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Hier stoppte er seinen Redefluss und bemerkte, dass ihm alle zuhörten, einer rief lautstark: „Du bist ja nicht nur schwul, sondern echt krank.“ Dann senkte Schwuli seinen Kopf und verbarg das Gesicht hinter seinen Händen. Ich hatte das Gefühl, dass er sich nicht nur maßlos schämte, sondern auch die Tat bereute.
Nachgefragt
Etwas derart Schreckliches hatte ich bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht gehört und schon gar nicht für möglich gehalten. Daher unternahm ich den Versuch, seine Beweggründe für eine solch schändliche Tat zu ergründen. Die Frage an Schwuli war: „Was war der Auslöser, um eine solche Tat zu begehen?“
Er begann damit, dass er schon einmal eine ähnliche Straftat begangen habe, die ihn aber nicht geändert hat. Obwohl seine Unmoralität medizinisch behandelt und therapiert wurde, ist Schwuli doch zum Kinderschänder geworden. Dass er zum Wiederholungstäter wurde, begründete er damit, dass in ihm ein unlöschbares Programm installiert ist, das immer dann in Aktion tritt, wenn er Kinder sieht und mit ihnen in Körperkontakt kommt. Es ist für ihn wie ein Rausch, dem er willenlos ausgesetzt ist.
So schlimm es auch für die Täter ist, dürfen aber nicht die Opfer vergessen werden, die aus der Lebensbahn geworfen, oder gar getötet werden. Immerhin werden den vergewaltigten Frauen und Kindern tiefe seelische und moralische Wunden geschlagen. Für die Täter wird am Ende immer gesorgt, die Opfer jedoch oft allein gelassen. Aus der Sicht der Verletzten ist es eine Zumutung, dass sie mit ihren Steuern den Täter im Gefängnis unterstützen. Vielmehr herrscht die Meinung vor, dass der Täter im Gefängnis durch seine Arbeit dem Opfer Schmerzensgeld schuldet.
GETEILTES LEID UND FREUDE
Wieder einmal holte mich ein Schließer aus der Zelle, wie ich glaubte, zum Verhör. Ich wurde aber in eine andere Richtung geschoben. Was mich wunderte war, dass man mir nicht die Handschellen anlegte. Ich traute meinen Augen nicht, als vor einer Zimmertür Halt geboten wurde. Ich erkannte die Aufschrift: „Besucherraum“.
Mir rutschte vor Schreck das Herz in die Hosentasche, als sich die Tür öffnete und ich meine Frau entdeckte. Als wir, durch eine Glasscheibe getrennt, uns gegenüber saßen, standen uns beiden die Freudentränen in den Augen. Durch ein Sprachgitter in der Scheibe war es möglich, miteinander zu reden. Es dauerte einige Minuten, bis es uns gelang, sachbezogen miteinander zu sprechen. Irene zog einen Zettel mit Notizen aus ihrer Tasche, die wir dann abarbeiteten. Wir hatten uns viel zu sagen. Es war mehr eine Berichterstattung von Irene, bei der sie auch Fragen stellte und ich sie beantwortete. Ich erfuhr, sie hatte erst Tage später von meinem Verbleib erfahren, es gab eine Hausdurchsuchung, der Betrieb musste geschlossen und die Technik verkauft werden, um eine angebliche Schuld an das Finanzamt zu zahlen. Zu all den Dingen machte ich Vorschläge und auch zur Abwicklung des Betriebes. Die dazu notwendigen Behördengänge muss Irene selbst erledigen und das wird lange so bleiben. Telefonieren, um sachbezogen zu helfen, war nur mit Genehmigung und unter Bewachung möglich. Die ein Stunde Sprechzeit pro Monat ging zu Ende, und ich durfte mich kurz von meiner Frau verabschieden. Eine Glanzleistung erbrachte der Schließer, als er mir vor den Augen meiner Frau die Handschellen anlegte. Beim Verlassen des Raumes versuchte ich noch, einen Blick zu erhaschen, aber mein Wächter versperrte mir die Sicht.
