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»Und dann?«
»Weiß ich nicht, irgendwas, ich habe noch ein Weinchen getrunken.«
»Aber telefoniert haben Sie?«
»Nee«, bellte Frau Meyer.
»Ganz sicher?«
»Was heißt ganz sicher, was heißt das schon?« Ihre Hände vollführten einen derart hektischen Tanz, als wollte sie aus der rauchschwangeren Luft die Wahrheit herausfiltern. »Ich habe nicht telefoniert, und ganz weggetreten, dass ich das nicht mit krieg, bin ich ja noch nicht.«
Die Türglocke schrillte.
»Könnten wir uns das Handy mal ansehen?«
»Kann ich erst mal aufmachen?«
Helga Meyer stieß sich von der Sessellehne ab, ging auf die Wohnzimmertür zu und verschwand im Flur. Eine helle Männerstimme: »Hi, Schnepfe, bin anne Tanke hängen geblieben. Die reine Hölle. - Wat is?«
Reineking sprang auf und lief zur Tür. Er sah Helga Meyers schmalen Rücken, eine feuerrote Teufelsfratze auf der Hinterseite ihres Jeansjacketts und das schmale, von braungelben Augen beherrschte erschrockene Gesicht eines jungen Mannes.
»Die Polizei«, zischelte Frau Meyer.
Reineking spürte Termöhlen hinter sich, sah Helga Meyer, von einem Stoß des jungen Mannes getrieben, auf sich zu fliegen. Frau Meyer klammerte sich an Reinekings Jacke. Termöhlen, der sich vorbei zwängen wollte, prallte gegen ihn, brachte ihn zum Schwanken. Reineking stützte sich an der Wand ab, riss eines der Heidebilder herunter. Helga Meyer kreischte. Sie glitt aus, fiel auf die Knie und krallte ihre rechte Hand erneut reflexartig in Reinekings Jacke und brachte ihn zu Fall.
Reineking stieß sie von sich, sah, wie sie auf die Wohnzimmertür zu taumelte und folgte seinem zu Tür laufenden Kollegen. Termöhlen prallte gegen das geschlossene Vorgartentor und hatte Mühe, sich zu fangen. Von dem jungen Mann war nichts zu sehen.
»Wo ist er?«
Termöhlen atmete schwer, sein Gesicht zeigte hektische Röte, die Brille war verrutscht.
»Weg ist er«, sagte er, »und wenn ich mich nicht irre, hat die Dame bei dem schnellen Abschied ganz schön geholfen!«
»Es hat keinen Sinn, ihm nachzulaufen«, sagte er, »der hat die jüngeren Beine. Und wir wissen noch nicht mal, was wir ihm vorwerfen können.«
Reineking drehte sich um. Frau Meyer lächelte schief. Termöhlen war wütend und verbarg es nicht.
»Sie haben uns behindert, Sie werden uns Einiges erklären müssen!«
»Der hat mich geschubst, hat der mich! Ich konnte doch nix dafür, dass ich gegen Sie flog. Was hätte ich denn machen sollen?«
Termöhlen schnaufte. Reineking winkte zum zweiten Mal ab.
»Wer war das?«
»Wer das war?«
»Ja«, sagte Reineking, »und vielleicht wissen Sie auch, warum er weggelaufen ist. Dass er das ist, daran besteht ja wohl kein Zweifel?«
Helga Meyer schüttelte den Kopf. »Der hatte ´n Rappel, ist doch klar.«
»Der, der, der, ich höre immer nur der!«, fuhr Reineking sie an. »Einen Namen hat er doch wohl auch!«
»Das ist der Dieter«, sagte sie. »Der besucht mich dann und wann. Dieter Rose.«
»Welchen Autotyp fährt er?«
»Astra. Rot«
»Das Kennzeichen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Soll ich nachsehen?«, fragte Termöhlen.
»Das bringt uns jetzt nicht weiter«, gab Reineking zurück. »Vor dem Haus stand der Wagen nicht. Aber Frau Meyer kann uns sicherlich weiterhelfen.«
Sie ging hinein. Die Polizisten folgten ihr. Frau Meyer hob das herunter gerissene Landschaftsbild vom Flur auf. Im Wohnzimmer warf sie sich in einen der Sessel.
