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„Darf ich vorstellen?“, begann Toni, „Signor Giovanni Botazzo sowie der ehrenwerte Andrea Botazzo, beide gehören dem Belaqua Clan an. Sie sind in Dutzenden Firmen als Geschäftsführer eingetragen, und es gilt als offenes Geheimnis, dass sie exklusiv für Giancarlo Maria Belaqua arbeiten. Man ist ihnen schon seit Jahren auf den Fersen, aber beide sind blütenweiß, selbst die Steuerbehörde hat nichts finden können. Ich schlage vor, wir überspringen die zwei und konzentrieren uns auf das Oberhaupt der Familie, Giancarlo Belaqua.“
Marco schaute John an.
„Wir haben schon darüber diskutiert. Wenn wir uns an die zwei Strohmänner heranmachen, wirbeln wir jede Menge Staub auf, wir müssten einen von beiden entführen und verhören, damit wir einen Schritt weiterkommen. Dann haben wir immer noch eine 50-prozentige Chance, dass wir den Falschen erwischt haben – und im schlimmsten Fall wissen wir danach nicht mehr als vorher. Wer sicher etwas weiß über die Hintergründe, ist immer der Kopf der Familie.“
John versuchte, das Gehörte zu verarbeiten.
„Leute, mir sitzt die Polizei im Nacken, keine Ahnung, wie lange ich hier noch frei herumlaufen kann, für die ist der Fall längst geklärt. Je schneller wir Antworten bekommen, umso besser, dann können wir der Polizei einen neuen Verdächtigen liefern oder wenigstens neue Indizien“, sagte John.
John musste an seine Familie denken und bleierne Schwere befiel ihn.
Toni, der aufmerksam zugehört und die Gemütsveränderung bei John bemerkt hatte, legte die Arme auf den Tisch, wobei jede Menge Tätowierungen zum Vorschein kamen, und sprach ruhig und sachlich wie ein Profi.
„Lass den Kopf nicht hängen, wir helfen dir. Das heißt, wir schnappen uns Giancarlo!“
Alle nickten. John fühlte sich unwohl in seiner Haut und hatte das Empfinden, sein altes Leben endgültig hinter sich zu lassen.
Er hatte keinen Grund mehr, so weiterzumachen wie bisher, alles, wofür er gelebt hatte, war weg. Seine Familie, sein einziger, wirklicher Lebensinhalt war ihm genommen worden, sein Sohn, sein Erbe und der Mensch, für den er alles aufgebaut hatte, war nicht mehr auf dieser Welt. Seine Frau, die ihn immer wieder aufs Neue begeistert hatte mit ihren Ideen und ihrer erfrischenden Sichtweise selbst auf Alltäglichkeiten, würde ihn nicht mehr inspirieren können.
John spürte, dass die beiden anderen ihn beobachteten und eine Entscheidung erwarteten. Schließlich war er es, der ihre Hilfe benötigte, und wenn Marco und Toni den nächsten Schritt unternahmen, war klar, man begab sich in die Dunkelheit und verließ den Pfad ehrlicher Bürger.
Beide würden nicht zögern, zu foltern oder zu töten, beide waren schon häufig in Situationen gewesen, in die normale Menschen niemals kommen würden. Marco und Toni waren sich darüber im Klaren, dass es von jetzt an keinen Weg zurück geben würde. John kam aus einer anderen Welt, ohne Gewalt, ohne Mord und ohne die Gefahr, täglich sein Leben aufs Spiel zu setzen. Alle drei würden zu gesuchten Verbrechern, und nicht nur die Polizei würde sie jagen – das gesamte organisierte Verbrechen von New York würde sich an ihre Fersen heften. Für John begann mit dieser Entscheidung ein neuer Abschnitt seines Lebens, ein dunkler Teil, er wusste, es gab von nun an kein Zurück mehr. Konnte er von seinen beiden Freunden verlangen, diesen Weg mitzugehen?
„Ich weiß das wirklich sehr zu schätzten, was ihr für mich tun wollt. Ich kann euch da aber nicht mit reinziehen. Wenn was schiefgeht und ihr geschnappt werdet, könnte ich mir das nicht verzeihen. Sorry, Jungs, aber ich muss das allein durchziehen!“
Toni und Marco schienen sichtlich überrascht.
