- -
- 100%
- +
Denn scheckig nach der Elstern Art
Ist, wer die Treu mit Untreu paart,
Mit Schmach die Ehre, Fluch mit Heil:
An ihm hat Höll‘ und Himmel teil.
Das Telefon klingelte. Er meldete sich.
»Es sieht verdammt gut aus«, sagte Termöhlen, »wir haben ihn so gut wie.«
»Ich komme sofort«, sagte Reineking wie elektrisiert.
»Nee, lass mal, das kriegen wir schon hin!«
»Quatsch, ich brenne darauf, zu erfahren, wie er die Sache gedreht hat.«
Termöhlen lachte meckernd.
»Wir haben natürlich nicht den Täter, sondern den Handybesitzer, das heißt, eigentlich nur die Vertragsdaten.«
»Wieso Besitzer? Hatten wir es nicht mit einer Frau zu tun?«
»Ist ein Mann, ein ganz schlicht gestrickter: Fliesenleger, verheiratet, mit Vorgarten und Garage, haben mir die Kollegen vom zuständigen Revier versichert, und hat noch nie was mit uns zu tun gehabt. Kann ja der andere, der Begleiter gewesen sein.«
»Ist nicht wahr, oder?«
»Das Staunen ist ganz meinerseits.«
»Und genau dieser turnt gegen Mitternacht mit ´nem jungen Mädchen da oben am Denkmal rum?«
»Macht der Johannestrieb.«
»Ich bitte dich! Auch wenn der Johannes ihn tatsächlich getrieben hat, passt der nicht ins Bild. Wie genau sind denn die Daten?«
»Kein Zweifel möglich. Das war das einzige Handy, das aus dem Umkreis des Denkmals die Zentrale angerufen hat. Sollen wir ihn festnehmen?«
»Auf keinen Fall! Erstens ist es dafür nach den gesetzlichen Vorschriften zu spät, zweitens ist keine Gefahr im Verzuge und drittens können wir nach allem, was uns vorliegt, nur davon ausgehen, dass es sich um einen Zeugen handelt. Nein, nein, das lassen wir, könnte ja sein, dass der Mann Inhaber des Vertrages ist, das Telefon aber von seiner Tochter oder Enkelin oder was weiß ich wem benutzt wird. Insoweit sollten wir Bescheid wissen, ja?«
»Ich schiebe ja noch Dienst.«
»Okay, Hennes, so wie es steht, bleib ich im Feierabend. Trotzdem Danke, dass du mir Bescheid gesagt hast. - Was hat übrigens die Befragung der Anwohner am Denkmal ergeben?«
Termöhlen räusperte sich.
»Absolut nichts, das uns weiterhelfen könnte. Autos, Motorräder, die haben alles gesehen, aber eben ohne jedes verwertbare Merkmal. In zwei Häuser fanden wir keinen Zugang. Eine echte Pleite, wenn du mich fragst.«
»Es war den Versuch wert.«
»Wehner ist noch mal zurück wegen der Nichtangetroffenen.«
»Gut. Wir sehen uns dann morgen um zehn. Bis dann.«
Er legte auf.
8
»Ist ja nichts zu fassen!« Grotejohann warf seiner auf der Fensterbank sitzenden Sekretärin einen ungläubigen Blick zu.
