Verlogen, dumm und unverschämt

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es ist also nicht nur grundsätzlich so, daß wir dieses niveau der auseinandersetzung mit dem repressionsapparat nicht wollen, sondern im normalfall schadet es uns ganz konkret, wirft uns immer ein stück zurück, politisch, strukturell etc., selbst wenn es gut ginge aus rein militärischer sicht, wenn es also einen willen der gruppe gibt, den der einzelne vermittels seiner politischen identität hier in seinem konkreten handeln verwirklicht, dann kann es nur der sein, alles ihm mögliche zu tun, der konfrontation mit der ganzen list und flexibilität unserer taktik soweit es geht und so gut es geht auszuweichen, wenn das auch durchaus seine grenze hat.
ich möchte das mal an ein paar beispielen verdeutlichen, aus anderen zuvor gelaufenen situationen, die wir gemeinsam besprochen haben, es sind erfahrungen, die in der illegalität ständig oder zumindest nicht nur einmal von jedem gemacht werden.
a. wir fuhren im auto … verkehrskontrolle … aber woran soll man das heutzutage auf die schnelle erkennen … 12-15 bullen mit mp … sie winken uns raus … was jetzt tun … durchstarten: dann gibts zwar sicher ne schießerei, aber die militärischen chancen sind dann größer davonzukommen, als wenn man anhält und mit den papieren doch hängenbleibt … in der unmittelbaren nähe ist ne wohnung gewesen, wenn es ne schießerei gegeben hat, war die sicherlich auf jeden fall hochgegangen mitsamt leuten darin … was tun? – die entscheidung lief letztlich über den faktor wohnung: also anhalten … 5 km/h zu schnell gefahren, mit etwas gequatsche und 20 dm war die Sache erledigt.
b. diese geschichte ist auch im spiegel nachzulesen, man muß sie mit schmunzeln auf den lippen erzählen … also: auf dem weg, wo schleyer angeblich zu seiner arbeit fuhr, sei eines abends von einem kleinbürger, der etwas aufgebracht und aufgehetzt sein mußte, bei der kölner polizei angerufen worden, vor seinem hochhaus stünde ein alpha mit zwei frauen davor, was wohl terroristinnen sein müßten … kölner bullen gleich mit voll einsatz hin … und was haben die frauen entgegen aller »draufknallraster« gemacht? neeein, sie haben »nicht die waffen gezückt«, sondern gleich so zwei jungsche knechte in uniform zum autoreparieren und abschleppen eingespannt … jeder im raum stelle sich die verantwortung vor, die auf ihnen gelastet hat … was wär gewesen, wenn es zu ner schießerei gekommen wäre … dann würd ja möglicherweise schleyer immer noch seinen finsteren machenschaften in den konzernhierarchien und chefetagen imperialistischer macht unbehelligt nachgehen können … das revolutionäre proletariat auf jeden fall hätt diesen fehler der raf nicht so leicht verziehen, eine sünde am proletarischen internationalismus.
daß wir in dieser spezifischen holländischen konstellation den politischen willen der gruppe verwirklicht haben: indem wir den konfrontationszeitpunkt auf dieser ebene so weit wie möglich und vertretbar rausgeschoben haben und damit den politischen willen der gruppe, ihr ziel, zu ihrem ureigensten gemacht haben, steht für mich hier außer frage, aber die konfrontation rauszuschieben, um bessere bedingungen für politisches handeln zu haben, hat nichts mit hadern zu tun oder sich die gesetze des handelns vom gegner aufzwingen zu lassen, es findet seine äußerste und allerletzte grenze da, wo das hadern und nicht-handeln zum selbstmord wird, richtiges politisches militärisches handeln heißt auch, im richtigen moment zu handeln, und dann vor allem umso entschlossener, das ist die lehre, die von der revolution in einem noch viel weitergehenden sinne nutzbar gemacht werden muß.
ich weiß, daß ich bisher nur zu einem kleinen teil gekommen bin von dem, was in diesem prozeß noch zu sagen wäre, doch dies hier ist ein prozeß, der nie aufhört, wie groß der aufwand, uns zu zerstückeln in personen, delikte, selbst in unseren sätzen, wörtern und buchstaben etc. auch sein mag.