„Mach dir mal keine Sorgen um uns, wenn es hart auf hart geht, laufen wir erst zu Höchstform auf. Du weißt, when the going gets tough, the tough get going. Und falls wider Erwarten etwas nicht funktionieren sollte: Wir sind für solche Fälle bestens vorbereitet. Berufsbegleitende Vorsicht.“
John stellte sich vor die Leinwand und sagte: „Vielen Dank, es bedeutet mir sehr viel, ich weiß gerade wirklich nicht, wo mir der Kopf steht, ohne Hilfe bin ich verloren, fürchte ich. Wie gehen wir vor, habt ihr euch da auch schon was ausgedacht?“
„Die Jagd kann beginnen, noch heute Abend legen wir los! Wir müssen unseren Freund nur noch ein paar Tage beobachten, dann schlagen wir zu!“
John ging auf die beiden zu und schloss sie kurzerhand in seine Arme.
Kurz darauf servierte Marco mit einem zufriedenen Lächeln die Panna cotta mit Himbeerpüree und stellte wortlos eine Flasche Grappa auf den Tisch.
Der Kontakt, New York, Frühling 2015
Die finanziellen Sorgen ließen Ronald an diesem Morgen früher als gewöhnlich aufstehen: Er hatte schlecht geschlafen und schlecht geträumt. Seine letzte große Hoffnung war der Kontaktmann in die Unterwelt. Den Anruf wollte er auf keinen Fall verpassen, und so saß er bereits gegen neun Uhr an seinem Schreibtisch.
Seine Assistentin, die ihm gewöhnlich gegen zehn den ersten Kaffee ins Büro brachte, war so überrascht, ihn um diese Uhrzeit am Schreibtisch zu sehen, dass sie vergaß, ihren Lippenstift frisch nachzuziehen und die ersten zwei Knöpfe an ihrer Bluse zu öffnen. Man sah ihr die Verwunderung an.
„Sir, habe ich einen Termin übersehen?“
Ronald blickte amüsiert auf. „Nein, Christine, ich wollte nur ein paar alte Aufträge durchgehen und mir die letzten Stadtratsbeschlüsse durchlesen. Vielleicht geben die Idioten ja noch nach und wir dürfen höher bauen.“
Christine schien erleichtert, dass ihr kein Versäumnis unterlaufen war und fing an, die beiden Knöpfe ihrer Bluse zu öffnen, was Ronald sehr genoss. Sie wusste aus Erfahrung, dass Verfehlungen bei Assistentinnen nicht ohne Folgen blieben. Sie hatte den Job erst seit einem Jahr und stellte damit einen einsamen Rekord auf. Normal waren wenige Monate, bevor man wegen Belanglosigkeiten rausflog. Dieser Umstand war bekannt und machte den wenigsten etwas aus, da man keine bessere Referenz haben konnte, als private Assistentin von Ronald Grump gewesen zu sein. Sie waren auf dem Markt für Assistentinnen gesucht, jeder wusste, dass Ronald nur Models einstellte, deren IQ über 120 lag und die über Körpermaße verfügten, die Hugh Hefner in Ekstase versetzten würden. Seine Nähe zu den Miss-Wahlen sorgte stets für ausreichend Nachschub und Abwechslung.
„Ach, bitte sagen Sie meinem Junior, er soll bis elf Uhr hier sein.“
Christine nickte und fragte: „Darf ich etwas ausrichten?“
Das Bild von Ronald Grump junior tauchte in ihr auf, ein gutaussehender Mann Ende 30, viel liebenswürdiger als der Vater, jedoch unerreichbar für sie. Ach, wie gern hätte sie sich ihm hingegeben, wusste aber, dass er in einer anderen Liga spielte. Ein Grump würde sich niemals mit dem Personal einlassen.
In dem Moment klingelte das Telefon. Ronald machte eine wedelnde Handbewegung, die so viel bedeutete wie „Hinaus mit dir!“ und nahm den Hörer ab.
Es meldete sich die kratzige Stimme von gestern.
