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Trotzdem ist nicht zu vergessen, dass der Mann dennoch eine höhere Stellung besaß. Die Frau diente dem Leben der Familie. Ihre Aufgaben waren die Kindererziehung, besonders der Mädchen und die damit verbundene Vorbereitungen auf das Leben, die Reinhaltung der Wohnung und die Nahrungszubereitung. Die Familie, welche einen sehr hohen Stellenwert im Judentum besitzt, sollte nach außen hin vom Mann repräsentiert werden können. Man sagte, nach jüdischer Auffassung, dass nach der zweiten Tempelzerstörung in Jerusalem im Jahre 70 n. Chr. durch die Römer das Heiligtum in die Familie verlagert wurde. Die Frau war dafür verantwortlich, dass die kultische Reinheit bewahrt wurde. So musste sie unter anderem das Reinheitsgebot für Nahrung und das Vorbereiten der Feste erlernen. Erstmals nach dem zwölften Geburtstag war es jungen Mädchen erlaubt, die Kerzen für den Sabbat anzuzünden. Dieses Eröffnen der heiligen Feste war ein Ritual, was der Frau ein Leben lang auferlegt war.
Neben dem Verbot des Lesens der Thora und des Talmuds, gab es auch das Verbot den Tallit (ein Tuch, was beim Gebet über den Kopf gelegt wird) zu tragen. Es war Frauen untersagt, weil der Tallit Männerkleidung ist und Frauen gemäß Deuteronomium 22,5 keine Männerkleidung tragen dürfen. Manche orthodoxe Frauen trugen deshalb meist Kleidungsstücke mit langen Ärmeln und eine Perücke als Kopfbedeckung.
Seit dem 19. Jahrhundert gibt es allerdings eine breite Emanzipationsbewegung innerhalb des Judentums. Auf dem Weg zu einer Gleichberechtigung meinen moderne jüdische Glaubensgemeinschaften, dass die Gebote an die Entwicklung der modernen Gesellschaft angepasst werden müssen. Frauen sollen gleichberechtigt mit Männern sein, auch im religiösen Leben. Sie dürfen also aus der Thora lesen, den Talmud studieren, gemeinsam mit den Männern beten und es gibt seit einigen Jahrzehnten, vor allem in den USA, auch Frauen, die das Amt des Rabbiners ausüben.
Streng orthodoxe jüdische Männer danken auch heute noch Gott im Morgengebet dafür, dass sie nicht als Frau zur Welt gekommen sind. Ihre Ehefrauen sollen sich um die Einhaltung der Gebote im Haus und um die Erziehung der Kinder kümmern. In der Synagoge beten sie nach wie vor getrennt von den Männern und das Lesen aus der Tora ist ihnen immer noch nicht gestattet.
Anfang des Jahres 2015 hat die Frauenrechts-Kommission der Vereinten Nationen in einem Bericht Israel als einziges Land erwähnt, in dem die Rechte der Frauen verletzt werden sollen. Das Land wird insbesondere für die „harte Situation der palästinensischen Frauen“ verantwortlich gemacht. Leider lässt der UN-Bericht Wesentliches unerwähnt, denn schließlich gibt es gravierende Benachteiligungen von Frauen auch in anderen Ländern. Ein Blick in aktuelle Amnesty-International-Berichte oder -Petitionen genügt, um zu sehen, wie im UN-Bericht nicht erwähnte Länder ihre Frauen behandeln: In China werden Frauen festgenommen, wenn sie gegen sexuelle Belästigung demonstrieren. In Saudi-Arabien besteht für Frauen im gesamten Land ein striktes Autofahrverbot (laut Regierung aus Sicherheitsgründen). Frauen dürfen nach den strengen Regeln des konservativen Königreichs nicht alleine reisen und dürfen nur in Begleitung von Männern ausgehen. In Afghanistan, den palästinensischen Autonomiegebieten sowie zahlreichen anderen arabischen Staaten sind Frauen verpflichtet, die Burka o. ä. zu tragen, werden Opfer von Zwangsheirat, Ehrenmord, Prügelstrafen und anderen Schikanen. Die Auflistung ließe sich noch durch einiges ergänzen. Doch dazu später.
