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Queenie ließ ihr Empfinden spielen, während sie den Mann nur wie nebenbei und ganz unauffällig musterte. Er trug einen Cowboyhut aus Stroh, ein rosa Halstuch mit blauen Streifen! Er hatte keinen Geschmack, und sein Auftreten war primitiv. Queenie fühlte aber, dass dieser Mann nicht nur körperlich eine Stelle hatte, an der er das zweite Mal getroffen zu werden fürchtete. Er war auch seelisch irgendwie verwundbar. Sie konnte nur noch nicht sagen, wie. Er war eine gestürzte Größe, er war ein verhinderter Weltmeister. Er war nicht von Kindesbeinen an Gangster gewesen, sondern aus Verbitterung einer geworden. Sicher konnte er organisieren, wie Stonehorn berichtet hatte; und sicher lagen ihm Boxhieb und Maschinenpistole mehr als Colt oder gar Stilett. Er war ein Kraftmensch, und Queenie hätte ihm jede Rohheit zugetraut, aber keinen Sadismus.
Ein Polizist ging vorüber, ohne Mike Beachtung zu schenken. Die Polizei musste auf dem Rodeo-Platz gegebenenfalls für Ordnung sorgen, aber es schien sich nur ein kleines lokales Aufgebot hier zu befinden.
»Auf eine so schöne junge Frau sollte der Mann aber besser aufpassen«, sagte die Brummstimme in einer noch unausgegorenen Mischung von Wohlwollen und Heimtücke.
Queenie lächelte, sie sagte noch immer nichts. Sie wusste selbst, dass sie heute sehr gut aussah im ärmellosen türkisfarbenen Kleid, mit einem silbergetriebenen Schmuck auf der Brust und einem silbernen Reif um den braunen Arm. Diese Schmuckstücke stammten noch aus der Kunstschule.
Plötzlich hatte sie eine Eingebung.
»Mein Mann ist beim Rodeo«, sagte sie.
»Macht mit? Sehr gut. Passt zu Ihnen.«
»Stonehorn!«
Mike entfuhr ein Pfiff. Er hatte sich überraschen lassen. »Da sieh an! Sucht sich wieder einmal das Beste für sich aus.«
»Wir sind doch schon lange verheiratet.«
Queenie wusste selbst nicht, warum sie das sagte. Lange war auch ein relativer Begriff. Stonehorns Frau zu sein, war für sie die Wirklichkeit schlechthin geworden; alles andere schien im Schoß einer unwichtigen, einer ganz belanglosen Zeit versunken zu sein. – Oder vielleicht hatte sie auch nur das Gefühl, dass sie einem Mike gegenüber am besten eine seit eh und je legalisierte Gangsterbraut spielte.
Mike kaute leer und wälzte die breiten Lippen. »Da sieh an …« Er entfernte sich pfeifend und trällernd. »Baby …«
Queenie ging mit den Kindern zu ihren Eltern und konnte sich an deren Lagerplatz mit niederlassen, als sei nie etwas anderes gesagt oder gedacht worden, als dass sie zur Familie gehöre. Der Vater schien aber in wenigen Wochen viel älter geworden zu sein.
»Wer war denn der Große?« fragte er die Tochter.
»Irgendeiner von denen, die Anschluss suchen.«
Das Rodeo sollte um zwei Uhr nachmittags beginnen. Es war noch lange Zeit bis dahin. Die besten Stehplätze am Zaun wurden aber allmählich schon eingenommen. Queenie machte sich auf, um sich dort unter den Jungen und Burschen mit aufzustellen. Sie wollte der Arena möglichst nahe sein, und das konnte jedermann begreifen.