„Ein Treffen, heute, 16 Uhr, Central Park, die gleiche Bank wie immer.“ Damit war die Verbindung beendet.
„Gut“, dachte sich Ronald, „sie haben etwas für mich, wenn daraus ein großes Projekt entstünde, könnte ich auf jeden Fall weitermachen, Verlustvorträge, neue Kredite und neue Partner.“ Er lächelte, seine Sorgen begannen sich zu verflüchtigen, bald würde er auch wieder gut schlafen. Vielleicht könnte er die alten Schulden begleichen und sogar noch etwas für sich und seine Familie auf die Seite schaffen. Der Tag schien besser zu werden, als er erhofft hatte.
Gegen 11:30 Uhr kam sein ältester Sohn Ronald junior in sein Büro. Er hatte ein gebräuntes Gesicht, eine sportliche Figur und trug einen Anzug von Armani. Auf eine Krawatte verzichtete er und gewann damit jenes joviale Auftreten, das ihm die Damenwelt zu Füßen liegen ließ.
„Dad, was kann ich für dich tun?“ Ohne lange Umschweife hockte er sich halb auf die Schreibtischkante, halb wandte er sich seinem Vater zu.
„Du weißt, dass ich bei bestimmten Geschäften nur auf die Familie vertraue. Aus diesem Grund möchte ich dich um einen Gefallen bitten. Geh heute um 16 Uhr in den Central Park. Du wirst dort einen Kontaktmann treffen, der uns ein Angebot übermitteln wird. Nichts Schriftliches, also pass gut auf, unser finanzielles Überleben hängt von dem Treffen ab. Sag denen, sie bekommen morgen Antwort auf dem üblichen Weg. Wir treffen uns danach hier im Büro. Ich warte auf dich!“
Ronald junior wirkte nicht sonderlich überrascht, da er schon häufiger den Mittelsmann gespielt hatte. Die Vorteile lagen auf der Hand. Kein direkter Kontakt zwischen den Parteien, und als Sohn konnte er immer leugnen: Familienmitglieder ersten Grades konnten nicht zur Aussage gegen Angehörige gezwungen werden.
„Okay, Dad, dann bis später“, sagte Ronald junior, bediente sich herzhaft aus der Schale mit den Marshmallows auf dem Schreibtisch und verließ das Büro.
Er war froh, wieder etwas für den alten Herrn erledigen zu können, seine Frau und ihre Wünsche trieben ihn fast in den Wahnsinn. Aus diesem Grund war er mit seinen zwei besten Freunden zumeist abends allein unterwegs. Man traf sich in privaten Häusern, bestellte exklusive und sehr diskrete Escort-Damen, nahm die ein oder andere Nase voll Kokain und verabredete sich zu Männerurlauben.
Jetzt hatte er das Gefühl, endlich einmal wieder gebraucht zu werden. Er wollte gern mehr Verantwortung im Familiengeschäft. Vater testete ihn und seine Fähigkeiten. Er würde ihn nicht enttäuschen. Er nahm wie jedes Mal den East Drive bis zum South Gate House und ging die letzten Meter zu Fuß. 30 Minuten vor 16 Uhr traf Ronald Grump junior an der Parkbank im Central Park ein, von der man einen wunderbaren Blick auf das Jacqueline Kennedy Onassis Reservoir hatte. Obwohl ihn normalerweise Naturschönheiten nicht näher berührten, strahlte dieser Ort eine gewisse Ruhe und Weite aus.
Unvermittelt wurde er aus seinen Gedanken gerissen, als sich ein älterer Mann neben ihn setzte. Sie schauten sich nicht an, der Mann nahm eine Zeitung, schlug sie auf und begann zu lesen.
„Ich hätte zwei Grundstücke für Ihren Vater, sie grenzen direkt an Ihr bestehendes Gebäude in der Baker Street an. Um bauen zu können, benötigt man noch zwei weitere Grundstücke, an denen sind wir bereits dran. Wenn Ihr Vater Interesse hat, soll er mir auf dem üblichen Weg Bescheid geben, dann besorgen wir ihm die fehlenden Grundstücke. Charmant ist, dass man dort in die Höhe bauen dürfte, aktuell nur 30 Stockwerke, aber wir haben unsere Verbindung zum Stadtrat. 60 sollten am Ende kein Problem sein.“ Ronald junior schaute auf seine Uhr.