– UNSERE SACHE IST BEWAFFNETER PROLETARISCHER INTERNATIONALISMUS IN DER METROPOLE BRD
– UM ES MIT FIDEL ZU SAGEN: DIE GESCHICHTE WIRD UNS FREISPRECHEN
WIR SIND SICHER, DASS WIR SIEGEN WERDEN.
Frankenthal-Bericht
Beschreibung der Sonderhaftbedingungen in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal 1981
1. die allgemeine situation, wie sie für alle gefangenen gilt:
schon aus der luft sieht das ganze aus wie ein modell in der landschaft, 5 oder 6 rechteckige kästen mit einer mauer drumrum, geschlossene blöcke, zugemauerte klotze – erst wenn man näher rankommt, kann man erkennen, daß es vier stockwerke fensterreihen gibt, die aber zu 50 % mit breiten, von oben nach unten verlaufenden betonträgern ohne querverstrebungen verschlossen sind. da alles mit einem durchgehenden einheitsgrau verputzt ist, sieht es so aus, als seien die geschlossenen wände der trakte nur von länglichen, schießschartenartigen luftschächten durchbrochen; direkt davorstehend kann man sich die fabrik vorstellen, in der die fertigbauteile hergestellt werden, wie riesige maschinen rechteckige betonstücke stanzen, aus denen dann die fassade zusammengesetzt wird, schön ein kästchen neben dem andern, eins wie das andre durch sauber verputzte verbindungslinien aneinandergeklebt. »anstaltsfremde besucher« werden von mehreren wächtern empfangen, von denen einer das übliche absonden mit gezogener (wahrscheinlich konsequenterweise auch entsicherter) pistole überwacht, eine rheinland-pfälzische spezialität, laut jumi sei das »weder eine bedrohung noch eine diskriminierung bestimmter besucher oder berufsstände«, sondern diene vielmehr der »fürsorge«, und zwar »der die durchsuchung vornehmenden beamten«. es hat ja schließlich auch noch keinen mcleod gegeben. in den gängen leicht beige abgewiegelte farben, »aufgelockert« von bildern von gefangenen an der wand, in gedämpften farben gehaltene »freizeitprodukte rehabilitierter«, auf die die beamten mit verhaltenem stolz verweisen, sie unausgesprochen als erfolg ihrer arbeit deklarierend; gummibäume in plastikkästen, adrette holztischchen mit roten, blauen und grünen stühlen davor, hübsch schräg versetzt angeordnet in reih und glied im ansonstigen nichts, wahrscheinlich damit es bei besuchen »entkrampft« ist.
die zelle mehr klinisch als knastig, alles auf beruhigung abgemischt, holzboden parkett (den man dann einmal pro woche bohnern darf – fehlt nur noch der gummibaum auf der zelle), wandfarbe nicht grell weiß, sondern gekämpft abgetönt, an der fensterfront helles braun oder mattes ocker. holztischchen (70 x 70 cm), schränkchen, stuhl und übliches einheitsbett, gekachelte, leicht abgeschrägte ecke mit den »sanitären anlagen« neben der tür, über dem waschbecken badezimmerplastikschränkchen mit spiegelschiebetüren. das erste wort, das aus der 8- bis 10-köpfigen wachmannschaft verlautet, ist, daß man mit der gegensprechanlage nicht abhören könne – und dann sieht man sie erst: über der tür der lautsprecher, darunter ein rotes lämpchen, unter dem steht: hören, und ein grünes, unter dem steht: sprechen.
