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»Und über seine Frau.«
»Das Handy. Dass das plötzlich verschwunden ist ... Das stinkt. Nicht, dass wir plötzlich beim Satanismus landen.«
»Sein kann alles.«
»Ja. Und was machen wir mit dem Meyer? Fahren wir hin?«
»Häng du dich da rein, Hennes, nachdem du mich im Präsidium abgesetzt hast.«
»Du meinst, wenn er sich einem ebenfalls Abgewrackten gegenübersieht, wird er gesprächiger, was?«
»Mach dich nicht hinfälliger als du bist.«
»Na ja ...« sagte Termöhlen und rückte die zum Fahren notwendige Brille zurecht.
Reineking hatte mit Wehner telefoniert und ihn gebeten, die Vermisstenstelle nach abgängigen Personen zu befragen.
»Ich bin auf dem Weg zum Denkmal«, hatte Wehner gesagt. »Ich will die restlichen Anwohner und besonders das Personal der Restaurants befragen.«
»Gibt es da mehrere?«
»Weiter hinten noch eines, auf dem Höhenrücken, die Wittekindsburg. Ist zwar ein bisschen weit weg, aber die Angestellten müssen über die Denkmalzufahrt. Kann ja sein, dass was beobachtet wurde.«
Die Luft stand, die jähe Hitze pappte die Kleider wie Kleber an die Haut. Oben im Flur warteten Vernehmungen auf ihn, zwei von dreiundzwanzig bereits vernommenen Schülern der Klasse des im Sickerschacht tot aufgefundenen Vierzehnjährigen, die mit ihren Aussagen zwar bei der Erstellung eines Persönlichkeitsbildes geholfen, aber nicht eine einzige verwertbare Spur aufgezeigt hatten. Er bat sie, einen Augenblick zu warten, ging in sein Büro und telefonierte mit den Kollegen von Zimmer 215, um ihnen die Vernehmungen anzudienen.
Er hatte Pech. Beide Kollegen waren außerhalb des Hauses im Einsatz und hatten auch die aus dem Streifendienst übernommene Kriminaldienstanwärterin mitgenommen. Die Gedanken noch immer bei dem aktuellen Fall, nahm er sich die Jungen nacheinander ohne nennenswertes Ergebnis vor. Die auf Band mitgeschnittenen Aussagen gab er ins Sekretariat, erhielt die bei seinem Eintritt fertig gestellte Spurenakte des aktuellen Falles und besorgte sich einen Kaffee, ehe er in sein Büro zurückkehrte.
Was die Kollegen bei der Suchaktion zusammengetragen hatten, war im Augenblick nichts weiter als ein Haufen Abfall, der sich in keinen direkten Bezug zur wie auch immer erfolgten Tat setzen ließ. Getränkedosen, mehrere zerweichte Portemonnaies, einen Benzinkanister und unzählige Socken, Unterwäsche und Schuhe bildeten eine unendlich lange, korrekt durchnummerierte Liste mit den jeweiligen Querverweisen zum Fundort. Eine zwar beeindruckende und notwendige Buchhalterarbeit, die Termöhlen und Wehner noch in der Nacht geleistet hatten. Was und ob sie überhaupt etwas bringen würde, stand jedoch in den Sternen.
Er blätterte lustlos weiter, stieß auf die Namen und Adressen der am Denkmal beschäftigten Arbeiter. Er überlegte, ob er Wehner, der sowieso in der Nähe des Denkmals beschäftigt war, mit deren Vernehmung vor Ort beauftragen sollte, ließ den schon erhobenen Hörer jedoch wieder fallen und nahm sich vor, die Sache selbst zu bearbeiten.
Er trank den nur noch lauwarmen Kaffee, lehnte sich zurück und blickte an die Decke, entdeckte den dunklen Flecken, erinnerte sich jener Nacht vor fünf Jahren, als eine Stechmücke ihn sirrend umkreist und mehrmals gestochen hatte, bis er sie wutentbrannt mit einem Exemplar des Mindener Tageblatts gejagt und schließlich mit einem Klatschen zur Strecke gebracht hatte. Man sollte den schon durchgetrockneten Kadaver endlich entfernen, dachte er, und wieder einmal vergaß er ihn im nächsten Augenblick, abgelenkt von einem kurzen Klopfen an der Tür, die gleich darauf aufgestoßen wurde.
