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Oder wir fragen Cyran, ob er uns Geld leihen will,scherzte Leif.
Vielleicht gar keine so üble Idee, ihn ins Boot zu holen,meinte Talon. Wir sollten das im Hinterkopf behalten. Er wandte sich noch mal zum großen Aussichtsfenster des Schiffes und sah zur Werft. Diesmal ging sein Blick jedoch daran vorbei und er betrachtete stattdessen Atlantis. Das neue Atlantis. Ich bin mal gespannt, wie Craibians Pläne zu dem Ganzen hier aufgehen werden,dachte er sich. Und wieweit ich mit meinem Teil dazu beitragen kann. Er richtete sich an Leif. Glaubst du, wir schaffen es wirklich, hier eine neue Zivilisation zu erschaffen?
Das hängt wohl in erster Linie davon ab, wie schnell unser Volk wachsen kann. An Wohnraum, Schiffen und Ressourcen wird es auf jeden Fall bald nicht mehr mangeln.
Aiden war etwas nervös. Heute war der große Tag. Er hatte die letzten Wochen kaum geschlafen, doch das lag an etwas ganz anderem. Vor fünf Wochen war seine Tochter zur Welt gekommen und sie hielt ihn und Filki seitdem auf Trab. Er hatte sich schon mehr als einmal gefragt, wie seine Eltern das damals mit ihm ausgehalten hatten. Immerhin hatten die als Menschen mehr als zwei Stunden Schlaf am Tag benötigt, während er für atlantische Verhältnisse quasi ausschlafen konnte. Die kleine Amelya war für ihn und seine Freundin ein echtes Wunder, doch sie waren nicht die Einzigen, die so dachten. Amelya war das erste geborene Kind der neuen Atlantae und als solches wirklich etwas Besonderes. Die Besucher, die alle nach der Geburt hatten vorbeisehen wollen, waren fast anstrengender gewesen als Amelya selbst. Bisher hatte Aiden die meisten einfach abgewimmelt, bis auf die engsten Freunde und einigen wenigen, bei denen er sich nicht getraut hatte, sie einfach wieder wegzuschicken. Er war schon etwas überrascht gewesen, als Craibian und Talon vor seiner Haustür gestanden hatten und gefragt hatten, ob sie reinkommen dürften. Wenigstens hatten alle ihnen nach der Geburt zumindest ein paar Tage Ruhe gelassen. Doch heute konnte er sich nicht verstecken. Heute war Amelyas Aufnahme in die atlantische Gesellschaft. Fast so wie damals Aidens Taufe, aber ohne viele Worte oder irgendwelche Rituale. Eigentlich war es nur eine kleine Feier, um einen neuen Atlantae auf der Welt zu begrüßen. Nur war es die erste Feier dieser Art; also machte sich Aiden keine Illusionen, dass es ganz und gar nicht klein werden würde. Wenigstens brauchte er sich um nichts zu kümmern.
„Bist du so weit?“, fragte eine sanfte Stimme hinter ihm. Er drehte sich um und sah seine Filki in einem prächtigen dunkelgrünen Kleid. In ihren Armen schlief die kleine Amelya, die von ihrer Mutter ebenfalls etwas herausgeputzt worden war. Lächelnd ging er auf die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben zu, küsste Filki kurz und strich dann seiner Tochter sanft über den mit Flaum bewachsenen Kopf.
„Ich glaube schon“, beantwortete er Filkis Frage.
Sie sah ihn kritisch an. „Halt mal kurz“, meinte sie und drückte ihm seine Tochter in die Arme. Vorsichtig nahm er das so zerbrechlich wirkende Baby in seine Arme. Filki unterdessen zupfte sein Hemd zurecht, richtete den Kragen und strich ein paar Falten glatt. „So, jetzt können wir gehen“, stellte sie irgendwann zufrieden fest. Sie nahm Amelya wieder und Aiden folgte ihr zum Tempel.
Eine halbe Stunde später standen alle drei vor fast fünfhundert Atlantae und Leila, die neben den dreien auf ihrem Podium stand, sprach ähnliche Worte wie vor einigen Monaten bei der Aufnahme der Menschenkinder.
