- -
- 100%
- +
Ōtas Burg Edo dürfen wir uns nicht vorstellen wie die großen japanischen Schlossanlagen wie Himeji oder Ōsaka mit meterhohen Steinsockeln, riesigen Grabenanlagen und weißverputzten Aufbauten mit schweren Dachziegeln aus Ton. Diese Anlagen entstanden in ihrer Mehrzahl erst an der Wende vom 16. zum 17. Jh. Im 15. und größtenteils noch im 16. Jh. wurden Erdwälle aufgeschüttet und Palisaden und Gebäude aus Holz ausgeführt. Statt einer Lage in der Ebene mit weiten Gräben wählte man Lagen auf Hügel- oder Bergkuppen, deren topografische Merkmale geschickt in den Verteidigungsplan einbezogen wurden. Von Ōtas Edo ist bekannt, dass die Burg fünf »steinerne« Tore aufwies, was höchstwahrscheinlich nur bedeutete, dass die Tore steinerne Sockel besaßen. Dennoch demonstrierte das im damaligen Kantō-Gebiet erhebliche Stärke. Das Areal war in einen Haupthof, einen zweiten Hof und einen äußeren Hof dreigeteilt; hier liegt der Ursprung der späteren Höfe Honmaru, Ninomaru und Sannomaru der Burg der Tokugawa, wie sie heute noch in Tōkyō existieren. An Bauwerken gab es Wirtschafts- und Lagergebäude, Unterkünfte, zwei Türme sowie eine Residenz für Ōta selbst, der außerdem auch in Kamakura eine Residenz besaß.
Als der Ōnin-Krieg von 1467 – 1477 die ferne Hauptstadt Kyōto verwüstete, erwies sich das als Glücksfall für den Herrn von Edo. Viele Flüchtlinge mit spezialisierten Berufen oder sogar von Adel erreichten die Region und sorgten für einen wirtschaftlichen wie kulturellen Aufschwung. Das Dorf Hirakawa am gleichnamigen Fluss unterhalb der Burg entwickelte sich zu einer aufblühenden kleinen Burgstadt (jōkamachi), in die jetzt auch Händler kamen, die Fisch, Reis, Tee und sogar Importwaren aus anderen Ländern Asiens mitbrachten. Die weite Brücke Takahashi über die Mündung des Hirakawa wurde zu einem frühen Wahrzeichen von Edo, so wie der von Ōta Dōkan gegründete Sannō-Hie-Schrein zu einem der drei bedeutendsten Shintō-Heiligtümer Tōkyōs wurde. Die Stadtgestalt wurde auch durch die Umleitung eines Teils des Hirakawa-Flusses verändert, wodurch östlich der Kanda-Brücke ein neuer Fluss entstand, der heute von der zentralen Brücke Nihonbashi überquert wird, dem Ausgangspunkt der bedeutendsten Straßen des Landes. In den Jahrhunderten nach Ōta wurden weitere Flüsse umgeleitet und kanalisiert, Hügel abgetragen und Teile der Bucht aufgefüllt, bis sich die Stadttopographie zur heutigen entwickelte.
Ōta Sukenaga schor sich schon 1458 den Kopf und wurde Laienpriester. Dabei nahm er den buddhistischen Namen Dōkan an. Solche Konversionen waren unter Samurai nicht selten und sie bedeuteten in der Regel kein völliges Entsagen von der Welt. Sie konnten aber Entlastung von den Tagesgeschäften und von familiären Pflichten bringen.

Tokugawa Yoshinobu (1837 – 1913), der letzte der 15 Shōgune aus seinem Hause, aufgenommen 1867 in Ōsaka in höfischer Tracht von Frederick Wiliam Sutton aus der königlich-britischen Marine. In diesem Jahr gab der letzte Shōgun sein Amt an den Kaiser zurück und wurde zum Privatmann.