»Doch, doch. Er ist Priester«, sagte sie, blätterte in ihrem Spiralblock und fand die am frühen Morgen gemachte Notiz. »Kloster. Pater Jakob nannte er sich. Jakob Demoley steht auf seinem Briefkasten. Eine Frau Bräuer von gegenüber hat mir von seiner Tätigkeit im Mindener Vikariat erzählt.«
»Pfarrstelle?«
»Pädagogisches. Hatte mit Jugendlichen zu tun, war sehr beliebt, besonders bei den weiblichen Mitarbeitern. Die begreifen noch immer nicht, warum er ohne jeden erkennbaren Anlass das Handtuch geschmissen hat. Schwester Irmtrudis, das ist die Informantin, hatte Tränen in den Augen. Ihr hat er noch einige Male Kartengrüße geschickt. Aus Siegburg, sagte sie.«
»Wieso, wenn er in Rinteln wohnt?«
»Darauf weiß ich keine Antwort, ich weiß nur, dass er seine Laufbahn in Siegburg begonnen hat, ganz fromm als Mönch mit Zelle und Exerzitien, und dort eine Art Assistent des Gefängnisgeistlichen im Jugendknast war. Zeiten in Äthiopien, Sudan und Ägypten. Das hatte sie aus einem Heftchen, das sie mir leider nicht geben wollte. Genaueres wollte sie mir nicht sagen. Nur dass Bruder J. vor Minden eine Tätigkeit in einem Ort namens Werden hatte. Wo immer der auch sein mag.«
»Essen, Ruhr«, sagte Grotejohann,
»Was du alles weißt.«
»Als ehemaliger Mitarbeiter der Westfalenpresse ist man allen anderen immer einen Schritt voraus. Besonders, wenn man vor kurzem eine ganz und gar nicht alltägliche Meldung auf dem Tisch hatte.«
»Du vergisst dabei meine kostbaren Recherchen.«
Grotejohann zog die Rechnertastatur an sich heran.
»Entschuldige bitte, wenn ich noch nicht auf den Knien liege. Aber ich bestätige zutiefst dankbar: Du hast deine Sache wirklich großartig gemacht. Dennoch bleibt die Frage, was unser Leuchtgesicht mit Deskin zu tun haben könnte?«
Er tippte sich ins Archiv seines Computers.
»Bitte«, sagte er nach einer Weile, »da haben wir´s: Mittelalterliche Handschriften, die ältesten von ihnen aus dem achten Jahrhundert, sind in der Landesbibliothek Düsseldorf aufgetaucht ... Wieso Düsseldorf?«, murmelte er, las weiter und hob schulmeisterlich den rechten Zeigefinger. »Hier: Nach Meinung der Forschung sind die Funde dem nordhumbrischen Schrifttum zuzuweisen und vom heiligen Liudger in das von ihm gegründete Kloster nach Werden gebracht worden´ ... dadadada ... und weiter: ‚Als sehr bedeutsam wird eine bislang unbekannte Fassung der Märtyrerlegende des heiligen Justus von Auxerre eingeschätzt, deren zweiunddreißig Zeilen als Leimabdruck eines im 15. Jahrhunderts auf den Holzeinband eines Buches geklebten Pergaments aus dem achten Jahrhundert lesbar geblieben sind. Unter den Schriften sind auch Überlieferungen wie die der »Naturalis Historia«, der Naturgeschichte des älteren Plinius aus dem neunten Jahrhundert, eine Fassung des »Aeneis« des Vergil, eine Prosafassung des Lancelot-Stoffes und unbekannte Texte altägyptischen Ursprungs. - Na, was sagst du?«
»Ich bin seit sieben Uhr auf den Beinen und brauche einen Kaffee.«
»Deinem Begehren schließe ich mich an, wobei mir einfällt: Ist unser Leuchtgesicht noch immer bei der Himmelsarmee?«
»Er ist exkommuniziert worden. Niemand konnte einen Grund nennen.«
»Oder wollte nicht«, ergänzte Grotejohann mit plötzlich zerfurchter Stirn. »Die Frage ist, was solch ein Exkommunizierter bei der Freundin eines Kerls will, der eine Riesengeschichte aus genau dieser Fraktion zu versilbern hat? Kann es da einen Zusammenhang geben, liebste Tigerin?«
»Unmöglich!«, rief sie in gespielter Empörung. »Einen dümmeren Gedanken kann man gar nicht finden.«
»Ich bin so stolz auf dich«, sagte Grotejohann.
9
Es war zehn Uhr, als Termöhlen klingelte. Reineking, noch feucht von der Dusche, ließ er ihn ins Haus.