Anmerkung
Wieder in der Zelle angekommen, unternahm ich den Versuch, die Ereignisse in meiner Familie und im Betrieb zu ordnen. Es erschien mir wichtig, in einem Brief zu allen anliegenden familiären und betrieblichen Problemen umfassend Stellung zu nehmen. Diesen ließ ich durch meinen Anwalt meiner Frau als Vorgabe zur Lösung der anstehenden Arbeiten zukommen. Mir blieb nur die Hoffnung, dass es meiner Familie gelingen möge, der Belastung standzuhalten.
In meinen Gedanken versunken, was meiner Familie und mir zurzeit widerfährt, näherte sich Schwuli, um mich zu trösten. Ich begegnete ihm mit den Worten: „Deine Last ist schwer und unmenschlich, daran musst du arbeiten.“ In Anbetracht dessen, was er getan hatte und was ihm vorgeworfen wurde, kann aus meiner Sicht nicht gesühnt werden. Für diese Täter ist die Psychiatrie der einzige Ort, wo sie mit der Öffentlichkeit nicht in Berührung kommen.
Die Politik räumt den Schwulen und Lesben weitreichende Kompetenzen ein, das ist aus meiner Sicht mit der Natur nicht in Einklang zu bringen. Wenn ihnen dann noch Kinder zur Adoption anvertraut werden, kann man das nicht nachvollziehen. Irgendwann werden die Kinder fragen: „Wer ist meine Mutter oder mein Vater.“ Dann muss dem Kind erklärt werden, wie zwei Männer oder Frauen miteinander verkehren. Stellt sich die Frage, wann und wie sage ich es dem Kinde, ohne Scham aufkommen zu lassen. Ob sich in einer solchen Umgebung Kinder normal entwickeln können? Daran kann man ernsthaft zweifeln.
Sicherlich ist es so, dass nicht alle Schwulen und Lesben zu Verbrechern werden, sondern zu zweit oder in Gruppe gut miteinander leben und auskommen. Was aber in der Öffentlichkeit, vor allem in den Medien zur Show gestellt wird, fällt oft aus dem Rahmen. Es ist bedauerlich, dass die Natur den Menschen einen Streich gespielt hat. Das verlangt aber nicht, dass daraus ein kostümiertes Spektakel gemacht wird. Bekanntlich ist es so, dass die Geschmäcker und Meinungen verschieden sind, was bewirkt, dass jeder nach seiner Fasson selig werden kann.
ARBEIT IN DER KÜCHE
Die vierzehn Tage U-Haft in der Sammelzelle, auch wenn der Gesprächsstoff noch lange nicht erschöpft war, langweilten mich. Deshalb bemühte ich mich um eine Arbeit, diesen Wunsch hat ein Schließer für mich weiter gegeben. Ein positiver Bescheid wäre ganz in meinem Sinn, um dem Gestank in der Zelle zu entkommen. Nach der Geschichte von Schwuli war mein Gespräch mit dem Schlossermeister an der Reihe. Er war der Erste, welcher mir half, als ich in die Zelle gestoßen wurde. Ihm war das Gleiche widerfahren wie mir und vielen anderen, auch er hatte heftig sein Eigentum verteidigt. Beim Fachsimpeln gerieten wir schnell zu seinem Problem, das er mir in allen Einzelheiten schilderte. Voller Wut ging er auch auf die Rücksichtslosigkeit seiner Peiniger ein.
Es waren einige Tage vergangen, als nach dem Mittagessen die Zellentür entriegelt und aufgeschlossen wurde. Ein Uniformierter betrat den Raum mit den Worten: „U-Häftling Weiß, raustreten!“ Dieser brachte mich in ein Büro, das ich noch nicht kannte, wo ein Unterleutnant am Schreibtisch saß. Mit ernster Miene fragte er mich: „U-Häftling Weiß, Sie wollen arbeiten“, was ich mit Ja beantwortete. Bei dem Wortwechsel stellte ich fest, dass wir uns kennen, was auch er bemerkte. Etwas nachdenklich und mit freundlicher Stimme sagte er: „In zwei Tage werden Sie in der Küche eingesetzt.“ Das war Musik in meinen Ohren, komme ich doch endlich aus der stinkenden Raucherkammer heraus. Auf dem Weg zur Zelle überlegte ich, woher der Unterleutnant mich kennt. Nach langen Überlegungen stellte es sich heraus, dass er ein Bürger meiner Heimatstadt Belzig ist. Das kann unter Umständen für mich hilfreich sein, soll er etwa mein Schutzengel werden? Neugierig empfingen mich meine Leidensgenossen. Einige freuten sich, andere waren neidisch über meinen Erfolg. Zur gegebenen Zeit war Abendbrot-Ausgabe, wo jeder seine Portion entgegennahm. Teils nachdenklich, auf ihr karges Essen starrend nahmen alle Achtzehn ihr Abendbrot ein. Als Getränk gab es meistens Muckefuck oder Tee, was allmählich langweilig wurde.