„Martel hat uns dieses Geschenk hinterlassen und lebt nun auch in ihm, in Amelya“, rief die Priesterin laut, damit alle sie hören konnten. „Wir werden alle durch die Gnade von Martel geboren, doch wenn wir älter werden, erteilen uns auch die anderen Elemente ihren Segen, auch wenn nicht jeder von uns ihre Macht nutzen kann. Wir allein entscheiden, wie wir die uns gegebenen Gaben anwenden. Wir entscheiden, ob wir damit erschaffen oder zerstören. Wir ringen mit den Gegensätzen von Infreet und Undine, von Sylph und Gaia und von Aska und Luna. Doch Martel hat keinen Gegensatz. Leben gibt es immer, vor allem in der Magie, denn ohne Leben gibt es keine Magie.“ Nun begab sich Leila von ihrem Podium und ging zu Aiden, Filki und Amelya hinunter. „Möge euer Kind den Segen der Elemente in sich tragen und ihr Geschenk weise einsetzen“, sprach sie in normaler Lautstärke zu ihnen. Aiden nickte ihr dankend zu und Filki drückte einfach nur lächelnd ihre kleine Tochter an sich. „Und nun zu dem, weshalb die meisten wohl heute hier sind“, rief Leila wieder in die Menge. „Es ist neues Leben unter uns, also feiern wir das angemessen!“
Die darauffolgende Feier endete erst nach über sechsundzwanzig Stunden und dauerte damit fast zwei Tage. Aiden und Filki gingen bereits drei Stunden nach der Zeremonie zurück in ihr Quartier. Sie waren völlig fertig und auch für Amelya war die Feier wahrscheinlich sehr anstrengend. Die übrigen Atlantae redeten, tranken, sangen und tanzten jedoch noch lange ohne den eigentlichen Grund weiter. Einige Atlantae gingen, aber noch mehr kamen erst während den Feierlichkeiten dazu. Luftmagier und auch einige richtige Musiker mit Instrumenten gaben ihr Können zum Besten, und einige Feuermagier beschlossen gegen Mitternacht, ein ausführliches Feuerwerk in den Himmel zu zaubern. Zum Glück waren die Plattformen und Brücken der oberen Ebenen mit Energieschilden geschützt, die eigentlich nur wegen der Unwetter da waren. Doch auch fehlgeleitete Zauber prallten wirksam daran ab. Erst in der zweiten Nacht kehrte Ruhe ein und am nächsten Morgen ging wieder alles seinen gewohnten Gang.
Kapitel 2
Aufbruch
„Der Drang etwas Neues zu entdecken, etwas Neues zu lernen und etwas Neues zu erschaffen steckt in jedem von uns. Es ist dieser Drang, der uns vorantreibt, der uns zurückhält und der uns inspiriert. Wir entdecken diese Welt, wir lernen von ihr und wir gestalten sie nach unserem Willen um.“
Talos von Atlantis, Philosoph
Valentina war ziemlich nervös. Sie saß in einem kleinen Wartezimmer des Gebäudes, in dem der Rat seine Besprechungen abhielt. Sie hatte heute morgen eine Nachricht auf ihrem Kom empfangen, in der sie gebeten wurde, um sechs Uhr mittags hier zu erscheinen. Sie hatte keine Ahnung, um was es ging oder wer sie sehen wollte, doch die Nachricht war so offiziell, dass es sich nur um jemanden aus der Führungsriege handeln konnte. Aber wer konnte Interesse an einem Treffen mit ihr haben? Hatte ihr Bruder Hector etwas damit zu tun? Er kannte Nigel, aber um was konnte es dann gehen? Oder hatte sie Fehler bei ihrer Arbeit gemacht und wollte deswegen jetzt Ranora persönlich ihr die Leviten lesen? Hatte sich ihr kulinarisches Hobby vielleicht bis zu ihr herumgesprochen? Fand Ranora das vielleicht unprofessionell und würde sie deshalb jetzt aus dem Pioniertrupp werfen?
Mach dich nicht verrückt,versuchte Galizia sie zu beruhigen, wenn es um so etwas ginge, hättest du einfach eine Nachricht bekommen und soweit ich Ranoras Atlantin Surya von früher kenne, wird sie dich wohl kaum deshalb rausschmeißen.
