Nacht über der Prärie

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»Kennst du Doctor Eivie?« fragte Stonehorn seine Frau. »Das ist der neue Arzt.«
»Nein, noch nicht.«
»Ein fetter, kleiner, lustiger Ball. Er hat uns beim Kälberbrennen geholfen, und er hatte eine Stoppuhr dabei. Ich habe die Zeiten gemacht.«
»Die Rodeo-Zeiten für das Kälberfangen?«
Stonehorn nickte.
»Willst du dich melden?«
»Nicht so schnell. Ich habe zu lange nicht mehr geübt. Und man müsste auch das Teilnehmergeld einzahlen können.«
Queenie ließ sich die aufgehende Sonne auf die braune Haut scheinen. Ihr Mann packte ihren Kopf mit beiden Händen.
»Queenie … Ich werde jetzt wenigstens fünf Tage und Nächte unterwegs sein. Eivie will mich auch noch bei anderen Herden dabeihaben. Du musst solange allein mit dem alten King aushalten.
Oder gehst du die paar Tage lieber zu … ja … vielleicht zu Ed Crazy Eagle? Seine Frau ist im Krankenhaus angestellt, und Eivie würde mit ihr sprechen.«
»Joe! Wir wollen in fünf Tagen mit Isaac Booth zusammen zu Chief Ed Crazy Eagle gehen, und er wird das Protokoll aufnehmen, dass der Pachtvertrag über unser Land am 31. Dezember endet. Du sollst nicht umsonst da drüben arbeiten.«
»Gut. Aber eben darum könntest du jetzt schon …«
»Ich will nicht. Ich bleibe hier.«
Stonehorn war nicht einverstanden, gab jedoch nach. »Wenn es zu arg wird, sattelst du dein Pferd und reitest zum Hospital. Das übrige wird Crazy Eagles Frau schon regeln.«
An dem ersten der fünf Tage schrieb Queenie vor allen Dingen einen langen, wohlformulierten Brief an den Vorsteher der Kunstschule, dass er das Bild »Verschleierte Hände« so rasch wie möglich und so teuer wie möglich verkaufen und das Geld an die Adresse von Elk in New City senden solle. Was nützten offene Hände auf einem Bild, wenn es darauf ankam, die lebenden Hände zu öffnen! Das Einsatzgeld für das Rodeo, das Geld für ein Auto und das Geld für zwei weitere Pferde musste beschafft werden.
Als Queenie zur Post geritten war und den Brief aufgegeben hatte, begann sie im Innern zu zittern vor Angst, ob der Interessent noch Interesse haben würde. Daheim tat sie dann die Hausarbeit. Der alte King war hilfsbereit und friedlich. Er ging auf die Jagd und schoss wieder einen Fasan. Die Zubereitung übernahm er selbst. Darum durfte sich Queenie nicht kümmern. Dagegen überließ er ihrer Kochkunst die Rüben und die Mehlspeisen, die ihm verhasst waren. So ging drei Tage lang alles gut. Am vierten kamen die ungebetenen Gäste.
Es begann schon am Morgen, als Patrick Bighorn und Goodman, die Alten, mit einem klapprigen Wagen den Wiesenweg heraufsteuerten und sich mit King senior im Hause niederließen. Queenie machte sich draußen zu schaffen; sie sah diese Gäste nicht gern, denn sie hatten etwas in ihren Augen, was an Trunksucht erinnerte.
Um die Mittagszeit tauchten noch zwei der Männer auf, die Stonehorn als »alte Brüder« bezeichnet hatte. Sie schauten etwas verlegen und verstohlen auf die junge Frau. Queenie ging ins Haus und fragte den Vater, ob sie etwas zu essen für sie bringen könne, aber sie erhielt nur den Bescheid, dass die Gäste sich selbst alles mitgebracht hätten, was nötig sei. Einer hatte rasch versucht, die Flaschen zu verstecken, die bei den Schlafgestellen standen, aber Queenie hatte schon gesehen, dass es genug waren, um auch hartgesottene Trinker unter den Tisch zu bringen. Sie wusste, dass sie völlig machtlos war, und bemühte sich nur, diesen und jenen Gegenstand noch in Sicherheit, das hieß aus dem Haus zu schaffen, ehe die Männer schon soviel getrunken hatten, dass es gefährlich war, ihre Aufmerksamkeit in irgendeiner Weise auf sich zu lenken. Sie wusste, dass sie tat, was Indianerfrauen seit Jahrhunderten hatten tun müssen, seit die Watschitschun, diese Geister, die sich weiße Männer nannten, den Alkohol nach Amerika gebracht hatten. Aus den Worten, die Queenie auffing, wurde ihr alles klar. Der alte King hatte sich einige Tage nicht sehen lassen, aber da die anderen wussten, wieviel Geld er etwa noch bei sich haben konnte, hatten sie auf seinen Kredit die Schmugglerware eingekauft und mitgebracht.