das ritual, das in diesem moment stattfindet, heißt »zellenübergabe«. die wächter gebärden sich feierlich, stolz und als ob man sowas luxuriöses eigentlich nicht verdient hätte, mit verhaltenem ton wird sachlich und ernst auf das mobiliar verwiesen und mit besonderer befriedigung die hiesige spezialität gezeigt: eine vierknöpfige leiste neben der tür, ganz unten licht (»da können sie dann abends früher ausmachen, wenn sie z. b. schon um 8 ins bett gehn wollen«), darüber ein lautstärkeregler fürs radio, mit dem der gewisse hoteleffekt erzeugt werden soll (»damit können sie’s einstellen, wie’s ihnen genehm ist«), dann ein programmwahlknopf (»können sie aus zwei programmen auswählen, wenn ihnen eines nicht zusagt«), und ganz oben die »ruflampe« (»können sie jederzeit drücken und melden, was sie wünschen«) – die totale fürsorge, könnte man meinen, in wirklichkeit die totale inbeschlagnahme und fremdbestimmung, nur indirekter als anderswo, das beginnt gleich mit dem wecken:
nicht um 6:30 oder 7:00 uhr wie in anderen knästen, sondern um 5:30 uhr, und zwar durch aufflackern der neonröhre über dem kopf, wem das und das bereits eine halbe stunde früher einsetzende laute reden auf dem gang, das türenschlagen und muntere pfeifen noch nicht reicht, dem gibt ein schriller, durchdringender, in seiner aufdringlichen »freundlichkeit« umso aggressiverer dreiklangton den rest. dieses frühe, jeden normalen schlafrhythmus zerstörende wecken erzeugt eine den ganzen tag anhaltende latente müdigkeit, die die abwehrkräfte reduzieren und die gefangenen damit verfügbarer machen soll, es ist symptomatischer teil sämtlicher aufeinander abgestimmter maßnahmen des gesamten derart hintergründig und indirekt funktionierenden programms. kurz vor sechs frühstück (was heißt: brot und ungenießbarer milch»kaffee«), zwischen halb sieben und sieben hofgang (was im winter heißt: bei völliger dunkelheit im licht von scheinwerfern), um 11 mittagessen, um 16 uhr abendessen, um 22 uhr licht aus.
den ganzen tag über durchsagen, die man mithören muß: »herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen, herr schladda bidde segs acht eins ahnrufen dringend« (fränkisch mit ansätzen zum übergang ins schwäbische), oder ein aufreizender elektronischer dauerton, dem ein wiederholtes, sicherheit und ordentliches, beamtenhaft wichtiges, alles unter kontrolle habendes, entschieden warnendes und doch seltsam mechanisch tonloses »probealarm probealarm« folgt – eine der lieblingsbeschäftigungen der zentrale hier, fast jeden tag.
mehr noch die funktion, die ständige präsenz der kontrolliertheit und der aufforderung zur einbzw. unterordnung zu demonstrieren, erfüllen die stationsspezifischen und direkt nur in die eigene zelle gelegten durchsagen.
so werden die gefangenen z. b. jeden morgen nach dem frühstück in einer art sachlichem befehlston in überlautstärke aufgefordert: »abfalleimer leeren – abfalleimer leeren: ruflampe drücken« – von der entmündigung und bevormundung mal ganz abgesehen, ist damit die demonstration des ausgeliefertseins beabsichtigt, gerade in diesen anscheinend nebensächlichen kleinigkeiten. gleichzeitig ist damit das »angebot« einer kooperation verbunden, für die, geht der gefangene auf sie ein, »belohnung« winkt (siehe auch literatur zur »behavior modification« in den usa, z. b. das »24-punkte-programm « des dr. schein u. a. in »autonomie«). das erstreckt sich dann natürlich auf alle bereiche des täglichen lebens: einkaufszettel verlangen, einkaufszettel abgeben, hofgang, mittagessen ankündigen, »fertigmachen zur freizeit«, ankündigung von sondervorführungen beim video oder kirche und natürlich immer wieder verkündigung und erläuterung der neuesten »verordnungen« oder »durchführungsbestimmungen«, die in monotonem, aber »belehrendem« ton vorgetragen werden und meist mit »ende der durchsage« enden, besonders deutlich sind die direkten einzeldurchsagen, in denen anwalt, besuch, duschen oder einzelhof angekündigt wird, sämtliche anstehenden einzelfragen erledigt werden, bis hin zur frage, ob man klopapier oder seife braucht, aber auch der monatliche tabakeinkauf oder briefmarkenbestellung.