Termöhlen postierte sich an der Tür, als erwartete er einen Fluchtversuch. Reineking lehnte abwartend neben dem Fenster und zählte von Zehn nach unten, sehr wohl wissend, dass der verstörten Dame keine Zeit zum Erfinden einer neuen Wahrheit bieten durfte. Als er bei null angekommen war, zog er Zigaretten hervor.
»Der Dieter ist das also«, sagte er bestimmt, »wo wohnt er, was macht er?«
»Der hat keine Arbeit.«
»Aber eine Adresse.«
»Kenne ich aber nicht!«
Reineking entnahm der Packung eine Zigarette, entzündete sie, sog den Rauch ein und blies ihn durch die Nasenlöcher wieder aus.
»Kann ja sein««, sagte er sanft. »Kann aber auch sein, dass unser Eindruck zutrifft, von Ihnen an der Nase herum geführt zu werden.«
Sie hob den Kopf, sah nicht ihn, sondern Termöhlen an.
»Aber seien Sie sicher: wir werden ihn finden. Wir finden auch heraus, aus welchen Gründen er davongelaufen ist. Wenn es die sind, die wir annehmen müssen, haben Sie ganz, ganz schlechte Karten. Beihilfe zum Mord, Frau Meyer.«
»Wir müssen Sie dem Untersuchungsrichter vorführen«, fügte Termöhlen weniger sanft hinzu. »Der entscheidet, ob Sie in Haft genommen werden. Ich tippe auf ein glattes Ja.«
Sie schwieg, betrachtete ihre dünnen Hände, die Finger, die einander wie Spinnenbeine betasteten, schüttelte heftig den Kopf und wandte sich an Reineking.
»Was habe ich denn gemacht? Wofür kann ich denn eingesperrt werden? Weil einer weggelaufen ist?«
»Es kommt auf das Motiv des Weglaufens an«, sagte Termöhlen bissig.
Reineking hatte war sich nicht ganz sicher, ob diese Frau tatsächlich so naiv war, wie sie zu sein vorgab. Ihr provozierendes Aussehen diente ihr sicherlich nicht nur als Verkleidung, es war möglicherweise Ausdruck ihrer Furcht, das, was sie als »Leben« definierte, zu verpassen, war ihr Schlüssel, dem tristen Dasein an der Seite eines schwer kranken Ehemannes zu entfliehen. Aber vielleicht auch eine bestimmte, gewollte Art des Selbstbetrugs, ein Sturz in die Welt, die von dem geflüchteten jungen Mann in aller Selbstverständlichkeit repräsentiert wurde. Hatte sie, die von Alter und Herkunft ganz sicherlich nicht Prädestinierte, für ihre Zugehörigkeit zu der Gruppe dieser jungen Leute einen Preis zahlen müssen?
»Sie scheinen nicht zu begreifen, was uns hergeführt hat, Frau Meyer«, sagte er. »Wir ermitteln im Umfeld eines Tötungsdelikts, in dem Ihr Handy eine Rolle spielt. Wir wissen, dass damit am Sonntag um 23 Uhr 57 vom Kaiser-Wilhelm-Denkmal gesprochen wurde. Warum haben Sie Rose gewarnt?«
Ihre Brust hob und senkte sich wie nach schwerer Anstrengung. Sie kam Reineking wie eine Frau vor, die ihr Leben lang einer Illusion nach der anderen hinterhergerannt war und soeben die letzte entsetzt zerplatzen sah.
»Hab nur gesagt, dass Polizei da ist«, sagte sie. »Mit Tötung habe ich nix zu tun. Bin nur `ne doofe Hausfrau mit nix sonst als ´nem kranken Knacker im Haus, der grad mal noch kriechen kann. Und was den Dieter angeht, den fragen Sie mal selbst, warum er abgehauen ist. Ich habe mein Leben lang nur gekocht und geputzt und mich geschunden und abgerackert, und mir ist es egal, ob mit diesem Quatschkasten telefoniert wurde oder nicht. Und wenn Sie mich jetzt mitnehmen wollen, dann nehmen Sie mich mit. Wir kleinen Affen können uns ja nich gegen die Staatsmacht wehren, das können wir nicht, da sind wir ja zu klein für.«
Sie hielt ihm die mageren Arme entgegen.