»Was ist mit dem Handybesitzer?«
»Er heißt Otto Meyer und wohnt in Meissen«, sagte Termöhlen. »Wir haben ihm eine Vorladung geschrieben, aber noch nicht rausgeschickt, weil du dir gestern Abend das weitere Vorgehen vorbehalten hast.«
»Ist er zuhause?«
»Er arbeitet bei einer Firma Lahmers in Minden, hat seine Frau gesagt. Tja, ganz aufregend, die Sache, langsam glaube ich auch, dass die Telefongesellschaft uns falsche Daten geschickt hat. Der Mann geht bald in Rente!«
»Telefoniere du ins Präsidium, sage den Kollegen, dass die Besprechung bis auf weiteres aufgeschoben ist, ich versuche, trocken zu werden, und wenn ich es geschafft habe, statten wir unserem Herrn Meyer einen Besuch ab.«
Reineking nahm eines der großen Badetücher und rubbelte sich trocken, ehe er, in das Tuch eingewickelt, zum Umkleiden nach oben ging.
***
Die Möbel-Lagerhalle, in der Otto Meyer nach Angaben seiner Firma tätig war, befand sich auf der Königstrasse in Minden. Auf den Schaufensterscheiben waren grell Sonderangebote geklebt. Die ‚Top-Qualität zu Superpreisen entpuppte sich bei näherem Hinsehen als in Polen hergestellte Spanplattenware. Kopftuchverhängte Orientalinnen und wenig Begüterte begutachteten die in langen Reihen, eng aneinander aufgestellten Einrichtungsgegenstände und schienen die Basis der Grundkalkulation und die Haupteinnahmequelle des Hauses zu sein.
Die Angestellte, eine magere, aus bräunlich umschatteten Augen betont umsatzfördernd blickende Dame jenes Alters hinter Glut und vor Resignation, angetan mit einem blauen Mikrofaserrock, grauer Netzbluse und durchscheinendem schwarzen Büstenhalter, zeigte magere, offenbar künstlich gebräunte Beine und präsentierte auf ihrem großen Mund mit überaus stark nach vorne drohenden Zähnen ein dick aufgetragenes Sonderangebot an Deckfarben und Schminke. Sie war eingehüllt in eine Schutzzone widerstreitender Düfte, deren Hauptrichtung Lavendel war, wie Reineking feststellte.
Die beiden Polizisten empfing einen Goldzahn entblößendes Lächeln.
»Kriminalpolizei«, sagte Reineking verhalten und präsentierte seine Marke. »Wir möchten gerne Herrn Meyer von der Firma Lahmers sprechen.«
Das Licht in ihren Augen erlosch und wurde ersetzt von Ratlosigkeit.
»Also da weiß ich nu gar nich Bescheid, da müssen Se schon den Scheff sprechen. Aber der ist jezz nich da, also dat tut mir nun wirklich leid, Ihnen da nich weiter helfen zu können.«
»Draußen im Hof steht ein Lieferwagen der Firma«, sagte Termöhlen.
»Ach die!« Sie nickte. »Die sind hinten, ganz hinten, aber da müssen Se von draußen rum hingehen. Oder warten Se mal«, korrigierte sie sich, »hier gibt et auch ´n Weg, da an den Bauernschränken vorbei. Einmal da entlang und dann immer geradeaus, bis Se die dann da arbeiten sehen. Wenn die das sind, die Se suchen.«
Reineking dankte. Durch dicht stehende Sitzgruppen und Möbel gingen sie Slalom und erreichten schließlich eine kleine zweite Halle, an deren Ende aus Türöffnungen grelles Licht und laute Musik drangen.
Die Schritte der Polizisten wurden vom Dröhnen von Radio Westfalica übertönt. Es roch nach Verdünnung und Zement. Im mittleren Raum, an den Wänden waren Pissoirs montiert, links standen Toilettenkabinen ohne Türen und an der Decke hing eine grell leuchtende Halogenlampe, kniete ein untersetzter Mann mitten im Raum und verklebte an einem Gully winzige Keramikplättchen.
»Herr Meyer?«
Der Mann sah auf, runzelte die Stirn und erhob sich langsam, in der rechten Hand eine der winzigen Fliesen.