Aber was wollen die dann von mir?,fragte Valentina die Atlantin in ihrem Kopf.
Das wirst du schon noch herausfinden,meinte Galizia und versuchte dabei Ruhe auszustrahlen. Valentina bemerkte jedoch sehr deutlich, dass sie ebenso gespannt war wie sie selbst. Ihre unfassbare Neugier und ihr Entdeckergeist waren wohl die Eigenschaften, bei denen die beiden sich kaum unterschieden. Galizia war zu Lebzeiten schon eine Entdeckerin gewesen. Sie war damals vor über zehntausend Jahren ganz allein mit einem kleinen Schiff einmal um die Welt gesegelt, hatte Tauchgänge in die gewaltigen Tiefen des Ozeans unternommen und war mit dem ersten Segelflieger der Atlantae geflogen. Nur ins All war sie nie gekommen. Der Atlantae Leif, der nun mit Talon verbunden war und das damalige Raumfahrtprogramm geleitet hatte, hatte nur Ingenieure und Techniker gebrauchen können und Galizia war keines von beidem gewesen. Zudem hatte sich zu diesem Zeitpunkt der Krieg gegen die Menschen immer weiter zugespitzt und Galizia hatte sich allzu bald an der Verteidigungsfront der Heimat wiedergefunden, wo sie zusammen mit den meisten anderen Atlantae die Sicherheit der Insel und ihrer Bewohner sicherstellen hatte müssen.
Als Galizia zehntausend Jahre nach dem Tod ihres Körpers in Valentina wieder aufgewacht war, war sie zuerst wenig erfreut über ihr Schicksal gewesen. Sie war eine Entdeckerin gewesen, jemand der das Abenteuer suchte und leben wollte, und dann erwachte sie ohne Kontrolle im Körper eines gelähmten Mädchens, das nicht mal ihr Zimmer verlassen konnte. Zum Glück hatte sich aber schnell gezeigt, dass dies nicht so bleiben würde und mittlerweile lebte Galizia durch Valentina. Sie sah, roch, fühlte und, manchmal zu ihrem Leidwesen, schmeckte, was Valentina sah, roch, fühlte und schmeckte. Sie war zwar nur noch eine Zuschauerin, aber damit hatte sie sich mittlerweile abgefunden. Jetzt war Valentina die Entdeckerin.
Plötzlich ertönte eine weibliche Computerstimme: „Würdest du dich bitte in den Besprechungsraum begeben, Valentina.“
Sofort sprang sie auf. „Bin unterwegs“, antwortete sie der KI, die das Gebäude steuerte und dem Rat bei seiner Arbeit half. Sie verließ das Wartezimmer und öffnete die Tür zum Sitzungsraum des Rates.
Der Raum war groß und fast alles hier war aus Holz. Die grünen Triebe, die immer wieder aus Boden und Wänden sprossen und für eine natürliche Atmosphäre sorgten, zeigten, dass fast alles hier mithilfe von Magie gewachsen und nicht gebaut worden war.
Fast wie der Herrscherturm zu meinen Lebzeiten,bemerkte Galizia und klang dabei ein wenig beeindruckt. Valentina hingegen war völlig überwältigt, obwohl sie eigentlich wusste, zu welchen Werken Lebensmagier fähig waren. Ihre eigene Wohnung sah nicht so eindrucksvoll aus, obwohl sie ebenfalls teilweise gewachsen war. In der Mitte des Raumes stand ein gewaltiger runder Tisch, an dem sonst wahrscheinlich der Rat tagte und am Ende des Raums vor einer großen Glasfront war ... Craibian. Er saß hinter einem massiven Holzschreibtisch und wartete dort auf sie. Vor dem Tisch stand ein einfacher Stuhl, der wohl für sie reserviert war.
„Schön, dass du kommen konntest“, grüßte Craibian sie und bestätigte ihre Ahnung, indem er auf den Stuhl vor sich deutete. Scheu ging Valentina langsam auf ihn zu. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie schaffte es immer wieder mit Bravour Leute vor den Kopf zu stoßen oder sich selbst lächerlich zu machen, und obwohl sie jetzt zumindest wusste, wer sie sehen wollte, wusste sie immer noch nicht warum. Als sie vor dem Schreibtisch angekommen war, setzte sie sich schnell.