DER WEG UND BEGLEITERSCHEINUNGEN BIS ZUM MORD
Nicht mehr hungrig legten sich die meisten auf ihre Betten und vertrieben sich die Zeit mit Rauchen, was mich als Nichtraucher zunehmend belastete. Andere erzählten sich ihre Geschichten. So auch einer, der zum Mörder wurde.
Sie waren eine intakte Familie, wenn auch hin und wieder Probleme auftraten, doch die waren immer zur Zufriedenheit aller gelöst worden. Seine Eltern zielstrebig und ehrlich, erzogen ihn, Horst, und seine Schwester Inge ebenso. Beide waren Durchschnittsschüler, so dass kaum Beschwerden von Seiten der Schule kamen. Seine Schwester, zwei Jahre älter, bestand als Erste den Abschluss der zehnten Klasse. Ihr Wunsch war es, im Gesundheitswesen tätig zu werden, so entschied sie sich für Krankenschwester. Als vierköpfige Familie lebten sie in einem Einfamilienhaus, glücklich und problemlos. Das Haus hatten die Eltern von ihren Eltern 1945 übernommen, hier kamen auch die Kinder Inge und Horst zur Welt. Die beiden Eltern waren stolz auf ihre Tochter Inge, weil sie ihren kleinen Bruder immer hilfreich unterstützte. Nun war auch Horst so weit, dass er die Zehnklassen-Oberschule erfolgreich abschließen konnte. Er erhielt eine Lehrstelle in einem VEB Chemiewerk, wo er später im Labor als Laborant sich einen Namen machte. Auch sein Vater hatte sich in diesem Werk hochgearbeitet, sein Lohn war entsprechend. Die Mutter von Inge und Horst hatte eine Halbtagsarbeit, am Nachmittag erledigte sie den Haushalt. Jeder hatte eine gute Arbeit und beteiligte sich angemessen am Lebensunterhalt. So lebte die Familie nun schon seit Jahren als könnte sie nichts umwerfen. Bis durch Zufall bei einer Routine-Untersuchung bei der Mutter Krebs diagnostiziert worden ist. Durch diese Feststellung kam schlagartig das familiäre Leben ins Wanken. Durch eine intensive Untersuchung und eine folgende Operation wurde erkannt, dass keine Hoffnung mehr bestehe, die Mutter zu retten. Zumal 1960 nicht nur in der DDR die Krebs-Bekämpfung noch in den Kinderschuhen steckte. Der Vater mit seinen nun schon erwachsenen Kindern war auf das Schlimmste gefasst. Es folgten Tage und Wochen des Bangens, weil sich der Zustand seiner Frau, zusehends verschlechterte. Wenn abends seine Kinder ihrer Wege gingen, war er plötzlich allein. Das nagte an seiner Substanz und er musste sich neu orientieren. An seinen Kindern bemerkte er auch eine gewisse Veränderung, hauptsächlich an seinem Sohn. Seine Frau war in guten Händen, lag sie doch in dem Krankenhaus, wo seine Tochter tätig war. All abendlich brachte Inge düstere Nachrichten mit nach Hause. An einem Morgen sah Inge im Krankenhaus betroffene Gesichter. Ihre Mutter war in der Nacht auf die Intensiv-Station verlegt worden. Dort stattete sie ihr gleich einen Besuch ab, der Arzt riet ihr, sie solle ihren Vater und Bruder benachrichtigen. Als diese eintrafen, konnten sie sich nicht mehr von ihr verabschieden. Sie, die Frau und Mutter, war ihrer schweren Krankheit erlegen.