In den ersten Nachmittagsstunden wurde es schon laut im Haus, und neue Gäste trafen ein. Wenn man sich eng gedrängt zueinander hockte, fasste die Hütte eine Menge Leute.
Gegen Abend hörte Queenie krachendes Gepolter. Stonehorn hatte sein eigenes Jagdgewehr mitgenommen, aber die Waffe von King senior war im Haus. Das Poltern wurde von einem mächtigen Gebrüll abgelöst, dann schien die Hölle los zu sein.
Queenie lauschte, sie hatte sich an den oberen Hang zurückgezogen. Die Hunde jaulten.
Die Stute spitzte die Ohren. Queenie sattelte das Tier, damit es auf alle Fälle für sie bereit war. Im Grunde war sie froh, dass Stonehorn nicht zu Hause war. Er hätte sicher versucht, diese Männer hinauszuwerfen, und das wäre gefährlich für ihn geworden. Mochte die Habe draufgehen. An einen solchen Gedanken hatte sich Queenie schon gewöhnt. Wenn nur den Pferden und den Menschen nichts geschah.
Der Lärm kam aus dem Haus heraus, die Tür war aufgestoßen worden. Queenie ritt den Hang ein Stück aufwärts.
Mit den alten Wagen konnten die Betrunkenen ihr dahin nicht folgen, und ein Pferd hatte keiner von ihnen dabei.
Drei Männer flogen aus der Tür, hinter ihnen ertönte Hohngelächter, dann gab es ein neues Krachen und Poltern, und ein kämpfender Knäuel rollte heraus auf die Wiesen. Queenie konnte einige improvisierte Waffen erkennen, wahrscheinlich waren es die Tischbeine und Bretter der Schlafgestelle. Ein Schuss krachte, ein Kolben sauste, aber das störte keinen der betrunkenen Kämpfer mehr. Sie machten einen Höllenlärm und waren in voller Wut. Einige hatten schon blutige Köpfe.
Die Sonne war im Sinken. Queenie sah die ersten Messer blitzen. Sie hatte die Hand am Zügel. Wenn nur kein Totschlag geschah … nur das nicht … nur nicht jetzt die Polizei im Hause King.
Unten auf der Autostraße hupte ein Jeep. Da waren sie schon. Vielleicht hatte der Zufall gespielt, vielleicht hatten die Nachbarn die Polizei aufmerksam gemacht. Der Jeep bog auf den Seitenweg ein, der zum Haus und zu dem Knäuel Betrunkener führte. Die Polizisten sprangen schon halben Wegs aus dem Wagen und ließen diesen unter Bewachung zurück.
Dann kamen sie, die Pistolen in der Hand … zunächst zu Queenie herauf.
»Hallo! Junge Frau! Was sind das für Männer?«
Queenie blieb im Sattel. »Ich kenne sie nicht, sie sind einfach gekommen.«
»Wo ist Stonehorn?«
»Schon seit vier Tagen unterwegs.«
»Aha.«
»Nicht, was ihr denkt. Er ist beim Kälberbrennen mit Mary Booth und Doctor Eivie.«
»Wird sich ja zeigen. Und der alte King?«
»Mitten dazwischen … sie sind einfach gekommen und haben den Brandy mitgebracht …«
Der eiserne Ofen flog aus dem Haus. Es ging ein zweiter Schuss los.
»Lass uns warten«, sagte der eine der beiden Polizisten zu seinem Kollegen. »Die machen sich selber fertig, dann nehmen wir sie alle mit.«
Einer der Männer hatte sich auf einen andern geworfen und trommelte ihm mit der Faust in den Nacken. Der Kopf sank herunter. Zwei flohen zu ihren Wagen. Aber da wurden sie von der Polizei geschnappt. Durch einige Polizeigriffe wehrlos gemacht, verschwanden ihre Körper in dem Jeep.
Das Knäuel schien sich aufzulösen. Die Kämpfenden waren erschöpft. Das hätte bei dem Tempo und der Rücksichtslosigkeit der Schlägerei auch Jüngeren geschehen können. Die Polizisten sprangen jetzt hinzu, und es gelang ihnen mit überraschender Schnelligkeit, den beiden letzten Aufsässigen Handschellen anzulegen und die Widerstrebenden ebenfalls zum Jeep zu schaffen. Nur einer war nun noch am Kampfplatz.
Queenie hatte ihn erkannt. Sie stieg ab und ging langsam zu ihm hin. Der alte King lag ausgestreckt im Grase. Sie kniete sich zu ihm nieder. Ein Polizist kam mit einem Eimer Wasser und goss es dem scheinbar Bewusstlosen über den Kopf.
Old King öffnete die Augen mit Mühe, schaute Queenie erstaunt an und schien sie endlich zu erkennen.
»Kind …«, er lallte, aber nicht mehr aus Trunkenheit. »Mit mir … ist es … aus.« Er griff nach der Brust. Queenie erkannte den Einschuss. »Grüß … noch Joe … Inya … Inya …«
Der Sterbende wandte mit einer für ihn beinahe übermenschlichen Anstrengung noch einmal den Kopf zu dem Polizisten hin, der auf der anderen Seite stand. »Und … es ist keiner schuld … keiner … die Büchse … war nicht … richtig gesichert … ein Unfall. Hört ihr … es ist keiner … schuld … wenn der alte … Chief … jetzt stirbt. Komm einmal an mein Grab … Tashina …«
Die Augen des alten Mannes brachen. Queenie drückte ihm die Lider zu.
Der Polizist, der daneben stand, machte sich ein paar Notizen. Es war der kleine, der während des Verhörs die Pistole auf Stonehorn gerichtet hatte.
»Machen Sie sich keine Gedanken, Queenie King«, sagte er jetzt mit seiner etwas hellen Stimme. »Der Alte ist tot, es ist alles protokolliert, und Ihr könnt ihn begraben. Die anderen nehmen wir mit, und von denen wollen wir mal rauskriegen, wer den Brandy auf die Reservation schmuggelt. Ich hoffe, dass Ihr Mann damit nichts zu tun hat.«
»Er trinkt diese Pferdepi … überhaupt nicht«, fuhr es Queenie in ihrer übermäßigen Erregung heraus. »Er wollte auch den Vater immer davon abhalten.«
»So, so, es ist also öfter hier getrunken worden, auch ohne die Gäste.« Der Kleine machte sich noch eine Notiz. »Auf Trinken steht Gefängnis, das wissen Sie!«
Queenie verstummte.
Zwei Tage später saß der Superintendent Peter Hawley in seinem Dienstzimmer, und vor ihm, den Stuhl nahe an den Schreibtisch gerückt, hatte der blinde Richter, Ed Crazy Eagle, Platz genommen.
Runzelmann hatte verstanden, dass er nicht gebraucht wurde, und hatte den Raum verlassen. Die Sekretärin Laura warf einen beobachtenden Blick auf ihn, als er sich ihr gegenüber im Vorzimmer auf einem der Besucherstühle niederließ. Sie schrieb weiter auf der leisen elektrischen Schreibmaschine. Die Polstertür war schalldicht.
»Ja«, sagte der Superintendent zu dem jungen blinden Richter, »was Sie mir bis jetzt berichtet haben, Mr Eagle, war mir im wesentlichen schon bekannt. Es ist wieder einmal der verbotene Brandy hereingeschmuggelt oder auch verbotenerweise auf der Reservation selbst gebrannt worden. Es ist getrunken worden, es hat eine Schlägerei und einen Toten gegeben. Ein paar Männer werden einige Zeit im Gefängnis nüchtern sein. Solche Vorgänge spielen sich leider seit Jahrzehnten und immer wieder ab. Aber da Sie sich selbst zu mir herbemüht haben, scheinen Sie im gegebenen Fall weitere Zusammenhänge zu vermuten, über die Sie mich unterrichten wollen … auch abgesehen davon, dass sich das alles wieder einmal im Hause King abgespielt hat. Diese Familie hat offenbar ein hervorragendes Talent, Schwierigkeiten zu machen. Ich habe das schon den Akten meines Vorgängers entnommen.«
Crazy Eagle konzentrierte seine Gedanken auf den Tonfall des Superintendenten, da er dessen Mienenspiel nicht sehen konnte. »Die Polizei forscht nach, Sir, woher der Brandy in solchen Mengen kam. Es war nicht nur ein einzelnes Trinkgelage; es ist mehrmals im Übermaß getrunken worden, wahrscheinlich eben in diesem Kreise seit Jahren. Das erste hat Queenie King, das zweite hat Joe King zugegeben, der diesmal überraschenderweise die Aussage nicht verweigerte.«
»Worauf deutet das Ihrer Ansicht nach hin?«
»Dass er irgend jemanden bloßstellen will und auch bloßstellen kann.«
»Sogar auf die Gefahr hin, dass er selbst mit in die Grube fällt?«
»Ich glaube, dass Joe King in dieser Sache saubere Hände hat. Es geht um etwas anderes. Es könnte sein, dass er einen Stammesgenossen bloßstellen muss, wenn er etwas aufdecken will, und das ist bei diesen Familien nicht üblich. Es gilt sogar als eine Schande und ein Schwerstverbrechen.«
»Sie gehören nicht zu diesem Stamm hier?«
»Meine Frau gehört dazu, und ich bin als Mitglied aufgenommen und bestätigt worden, als wir heirateten. Es ist ungewöhnlich, dass der Mann die Stammesangehörigkeit der Frau annehmen darf.«
»Aber in diesem Fall ist es ein Glück. Auf welche Weise wollen Sie die Angelegenheit weiter verfolgen?«
»Wir können Miss Laura hereinholen?«
»Sie wollen zu Protokoll geben?«
»Vielleicht wird es nützlich sein.«
Der Superintendent drückte auf den Knopf, und Laura erschien.
»Laura«, sagte der Blinde betont, »es ist soweit … wir haben festgestellt, über welche Verbindungen der Brandy auf die Reservation geschmuggelt wurde. Da Sie selbst für das aufzunehmende Protokoll zu befangen sein dürften, rufen Sie bitte eine Kollegin, am besten Mrs Kate Carson …«
Laura stieß einen unartikulierten Laut aus.
»Sind Sie sich klar über das Verbrechen, bei dem Sie hier mitgewirkt haben!« schrie der Blinde das Mädchen an. Er konnte Laura nicht sehen, aber er hörte den stockenden Atem.
»Rufen Sie Mrs Carson, alles andere später. Sie warten dann im Vorzimmer.«
Laura ging. In ihrer Aufregung trat sie mit dem Pfennigabsatz schief auf, der Hacken brach ab, sie musste den Schuh vom Fuß ziehen und hinkend verschwinden.
Als sie draußen war, sagte der Superintendent: »Leider völlig eindeutig. Aber warten wir ab, was Mrs Carson sagen wird.«
Die blondierte, füllige, nicht unintelligente Vierzigerin war in zwei Minuten zur Stelle.
»Welchen Eindruck hatten sie eben von Laura?« fragte Hawley.
»Desolat. Was hat sie angerichtet?«
»Brandy geschmuggelt.«
»Um des Himmels willen! Aber ich hatte die Göre schon lange im Verdacht. Hätte ich nur früher etwas gesagt. Wo hatte sie nur immer das Geld her! Reiche oder unsolide Männer gibt es hier gar nicht. Und jetzt die Blamage für unsere Agentur! Das geht bis Washington. Es ist nicht auszudenken.«
Hawley sah Ed Crazy Eagle so scharf an, dass dieser die Energieschwingungen bemerkte, obgleich er blind war. »Vollkommen klar jetzt, wen der Besagte hereinlegen wollte … mich! Ich hatte kürzlich eine scharfe Auseinandersetzung mit ihm.«
»Was werden Sie tun, Sir?«
»Mich jedenfalls nicht ausgerechnet von diesem Burschen ruinieren lassen. An meinem Ansehen hängt das Ansehen unserer Verwaltung. Meine Sekretärin … das sind wir alle. Unvermeidlich. Also werden wir diese Sache nicht auf gerichtlichem Wege erledigen, sondern durch Verwaltungsmaßnahmen.«
»Ausgezeichnet«, lobte Kate Carson erleichtert.
»Laura wird auf eine andere Reservation versetzt. Ihre Verbindungen hier reißen damit automatisch ab, und ich benachrichtige meinen Kollegen dort, dass man ihr scharf auf die Finger sehen muss und sie nur in leicht kontrollierbaren, untergeordneten Tätigkeiten beschäftigen kann.«
»Einverstanden«, meinte Crazy Eagle. »Es hat auch keinen Zweck, sie zu bestrafen, denn das Übel wird dadurch nicht ausgerottet. Sicher hat sie nicht allein Schmuggelgeschäfte betrieben.«
Hawley zuckte zusammen, seufzte und lenkte ab. »Wodurch soll man dieses Übel überhaupt ausmerzen? Der Alkoholismus scheint ein im indianischen Nationalcharakter tief verwurzeltes Laster zu sein.« Peter Hawley wurde bei seinen Worten rot, denn er musste an einige seiner Vorfahren denken, die ehrenhafte Männer und Frauen gewesen waren, ebenso wie der Indianer Crazy Eagle, der ihm jetzt gegenübersaß. Aber Crazy Eagle, der nicht wahrnahm, wie die Schamröte dem Superintendenten von den Wangen bis zu den Schläfen stieg, blieb kühl bei der Sache.
»Mir scheint, Sir, es trinken zwei große Gruppen von Menschen im Übermaß, diejenigen, die bequem leben und Zeit verschwenden – seien es auch nur zwei Tage in der Woche –, und diejenigen, die elend leben und hoffnungslos. Zu den letzten gehören unsere indianischen Trinker.«
»Lassen wir die allgemeinen Erwägungen beiseite, Crazy Eagle, und entscheiden wir das, was in unserer Kompetenz liegt. Wie wird das Verfahren in der Sache King weitergehen?«
»Es wird gar nicht weitergehen, Sir. Mit Laura verschwindet es aus der Welt. Niemand wird Joe King einen großen Vorwurf daraus machen können, dass sein Vater getrunken hat … was übrigens unserer Mrs Carson schon seit fünfzehn Jahren und der ganzen Reservation noch viel länger bekannt gewesen ist.«
Rodeo
Es schien Eivie gewesen zu sein, der Stonehorn zur Teilnahme an dem Rodeo, das in einigen Wochen in New City stattfinden sollte, überredet hatte. Queenie war überrascht, dass ihr sonst so selbstsicherer Mann in diesem Falle hundert Bedenken, um nicht zu sagen Minderwertigkeitsgefühle, hegte und in einer Stimmung zu sein schien wie ein Schüler vor dem Abitur.
»Du wirst es aber bestehen«, sagte sie. »Alle glauben das.«
Er zuckte die Achseln. »Die Welt ist ganz anders, als du auch nur ahnen kannst, Queenie. Du bist in einer Schule air-conditioned erzogen …« Und als Queenie fragend auf ihren Mann schaute, ob denn die Erfahrungen, die sie seit kurzem gemacht hatte, nicht doch Gewicht hätten, fügte er hinzu: »Und außerdem auf einer Reservation. In einem Gewächshaus also, in einem üblen Gewächshaus vielleicht, jedenfalls nicht in freier Luft. Du wirst dich noch wundern, was dir alles um die Nase wehen kann.«
Worauf er damit zielte, wusste Queenie nicht, aber ihn zum Sprechen und zu Erklärungen zu bringen, wenn er schweigen wollte, war unmöglich.
Stonehorn und Queenie-Tashina unterhielten sich also nur noch über praktische Einzelheiten. Die Nachricht, dass auch das Bild »Verschleierte Hände« verkauft sei, war gekommen und bald darauf das Geld. Es war eine noch höhere Summe, als der erste Interessent geboten hatte, und Queenie war nicht nur darum froh, sondern auch um das Nicht-Wissen, das um diesen Verkauf lag. Sicher war auch der zweite Interessent kein Mann der Geheimnisse. Aber sie hatte ihn nicht sehen müssen, und so stand ihr frei, sich vorzustellen, was sie wünschte.
Die Summe wurde eingeteilt. Stonehorn kaufte einen Unfallwagen für einen überraschend billigen Preis. Die Karosserie war für Autofriedhof und Schrottpresse reif, aber der Sportmotor war noch nahezu intakt und in einer Werkstatt bald wieder ganz hergestellt. Stonehorn schleppte drei herrenlose Wracks zu seinem Haus und wechselte die Karosserie. Das Herumbauen machte ihm Freude. Er fand auch eine zweite Stute, an der er wenig aussetzen konnte, außer dass sie verhältnismäßig teuer war.
Schließlich blieben die Summe für den Einsatz bei den Rodeo-Wettbewerben und eine Reserve … nein, nicht die ganze Reserve, denn King entschied plötzlich, dass für dieses Geld schon Hafer und Heu für den Winter gekauft werden müsste.
Im Hause herrschte Ruhe. Queenie hielt alles sauber und in Ordnung, und seitdem sie nicht mehr befürchten musste, dass die Möbel kurz und klein geschlagen wurden, gab sie sich noch mehr Mühe, anstelle des völlig zerstörten Inventars eine Einrichtung nach ihrem und ihres Mannes Geschmack zustande zu bringen. Regelmäßig ging sie auf den nahen Friedhof und hielt ihre stillen Zwiegespräche mit dem unglücklichen alten Mann, der nun unter der Erde lag und dem sie versprochen hatte, ihn nicht zu vergessen.
Einmal hatte die Großmutter sie besucht, sich an dem neuen Heim gefreut und angedeutet, dass der Vater nun nicht mehr unversöhnlich gestimmt sei. Übers Jahr werde Queenie wohl wieder seine Tochter sein. Die Großmutter brachte ein Geschenk mit, ein Stirnband für Queenie mit dem Tipi-Muster, Dreiecke in Rot, Blau und Gelb auf weißem Grund, mit Stachelschweinborsten als Fäden mühsam gearbeitet, in alten Erdfarben gefärbt.
Queenie freute sich darüber und wollte es beim Sonnentanzfest des Stammes zum ersten Mal tragen.
Von Harold Booth sprach niemand mehr. Die Eltern hatten sich damit abgefunden, dass er verschwunden war, und sich an den Gedanken gewöhnt, dass er sicherlich eines Tages frisch und mit seiner ganzen verwöhnten Unbefangenheit wieder auftauchen werde. Es war so, als ob ein Sohn auf Reisen sei. Man musste sich eben solange ohne ihn einrichten.
Zu dieser Atmosphäre hatte die nüchterne Haltung Marys am meisten beigetragen. Mutter Booth legte schon Anzugstoff auf Vorrat hin, damit der Junge sich neu einkleiden konnte, wenn er nach Hause kam.
Im Grunde war jedermann froh, dass man Joe King nicht übereilt hingerichtet hatte.
Der Termin für das Rodeo rückte heran. Viele Familien hatten sich entschlossen, an diesem Tage nach New City zu fahren. Der gemeinsame Ehrgeiz, zu erleben, wie ein Stammesgenosse sich einen – oder vielleicht sogar zwei – Preise holte, war geweckt. Joe King wurde zu einer Art Nationalheld, noch ehe jemand wusste, wie er abschneiden würde. Aber man war ja gewohnt, dass mit ihm immer etwas Außergewöhnliches passierte. Und dieses Außergewöhnliche sollte diesmal der Sieg eines Indianers über die weißen Mitbewerber sein. Darauf hoffte die ganze Reservation. Darauf hofften sogar die Beamten der Agentur. Was für ein Triumph für den neuen Superintendenten, wenn das schwarze Schaf in so kurzer Zeit ein glänzendes Ausstellungsstück werden würde. Die Fachdezernenten hatten beschlossen, miteinander zu dem Rodeo zu fahren.
Am längsten währten die einschlägigen Beratungen in der Familie Halkett. Aber endlich konnte auch Vater Halkett nicht der Versuchung widerstehen, den Schwiegersohn als Rodeo-Sieger zu erleben. Immerhin, so hatte er gehört, besaßen Queenie und Joe bereits einen Wagen, drei wertvolle Pferde, und es herrschte Ordnung in dem Haus.
Der Abend, an dem Joe und Queenie, mit ihren Indianernamen Inya-he-yukan und Tashina genannt, hoch oben am Hang saßen, war nicht sanft. Es stürmte, die trockene Prärieerde wurde aufgewirbelt, und der Staub zog in Wolken auch über die betonierte Straße. Die Mähnen der Pferde flatterten, die Wolkenballen am Himmel ließen sich hetzen. Stonehorn hatte eine Zigarette ausgeraucht und spielte mit einem Grashalm. Beide schauten hinunter auf ihr kleines Blockhaus und auf die Wiesen, die zu der Ranch Joe Kings gehörten.
»Nach dem Rodeo wirst du dir vielleicht einen anderen Mann suchen müssen.« Stonehorn sagte es vor sich hin, ohne Queenie anzusehen, und diese horchte auf, wie ein Mensch bei irgendeinem aus der Ferne drohenden Donner aufhorcht, von dem er nicht weiß, woher er kommt, und dessen Unheimlichkeit ihm den Atem verschlägt.
»Du wirst im Herbst und Winter wieder auf die Schule gehen, und wenn ich nicht da bin, ist keiner da, der hier wirtschaftet, es sei denn, du heiratest wieder. Es wäre aber schade, alles aufzugeben, was wir eben angefangen haben.«
Queenie wandte das Gesicht langsam ihrem Mann zu. »Ich verstehe das nicht«, sagte sie mit tonloser Stimme.
»Wie ist es eigentlich mit dir … ich meine …« Stonehorn hatte eine Art von Verlegenheit in seinem Ton, die Queenie sonst nicht an ihm kannte. Sie verstand ihn aber.
»Wir werden ein Kind haben.«
Stonehorn warf den Grashalm weg. »Einen schlechten Pflegevater wirst du ihm nicht aussuchen.«
»Inya-he-yukan …«
»Wir haben keine Verwandten mehr auf unserer Reservation. Wir haben zwar einige, aber sie wollen von den Kings hier, von meinem Vater und mir, nichts mehr wissen. Zu ihnen brauchst du überhaupt nicht hinzugehen, und ich nenne dir auch die Namen nicht. Von meiner Mutter Seite her sollen noch Verwandte in Kanada leben. Sie sprach manchmal davon, aber gesehen haben wir sie nie. Vor neunzig Jahren sind einige hinaufgezogen, die nicht auf dieser Reservation hier leben wollten. Daher stammt auch mein Name … Inya-he-yukan, den meine Mutter mir gegeben hat. Es ist ein Häuptlingsname. Ich habe ihn erhalten, aber noch nicht verdient, und ich werde ihn mir kaum noch verdienen können.«
»Es wird immer so sein, und es wird alles so sein, wie du es haben willst, mein Mann. Aber ich … ich verstehe nicht … und ich weiß nicht …«
»Ich werde dir das erklären, Tashina. Du denkst, und das denken die meisten, Stonehorn ist ein guter Reiter, und er ist ein guter Lassowerfer, und er ist kräftig und schnell, er kann auch einen Stier an den Hörnern packen und niederzwingen. Er wird also einen Preis gewinnen, vielleicht nicht gleich den ersten und vielleicht nicht in allen Wettbewerben, zu denen er sich gemeldet hat. Aber er wird mit Ehren bestehen, zumindest mit guten Punkten. Er wird die Zeiten machen. Es ist nicht das erste Mal, dass er auf einem Rodeo reitet.«
Queenie lehnte sich an Stonehorns Schulter, und er lächelte wieder das gute Lächeln, das sie in der Sturmnacht zum ersten Mal an ihm gesehen hatte.