»Grüß dich«, sagte Papenburg, ein mittelgroßer Mann von gut vierzig Jahren, der im Nebenzimmer zusammen mit einem Brandermittler saß, jedoch für Sexualdelikte tätig war. »Ich habe zwei Sachen für dich.« Er legte eine kleine Plastiktüte auf den Tisch. »Erstens dieses Abzeichen aus der Brandasche. Eigentlich soll ich es deinem Kollegen ohne Kommentar mit Grüßen aus der Technik geben, zweitens eine Zusammenstellung aller Anzeigen abgängiger Personen. Mit eingeschlossen sind die aus der Inspektion Lübbecke und aus meiner Datei. Alles noch unsortiert, weil weder die Kollegen noch ich bis vor vorhin wussten, dass Ihr ausschließlich männliche Merkmale vorgegeben habt.«
»Was ist mit der Tüte?«
»Ihr habt das zum Bearbeiten runter gegeben.«
Reineking öffnete die Plastiktüte und ließ das Abzeichen in seine linke Hand fallen. Er nickte, als er vor zwei goldenen Säulen den silbernen Speer und darauf wiederum einen goldfarbenen bärtigen Kopf erkannte, dessen Antlitz christusartige Züge aufwies. Eine feine, offensichtlich alte und wohl auch kostbare Arbeit. In eine Haarlocke versteckt war ein winziger Ring eingearbeitet, der zur Aufnahme einer Kette oder eines Kettengliedes dienen mochte. Die Säulen waren unterschiedlich geformt.
»Tolles Stück«, sagte Papenburg.
»Lag in der Brandasche«, sagte Reineking. Er drehte das Abzeichen. Auf dem polierten Rücken, der weniger genau gearbeitet war, war im oberen Drittel ein gleichschenkliges Kreuz und darunter sechs Zeilen eingraviert oder mit einem Stempel eingepresst. Er bemühte sich vergeblich, sie mit bloßem Auge zu lesen. Kreuz und Schrift wirkten wie von langem Gebrauch abgenutzt.
»Irgendwo habe ich eine Lupe«, sagte Reineking.
»Im Spurenkoffer.«
Reineking fand eine im untersten Fach des Schreibtisches, die den Vorzug einer Beleuchtung hatte. Er hielt sie über das Medaillon. Die Schrift auf der Rückseite trat deutlicher zum Vorschein.
»Si tatlia jungere possis sit tibi scire posse«, las er. Er sah Papenburg fragend an.
Der schüttelte den Kopf. »Ich weiß von so ziemlich allen Perversionen, aber das, das sagt mit nichts. Latein, was?«
»Latein«, bestätigte Reineking. »Possis ist Verstehen, wenn ich mich recht erinnere... wenn du verstehst... verstehst du... klar, wenn man versteht, versteht man... Hast du Ahnung, wer das aus dem Laden richtig kann?«
»Wehner«, sagte Papenburg.
»Ach ja, unser Kulturgenie.«
Reineking schrieb den Satz auf, malte auch das gleichschenkelige Kreuz darunter.
»Sieht aus wie das Balkenkreuz«.
»Eher wie auf den Malteserflaschen«, sagte Reineking.
Das Telefon klingelte.
»Okay, ich hab zu tun. Wir sehen uns«, sagte Papenburg und verließ das Zimmer. Reineking nahm den Hörer ab.
»Du wirst es nicht glauben«, sagte Termöhlen mit allen Anzeichen der Häme, »unsere Punk Lady hat uns ganz schön gelinkt. Der Kerl mit den heißen Sohlen gibt ihr das, was Herr Meyer nur noch seinen Fliesen antut. Und wenn ich das richtig verstanden habe, ist das ein bezahltes Abenteuer. - Was sagst du jetzt?«
»Kennt er diesen Dieter Rose?«
»Kennen? Wenn er könnte, würde er ihn umbringen!«
»Sagt er?«
»Nee, aber er kocht, kocht schon seit Jahren, seitdem er dulden muss, dass sie ihm das antut.«
»So was muss man nicht dulden.«
»Versetz dich mal in seine Lage...«
»Ungern.«
»Die reine Perversion«, sagte Termöhlen. »Die treiben ‚s im Ehebett, während das arme Schwein sich unten »Wetten, dass…« ansehen muss.«
»Was erzählt er über unseren Flitzer?«
»So viel, dass wir ihn kassieren können.«
»Wann bis du hier?«
»Gleich«, sagte Termöhlen, »ich bin schon auf dem Königswall.«
»Sehr schön«, sagte Reineking. »Sammle mich unten auf.«
Termöhlen war nicht wieder zu erkennen: Seine Augen blitzten, die ansonsten bleichen Wangen glühten, die Gestik wäre auch einem Südländer hektisch erschienen. Es war, als hätte er ein Bad im Jungbrunnen genommen, und seine Stimme hatte den stolzen Klang eines danksagenden Preisgewinners.
