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»Mm,« sagte Bensington und betrachtete seine Finger mit mehr Resignation, als er bisher entfaltet hatte.
»Praktisch muß die Sache herauskommen. Die Leute werden von diesem Kinde hören, es mit unseren Hennen und so weiter in Verbindung bringen, und die ganze Sache wird meiner Frau zu Ohren kommen ... Wie sie es aufnehmen wird, habe ich nicht die geringste Ahnung.«
»Es ist schwierig,« sagte Mr. Bensington, »einen Plan zu fassen – ohne Zweifel.«
Er nahm seine Brille ab und putzte sie sorgfältig.
»Das ist wieder ein Beispiel,« sagte er, »von dem, was fortwährend geschieht. Wir – wenn anders ich mir das Wort anmaßen darf – Wissenschafter – wir arbeiten natürlich immer für ein theoretisches Resultat – ein rein theoretisches Resultat. Aber gelegentlich setzen wir Kräfte in Tätigkeit – neue Kräfte. Wir sollen sie nicht leiten – und sonst kann esniemand. Praktisch, Redwood, ist die Sache uns aus den Händen genommen. Wir liefern das Material – –«
»Und sie«, sagte Redwood mit einer Wendung zum Fenster, »holen sich die Erfahrung.«
»Soweit diese Aufregung in Kent in Betracht kommt, habe ich keine Lust, mich weiter zu quälen.«
»Wenn sie uns nicht quälen.«
»Ganz recht. Und wenn sie mit Anwälten und Zungendreschern und gesetzlicher Hinderung und gewichtigen Rücksichten auf die Tropf-Ordnung herumwirtschaften mögen, bis sie eine Anzahl neuer Riesenarten von Ungeziefer eingebürgert haben – – Die Dinge sind immer in Wirrwarr gewesen, Redwood.«
Redwood zog eine gewundene, verschlungene Linie in die Luft.
»Und unser wirkliches Interesse liegt gegenwärtig bei Ihrem Jungen.«
Redwood machte kehrt, kam und starrte seinen Mitarbeiter an.
»Was halten Sie von ihm, Bensington? Sie können die Sache objektiver ansehen als ich. Was soll ich mit ihm machen?«
»Ihn weiter füttern.«
»Mit Herakleophorbia?«
»Mit Herakleophorbia.«
»Und dann wird er wachsen.«
»Er wird, soweit ich nach den Hennen und Wespen berechnen kann, bis zur Höhe von fünfunddreißig Fuß wachsen – und alles im Verhältnis – –«
»Und was soll er dann tun?«
»Das«, sagte Mr. Bensington, »ist gerade, was die ganze Sache so interessant macht.«
»Zum Henker, Mann! Denken Sie an seine Kleider.«
»Und wenn er erwachsen ist,« sagte Redwood, »wird er ein einsamer Gulliver in einer Pygmäenwelt sein.«
Mr. Bensingtons Auge blickte vielsagend über den Goldrand.
»Warum einsam?« sagte und wiederholte noch dunkler: » Warum einsam?«
»Aber Sie wollen doch nicht – –?«
»Ich sagte,« sagte Mr. Bensington mit der Selbstgefälligkeit eines Mannes, der ein gutes, bedeutungsschweres Wort produziert hat: »Warum einsam?«
»Und meinen, man könnte noch andere Kinder – –?«
»Meine nichts als meine Frage.«
Redwood begann im Zimmer herumzugehen. »Natürlich,« sagte er, »man könnte – – Aber dann! Wohin kommen wir?«
Bensington genoß offenbar seine hohe, geistige Loslösung. »Was mich von allem am meisten interessiert, Redwood, ist der Gedanke, daß das Gehirn in seinem Kopfe, soweit meine Einsicht geht, gleichfalls fünfunddreißig Fuß über unserm Niveau stehen wird ... Was ist los?«
Redwood stand am Fenster und starrte auf ein Zeitungsplakat auf einem Papierwagen, der die Straße heraufrasselte.
»Was ist los?« wiederholte Bensington und stand auf.
Redwood tat einen heftigen Ausruf.
»Was gibt es?« sagte Bensington.
»Lassen Sie eine Zeitung holen,« sagte Redwood und ging zur Tür.
»Warum?«
»Lassen Sie eine Zeitung holen. Etwas – Ich hab nicht genau gesehen – Riesenratten –!«
»Ratten?«
»Ja, Ratten. Skinner hatte doch recht!«
»Was meinen Sie?«
»Wie, zum Teufel, soll ich das wissen, bis ich eine Zeitung habe. Große Ratten! Gütiger Gott! Ich möchte wissen, ob er gefressen ist!« Er sah sich nach seinem Hut um und entschied sich, ohne Hut zu gehen.