Ōta Dōkans Persönlichkeit ging weit hinaus über die eines erfolgreichen Militärs und Burgstadtgründers. Von ihm erzählt man sich eine Geschichte, wie er sich seiner mangelnden Bildung bewusst wurde. Eines Tages weilte er auf der Jagd, als ein plötzlicher Regen über ihn hereinbrach. Er hielt an einer einfachen Hütte an und fragte das dort lebende Mädchen, ob sie ihm einen Regenumhang aus Reisstroh leihen könnte. Wortlos brachte sie ihm ein Japanisches Goldröschen (yamabuki). Ōta Dōkan zog verwirrt und durchnässt von dannen. Erst später in seiner Residenz machte ihn ein Gefolgsmann auf die Bedeutung der Blumengabe aufmerksam. In einem alten Gedicht des Prinzen Kaneakira heißt es, das Goldröschen blühe sehr schön, aber brächte nichts hervor. Letzteres kann im Japanischen ein Wortspiel mit »hat keinen Regenmantel« bedeuten. Das beschämte Mädchen hatte ihm also »durch die Blume« zu verstehen gegeben, dass es zu arm war, um einen Regenmantel zu besitzen.
Von nun an arbeitete Ōta Dōkan an seiner Bildung und schrieb bald selbst Gedichte. Eines seiner berühmtesten, neben seinem Sterbegedicht, beschreibt die Lage seiner Burg Edo:
»Meine Behausung
Grenzt an einen Kiefernhain
An der blauen See.
Von ihrer bescheidenen Traufe aus
Kann man den sich erhebenden Fuji sehen.«
Auch für dieses Gedicht wird Ōta Dōkan bis heute geschätzt und geliebt, fasst es doch die über die Jahrhunderte andauernde Freude der Japaner und ihrer Besucher zusammen, wenn sie den majestätischen Berg Fuji von Edo/Tōkyō aus zu Gesicht bekommen.
Ōta Dōkan war jedoch kein langer Lebensabend vergönnt. Er musste weiterhin die Pflichten eines Vasallen gegenüber Uesugi Sadamasa erfüllen, der in erbitterten Auseinandersetzungen mit regionalen Rivalen stand. Eine dieser Familien, die Hōjō, sollten die Region einschließlich Edo für den größten Teil des 16. Jhs. beherrschen. 1486 wurde Ōta von seinem Herrn fälschlich der Illoyalität beschuldigt und kam in Sagami ums Leben. Vermutlich geschah dies, wie unter Samurai üblich, durch die förmliche Übermittlung einer »Einladung« zum Seppuku, dem rituellen Selbstmord durch das eigene Schwert. Ōta Dōkans eingangs zitiertes Sterbegedicht drückt gleichzeitig das Bedauern über das Ende eines so reichhaltig gewordenen Lebens aus, ohne die Haltung der Todesverachtung aufzugeben, die von einem wirklichen Samurai zu erwarten war. Ōta Dōkan ging, aber Burg und Stadt Edo blieben auf der Landkarte. Sie waren zu Orten geworden, in denen es sich zu leben lohnte.
Ōta Dōkan wird, neben Tokugawa Ieyasu, heute als zweiter Stadtgründer von Tōkyō gefeiert, besonders am 1. Oktober, dem offiziellen Stadtgründungstag. 1956 war er sogar die Hauptperson des Gedenkens im Rahmen der offiziellen 500-Jahresfeier des Großraums Tōkyō. Sich auf den Burgbaubeginn unter Ōta Dōkan zu beziehen, mochte günstig sein, um nach den Verwüstungen des Zweiten Weltkriegs den historischen Bogen weiter zurück zu spannen und der Hauptstadt ein ehrwürdiges Alter zu geben. Seit 1956 also nimmt Ōta Dōkan einen vorderen Platz ein unter den regionalen Heldenfiguren Japans. Zahlreiche Denkmäler, Bücher, Filme und andere Medien legen davon beredtes Zeugnis ab.
Auf dem Weg nach Edo – Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616)
Im 16. Jh. wurde das südliche Kantō-Gebiet von mehreren aufeinanderfolgenden Generationen der Familie Hōjō beherrscht. Während das japanische »Zeitalter der kämpfenden Reiche« (Senjoku-jidai) im ganzen Land seinem Höhepunkt zustrebte, gab es im Osten lange ein Patt zwischen den rivalisierenden Fürstenhäusern Hōjō, Uesugi, Takeda und Imagawa. Solche regionalen Fürsten, daimyō, regierten ihre Territorien faktisch unabhängig von Kaiser und Shōgun, deren tatsächlicher Machtbereich kaum noch über die Hauptstadt Kyōto hinausreichte. Schon um das eigene Gebiet zu schützen waren viele jederzeit zum Angriff auf Nachbarn bereit und die Großen fraßen die Kleinen. Als sich ab 1543 die von einigen gestrandeten Portugiesen vorgestellten Feuerwaffen in Japan verbreiteten, beschleunigte sich der Prozess des Fressens und Gefressen-Werdens: Diejenigen Fürsten, die genug Mittel hatten, sich die neue Waffengattung und vor allem das knappe Schießpulver leisten zu können, schalteten immer mehr Rivalen aus und vergrößerten den eigenen Machtbereich, was wiederum ihre Ressourcen vermehrte.