„Hallo“, sagte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel, was sie sonst hätte sagen können. Einen Moment saßen die beiden sich so gegenüber und schwiegen sich an. Die Situation war Valentina mehr als unangenehm.
Schließlich durchbrach Craibian die Stille: „Du fragst dich bestimmt, warum du hier bist, oder?“ Valentina nickte nur und dann brach es aus ihr heraus: „Ist es, weil ich meinen Replikator schon zweimal geschrottet hab oder weil ich dieses eine Nagetier gebraten habe? Mein Expeditionsleiter hat mich schon informiert, dass ich bei halbwegs intelligenten Tieren Regeln einhalten muss. Ich werd’s nicht wieder machen, ich versprech’s! Oder ist es, weil ich auf den oberen Ebenen zwischen den Windrädern herumgeklettert bin, oder weil ich in Aidens Haus eingebrochen bin? Ich weiß jetzt, dass ich vorher klopfen muss. Oder geht es um meine Ausflüge in die Wildnis? Ist das auch verboten?“
Craibian hob eine Hand, um ihren Redefluss zu unterbrechen. „Nichts davon, auch wenn ich jetzt etwas neugierig bin“, erwiderte er und schien ein Grinsen zu unterdrücken. „Ich habe mir die Forschungsergebnisse von Ranora angesehen“, fuhr er fort und tippte auf einer in seinem Schreibtisch eingelassenen Konsole herum. „Dabei ist mir aufgefallen, dass bei der Hälfte aller Einträge über neue Arten dein Name unter ‚Entdecker‘ steht.“ Er sah wieder von seinem Bildschirm auf und musterte Valentina. „Ich bin beeindruckt, aber wenn du so weitermachst, gibt es hier bald nichts mehr zu entdecken.“
„I-i-ich bin sicher, dass ich dafür noch etwas brauchen werde“, stammelte die junge Pionierin und war etwas erleichtert, doch keine Standpauke zu erhalten.
„Sicher, aber wie wäre es mit einer anderen Arbeit für dich?“, fragte Craibian und ein Knoten bildete sich in Valentinas Magen.
Werde ich jetzt doch rausgeschmissen? Hat sich doch ein Teamkollege über mich beschwert? Oder steckt Hector dahinter? „Ich ... ich glaube doch meinen Aufgaben gewachsen zu sein. Ich möchte nicht in die Gewächshäuser zurück!“
„Ich meinte auch gar nicht die Gewächshäuser“, meinte der König und lächelte nun doch. „Weißt du, was die Sylphe im Moment macht?“
Valentina musste kurz überlegen, bis ihr klar wurde, dass die Sylphe eines der Raumschiffe war, mit denen sie hergeflogen waren. „Untersucht die nicht den Asteroidengürtel?“, fragte sie.
„Genau. Ein siebenköpfiges Team ist dort im Nerido-Gürtel und analysiert mit Drohnen die Asteroiden auf verwertbare Ressourcenquellen“, bestätigte Craibian. „Die Rohstoffe, die wir dort hoffentlich fördern werden, wollen wir in zukünftige Flottenbauprojekte und den Bau einiger orbitaler Strukturen stecken.“ Er begegnete Valentinas wenig interessiertem Blick. „Das ist eine sehr wichtige Arbeit.“
„Ich glaube, i-i-ich bin auf der Erde besser aufgehoben“, stammelte sie.
Du bist nicht auf der Erde,erinnerte sie Galizia.
„Atlantis, ich meinte Atlantis“, verbesserte sie sich schnell.
„Da bin ich mir nicht so sicher“, zweifelte ihr Gegenüber. Valentina wollte etwas einwenden, doch sie kam nicht dazu. „Der Rat und ich planen, ein zweites Schiff zu Forschungszwecken loszuschicken“, sprach Craibian einfach weiter. „Wir wollen die umliegenden Systeme kartografieren und uns einen groben Überblick über Art und Alter der Sonnen, vorhandene Ressourcen, besiedelbare Planeten und Spuren von Leben verschaffen. Dafür brauchen wir eine Crew, die bereit ist, sich alleine den Gefahren und Schwierigkeiten des Weltalls zu stellen und deren Neugier groß genug ist, um sie weit entfernt von ihrer neuen Heimat Pionierarbeit leisten zu lassen.“ Jetzt war Valentina sprachlos. Das war etwas ganz anderes, als sie erwartet hatte. Langsam schloss sie wieder ihren Mund und dachte nach.
