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„Mein lieber Sohn“ – so beginnt der Brief. Nephele muss einen Würgereiz unterdrücken. Sie bringt es nicht über sich, weiterzulesen. Sie lässt den Zettel sinken und schließt die Augen. Fast siebzehn Jahre lang hat sie diesen Teil ihrer Geschichte aus ihrem Leben verbannt. Hat sich eingeredet, dass sie ihn hinter sich lassen kann. Sie müsse nur vergessen und so tun, als sei es niemals geschehen – dann würde es schon gehen, hat sie sich immer wieder gesagt.
Die Stimme ihres Sohnes reißt sie aus ihrer Schockstarre. „Es stimmt also. Er ist gar nicht tot“, stellt er tonlos fest.
Nephele nimmt all ihren Mut zusammen und blickt ihrem Sohn ins Gesicht. Einen Moment lang scheinen beide darüber erschrocken zu sein, wie betroffen der jeweils andere aussieht. Nephele sieht, dass aus Ilias‘ Gesicht alles Kindliche verschwunden ist. Seine Wangen wirken hohl und sein Blick abgeklärt, als hätte er mit einem Mal den naiven Kinderglauben verloren, dass die Erwachsenen letztendlich doch wissen, was richtig ist, und man ihnen im Zweifelsfall vertrauen kann. Ilias dagegen hat seine Mutter, die er nur voller Tatendrang und Selbstbewusstsein kennt, noch nie so schwach und verletzlich erlebt. Aschfahl ist ihr Gesicht geworden und in ihren Augen meint er einen Moment lang Furcht zu erkennen. Kurz darauf ist der Ausdruck wieder verschwunden.
Mühsam reißt sich Nephele zusammen. Mit krächzender Stimme antwortet sie: „Nein, er ist nicht tot“, gibt sie zu. Ich wollte, er wäre es, ergänzt sie im Stillen.
„Warum hast du das immer behauptet?“, fragt Ilias gepresst. „Warum hast du mir nicht die Wahrheit gesagt?“
Nephele sieht, wie ihrem Sohn Tränen in die Augen steigen. Ilias dagegen scheint es nicht einmal zu bemerken. Obwohl er schon seit Jahren nicht mehr geweint hat – jedenfalls nicht vor ihr – und immer den coolen Jungen hat heraushängen lassen, schert er sich jetzt nicht darum, seine Gefühle zu zeigen. Er scheint zutiefst verstört zu sein. Sie kann ihn verstehen und das Bewusstsein ihrer Schuld verursacht ihr einen riesigen Druck im Magen. Sie hat ihrem Sohn den Vater vorenthalten. Auch, wenn sie gute Gründe dafür hatte, das zu tun, weiß sie doch, dass es unverzeihlich ist. Jedenfalls in Ilias‘ Augen. Trotzdem versucht sie, sich zu erklären. „Ich wollte dich beschützen.“
Ilias‘ Reaktion überrascht sie nicht. Wut blitzt in seinen Augen auf. Hilflose Wut über so ziemlich den schlimmsten Verrat, den man an seinem Kind begehen kann. „Davor, dass mein Vater im Knast sitzt? Na und?“, faucht er seine Mutter an. „Ist er deshalb kein Mensch? Kein Vater?“, fragt er wütend und verletzt.
Nein, das ist er nicht, antwortet Nephele ihm im Stillen. Im nächsten Moment fragt sie sich, woher sie das Recht nimmt, sich da so sicher zu sein. Vielleicht hat Karl sich geändert? Vielleicht hat er irgendwo tief in seinem Inneren eine Seite entdeckt, die es ihm ermöglicht, ein fürsorglicher Vater zu sein? Doch ihre Zweifel währen nur kurz. Schon im nächsten Moment realisiert Nephele, wie sich alles in ihr dagegen sträubt, diesen Gedanken auch nur für möglich zu halten. Niemals, denkt sie bei sich, niemals kann ein Mensch wie Karl wahre Gefühle für einen anderen Menschen empfinden. Das ist völlig undenkbar. Aber wie soll ich das meinem Sohn vermitteln? Wenn ich ihm erklären müsste, was für ein Mensch sein leiblicher Vater tatsächlich ist – wäre das nicht unvorstellbar grausam? Würde Ilias mir überhaupt glauben? „Er ist nicht umsonst im Gefängnis“, antwortet Nephele ruhig.