Tage später trugen der Vater und seine Kinder die Verstorbene zu Grabe, wohin sie viele Freunde und Bekannten begleiteten. Nach der Trauerfeier wurde eines klar, dass sie viele Freunde gehabt hatte und nicht nur bei ihnen eine Lücke hinterließ. Inge begriff schnell, dass sie die Stelle ihrer Mutter übernehmen musste. Ihr Bruder Horst hatte Probleme, ihn hat es aus der Bahn geworfen. Vater und Schwester konnten ihn nur mühsam in der neuen Situation lenken. Mittlerweile war es spät geworden und es wurde Nachtruhe befohlen, kurz danach erlosch das Licht. Am Morgen wie immer gab es das Frühstück: Brot, zwei Scheiben Wurst und Marmelade. Ein wenig später wurde das Geschirr eingesammelt. Echt erschrocken war ich, als der Schließer in die Zelle rief: „U-Häftling Weiß, fertig machen, Sie werden gleich abgeholt.“ Innerlich machte ich einen Luftsprung, weil der Unterleutnant Wort gehalten hatte. Während des Wartens ging mir alles, was ich in dieser Zelle erlebt und gehört hatte, durch den Kopf. Einige Geschichten, die mir hier bekannt wurden, werde ich sicherlich noch erzählen. Während ich noch Gespräche führte, öffnete ein Schließer die Zellentür, forderte mich auf herauszutreten. Es ging die Treppe hinunter in den Keller, wo sich die Küche befand. Hier übernahm mich ein Koch, der auch ein Häftling war. Dieser setzte mich zum Kartoffelschälen und zur Essenausgabe ein, so bekam ich einen weitläufigen Überblick. Diese Arbeit blieb mir lange erhalten, sie brachte Abwechslung in meinen Tagesverlauf. Die Küche war mit acht Mann besetzt, wobei Küchenarbeit für mich Neuland war. Nach der Ausgabe des Abendbrotes war Küchenreinigung angesagt und somit hatte ich den ersten Arbeitstag hinter mich gebracht. Pünktlich um Sechs war Küchenschluss, wo dann der Unterleutnant die Küche abnahm. Ein JVA-Angestellter brachte das Küchenkommando wie immer in die Küchenzelle. Dort angekommen war mir das frei gewordene Bett vom Küchenchef zugewiesen worden. Das frische weiße Bettzeug lag bereits auf dem Bett, mit welchem ich das Bett bezog. In meinem Spint lag ein weißer Anzug, Socken und eine Mütze, was von nun an meine Bekleidung war. Bis zur Nachtruhe blieb noch genügend Zeit, uns miteinander bekannt zu machen. Es werden zukünftig viele Geschichten zu hören sein, jetzt aber möchte ich die Geschichte von Horst zu Ende erzählen.
Horst hat den Tod seiner Mutter nicht so gut verkraftet wie seine Schwester, er entwickelte sich zum Sorgenkind. Sein Vater unternahm alles, um seinen Sohn zu motivieren, weil es bereits betriebliche Probleme mit ihm gab. Auch kam er nicht mehr mit seinen Finanzen klar, ein Grund könnten seine Freunde sein. Seine Schwester unternahm auch den Versuch, ihrem Bruder Mut zu machen, obwohl sie es nicht leicht hatte. Familiär musste sie den Haushalt bewältigen und auch ihre Arbeit im Krankenhaus. Dem Vater, im Rentenalter, ging es auch nicht besonders, er brauchte immer mehr Hilfe. Das alles nagte an ihrer Gesundheit und ihrem Wohlbefinden so sehr, dass sie erkrankte. Die besten Ärzte des Krankenhauses kümmerten sich um sie, leider ohne konkreten Befund. Vater und Sohn waren bestürzt über das Ergebnis, sie drängten die Ärzte um weitere Untersuchungen. Durch eine gründliche Blutanalyse war ein unbekannter Virus entdeckt worden. Während der wochenlangen Suche nach dem Unbekannten war Inge stark abgemagert, das machte die Ärzte ratlos. Im Haus der beiden Männer herrschte inzwischen das blanke Chaos. Der Vater war durch die Umstände in letzter Zeit völlig entnervt und bettlägerig. Sein Sohn Horst war nicht Herr der Lage, er musste ihn vom Krankenbett aus anleiten. Auf diese Weise bekamen beide ihre Situation in den Griff. Durch gute medizinische Versorgung kam der Kranke schnell wieder auf die Beine. Aber die Sorgen um seine Kinder belasteten ihn, die Krankheit seiner Tochter war besonders schwer. Ihr Zustand verschlechterte sich zunehmend und die Ärzte machten ihm keine Hoffnung mehr. Für Vater und Sohn zeichnete sich eine düstere Zukunft ab, zumal sie schon das wichtigste Familienmitglied verloren hatten. Es hatte den Anschein, als läge zurzeit ein