„Zu welchen Konditionen können wir die vier Grundstücke erwerben?“
Der ältere Mann tat so, als ob er weiterlesen würde.
„Etwas teurer als normalerweise, da wir das offizielle Ausschreibungsverfahren noch zu unseren Gunsten gestalten müssen, das kostet … Und weil wir für die Räumung der letzten zwei Gebäude Spezialisten von der Westküste einfliegen müssen, um keine Spuren zu hinterlassen.“
Jetzt konnte Ronald junior nicht anders und drehte den Kopf zu dem Mann hinüber, er erkannte Giancarlo Maria Belaqua.
„Wie viel teurer?“, fragte Ronald junior.
„Zehn Prozent“, war die knappe Antwort. Der Mann stand auf, faltete seine Zeitung in aller Ruhe zusammen und ging.
Zurück im Büro seines Vaters beendete dieser sofort sein Meeting und ging in die Lounge-Ecke des Arbeitsraums. Er goss sich und Ronald junior einen großen Whiskey ein und setzte sich an die vordere Kante des Sessels. Das ganze Verhalten seines Vaters signalisierte Junior, dass es wirklich wichtig sein musste. Er genoss den Augenblick, nahm den angebotenen Drink dankend an, setzte sich und begann zu erzählen.
Nachdem er von den speziellen Konditionen berichtet hatte, fragte Ronald Grump senior nach: „Wenn er von Räumung spricht und Spezialisten einfliegen lassen will, klingt das nach einer Menge Ärger. Hat er was zum zeitlichen Verlauf gesagt? Ab wann könnten wir loslegen und wenigstens die Verträge aufsetzen? Dann und erst dann fließt das Geld, und wir können die steuerlichen Dinge zu unseren Gunsten beeinflussen.“
Junior sah seinen Vater überrascht an.
„Darüber haben wir nicht gesprochen, ich denke, du solltest ihn das direkt fragen. Was meinte er, als er zehn Prozent mehr sagte? Wie viel Prozent müssen wir denn zahlen?“
Ronald schaute nicht auf. „Üblich ist: 50 Prozent aller Aufträge gehen an die einschlägigen Firmen, die natürlich weit über Marktpreisen abrechnen. Dann kommen noch Bargeldtransaktionen für die Gewerkschaft dazu, und wir zahlen das Doppelte für die Grundstücke, als sie eigentlich wert sind. Dafür bekommen wir die Garantie, in die Höhe bauen zu dürfen, wobei wir schon gut verdienen werden. Wir können von legalen Firmen die Grundstücke erwerben, das ist sehr wichtig für uns, so bleibt die Marke Grump sauber. Über die Steuer- und Verlustvorträge gelingt es uns, mindestens für fünf Jahre weiterexistieren zu können. Ohne dieses Projekt ist das Fortbestehen unserer ganzen Holding gefährdet.“
Ronald junior sah seinen Vater erschrocken an. „Du hast nie angedeutet, wie schlecht es um die Firma bestellt ist. Wer weiß sonst davon?“
Mit einem Mal sprang Ronald Grump auf und schrie. „Nur ich und unser Buchhaltungsleiter wissen Bescheid, und das muss so bleiben. Ich schaffe es auch aus dieser Krise wieder heraus, allein, und jetzt verschwinde!“
Der plötzliche Ausbruch wirkte verstörend auf seinen Sohn, anderseits kannte er das schon bei seinem Vater. Er ging wortlos aus dem Büro.
Ronald schaute seinem Sohn hinterher. Ein guter Junge, aber viel zu verweichlicht. Er traute ihm, aber er wollte ihn noch nicht in die dunkle Seite seiner Geschäfte einführen, dafür war er noch nicht reif. Er selbst hatte viele Jahre für seinen Vater arbeiten, die ganzen Drecksjobs machen müssen, aber das Geschäft verstanden hatte er erst in den letzten Jahren seiner Lehre. Das war die Zeit, in der ihn sein Vater mit der Mafia bekannt machte.