Die Hōjō gehörten dabei zu den größten Fischen im Haifischbecken und wahrten ihre Unabhängigkeit bis 1590. Sie hatten nicht das altehrwürdige Kamakura, sondern das ca. 80 km westlich von Edo/Tōkyō liegende Odawara zu ihrer Residenz und wichtigsten Burgstadt erwählt. Ihr mehrere Provinzen des Kantō umfassendes Territorium sicherten sie durch ein Netzwerk von Nebenburgen, die wiederum eigene Netzwerke mit Satellitenforts und Grenzposten hatten. Edo war eine solche Nebenburg mit eigenem Netzwerk, gehalten von lokalen Vasallen der Hōjō. Augenscheinlich entwickelte sich die Stadt Edo nicht weiter in dieser Zeit, aber der Burg verblieb eine gewisse Bedeutung bei der Sicherung und Verwaltung eines Teils des Hōjō-Landes.
Die Hōjō waren eher nur entfernte Zuschauer, als ein relativ unbedeutender Daimyō namens Oda Nobunaga (1534 – 1582) sich von seiner Heimatprovinz Owari (das Gebiet um die heutige Großstadt Nagoya) aus aufmachte, eine Provinz nach der anderen in Zentral- und Westjapan zu erobern. 1573 setzte Oda Nobunaga in Kyōto den 15. und letzten Shōgun aus dem Hause Ashikaga ab, wonach dieses Amt 30 Jahre lang unbesetzt blieb. Nach Nobunagas dramatischer Ermordung durch einen unzufriedenen Untergebenen 1582 führte ein anderer vormaliger General des Nobunaga die gewaltsame Landeseinigung fort, Toyotomi Hideyoshi (1536 o. 1537 – 1598). Nach der Eroberung und Umgestaltung von Zentral- und Westjapan fielen 1585 Shikoku und 1587 Kyūshū im Süden. Die Hōjō verpassten den richtigen Zeitpunkt, sich Hideyoshi formell zu unterwerfen und so wenigstens einen Teil ihrer Herrschaft zu retten. Hideyoshis gewaltige Militärmaschinerie setzte sich 1590 mit über 200.000 Mann nach Osten in Bewegung. Burg um Burg fiel. Odawara selbst war zu schwach, die Angreifer zur Feldschlacht zu stellen, aber doch zu zahlreich bemannt, um alle Eingeschlossenen lange genug ernähren zu können. So endete die Zeit der Hōjō mit der Kapitulation und dem erzwungenem Selbstmord des regierenden Fürsten.
Das Jahr 1590 kann auch als das folgenreichste in der bisherigen Stadtgeschichte von Edo angesehen werden, denn am 1. Tag des 8. Monats nach dem alten Mondkalender, also zur Mitte des Herbstes, nahm Fürst Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616) offiziell Besitz von seinem neuen Lehen, zu dem die Burg Edo gehörte. Ieyasu tauschte auf Wunsch des Hegemons Toyotomi Hideyoshi seine eigenen, weiter westlich entlang der Tōkaidō-Straße gelegenen fünf Provinzen, darunter sein Stammland Mikawa, gegen die acht Provinzen des Kantō ein. Diese waren: Musashi (heute Tōkyō und die Präfektur Saitama), Sagami (Präfektur Kanagawa), Awa (Chiba), Kazusa (Chiba), Shimōsa (Chiba und Ibaraki), Hitachi (Ibaraki), Kōzuke (Gunma) und Shimotsuke (Tochigi).