Reineking ging bis an den Tisch und schnippte die Asche seiner Zigarette in den Becher. Er senkte den Kopf, um zu verhindern, dass Termöhlen sein Gesicht sah. Es war einer der Augenblicke, da er verfluchte, eine Tätigkeit auszuüben, die ihn auch zwang, Menschen wie zu stellendes Wild zu behandeln.
»Wir sind nicht die Staatsmacht, die Sie meinen«, sagte er leise, »wir sind jene, die es Ihnen ermöglicht, in Sicherheit zu leben.«
Sie zuckte die Achseln.
»Und wir waren so weit«, fügte er hinzu, »dass Sie uns Ihr Handy zeigen wollten.«
Sie erhob sich wortlos, ging auf Termöhlen zu, der - sein Gesicht zeigte jene verständnislose Ausdruckslosigkeit, die Bände sprach -, den Eingang freigab und ihr, als sie im Flur und nach oben verschwand, kopfschüttelnd nachblickte.
»Wenn du mich fragst, werden wir hier ganz schön auf die Schippe genommen. Die hat es faustdick hinter den Ohren.«
»Was können wir denn beweisen? Ihre Stimme war es jedenfalls nicht.«
»Mag ja sein ... Was willst du mit dem Kerl machen?«
»Erstens müssen wir ihn haben und zweitens ist Weglaufen kein Delikt.«
»Der läuft ja nicht aus Spaß an der Freude. Der hat was gedreht und macht die Mücke, weil er glaubte, wir seien hinter ihm her. Und die da«, er zeigte mit dem Daumen hinter sich, »sie hat ihn gewarnt. Also stecken sie unter einer Decke. Hast du seine Augen gesehen?«
»Was ist damit?«
»Richtig gelbe Wolfslichter, gnadenlos.«
»Mensch, Hennes!«
»Oft stimmt das, glaub mir, oft passen die Äußerlichkeiten zu dem Zeug, das einer in sich hat. Ich sag ja nicht, dass es immer so sein muss, ich sag, dass es manchmal hinkommt.«
»Ein Wolf im Punkoutfit, was?«
Reineking lachte leise. Termöhlen rieb sich das Kinn.
»Ach Scheiße«, sagte er, »ich labere schon wie nach der Pension. Am Ende hat der Vennebeck recht und der Kerl ist vom Gerüst gefallen.«
Die Treppe knarrte. Sekunden später betrat Helga Meyer das Wohnzimmer. In den Händen hielt sie eine Packung, jene, in der offensichtlich einmal das Telefon nebst einigem Zubehör geliefert worden war.
»Ganz komisch«, sagte sie, »der Karton war da, das Handy nicht. Ich bin ganz sicher, dass es oben im Nachtschränkchen lag, in dem Kasten auf meiner Seite.«
Sie wirkte aufrichtig bestürzt. Reineking war sich nicht sicher, ob er ihr die Geschichte abkaufen sollte. Ehejahrzehnte brachten oft mehr als Schauspielerausbildung. Kam auf die Ehe an.
»Tja, das ist bedauerlich«, sagte er. »Hat hier außer Ihnen und Ihrem Mann jemand anders Zutritt?«
»Manchmal sind meine Tochter und ihr Mann da, aber ... Nee, die rühren so was nicht an, die nicht.«
»Und Rose?«
Sie lachte auf. »Den kenne ich ja gar nicht so richtig, oder meinen Sie, ich lass jeden in unser Schlafzimmer?«
»Sie sind es, die eine Wegnahme ohne Ihre Erlaubnis unterstellen!«
»Ja, wie soll das sonst verschwunden sein?«
»Das ist die Frage«, sagte Reineking. »Ich hoffe sehr, dass Sie uns helfen, sie zu beantworten.«
»Wie denn, wenn ich selbst keine Ahnung habe?«
Reineking suchte ihren Blick. Sie hielt ihm stand.
»Na gut«, sagte er. »Ich schlage Ihnen vor, sich die Geschichte noch einmal zu überlegen. Auch mit der Gewissheit, dass wir die Wahrheit herausfinden werden.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Ich weiß es wirklich nicht«, sagte sie. Und es klang nach der lauteren Wahrheit.