Homosexualität im Judentum
Das Thema ist bei den Juden konfliktgeladen. Homosexuell sein und jüdisch. Da stellt sich unter Umständen die Frage, was gesteht man wem zuerst? Gläubiger Jude und bekennender Schwuler? Das galt in Israel bislang als unvereinbar. Schließlich verbinden viele Menschen mit Israel streng religiöse Werte und früher gab es nur drei Möglichkeiten, damit umzugehen: aufhören religiös zu sein, im Verborgenen bleiben oder sich umbringen. Heute gibt es eine vierte Möglichkeit: sich zusammenzuschließen und die Veränderung in den jüdischen Gemeinden voranzutreiben. Dadurch hat sich der Umgang mit der Homosexualität bemerkenswert entspannt. Zumindest unter den nicht-orthodoxen Juden, also liberalen Gemeinden, die homosexuellen Menschen positiv gegenüberstehen und mit diesem Thema überhaupt keine Schwierigkeiten haben. Doch nach wie vor gibt es eine enorme Diskrepanz zwischen den streng Religiösen und den Säkularen. Und viele Menschen aus streng religiösen Familien trauen sich nicht, sich zu outen, aus Angst, von ihren Familien geächtet und verstoßen zu werden.
Weltweit gibt es im Judentum sehr kontroverse Ansichten zum Thema Homosexualität: von Akzeptanz bis hin zu wütender Ablehnung. Im orthodoxen Judentum gilt für alle eine Heiratspflicht. Gleichgeschlechtlicher Geschlechtsverkehr wird deshalb abgelehnt. Somit müssen sich viele zwischen Homosexualität und Religion entscheiden. Wir kennen die Passage in der Tora (3. Buch Moses 18,22), in der es als „Gräuel“ bezeichnet wird, wenn ein Mann mit einem anderen „wie mit einer Frau“ zusammenliegt.
Ganz in dieser jüdischen Tradition befangen, schreibt der Jude Philo von Alexandria (gestorben ca. 45/50 n. Chr., „dass man den weibischen Mann, der das Gepräge der Natur verfälscht, unbedenklich töten und keinen Tag, ja keine Stunde leben lassen soll”. Auch wiederholen talmudische Autoren die klare Ablehnung der Homosexualität. Liberale Rabbiner sind zwar der Homosexualität gegenüber offener, aber auch sie verheiraten kaum jemals Lesben und Schwule. Nur gerüchteweise ist von gleichgeschlechtlichen Trauungen zu hören. Allerdings gibt es heutzutage auch sehr liberal denkende Orthodoxe. Beispielsweise trauen zahlreiche Rabbiner in den USA Lesben und Schwule – vor allem im Reformjudentum und im sogenannten konservativen Judentum, das eine Mittelposition im Spektrum der jüdischen Richtungen einnimmt. Liberale und konservative Seminare ordinieren Lesben und Schwule zu Rabbinern und Kantoren. Auch feiern manche modern-orthodoxe Gemeinden in den USA Segnungszeremonien für Homosexuelle. In Israel gehen orthodoxe Lesben und Schwule selbstbewusst an die Öffentlichkeit, doch der orthodoxe Mainstream dort akzeptiert Homosexualität weiterhin nicht. Dort gibt es religiöse Telefonhotlines, die auf den angeblich richtigen Pfad der Heterosexualität zurück helfen sollen. Und wie in zahllosen Ländern der Welt muss auch in Israel die Politik ihren Senf dazugeben.
Ein Abgeordneter der einst mitregierenden ultraorthodoxen Schas-Partei gab zu Protokoll: „Schwule und Lesben treiben die Zerstörung des jüdischen Volks voran“. Er empfahl gegen diese „Epidemie“ Maßnahmen wie gegen die Vogelgrippe. Ein anderer Schas-Parlamentarier machte Schwule ob ihres sündigen Treibens für ein von Gott geschicktes Erdbeben verantwortlich, und Eli Jischai, der frühere Innenminister, nannte sie eine „Minderheit mit Normdefekt“. Noch immer gibt es homophobe Angriffe und Fälle, in denen Familie ihre Kinder aus dem Haus werfen. Selbst in säkularen Kreisen ist das traditionelle Familienleben, also Mutter, Vater und Kinder, richtungweisend.