Die ganze Region war immer noch weniger entwickelt als der Westen, vor allem aber weit entfernt von Kyōto und Ōsaka, der Hauptburg der Toyotomi. Hideyoshi wollte damit den zweitmächtigsten Mann des Landes und potenziellen Rivalen Tokugawa Ieyasu geografisch von sich entfernen und ihn gleichzeitig auf Jahre hinaus mit Aufbau- und Entwicklungsarbeit beschäftigen. Hätte er gewusst, dass Ieyasu nach Hideyoshis Tod 1598 von seiner neuen Machtbasis Edo aus den Weg zum Alleinherrscher antreten und Hideyoshis Erben 1615 endgültig ausschalten würde, hätte er ihn wohl kaum 1590 als neuen Herrn dort einziehen lassen. Natürlich erkannte Ieyasu Edos strategischen Wert sofort. Er wählte den kleinen Ort mit seiner heruntergekommenen Burg statt des alten Kamakura oder Odawara als Hauptstadt, um völlig neu und in grandiosem Maßstab anfangen zu können. Sein bisheriges Leben hatte ihn vieles gelehrt, das er nun umsetzte.
Genauso wenig wie bei Oda Nobunaga und Toyotomi Hideyoshi war in Ieyasus frühen Lebensjahren abzusehen gewesen, dass er einer der »Drei Reichseiniger« Japans werden und seiner Familie die Herrschaft auf 250 Jahre hinaus sichern würde. Zwar war Ieyasu von adliger Abkunft, seine Anfänge waren aber bescheiden. Das kleine Territorium seines Vaters drohte zwischen den Oda und den Imagawa aufgerieben zu werden, und der Hinwendung zu den Imagawa begegneten die Oda 1548 mit der Entführung des sechsjährigen Ieyasu, den sie mit der Exekution bedrohten, falls sein Vater nicht von den Imagawa zu den Oda wechselte. Dieser erwiderte, der Tod seines Sohns würde nur die Ernsthaftigkeit seines Pakts mit den Imagawa unterstreichen. Ieyasu kam drei Jahre später von den Oda los und verbrachte sein 9. bis 15. Lebensjahr als Geisel der Imagawa in deren Hauptstadt Sumpu, die ihm eine standesgemäße Erziehung angedeihen ließen. Tatsächlich schlug der junge Ieyasu von 1555 bis 1560 mehrere Schlachten für die Imagawa, bevor er nach deren Debakel bei Okehazama 1560 Verbündeter, nicht Vasall, des Siegers Oda Nobunaga wurde.
Es verging kaum ein Jahr, das die beiden nicht auf dem Schlachtfeld sah, und im Schatten des Nobunaga wuchs auch die Macht des Juniorpartners Tokugawa Ieyasu. Für dessen eiserne Entschlossenheit, sich und sein Haus nach oben zu bringen und dort zu halten, spricht auch seine Entscheidung 1579, auf Oda Nobunagas Verlangen hin seine eigene, vielleicht zu Unrecht der Konspiration mit dem Feind bezichtigte Frau sowie seinen ersten Sohn Nobuyasu hinrichten zu lassen.
Toyotomi Hideyoshi als neue Nummer eins ab 1582 zu respektieren, fiel Ieyasu allerdings deutlich schwerer und nach einem unentschiedenen Waffengang 1584, bei dem die kleinere Armee des Ieyasu der größeren des Hideyoshi erfolgreich getrotzt hatte, konzentrierte sich Ieyasu auf den Ausbau seiner eigenen Gebiete. Vielleicht war es den Jahren als Geisel in seiner Jugend zu verdanken, dass Ieyasu warten konnte. Die japanische historische Erinnerung konfrontiert die drei Reichseiniger gern mit der Frage »Was tun, wenn ein Vogel nicht singen will?« Der erste, Nobunaga, würde befehlen, den Vogel zu töten. Hideyoshi, der zweite, würde versuchen, den Vogel zum Singen zu überreden, während Ieyasu, der Dritte, einfach abwarten würde. Noch plastischer ist das Bild der drei, wie Nobunaga mühevoll Reis zur Herstellung der Süßigkeit mochi zu Brei schlägt, Hideyoshi ihn gründlich durchknetet und Ieyasu die fertige Süßigkeit schließlich genüsslich verspeist.
1590 lieh Tokugawa Ieyasu dem inzwischen weiter erstarkten Hideyoshi seinen Arm während des Odawara-Feldzugs gegen die Hōjō und vollzog danach den Wechsel nach Edo. Zu Hideyoshis verschwenderischen und letztlich erfolglosen Feldzügen gegen Korea 1592 – 1598 steuerte Ieyasu kaum etwas bei, sondern trieb den Landesausbau im Osten zielstrebig voran. Als der alternde Potentat Hideyoshi 1598 verstarb, als sein Sohn gerade fünf Jahre alt war, wurde Tokugawa Ieyasu zum mächtigsten Mann im Fünferrat, der die Geschicke des Landes für das Kind lenken sollte. Keiner seiner Gegner glaubte, dass Ieyasu wirklich einen weiteren Toyotomi an der Macht sehen wollte, und sie hatten Recht. Die Spannungen entluden sich 1600 im Feldzug von Sekigahara, bei dem Ieyasus hauptsächlich aus dem Osten stammende Armee die im Namen der Toyotomi kämpfende West-Armee zerschlug.