12
Der Mann im Türrahmen war etwa dreißig Jahre alt, groß und schlank. Er trug einen vorzüglich geschnittenen Anzug, der, schätzte Grotejohann, sicherlich nicht von der Stange war, ein schneeweißes Hemd, eine bordeauxrote Krawatte, schwarze Schuhe und über der linken Schulter an einem Riemen eine schmale Dokumententasche. Sein fein geschnittenes Gesicht wurde beherrscht von großen, dunkelbraunen Augen, deren unbekümmerte Eindringlichkeit durch die blitzenden Gläser einer randlosen Brille verstärkt wurde
»Bartholomee ist mein Name«, sagte er mit sanfter, redegewohnter Stimme. »Ich hätte gerne Frau Hermesmeyer gesprochen.«
Deutschlandfunkstimme, und dort das Feuilleton, dachte Grotejohann. Er ließ das Nachrichtenmagazin auf den Schoß sinken, in dem er über die bevorstehende Landtagswahl gelesen hatte, die bequem ruhenden Beine trotz eines gegenteiligen Impulses auf dem Schreibtisch. Eher Lexikon als Staubsauger, schätzte er.
»Da haben Sie aber Pech«, sagte er nicht ohne Genugtuung. »Ich glaub nicht, dass sie Ihnen was abkauft.«
Bartholomee lachte jungenhaft.
»Ich will weder Ihnen noch Ihrer Sekretärin etwas verkaufen.«
Grotejohann nahm die Beine vom Tisch.
»Aber wollen tun Sie was, oder?«
»Ihre Hilfe. Ich nehme an, Sie sind Herr Grotejohann und der Inhaber dieser Agentur?«
Er blickte den Journalisten fragend an, klopfte, als keine Reaktion kam, mit dem rechten, gebogenen Zeigefinger symbolisch gegen die Türzarge und betrat das Büro.
»Darf ich?«
»Wenn Sie Ihr Versprechen halten.«
»Lediglich ein kurzes Gespräch«, sagte der Bartholomee, »und nur, wenn Ihre Zeit es erlaubt.«
Grotejohann erhob sich, stellte fest, dass sein Besucher ihn um einige Zentimeter überragte, deutete auf die am Fenster stehende Sitzgruppe und griff nach seiner auf dem Schreibtisch liegenden Zigarettenpackung.
»Mögen Sie?«
»Glücklicherweise nicht mehr«, sagte Bartholomee und ließ sich in einen der zerschlissenen Ledersessel fallen. »Aber vielen Dank. Auch dafür«, fügte er ironisch hinzu, »dass Sie mich so liebenswürdig empfangen.«
»Beim zweiten Besuch gibt´s Küsschen.«, sagte Grotejohann. Er zündete sich eine Zigarette an.
Bartholomee legte die Hände ineinander. Er suchte Grotejohanns Blick, schien herausfinden zu wollen, wer sich tatsächlich hinter der recht zotteligen Fassade dieses Mannes verbarg.
»Ich bin Mitarbeiter der katholischen Kirche und als solcher für die Bearbeitung bestimmter Problembereiche zuständig. Ich diene, wenn Sie so wollen, als Ermittler in strittigen Personalfragen.«
»Sie haben also die Aktienmehrheit an meinem Unternehmen erworben und wollen mir schonend meinen Rausschmiss beibringen?«
»Mich führen freundliche Absichten.«
»Sie machen mich neugierig.«
»Wir sind es, Herr Grotejohann. Seit heute Mittag, seitdem wir über den Besuch Ihrer Sekretärin im Mindener Vikariat informiert wurden.«
Leuchtgesicht, dachte Grotejohann.