Als er, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinabstürzte, konnte er die Straße entlang das mächtige Geheul der hin und her laufenden Zeitungsverkäufer hören, die ihren Lärm machten.
»Fuchbare Geschichte in Kent – fuchbare Geschichte in Kent. Doktor ... von Ratten gefressen. Fuchbare Geschichte – fuchbare Geschichte – Ratten – gefressen von golossaalen Ratten. Alle Einzelheiten – fuchbare Geschichte.«
III
Cossar, der bekannte Zivilingenieur, fand sie im Torweg der Mietshäuser: Redwood hielt das noch feuchte Blatt, und Bensington stand auf den Zehenspitzen und las über seinem Arm. Cossar war ein breitgebauter Mann mit hageren, uneleganten Gliedmaßen, die ganz zufällig an passenden Ecken seines Rumpfes saßen, und mit einem Gesicht gleich einer in früher Phase als für die Vollendung allzu aussichtslos aufgegebenen Skulptur. Seine Nase war viereckig geblieben, und sein Unterkiefer sprang über den Oberkiefer hinaus vor. Er atmete hörbar. Nur wenig Leute fanden ihn hübsch. Sein Haar war völlig tangential, und seine Stimme, von der er schonenden Gebrauch machte, war hoch und hatte gewöhnlich den Ausdruck bitteren Protestes. Er trug bei allen Gelegenheiten einen grauen Jacketanzug und Zylinder. Er tauchte mit einer riesigen, roten Hand in eine abgründige Hosentasche, zahlte seinen Kutscher und kam mit entschlossenem Keuchen die Stufen herauf, ein Exemplar der Zeitung, wie Jupiters Donnerkeil in der Mitte gepackt, in der Hand.
»Skinner?« sagte Bensington, ohne seines Nahens zu achten.
»Nichts über ihn,« sagte Redwood. »Muß gefressen sein. Alle beide. Es ist zu furchtbar. Hallo! Cossar!«
»Dies Ihr Zeug?« fragte Cossar, indem er das Blatt schwang.
»Na, warum machen Sie kein Ende damit?« fragte er.
»Kann nicht vertuscht werden!« sagte Cossar.
» Das Nest kaufen?« rief er. »Was für 'n Unsinn! Verbrennen Sie's! Ich wußte, Ihr Jungen würdet's verpfuschen. Was Sie tun müssen? Na – was ich Ihnen sage.
» Sie? Tun? Na! Die Straße hinaufgehen, zum Büchsenmacher natürlich. Wozu? Um Flinten. Ja – es ist nur ein Laden da. Holen Sie acht Flinten! Büchsen. Keine Elefantenbüchsen – nein! Zu groß. Keine Armeeflinten – zu klein. Sagen Sie, um – um einen Bullen zu töten. Sagen Sie, um Büffel zu schießen! Verstehen? Eh? Ratten? Nein! Wie, zum Teufel, sollen die das begreifen? ... Denn wir brauchen Gewicht. Holen sie Masse Munition. Keine Flinten ohne Munition – Nein! Bringen Sie alles in 'ner Droschke nach – wo es ist? Urshot? Charing Croß also. Es fährt ein Zug – Na, der erste Zug, der nach zwei Uhr fährt. Meinen, Sie können's machen? Schön. Jagdscheine? Holen Sie acht auf'm Postamt, natürlich.
»Sie – Bensington. Haben Sie Telephon? Ja. Ich klingle fünf von meinen Burschen aus Ealing an. Warum fünf? Weil das die richtige Zahl ist!
»Wohin woll'n Sie, Redwood? Hut holen? Unsinn. Nehmen Sie meinen. Sie brauchen Flinten, Mann, keine Hüte. Geld bei sich? Genug? Schön. Bis nachher.
»Wo ist das Telephon, Bensington?«
Bensington machte gehorsam kehrt und führte.
Cossar benutzte das Instrument und hing es wieder an. »Dann bleiben die Wespen,« sagte er. »Schwefel und Salpeter wird für die sorgen. Ganz klar. Gipsmörtel. Sie sind Chemiker. Wo kann ich Schwefel tonnenweis in tragbaren Säcken bekommen? Wozu? Na, Gott behüte mir Herz und Seele! – um das Nest auszuräuchern natürlich! Ich denke, es wird Schwefel sein müssen, eh? Sie sind Chemiker. Am besten Schwefel, eh?«
»Ja, ich sollte denken, Schwefel.«
»Nichts anderes besser?«
»Schön. Das ist Ihr Geschäft. Besorgen Sie so viel Schwefel wie Sie können – Salpeter? damit 's brennt. Geschickt? Charing Croß. Direkt. Sorgen Sie dafür, daß sie 's auch tun. Folgen Sie ihm. Sonst noch was?«
Er dachte einen Augenblick nach.