Sie fand ihren Mann heraus, der mit einigen Angestellten und anderen Teilnehmern des Rodeos an dem Eingang für Reiter und Lassowerfer stand. An seinem schwarzen Cowboyhut, auch an seiner langen Gestalt, war er leicht zu erkennen. Joe hatte von seinem Standplatz aus seine Frau noch aufmerksamer, auch schon früher beobachtet als sie ihn. Die Begegnung mit Mike war ihm nicht entgangen. Er hätte gern gewusst, was dabei gesprochen worden war. Aber jetzt beanspruchte ein anderer Vorgang seine Aufmerksamkeit. Über den Rasen des Zuschauerreviers ging Harold Booth, begleitet von jener Frauengestalt, die Mary nicht ohne Vergnügen an ein wenig boshafter Übertreibung als blonde Kurbelwelle, siebenfach in Fett gelagert, bezeichnet hatte. Die beiden trafen auf Isaac Booth, seine Frau und Mary, und die Falkenaugen Joes konnten die Natur der Begrüßung leicht enträtseln. Man hatte sich wiedergefunden, jedermann freute sich, die Kurbelwelle drehte das Mundwerk an. Das Gespräch währte ziemlich lange, auch Mutter Booth wagte es, sich einzumischen. Schließlich bemerkte Joe, dass man angestrengt zu ihm herüberäugte. Er war entschlossen, sich zu beherrschen.
Harold und seine Freundin trennten sich von den Eltern und kamen zu dem Eingang für Teilnehmer herüber. Joe blieb an seinem Platz. Es konnte ihm nicht einfallen auszuweichen.
Schließlich standen sie hinter ihm, und da er nicht geneigt war, ihnen die Sache leicht zu machen und sich umzudrehen, rief Harold mit der wohlbekannten breiten Stimme: »Hallo! Hallo, Joe!«
Joe King drehte den Kopf halb, murmelte »Ha«, was bestenfalls ein unterernährtes Hallo bedeuten konnte, und hielt die halbe Wendung des Kopfes eben so lange aufrecht, dass er die Blonde aus der Nähe zu mustern vermochte. Sie war von Kopf bis Fuß ein harmloser Typ.
Es war durchaus ungewiss, wie diese Begegnung weitergehen würde, als von außen her ein neuer Anstoß kam. Einer der Manager zeigte sich bei Joe.
»Was ist jetzt, Joe! Zahlst du für Bronc sattellos ein oder nicht? Es wäre wahrhaftig schade … Aber ich muss das Programm unbedingt fertigmachen …«
»Reiten Sie für uns?« fragte die Blonde.
»Für wen?« Joe machte eine Viertelwendung mit der ganzen Figur.
»Sie sind doch der Star-Cowboy bei Booth, nicht?«
»Kennen Sie die Ranch?« fragte Joe dagegen mit einigen Hintergedanken.
»Noch nicht. Aber morgen fahren wir hin … nur mal zu Besuch. Leben kann man doch da nicht.«
»Was heißt ›leben‹. Sie natürlich nicht, Ma’am.«
»Ich hörte eben, der Einsatz für Reiten sattellos ist noch nicht für Sie einbezahlt? – Aber Harold, das kann ich nicht verstehen. Das ist doch die Figur für einen Bronc!«
Joe war boshaft genug, seine Augen über die dicke Blonde gleiten zu lassen. »Soviel ich weiß, wollte Mr Booth junior den Schecken selbst reiten.«
»Oh! Harold, tatsächlich? Das ist wunderbar. Ja, that’s wonderful!«
Harold war am Bersten. Wenn es nicht schlechthin unmöglich gewesen wäre, einen Teilnehmer vor den Wettbewerben anzugreifen, er hätte auf Joe King eingeschlagen, sollte es kosten, was es wolle. Aber dieser Weg war ihm im Augenblick versperrt, und so begnügte er sich mit einem drohenden Augenblitzen und der sachlichen Bemerkung: »Ich weiß von dieser Sache überhaupt nichts.«
»Neiiin?« Die Blonde war enttäuscht. Sie wandte sich entschlossen an den Manager, dem die Aussprache zu lange dauerte und der sich eben in die Baracken zurückziehen wollte. »Ich komme mit. Vielleicht kann ich das regeln.«
Der Manager, der einen guten Blick für Menschen hatte, schmunzelte liebenswürdig; er war überzeugt, dass er jetzt in zwei Minuten den Einsatz für Joe King in der Kasse hatte.
Während Joe und Harold, von der Gegenwart der Frau befreit, nebeneinander standen, sagte Harold leise: »Du Hundeschnauze! Darüber reden wir heute noch.«
»Bitte. Was willst du denn überhaupt?«
»Mach dich nicht an diese Frau auch noch heran!«
»Meinen Glückwunsch! Übrigens bin ich verheiratet.«
»Ich aber nicht.«
»Also?«
»Eben deswegen.«
»Wir werden uns ja noch treffen, Harold Booth. Es hätte schon lange sein können, wenn du nicht ausgerückt wärst.«
»Wir werden uns treffen, und ich mache Mus aus dir!«
»Dass dir der Wildbraten, der dazu serviert wird, nicht schlecht bekommen möge.«
Die Nächststehenden hatten etwas aufgefangen und lachten. Sie glaubten an eine einfache Eifersuchtsszene.