Ilias zieht die Augenbrauen in die Höhe und schaut seine Mutter mit wissender Miene an. „Das weiß ich. Er hat es mir geschrieben“, entgegnet er mit fester Stimme. Er zögert einen winzigen Moment, dann fügt er mit fast ebenso fester Stimme hinzu: „Er hat jemanden umgebracht.“
Unwillkürlich lacht Nephele auf. Im nächsten Moment realisiert sie, dass Ilias ihre Reaktion nicht würde einordnen können. Schnell täuscht sie einen Hustenanfall vor. „So kann man das auch sagen“, entgegnet sie anschließend mit belegter Stimme.
Ilias schaut sie abwartend an, doch mehr ist sie nicht bereit zu sagen. Deshalb ergreift ihr Sohn nun wieder das Wort. „Jeder kann mal einen Fehler machen“, erklärt er ihr von oben herab. Dabei bemüht er sich den Anschein zu wecken, als sei er in der Lage, erwachsen und abgeklärt mit dieser Information umzugehen. Nephele weiß, nein, sie hofft, dass das nur vorgetäuscht ist und diese Reaktion seiner berechtigten Wut auf sie entspringt. Auf einmal muss sie tatsächlich husten. „Hat er das etwa geschrieben?“, fragt sie in ungewollt sarkastischem Ton.
„Nein“, gibt Ilias zu. „Aber er hat geschrieben, dass er seine Tat bereut. Und dass er bereut, mir kein besserer Vater gewesen zu sein.“
Nephele möchte sich jetzt wirklich gerne übergeben. Ihr Sohn jedoch durchbohrt sie derart mit seinem prüfenden Blick, dass sie nicht wagt, zu zeigen, was sie wirklich denkt und fühlt. Sie ahnt, dass das in dieser Situation fatal wäre. Zurzeit hat sie nicht den Hauch einer Chance, Ilias klarzumachen, was sein Vater für ein Mensch ist. Der Zeitpunkt für eine derartige Offenbarung wäre denkbar schlecht gewählt. Darüber hinaus kann sich Nephele immer noch nicht davon überzeugen, dass Ilias wirklich wissen sollte, von was für einem Monster er abstammt. Wenn ich diese Büchse öffne, denkt sie bei sich, werde ich die Übel, die ihr entweichen, niemals mehr eingefangen können. Was ist, wenn Ilias mit der Wahrheit nicht umgehen kann? Die Folgen wären unabsehbar!
Nephele weiß, dass sie jetzt nur eine Sache tun kann, nämlich Ruhe bewahren und auf Zeit spielen. Vielleicht kann ich das Unheil später noch irgendwie abwenden und die Frage danach, wer der Erzeuger meines Sohnes ist, dorthin verbannen, wo sie hingehört, nämlich in das Nirwana jener Informationen, für die sich niemand interessiert, überlegt sie. Faktisch gesehen spielt es doch ohnehin keine Rolle. Wir sind immer alleine klargekommen, denkt sie. Dass Karl in den Knast wanderte, und zwar für lange Zeit, war das Beste, was uns passieren konnte.