»Ja, das bin ich«, sagte er. Seine Stimme hatte kaum die Kraft, die Musik zu übertönen. Seine Schultern wiesen nach unten, ebenso der Mund und der recht deutlich die blaue Latzhose wölbenden Bauch. Alles, fand Reineking, wies bei diesem Herrn nach unten, als zögen unsichtbare Gewichte an ihm. Selbst das weißgelbe Haar fingerte leblos in dünnen Strähnen vom kahler werden Mittelscheitel herab. Das rötliche Gesicht hatte einen wächsernen, Krankheit signalisierenden Unterton und wurde beherrscht von einer immensen, stark eingedellten Nase, deren rote Spitze auf einen bläulich verfärbten Kussmund zustach. Das Kinn war zart wie das eines Kindes und schien übergangslos im aufgeblähten Hals zu verschwinden.
»Wir sind von der Kriminalpolizei und möchten Ihnen gerne einige Fragen stellen.«
Meyers fast durchscheinende Augen weiteten sich.
»Kriminalpolizei? Was habe ich mit der Kriminalpolizei zu tun?«
Reineking deutete auf das verstaubte Kofferradio an der Wand.
»Macht es Ihnen etwas aus, das Gerät abzustellen?«
Otto Meyer schüttelte heftig den Kopf und lief geradezu eilig durch den Raum, um den Stecker des Apparates aus der Dose zu ziehen.
»Entschuldigung«, sagte er, »das ist schon so alt, dass lässt sich gar nicht mehr ausschalten, da muss man den Strom unterbrechen.« Er hielt inne, schien vom Sprechen so erschöpft zu sein, dass er nach Luft schnappte und wiederholte nach einigen Sekunden heftig ausstoßend: »Was habe ich mit der Kripo zu tun?«
»Es gibt keinen Grund zur Aufregung, Herr Meyer, nur eine Frage: besitzen sie ein Mobiltelefon?«
Stirnrunzeln. »Ein Handy?«
»Ein Handy«, sagte Reineking. Termöhlen lehnte scheinbar interesselos, sein Feuerzeug in den Händen drehend, an der Wand.
»Ja, wir haben ein Handy. Wir haben das mal angeschafft, aber das ist schon Jahre her.«
»Haben Sie es denn vor kurzem, vielleicht vorgestern benutzt?«
»Bestimmt nicht, wenn, dann meine Frau. Was ist denn damit?«
»Waren Sie in letzter Zeit am Kaiser-Wilhelm-Denkmal?«, fragte Termöhlen.
Meyer drehte sich zu ihm um.
»Nee, da war ich nicht. Mindestens zehn Jahre, warum auch, wenn man so dicht dran wohnt, das sehen wir ja dauernd. Nee!«
»Sie sagten, wenn, könnte Ihre Frau damit telefoniert haben. Das heißt also, Ihre Frau benutzt das Telefon?«
»Ich komm damit gar nicht klar.«
»War ihre Frau vorgestern außer Haus? Abends?«
»Vorgestern? Am Sonntag?« Heftiges Kopfschütteln. »Wir haben gegessen und dann den Tatort gesehen, und danach sind wir auch schon schlafen gegangen.«
»Hennes, zeigst du Herrn Meyer bitte die Vertragskopie?«
Termöhlen zog den Faxausdruck des Telefonvertrages aus der Jackentasche und zeigte sie dem verunsicherten Mann.
Meyer nahm das Blatt, zog aus der Brusttasche ein silberfarbenes Etui und entnahm ihm eine goldfarbene Metallbrille, die er umständlich und mit allen Anzeichen der Verlegenheit aufsetzte. Mit zusammen gekniffenen Lidern studierte er den Schein, nickte schließlich und sagte geradezu triumphierend: »Meine Unterschrift, ja, das ist der Vertrag.«
»Am 21. 3. 1999 abgeschlossen«, sagte Termöhlen.
»Das war ein Samstag, das weiß ich noch genau, weil wir am Sonntag meinen Geburtstag gefeiert haben.«
Er sah sie fragend an.
»Alles klar«, sagte Reineking, »das wär ´s im Augenblick. Ihre Frau ist wohl jetzt zu Hause?«
Meyer warf einen Blick auf seine Uhr.