Der zweite Stadtgründer von Edo –
Tokugawa Ieyasu (1543 – 1616)
Tokugawa Ieyasu ergriff im Herbst 1590 Besitz von Edo und begann den Ausbau zu seiner neuen Hauptstadt. Die Burg war in schlechtem Bauzustand und zu klein, es war eine komplette Neuplanung vonnöten. Genau wie bei der Hauptstadt Kyōto waren die geomantischen Voraussetzungen günstig. Wie erforderlich gab es im Osten einen Fluss, im Süden die See, im Westen eine große Straße (die Tōkaidō) sowie im Norden Berge. Das geomantisch bedeutende Problem der spirituellen Sicherung der gefährlichen Nordostecke lösten Ieyasus Nachfolger durch den Bau des Kan’ei-ji-Tempels auf dem Hügel von Ueno (s. Die großen Tempel von Edo – Tenkai, S. 78). Zwar gab es in der Bucht von Edo keine Möglichkeit einen großen Hafen zu erbauen, aber die zahlreichen in sie mündenden Flüsse und Kanäle erlaubten es, an ihnen entlang Anlege- und Umschlagplätze sowie reihenweise Lagerhäuser zu errichten. Die Flüsse von den nördlichen Bergen sicherten die Trinkwasserversorgung, auf der weiten Musashi-Ebene konnten die zur Versorgung von Edo nötigen Lebensmittel erzeugt werden. Verfeinerte Produkte, vor allem Sake, sowie Baumaterialien konnten per Schiff aus dem Westen, besonders aus Ōsaka, herangebracht werden. Ieyasu ernannte zügig Verantwortliche für den Bau und die Bauaufsicht, ließ alles vermessen und die Arbeiten am Kanalsystem von Edo beginnen. Zuerst wurde der Dōsanbori-Kanal zwischen dem Hirakawa-Fluss und dem Haupttor der Burg, dem Ōte-mon, angelegt. Für eine leistungsfähige Trinkwasserversorgung sorgten der Tameike-Teich und die Wasserwerke von Kanda Jōsui. Gleichzeitig entstanden Straßen, Brücken und weitere Kanäle, wobei die Infrastruktur von Anfang an auf Wachstum ausgelegt war. So wurden für herbeiströmende bürgerliche Zuwanderer große Blocks von gut 120 × 120 Metern mit zweistöckigen Häusern nach dem Vorbild von Kyōto angelegt. Die Straßen waren bis zu 18,2 Meter breit, was schon damals zu Diskussionen im Handel führte, ob die große Breite nicht eher vom Shoppen abhalten, als es fördern würde.
Ieyasu war in seinen Entscheidungen von zwei gegensätzlichen Prinzipien geprägt: Einerseits hatte er stets pragmatisch und flexibel agiert und sich rechtzeitig Neuem geöffnet. Dies war in den Turbulenzen des 16. Jhs. notwendig gewesen, um seinem Haus das Überleben zu sichern. In den Jahren ab 1600 stand Tokugawa Ieyasu dann als der mächtigste der Fürsten Japans ganz oben, 1603 wurde er Shōgun und damit der offiziell vom (machtlosen) Kaiser mit der Führung des Landes Beauftragte. Es ging nun nicht mehr darum, die Macht zu erringen, sondern sie zu sichern. Dies tat er mit konservativen Mitteln, um gesellschaftliche Umstürze und den schnellen Aufstieg potenzieller Rivalen zu verhindern. Von nun an sollte jeder in der Gesellschaft seinen Platz kennen und dort verbleiben. Die Teilung der damaligen Gesellschaft in Adel (Samurai), Bauern, Bürgerliche (Kaufleute und Handwerker) sowie Geistliche (Buddhisten und Shintō-Priester) spiegelte sich deutlich in der Zuweisung von Siedlungsbereichen in der Stadt Edo wider. Ieyasus alte Gefolgsleute errichteten ihre Anwesen an strategisch wichtigen Stellen, wie vor dem Haupttor der Burg oder an Flussufern. Andere Samurai ließen sich im Norden und Westen nieder, wo es hügeliger war. Bis heute hat sich die grobe Unterteilung von Edo/Tōkyō in die Bereiche »Yamanote« und »Shitamachi«, erhalten.