Nephele versucht, ihren inneren Aufruhr unter Kontrolle zu bringen, sodass sie nach außen hin ihre gewohnte Selbstsicherheit zeigen kann. „Ich hielt es damals für das Beste, ihn aus unserem Leben herauszuhalten, Ilias. Als du geboren wurdest, saß Karl bereits im Knast. Ich hatte keinerlei Kontakt zu ihm und den wollte ich auch nicht haben. Darüber hinaus hätte es für mich überhaupt keinen Sinn gemacht, dich damit zu belasten, dass dein Vater ein Schwerstkrimineller ist.“
Völlig unerwartet spürt Nephele, wie in ihr auf einmal lang unterdrückte Gefühle aufsteigen, als sie zum ersten Mal über das spricht, was sie siebzehn Jahre lang allein mit sich herumtragen musste. Wie nah ihr die Vergangenheit plötzlich ist! Sie hatte geglaubt, dass sie mit der Zeit Abstand zu diesem dunkelsten Kapitel ihrer Vergangenheit gefunden hat. Dabei war sie immer gegenwärtig, wird ihr bewusst. Karls Schatten hat uns all die Jahre begleitet. Plötzlich steigt Panik in ihr hoch. Raus! Bloß raus aus diesem Zimmer, sagt ihr der Verstand. Bevor alles aus mir herausbricht und ich mich um Kopf und Kragen rede. Ich muss nachdenken. Ich muss einen Plan schmieden, wie ich meinen Sohn beschützen kann. Ich darf nicht zulassen, dass uns die Vergangenheit einholt und ins Verderben zieht!
Nephele spürt ihre Beine kaum, als sie langsam aufsteht. Sie hofft, dass sie es schaffen wird, ohne zu schwanken das Zimmer zu verlassen. Sie lächelt Ilias zu und geht zur Tür.
Ihr Sohn ruft hinter ihr her: „Ich bin alt genug, das selbst zu entscheiden!“
Nephele weiß, dass das nicht stimmt. Aber auch das sollte sie jetzt tunlichst nicht sagen. Mühsam beherrscht dreht sie sich zu ihrem Sohn um. „Natürlich bist du das, mein Schatz.“ Erneut wendet sie sich zur Tür und will das Zimmer endgültig verlassen. Doch sie kommt nicht weit. Die Worte ihres Sohnes treffen sie wie ein Dolch in den Rücken.
„Er kommt demnächst aus dem Gefängnis und will mich kennenlernen“, verkündet Ilias mit fester Stimme.
Nephele erstarrt. Einen Augenblick später stürzt sie wortlos hinaus.
Thekla
Thekla drückt den Hebel der Mischbatterie über der Badewanne nach unten. Anschließend lässt sie ihre Hand durch dicke Schaumwolken hindurch ins Wasser gleiten. Zufrieden mit der Temperatur zieht sie ihre Hand wieder heraus und schüttelt Wasser und Schaum ab. Sie schlüpft aus ihrer Jeans, dem übergroßen Hoodie und der schwarzen Spitzenunterwäsche. Dann fasst sie ihre langen aschblonden Haare mit einem schwarzen Haargummi zu einem unordentlichen Dutt zusammen und steigt in die Wanne. Langsam taucht sie in das warme Wasser ein, um sich nach und nach an die Temperatur zu gewöhnen. Als sie ganz vom Wasser bedeckt ist und sich behaglich zurückgelehnt hat, greift sie nach der Fernbedienung des Fernsehgeräts, das im Nachbarzimmer an der Wand angebracht ist. Seit sie entdeckt hat, dass sie prima von der Wanne ihres Hotelzimmers aus fernsehen kann, wenn sie die Tür zwischen Bad und Schlaf-Wohnbereich offenlässt und die Halterung an der Wand bis zum Anschlag nach rechts dreht, gönnt sie sich dieses Vergnügen fast jeden Abend. Heute gewährt sie sich sogar noch einen weiteren Luxus. Dafür hat sie sich aus einem Supermarkt in der Stadt eine Flasche Prosecco und eine Schachtel Pralinen mitgebracht. Den Prosecco hatte sie bereits geöffnet, während sie das Wasser in die Badewanne eingelassen hat, und ihn zusammen mit einem Sektglas aus der Minibar und der Pralinenschachtel auf dem Beckenrand abgestellt.