»Bestimmt«, sagte er, »morgens geht die nie weg.« Er leckte sich die Lippen. »Können Sie mir denn nicht sagen, was mit dem Handy ist?«
»Machen Sie sich mal keine Sorgen«, sagte Reineking.
Sie verließen die werdende Toilette.
»Auf mich macht er einen glaubwürdigen Eindruck«, sagte Termöhlen leise.
»Todkrank, das arme Schwein, der kommt lebend gar nicht mehr zum Denkmal hoch.«
»Aber das Handy gehört ihm, da gibt es keinen Zweifel.«
»Benutzt aber seine Frau.«
»Nehmen wir sie uns zur Brust?«
Reineking nickte. Er blieb stehen und drehte sich um. Er sah Meyer wie einen Schatten vor dem gleißenden Licht des Türausschnitts. Trotz seiner Fülle wirkte er klein und verloren.
»Herr Meyer«, rief er ihm zu, »wie alt ist eigentlich Ihre Frau?«
»Wie bitte?«
»Wie alt Ihre Frau ist!«
»Siebenundvierzig«, kam es dünn wie von einem gemaßregelten Schüler zurück.
10
Der Raum, in dem die Männer versammelt waren, wurde von einer mit einem blauen Samtvorhang verschlossenen Bühne beherrscht. Schirmlampen, an langen Seilen aufgehängt, schnitten warme Kreise ins Dunkel. Im Gang vor der Bühne, ziemlich genau in der Mitte, erhob sich aus einem auf einem Tisch ruhenden Holzkasten das Modell einer akkurat nachgebauten antiken Stadt. Tempel, Triumphbögen, weite Plätze und wie mit dem Lineal gezogene Prachtstraßen liefen auf den in der Mitte liegenden großen Kuppelbau zu, dessen Portal von zwei unterschiedlichen Säulen eingefasst wurde.
Jakob stand am Kopfende des Tisches und stützte die Hände auf der aus Gips geformten Umfassungsmauer des zentralen Tempels ab. In seinem schmalen, durchscheinenden Gesicht zuckten die Muskeln. Unter den Augen lagen tiefe Schatten. Der Blick war nach innen gekehrt und gab ihm den Anschein, erschöpft und geistig abwesend zu sein. Fahrig hob er die rechte Hand und berührte vorsichtig den scheinbar frisch angelegten Wundverband an seinem Hals. Seine Lippen pressten sich wie in Erinnerung an den Überfall zusammen. Er schüttelte kaum merklich den Kopf. Er betrachtete die beiden Männer, die unter der Wirkung seines Berichts wie versteinert links von ihm auf gepolsterten Stühlen saßen und legte die Hände wie zum Gebet ineinander.
»Ihr Zustand«, kam es wie ein Hauch von seinen Lippen, »war der einer Schlafenden, entsprach in allen Punkten dem Bild der Ankündigung. Sie blühte, wenn ich das so sagen darf. Auf ihrem Gesicht lag der Ausdruck tiefer Zufriedenheit, ja, absoluten Einklangs. Ich habe nicht die Spur eines Zweifels, dass sie angenommen worden ist.«
Sie starrten ihn aus glänzenden Augen an.
»Es waren also trotz der Störung keinerlei Zeichen körperlichen Verfalls zu erkennen?«
»Ich habe sie nicht näher untersucht«, sagte Jakob, ohne den untersetzten Grauhaarigen, der den Einwurf gemacht hatte, anzusehen, »aber was ich sah, lässt keinen anderen Schluss zu.«
»Bleibt die Frage, ob und wie Deskin sich an ihr vergangen hat, und wenn, ob es eine Wirkung haben wird.«
In Jakobs Augen trat ein düsterer Zug.
»Ich sagte es bereits: Sie war unversehrt. Es gab keinerlei Anzeichen einer Berührung oder eines Eingriffs.«
»Was nichts ausschließt, dass der Bann durch die Störung gebrochen wurde, nicht wahr?«
»Leider nein.«
»Mit anderen Worten, auch ein mortaler Ausgang liegt im Bereich des Möglichen?«
»Es hat keinen Sinn, jetzt zu spekulieren«, sagte Jakob zerquält. »Wir müssen das Ergebnis der Herbeirufung abwarten.«
»Was sagt denn das Buch«, fragte der zweite Mann, ein schlanker Fünfziger mit schmalem Gesicht und einer Schmissnarbe auf der linken Wange.