Der Rabbiner der US-Gemeinde „Temple Aliyah“ in Needham, Massachusetts, Carl M. Perkins, bringt in seinem Artikel „Kann denn Liebe Sünde sein?“ (veröffentlicht in der „Jüdischen Allgemeine“ im Juni 2011), die Problematik auf den Punkt:
„Die Bibel, der Chumasch, war im Laufe der Jahrhunderte für viele Menschen eine Quelle der Inspiration. Sie half ihnen in ihrem Streben nach Anstand, Güte und Gerechtigkeit. Sie diente aber auch als Vorwand für Grausamkeit und Gewalt und brachte viel Leid und Verzweiflung. Im Namen dieses Buches haben viele Menschen großartige Dinge vollbracht. Andere vollbrachten schändliche Taten in seinem Namen. Im 1. Buch Moses, in der Parascha Wajera, lernen wir die Stadt Sodom kennen, einen Ort großer Niedertracht und Verdorbenheit. Wir erfahren aus dem Teil der Parascha nicht, worin genau die Verdorbenheit der Stadt bestand, doch wird uns später mitgeteilt, dass die Männer Sodoms nicht nur ungastlich, brutal und grausam waren – sondern auch homosexuell.
Nun, wir haben es hier mit der Bibel zu tun. Sie verfügt über große Autorität. Und indem sie eine Metropole der Niedertracht und Verdorbenheit, einen Ort, der so schrecklich ist, dass er die absichtsvolle Zerstörung durch Gott verdient, mit Homosexualität in Zusammenhang bringt, macht die Bibel deutlich, was sie über Menschen denkt, die sich eines solchen Verhaltens schuldig machen. Sie sind es nicht wert, zu leben. Es gibt nicht sehr viele Texte in der Bibel, die Homosexualität erwähnen oder darauf Bezug nehmen, doch wie der hier vorliegende scheint jeder einzelne von ihnen sie zu verdammen. So überrascht es nicht, dass jeder, der in einem auf der Bibel beruhenden religiösen Glauben erzogen wurde, egal ob es sich um das Judentum, Christentum oder den Islam handelt, die eindeutige Botschaft hört: Homosexualität ist böse. Nicht nur böse, sondern wirklich böse. Man denke an das Leid und die Verzweiflung, die diese Verdammung über die Jahrhunderte hervorgerufen hat. Männer und Frauen, die sich von Menschen ihres eigenen Geschlechts und nicht von solchen des anderen Geschlechts angezogen fühlten – ansonsten anständige, liebenswürdige und moralische Individuen -, wurden verspottet, verleumdet und verfolgt. Und es geschieht auch noch in unserer heutigen Zeit.
Vor Kurzem fand ein junger homosexueller Student an der Rutgers University, der sich nicht als homosexuell geoutet hatte, heraus, dass sein Mitbewohner ihn heimlich in seinem Zimmer gefilmt hatte. Er sprang später von der George-Washington-Brücke in den Tod. Selbstmorde junger Männer und Frauen, die entdecken, dass sie homosexuell sind, kommen häufiger vor, als man glaubt – in manchen Fällen ist es die traditionelle Verurteilung durch ihre Religion, was die jungen Leute in den Selbstmord treibt. Steven Greenberg, ein bekennender homosexueller orthodoxer Rabbiner, diskutierte vor einiger Zeit mit einem bekannten und respektierten jüdischen Religionsführer. Greenberg sprach von den vielen jüdischen homosexuellen Männern und Frauen, die der Thora ergeben seien und denen großes Leid widerfahre. „Viele verlassen die Gemeinde“, sagte er. „Einige junge homosexuelle Menschen“, fuhr er fort, „sind so verzweifelt, dass sie sich umzubringen versuchen.“ Und was erwiderte der Rabbiner? „Vielleicht vollbringen sie damit eine Mitzwa“ (Einhaltung der jüdischen Gebote) Nun ist diese Reaktion sicherlich extrem. Aber sie enthüllt auch eine einfache Wahrheit. In Greenbergs Worten wäre es vielen Religiösen am liebsten, wenn Homosexuelle auf die eine oder andere Art und Weise einfach verschwinden würden. Die Reaktion auf diese Antipathie liegt auf der Hand: Wenn junge Homosexuelle allmählich begreifen, wie intensiv der Wunsch der Gemeinde ist, dass sie verschwinden, wie brutal es sein kann, scheint der Freitod ein letzter, verzweifelter Ausweg, wie wir es allein im letzten Monat einige Male erlebt haben.