Fluch über der Familie. Genau das bestätigte eine Nachricht aus dem Krankenhaus, Inge war ins Koma gefallen. Daraufhin eilten Vater und Sohn zu der Kranken, wo die Ärzte um ihr Leben kämpften. Auf Anraten der behandelnden Ärzte verließen nach kurzem Besuch beide das Krankenhaus. Dass jetzt noch die Tochter des Hauses mit dem Tode rang, war für die beiden Männer einfach zu viel. Sie machten sich Gedanken, wie es ohne die Frauen weitergehen soll. Eine Männerwirtschaft konnten sie sich nur schwer vorstellen. In der Zeit des Hoffens und Bangens kam die Todesnachricht von Inge. Obwohl Vater und Sohn darauf vorbreitet waren, hatte es sie doch hart getroffen. War doch der Schmerz vom Tod der Mutter noch zu frisch. Trotz des zweiten Schicksalsschlages mussten sie den ihnen schon bekannten Weg gehen. Mit ihnen gingen Freunde, Bürger des Ortes und eine Abordnung des Krankenhauses. Es war der Wunsch von beiden trauernden Männern, dass Inge neben ihrer Mutter ihre letzte Ruhe fand.
Die beiden vom Schicksal schwer getroffenen Männer unternahmen den Versuch, ihr Leben neu zu ordnen. In einem Gespräch zwischen Vater und Sohn stellten sie fest, dass sie beide eng zusammenrücken müssen. Der Tod von Mutter und Schwester hatte Horst sehr mitgenommen und ihn nachdenklich gemacht. Er, jetzt schon achtundzwanzig Jahre alt, besann sich der mahnenden Worte seiner Mutter und Schwester, sich seinem Leben zu stellen. Dies setzte er in die Tat um und übernahm den Haushalt so gut er konnte. Sein Vater wusste das zu schätzen, was sie zu einem Team werden ließ. So war es auch eine Überraschung, dass Horst eines Tages eingekauft hatte und eine Freundin mit nach Hause brachte. Daraus ist zu ersehen, dass sich das Leben im Hause langsam wieder normalisiert. Was Horst fehlte, waren die abendlichen Zusammenkünfte mit seinen Freunden, welche er, aber eingeschränkt, wieder aufnahm, um ab und zu etwas Spaß zu haben. Seine zwei Freunde waren froh, dass Horst seinen Weg, von dem er durch die familiären Ereignisse etwas abkam, wieder gefunden hatte. Das Trio hatte eigene Vorstellungen vom Jugendleben als der Jugend Verband FDJ. Sie standen distanziert und ablehnend der DDR-Politik gegenüber. Ihnen war die persönliche Freiheit wertvoller als durch die SED-Politik gedengelt zu werden. Oft kam es vor, dass sie Diskotheken aufsuchten, wo Alkohol getrunken wurde, der dann seine Wirkung zeigte. So auch in der Nacht vom 16. zum 17. Juni 1972, wo die Stasi ganz besonders aktiv unterwegs war. An den Tagen davor und danach hatte die DDR-Regierung Angst, dass es zu Aufständen wie am 17. Juni 1953 kommen könnte. In dieser Nacht kam es tatsächlich zur Randale, wobei Transparente und Fahnen heruntergerissen wurden. An diesem Krawall hatten sich Horst und seine Freunde beteiligt. Mit dieser Tat bekräftigten sie ihre ablehnende Haltung der SED-Politik gegenüber. Auf ihrem Heimweg folgten ihnen unbemerkt einige Stasi-Leute. An einer Straßenkreuzung trennten sich die drei Freunde. Von nun an waren sie einzeln von jeweils zwei Stasi-Leuten verfolgt worden. Horst und einer seiner Freunde bemerkten, dass die Stasi ihnen folgt, so konnten sie zunächst entkommen. Den Dritten hat man im Dunkeln gestellt, der sich mit seinen Judokenntnissen zur Wehr setzte. Er hatte aber gegen zwei Stasischläger keine Chance, sie schlugen ihn mit ihren Stahlruten brutal nieder. Blutend ließen sie ihn liegen und verließen dann den Tatort. Als er wieder aufstehen konnte, gelang es ihm, sich schleppend sein Zuhause zu erreichen. Die Eltern, zutiefst erschrocken und in Sorge, wollten wissen, was geschehen ist. Sie hielten es aber für dringend, einen Krankenwagen zu rufen, damit ihr Sohn ärztlich versorgt wird. Noch in der Nacht wurde Werner gründlich untersucht und es wurde eine Diagnose erstellt. Sie ergab: Rippenbrüche, Verletzung innerer Organe sowie Hämatome am ganzen Körper. Die Ärzte verordneten mehrtägige Bettruhe für den Patienten. Gegen die Täter erstatteten Werners Eltern Anzeige gegen Unbekannt. Auch benachrichtigten sie seine Freunde Horst und Heinz, die über das brutale Vorgehen der Stasi entsetzt waren.
