Grundkurs Bildungsrecht für Pädagogik und Soziale Arbeit

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Was gilt nun für das Verhältnis von Bundesrecht und Landesrecht? Hierzu gibt es in Art. 31 GG eine klare Regelung: „Bundesrecht bricht Landesrecht.“ Das heißt: alle Rechtsnormen des Bundesrechts gehen allen Rechtsnormen des Landesrechts vor, auch ein Bundesgesetz einer Landesverfassung!
1.1.2 Gliederung und Zitierweise von Rechtsnormen
Wie sind nun Rechtsnormen gegliedert und wie werden sie zitiert (Näheres bei Kievel et. al. 2013, 3.2; Trenczek et. al. 2014, I 1.1.3; Wabnitz 2014a Kap. 2.3)? Einen Überblick dazu vermittelt die Übersicht 2:
Übersicht 2
Gliederung und Zitierweise von Gesetzen (und anderen Rechtsnormen)
1. Gliederung von Gesetzen
– ggf. in: Bücher (im BGB oder SGB)
– ggf. in: Kapitel
– ggf. in: Abschnitte
– ggf. in: Unterabschnitte oder Titel
– grds. in: Paragrafen (§§) oder selten, etwa im GG: in Artikel (Art.)
2. Zitierweise von Paragrafen (§§) oder Artikeln (Art.)
Paragraf: §; ggf. weiter untergliedert und zitiert wie folgt:
– Absätze: I, II, III oder Abs. 1, 2, 3 oder (1), (2), (3)
– Sätze: 1, 2, 3 oder Satz 1, 2, 3 oder S. 1, 2, 3
– ggf. Halbsätze: Halbsatz 1, 2, 3 oder Halbs. 1, 2, 3
– ggf. Nummern: Nr(n). 1, 2, 3
Die „Basiseinheit“ von Rechtsnormen ist der einzelne Paragraf. Dieser wird durch das Zeichen „§“ symbolisiert, der zwei ineinander verschlungenen Buchstaben „S“ entspricht (aus dem Lateinischen: signum sectionis = Zeichen der Abteilung/des Abschnitts). Wie umfangreich ein einzelner Paragraf gestaltet wird, entscheidet der Gesetzgeber unter Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten. Es gibt Paragrafen, die nur wenige Worte bzw. nur einen einzigen Satz enthalten (§ 1 BGB lautet: „Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit der Vollendung der Geburt.“). Andere Paragrafen umfassen mehrere Textseiten, z. B. im Einkommensteuergesetz.
Sehr häufig werden Paragrafen in mehrere Absätze unterteilt, die mit römischen Ziffern (I, II, III) oder abgekürzt mit „Abs.“ oder mit in Klammern gesetzten arabischen Ziffern – (1), (2), (3) – zitiert werden. Beispiel: § 38 II oder § 38 Abs. 2 oder § 38 (2). Des Weiteren werden oft Absätze eines Paragrafen nochmals in mehrere Sätze unterteilt, die mit arabischen Buchstaben (1, 2, 3) oder mit „S.“ bezeichnet werden. Beispiel: § 67 II 3 oder § 67 Abs. 2 S. 3 oder § 67 (2) 3.
Damit exakt klar wird, worüber man spricht und welche Rechtsnorm im Einzelnen gemeint ist, ist es unbedingt erforderlich, Gesetze und Paragrafen so präzise wie möglich zu zitieren, z. B.: „§ 9 Abs. 2 S. 1“ mit nachfolgender Gesetzesbezeichnung, zumeist in Kurzform (z. B. BGB oder SGB I).
1.1.3 Objektive und subjektive Rechte
Für die gesamte Rechtsordnung ist es sodann wichtig, zwischen objektivem und subjektivem Recht bzw. objektiven und subjektiven Rechtsnormen zu unterscheiden (Näheres bei Wabnitz 2014a, Kap. 2.2). Unter objektivem Recht oder objektiven Rechtsnormen versteht man die gesamte Rechtsordnung bzw. die Gesamtheit der existierenden Rechtsnormen. Dazu zählen alle Gesetze wie z. B. das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), Sozialgesetzbuch (SGB) oder das Schulgesetz des Landes X. Auf die dort enthaltenen objektiven Rechtsnormen kann sich der Einzelne allerdings nur berufen bzw. auf ihrer Grundlage nur dann Klage vor den Gerichten erheben, wenn ihm zusätzlich auch ein subjektives Recht, meist in Form eines (Rechts-)Anspruchs, zusteht. Zum Ganzen die Übersicht 3:
Übersicht 3
Objektive und subjektive Rechte
1. Objektives Recht
= die gesamte Rechtsordnung oder die Gesamtheit der Rechtsnormen oder bestimmte Rechtsnormen
2. Subjektive Rechte
= Rechte des Einzelnen, insbesondere (Rechts-)Ansprüche des Privatrechts (§ 194 BGB) oder des öffentlichen Rechts (z. B. §§ 24, 27 SGB VIII).