Das Unbehagen, das Homosexualität in vielen religiösen Menschen hervorruft, hat eine erstaunliche Macht über sie. Es wird niemanden überraschen, dass in Israel, dem Zentrum der drei abrahamitischen Religionen, interreligiöse Gefälligkeiten nicht gerade an der Tagesordnung sind. In Jerusalem gehen religiöse Christen, Muslime und Juden auf der Straße aneinander vorbei, ohne dass ein Kontakt zwischen ihnen stattfindet, von einem konstruktiven Gespräch ganz zu schweigen. Doch vor einigen Jahren gelang es Vertretern der jüdischen, christlichen und muslimischen Glaubensgemeinschaft sich zu verständigen, darauf nämlich, dass es in den Straßen Jerusalems keine Gay-Pride-Parade geben darf. Die säkulare Gesellschaft, zu der wir gehören, ist sich des intensiven religiösen Widerstands gegen Homosexualität bewusst. Er beeinflusst uns alle. Innerhalb der Gesellschaft als Ganzes hat es in den letzten Jahren enorme Fortschritte gegeben. Immer mehr Menschen begreifen, dass es keine Sünde ist, homosexuell zu sein; dass Homosexualität (wie in der Erzählung von der Stadt Sodom) genauso wenig mit Verdorbenheit in Verbindung gebracht werden darf wie Heterosexualität. Nichtsdestoweniger bestehen das hergebrachte Misstrauen und die alte Feindschaft weiter fort.
Homosexuelle werden noch immer verleumdet und verurteilt und verfolgt. Wir müssen laut und deutlich aussprechen, dass wir glauben, die Bigotterie der Vergangenheit sollte eine Sache der Vergangenheit bleiben; dass wir glauben, andere Botschaften, die unsere religiöse Tradition ebenso betont, nämlich Botschaften des Respekts vor dem Anderen und der Liebe zum Anderen, müssten unangefochten an erster Stelle stehen. Wir alle, die sich Sorgen machen, welche Rolle die Religion in unserer Gesellschaft spielen soll, müssen mit offenen Karten spielen. Es ist nicht länger annehmbar zu sagen: „Es steht nun mal so in der Bibel. Es gibt nichts, was ich dagegen tun kann!“ Wir müssen es explizit aussprechen: Homosexualität ist keine Sünde. Wir können nicht herumlavieren, nicht wenn es um das Leben anständiger und ernsthafter Männer und Frauen geht. Es ist einfach eine Schande, Menschen weiterhin wegen eines unabänderlichen Aspekts ihrer Persönlichkeit zu verdammen, dem kein moralischer Makel anhaftet.“
Dessen ungeachtet ist Israel mit Abstand das LGBT-freundlichste und fortschrittlichste Land im Nahen Osten (LGBT ist die Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender), wo Schwule und Lesben ungehindert jeden Posten im öffentlichen Leben bekleiden können. Bedauerlicherweise ist jedoch der gut acht Millionen Einwohner zählende Staat, der gerade einmal so groß ist wie Hessen, wegen seiner Politik gegenüber Palästinensern auch in der LGBT-Szene umstritten. Zuletzt gab es in der LGBT-Gruppe der Linkspartei einen Streit, weil Parteimitglieder mit Antisemiten und Homo-Hassern gemeinsam gegen die Politik Israels protestiert hatten.
Israel kokettiert mit dem Image einer liberalen und weltoffenen Gesellschaft. In einer Region, in der Frauen gesteinigt, Schwule aufgehängt und Christen verfolgt werden, genießt die Homosexuellencommunity mehr politische Freiheit als in jedem anderen Nahoststaat, Schwule und Lesben verstoßen mit ihrer gleichgeschlechtlichen Liebe nicht mehr gegen die Gesetze des Landes. Die Adoption der Kinder von Partner oder Partnerin ist wie die Anerkennung der im Ausland geschlossenen Ehen fast schon Routine, und zahlreiche Lesben erfüllen sich ihren Kinderwunsch mit Spendersamen, denn mit künstlicher Befruchtung haben Israelis kaum Probleme. Israel ist somit progressiver als mancher europäische Staat. Was die Gesetze für Paare gleichen Geschlechts betrifft, dürfen sie in Israel selbst nur eine Art Ehevertrag schließen, der sie gesetzlich mit verheirateten Paaren beinahe gleichstellt. Es ist allerdings nicht möglich zu heiraten, da keine Zivilehe angeboten wird, sondern Eheschließungen nur von Religionsgemeinschaften durchgeführt werden dürfen. Heterosexuelle Paare mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit oder Nichtgläubige können ebenfalls nur im Ausland heiraten. Dabei ist das nahegelegene Zypern besonders beliebt für den Ehetourismus. Es gibt im Land derzeit eine Debatte über die Einführung einer Zivilehe, die sowohl Hetero- als auch Homosexuellen geöffnet sein soll.