Jakob hob die Schultern.
»Das Buch lässt keinen Platz für Interpretationen. Da heißt es: Die Türflügel des Myrrhenkastens mögen sich dir auftun, die Türflügel des Kühlen sollen dir offenstehen. Eine Anweisung, die eine unversehrte und ungestörte Verwahrung der Botin bis zur Herbeirufung fordert. Die Frage ist natürlich, ob Deskins Handeln die Wirkung einer Störung gehabt hat.«
Den Weißhaarigen hielt es nicht länger auf seinem Stuhl. Er sprang auf. Er beugte sich zu seinem Nachbarn.
»Was sagt der Jurist dazu?«
»Wir sollten nicht zweifeln«, sagte der Notar, »zumal wir erst in zwei Tagen Gewissheit haben werden.«
»Das ist auch meine Meinung, Bruder«, sagte Jakob und berührte die Schulter des Grauhaarigen. »Wir haben zwar ein großes Problem, aber ich verweise insoweit auf unsere Dokumentation, die auch dem Uneinsichtigen keine Wahl der Deutung und unserer Intentionen lässt. Unser Problem ist die augenblickliche Ungewissheit, ist die Frage der Unversehrtheit der Botschafterin und zum anderen der Verursacher der Störung. Ich kann nicht einschätzen, welche Kenntnisse dieser unglückselige Deskin erlangte, noch, ob er sie letztlich über den Versuch, sie der Presse anzudienen, verwendet hat. Die Informationen, die mir vorliegen, weisen darauf hin, dass Deskin die Zusammenhänge nicht begriffen hat. Sein Versuch, sein Wissen als Sensation an die Presse zu verkaufen, ist gescheitert. Er selbst leider unauffindbar.«
»Und wenn die Herbeirufung scheitert?«
Jakob atmete tief ein. Er strich sich über die Stirn.
»Dann«, sagte er, »sind wir gezwungen, es noch zu wiederholen.«
Der Weißhaarige stöhnte. Verzweiflung zeichnete sein Gesicht. Auch der Notar schüttelte den Kopf.
»Wie lange ist denn das Zeitfenster noch offen?«
»Sehr kurz«, sagte Jakob. »Knappe vierzehn Tage.«
»Wir benötigen den sicheren Ort. Und uns fehlt das Medium!«
»Ja, ich weiß«, sagte Jakob, »aber ich bin überzeugt, dass sich die Schwierigkeiten überwinden lassen.«
»Das heißt?«
Jakob schloss die Augen. Er sah das lächelnde Gesicht Magdalenas. Er war sicher, dass sie den Ansprüchen nicht nur genügte, sondern bereit war, die Rolle des Opfers anzunehmen. Er öffnete die Augen.
»Dass wir das Ritual«, sagte er entschlossen, »im Falle des Scheiterns mit einer anderen Kandidatin wiederholen. Eine Alternative haben wir ja wohl nicht …«
11
Wäre ihr herbes, von tiefen Falten durchpflügtes Gesicht nicht gewesen, hätte Helga Meyer mit ihrem Punk-Outfit durchaus als Dreißigjährige durchgehen können. Hektisch hatte sie nach dem Klingeln die Haustür des grauen Siedlungshauses aufgerissen und, schon einen Gruß auf den Lippen, jäh innegehalten und sich vor den beiden sie um Kopfeslänge überragenden Beamten aufgebaut
Unter dem nietenbesetzten schwarzen Jeansjackett trug sie eine rosa Bluse, in deren Ausschnitt an Perlenschnüren und Lederriemen Medaillons und gelochte Schmucksteine schaukelten. Die eng anliegende Glanzlederhose wurde von einem breiten Ledergürtel gehalten, der mit dünnen Ketten und vierkantigen Metallspitzen übersät war. Geerdet wurde sie von wuchtigen, mit Metallkappen bewehrten Bomberstiefeln, deren dicke Senkel mehrmals um die Schäfte drapiert waren.