Die Blonde kam zurück, schloss die Tasche und strahlte über das ganze Gesicht. »Der Einsatz ist einbezahlt, Mr … Mr …«
»Joe King.«
Sie wurde bleich.
»Komm, Harold.«
Die beiden entfernten sich miteinander.
»Harold, ich habe ja nicht geahnt, dass das der Mann ist … der Mann ist … dessentwegen ich dich damals entführen musste … gleich von unserem Stelldichein aus. Das ist ja furchtbar, dass dieser Gangster wieder … und ich bitte dich, ich bitte dich, lass dich in keiner Weise mit ihm ein.«
Joe King hatte nicht nur gute Augen, er hatte auch scharfe Ohren.
Sobald das Paar verschwunden war, ging er noch einmal in die Baracke, ehe das Rodeo begann. Als er wieder herauskam, fand er zwischen den Umherstehenden Mike. Mike schielte unter seinem verunstalteten Lid auf Joe, und Joe nahm den Blick sofort an. Mit einer für andere völlig unmerklichen Bewegung forderte er Mike auf, mit ihm beiseite zu kommen, so dass ein leise geführtes Gespräch nicht belauscht werden konnte.
Mike entschloss sich, dem Wink zu folgen. In diesem Augenblick bestand weder für den einen noch den anderen eine unmittelbare Gefahr.
»Mike …«, Stonehorn sprach, ohne den anderen anzusehen, »was tut ein Boss, wenn seine Gang nicht pariert?«
Mike grunzte.
»Du weißt es. Also habe ich getan, was sich gehörte. James allerdings ist mir davongelaufen. Es war ein Fehler von mir, dass das passieren konnte. Ich gebe es zu. Aber du bist auch einmal in die Nieren geschlagen worden. James gehört mir, und Jenny, der aus meiner Gang ein Häuflein Diebe und Schweine gemacht hat, auch. Ich verlange die beiden, und ihr solltet euch hüten, sie mir nicht zu geben. Verstanden? – Es ging um meine Frau.«
»Jenny –? Mhm … Jenny ist nicht schlecht.«
»Unzuverlässig ist er und hält es auch mit der andern Gang – mit dem Schurken Leo Lee.«
»Lee sitzt.«
»In ein paar Jahren ist er wieder da. Dann hast du den Ärger.«
Mike grunzte vor sich hin. Er grunzte noch lange vor sich hin, als die Musik schon eingesetzt hatte. Zunächst spielte die Kapelle der Pathfinders, erst später sollte die Schlagerkapelle kommen.
Die Rodeo-Eröffnungsparade begann.
Die Bronc-Reiter, überhaupt alle, die beritten an den Wettkämpfen teilnehmen sollten, ritten in langer Reihe in die Arena ein. Sie ritten die Runde in der entspannten, unbeschwerten Haltung bester Reiter, und sie präsentierten sich dann in einer Reihe den Tribünen gegenüber. Alle trugen die übliche Cowboykleidung, den breitkrempigen Hut, das bunte Hemd mit oder ohne Halstuch, Hosen, die keine Bewegung behinderten, und leichte Stulpenstiefel. Die individuelle Note lag in den Farben. Joe hatte zum schwarzen Hut auch wieder schwarze Hosen gewählt und ein dunkles Hemd; der ins Auge springende Punkt an ihm war das gelbe Halstuch. Auf die breiten ledernen Beinschützer, die die meisten Reiter angelegt hatten, hatte er verzichtet; beim sattellosen Reiten brauchte er die freie Fühlung mit dem Pferd. Auch Frauen, als Cowgirls gekleidet, hielten in der Reihe. Sie sollten um die Wette reiten, eine Art Slalom zu Pferd und die letzte Strecke als Galopprennen.