der grund, warum sowas nicht normal mündlich an der zelle besprochen wird – wie es für eine einzelangelegenheit ja anzunehmen wäre – ist ebenso einfach wie brutal: da der gefangene davon abhängig ist, daß der wächter ihn von seinem »dienstzimmer« aus sprechen läßt – denn der gefangene muß ja im wahrsten sinne des wortes grünes licht erhalten zum sprechen, ist ja nicht wie beim sprechfunk, wo jeder selbst bestimmen kann, wann er redet –, kann der wächter struktur und inhalt des gesprächs bestimmen: gibt es z. b. eine auseinandersetzung über die herausgabe von alten zeitungen oder zu langes wartenlassen auf den hofgang oder sonst irgendwas, dreht der wächter einfach die sprechmöglichkeit ab und redet selbst so lange, bis das thema auf seiner ebene ist oder er gesagt hat, was er sagen wollte, und damit ist ende, ich konnte mal verfolgen, wie sich in der nebenzelle ein gefangener darüber beschwerte, daß er nicht in die »freizeit« durfte (als »strafe« dafür, daß er nachts »zu laut« gewesen war), und je erregter er wurde, desto früher fiel ihm der wächter ins wort und brüllte in seine zelle rein – bis der gefangene fast tobte vor wut und daraufhin (er war in einer dreierzelle) zur »strafe« in eine einzelzelle verlegt wurde. unterwirft sich der gefangene nicht, werden durch solche – und mehr derartige – mittel seine aggressionen geschürt: geraten sie ihm dann außer kontrolle und er schlägt um sich – greift jemanden an oder beschimpft jemanden –, ist das die legitimation für noch härtere maßnahmen: solange, bis sein rückgrat krumm ist.
wichtig ist noch, daß die wächter ihre rolle in diesem programm nicht bewußt spielen – sie sind werkzeuge, bzw. eben »auch nur menschen«, wie mir neulich einer sagte; d. h. es ist natürlich bequemer für sie, hinter dem schaltpult mit einem zu reden, und nicht nur diese möglichkeit, das gespräch bestimmen zu können, sondern auch die ganze atmosphäre dieses »control-unit«, hinter dem sie da sitzen, mit knöpfchen und lämpchen und oft mit videomonitoren, vermittelt jenes gewisse gefühl der partizipation an der macht, mit dem die herrschenden schon seit jeher ihre handlanger und vor allem ausführenden in den untersten rängen geködert haben, und so sind sie im gewissen sinn sogar opfer:
sie können gar nicht mehr normal von mensch zu mensch mit einem reden, können einem z. b. nicht mehr in die augen sehen; und wenn sie mal nicht mehr selbst die frage nach briefumschlägen über gegensprechanlage abwickeln können, um sie dann wortlos auszuhändigen, sondern etwas direkt sagen müssen, dann ist das nur noch etwas amtliches, gerichtsbeschlossenes oder hausordnungsverkündendes, was geradezu rituell anmutend »eröffnet« wird: langzeitfolge einer solchen praxis ist eine mutation: verlust der kommunikationsfähigkeit und ihr ersatz durch elektronik, weil sie nicht mehr gebraucht wird – früher waren es nur die fußzehen, die verkümmerten, als der mensch anfing aufrecht zu gehen – auch schon schade, aber jetzt geht’s an die substanz.