1.2 Zivilrecht und öffentliches Recht
1.2.1 Abgrenzung von Zivilrecht und öffentlichem Recht
Die verschiedenen Teilgebiete des Rechts werden in Deutschland traditionell entweder dem Zivilrecht (Privatrecht) oder dem Öffentlichen Recht zugeordnet (Näheres bei Wabnitz 2014a, Kap. 2). Diese Unterscheidung ist auch für die Pädagogik und die Soziale Arbeit von erheblicher Bedeutung und wird deshalb – in vereinfachter Form – in Übersicht 4 erläutert:
Übersicht 4
Abgrenzung von Zivilrecht und Öffentlichem Recht
1. Zivilrecht (Privatrecht): Auf beiden Seiten einer Rechtsbeziehung stehen sich Privatpersonen (als natürliche oder juristische Personen des Zivilrechts) gegenüber.
2. Öffentliches Recht: Auf mindestens einer Seite einer Rechtsbeziehung befindet sich der „Staat“ (als Bundesrepublik Deutschland, als ein Bundesland, als eine Gemeinde oder ein Sozialversicherungsträger).
Das Zivilrecht (oder Privatrecht) regelt also die Rechtsbeziehungen der Bürgerinnen und Bürger untereinander, und zwar sowohl zwischen natürlichen Personen (Menschen) als auch sogenannten juristischen Personen des Privatrechts (z. B. eingetragener Verein/e. V. oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung/GmbH). Das öffentliche Recht hingegen regelt die Rechtsbeziehungen zwischen BürgerInnen und Staat sowie auch die Organisation von Staat und Verwaltung und die Rechtsbeziehungen zwischen mehreren Trägern hoheitlicher Verwaltung untereinander, zum Beispiel mehreren Trägern der öffentlichen Jugendhilfe.
1.2.2 Rechtsgebiete des Zivilrechts
Die wichtigsten Rechtsgebiete des Zivilrechts (Näheres bei Kievel et. al. 2013, 3.2.2.1; Wabnitz 2014a, Kap. 2.4, 4) werden in Übersicht 5 genannt:
Übersicht 5
Rechtsgebiete des Zivilrechts (oder Privatrechts)
1. Bürgerliches Recht (BGB)
1.1 Allgemeiner Teil (Buch 1)
1.2 Schuldrecht (Buch 2)
1.3 Sachenrecht (Buch 3)
1.4 Familienrecht (Buch 4)
1.5 Erbrecht (Buch 5)
2. Sonstiges Privatrecht, Arbeits- und Wirtschaftsrecht
2.1 Arbeitsrecht
2.2 Handelsrecht
2.3 Gesellschaftsrecht
2.4 Banken-, Kredit-, Versicherungsvertragsrecht
2.5 Wettbewerbsrecht
Das für die Pädagogik und die Soziale Arbeit wichtigste Gesetz des Zivilrechts ist das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB), insbesondere dessen Viertes Buch Familienrecht (Kap. 3).
1.2.3 Rechtsgebiete des öffentlichen Rechts
Dazu diese Übersicht 6:
Übersicht 6
Rechtsgebiete des öffentlichen Rechts
1. Völkerrecht, Recht der Europäischen Union
2. Staats- und Verfassungsrecht
3. Verwaltungsrecht
3.1 Allgemeines Verwaltungsrecht
3.2 Bildungsrecht als besonderes Verwaltungsrecht
3.3 Sozialrecht als besonderes Verwaltungsrecht
3.4 Steuerrecht als besonderes Verwaltungsrecht
3.5 Weitere Gebiete des besonderen Verwaltungsrechts
4. Strafrecht
5. Prozessrecht
Im Bereich des öffentlichen Rechts (Näheres bei Kievel et. al. 2013, 3.2.2.1; Trenczek et. al. 2014, III; Wabnitz 2014a, Kap. 2) sind für die Pädagogik und die Soziale Arbeit das Bildungsrecht und das Sozialrecht als Teile des (Besonderen) Verwaltungsrechts von zentraler Bedeutung (Kap. 4 bis 12), aber auch einzelne Artikel des Grundgesetzes (Kap. 2). Teil des öffentlichen Rechts ist auch das einschlägige Prozessrecht (Kap. 1.3).