Joe sah Queenie am Zaun stehen, aber er lächelte ihr nicht zu. Jetzt war er keine Privatperson mehr, jetzt war er Teilnehmer des Rodeos, bei dem die Männer ihre Geschicklichkeit und ihre Kraft in allen Künsten des Cowboys zu messen hatten. Es waren die nationalen Wettspiele der weißen so gut wie der indianischen Bewohner der Prärie. Doch befanden sich in der langen Reiterparade nur drei Indianer. Als die Reiter die Arena wieder verließen, studierten die Zuschauer die Programmhefte. Es wurde über den Lautsprecher eine Abänderung angekündigt: »Bronc Nr. 7, sattellos, Reiter nicht Dick McNally, sondern Joe King.« Der Ansager wiederholte: »Joe King!«
Viele klatschten, auch Kate Carson und Superintendent Hawley auf der Tribüne waren unter denen, die Beifall spendeten. Die Kinder kletterten am Zaun hoch und im Hintergrund auf die Bäume. Bei den Verschlägen der Pferde war schon Unruhe. Jedes Tier befand sich in einem besonderen, oben offenen Verschlag. Der Reiter sprang von der Wand des Verschlags auf den Rücken des Tieres hinab, der Verschlag wurde zur Arena hin geöffnet, und das Tier tobte sofort hinaus, bockend und schlagend.
Die erste Bedingung für einen Sieg war die Zeit: Der Reiter hatte einige Sekunden auf dem Rücken des Tieres zu bleiben, ohne herabzustürzen. Die weiteren Bedingungen, die zu Punktgewinnen führten, hingen mit der Haltung des Reiters zusammen.
Die bucking horses waren besonders elastische und kräftige Tiere, zumeist auf freier Weide herangezogen, schon geritten, aber für diesen Wettbewerb durch eine besondere Art der Riemenführung um die Lenden in hemmungslose Wut versetzt. Sie stiegen, bockten mit Katzenbuckel, so dass der Reiter immer wieder wie ein Ball hochgeschleudert wurde, sie machten unvorhergesehene Sätze, und wenn sie besonders listig und gewandt waren, gingen sie mit allen vieren in die Luft und ließen sich dann fallen. Es war nach Ablauf der Zeit für den Reiter, der oben geblieben war, kaum möglich, allein abzuspringen. Ein Helfer musste kommen, der den Reiter zu sich auf sein Pferd herübernahm, und auch dieser Moment barg noch große Gefahren in sich. Manche Pferde bockten auch ohne Reiter weiter und mussten mit viel Geschick von zwei Helfern wieder aus der Arena gebracht werden.
Es war ein waghalsiger Sport, mit und ohne Sattel. Die Aufmerksamkeit der Zuschauer war aufs äußerste gespannt. Zuerst wurde mit Sattel und Sporen geritten, dann kam die Reihe der Bewerber für den Ritt ohne Sattel, den Joe bevorzugte.
Die Teilnehmer waren Amateure, Männer, die im Beruf Pferd und Lasso brauchten und damit aufgewachsen waren. Das Provinz-Rodeo konnte nicht Preise bieten, die die Professionals anlockten, jene Cowboys, die an Spezialschulen für die Rodeos trainierten und dann von Wettkampf zu Wettkampf in den großen Zentren zogen.
Die meisten Zuschauer waren hier in New City wenigstens insofern sachverständig, als sie fast alle noch reiten gelernt hatten, wenn sie auch das Auto zur Fortbewegung bei weitem vorzogen. Die Zuschauer kargten dann auch nicht mit Kritik und Beifall, wenn schlecht oder besonders gut geritten wurde, und die Menschen hinter dem Zaun fühlten noch mit, was ein Reiter empfand, wenn er nach einem guten Kampf eine Sekunde zu früh geworfen wurde und seinen Einsatz verlor. Die Pferde selbst waren verschieden nach Kraft und Temperament, insofern waren die Vorbedingungen für die Reiter nie die gleichen, und mancher verdankte es nur dem größeren Phlegma seines Tieres, wenn er durchkam. Zierliche, gelenkige, blitzschnell reagierende Pferde wurden den Reitern meist gefährlicher als die größeren, stark erscheinenden, aber auch plumperen und langsameren.