„Und ich soll ein Teil der Crew sein?“, fragte sie und ihre Nervosität war wie weggeblasen. Sie fragte sich nur noch welche Möglichkeiten sie in einem Raumschiff hätte, dass überall hinfliegen konnte und was sie dort alles erleben konnte. Das All war der einzige Ort, den Galizia nie erforschen konnte und dann waren auch noch all die Welten, all die Planeten, die dort draußen ihre Bahnen zogen.
„Nein, du sollst ihr Käpten sein“, berichtigte Craibian.
Es dauerte eine Weile, bis Valentina diese Nachricht verarbeitet hatte und ihr Sprachzentrum wieder funktionierte. „Ich?“, fragte sie nur völlig ungläubig.
„Du hast mit Abstand die besten Ergebnisse des ganzen Pionierteams geliefert, und außerdem glaube ich, deine Neugier ist groß genug, dass du nicht so schnell vor Risiken zurückschreckst“, erklärte Craibian seine Entscheidung. „Wir können keine feigen Entdecker gebrauchen.“ Wieder schwiegen beide einen Moment lang.
„Also“, fuhr der König nach einer Weile fort, „bist du dabei, oder nicht? Du kannst auch gerne noch ein paar Tage drüber nachdenken, aber in zwei Wochen brauch ich eine Antwort. Wenn du nicht willst, muss ich einen anderen Atlantae als Käpten auftreiben.“
„Ich mach’s!“, rief Valentina sofort. „I-i-ich bin nur ... ü-überwältigt.“
„Das sehe ich“, erwiderte Craibian und nun lächelte er breit. „Ich bin mir sicher, dass du den Herausforderungen gewachsen sein wirst.“
„Wann s-soll’s losgehen?“, fragte die baldige Raumfahrerin und gewann nun doch etwas an Selbstvertrauen.
„Nun, in zwei Wochen ist die Lutin umgerüstet, dann wird die Ausrüstung aufgeladen und dann kann es auch schon losgehen“, erklärte Craibian. „Bis dahin kannst du machen, was du möchtest. Wenn die Lutin allerdings mit deinem Team losgeflogen ist, kann es Wochen oder Monate dauern, bis du wieder nach Atlantis kommst. Du wirst eigenständig Entscheidungen treffen müssen und als unser erstes Erforschungsteam unterstehst du auch nur mir.“
Valentina nickte. „Das ist kein Problem für mich. Ich bin gerne selbstständig.“
„Das ist gut. Unsere Pläne für die Erforschung des Alls sind nämlich sehr umfassend“, erwiderte ihr neuer Chef. „Wir haben im Moment nur ein Schiff dafür und ihr seid da draußen größtenteils auf euch gestellt. Wenn es wirklich Probleme gibt, kann die Harpie euch zwar Unterstützung leisten, aber mir wäre es lieber, wenn das nicht notwendig werden würde.“
„Okay“, meinte Valentina. Endlich werde ich mal nicht bemuttert,dachte sie sich im Stillen. „Könnte ... könnte ich noch erfahren, wer alles mitkommt?“
„Ich werde dir eine Liste schicken, sobald ich alle zusammenhabe“, meinte Craibian. „Wenn du sonst keine Fragen mehr hast, wäre es das auch von meiner Seite aus.“
Valentina nickte und stand auf. Auf den Weg zum Ausgang drehte sie sich aber noch mal um. „Ich will auf der Lutin einen eigenen Replikator!“, forderte sie kühn. Fast sofort kam ihr, dass sie sich damit vielleicht im Ton vergriffen hatte und fügt noch schnell hinzu: „W-Wenn es keine allzu großen Umstände macht.“
Der König sah sie eine Weile lang mit undurchdringlicher Miene an, dann nickte er nur.
„D-Danke“, rief Valentina schnell und verließ den Besprechungsraum, bevor sie doch noch etwas Dummes sagte.