In dieser Nacht schlief Ronald schon wesentlich besser. Er konnte förmlich spüren, wie sich alles zum Guten wendete.
Am nächsten Morgen im Büro klingelte das Telefon, und die bekannte, krächzende Stimme meldete sich.
„Mein Freund, wie haben Sie sich entschieden?“
Ronald ließ einige Zeit verstreichen, ehe er antwortete.
„Das Angebot ist gut, und die Sonderkonditionen sind akzeptabel. Was ich brauche, ist ein schneller Deal. In spätestens vier Wochen muss alles unter Dach und Fach sein. Die Verträge müssen bis dahin unterschriftsreif sein, das beinhaltet die Genehmigungen des Stadtrats und der Baubehörde.“
Diesmal war längeres Schweigen an dem anderen Ende der Leitung.
„Gut, wir bekommen das hin. Die Verträge unterzeichnen wir in zehn Tagen, beim selben Notar wie immer.“
Damit war die Verbindung beendet. Man hatte sich geeinigt. Ronald konnte die Erleichterung körperlich spüren, ein riesiger Druck fiel von ihm ab. Kurz dachte er daran, seine Geliebte spontan zu besuchen, entschied sich dann aber dagegen. Er wollte zuerst mit der Familie feiern und sich danach verwöhnen lassen, so war es richtig.
Er hatte wieder einmal Glück im Geschäft gehabt. Durch eine erfreuliche Wendung konnte er die finanziellen Probleme beseitigen und sich gleichzeitig ein Denkmal errichten. Niemand in der Stadt besaß zwei Wolkenkratzer. Sichtlich zufrieden ging Ronald zu dem Buffet, das eigens für ihn mittags angerichtet wurde. Er bediente sich bei den Chickenwings und nahm sich zwei Cheeseburger, die extra für ihn bei einer Fast-Food-Kette bestellt worden waren. Er liebte den Geschmack von allem in Öl Frittiertem.
Die Beschattung, New York, Sommer 2015
Marco erklärte den Plan noch einmal, den sie sich zurechtgelegt hatten. Zum einen wollten sie ein letztes Mal alles durchgehen, um Fehler zu vermeiden, zum anderen gab ihnen die Zusammenfassung die nötige Sicherheit für ihr Unterfangen. Sie wollten sich tatsächlich mit einem Paten aus der New Yorker Unterwelt anlegen.
John fühlte sich allein schon bei dem Gedanken unwohl, in diese Welt einzutauchen.
Aufgrund Tonis gründlicher Recherche kannten sie viele Details über Giancarlo Belaqua.
John war verwundert, über welche Fähigkeiten und Zugriffsmöglichkeiten auf streng geheime Unterlagen Toni verfügte. Da waren Regierungsbehörden wie ein offenes Buch, selbst Steuerunterlagen waren einsehbar, und Daten aus den Archiven des FBI wurden wie von Zauberhand auf den Beamer gezaubert. Es wurde mit militärischer Spionagetechnik gearbeitet, das wurde schnell klar. John fragte nicht, woher die ganze Technik stammte, war allerdings tief beeindruckt. Als IT-Spezialist konnte er sich ausmalen, welche Datenmengen durchsucht werden mussten, um in der Kürze solch ein Exposé zusammenzustellen.
Zuerst erschien das Foto des Mafiabosses Belaqua an der Wand. Ein älterer Mann Ende 60; graue Haare, eisgraue Augen und eine spitze, falkenähnliche Nase kennzeichneten das Gesicht. Als Nächstes wurde ein Organisationsdiagramm projiziert.