Die beiden Freunde, Horst und Heinz, ließen es sich nicht nehmen, ihren misshandelten Kumpel Werner im Krankenhaus in einem Vierbettzimmer zu besuchen. Er war sichtlich erfreut, seine Freunde zu sehen. Sie trauten ihren Augen nicht, als sie sahen, wie ihn die Stasi zugerichtet hatte. Heinz war besonders betroffen und seine Hände ballten sich zu Fäusten. Nach einer kurzen Begrüßung kamen sie schnell auf das, was in dieser Nacht geschehen war. Inzwischen hatten Horst und Heinz eine Vorladung von der Stasi erhalten. Als das Wort „Stasi“ fiel, meinte Heinz, „lasst uns in die Cafeteria gehen.“ Er traute den Mithörern im Zimmer nicht. Ihrem Freund Werner fiel das Laufen schwer, weil ihm alles wehtat. Lange noch hat sich das Trio am Kaffeetisch über ihre derzeitige Lage unterhalten. Es sah nicht gut für sie aus, weil die Stasi sie als Außenseiter eingestuft hatte. Dies sollte zur Gewissheit werden, weil die Drei ständig von allen Behörden überwacht wurden, auch in ihren Betrieben. Horst hatte mit seinem Vater über die Geschehnisse des Abends ausführlich gesprochen. Alles beunruhigte ihn sehr und er machte seinem Sohn heftige Vorwürfe. Er wusste aus eigener Erfahrung, wozu die DDR-Diktatur fähig ist. Er war bis zu seiner Rente leitend tätig und konnte somit hinter die Kulissen der Machthaber schauen.
Auf alles gefasst und mit gemischten Gefühlen befolgten Horst und Heinz die Ladung der Stasi. Der Empfang dort war alles andere als freundlich, sie waren doch in deren Augen Staatsfeinde. Nach einer angemessenen Wartezeit wurden sie getrennt zur Sache vernommen. Während der Verhöre waren sie massiven Behandlungen und Drohungen ausgesetzt. Unverhohlen hatte man Heinz die Frage gestellt, ob er auch wie Werner eine Sonderbehandlung brauche. Er ließ sich aber nicht einschüchtern und vertrat im Rahmen des Möglichen seine Meinung. Die aufrechte Haltung und Furchtlosigkeit von Heinz verunsicherte den Vernehmer, so dass dieser den Raum verließ. Wenig später betrat er mit neuer Instruktion wieder den Raum. Es hatte den Anschein, dass in diesen Minuten ein Urteil gefällt worden war. Sich in seinem Sessel zurücklehnend und Heinz anstarrend, meinte der Stasi-Mann: „Du hast den Kampf gewählt, wir sind bereit dazu.“ Mit dem Entzug seiner Ausweispapiere und dem Hinweis, seinen Heimatort nicht zu verlassen, konnte Heinz wieder gehen. Auf dem Weg nach Hause versuchte er das Ganze einzuordnen und zu begreifen. Eine weitere Sorge war, wie seine Eltern das alles aufnehmen werden. Irgendwie tat es ihm leid, seinem Vater und seiner Mutter so viele Sorgen zu machen. Er bekam den Eindruck, dass ihn das alles noch hart treffen wird.
