderte Amanoue nachdenklich murmelnd. „Tja, um nochmal auf vorhin surücksukommen, gut, ich willige ein, Ihr dürft mich malen! Aber ich lege alle Verantwortung in Eure Hände, es ist allein Eure Entscheidung“, sagte er, beide Hände abwehrend hebend.
„Ja, sicher doch! Ich verstehe deinen Einwand nicht ganz, was meinst du damit?“, hakte Rafael sofort erstaunt nach.
„Naja“, raunte Amanoue, seine Fingernägel kritisch betrachtend, „es könnte ja auch sein, dass Euer Gemälde ein klein wenig su viel Aufsehen erregen wird, aber isch wasche meine Hände in Unschuld“, antwortete er mit einem diabolischen Lächeln auf den zauberhaften Lippen und tauchte vollends unter.
„Das hoffe ich doch, dass es Aufsehen erregen wird“, meinte Rafael verständnislos. „So etwas wünscht sich schließlich jeder Künstler!“