über die funktion des radios und des tv als instrument zur verhinderung eigener gedanken, kreativität oder gar widerstand wäre eine extra analyse zu schreiben, vor allem in hinblick darauf, daß das, was hier läuft – gerade in dieser funktion – nur speerspitze der gesamtgesellschaftlichen funktion der medien ist. das wird da besonders deutlich, wo sich die gefangenen für ihre drei stunden täglich, in denen sie videoaufzeichnungen sehen dürfen – und es gibt nur video, was eine zusätzliche kontroll-, auswahl- und zen-surmöglichkeit ist –, auch noch selbst die dümmsten und systemimmanentesten hollywoodschinken und unterhaltungssendungen aussuchen: es gibt keinen ort der welt, wo diese unwirklichkeit und vorspiegelung falscher tatsachen krasser – und ihre funktion der verdrängung der realittät erfüllender! – hervortritt als im knast.
wenn die gefangenen dann abends nach drei stunden video mit voll-leerem kopf wieder im weißen nichts der realität ihrer zelle stehen, schreien sie ihre unzufriedenheit bis tief in die nacht zum fensterraus.
mit dem radio verhält es sich ähnlich: da macht es die menge aus, die ständige berieselung und einlullung; es gibt zwei programme: auf dem einen sender eine auswahl von musiksendungen verschiedener programme – und zwar nur musik, mein vorschlag, wenigstens auf diesem einen programm sonntagmittag werner höfer reinzumachen, weil ich den auf mittelwelle hier nicht reinkriege, wurde abgelehnt.
spitzenreiter ist das mittwöchliche wunschkonzert aus baden-baden, dessentwegen sogar das radio dann bis 24 uhr angelassen wird und erst nach dem dröhnenden abspielen der nationalhymne um null uhr sechs ausgeschaltet wird: wunschkonzerte erfreuten sich ja bekanntlich bei den nazis als perversion der brechtschen radio-thesen der zweigleisigkeit zum zweck der ablenkung größter beliebtheit.
auf dem anderen sender swf 3, das amerikanischste programm der brd. flott, süffig, glatt, geschliffen, abgeleckte ware, ständig von für sich selbst werbenden spots à la rtl unterbrochen, selbst information und nachrichten als unterhaltung, krimi oder auch nur auflockerung der musiksendungen, wie mit einem glänzend glitzernden schleifchen verpackt, z. b. »pop-shop-infos«: funky-soul-musik.
abblendung auf halbe lautstärke, darüber gesprochen: »die bundesrepublik exportiert: berufsverbote jetzt auch in argentinien. die argentinische regierung verfügte, daß ab sofort keine terroristen mehr in den staatsdienst dürfen«, wieder aufblenden der funky-soulmusik, in einem richtig duften, jungen, lässigen hey-wir-sind-unteruns-anmacher-ton gesprochen, so als ob da einer noch mit den knien wackelt und mit den fingern schnalzt.