»Und jetzt wollen jetzt das von ihr entwendete Altargold zurück?«
»Frau Hermesmeyer erbat Auskünfte über einen unserer Mitarbeiter. Einen ehemaligen, um präziser zu sein, den wir leider aus mehreren Gründen als Problemfall betrachten müssen.«
»Sie suchen also einen Behindertenjob?«
»Nein, wir sind lediglich erstaunt, dass Ihre Sekretärin sich nach unserem Problemfall erkundigte.«
»Wir sind eine feine, wenn auch kleine Nachrichtenagentur, Pater.«
»Gewiss.« Bartholomee nickte und lächelte. »Was uns neugierig macht, ist, wieso Sie in dieser - sagen Sie in Ihrem Metier Zielperson? - eine Geschichte vermuten.«
»Wieso alarmiert Sie das?«
»Ihr Eindruck, wir könnten alarmiert sein, ist falsch. Ganz im Gegenteil, wir sind erfreut über Ihr Interesse, zeigt es uns doch, dass unsere Hoffnung, diese Person zu finden, nicht unbegründet ist.«
»Ich verstehe«, sagte Grotejohann, »aber leider nicht alles. Ich frage mich, ob wir von der gleichen Person sprechen.«
»Daran habe ich keinen Zweifel.«
Grotejohann zerdrückte die eben erst angerauchte Zigarette, spürte jene besondere Art von Kribbeln in der Bauchgegend, die ihn immer dann stimulierte, wenn er einer guten Geschichte auf der Spur war.
»Über wen sprechen wir also?«
»Sie kennen den Namen.«
»Pater Jakob?«
»Ehemals Pater Jakob.«
»Wieso ehemals?«
»Er ist aus dem Dienst der Heiligen Kirche entlassen.«
»Exkommuniziert, davongejagt?«
Bartholomee schüttelte sanft den Kopf. »Das erste ja, das zweite nein.«
»Jedenfalls ist Ihnen seine Postleitzahl abhanden gekommen. Und die brauchen Sie. Weil Sie was von ihm wollen.« Grotejohann hob die rechte Hand und drohte mit dem ausgestreckten Zeigefinger. »Tragen Sie vielleicht so ´n schräges Abzeichen unterm Revers? Geheimdienst seiner Heiligkeit?«
Bartholomee lächelte unbeeindruckt.
»Nein, ich trage kein Abzeichen. Sie können sich gerne überzeugen.« Er legte die Daumen hinter die Aufschläge und schob sie nach vorne.
»Schon gut«, sagte Grotejohann. »Ich habe ein schlichtes Gemüt und obendrein eine schlechte Auffassungsgabe. Fahren Sie nur fort.«
»Gerne«, sagte Bartholomee. »Die Stelle, der ich zugeordnet bin und die, wie ich bereits erklärte, sich dieser strittigen Fragen anzunehmen hat, ist etwas ganz Normales, ein Amt, das sich zum Beispiel um den Verbleib von Menschen wie Pater Jakob zu kümmern hat. Und um den wir«, fügte er betont hinzu, »aus triftigen Gründen besorgt sind. Und weil wir besorgt sind, verfolgen wir jede sich anbietende Spur.«
»Warum schalten Sie nicht die Polizei ein?«
»Pater Jakob hat sich keines Delikts schuldig gemacht.«
»Warum ist er rausgeschmissen worden?«
»Ich bin nicht befugt, darüber Auskunft zu geben.«
»Womit Sie der Fantasie reichlich Futter geben.«
Bartholomee schüttelte den Kopf.
»Es ist eine simple Angelegenheit, Herr Grotejohann, der Fall eines tiefgläubigen Menschen, dessen Geist aus Gründen, die weder Sie noch wir ergründen können, irgendwann einen Knacks erfährt. Pater Jakob, nennen wir ihn getrost weiter so, ist leider Gottes geistig verwirrt und neigt in seiner Verwirrung zu unkontrolliertem Handeln. Wir sehen uns in der Verantwortung und möchten Nachteiliges für ihn verhindern. Das ist der Sachverhalt.«
»Und jetzt wollen Sie, dass ich ihn Ihnen schön eingepackt vor die Füße stelle?«
»Sie wissen also, wo er zu finden ist?«
Grotejohann zündete sich eine frische Zigarette an. Es war dieses Flimmern in den Augen des anderen, das ihm das Gefühl gab, an den falschen Baum geführt worden zu sein.