Queenie schaute bei allen diesen Wettkämpfen zwischen Mann und Pferd nur wenig in die Arena. Ohne es sich anmerken zu lassen – diese Taktik hatte sie sich sehr schnell angeeignet –, beobachtete sie das Publikum. Nach dem letzten Ritt auf dem gesattelten Pferd, der mit einem Sturz des Reiters in der siebten Sekunde geendet hatte, entdeckte sie plötzlich den Burschen, der niemand anders als Jenny sein konnte. Er saß gegenüber auf der Tribüne, für sich allein, rechts und links waren noch Plätze frei. Wenn er nicht in Männerkleidern gesteckt hätte, hätte ihn wohl jeder für eine Frau gehalten. Es war etwas Unnatürliches an ihm.
Nach einer kurzen Pause begann das Reiten auf ungesattelten Broncs. Queenie wusste, dass ihr Mann den letzten Ritt hatte. Die ersten fünf Reiter beachtete sie daher noch kaum. Sie wusste aber, dass Harold und seine Blonde bei der Familie Booth auf der Tribüne saßen, dass Mike noch immer mit Rodeo-Angestellten und jenen Reitern, die ihr Pensum absolviert hatten, am Eingang der Teilnehmer stand und dass Jenny einsam und in gleichgültiger Haltung auf der Tribüne hockte. Sie war auch bei Margret gewesen. Niemand war bisher an das Auto herangekommen. Niemand hatte irgendein verständliches oder unverständliches Interesse dafür gezeigt.
Ein Mann, auf den die Charakteristika von James passten, war noch nirgends an ihrem Gesichtskreis aufgetaucht.
Mike hatte gelegentlich geklatscht. Jenny pfiff, als ein Pferd nicht bocken wollte. Es blieb schlicht und gemütsruhig stehen und war zu keinerlei Aktion zu bewegen. Als der Reiter das Tier, nicht eben in guter Laune, selbst wieder aus der Arena hinausführte, begann es plötzlich auszuschlagen. Aber nun war es zu spät. Die Preisrichter erlaubten keinen zweiten Versuch. Der Einsatz war verfallen.
Queenie konnte nicht entdecken, dass mit Mike jemand gemeinsam geklatscht oder mit Jenny gemeinsam gepfiffen hätte. Was die Polizei anbelangte, so stand sie mit einem bescheidenen Jeep bereit. Der Sanitätsdienst hatte einen Rettungswagen herangefahren, der vor allem für unglücklich gestürzte Reiter gedacht war.
Die Menschen gaben sich ungestört ihrem Sonntagsvergnügen hin. Die Kinder der verschiedenen Familien hatten schon Bekanntschaft miteinander gemacht und rannten im Zuschauerrevier unbekümmert und unbehindert über den Rasen und zwischen den zahlreichen parkenden Autos hindurch. Da es sehr heiß geworden war, machten die Budenbesitzer vor allem mit Eis und den erfrischenden Getränken ein gutes Geschäft.
Reiter Nr. 6, der Vorgänger Joe Kings, kam an die Reihe. Queenie richtete ihre Gedanken von nun an ausschließlich auf die Arena. Nr. 6 hatte ein strammes, aber phantasieloses Pferd. Als es mit einem Sprung dem Verschlag entronnen war, verlegte es sich ausschließlich darauf, seinen Rücken auf und ab zu schnellen, und zwar so rasch und spannkräftig, dass der Reiter bei jedem Mal in die Höhe und wieder auf den Pferderücken herunterflog. Es hatte auch ganz offenbar im Sinn, den Reiter an die Wand zu drängen, aber das misslang ihm. Mit dem Auf- und Abschnellen hatte es mehr Erfolg. Der Reiter, dessen Wirbelsäule bei jedem Schnellen mehr in Mitleidenschaft gezogen werden musste und dem es von halber Sekunde zu halber Sekunde schwerer fiel, das Gleichgewicht zu halten, stürzte nach siebeneinhalb Sekunden mit verzogenem Gesicht so schwer, dass er liegenblieb. Das Pferd aber hatte noch nicht genug. Es schnellte sich in seinem unglaublich schnellen Takt weiter, und der Gestürzte kam in Gefahr, auch noch von den Hufen getreten zu werden. Da die beiden Helfer sich um das aufgeregte Tier kümmern mussten, das wegzubringen ein Kunststück für sich blieb, sprang Joe King mit den Sanitätern in die Arena, um dem Gestürzten behilflich zu sein und ihn zu bergen. Als der Verunglückte die Sanitäter und den Rettungswagen sah, der jetzt vorsichtig in die Arena fuhr, winkte er plötzlich ab und erhob sich, äußerst mühsam, von dem Arzt und Joe geschickt gestützt. Queenie erkannte, dass ein kurzer Wortwechsel stattfand, dann wandte sich der nahezu Gelähmte von Arzt und Sanitätern ab und erlaubte nur Joe King, ihn langsam bis zu dem Bretterzaun zu führen. Dort blieb er, halb angelehnt, stehen. Joe sprach ihm offenbar gut zu, denn der hilflose Mann innerhalb der Arena war nicht nur selbst in Gefahr, sondern gefährdete auch noch alle in den folgenden Wettbewerben, die auf ihn Rücksicht nehmen mussten oder wollten. Doch blieb der Verletzte hartnäckig, und der Sanitätswagen fuhr wieder hinaus.