»Was habe ich denn ausgefressen, dass Sie mich hier vor all den lauernden Nachbarn rausklingeln?«
Ihre in vielen Raucherjahren heiser gewordene Altstimme dröhnte wie ein uralter Lautsprecher, während sich ihr Körper, das Becken obszön bewegend, zuckend nach vorne bog.
»Können wir das drinnen besprechen?«
Helga Meyer musterte Reineking, der sich bemühte, seine aufkeimende Ungeduld zu beherrschen. Sie nickte.
»Ich habe jemand anders erwartet«, sagte sie, »aber kommen Sie ruhig rein. Wir haben nichts zu verbergen.«
Der quadratische Flur, von dem eine gewundene Treppe ins Obergeschoss führte, war mit braunen Platten ausgelegt, auf denen ein graublauer Teppich lag. An den Wänden hingen Blumengondeln und zwei farbenprächtige Drucke nahezu identischer Heidelandschaften, auf denen in Loden gehüllte Schäfer vor untergehender Sonne Schafe weideten.
Auch das Wohnzimmer stand in krassem Widerspruch zur provokanten Staffage der kleinen Person. Es roch geradezu nach Sauberkeit und penibler Ordnung. Die Fernbedienungen von Fernseher und Musikanlage lagen genauso streng ausgerichtet wie die scheinbar eigenhändig gehäkelten Deckchen, die in überreicher Zahl Tisch und Schränke bedeckten.
»Wir haben bereits mit ihrem Mann gesprochen«, sagte Reineking.
»Thema war Ihr Mobiltelefon«, fügte Termöhlen auf ein Nicken Reinekings hinzu.
»Wieso das denn? Die Rechnung wird doch von unserem Konto abgebucht!«
»Es geht nicht um die Bezahlung der Rechnung.«
»Jetzt kapier ich überhaupt nichts mehr!«
»Es geht um die damit geführten Telefonate«, sagte Termöhlen.
»Sind die etwa verboten?«
»Nein«, sagte Reineking, »wir wüssten nur gerne, ob sie das Gerät häufig benutzen.«
»So gut wie nie.«
»Und während der letzten Tage?«
Helga Meyer setzte sich auf die Lehne eines Sessels und verschränkte trotz des qualmenden Zigarillos die Arme vor der knabenhaften Brust.
»Sie fragen so, als wenn ich was verbrochen hätte.«
»Haben Sie?«
»Jezz hören Se aber auf, Männeken!« Sie lachte. Aber es klang gekünstelt. Unsicherheit schwang darin mit.
»Uns interessiert, ob Sie am Sonntagabend Ihr Handy benutzt haben.«
»Das sagte ich doch schon: Nein! War sowieso ´ne Schnapsidee, das Ding überhaupt zu kaufen.«
Reineking zog den kopierten Vertrag aus der Tasche. Er suchte ihren Blick. Die Dame war irritiert, fand er.
»Und wenn ich Ihnen Beweise dafür vorlege, dass mit Ihrem Telefon am Sonntagabend telefoniert worden ist?«
»Dann muss das ein anderer getan haben, ich jedenfalls nicht.«
»Ihr Mann sagte ...«
»Was der schon sagt!«
»... dass Sie das Gerät benutzen.«
»Da hat er ausnahmsweise mal Recht.«
»Wenn er Recht hat, und wenn mit dem Handy telefoniert worden ist, dann können nur Sie es gewesen sein. Richtig?«
»Das stimmt aber nicht!«
»Sie werden zugeben, dass nur eines von beiden stimmen kann.«
»Ich habe aber nicht telefoniert!«
»Frau Meyer, wir ermitteln in einem Todesfall. Zu Ihrem Besten kann ich Ihnen nur raten, uns die Wahrheit zu sagen.«
»Das habe ich.«
»Und das Haus haben Sie an diesem Abend auch nicht verlassen?«
»Ich war hier«, sagte sie spitz, »wo denn sonst? Wir haben gemacht, was wir immer machen, wir haben in die Glotze geguckt. Das ist ja das einzige, was der Kerl noch auf die Beine bringt.«