Yamanote bezeichnet die etwas erhöht liegenden Viertel vorwiegend im Westen, während sich die »Untere Stadt«, das bürgerliche Shitamachi, im Osten zur Bucht hin erstreckt. Beide sind durch eine Nord-Süd-Linie etwa von Ueno bis Meguro abgegrenzt, aber wegen des hügeligen Terrains gab es von Anfang an auch kleinere Shitamachi-Viertel mitten im Yamanote-Gebiet. Die bürgerlichen Viertel von Shitamachi entstanden im zentralen und südöstlichen Stadtgebiet, bevorzugt an Brücken, Kanälen und an der Bucht. Das zentrale Viertel Honchō lag östlich der Tokiwa-Brücke und differenzierte sich schnell nach Funktionen, etwa in Blöcke für die Holzversorger, andere für die Menschen im Wassertransport-Gewerbe und auch in Märkte. Die Bürgerlichen errichteten an den vier Seiten ihrer Wohnblocks ihre Stadthäuser (machiya), die typischerweise sowohl dem Wohnen als auch dem Erzeugen und Verkaufen von Waren dienten. Auf der Innenseite der Blocks standen Nebengebäude und geschützte Lagerhäuser, ganz in der Mitte des Blocks dann ein kommunaler Bereich mit Latrinen und einem Müllsammelplatz. Tempel und Schreine bekamen oft Areale zugewiesen, die an Hauptstraßen lagen, also gut zu erreichen waren. Diese Areale waren teilweise so groß, dass auch nach der Bebauung Freiflächen übrig blieben, welche die Funktionen zentraler Plätze in europäischen Städten übernehmen konnten, also zum Handel, zu Versammlungen und nicht zuletzt als Rückzugsraum bei Naturkatastrophen dienten. Tagsüber gab es relativ freie Bewegungsmöglichkeiten, nachts aber wurden die Aus- und Zugänge zu den Bürgervierteln geschlossen.
Nach und nach begann ein dichtes Netz von Kanälen die Stadt zu durchziehen. Nach einigen Jahren ging man vom rasterförmigen Stadtplan ab und ordnete alle Viertel spiralförmig an, ausgehend vom Herzen Edos, der gewaltigen Burg. Die Spirale und das Kanalsystem konnten sich immer weiter nach außen entwickeln und die Stadt immer weiter wachsen lassen, selbst in die Bucht von Edo/Tōkyō hinein, wo Landauffüllungsprojekte bis heute immer wieder Neuland schaffen.
Die Burg war das zentrale Element der Stadt, von der aus Shōgun Tokugawa Ieyasu und seine Nachfolger Stadt und Land beherrschten. Ieyasu hätte sich wohl auch für Kyōto als Amtssitz entscheiden können, hielt aber an seiner im Entstehen begriffenen eigenen Hauptstadt fest. Hier lag seine Burg, nicht der Kaiserpalast, im Mittelpunkt, alles richtete sich nach ihr und ihrem ranghöchsten Bewohner aus. Die Viertel der anderen Gruppen der Stadtbewohner lagen um die Burg herum angeordnet, wobei die vielen Kanäle und Gräben primär Teile des Sicherheitssystems der Burg, und erst in zweiter Linie Transportadern für die Wirtschaft waren. Wo ein Brückenbau die Sicherheit der Burg geschwächt hätte, unterblieb er und die Bürger mussten mit Fähren übersetzen. Die Betonung des herrschaftlichen Aspekts in der Stadttopographie entspricht dem patriarchalischen Staatsverständnis der Tokugawa. Die Trennung der sozialen Gruppen verdeutlicht die Ideologie, dass ein jeder an seinen Platz gehöre und soziale Mobilität nicht mehr erwünscht sei. Rangunterschiede zwischen den sozialen Gruppen wurden schon durch die Größe des zugewiesenen Platzes sichtbar: Insgesamt 70 % der zunehmend knapper werdenden Stadtfläche war Fürsten und anderen Samurai vorbehalten, 14 % verschiedenen Tempeln und Schreinen und nur 16 % den Bürgern.