»Warum will er sich nicht fortbringen lassen?« fragte Queenie einen Mann, der neben ihr am Zaun stand und wie ein alt gewordener Cowboy und Sachverständiger wirkte.
Der Alte musterte die junge Frau, ob sie einer Antwort würdig sei, und sagte dann: »Weil er ein armer Teufel ist. Wovon soll er die ärztliche Hilfe und das Krankenhaus bezahlen, und von wem soll er noch einmal einen Ritt bekommen, wenn er den Invaliden spielt? Er selbst hat weder Pferd noch Geld. Warum kümmert Sie denn das?«
»Vielleicht, weil mein Mann der nächste sein wird.«
»Joe? Na, dann Hals- und Beinbruch. Der Schecke ist eine heimtückische Kreatur und hat im vergangenen Jahr schon zwei Boys zuschanden gemacht. Er gehört jetzt Krader, dem Händler. Es ist ein Hengst!«
»Sie waren selbst einmal Rodeo-Reiter?« fragte Queenie.
»Sie haben mit dem Gefängnisaufseher Rex gesprochen, liebe junge Frau. Aber mit sechzehn bin ich Cowboy gewesen; sieht man mir das immer noch an?«
»Alles blöde Kerle«, sagte eine unangenehme Stimme hinter Queenie und dem Alten. »Ich jedenfalls hätte den Affen nicht dort am Zaun stehenlassen.«
Queenie wandte sich nicht um, weil sie den Sprecher nicht sehen wollte und weil sie, auch ohne ihn anzusehen, wusste, wer er war. Diese Stimme hatte damals an ihrem Auto, in dem der betrunkene Bruder lag, gefragt, ob man dem Fräulein behilflich sein könne … Das musste James sein. Wenn sie wünschte, dass jemand nicht mehr auf der Welt wäre, so war er es. Er hatte zu denen gehört, die sich nachher in die Prärie schlichen.
Nr. 7, Bronc sattellos, Reiter Joe King, war an der Reihe.
Joe King, der sich selbst in diesem Moment als Stonehorn fühlte, saß schon auf der Wand des Verschlages, in dem der Schecke auf das Ausbrechen lauerte. Er ließ sich jetzt auf das Pferd hinunterfallen. Es stieg sofort, schon in der engen Box, schlug mit den Vorderhufen, und als der Verschlag hastig geöffnet wurde, war es nahe daran, ebenso rasch zu Boden zu gehen.
Das durfte aber nicht sein, damit wäre das Ende schon dagewesen. Stonehorn hatte nicht nur keinen Sattel, er hatte auch keinen der üblichen Zügel, sondern nur einen einzigen einseitig befestigten, dicken Strick zur Hand, wie es die Regel erforderte. Es gelang ihm, das Tier abzufangen und am Niedergehen zu hindern. Der erste Beifall kam auf. Dieser Hengst hatte Einfälle. Er warf seinen Reiter nur ein paarmal auf- und niederschnellend in die Luft, was dieser mit vorgestreckten Beinen, den einen Arm leicht nach hinten genommen, im Gleichgewicht parierte. Dann setzte der Schecke zu einem großartigen Sprung an und buckelte, alle viere in der Luft. Sein Reiter verlor den Hut, aber nicht die schwierige Balance. Das Tier hatte Sehnen! Hager war es, nicht zu groß und elastisch wie Gummi. Es kannte seine eigene Kraft und Geschicklichkeit, und daher rührte wohl sein Temperament. Kaum, dass seine Hufe den Boden wieder berührten, schlug der Hengst hoch nach hinten aus, und der Reiter musste sich flach zurücklegen, um nicht über den Hals zu fliegen. Es hing an einem Haar, dass das Pferd mit diesem Manöver gesiegt hätte. Ein paar bewundernde Schreie und anerkennende Pfiffe ertönten, aber darauf konnte Queenie jetzt nicht achten. Sie war bei ihrem Mann auf dem Pferd.