1.3 Gerichtliche Rechtsverwirklichung
Die Bundesrepublik Deutschland ist ein umfassend ausgebauter Rechtsstaat (Kap. 2.1.2). Wird jemand „durch die öffentliche Gewalt“ in seinen Rechten verletzt, „so steht ihm der Rechtsweg offen“ (Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG). Mit anderen Worten: Gegen nahezu alle Formen hoheitlichen Handelns kann sich der Bürger, soweit er in seinen Rechten betroffen ist, zur Wehr setzen, indem er ein Gericht anruft. Im Verhältnis zwischen Zivilpersonen untereinander gilt dies grundsätzlich ohnehin.
1.3.1 Gerichtsaufbau in der Bundesrepublik Deutschland
In Deutschland gibt es derzeit sieben Gerichtsbarkeiten (siehe dazu Übersicht 7; Näheres bei Kievel et. al. 2013, Kap. 22; Trenczek et. al. 2014, I 5.; Wabnitz 2014a, Kap. 7.1):
Übersicht 7
Vereinfachter Überblick über den Gerichtsaufbau in Deutschland
1. Verfassungsgerichtsbarkeit:
1.1 Bundesverfassungsgericht
1.2 Landesverfassungsgerichte (in den 16 Ländern)
2. Zivilgerichtsbarkeiten:
2.1 Allgemeine Zivilgerichtsbarkeit (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof)
2.2 Arbeitsgerichtsbarkeit (Arbeitsgericht, Landesarbeitsgericht, Bundesarbeitsgericht)
3. Öffentlich-rechtliche Gerichtsbarkeiten:
3.1 Verwaltungsgerichtsbarkeit (Verwaltungsgericht, Oberverwaltungsgericht/Verwaltungsgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht)
3.2 Sozialgerichtsbarkeit (Sozialgericht, Landessozialgericht, Bundessozialgericht)
3.3 Finanzgerichtsbarkeit (Finanzgericht, Bundesfinanzhof)
3.4 Strafgerichtsbarkeit (Amtsgericht, Landgericht, Oberlandesgericht, Bundesgerichtshof)
Für Pädagogik, Bildungsrecht und Soziale Arbeit sind die Verwaltungsgerichtsbarkeit und die Sozialgerichtsbarkeit von besonderer Bedeutung (Kap. 4.3). „Über“ allen anderen Gerichtsbarkeiten steht die Verfassungsgerichtsbarkeit: das Bundesverfassungsgericht mit Blick auf Fragen des Grundgesetzes, die 16 Landesverfassungsgerichte mit Blick auf Fragen der jeweiligen Landesverfassung. Das Bundesverfassungsgericht kann in der Regel erst dann angerufen werden, wenn der jeweilige Rechtsweg „ausgeschöpft“, also erfolglos durchlaufen worden ist.
In den meisten Gerichtsbarkeiten gibt es sogenannte (mehrstufige) „Instanzenzüge“: immer eine Eingangsinstanz, oft eine „Berufungsinstanz“ und als letzte Instanz ggf. die sogenannte „Revisionsinstanz“.