»Tut mir leid«, sagte er, »ich fürchte, ich kann Ihnen nicht helfen.«
»Das ist sehr bedauerlich«, sagte Bartholomee und fügte, den Journalisten fixierend, rasch hinzu: »Warum interessieren Sie sich eigentlich für den Pater?«
Grotejohann hob die Schultern.
»Wir machen eine Geschichte über Jugendarbeit, und da ist er uns als kompetent geschildert worden«, verdrehte er leichthin seine Motive.
»Überzeugen muss mich das nicht, oder?«
»Sie sind der Fachmann für Glaubensfragen.«
»Pater Jakob hat nur am Rande mit Jugendlichen zu tun gehabt.«
»Uns sagte man, er wäre mit dem Thema auf du und du.«
»Und das ist alles, was Sie interessierte?«
»Sie ahnen nicht, wie wichtig gute Beratung ist.«
»Ich weiß es. Aber wie kann er Sie beraten, wenn Sie nicht wissen, wo er zu finden ist?«
»Er sollte für uns tätig werden. Über das Vikariat haben wir - wie Sie bei uns - seine Adresse herauszufinden versucht.«
»Vergeblich.«
»Leider vergeblich«, bestätigte Grotejohann. Seine Mundwinkel zuckten.
»Haben Sie Ersatz für diese... Beratung gefunden?«
»Wir bemühen uns.«
Bartholomee stand abrupt auf. »Und derartige Themen lassen sich in Wahlkampfzeiten verkaufen?«
»Jugend und Geistlichkeit«, sagte Grotejohann, sich ebenfalls erhebend, »gehen seit den Dornenvögeln wie ofenwarme Semmeln.«
»Ganz ohne Sensation?«
»Es kommt darauf an, welche der vielen Abnehmer Sie bedienen. Da gibt es Redaktionen, die setzen auf Bewährtes und Erbauliches, da gibt es andere, die hören erst dann zu gähnen auf, wenn Sie ihnen Sex and Crime möglichst aus der feinen Gesellschaft dazu liefern. Oder aus Ihren Kreisen, selbstverständlich.«
»Wo Menschen sind, ist Menschliches, Herr Grotejohann. Auch in der Kirche. Im Übrigen sprechen wir von einem bedauernswerten Menschen, von einem Schicksal, das nicht auf den Markt gehört. Ich hoffe, Sie nehmen bei diesem Geschäft keinen Schaden an Ihrer Seele.«
»Ihre Hoffnung ist die meine.«
»Das freut mich«, sagte Bartholomee, griff in die Brusttasche und reichte dem Journalisten eine Karte. In einem Tonfall, der nicht frei von Ironie war, fügte er hinzu: »Falls Sie zu einer anderen Einschätzung Ihrer Informationen kommen, würde ich mich über Ihren Anruf freuen. Ich bin sicher, dass wir einen Weg finden könnten, etwaige Honorarausfälle zu kompensieren.«
Er reichte dem Journalisten die Hand und ging so geräuschlos wie er gekommen war.
Grotejohann blickte auf die schlichte Visitenkarte. Bartholomee, las er, und rechts unten nichts weiter als eine Handynummer. Er setzte sich an den Schreibtisch, ließ sich das Gespräch eine Weile durch den Kopf gehen und rief seine Sekretärin an. Sie meldete sich trotz des frühen Abends mit verschlafener Stimme.