Beim Zappen durch die Kanäle lässt Thekla Spielfilme, Soaps, Talkshows und Dokus links liegen. Das alles interessiert sie heute nicht. Nur bei einer Sendung über Eichhörnchen kann sie nicht widerstehen und schaut einen kurzen Moment lang zu, wie eines der possierlichen Tierchen in unglaublicher Geschwindigkeit um einen dicken Eichenstamm herum nach oben in die Krone saust, dicht gefolgt von einem zweiten Eichhörnchen. Fasziniert verfolgt sie, wie die Gesetze der Schwerkraft für die beiden wendigen Akrobaten keinerlei Bedeutung zu haben scheinen, während sie von einem Baumstamm zum nächsten springen, kopfüber unter waagerecht stehenden Ästen entlanghuschen und dabei so fix sind, dass es schwer fällt, ihrer Verfolgungsjagd mit den Augen zu folgen. Schließlich gelingt es Thekla dann doch, sich loszureißen und weiter zu zappen. Schließlich hat sie den Kanal gefunden, den sie sucht. Die mit einem hochgeschlossenen grünen Blazer bekleidete Nachrichtensprecherin erläutert den Zuschauern gerade auf Englisch, dass der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen sich wie immer nicht zu einer gemeinsamen Resolution in einem der zahlreichen Nahost-Konflikte durchringen konnte. Dazu flimmern im Hintergrund Zusammenschnitte von Videomaterial über aktuelle Kampfhandlungen in dem schon seit Jahren vom Bürgerkrieg gebeutelten Land über den Bluescreen. Es folgt eine Live-Schaltung zu einem Korrespondenten vor Ort, der seine Einschätzung zur Lage in einem Land wiedergibt, das hoffnungslos zum Spielball verschiedenster nationaler sowie internationaler Interessen geworden ist und das vermutlich niemals eine Chance haben wird, sich den machtpolitischen Spielchen einiger frustrierter, von ihrer vermeintlichen Wichtigkeit berauschter Psychopathen zu entziehen. Anschließend legt die Sprecherin das Blatt Papier zur Seite, von dem sie die Meldung abgelesen hat, und das Bild im Hintergrund ändert sich. Während die Moderatorin nun von der Verleihung einer hohen Auszeichnung an einen Wissenschaftler berichtet, langt Thekla nach der Proseccoflasche und gießt sich vorsichtig, damit das kohlensäurehaltige Getränk nicht über den Rand hinausschießt, ein Glas ein. Sie prostet dem glücklichen Geehrten zu und nimmt einen Schluck.
Ihre Nervosität steigt. Val hatte ihr vorhin, als sie in der Stadt war, um sich neue Jogging-Schuhe zu kaufen, gesmst, dass ihr „very special friend“, wie sie es nannte, aufgeflogen ist. Die Nachricht hatte Thekla elektrisiert. Zwar hatte sie fest damit gerechnet, dass das passieren würde, aber sicher sein, dass der Plan aufgeht, zu dessen Gelingen sie nicht unwesentlich beigetragen hat, konnte sie nicht. Einen Moment lang hatte sie nicht gewusst, wie sie mit Vals Nachricht umgehen soll. Einerseits fühlte sie sich erleichtert, weil die Sache endlich entschieden war. Kurz darauf drängte sich ihr die bange Frage danach auf, was das für sie bedeuten wird. Schließlich setzte sich jedoch ein Gefühl des Triumphs durch. Sie wollte den Kerl am Boden sehen. Im Dreck. Dort, wo er ihrer Meinung und der ihrer Mitstreiter nach auch hingehört. Er hat es sowas von verdient!
Ohne zu wissen, ob die Nachricht von der Festnahme dieses Mannes wirklich ein Anlass zum Feiern ist oder ob der Preis für ihren Erfolg zu hoch für sie sein wird, hatte Thekla sich spontan dafür entschieden, das Ereignis zu feiern. Wenn nicht jetzt, wann dann, hatte sie sich gefragt und war aus dem kleinen Sportgeschäft in der Fußgängerzone direkt in den nächsten Supermarkt geeilt, um Prosecco und Pralinen zu kaufen. Nun starrt sie gespannt auf den Bildschirm und erwartet jeden Moment, dass die Sprecherin die Nachricht verliest, die sie erhofft und gleichzeitig fürchtet.