1.3.2 Gerichtliches Verfahrensrecht
Für jede der genannten Gerichtsbarkeiten gibt es spezielle Gerichtsverfahrens- oder Prozessgesetze (siehe Übersicht 8):
Übersicht 8
Gerichtsverfahrens- oder Prozessgesetze
1. Allgemein: Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) für die Organisation der Zivil- und Strafgerichtsbarkeit (sog. „Ordentliche Gerichtsbarkeit“)
2. Zivilrecht
2.1 Zivilprozessordnung (ZPO)
2.2 Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG)
2.3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG)
3. Öffentliches Recht
3.1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
3.2 Sozialgerichtsgesetz (SGG)
3.3 Finanzgerichtsordnung (FGO)
3.4 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG)
4. Strafrecht
4.1 Strafprozessordnung (StPO)
4.2 Jugendgerichtsgesetz (JGG)
1.3.3 Prozesskostenhilfe
Die Erfolgsaussichten eines Gerichtsprozesses sind oft schwer abzuschätzen. (Der Volksmund sagt dazu: „Vor den Gerichten ist es wie auf hoher See: man befindet sich allein in Gottes Hand.“) Die Gerichts- und Rechtsanwaltskosten hat grundsätzlich die unterlegene Partei zu tragen. Bei einem vor den Zivilgerichten geführten und verlorenen Prozess über mehrere Instanzen hinweg kann es vorkommen, dass die Gerichts- und Anwaltskosten die Höhe des Streitwertes erreichen oder gar überschreiten.
Auf der anderen Seite soll grundsätzlich aus finanziellen Gründen niemand davon abgehalten werden, vor Gericht sein Recht zu suchen und durchzusetzen. Deshalb gibt es die Möglichkeit, Prozesskostenhilfe (PKH) nach den §§ 114 ff. ZPO zu beantragen (Näheres bei Wabnitz 2014a, Kap. 7.3; Trenczek et. al. 2014, Kap. I. 5.3.3, Kievel et. al. 2013, Kap. 22.1.4)

Falterbaum, J. (2013): Rechtliche Grundlagen Sozialer Arbeit. 4. Aufl.
Kievel, W., Knösel, P., Marx, A. (2013): Recht für soziale Berufe. Basiswissen kompakt.
Kropholler, J. (2013): Bürgerliches Gesetzbuch – Studienkommentar. 14. Aufl.
Palandt, O. (2015): Bürgerliches Gesetzbuch. 74. Aufl.
Trenczek, T., Tammen, B., Behlert, W., Boetticher, A. von (2014): Grundzüge des Rechts. Studienbuch für soziale Berufe. 4. Aufl.
Wabnitz, R. J. (2014a): Grundkurs Recht für die soziale Arbeit. 4. Aufl.
1.4 Fall: Schlägerei und Schadensersatz
A und B sind verfeindet. Sie treffen sich zufällig spät abends in der Stadt. A sieht B zuerst, zieht ein Messer mit feststehender Klinge aus dem Halfter und sticht auf B ein, der ihn erst in diesem Moment erkennt. Der nicht bewaffnete B duckt sich in letzter Sekunde geschickt weg, sodass A ihn nicht trifft. Blitzschnell versetzt B dem A einen gezielten Faustschlag ins Gesicht, sodass A zu Boden geht, schwer im Gesicht verletzt wird und ins Krankenhaus gebracht werden muss.
1. Kann A von B Schadensersatz verlangen?
2. Kann B von A Schadensersatz verlangen?
(Die ebenfalls einschlägigen §§ 223 ff. StGB – Strafbarkeit von Körperverletzungen – sind hier nicht zu prüfen!)
2 Verfassungsrechtliche Grundlagen
2.1 Staatsprinzipien des Grundgesetzes
Gemäß Art. 20 Abs. 1 GG ist die Bundesrepublik Deutschland „ein demokratischer und sozialer Bundesstaat“, und gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ist die Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und sind die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung an Gesetz und Recht gebunden. Aus diesen wenigen Verfassungsnormen ergeben sich fünf Staatsprinzipien des Grundgesetzes (GG) (siehe Übersicht 9 sowie Näheres bei Wabnitz 2014a, Kap. 8.2; Hömig/Antoni 2013, Erläuterungen zu Art. 20; Kievel et. al. 2013, 2.1; Trenczek et. al. 2014, Kap. I. 2.1).
Übersicht 9
Staatsprinzipien des Grundgesetzes (GG)
1. Republik
2. Demokratie
3. Bundesstaat
4. Rechtsstaat
5. Sozialstaat
2.1.1 Republikanisches Prinzip und Demokratieprinzip
Das republikanische Prinzip (Hömig/Antoni 2013, Art. 20 Rz. 2) wird in Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG sowie dadurch zum Ausdruck gebracht, dass an mehreren Stellen im Grundgesetz von „Bundesrepublik“ Deutschland die Rede ist. Dies bedeutet, dass es in Deutschland mit dem Bundespräsidenten ein gewähltes Staatsoberhaupt gibt – im Gegensatz zu Monarchien mit Fürsten, Königen oder Kaisern und Thronfolgeregelungen kraft Vererbung.