Die Eleganz, die die tonnenschweren Felsbrocken in ihren stetigen Drehungen trugen, hatte etwas Faszinierendes an sich. Cyran war vor einem Tag mit einem Shuttle zur Sylphe geflogen und war dabei von zwei großen Konstrukten begleitet worden. Jetzt stand er auf der Brücke und überwachte, ob alles auch richtig funktionieren würde. Die zwei gigantischen Minendrohnen, die Talon konstruiert hatte, hatten von ihm eine einfache KI der Klasse Zwei bekommen und sollten nun von der Sylphe aus gesteuert werden. Die Crew der Sylphe hatte in den letzten Tagen einige der Felsbrocken des gewaltigen Asteroidengürtels untersucht und sie nach ihrer Zusammensetzung katalogisiert. Cyran konnte sich vorstellen, wie trocken die Arbeit gewesen sein musste, aber die Atlantae, die damit betraut worden waren, nahmen ihre Aufgabe sehr ernst. Sie wussten, wie wichtig ihre Arbeit war. Der Nerido-Gürtel, der ihr Sonnensystem abschoss, war nach dem ersten Atlantae, den es je gegeben hatte, benannt worden. Von ihm war nur noch sein Name bekannt und dass er wohl aufgrund zufälliger Mutation der Frühmenschen entstanden war. Nun trug die wohl größte Ressourcenquelle ihres Systems den Namen desjenigen, mit dem ihre Zivilisation vor über zwanzigtausend Jahren ihren Anfang genommen hatte. Die ersten Asteroiden hatten bereits vielversprechende Werte aufgewiesen. Die Anteile an Metallen und seltenen Erden, die sie für ihre Schiffe und Raumstrukturen brauchten, waren relativ groß. Auch spaltbares Material für die Reaktoren der Raumschiffe gab es hier genug. Durch die kosmische Strahlung, die hier draußen allgegenwärtig war, wandelten sich sogar regelmäßig nicht spaltbare Elemente in spaltbare um. So hatte die Crew der Sylphe schon nachgewiesen, dass die freien Neutronen in der kosmischen Strahlung, das nur sehr schwer spaltbare Uranisotop U-238 in das um ein Vielfaches effizientere Isotop Plutonium Pu-239 umwandelte. Die Ergebnisse dieser Untersuchung waren bereits an Talon geschickt worden, der nun nach Möglichkeiten suchte, diesen Umwandlungsprozess für ihre Zwecke nutzen zu können. Zwar konnte dieser Prozess auch künstlich herbeigeführt werden, aber das war mit hohem Energie- und Ressourcenaufwand verbunden. Cyran fand das alles wahnsinnig interessant, aber heute war er wegen etwas anderem hier. Er sollte den ersten Praxistest der Minendrohnen überwachen. Im Gegensatz zu den Minendroiden, die sie bisher eingesetzt hatten, waren die neuen Modelle wahre Monster. Jeder der beiden war fast so groß wie die Korvette, die sie nun steuern und überwachen sollte. Die gewaltigen laserbasierten Schneidwerkzeuge an der Vorderseite konnten vermutlich sogar der Sylphe gefährlich werden. Deswegen waren die Drohnen in ihrer Selbstständigkeit auch sehr stark beschränkt worden. Bevor sie ihre Arbeit begannen, musste man jeden einzelnen Asteroiden, den sie abbauen sollten, freigeben und ihr Hyperantrieb war nicht mit der KI verbunden. Sie wollten sichergehen, dass ein Unfall aufgrund eines Systemfehlers, wie er auf dem Mars schon einmal passiert war, nicht noch einmal auftrat. Wie effizient der Droide aber genau war, würden sie erst nach dem Praxistest erfahren.
„Können wir anfangen?“, fragte Cyran den Käpten der Sylphe.
Dieser nickte. „Gebe Asteroid NA-247 frei“, bestätigte der Atlantae an der Drohnensteuerung.