Es ist ein beruhigender Gedanke für Thekla, dass sie sich mittlerweile weit weg vom Schauplatz des Geschehens auf der anderen Seite des Erdballs befindet. Nervös macht sie allerdings das Gefühl des Abgeschnittenseins vom Informationsfluss, dass sie trotz der medialen Globalisierung und der Tatsache, dass eine SMS, eine E-Mail oder ein Post im Internet heutzutage genauso schnell bei ihr ist, als wäre sie selbst vor Ort, befällt. Niemand weiß und niemand darf wissen, wie sie zu erreichen ist. Außer ihre Vertrauten Val, Jerry und Angelo natürlich. Doch auch sie müssen extrem vorsichtig sein und die Kommunikation untereinander auf das Nötigste beschränken. Möglicherweise sind die Vorsichtsmaßnahmen übertrieben. Doch so etwas weiß man immer erst hinterher, und zwar dann, wenn man doch zu unvorsichtig war und die fatalen Konsequenzen zu spüren bekommt, schießt es Thekla durch den Kopf. Gleichzeitig wüsste sie wirklich nicht, wie irgendjemand auf die Idee kommen sollte, dass ausgerechnet sie etwas mit der Aufdeckung der kriminellen Machenschaften dieses Verbrechers zu tun hat. Fakt bleibt jedoch, dass sie in der Sache mit drinhängt und nichts unmöglich ist.
Einem plötzlich auftretenden Impuls folgend legt Thekla den Kopf in den Nacken und stürzt den Inhalt des Glases herunter. Anschließend schüttelt sie sich. Und jetzt beruhigst du dich mal wieder, ermahnt sie sich selbst. Sie atmet tief durch, stellt das Glas auf dem Beckenrand ab und taucht in der Badewanne komplett unter. Nach ungefähr zehn Sekunden taucht sie wieder auf, schnappt nach Luft und reibt sich das Wasser aus dem Gesicht. Schon besser, denkt sie. Dann sieht sie sich nach der Flasche auf dem Beckenrand um. Hm, ein weiteres Gläschen zur Entspannung kann nicht schaden, findet sie. Sie schenkt sich noch einmal ein, stellt die Flasche zurück, lehnt sich behaglich zurück und trinkt nun in Ruhe und genüsslich ihren Prosecco. Wer weiß, ob die Presse überhaupt schon Wind von der Sache bekommen hat, überlegt sie währenddessen. Vielleicht gelingt es seinen Anwälten, dafür zu sorgen, die Angelegenheit vor der Öffentlichkeit geheim zu halten – jedenfalls vorläufig. Und überhaupt ist es doch völliger Blödsinn, auf die Nachrichten im Fernsehen zu warten, wenn man die Informationen viel gezielter im Internet abrufen kann!
Just in diesem Moment ändert sich das Bild hinter der Nachrichtensprecherin erneut. Ein Mann mit halblangen zurückgekämmten Haaren, bekleidet mit einem weißen Hemd und einem dunkelblauen Anzug, wird in Handschellen von zwei Polizisten in ein Gerichtsgebäude geführt. Wie elektrisiert setzt sich Thekla in der Wanne auf. Die Sprecherin berichtet von Steuerhinterziehung und Korruption, die dem namhaften Geschäftsmann zur Last gelegt werden, und davon, dass er ein engagierter Unterstützer des amerikanischen Präsidenten ist. Sie spricht davon, dass schon seit längerem sogar öffentlich darüber spekuliert wurde, ob ein großer Teil seines Vermögens auf kriminellen Machenschaften beruhe, man ihm jedoch nie etwas nachweisen konnte. Dann wird ein Film eingespielt, in dem ein älterer Herr, ebenfalls mit sorgfältig über den Hinterkopf gekämmten schütteren dunklen Haaren vor die Kamera tritt. Schweißperlen stehen ihm auf der Stirn, und als sich eine davon löst und an seiner Schläfe hinabrollt, hinterlässt sie eine dunkle Spur auf der sonnengebräunten Gesichtshaut. Bei dem Herrn handelt es sich um den Anwalt des verhafteten Geschäftsmannes. Er erklärt den umstehenden Pressevertretern, die ihm eine Vielzahl von Mikrophonen vor die Nase halten, dass sein Mandant selbstverständlich unschuldig sei und er das beweisen würde. Es handele sich bei den Anschuldigungen um bösartige Verleumdungen eines angesehenen amerikanischen Bürgers und Patrioten und man werde gegen diejenigen, die sie verbreiteten, mit aller Härte und Konsequenz vorgehen.