Das Wort „Demokratie“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet Herrschaft des Volkes. Die Demokratie nach der Konzeption des Grundgesetzes ist gemäß Art. 20 Abs. 2 Satz 1 und 2 GG eine mittelbare parlamentarische Demokratie (Hömig/Antoni 2013, Art. 20, Rz. 3): auf der Bundesebene erfolgen Wahlen zum Deutschen Bundestag, der die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler wählt und auf deren/dessen Vorschlag hin die BundesministerInnen vom Bundespräsidenten ernannt und entlassen werden. Entsprechendes gilt auf der Ebene der Länder (Wahl der Landtage, MinisterpräsidentInnen, LandesministerInnen).
2.1.2 Bundesstaatsprinzip und Rechtsstaatsprinzip
Die Bundesrepublik Deutschland ist, ähnlich wie die Republik Österreich, ein Bundesstaat (Hömig/Antoni 2013, Art. 20, Rz. 6). In Kapitel 2.2 wird dargestellt, was das Bundesstaatsprinzip konkret bedeutet.
Neben dem Bundesstaatsprinzip ist das Rechtsstaatsprinzip das älteste Staatsprinzip in Deutschland (Hömig/Antoni 2013, Art. 20 Rz. 10 ff.; Kievel et. al. 2013, 2.1.3; Trenczek et. al. 2014, I 2.2.2; Wabnitz 2014a, 8.2.4); siehe dazu Übersicht 10:
Übersicht 10
Das Rechtsstaatsprinzip bedeutet:
1. Machtdekonzentration durch Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG) wie folgt:
1.1 Legislative = Gesetzgebung durch die Parlamente
1.2 Exekutive = Regierung und Verwaltung
1.3 Judikative = Rechtsprechung: Kontrolle der übrigen Gewalten anhand von Recht und Gesetz
2. Sicherung des Rechtsstaates durch:
2.1 allgemein geltende Grundrechte (Art. 1 bis 19 GG),
2.2 justizielle Grundrechte (Art. 101, 103, 104 GG),
2.3 Unabhängigkeit der Gerichte und Richter (Art. 97 GG)
2.4 Rechtsweggarantie (Art. 19 IV GG).
3. Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wie folgt:
3.1 Geeignetheit einer Maßnahme, um Zweck zu erreichen?
3.2 Erforderlichkeit einer Maßnahme, um Zweck zu erreichen? (Oder gibt es ein „milderes Mittel“?)
3.3 Angemessenheit der Nachteile zum erstrebten Vorteil? (Abwägung unter Gewichtung von Nachteilen und Vorteilen.)
2.1.3 Sozialstaatsprinzip
Eines der jüngeren Staatsprinzipien ist schließlich das Sozialstaatsprinzip, das in Art. 20 Abs. 1 sowie Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG seinen Ausdruck gefunden hat, wenn auch nur in jeweils einem einzigen Wort: „sozialer“ (Bundesstaat) bzw. „sozialen“ (Rechtsstaates) (Hömig/Antoni 2013, Art. 20, Rz. 4; Kievel et. al. 2013, 2.1.5; Trenczek et. al. 2014, I 2.2.3; Wabnitz 2014a, 8.2.5). Zum Sozialstaatsprinzip siehe Übersicht 11:
Übersicht 11
Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG)
1. Der Staat ist zur Herstellung und Erhaltung von sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit verpflichtet, und zwar u. a. wie folgt:
1.1 Legislative:
1.1.1 Schaffung eines sozialen Mindeststandards
1.1.2 Gewährleistung des Existenzminimums
1.2 Exekutive:
1.2.1 bei Ermessen: Wahl der sozial gerechteren Maßnahme
1.2.2 Legitimation für Leistungen in Notfällen
1.3 Judikative: Wahl der sozial gerechteren Alternative
2. Das Sozialstaatsprinzip stellt eine „Generalklausel“ dar, die durch den Gesetzgeber konkretisiert werden muss (Ansätze dazu bereits im GG: Art. 6 Abs. 4, 9 Abs. 3, 14 Abs. 2, 15 GG).