»Hör zu, Mädchen«, sagte er, »wer auch immer sich an dich wendet oder dich befragt, über unsere Leuchtgesichtgeschichte gibst du keinerlei Auskunft. Nicht einen Fetzen davon!«
»Klingt, als wenn einer mit ´nem Revolver vor dir steht.«
»Tut er nicht, Liebes, wir hatten nur Besuch vom Geheimdienst seiner Heiligkeit, aufgeschreckt durch deine Recherche im Mindener Vikariat. Brennpunkt ist unser davongelaufener Mönch.«
»Wie das, wenn er um die Ecke wohnt?«
»Das beste Versteck für Gestohlenes ist das Polizeipräsidium, mein Tigerkätzchen.«
»Warum fragen wir nicht unseren Ex-Pater?«
»Warum sollte er antworten, wenn er gesucht wird?«
»Der Polizei müsste eine Vermisstenmeldung vorliegen, oder?«
»Die Polizei haben sie nicht eingeschaltet. Sagte mein Besucher. Wollen die Geschichte auf kollegialer Basis lösen. Was wird da verborgen? Dass Leuchtgesicht einen an der Waffel hat? Das Leiden teilt er mit ´nem Haufen anderer, ohne dass der Geheimdienst der Unfehlbarkeit eingeschaltet wird. Wie siehst du das, Engelchen?«
»Na ja...«
»Na ja, ja oder na ja, nein?«
»Ich gebe keine Ferndiagnosen.«
»Trotzdem müssen wir uns um die Geschichte kümmern.«
»Auch wenn du auf mir rumtrampelst, jetzt kriegst du mich nicht mehr aus dem Bett. Ich habe mir einen gehörigen Teil der letzten Nacht und auch den frühen Morgen um die Ohren geschlagen, und einen Haufen Überstunden bist du mir auch noch schuldig.«
»Ich liebe dich«, sagte Grotejohann, den Zigarettenrest ausdrückend. »Und du hast vollkommen recht. Wir begucken uns den Entlaufenen ein bisschen später. Ist dir dreiundzwanzig Uhr recht?«
»Kann das nicht bis morgen warten?«
»Solche Sachen werden ganz schnell kalt.«
»Na gut. Klingel durch, wenn es denn unbedingt sein muss.«
»Schlaf gut, Süßes. Vielleicht komme ich auf ein kurzes Wecken vorbei.«
»Unterstehe dich!«
»Nur, wenn er einknickt, unser gemeinsamer Freund.«
Er legte lachend auf.
13
Irgendwann, hatte Reineking im Laufe seiner Dienstzeit gelernt, gerät man mit seinen Ermittlungen an eine Wand. In den meisten Fällen erweist sie sich dann doch als durchlässig, in einigen jedoch bleibt es dunkel. Man hatte zur tatsächlichen eine weitere Leiche produziert. Eine aus Papier. Die kam in das Fach, in dem die Altlasten aufbewahrt wurden. Vielleicht für alle Zeiten, vielleicht - wenn der Zufall oder das Geschick es so wollten - für eine begrenzte Zeit. Die liegen blieben, gingen einem richtig an die Nieren, weil man jedes Mal, wenn man einen Blick darauf warf, daran denken musste, dass da irgendwo ein Typ herumlief, der wieder zuschlagen und ein weiteres Menschenleben auslöschen konnte.
Der gegenwärtige Fall, er nannte ihn für sich »die Kerze«, schien sich ebenfalls festzulaufen. Reinekings Hoffnung, über das so wunderbar einfach zugeordnete Handy endlich Klarheit über den Tathergang finden zu können, war in getrogen worden. Das simple Achselzucken einer etwas späten Punk Dame hatte die gewitterte Luft ganz unspektakulär entweichen lassen. Die sofort eingeleitete Nachfrage beim Einwohnermeldeamt war negativ verlaufen. Im Bereich Minden-Lübbecke hatte sich kein Dieter Rose jenes Alters aus den Daten herausfiltern lassen. Und ob die weitergeleitete Nachfrage an die zentrale Täterdatei Erfolge brachte, ließ sich wohl erst nach einigen Tagen beurteilen, wenn die entsprechenden Ergebnisse übermittelt waren. Blieb die Frage, inwieweit Frau Meyer der Wahrheit die Teufelsfratze ihres Jeansrücken zugekehrt hatte.
»Die ist kein durchgeknalltes spätes Mädchen«, hatte Termöhlen vermutet. »Die ist im Krieg. Deswegen die Bemalung, deshalb die schrägen Klamotten. Dahinter versteckt sie das, was sie wirklich ist.«
»Sie zitterte. Entweder vor Wut oder ...«
»Vor wem soll sie denn zittern? Wenn da einer zittert, ist es ihr Kerl. Und zwar vor ihr. Hast du eigentlich mitgekriegt, wie der sich die ganze Zeit geduckt hat? Das lernst du nicht von gestern auf heute, da stecken die ganzen letzten Jahrzehnte dieser Ehe drin. Wenn du mich fragst, sollten wir ihn uns noch mal vornehmen. Könnte sein, dass er uns was über diesen Zatopek sagen kann.«