So wurden in den Jahren um 1600 bereits die Grundlagen der Stadttopographie gelegt, die Edo prägen sollte, bis es 1868 zu Tōkyō wurde und die Moderne Einzug zu halten begann.
Als Tokugawa Ieyasu am 01. 06. 1616 im Alter von 73 Jahren starb, vermutlich entweder an Magenkrebs oder an den Spätfolgen einer 1615 vor Ōsaka erlittenen Wunde, hatte er alle seine Rivalen besiegt und überlebt. Bis zur Mitte des 19. Jhs. wagte es niemand die Tokugawa-Shōgune ernsthaft herauszufordern und keine Stadt Japans konnte mit der Hauptstadt Edo gleichziehen, obwohl sich viele Fürsten beim Ausbau ihrer Burgstädte in der Provinz am großen Vorbild Edo orientierten.
Denn sie bauten eine Burg – Tōdō Takatora (1556 – 1630) und Katō Kiyomasa (1561 – 1611)
Der Fürst (daimyō) Tōdō Takatora war genau wie Toyotomi Hideyoshi und Tokugawa Ieyasu ein Produkt des wilden 16. Jhs. Obwohl nur der Sohn eines einfachen Fußsoldaten, arbeitete sich Takatora im Dienste von nicht weniger als zehn aufeinanderfolgenden Herren nach oben. Seine bewiesene Fähigkeit, zu erkennen, wer der Sieger sein würde, führte ihn vor Sekigahara 1600 in das Lager Tokugawa Ieyasus, der vor allem seine Talente als Festungsarchitekt schätzte. In der zweiten Hälfte des 16. Jhs. hatten Heeresvergrößerungen, Arkebusen und schließlich auch schwere Artillerie die herkömmlichen Anlagen aus Holz und Erde obsolet werden lassen. Man brauchte nun weit größere Festungen mit einem mehrere Kilometer langen äußeren Perimeter, um den inneren Kern der Burg außer Schussweite zu halten. Solche Bauten konnten nur in der Ebene entstehen, wo Wasserwege als Gräben umgeleitet werden konnten. Die Mauern wuchsen und wuchsen und wurden nun zunehmend mit großen Steinen eingekleidet. Viele dieser Mauern haben – auch in Tōkyō – Erdbeben und Luftangriffe bis heute überstanden. In Tōdō Takatoras eigener Burg Iga-Ueno waren die Mauern 28 Meter hoch; der Graben seiner Burg Tsu war 100 Meter breit. Takatora war ein Spezialist, der im Laufe seiner langen Karriere am Bau von rund 20 Festungen beteiligt war. Ieyasu und sein Sohn, der zweite Tokugawa-Shōgun Hidetada, vertrauten ihm nacheinander Edo, später die Tokugawa-Residenz Nijo in Kyōto und ab 1620 den Neubau von Ōsaka an.
Tōdō Takatora kannte die bedeutendsten Steinmetze des Landes und verpflichtete sie; gleichfalls schickten die Fürsten des Landes Fachleute, Helfer, Geld und Baumaterialien, wozu sie als Lehnsleute des Shōgun verpflichtet waren. Alle diese Leute mussten untergebracht und versorgt werden, und die Stadt Edo wuchs weiter. Die Arbeiten waren gigantisch, selbst für einen Meister wie Takatora, denn der Untergrund bestand nicht aus Fels, sondern aus Marschland. Immer wieder fielen fertige Mauersegmente ein und begruben die Arbeiter unter sich. Schließlich kam Fürst Katō Kiyomasa, wie Takatora eine Art lebende Legende der vorangegangen Sengoku-Zeit, auf die rettende Idee: Er ließ Arbeiter große Mengen von Schilf auf dem sumpfigen Untergrund anpflanzen und lud dann immer wieder Kinder ein, auf dem Schilf zu spielen. Nach und nach wurde das Schilf lagenweise niedergetrampelt und bot einen besseren Baugrund für die Mauern. Eine bemerkenswert feinfühlig anmutende Lösung für einen alten Haudegen wie Katō Kiyomasa, der Dichtkunst als verweichlicht abtat und Aussprüche tätigte wie den folgenden: »Die Pflicht des Samurai ist einfach, das Schwert in die Hand zu nehmen und zu sterben«.