3. Das Sozialstaatsprinzip wird konkretisiert in verschiedenen Politikbereichen, z. B. in der:
3.1 Sozialpolitik
3.2 Bildungspolitik
3.3 Gesundheitspolitik
3.4 Wohnungspolitik
3.5 Familienpolitik
3.6 Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik
Die wichtigste Konkretisierung des Sozialstaatsprinzips ist durch das Sozialgesetzbuch (SGB) erfolgt (Kap. 4.1). Zum Sozialstaatsprinzip existiert eine umfangreiche Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (z. B. BVerfGE 1, 105; 5, 198; 10, 370; 22, 204; 35, 235 f.; 52, 346; 82, 85; 94, 263; 100, 284; 110, 445; 123, 363).
2.2 Bildungsrecht und Föderalismus
2.2.1 Bund und Länder im deutschen Föderalismus
In Übersicht 12 wird dargestellt, was das Bundesstaatsprinzip (Näheres bei Hömig/Antoni 2013, Art. 20, Rz. 6; Kievel et. al. 2013, 2.1.5; Trenczek et. al. 2014, I 2.2.3; Wabnitz 2014a, 8.2.5) bedeutet:
Übersicht 12
Bundesstaatsprinzip
1. Begriff: Ein Bundesstaat ist ein Gesamtstaat, bei dem die Ausübung der Staatsgewalt auf einen Zentralstaat (Bund) und mehrere Gliedstaaten (16 Länder) aufgeteilt ist.
2. Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern:
2.1 Grundprinzip (Art. 30 GG): Grundsätzlich sind die Länder für die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zuständig, soweit das GG keine andere Regelung trifft oder zulässt.
2.2 Zuständigkeitszuweisungen im Einzelnen:
2.2.1 durch Spezialregelungen, z. B. Art. 32 GG (Auswärtige Beziehungen: Bund) oder Art. 104a ff. GG (Finanzwesen: Bund),
2.2.2 oder nach Staatsfunktionen:
– Art. 70 ff. GG: Gesetzgebung (überwiegend Bund)
– Art. 83 ff. GG: Verwaltung (überwiegend Länder),
– Art. 92 ff. GG: Rechtsprechung (überwiegend Länder).
Das – historisch gewachsene – Bundesstaatsprinzip ist für die Staatspraxis der Bundesrepublik Deutschland von herausragender Bedeutung, da alle Staatsgewalten bzw. Zuständigkeiten entweder auf den Gesamtstaat Bundesrepublik Deutschland oder auf die 16 Bundesländer als Gliedstaaten aufgeteilt sind.
2.2.2 Kompetenzen im Schulrecht
Da das Grundgesetz dem Bund im Bereich des Schulwesens und des Schulrechts keine Kompetenzen zuweist, ist dieser wichtige Aufgabenbereich heute fast der einzige, den die Länder alleine gestalten können, sowohl was die Gesetzgebung und die Verwaltung als auch die immer wieder heftig umstrittene Schulpolitik anbelangt. Und dementsprechend unterschiedlich sind Schulrecht und Schulorganisation in den 16 Bundesländern ausgestaltet, vielfach zum Leidwesen von Schülern und Eltern, die in ein anderes Bundesland umziehen, wo „vieles ganz anders ist“ (Kap. 9 und 10).
2.2.3 Kompetenzen im Sozial- und Hochschulrecht
Völlig anderes stellt sich die Situation im Bereich des Sozialrechts dar. Dieses ist heute fast ausschließlich durch Bundesgesetze geregelt (Kap. 4 bis 8, 10 und 11); dies vor allem deshalb, damit alle Bürgerinnen und Bürger im gesamten Bundesgebiet dieselben Sozialleistungen erhalten können. Die Länder haben hier nur geringe legislative Gestaltungsspielräume im Bereich von Landesausführungsrecht zum Bundesrecht. Die Verwaltung obliegt teilweise Sozialversicherungsträgern auf Bundes- und Landesebene, teilweise Landes- oder Kommunalverwaltungen.