»Gipsmörtel – irgendwelchen Gips – Nest zukleben – Löcher – wissen Sie. Den besorg besser ich.«
»Wieviel?«
»Wieviel was?«
»Schwefel.«
»'n Tonn'. Verstanden?«
Bensington drückte sich die Brille mit einer Hand fest, die von Entschlossenheit zitterte. »Recht,« sagte er sehr kurz.
»Geld in der Tasche?« fragte Cossar.
»Zum Henker mit Schecks. Vielleicht kennt man Sie nicht. Barzahlen. Selbstverständlich. Wo ist Ihre Bank? Schön. Halten Sie unterwegs und holen Sie vierzig Pfund – Noten und Gold.«
Neues Nachdenken. »Wenn wir die Geschichte den Staatsbeamten überlassen, haben wir ganz Kent in Fetzen,« sagte Cossar. »Ist nun – sonst noch was? Nein! HE!«
Er reckte seine riesige Hand gegen einen Wagen aus, der in krampfhaften Eifer geriet, ihm zu dienen. (»Wagen, Herr?« sagte der Kutscher. »Selbstverständlich,« sagte Cossar); und Bensington lief, noch immer ohne Hut, die Stufen hinunter, um einzusteigen.
»Ich glaube,« sagte er, die Hand auf dem Wagenleder, mit einem plötzlichen Blick zu den Fenstern seiner Wohnung hinauf, »ich sollte meiner Cousine Jane Bescheid sagen – –«
»Mehr Zeit dazu, wenn Sie wiederkommen,« sagte Cossar, indem er ihn mit einer riesigen Hand, die er ihm über den Rücken spannte, hineinschob ...
»Gescheite Jungen,« bemerkte Cossar, »aber nicht die Spur Initiative. Cousine Jane, wahrhaftig! Ich kenne sie. Zum Teufel mit diesen Cousinen Janes! Land ist verpestet mit ihnen. Ich vermute, ich werde die ganze Nacht damit zubringen und sehen, wie sie tun, was sie ganz genau wissen, daß sie es längst hätten tun sollen. Möchte wissen, ob die Forschung sie so macht, oder Cousine Jane oder was sonst?«
Er ließ dieses dunkle Problem fallen, sann eine Zeit mit der Uhr in der Hand nach und entschied, er würde gerade Zeit haben, in ein Restaurant zu gehen und ein wenig zu essen, ehe er den Gips aufjagte und nach Charing Croß Bahnhof brachte.
Der Zug fuhr fünf Minuten nach drei, und er kam viertel vor drei auf Charing Croß an, wo er Bensington in hitzigem Streit zwischen zwei Polizisten und seinem Kutscher draußen, und Redwood im Gepäckabteil wegen seiner Munition in technische Schwierigkeiten verwickelt vorfand. Jedermann behauptete, nichts zu wissen und keine Befugnis zu haben, wie es Beamte der South Eastern Railway lieben, wenn sie jemanden zu fassen bekommen, der es eilig hat.
»Schade, daß sie nicht all diese Kerle zusammenschießen und neue hintun können,« bemerkte Cossar mit einem Seufzer. Aber für alles Fundamentale war die Zeit zu kurz, und so fegte er durch diese geringeren Streitigkeiten hindurch, grub in einem dunklen Versteck etwas auf, was der Stationsvorsteher so gut sein konnte wie nicht, ging auf dem Bahnhof umher, indem er ihn festhielt und in seinem Namen Befehle erteilte, und war mit allen und allem an Bord aus dem Bahnhof heraus, ehe dieser Beamte noch für die Brüche im heiligsten Herkommen und Reglement, die begangen wurden, ganz erwacht war.
»Wer war das nur?« sagte der hohe Beamte, indem er sich den Arm streichelte, den Cossar gepackt gehalten hatte, und mit gerunzelter Stirn lächelte.
»Es war 'n Gentleman, Härr,« sagte ein Gepäckträger, »das is gewiß. Er un de ganze Gesellschaft fuhr erste Klasse.«
»Na, wer er auch war – wir haben ihn und sein Zeug flott genug expediert,« sagte der hohe Beamte, indem er sich mit einem Gefühl, das der Befriedigung nahe kam, den Arm rieb.
Und als er, im ungewohnten Tageslicht blinzelnd, langsam zu jener würdigen Verschanzung zurückging, in der die höheren Beamten von Charing Croß vor der Belästigung des Pöbels Schutz finden, lächelte er noch immer ob seiner ungewohnten Energie. Es war trotz der Steifheit in seinem Arm eine sehr erhebende Offenbarung seiner eigenen Möglichkeiten gewesen. Er wünschte, ein paar von jenen verdammten Schreibsessel-Kritikern der Eisenbahnverwaltung hätten es sehen können.
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