»Otto machte erst Anstalten«, erzählte er. »Ich nix wissen und so, aber dann habe ich ihn an der Stelle gepackt, wo ´s um die Ehre geht. Plötzlich knickte er ein, ich dachte schon, jetzt geht das große Geheule los, aber da kam kein Geflenne, da kam das Elend eines ganzen Lebens: Maloche und Suff und eine Frau, die gerne zugegriffen hat, wenn da einer mit dicken Nüssen rumgelaufen ist. Ne echte Nymphenburgerin, wenn man ihm glauben kann, allzeit bereit, und er hat´s bis fast zuletzt nicht mitgekriegt, hat treu doof seine Fliesen geklebt und sie in den Urlaub ziehen lassen und sich jeden Tag seine für Monate vorgekochte Erbsensuppe aus dem Tiefkühlschrank geholt. Das musst du dir vorstellen: Die vögelt die Caballeros und der trabt mit ´nem Henkelmann zu seinen Fliesen und ist noch stolz drauf, dass sie sich die Reisen erlauben kann!«
»Bring uns nicht um«, bat Reineking und griff ins Lenkrad, als der Wagen einem Bus des Verkehrsverbundes zu nahekam.
»Entschuldige.«
»Es war reiner Selbsterhaltungstrieb.«
»Bei ihr, meinst du?«
»Nein, bei mir. Aber ich wollte dich nicht unterbrechen.«
Termöhlen warf ihm einen irritierten Blick zu.
»Jedenfalls wird er morgen vorbeikommen, damit wir seine Aussage protokollieren können.«
»Wusste er was über den Verbrannten?«
»Damit habe ich mich zurückgehalten, weil ...« Termöhlen trat heftig auf die Bremse, um an der Ampel nicht auf den Vordermann zu fahren, nahm den Gang heraus, während Reineking überlegte, ob er sich hinter das Steuer setzen sollte.
»Weil was?«
»Ich hielt das einfach für richtig, genau wie die Idee, ihn noch mal anzugehen.«
»Bei der nächsten Ordensverleihung sitzt du in der ersten Reihe«, sagte Reineking.
»Den Tag möchte ich erleben, an dem von dir Anerkennung kommt.«
»Es ist grün.«
»Meinst du, ich bin blind?«
»Sagen wir, die Bilder erreichen deine Netzhaut etwas verzögert.«
»So lange mein Instinkt für so schräge Typen wie Rose und Punk Lady funktioniert, kann ich über solche Kommentare nur lachen«, bellte Termöhlen.
»Weißt du eigentlich, wo wir hinfahren?«
»Na, zu Rose natürlich!«
»Aha«, machte Reineking und lehnte sich zurück.
»Er wohnt in Bölhorst«, erklärte Termöhlen. »Unweit des sogenannten Dorfgemeinschaftshauses auf der Klinkerstraße. Klinker deshalb, weil da oben in Ziegeleien traditionell Mauersteine gebrannt wurden.«
»Wie kommt´s, dass die vom Einwohnermeldeamt davon keine Ahnung hatten?«
»Weil er ´n Parasit ist, dieser Spritzer. Der lutscht nicht nur die verrückte Meyer aus, der scheint ´ne ganze Reihe von Weibern zu haben, wo er sich nach Bedarf und Laune einnistet. Auch das Auto, das er fährt, dieser Corsa, gehört nicht ihm, gehört einer dusseligen Kuh, die nicht merkt, dass er sie linkt.«
Sie rollten über die Kreuzung Portastraße und gelangten auf die Lübbecker. Es gab einen kurzen Stau, als ein Lastwagen sich in eine Einfahrt schob, es ging dann schleppend weiter, bis sie in den Schwabenring einbogen.
»Die zweite Straße rechts muss das sein«, sagte Termöhlen, das Gesicht über dem Lenkrad und dicht an der Windschutzscheibe. Draußen graue Bürgerhäuser, kleine Geschäfte, Vorgärten mit Windmühlen und Rhododendron. »Der Corsa ist übrigens nicht rot, sondern silbergrau und hat hinten links ´ne Delle. Ich hoffe nur, dass er uns diesmal nicht entwischt.«
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