Ganz oben erschien erneut das Bild von Belaqua, in einem gesonderten Kreis unter der Überschrift „Familie“ wurde das Foto einer älteren Dame eingeblendet: seine Frau Maria. Dann die Kinder Francesca und Matteo. In einem weiteren Kreis erschienen die Bilder der Mafiafamilie. Auf Ebene drei waren die bereits bekannten Fotos der beiden Geschäftsführer von Bridgewater and Partner zu sehen, Giovanni und Andrea Botazzo. Oben in der Ecke wurde ersichtlich, dass dieses Dokument eindeutig aus einer FBI-Akte stammen musste. Das Emblem des FBI war klar zu erkennen, und der Schriftzug „Confidential“ lief quer über die ganze Seite. Auf der nächsten Ebene wurden die Firmen und Beteiligungen eingeblendet, die dem Clan zugerechnet wurden. Bridgewater tauchte wieder auf, aber auch eine ganze Reihe von weiteren Firmennamen, darunter viele Baufirmen, Transportgeschäfte, Spielhallen und Restaurants. Einige Namen erkannte John wieder, zumindest waren ihm die Aufschriften auf den Baustellenfahrzeugen bekannt. Die Seite verschwand von der Leinwand, und eine neue Projektion begann, wieder war das FBI-Logo zu erkennen. „Gewohnheiten“ stand als Überschrift in der Mitte.
Toni ergänzte: „Wir sollten das noch mal überprüfen, die Informationen scheinen schon einige Monate alt zu sein, aber ich denke, wir können uns damit viel Aufwand bei der Beschattung ersparen. Trotzdem sollten wir uns sicher sein und die Orte überprüfen.“
Es erschien ein Tagesablauf und daneben ein Wochenplan mit Angabe von Ort und Personen.
Montag, 09:00 Uhr: Friseur, The Barber, 387 Atlantic Avenue.
Montag, 11:30 Uhr: Hillstone Restaurant, 888 Third Avenue.
Montag, 13:30 Uhr: Grump Golf Links at Ferry Point, 500 Hutchinson River Parkway, Bronx.
Montag, 17:30 Uhr: Ankunft Wohnhaus.
In dieser Art setzte sich der Tagesplan über die ganze Woche fort, man konnte detailliert nachvollziehen, wann und wo sich Mr. Belaqua regelmäßig aufhielt, und es war schnell ersichtlich, dass der Mann eine Vorliebe für Golf hatte. Drei Mal die Woche stand Golf im Kalender. Belaqua musste über lange Zeit von der Regierung überwacht worden sein, anders waren all die Details nicht zu erklären. Die Frage, die sich John stellte: Warum lief dieser Mann noch frei herum? Hatte das Material nicht ausgereicht? War man immer noch an Belaqua dran, und was würde passieren, wenn er und seine beiden Freunde nun Belaqua beschatteten? Im schlimmsten Fall tauchten sie selbst in den Datenbanken auf und wurden in Beziehung zur Mafia gesetzt. Man musste höllisch aufpassen, so viel war klar. Es folgte eine Seite mit Besonderheiten, hier wurde eine Reihe von Aktivitäten gezeigt, die von der Wochenroutine abwichen. Eine kurze Liste erschien auf der Leinwand. Geliebte, Jacqueline de Santos Brooklyn, 58th Street, Etage 4, stand als erster Eintrag ganz oben. Treffen ein bis zwei Mal die Woche, unregelmäßig, zwei bis drei Stunden lang. Als Nächstes zeigte der Beamer einige Events, bei denen Belaqua aufgetaucht oder selbst Gastgeber gewesen war. Hunderennen, Boxkämpfe, Opernbesuche und diverse andere Veranstaltungen in Museen und Ausstellungen standen auf der Liste. Auffällig war, dass er nie von seiner Frau begleitet wurde und stets von den zwei selben Sicherheitsleuten bewacht wurde. Beide kamen aus Sizilien und waren Brüder, die über etliche Verbindungen ebenfalls dem Belaqua-Clan zugerechnet werden konnten. Sie kamen aus dem gleichen Ort wie Belaqua selbst.
„Wie gehen wir jetzt vor?“, fragte John.
„Wir teilen uns auf, und jeder übernimmt eine Position. Ich schaue mir das Haus und wenn möglich die Wohnung der Geliebten an, du, John, den Golfplatz, und Toni übernimmt das Restaurant“, sagte Marco.
„Okay, und dann treffen wir uns wieder hier und entscheiden, wie wir weiter vorgehen.“
Die drei Männer nickten stumm und gaben sich die Hand, um den Beginn ihrer gemeinsamen Jagd nach den Hintermännern des Verbrechens zu besiegeln.
Ein Zeichen, das John mit großer Genugtuung erfüllte. Er war nicht allein.