Viele Schwule und Lesben in Israel wollen Kinder. Von einem regelrechten „Gayby-Boom“ ist die Rede. Viele Männer nehmen Leihmütter im Ausland in Anspruch – etwa in Indien. Doch die Leihmutterschaft im Ausland wirft religionsgesetzliche Probleme auf. Erstens ist es noch nicht erlaubt, das Kind von einer anderen Mutter austragen zu lassen und zweitens ist ein Kind aus dem Bauch einer Nicht-Jüdin für die Rabbiner nicht jüdisch.
Israel hat weltweit einen liberalen Ruf im Hinblick auf die Rechte und die Lebensqualität von Homosexuellen. Verschiedene Organisationen werben dafür, dass Israelis beides leben können: ihren Glauben und ihre sexuelle Orientierung. Israel ist ein liberales Land, in dem gleichgeschlechtliche Partnerschaften oft selbstverständlicher gelebt werden als in vielen anderen westlichen Staaten. Tel Aviv preist sich als globale Gay-Metropole an, wenn auch das Thema, zumindest in religiösen Kreisen, ein Tabu bleibt.
Neben der liberalen Gesetzgebung ist dafür vor allem der Status von Tel Aviv als die „Schwulenhauptstadt des Nahen Ostens” verantwortlich, obwohl die Stadt in der arabischen Welt als Sinnbild des verhassten zionistischen Judenstaats gilt. Wohl in keinem Land liegen die Pole im Umgang mit Homosexualität so weit auseinander wie in Israel. Während Gay Pride in Tel Aviv Teil des Tourismusmarketing ist, gibt es bei der Veranstaltung in Jerusalem regelmäßig Proteste und massiven Polizeischutz. In Tel Aviv hat jede Gruppe ihren eigenen Club, ihre eigene Party. Hier geht’s um die Mischung: es kommen Palästinenser, orthodoxe und säkulare Juden, Schwule, Lesben und transsexuelle Frauen und Männer.
Und ausgerechnet hier, sechzig Kilometer vom konservativen Jerusalem entfernt, mitten in einer Region, die für ihren anhaltenden Konflikt bekannt ist, zieht es jedes Jahr Schwule und Lesben aus aller Welt nach Tel Aviv zum Gay Pride. Doch Tel Aviv ist nicht Israel, wie New York nicht Amerika ist. Tel Aviv ist ein eigenes Land, hat drei Dinge, die Homosexuelle anzieht: ein lebendiges Nachtleben (wenn es dunkel wird, tobt der ungestüme Hedonismus), den Strand und schöne Menschen. Es gilt das Schönheitsideal von Städten, die am Meer liegen. Wie in Rio oder Los Angeles zählen Waschbrettbauch und Brustmuskeln. Aber entfernt man sich mal vom Tel Aviver Strand, nimmt die Toleranz schnell ab.
Im Gazastreifen und in den palästinensischen Autonomiegebieten der Westbank sind Homosexuelle, die sich als solche zu erkennen geben oder entdeckt werden, Drohungen und Folter ausgesetzt, nicht nur durch die örtlichen Sicherheitskräfte und Milizen, sondern besonders auch durch Familienangehörige. Was die Hilfesuchenden zu Protokoll geben, sind Zeugnisse der desolaten Menschenrechtssituation in der palästinensischen Gesellschaft. Werden Homosexuelle einmal entdeckt, werden sie sozial geächtet. Im schlimmsten Fall erfahren sie Erniedrigungen und physische Gewalt. In der palästinensischen Gesellschaft wird Gewalt gegen Schwule als gerechtfertigt angesehen. Häufig werden Homosexuelle als Verräter gegen den Befreiungskampf der Palästinenser gebrandmarkt, als „Kollaborateure mit den Juden“, oder als „Agenten des Mossad“ (israelischer Auslandsgeheimdienst). Selbst in der eigenen Familie sind Homosexuelle dann nicht mehr sicher: Morddrohungen und Erpressungen durch Brüder und Väter machen ein sicheres Leben in den oft kleinräumigen Gemeinschaften unmöglich. Die weitläufigen familiären Bande schützen die Opfer auch in größeren Städten wie Ramallah, Nablus oder Gaza nicht vor Verfolgung.