Der Schecke versuchte es mit seinen letzten Künsten. Er ging noch einmal mit allen vieren in die Luft und bockte – und jetzt – nein … es war ihm nicht gelungen, sich unter dem hochfliegenden Reiter zu Boden zu werfen. Den Bruchteil einer Sekunde früher war Joe wieder auf dem Rücken des Pferdes gelandet und hatte das Tier gezwungen, auf den Beinen zu bleiben.
Die Zeit war um.
Der Ansager selbst war in Begeisterung geraten über diese Leistung auf dem Rodeo von New City.
»Time for Joe King! Time for Joe King!«
Ja, die Zeit war gemacht und in einer bewundernswürdigen Haltung, mit vielen Pluspunkten. Aber die Helfer konnten nicht an das Tier herankommen. Obgleich Joe den aufreizenden Riemen schon gelockert hatte, bockte der Hengst weiter. Es verlegte sich jetzt vor allem darauf, so, wie es auch das vorhergehende Tier versucht hatte, auszuschlagen und den Reiter an die Wand zu drängen. Da die Helfer nicht durchkamen, sprang Stonehorn mit einem weiten, gefährlichen Sprung mitten aus dem Kampf mit dem Pferd ohne Hilfe ab und lief mit großen Sätzen zu dem Mann, der noch immer hilflos an dem Zaun stand. Unterdessen gelang es den berittenen Helfern, das Tier zum Ausgang zu drängen, wo es allmählich zur Ruhe kam.
Beifall brauste auf. Bronc ohne Sattel mit Joe King war ohne allen Zweifel die Bestleistung des Tages von Reiter und von Pferd gewesen, und es war eine Leistung, wie sie sonst nur auf den großen und berühmten Rodeos für hohe Preise von Professionals gezeigt wurde. Bronc mit Sattel, sonst ein traditioneller Höhepunkt, trat an diesem Tage in der Meinung der Zuschauer zurück.
Queenie hatte heiße Wangen. Sie war erfüllt von dem glücklichsten Gefühl der Liebenden, dem Stolz auf den Geliebten. Stonehorn selbst lag in der Baracke auf einer Matratze. Er spürte alle Knochen und alle Sehnen, seinen Kopf und alle Nerven.
Draußen wurde unterdessen das Kälberfangen mit Lasso als nächstes Ereignis bekanntgegeben, zunächst die einfache Übung, einem Kalb das Lasso über den Kopf zu werfen, es damit zum Sturz zu bringen und es so schnell wie möglich zu fesseln. Stonehorn war froh, dass er mit seinem Team erst zur folgenden Nummer gehörte. Er war jetzt schon wieder auf. Aber er fühlte sich etwas angeschlagen. Die Stöße beim Auf- und Niederschnellen wirkten auf jeden. Die Vorstellung, dass er heute noch das Ringen mit einem Stier vor sich hatte, machte ihm wenig Freude. Elk hatte natürlich recht gehabt. Aber der Schecke war unvergleichlich, und Stonehorn hatte einen einwandfreien ersten Preis nach Zeit und Punkten davongetragen. Wenn er bei dem steer wrestling, dem Niederzwingen eines schwarzen Bullen, wenigstens den Einsatz wieder herausholte, mochte es genügen. Das Vieh sollte ihn nur nicht schleifen und stoßen. Er hätte absagen können, aber daran hinderten ihn sein Ehrgeiz, auch das natürliche Aufleben seines Selbstbewusstseins, das lange Jahre gelitten hatte. Er zeigte sich draußen, damit es nicht aussah, als ob er doch in den vorgeschriebenen zehn Sekunden von einem Pferd erledigt worden wäre. Alles in allem: Stonehorn, ein Indianer, hatte einen Preis errungen. Er hatte nicht nur für sich etwas erreicht.