Etwas geschickter stellte es Horst an, seinen Vernehmer nicht zu provozieren. Er hatte sich auf die mahnenden Worte seines Vaters besonnen, was sich für ihn auszahlte. Trotz rücksichtslosem Vorgehen der Stasi verhielt sich Horst besonnen, was ihm aber gegen den Strich ging. Er konnte das brutale Vorgehen gegen Werner nicht verstehen, der schwer verletzt im Krankenhaus seine ihm von der Stasi zugefügten Wunden auskuriert. Im Gegensatz zu Heinz war Horst von den Beamten mit der Bemerkung entlassen worden: „Sie hören von uns.“
Mittlerweile sind einige Wochen vergangen, in denen sich Werner von seinem Überfall erholte. In dieser Zeit hat er hart an sich gearbeitet. Er musste für sich eingestehen, dass er allein gegen die Diktatur nichts ausrichten kann. Die ständige Bespitzelung im Krankenhaus überzeugte ihn davon. Seine behandelnden Ärzte entließen ihn, verordneten ihm aber drei Wochen Genesungszeit.
Die Eltern und Werner selbst haben nur schwer die Ereignisse der letzten Wochen überstanden. Gemeinsam unternahmen sie den Versuch, mit sich ins Reine zu kommen. Sie wurden bei den Behörden vorstellig, hinsichtlich der Anzeige gegen Unbekannt, was sehr mutig von ihnen war. Werner wurde in ein Zimmer geholt und dort zu seiner Sache vernommen. Man machte ihm den Vorwurf, sich mit seinen beiden Freunden im Krankenhaus abfällig über die DDR geäußert zu haben. Womit bewiesen ist, dass flächendeckend die Menschen im Stasistaat bespitzelt wurden. Werner machte mehrmals den Versuch, das Geschehene herunterzuspielen, was ihm aber nicht gelang. Die Antwort auf Werners Ausführungen war: Übermut und Dummheit schützt vor Strafe nicht. In dem noch folgenden Gespräch stellte sich heraus, wer die Täter waren. Was aber mit ihnen geschehen wird, liegt allein im Ermessen der Behörden. Der Beamte erklärte das Gespräch für beendet und führte noch ein Telefonat. Daraufhin erschien ein Polizist, der Werner die Handschellen anlegte. Sein Vernehmer erklärte, dass er verhaftet sei und in U-Haft genommen wird. Seine Eltern warteten schon ungeduldig auf ihren Sohn und erkundigten sich schließlich nach seinem Verbleib. Die Antwort darauf hat sie fassungslos gemacht, weil sie Hilfe suchten und Leid bekamen. Was man ihnen noch auf den Heimweg mitgab war, wo und wann sie ihren Sohn besuchen können.
Zum Besuch kam es nicht, weil sie Tage später als Eltern einen Bescheid zur Gerichtsverhandlung ihres Sohnes erhielten. Sie trauten ihren Augen und Ohren nicht, was dem Sohn alles angelastet wird. So die Anklage: Vandalismus, Verunglimpfung der DDR und Rowdytum, wird zur Verhandlung stehen. Sachbeschädigung hätte hier vollkommen ausgereicht. Wie allgemein bekannt, in der DDR lag bereits das fertige Urteil bei Gericht in der Schublade. Zum angegebenen Termin erschienen Werners Eltern und auch seine Freunde. Die Verhandlung war öffentlich, eine Art Schauprozess, um die Macht zu demonstrieren. Der Saal füllte sich mit meist linientreuem Publikum. Im Schnellverfahren verlas der Staatsanwalt die Anklage und auch das Strafmaß: zwei Jahre und drei Monate Haft. Dem Rechtsanwalt waren die Hände gebunden, weil er Genosse war. Somit konnten Werners Taten nicht geschmälert und abgewertet werden. Auch ein Einspruch könne das Urteil nicht schmälern, so der Anwalt. Es ist offensichtlich und nicht von der Hand zu weisen, dass hier ein Exempel statuiert wurde.