Darüber hinaus treiben in manchen Gegenden Milizen und selbst ernannte „Sicherheitsorgane“ ihr Unwesen, unbehelligt oder geduldet von den offiziellen Autoritäten. Es wird berichtet von Kidnapping, Verhören und brutaler Folter – auch auf Polizeistationen unter Aufsicht des „Mukhabarat“, eines Sicherheitsdienstes der Palästinensischen Autonomiebehörde in der Westbank. Im Gazastreifen macht das Hamas-Regime keinen Hehl aus seinem Hass auf Homosexuelle. Mahmoud az-Zahar, einer der Gründer der Hamas, äußerte sich unlängst wie folgt: „Ihr im Westen lebt nicht wie menschliche Wesen. Ihr lebt nicht einmal wie Tiere. Ihr akzeptiert Homosexualität.“
In Israel nehmen sich vor allem homosexuelle Non-Profit-Organisationen und Arbeitsgruppen dem Schicksal schwuler Palästinenser auf der Flucht an. Sie unterstützen verfolgte Homosexuelle unter anderem mit kostenlosen Rechtsberatungen. Die arabische Organisation al-Qaws wiederum organisiert einmal im Monat in einem Club im Süden Tel Avivs die „Palestinian Queer Party“, die nicht nur homosexuellen arabischen Israelis, sondern auch untergetauchten Palästinensern für eine Nacht eine fragile Geborgenheit bietet.
Dass sich die Situation für die nach Israel geflüchteten Palästinenser in naher Zukunft verbessert, hält Anat Ben-Dor von der „Human Rights Clinic“ für unwahrscheinlich. Im Gegenteil: Die Grenze zu überqueren und sich in israelischen Städten durchzuschlagen, ist noch schwieriger geworden. Der Report der „Clinic“ spart denn auch nicht mit Kritik am israelischen Vorgehen gegen palästinensische Asylsuchende: Der kollektive Ausschluss vom Recht, in Israel Asyl zu erhalten, verstoße gegen internationale Konventionen – was umso abstoßender sei, da Israel zu den ersten Nationen gehört habe, die 1951 die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet hätten. Für Ben-Dor gibt es keinen Zweifel: Das Recht, Asyl zu beantragen, stehe Palästinensern individuell genauso zu wie Verfolgten anderer Nationalität, die aus religiösen, politischen, ethnischen Gründen oder wegen ihrer sexuellen Orientierung in Israel Zuflucht suchen.
Der israelische Film-Regisseur Yariv Mozer hat für seinen gefeierten Dokumentarfilm „Invisible Men“ über drei Jahre den Überlebenskampf dreier junger schwuler Palästinenser begleitet, die sich nach Israel durchschlugen, um vor der Verfolgung zu Hause Schutz zu suchen. „Die Palästinenser, die nach Israel flüchten, kommen in eine für sie gänzlich unbekannte Umgebung“, sagt Mozer. Das beginne schon bei der Sprache. Unter-Zwanzigjährige aus den Palästinensergebieten sprechen fast kein Hebräisch mehr. Und einmal im Land, gestalte sich auch der Kontakt zu schwulen jüdischen Israelis äußerst schwierig. „Die Schwulenszene in Israel ist alles andere als eine Einheit. Sie ist ein Abbild unserer Gesellschaft“, sagt Mozer. So würden sich jüdische und arabische schwule Israelis oft in verschiedenen Szenen bewegen. Sie besuchen meist eigene Partys, eigene Bars. Sie bleiben unter sich. Die Lebenswirklichkeiten hinter der Mauer und dem Grenzzaun zur Westbank oder dem Gazastreifen sind für die meisten jungen Israelis mittlerweile zu einer fremden Welt geworden.
Das gilt natürlich auch umgekehrt. Dennoch: Die Flucht nach Israel als vermeintlich sicherer Hafen gilt vielen als die letzte Hoffnung. Auch sie möchten das Leben genießen, ausgehen, lachen. Doch zwischen den Fronten des Nahostkonflikts gehören diese Männer, die Männer lieben, nirgendwo hin. Es gibt keinen Ort, nichts, das sie Heimat nennen könnten. Perverse und Verräter sind sie für die eine Seite, ein Sicherheitsrisiko für die andere.