man könnte hier den ganzen tag auf dem bett liegen und die dahinsabbernde musik in sich reinlaufen lassen, abends dann noch drei stunden tv (was übrigens auch die letzten reste von gruppenstruktur unter den gefangenen verhindert, weil sie glotzen, anstatt sich zu unterhalten, was auch ein wesentliches merkmal der »behavior modification« ist), und was an aktivitäten zum weiterdahinvegetieren notwendig ist, wird von den wächtern verwaltet:
da bleibt vom »dreckeimer ausleeren« übers »fertigmachen zum mittagessen fassen« bis zur sofortigen wegnahme leerer gläser (damit man sie nicht zum fenster rauswerfen kann) oder selbstgemachter kerzen (damit man wie ein kleines kind auch um 22:00 uhr brav ins bett geht) oder dem verbot, aus der zelle zu treten, wenn man sein hemd nicht in die hose gesteckt hat, nichts eigenes mehr übrig, das ist der normalzustand, der für die gefangenen, die arbeiten, nur noch angepaßter wird, jeweils zu beginn und ende der arbeitszeit und in den pausen ertönt dann auch noch der durchdringende dreiklanggong – als ob man’s nicht auch so merken würde …
diese institutionalisierte behavior modification, diese totale fremdbestimmung und verwaltung der gefangenen (die z. b. auch so weit geht, daß in der hausordnung exakt angegeben ist, wie man sein bett machen soll, wie man den »spint« einrichten soll, wo die bücher, wo die teller etc.; auch der dezente hinweis, daß analphabeten sich ihre anträge und einkaufzettel von den wächtern ausfüllen lassen könnten, fehlt nicht – hab ich alles in noch keinem der sechs anderen gefängnisse gesehen, in denen ich bis jetzt war), die ja auch vorbildlichen mustercharakter hat (hier kommen sie aus allen möglichen gefängnissen, um zu lernen), bedeutet nicht nur die fast völlige bevormundung und entmündigung der gefangenen, sondern zielt direkt auf die zerstörung der persönlichkeit, der selbstachtung und des rückgrats der gefangenen:
nur der angepaßte, opportunistische schleimer kann hier ein einigermaßen ungestörtes leben führen – für die andern ist es die abgestufte hölle: vom entzug der bonbons à la video über verlegung in einzelzellen (vor allem für die jugendlichen schlimm) bis hin zum bunker: das sind die stationen für die, die nicht mitmachen (und was für die läuft, die am meisten widerstand leisten und bei denen das programm nicht funktioniert, kommt dann noch an meinem beispiel …).
symptomatisch für die wirkung dieses programms auf die gefangenen – gerade im unterschied zu ändern knästen, die noch nicht so weit sind, ist, wie sie abends am fenster schreien- daß geschrien wird, ist normal, nur wo in anderen gefängnissen die gefangenen noch tierische urschreie von sich geben, wie verletzte stiere brüllen, röhrend strotzende kraft (soundsoviel psychiater verdienen sich dumm und dusslig daran, den leuten beizubringen, überhaupt wieder so brüllen zu können, wie es für die meisten gefangenen eine ganz natürliche form der erleichterung und kommunikation ist, die auch kraft gibt), da ist hier auch diese quelle eigener selbstbestätigung bereits angegriffen: die gefangenen machen eine rückentwicklung zum kleinkind durch, schreien nicht, sondern wimmern wie babys, jaulen wie hunde (überhaupt die tiergeräusche – bis jetzt habe ich erst einmal einen immer muhen hören, sonst nie tiergeräusche – diese identifikation mit hunden ist natürlich bezeichnender, als man es mit worten beschreiben könnte!) oder geben stammelndes anal- und fäkalgelalle von sich, und wo andre noch nach »fotzen« und »löchern« schrien, kann man hier nur noch ab und zu was von »arschficken« hören, was aber auch schon das höchste der gefühle ist: von »scheiße«, »nieder mit den schweinen«, »macht sie fertig« oder »bambule«, die sonst geläufig sind, hab ich hier noch nichts gehört.