Thekla schüttelt verächtlich den Kopf. Das übliche Gefasel, denkt sie. Aber was soll der Typ auch sonst sagen? Jeder weiß, dass sein Mandant ein Schwein ist und jede Menge Dreck am Stecken hat. Obwohl – da er auch ein Buddy des Präsidenten ist, kommt er mit seinen Unschuldsbeteuerungen vielleicht sogar durch, schießt es ihr durch den Kopf. Ein kalter Schauer läuft ihr den Nacken hinunter. Thekla lehnt sich erneut zurück und lässt sich am Wannenrand hinabgleiten, bis ihre Schultern vollständig vom wohlig warmen Wasser bedeckt sind. So oder so ist es gut, dass ich jetzt in Deutschland bin, weit entfernt von der Schusslinie, denkt sie bei sich. In diesem Nest vermutet mich bestimmt niemand.
In diesem Moment dringt ein metallisches Scharren an ihr Ohr. Es kommt von ihrer Zimmertür. Thekla erstarrt. Jede Faser ihres Körpers verspannt sich bis hin zu ihren Haarspitzen. Unwillkürlich hält sie die Luft an und lauscht. Da! Da ist es wieder! Zweifellos macht sich jemand an der Tür ihres Hotelzimmers zu schaffen.
Vorsichtig stellt Thekla das Sektglas auf dem Beckenrand ab. Sie greift nach der Fernbedienung und schaltet den Fernseher aus. Durch die plötzlich eintretende Stille ist das Geräusch noch deutlicher zu hören. Geschmeidig und nahezu lautlos taucht sie aus dem Wasser auf und schnappt sich ein Badelaken vom Halter an der Wand. Sie schlingt es sich um die Brust und verharrt erneut. Wieder vernimmt sie das metallische Scharren, das sich so anhört, als versuche jemand ihre Tür mit einer Hotelschlüsselkarte zu öffnen, wobei er oder sie sich allerdings nicht allzu geschickt anzustellen scheint. Dann hört sie eine Männerstimme lallen: „Was issn das hier für’n Schaaeiiß!“
Augenblicklich entspannt sich Thekla. Der Betrunkene hört sich nicht wirklich gefährlich an. Obwohl das auch Tarnung sein kann … Soll sie dem Mann zurufen, dass er sich in der Zimmertür geirrt hat? Oder bringt sie sich damit erst recht in Gefahr, wenn er weiß, dass sie da ist? Unschlüssig bleibt sie in der Wanne stehen und lauscht. Endlich verstummt das Geräusch – der Mann scheint aufgegeben zu haben. Thekla hört ein schleifendes Geräusch, als ob sich jemand schwerfällig vom Türrahmen abstößt, gefolgt von dumpfen Schritten, die vor der benachbarten Zimmertür Halt machen, wo das Spiel mit der Schlüsselkarte von Neuem beginnt.
„Puh!“ Erleichtert atmet Thekla aus. Sie bemerkt, wie sie am ganzen Körper zittert. Bevor ihr die Beine wegsacken können, lässt sie sich vorsichtig auf den Rand der Badewanne sinken. Um Himmels willen! Worauf hat sie sich da nur eingelassen?
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