Sofort erwachten die beiden Droiden zum Leben. Die Impulstriebwerke glühten auf und die beiden Schiffe steuerten auf einen der größeren Asteroiden zu. Langsam passten sie sich an die Drehung des Steinbrockens an und nachdem sie sich ebenso schnell um den Asteroiden drehten, wie er sich um sich selbst, fuhren fünf Teleskoparme aus und verankerten sich mit der Asteroidenoberfläche. Dann fingen die Droiden mit ihrer eigentlichen Arbeit an. Die gewaltigen Laserschneider schmolzen sich durch das Gestein und trennten Stücke von mehreren Metern Durchmesser ab. Kleinere Arme lösten die Stücke dann vom Asteroiden ab und schoben sie ins Innere des Droiden. Im Inneren durchlief der Brocken mehrere Brecher, die den Brocken immer weiter zertrümmerten, und das zerkleinerte Material wurde danach in mehreren Schritten von allen verwertbaren Materialien getrennt. Der ganze Raffinationsprozess würde einige Stunden dauern, dann würde der Droide alles unbrauchbare Material in kleinen Bröckchen von wenigen Millimetern Durchmesser an seiner Rückseite wieder ausspucken. Das gewonnene Material wurde erst mal im Inneren gelagert, bis der Droide voll war und an einen Frachter ankoppeln konnte. Der Droide wartete aber nicht, bis der Steinbrocken die ganze Prozedur durchlaufen hatte, sondern fing bereits an, das nächste Stück abzutrennen. Sein Partner wiederum machte dasselbe an der gegenüberliegenden Seite des Asteroiden. Cyran beobachte fasziniert eine ganze Stunde lang, wie die beiden Droiden den gigantischen Felsbrocken Schritt für Schritt zerlegten, während die Crew der Sylphe das Vorgehen der Droiden dokumentierte.
„Wenn sie in dem Tempo weitermachen, haben sie den Asteroiden in fünf Tagen und drei Stunden komplett abgebaut“, stellte einer der Atlantae fest.
„Damit fördern wir pro Minendrohne je nach Zusammensetzung des Asteroiden fünf bis dreißig Tonnen verwertbares Material pro Stunde“, schätzte ein anderer zuversichtlich. „Vermutlich circa zehn Tonnen im Durchschnitt.“
„Mit der Quote können wir den Materialbedarf der Werft mit den beiden Minendrohnen schon decken“, stellte Cyran zufrieden fest und tippte auf seinem Pad herum. „Die Algorithmen der Droiden scheinen gut zu laufen, sie erkennen sowohl sich gegenseitig als auch das Schiff als nicht abbaubare Ressourcen.“ Er sendete eine kurze Textnachricht an Talon, in der er den Erfolg seiner Arbeit mitteilte und fuhr dann fort: „Die Pegasus ist bald auf dem Weg hierher, um die erste Fracht entgegenzunehmen, bis die ersten Frachtschiffe fertig gebaut sind“, informierte er den Käpten der Sylphe. „Mit der ersten Lieferung können wir den Bau der Frachtschiffe abschließen. Ihr werdet unterdessen weiter Asteroiden scannen und weitere potenzielle Ziele für die beiden da auswählen“, wies er sie an. „Talon meint, wir benötigen im Moment vor allem Nickel, Mangan, Tantal, Neodym, Lanthan, Yttrium, Lithium und wenn ihr Kohlenstoff findet, brauchen wir den auch in rauen Mengen. Sorgt dafür, dass Asteroiden, die von diesen Elementen besonders viel enthalten, zuerst abgebaut werden.“
„Kohlenstoff? Warum Kohlenstoff? Der ist doch nicht gerade selten“, wunderte sich der Atlantae an der Drohnenkontrolle.
„Ich hab gehört, Talon hat ein weiteres Großprojekt, das er nebenbei betreiben möchte“, meinte Cyran nur. „Soweit ich weiß, geht es dabei nicht um den Bau von irgendwelchen Schiffen oder Strukturen.“
An Bord der Phönix ging alles seinen gewohnten Gang. Seitdem die letzten Atlantae aus ihren Quartieren hier ausgezogen waren, diente das Flaggschiff der atlantischen Flotte wieder seinem eigentlichem Zweck. Dem Schutz des Volkes. Doch im Moment war dieser nicht wirklich vonnöten. Das mächtige Kriegsschiff war nur noch eine Rückversicherung für Eventualitäten. Deshalb durfte Talon die Phönix gelegentlich für seine Zwecke verwenden.