Für die palästinensischen Flüchtlinge entpuppt sich die ersehnte Freiheit oftmals erneut als dauernder Angstzustand. Erst einmal in Tel Aviv angekommen, tauchen sie ab in die Illegalität, hausen in Verstecken, verrichten Schwarzarbeit für Personen, denen sie glauben vertrauen zu können. Schwule Dating-Plattformen im Netz bedeuten für diese jungen Männer einen Weg aus der Hölle. Die meisten User aus Gaza, Ramallah, Bethlehem oder Nablus setzen dabei auf absolute Anonymität. Wo Profilbilder vorhanden sind, zeigen sie meist nur den Körper, die Gesichter sind unkenntlich gemacht. Oft fungieren auch Schauspieler, Models oder Pornodarsteller als Symbolbilder. Allzu persönliche Beschreibungen oder Statements in den Profilen fehlen. Es geht um anonymen Sex in Parks, im Auto, irgendwo in den Hügeln, an versteckten, illegalen Partys. Manche wählen die Fassade eines heterosexuellen Lebens, heiraten, gründen Familien, um den Schein zu wahren. Doch die Angst ist allgegenwärtig. Die Angst vor der israelischen Polizei, die sie jederzeit in die Westbank zurückschaffen kann, zurück in die Hände der Peiniger.
Wie steht die Thora zum Thema Schwangerschaftsabruch?
Im Judentum ist ein Embryo potentielles Leben und somit ist es nicht erlaubt, einen Embryo zu töten. Treten jedoch Komplikationen auf, die das Leben der Mutter gefährden und das Entfernen des Embryos die einzige Möglichkeit ist, das Leben der Mutter zu beschützen, dann gibt es eine Verpflichtung zur Abtreibung. Bis zur Geburt wird der Embryo, beziehungsweise der Fötus, als Teil der Mutter und nicht als eigenständige Person angesehen, weshalb das Leben, die Gesundheit und das Wohlergehen der schwangeren Frau, falls es in Gefahr ist, immer Priorität vor dem Leben des ungeborenen Kindes besitzt. Der Fötus erlangt gemäß dem Talmund erst dann den Personenstatus, wenn während der Geburt der größte Teil von ihm geboren ist. Demzufolge gilt ein Schwangerschaftsabbruch nicht als Mord und wurde auch zu keiner Zeit kriminalisiert. Solange der Embryo einen Teil des Körpers der Mutter darstellt, ist bereits von einer lebendigen Einheit die Rede, doch ist diese Lebensform noch nicht mit derjenigen der Mutter, die bereits als eigenständiger Mensch gilt, gleichzusetzen. Daher hat ihr Leben Vorrang vor demjenigen des Embryos. Sobald jedoch bei der Geburt der Kopf des Embryo das Licht der Welt erblickt, wird er als gleichwertige Lebensform betrachtet. Wie in allen komplexen Bereichen der „Halacha“ (jüdisches Gesetz) muss jeder Fall individuell von einer kompetenten halachischen Autorität, die sich mit zuständigen Ärzten berät, begutachtet werden. Die meisten Fälle von erlaubter Abtreibung werden am Beginn der Schwangerschaft vorgenommen. Aufgrund talmudischer Aussagen ist dies möglich bei Fragen der seelischen Gesundheit, nach Vergewaltigung, bei einer reumütigen Ehebrecherin sowie bei einigen Krankheiten. Auch ist die Verzweiflung der Mutter über ein Kind, das sehr wahrscheinlich mit körperlichen Deformationen oder geisteskrank geboren wird, ein hinreichender Grund für eine Schwangerschaftsunterbrechung. Auch wenn Israel zweifellos weltweit zu den Ländern mit der liberalsten Abtreibungsgesetzgebung gehört, muss dennoch jede Abtreibung von einem Krankenhauskomitees genehmigt werden. Allerdings ist eine solche Genehmigung ohne Schwierigkeiten zu erhalten. Sie werden großzügig gewährt, so zum Beispiel kategorisch bei Mädchen unter 17 Jahren und Frauen über 40, bei Ehebruch, bei einer auch nur vermuteten geistigen oder körperlichen Behinderung des Kindes welchen Grades auch immer und bei Gefährdung der Gesundheit der Frau.