2. die besondere station, auf der ich bin:
aber das ist – wie gesagt – alles noch erst der »normalzustand«. die station, auf der ich bin, ist davon nochmal eine steigerung, suizidstation, »beobachtungsstation« für neuzugänge – laut anstaltsleitung ist hier außer mir keiner länger als 3-7 tage, von jugendlichen und »besonderen fällen« abgesehen –, die gefangenen am fenster nennen diesen trakt »verrücktenstation«, womit offensichtlich sowohl die gefangenen als auch die wachmannschaft gemeint sind, bereits im stockwerk drüber sei wieder »alles normal«, aber wie auch der »offizielle« name schon sagt, zeichnet sich diese station zunächst mal durch eine im vergleich zu andern stationen potenzierte überwachung aus. mehrmals stündlich – wobei sie aber nicht mal jedesmal extra kommen müssen, sondern auf den gängen sind und sozusagen nur noch nebenher immer mal wieder reinschauen müssen –, vor allem aber auch nachts, z. b. in der ersten stunde nach dem licht aus zwischen 22 und 23 uhr alle 15 minuten ein kontrollgang mit ausgiebigem reinglotzen in alle zellen, was ich bis auf eine zeitweilige spezialmaßnahme gegen uns noch nie erlebt habe, als »normalzustand« und dann auch noch für alle; meist – und auch auf den anderen stationen hier – findet nämlich außer 1-2 stichproben nichts derartiges statt; das andere hauptmerkmal dieser station ist aber die besondere wachmannschaft, es gibt überall unter 10 bewachern einen neurotiker, der versucht zu schikanieren, sich autoritär aufführt, sich wichtig macht, razzien besonders scharf macht, um einem was anzuhängen usw. usw., eben seine zerstörte persönlichkeitsstrukur innerhalb seines machtbereichs austobt.
im allgemeinen sind solche typen noch zu verkraften, wenn die anderen einigermaßen umgänglich sind und sich zurückhalten, weil sie selbst ihre ruhe haben wollen; hier besteht die gesamte, schichtweise rotierende mannschaft nur aus lauter solchen »einen«, solche sind dann nicht nur in der lage, so eine dauerüberwachung durchzuziehen (das kotzt den normalen wächter nämlich auch an, das weiß ich authentisch), sondern sie machen es auch noch mit hingabe und vergnügen, woran man auch sehen kann, daß sie aus »dienstlichen notwendigkeiten« gezielt ausgewählt wurden.
solche »nachgemachten menschen«, wie knut mal sagte, werden ihrer besonders verantwortungsvollen aufgabe aber vor allem dadurch gerecht, daß sie die gefangenen nur noch in demütigendem und autoritärem ton anbrüllen, »zurechtweisen« oder belehren, im besten falle die jugendlichen in jugendheimleiterlicher, jovial-altväterlicher strenge ansprechen: »na, ihr buben«, leise stimmbrüchige proteste, die nicht genau zu verstehen sind, »was, männer wollt ihr schon sein, na da müsst ihr aber erst noch wachsen« – normal, soweit man davon überhaupt reden kann, können sie aufgrund ihrer mutation überhaupt nicht mehr, deswegen wird es so verquer, wenn sie trotzdem reden müssen: als ich mich mal über den ton beschwerte, wunderten sie sich ernsthaft, was ich meinte, und verstanden es überhaupt nicht, weil sie es normal finden; auf meinen hinweis, daß ich das mir gegenüber verbitte, reagierten sie dann zum teil in einer überzogenen, extra künstlich betont aufgesetzten freundlichkeit – ich kam mir vor wie in der volksschule.
damit man sich aber auch wirklich sozusagen »sinnlich« vorstellen kann, welche umgangsformen hier die ständige spannung auf einem nicht nachlassenden high-level ausdrücken (oder mitverursachen, das läßt sich kaum auseinanderhalten), muß ich noch ein paar wörtliche beispiele des alltagsbringen, selbstverständlichkeiten – für die wächter –, wie ich sie jeden tag zu hören gezwungen bin, weil ich gegenüber des »dienstzimmers« bin; sie sind zwar nicht charakteristisch für den ton mir gegenüber (manche ham’s am anfang auch bei mir so versucht, aber, bezeichnend für die ausgangslage mir gegenüber, sich diesen ton verkneifen müssen – ausgerechnet so einem terroristen gegenüber), aber allgemein wichtig, denn das ist nicht der normale ton (und die struktur), sondern ausdruck der methode, mit der gefangene, die nicht funktionieren, für den angepaßten »normalvollzug« weichgeklopft werden sollen: