- -
- 100%
- +
So kommen alle Schönheit und aller Schrecken dieser Welt aus derselben Wurzel: dem Vorhandensein oder dem Fehlen von Liebe. Sich nicht geliebt zu fühlen und das dann zu verinnerlichen, ist die einzige Wunde, die es gibt. Es verkrüppelt uns und lässt uns zusammenschrumpfen und uns verhärten. Wenn man von einigen biochemischen Ungleichgewichten und neurologischen Störungen absieht, könnte das Diagnosehandbuch für psychische Leiden, das (in Amerika, Anmerkung der Übersetzerin) als DSM bekannt ist, gut mit dem folgenden Satz beginnen: „Hierin ist all das Elend beschrieben, wie sich Menschen fühlen und verhalten, wenn sie nicht wissen, dass sie geliebt werden.“ All unser Hass auf uns selbst und auf andere, all unsere Angst, unser Egoismus, unsere Kommunikationsprobleme und unsere sexuellen Unsicherheiten, all die Krankhaftigkeit, die Neurosen und Destruktivität auf der Welt und der gesamte Albtraum der Geschichte mit all seinem Blutvergießen und seiner Grausamkeit lassen sich auf einen einfachen Nenner bringen: Die Tatsache, dass wir nicht wissen, dass wir geliebt werden und liebenswert sind, lässt das Herz erkalten. Und all die Tragödien des menschlichen Lebens ergeben sich daraus.
Wenn die Menschen nicht wissen, dass sie geliebt werden, bildet sich ein kaltes schwarzes Loch in der Psyche, wo sie anfangen, Glaubenssätze zu speichern, wie etwa dass sie bedeutungslos oder unwichtig und nicht schön und gut genug seien. Dieser eisige Ort der Angst führt zu terroristischen Anschlägen aller Art – nicht nur in der Form von explodierenden Bomben, sondern auch von emotionalen Angriffen, die sich in uns und in unseren Beziehungen abspielen.
Äußerer Terror ist nur ein Symptom von innerem Terror. Wenn sich Menschen nicht geliebt oder schlecht behandelt fühlen, suchen sie nach jemandem, dem sie die Schuld geben können, jemanden, an dem sie ihre schlechten Gefühle auslassen können. Obwohl Krieg und Terrorismus gewöhnlich als politische Probleme betrachtet werden, ist es doch eine Tatsache, dass Menschen, in denen die Liebe frei fließt, keine Bomben werfen. Der Terrorismus ist wie der Krieg selbst ein Symptom für die Abgetrenntheit von der Liebe, die unsere Welt verseucht.
Wenn wir diese Plage nicht dadurch ausmerzen können, dass wir die Stimmung von mangelnder Liebe heilen, die über Generationen hinweg weitergegeben worden ist, wird die Herrschaft von Furcht und Terror auf dieser Erde nie überwunden werden. Ein „Krieg gegen den Terrorismus“ ist ein Oxymoron, eine Unmöglichkeit, weil man Terror nicht durch Krieg eliminieren kann, sondern dadurch nur neuen Terror hervorruft. Nur in einer liebevollen Umgebung können wir uns jemals wirklich sicher vor Angriffen fühlen. „Wir müssen einander lieben oder sterben“4, schrieb W.H. Auden in einem Gedicht beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges.
Mir ist klar, dass manche Leser es vielleicht als naiv und unrealistisch betrachten, Wahrheiten über die Liebe in Diskussionen über politische Themen wie Krieg und Terrorismus einzubringen. Natürlich erfordern Kriege, ethnische Konflikte und soziale Ungerechtigkeit politische Lösungen. Gleichzeitig zerschlagen sich politische Lösungen, denen es an echtem Interesse und Respekt für alle Parteien mangelt, am Ende doch und führen zu neuen Konflikten5.
Führende religiöse und soziale Aktivisten haben oft die Neigung zum Krieg als ein Symptom der Entfremdung von der Liebe verstanden und die zentrale Rolle betont, die die Liebe bei der Lösung der Probleme auf der Welt spielen muss. Martin Luther King junior6 erkannte z.B. die Rolle, die Groll beim Entstehen von Kriegen spielt, und argumentierte, dass nur die Liebe diese Krankheit heilen könne: „Früher oder später werden alle Menschen auf der Welt einen Weg finden müssen, wie sie friedlich zusammenleben können… Wenn das erreicht werden soll, muss der Mensch für alle menschlichen Konflikte eine Methode entwickeln, bei der er Rache, Aggression und Vergeltung ablehnt. Die Grundlage einer solchen Methode ist die Liebe.“
Das ist eine edle Ansicht. Wie kann die Menschheit aber wirklich ihre zwanghafte Neigung zur Gewalt und ihren Zynismus hinsichtlich der Liebe überwinden? In diesem Buch will ich darlegen, dass Krieg von dem Groll gegen andere kommt und dass dieser Groll seine Wurzeln in unserer Liebeswunde hat – für die wir andere schuldig erklären und es an ihnen auslassen. Dieses Buch beschreibt einen praktischen Weg, wie man dieses menschliche Kernproblem zutiefst verstehen und damit umgehen kann.
Liebe und Groll
Meine erste Reaktion auf die Terroranschläge von 2001 und das Kriegsfieber, das sie auslösten, war Wut und Entrüstung. Ich erkannte aber bald, dass meine Reaktion ein Teil des gleichen Problems war, das mir in der Welt generell Sorgen machte. Die Terroristen hatten ihren gerechtfertigten Groll gegen Amerika. Die amerikanische Regierung hatte ihren berechtigten Groll gegen die Terroristen. Und wie diese kriegsführenden Parteien hatte auch ich einen gerechtfertigten Groll – gegen eine Welt, die dem Krieg und der Rache anhing, und gegen Verbreiter von Hass auf allen Seiten. Trotz meines brennenden Wunsches nach einer friedlichen Welt legte auch ich mir den Kriegsmantel um, solange ich Terroristen und Kriegstreiber als eine Art Gegner betrachtete, denen zu grollen war. Als ich erkannte, dass meine Investition in den Groll das Gleiche war wie das, was allen Hass und alle Gewalt auf der Welt antreibt, katapultierte mich das in einen Prozess der Seelenerforschung und der inneren Entdeckung hinein.
Mein Wunsch zu verstehen, wie sich das Gold der Liebe in Blei verwandelt, zwang mich, mir den Groll lange und genau anzuschauen. Als ich meine eigene Beteiligung am Groll und sein Wirken in meinen Beziehungen untersuchte, erkannte ich, dass etwas in mir große Befriedigung darin fand, ein Gegenüber – jemanden oder etwas gegen mich – aufzustellen und dieses Gegenüber dann ins Unrecht zu setzen, während ich mich selbst zur verletzten Partei machte, der das angemessene Urteil oblag. Ich muss zugeben, dass der Groll etwas an sich hatte, was wirklich ziemlich fesselnd war.
Überall, wo wir hinsehen, finden wir Menschen, die die Geisteshaltung des Grolls pflegen. Unsere Ehen und Familien, Schulen und Arbeitsplätze sind alle zu Kampfplätzen geworden, wo die Menschen eine große Menge ihrer kostbaren Lebensenergie im Krieg gegeneinander verbrauchen, einander die Schuld zuweisen und miteinander abrechnen. Dann gibt es da noch die „Politik des Grolls“7, bei der politische Kampagnen die Menschen in ihrer Unzufriedenheit und Wut manipulieren, indem sie geeignete Sündenböcke zur Zielscheibe machen, um Stimmen zu gewinnen. Währenddessen sind auf der Weltbühne verschiedene religiöse und ethnische Gruppen in ständige gegenseitige Beschuldigung und Vergeltung verstrickt.
Diese Tendenz, Gegner aufzustellen, gegen die man kämpfen kann, ist auch etwas, das in uns selbst abläuft. Vielleicht kämpfen Sie täglich gegen Ihre Arbeit und betrachten sie als ein schlingendes Monster, das Sie aufzufressen droht. Oder Sie kämpfen mit Ihren Aufgabenlisten, mit den verschiedenen Quellen von Druck in Ihrem Leben, dem Verkehr, dem Wetter, den schwierigen Gefühlen, die in Ihnen zirkulieren, oder sogar mit dem Leben selbst. Am schmerzhaftesten ist die innere Schlacht, die in Ihrem Geist und in Ihrem Körper tobt, wenn Sie sich selbst ins Unrecht setzen oder schlechtmachen – was einen enormen emotionalen Stress und Selbsthass verursacht. Manche Menschen stellen sich derart gegen sich selbst, dass sie schließlich das Monster töten, für das sie sich selbst halten.
Warum unterliegen wir diesem Zwang, Gegner zu schaffen und Groll zu nähren, wenn es uns selbst und die Menschen um uns herum letzten Endes nur vernichtet? Als ich die verschiedenen Schichten meines Grolls gegen die Welt im Anschluss an die Terroranschläge genauer untersuchte, bemerkte ich das alte Gefühl, nicht zu dieser Welt dazuzugehören – ein Gefühl, das ich bis in meine Kindheit zurückverfolgen konnte. Ich hatte mich wie ein Außerirdischer gefühlt, als ich aufwuchs, weil die Erwachsenen in meiner Umgebung größeres Interesse daran zu haben schienen, mich für ihre eigenen Pläne zu benutzen, als herauszufinden, wer ich wohl sein mochte. Als Folge davon, dass ich meine Mutter beiseiteschieben musste, weil sie mich nicht ich selbst sein lassen konnte, hatte ich mich von der Liebe getrennt und war die ganzen frühen Jahrzehnte meines Lebens vor der Liebe auf der Hut geblieben.
Als Folge davon hatte ich gelernt, meinen Intellekt, zumindest teilweise, als Mittel zu entwickeln, mich vom Schmerz dieser Getrenntheit von der Liebe abzuspalten. Aber viel tiefer als jedes Bedürfnis zu schreiben, etwas zu erreichen oder eine Spur auf der Welt zu hinterlassen, war da ein nicht zu leugnendes Verlangen, welches mich demütiger machte, wenn ich ihm in seiner nackten Einfachheit begegnete: An der Wurzel von allem, was ich tat, das musste ich zugeben, war mein größter Wunsch, zu lieben und geliebt zu werden.
Auf dem Grunde meines Grolls gegen eine verrückt gewordene Welt entdeckte ich das verletzliche Kind, das immer noch nicht wusste, dass die Liebe voll verfügbar oder wirklich verlässlich ist. Obwohl es augenscheinlich in meinem Leben viel Liebe gab und ich viele Jahre lang über intime Beziehungen geforscht und geschrieben hatte, entdeckte ich nichtsdestotrotz eine dunkle, versteckte Seite in mir, wo ich der Liebe nicht vollkommen vertraute. Und ich erkannte, dass der Groll hier seine Wurzeln schlug – an diesem Ort, wo ich gegen eine Welt stand, die nicht freundlich gesinnt zu sein schien. Hier stand ich in mir dem gleichen Groll von Angesicht zu Angesicht gegenüber, der die ganze Welt vergiftet und all die Schuldzuweisung und die Gegenbeschuldigungen hervorbringt, die am Ende zu Gewalt, Scheidung, Blutrache und Krieg führen. Das Erkennen dieses Zusammenhanges zwischen der Stimmung von mangelnder Liebe und der Stimmung des Grolls in mir selbst vermittelte mir ein tieferes Verständnis davon, warum die Liebe in zwischenmenschlichen Beziehungen ständig fehlschlägt.
Da ich den Wunsch verspürte, dies noch mehr zu erforschen, beschloss ich, mit der Frage des Grolls an die Studenten in einem Kurs heranzutreten, den ich unterrichtete, als die Terroranschläge gerade eben erst stattgefunden hatten und der Grad der Angst und des Zornes noch hoch war. Ich fing damit an, dass ich sie bat, sich auf eine nervenaufreibende Situation in ihrem Leben zu konzentrieren. Dann bat ich sie, sich anzusehen, wie ihr momentaner Stress damit in Bezug stand, dass sie sich selbst in Opposition zu etwas gesetzt hatten, das sie als Gegner behandelten. Einige wählten eine Beziehung oder eine arbeitsbezogene Situation als Konzentrationsobjekt. Andere nahmen die terroristischen Handlungen, die Reaktion unserer Regierung oder das Chaos auf der Welt.
Meine Studenten empfanden es als aufschlussreich zu erkennen, wie ihre Anspannung in allen Fällen daraus erwuchs, dass sie zu etwas nein sagten, das sie als Gegner behandelten. Als Nächstes bat ich sie zu überprüfen, ob sie in diesem Kampf einen altbekannten Groll gegenüber anderen finden konnten, der über ihr ganzes Leben zurückreichte. Und ich bat sie, diesen Groll in einem Satz in der Gegenwart auszudrücken, beginnend mit „Du…“. Hier sind einige der Groll-Sätze, die sie sagten:
„Du willst mich ausnutzen.“
„Du schätzt mich nicht als das, was ich bin.“
„Ich bin dir nicht wichtig. Du bist nur an dir selbst interessiert.“
„Du willst mich beherrschen.“
„Du siehst mich nicht.“
„Du respektierst mich nicht.“
„Du willst mich fertigmachen.“
„Du akzeptierst mich nicht, wenn ich nicht in dein Programm passe.”
„Du benützt mich zu deinen Zwecken.“
„Du schenkst mir deine Zeit und Aufmerksamkeit nicht.“
„Du erklärst meine Bedürfnisse für unberechtigt.“
„Du erkennst nicht, dass ich gut bin.“
Als die Studenten der Reihe nach ihren Groll ausdrückten, wurde klar, dass dies alles verschiedene Formen derselben Klage waren, des grundlegendsten Kummers, den es gibt: Du liebst mich nicht. Genauer: Du liebst mich nicht so, wie ich bin. Das ist die universelle Wunde, die den Treibstoff für unseren Kampf mit der Welt liefert.
Liebe ist das Erkennen von Schönheit. Jeder von uns sehnt sich danach, die Schönheit und das Gute in sich zu kennen und Vertrauen darin zu haben. Besonders als Kinder brauchten wir jemand anderen, der die Schönheit unserer Seele sah und uns diese Schönheit gleich einem Spiegel widerspiegelte, so dass wir sie selbst sehen und wertschätzen konnten. Wenn die Schönheit in uns nicht erkannt wurde, empfanden wir ein Fehlen von Liebe, und unser System erlebte einen Schock und verschloss sich.
Aus uns unbegreiflichen Gründen schienen andere Menschen, Gott oder das Leben selbst uns die Anerkennung und das Verständnis vorzuenthalten, von denen wir instinktiv wussten, dass wir sie brauchten, um zu gedeihen. Das machte uns verrückt. Wir wussten, dass uns Liebe zustand und dass wir eins mit ihr sein mussten, dass wir fühlen mussten, dass sie uns erfüllte und vollkommen durchdrang. Es gab bestimmt jemanden oder etwas, dem man die Schuld geben konnte! So entwickelten wir einen Groll gegen andere Menschen oder gegen das Leben selbst, weil sie uns nicht die Liebe boten, die wir brauchten, oder gegen uns selbst, weil es uns nicht gelungen war, diese Liebe zu gewinnen.
Große Liebe
Es ist wahr, dass wir ein Recht auf vollkommene Liebe haben. Das ist unser Recht von Geburt an. Das Problem ist aber, dass wir sie an den falschen Orten suchen – außerhalb von uns selbst, in unseren unvollkommenen Beziehungen mit unvollkommenen Menschen, die ebenso verwundet sind wie wir selbst. Das frustriert und enttäuscht uns unvermeidlich. Obwohl die vollkommene Liebe in einzelnen Augenblicken in Beziehungen durchscheinen kann, können wir uns nicht auf andere Menschen als stetige Quelle dafür verlassen.
Obwohl sich die menschliche Liebe gewöhnlich als unvollkommen zeigt, gibt es eine andere Dimension von Liebe, welche vollkommen, ununterbrochen und immer verfügbar ist. Sie fließt aus der letztendlichen Quelle von allem – ob wir es nun Gott, Tao oder die Buddha-Natur nennen – direkt in unser Herz. Das ist großartige Liebe, absolute Liebe – reine, bedingungslose Offenheit und Wärme – welche in der Tat dem innersten Kern unseres Wesens innewohnt.
Wenn die großartige Liebe wie die Sonne ist, ist unsere Verletztheit wie eine Wolkendecke, die vorübergehend die Sonnenstrahlen blockiert. Glücklicherweise kann die uns angeborene Fähigkeit zu Wärme und Offenheit nicht zerstört werden, ebenso wenig wie der Sonne von den Wolken Schaden zugefügt werden kann. Deshalb erfordert die Heilung der Wunde des Herzens nicht, dass man etwas Kaputtes repariert. Ein verwundetes Herz zu besitzen ist wie sich verirrt zu haben – verirrt in den Wolken, die den Zugang zur Sonne, die immer scheint, zeitweise blockieren. Obwohl wir ein ganzes Leben lang in diesen Wolken verloren bleiben können, bedeutet das nicht, dass die Sonne selbst verloren gegangen oder beschädigt worden wäre. Das Heilen der Liebeswunde erfordert deshalb, dass wir uns der Sonne aussetzen, damit sie das tun kann, was sie von Natur aus will: über uns scheinen.
Die Liebe hereinlassen
Die meisten Religionen versuchen das Problem der menschlichen Lieblosigkeit dadurch zu lösen, dass sie uns ermahnen, großzügiger zu lieben. Der Weg dahin, geliebt zu werden, bestehe darin, zuerst zu lieben. „Demjenigen, der hat, wird gegeben werden.“ „Es ist besser zu geben als zu nehmen.“
Dieses Kernprinzip des spirituellen Lebens enthält sicherlich eine tiefgründige Wahrheit. Dennoch gibt es parallel dazu noch eine andere Wahrheit: Wir können nicht geben, was wir nicht nehmen können. So wie die Erde aufgrund ihrer Fähigkeit, (Licht von der Sonne und Regen vom Himmel) zu empfangen und aufzunehmen, Überfluss bietet, können wir Liebe im Überfluss nur geben, wenn wir sie annehmen, aufsaugen und uns von ihr nähren lassen können. Wenn wir uns innerlich nicht geliebt fühlen, wie können wir dann jemals wirklich lieben? Wenn uns unsere Verletztheit daran hindert, die Liebe einzulassen, wie viel haben wir dann zu geben?
„Lieben bedeutet Licht auszusenden“8, schreibt Rilke, während „geliebt zu werden bedeutet, in Flammen zu stehen.“ Wer kann sagen, dass in Flammen stehen weniger heilig sei, als Licht auszusenden. Und wie können wir reines Licht ausstrahlen, wenn wir nicht in Flammen stehen?
Der Schlüssel zum Lieben besteht also darin, durchlässiger für die Liebe zu werden, sie ganz in uns einzulassen, so dass sie von innen her aus uns leben und atmen kann. Selbst wenn wir glauben, dass Gott Liebe sei oder dass wir moralisch verpflichtet seien, unseren Nachbarn zu lieben, werden solche Glaubenssätze nur wenig Wirkung haben, solange unser Kanal im Innern verschlossen oder eingeengt ist und dadurch verhindert, dass große Liebe frei in uns ein- und durch uns hindurchfließen kann.
Es sind zahllose Bücher darüber geschrieben worden, wie man besser liebt. Dieses Buch ist anders, weil es Ihnen helfen wird, sich stattdessen auf Ihre Fähigkeit, Liebe anzunehmen, zu konzentrieren und darauf, wie Sie diese Fähigkeit entwickeln können.
Bei der menschlichen Liebe gibt es ein Geheimnis, das gewöhnlich übersehen wird: Sie zu empfangen ist viel Angst einflößender und bedrohlicher, als sie zu geben. Wie oft im Leben haben Sie die Liebe eines anderen nicht in sich einlassen können oder sogar weggestoßen? So sehr wir auch den Wunsch ausdrücken, wirklich geliebt zu werden, so sehr haben wir oft Angst davor und finden es deshalb schwierig, uns der Liebe zu öffnen oder sie ganz einzulassen.
Eine Art und Weise, wie Paare oft mit ihrer Angst, Liebe anzunehmen, umgehen, besteht darin, dass sie sich in zwei Pole aufteilen – ein Partner wird der Verfolger und der andere der Abstandsucher. Obwohl es so aussieht, als sei der Abstandsucher der, der Angst davor hat, die Liebe hereinzulassen, wählen in Wirklichkeit beide Seiten Kontrolle statt Empfänglichkeit. Die Verfolger behalten die Kontrolle, indem sie fordern, verführen oder jagen – was sie samt und sonders davor bewahrt, schmelzen und sich öffnen zu müssen. Sie haben oft Angst davor, annehmen und reagieren zu müssen – weshalb sie lieber jagen. Abstandsucher behalten die Kontrolle durch Zurückhaltung. Während sich beide Seiten über einander beklagen, tun sie in Wirklichkeit das Gleiche: Sie betreiben eine Strategie, mit der sie das Risiko vermeiden, sich ganz der Liebe zu öffnen.
Eine psycho-spirituelle Herangehensweise
Bei meiner Arbeit als Psychotherapeut habe ich entdeckt, welche Kraft beim Prozess der Heilung und des Wachstums in der Zusammenführung von psychologischen und spirituellen Prinzipien liegt. Die psychologische Arbeit konzentriert sich mehr auf das, was schiefgelaufen ist: wie wir in Beziehungen mit anderen verletzt worden sind und wie wir damit arbeiten können. Die spirituelle Arbeit konzentriert sich mehr auf das, was immanent in Ordnung ist: dass wir im Kern unseres Wesens unendliche Ressourcen besitzen, die wir kultivieren können, um reicher zu leben. Während die psychologische Arbeit die Wolken ausdünnt, ruft die spirituelle Arbeit die Sonne heraus. Dieses Buch führt die beiden Vorgehensweisen zusammen und stellt einen psychospirituellen Ansatz zur Verwandlung der Wunde des Herzens dar.
Auf der psychologischen Ebene bietet dieses Buch bestimmte Einsichten und konkrete Methoden an, um mit Ihrer persönlichen Verletztheit im Zusammenhang mit der Liebe arbeiten und Ihren alten Groll loslassen zu können, so dass die Liebe freier in Sie hinein- und durch Sie hindurchfließen kann. Auf der spirituellen Ebene wird es Ihnen helfen, Ihre Fähigkeit zu entwickeln, sich zu öffnen, Ihre schwierigsten Erfahrungen in einen Raum von Liebe zu betten und darüber hinaus die große Kraft der absoluten Liebe anzuzapfen, die Ihre innerste Essenz ist, so dass diese Ihr Leben von innen her erfüllen und erleuchten kann.
Wenn Sie auf diesen beiden Ebenen arbeiten – ihre psychische Verletztheit angehen und lernen, einen Zugang zu der großen Liebe zu finden –, wird Ihnen das helfen, mit sich selbst, mit anderen und mit allen Aspekten des Lebens großherziger und offener umzugehen. Sie werden entdecken, dass Ihre Verletztheit keine Schuld und kein Fehler ist, sondern viel mehr ein Leitkompass, der zu größerer Verbundenheit führen kann. Und das wird Sie befähigen, mit der Spannung zwischen der der Liebe innewohnenden Vollkommenheit und der unvermeidlichen Unvollkommenheit von menschlichen Beziehungen kreativer umzugehen.
Alle Ideen und Methoden in diesem Buch sind aus meiner eigenen persönlichen Erfahrung und Forschung sowie aus meiner Arbeit als Psychotherapeut hervorgegangen. Als ich dieses Material Teilnehmern in meinen Kursen und Workshops vermittelte, sah ich, dass es eine kraftvolle Wirkung auf ihre Beziehungen zu sich selbst und zu anderen hatte. Im Unterrichtszusammenhang stellen praktische Übungen eine Möglichkeit dar, dass die Studenten dieses Material in konkreter, persönlicher Weise auf ihr eigenes Leben anwenden und es sich zu eigen machen. Da es jedoch den Textfluss stören kann, wenn man Übungen in ein Buch einbaut, habe ich beschlossen, einige dieser Übungen - abgesehen von ein paar wichtigen Ausnahmen - nach Kapiteln geordnet in einem Extrateil am Ende des Buches zusammenzustellen. Wenn Sie möchten, können Sie zu diesem Abschnitt gehen und mit den Übungen arbeiten, nachdem Sie das jeweilige Kapitel gelesen haben. Das wird Ihnen helfen, das Verständnis, das sie gewinnen, umzusetzen und sich ganz zu eigen zu machen.