Im Bereich des Hochschulrechtes wiederum überwiegen Landeskompetenzen: sowohl im Bereich der Hochschulgesetzgebung als auch mit Blick auf die Organisation der Hochschulen, denen dabei wiederum grundgesetzlich geschützte Selbstverwaltungsrechte zustehen (gemäß Art. 5 Abs. 3 GG). Gesetzgebungskompetenzen des Bundes bestehen u. a. im Bereich der Ausbildungsförderung und der Beruflichen Bildung (Kap. 8 und 10) sowie der (Mit-) Finanzierung von Hochschulen, Forschung und Wissenschaft (vgl. Art. 91a ff. GG).
2.3 Wichtige Grundrechte nach dem Grundgesetz
Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zuletzt deshalb ein Rechtsstaat (Kap. 2.1.2), weil sie ihren Bürgerinnen und Bürgern Grundrechte gewährleistet. Die Grundrechte nach Art. 1 bis 19 GG beinhalten subjektive Rechte gegenüber dem Staat. Sie sind weitgehend Abwehrrechte, zum Teil aber auch auf Teilhabe und auf Leistungen des Staates gerichtet (Näheres zu den Grundrechten: Hömig/Antoni 2013, Vorbemerkungen zu den Grundrechten vor Art. 1 GG; Wabnitz 2014a, Kap. 8.3; Kievel et. al. 2013, 2.2; Trenczek et. al. 2014, Kap. I. 2.2). Die Übersicht 13 vermittelt einen Überblick über die einzelnen Grundrechte.
Übersicht 13
Grundrechte nach Art. 1 bis 19 GG
1. Art. 1 Abs. 1 und 2: Menschenwürde, Menschenrechte
2. Freiheitsgrundrechte
2.1 Art. 2 Abs. 1 – Freie Entfaltung der Persönlichkeit
2.2 Art. 2 Abs. 2 Satz 1 – Leben, körperliche Unversehrtheit
2.3 Art. 2 Abs. 2 Satz 2 – Freiheit der Person
2.4 Art. 4 – Glaubens-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Kriegsdienstverweigerung
2.5 Art. 5 – Meinungs- und Pressefreiheit, Rundfunk, Film, Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre
2.6 Art. 6 – Ehe, Familie
2.7 Art. 7 – Schulwesen
2.8 Art. 8 – Versammlungsfreiheit
2.9 Art. 9 – Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit
2.10 Art. 10 – Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis
2.11 Art. 11 – Freizügigkeit
2.12 Art. 12 – Beruf
2.13 Art. 13 – Wohnung
2.14 Art. 14 – Eigentum, Erbrecht; Art. 15 – Sozialisierung
2.15 Art. 16 – Staatsbürgerschaft, Auslieferung
2.16 Art. 16a – Asyl
2.17 Art. 17 – Petition
3. Gleichheitsrechte
3.1 Art. 3 Abs. 1 – Allgemeiner Gleichheitssatz
3.2 Art. 3 Abs. 2 – Gleichberechtigung von Männern und Frauen
3.3 Art. 3 Abs. 3 – Differenzierungsverbote
2.3.1 Art. 1, 2 und 3 GG
Aufgrund der Erfahrungen mit der nationalsozialistischen Diktatur stehen an der Spitze der Grundrechtsartikel des Grundgesetzes (Art. 1 Abs. 1 Satz 1 und 2 GG) die beiden folgenden Sätze: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“; das deutsche Volk bekennt sich darum gemäß Art. 1 Abs. 2 GG „zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.“ Das Grundgesetz sieht mithin die Menschenwürde und zudem die freie Entfaltung der Persönlichkeit als oberste Rechtswerte und tragende Konstitutionsprinzipien des GG an (BVerfGE 6, 36; 12, 53; 109, 149).
Art. 1 Abs. 1 und 2 GG ist von der Rechtsprechung insbesondere als Auslegungsmaßstab für die folgenden Grundrechtsbestimmungen und für Regelungen in Gesetzen zur Anwendung gebracht worden. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverfassungsgericht zum Beispiel auf die Bedrohung der Menschenwürde durch moderne Entwicklungen in Wissenschaft und Technik (etwa durch Abhörgeräte, Gentechnologie, Datenspeicherung und -übermittlung) reagiert oder festgestellt, dass auch Gefangene im Strafvollzug Anspruch auf menschenwürdige Behandlung haben (BVerfGE 33, 1). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht aufgrund von Art. 1 Abs. 1 GG auch ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (BVerfGE 125, 175).