Marco begann zu kochen, heute sollte es Scaloppine di vitello al pistacchio geben.
Toni packte seine Technik zusammen und ging nach oben, während John hingebungsvoll die Schnitzel klopfte.
Draußen war es kühl, und ein leichter Regen hatte eingesetzt. Keiner von ihnen bemerkte das Polizeifahrzeug, das zivil getarnt vor ihrem Haus stand.
Die Kampagne, Sommer 2015
Als Ronald von dem Treffen auf dem See zurück in sein Hotelzimmer fuhr, hatte er ein unglaublich gutes Gefühl. Die Schmach und die Peinlichkeit des Dinners mit dem amtierenden Präsidenten waren fast vergessen.
Neue Möglichkeiten taten sich auf. Wieder einmal war durch eine glückliche Wendung in seinem Leben, das bereits voller Wendungen war, alles besser gekommen, als er es sich erträumt hatte. Zuversicht breitete sich in ihm aus, Vorfreude. Man hatte ihn wissen lassen, dass er in den nächsten Tagen in New York kontaktiert werden würde. Die notwendigen Details würden zu gegebener Zeit besprochen, die nächsten Schritte abgestimmt. Genauso kam es.
Er war mitten in einem Meeting, bei dem es um das neue große Projekt – er nannte es „Grump Tower 2“ – ging, als seine attraktive Assistentin hereinkam und ihm ins Ohr flüsterte. Ein Mann sei an der Rezeption, der sich auf keinen Fall abweisen lassen wollte. Er verlangte, sofort mit ihm persönlich zu sprechen. Das allein war nicht ungewöhnlich, doch die kleine Nachricht, die er mitgegeben hatte, auf der nur „Burke Lake“ stand, veranlasste Ronald, das Meeting zu beenden und den Gast zu empfangen.
Ein mittelgroß gewachsener Mann mit Bart und legerer Kleidung betrat, begleitet von seiner Assistentin, das Büro. Ronald musste laut lachen, als er den Besucher sah.
Er kannte ihn bereits seit vielen Jahren, sie hatten oft die Bekanntschaft gemacht. Nie aus einem speziellen Anlass, aber man kannte sich und war sich auf keinen Fall abgeneigt. Umso überraschender kam es für Ronald, dass er ein ihm vertrautes Gesicht als Kontaktmann zu dieser ominösen Organisation vor sich hatte: Steve Bacon.
Steve kam aus Norfork, Virginia, und machte auf Ronald einen sehr aufgeweckten Eindruck, ein vor Energie strotzender Mann, der wusste, wie man Dinge anging. Er hatte eine lange Karriere als politischer Aktivist des rechten Flügels in Amerika hinter sich. Er war als Chef der Meinungs- und Nachrichten-Webseite Brightdark News Network bekannt geworden. Privat hatten beide Männer ähnliche Wege beschritten und viele Ehen hinter sich gebracht, was zumindest darin gipfelte, ähnliche Ansichten über das weibliche Geschlecht zu haben.
„Nun Steve, was kann ich für Sie tun?“, begann Ronald das Gespräch.
Steve setzte sich in die Lounge-Ecke. „Ronald, es freut mich, dass Sie sich entschieden haben, mit uns zusammenzuarbeiten. Ich bin ab sofort Ihr persönlicher Berater und zuständig für Ihre Kampagne für die Präsidentschaftswahl 2016. Ich repräsentiere die Organisation. Wir haben es uns zum Ziel gesetzt, Amerika größer und stärker zu machen als jemals zuvor, wir werden es den Chinesen und Europäern noch einmal so richtig zeigen, und wir werden Amerika wieder zu alter Stärke führen. Wir arbeiten an diesem Plan seit vielen Jahren, wir haben unbegrenzte finanzielle Mittel, wir haben eine klare Vision von Führerschaft. Was uns gefehlt hat, war ein geeigneter Kandidat, mit dem man diese Ziele erreichen kann. Ronald, dieser Kandidat sind Sie. Mit Ihnen als zukünftigem Präsidenten können wir Amerika als Supermacht über die gesamte Welt neu erfinden und auf Jahre hinaus festigen.“