Mögen alle Wesen glücklich sein und sich wohl fühlen. Mögen wir durch die Gewissheit, dass wir liebevoll gehalten werden, die grenzenlose Quelle der Freude in uns selbst finden und sie mit unserer Umwelt teilen. Mögen wir unsere wahre Natur als glückselige, strahlende Liebe erkennen.
Prolog
Sich liebevoll gehalten fühlen
David war eine interessante Mischung: Er war ein einnehmender Mann in den Vierzigern, der tiefe Gefühle für Frauen, für Sex und für ehrlichen, direkten Kontakt hatte. Dennoch lebte auch er im Schatten seiner Wunde, und sein Leben war von einer Reihe von Liebesaffären gekennzeichnet, die nie sehr weit gediehen waren. Obwohl er keine Probleme hatte, attraktive Partnerinnen zu finden, war die Geschichte immer die gleiche: Er pflegte sie am Ende immer zu verurteilen und von sich zu stoßen oder sich zurückzunehmen, bis sie schließlich gingen. Er wünschte sich verzweifelt Liebe im Leben, und als er auf all die Frauen zurückblickte, von denen er sich getrennt hatte, gab er zu, dass mehrere von ihnen eine gute Partnerin hätten abgeben können. Damals hatte er jedoch immer etwas gefunden, das seine Unzufriedenheit und sein anschließendes Gehen gerechtfertigt hatte. Mit einer Therapie hatte er begonnen, weil er herausfinden wollte, was mit seinem Liebesleben nicht stimmte.
Sechs Monate zuvor war er eine neue Beziehung mit einer Frau eingegangen, die er wilder und intensiver liebte als irgendeine andere zuvor. Sie hatten eine starke emotionale Verbindung, großartige Gespräche und sagenhaften Sex. Aber an einem bestimmten Punkt zog er sich zurück und schnitt die Beziehung zu Lynn ab, weil er ihr nicht vertrauen konnte und Angst davor hatte, dass sie ihn sehr verletzen könnte.
In unseren ersten Sitzungen blieb David auf Lynn konzentriert und darauf, dass ihr nicht zu trauen war. Aber schließlich lenkte ich seine Aufmerksamkeit auf das zurück, was in ihm vorging. Er war mit einer launischen, depressiven Mutter aufgewachsen, die über lange Zeitabschnitte hinweg fast nicht für ihn verfügbar gewesen war, und wenn sie da gewesen war, hatte sie emotional wenig zu geben gehabt. Nichts, was David getan hatte –, von wütend werden bis sich zurückziehen – hatte ihm die Aufmerksamkeit und die Liebe gebracht, die er gebraucht hätte. In Folge davon hatte er einfach kein Vertrauen, dass es wirklich Liebe für ihn geben könnte oder dass er geliebt werden könnte, für das, was er war. Er versuchte dann immer, seinen Wert dadurch zu beweisen, dass er Frauen beeindruckte, während er sie gleichzeitig aber dafür ablehnte, dass er das tun musste.
Unter Davids einnehmendem Äußeren war eine Wut am Sieden, die er kaum erkennen und noch viel weniger benennen konnte, weil Wut in seiner Familie die schlimmste Sünde war und Ablehnung garantierte. Eine Art seine Wut auszudrücken bestand darin, jeden von sich zu stoßen, der ihm nahezukommen versuchte. Im Grunde sagte er zu allen Frauen, die ihn haben wollten: „Verschwinde. Ich traue deinem Interesse und deiner Anziehung nicht, weil du mich nie wirklich wirst lieben können.“