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»Brandnervater, geh zua, mach keine G’schichten, wach doch auf! Was is dir denn g’schehn?«
Der wälzt und ringt sich aus der Betäubung, und als er endlich die Augen aufgebracht hat, stöhnt er:
»Herrschaftszeiten … der Flori! Bist du der sell Schwarze?«
»Was für a Schwarzer? Bist net am Zeug? A Schuss hat dich g’striffen, da am Schädel, am Ohr. Es bliat no …« Die Kugel ist sichtbar am Filz des alten verbeulten Hutes abgeglitten, hat ihn aufgerissen und den oberen Rand vom Ohrwaschel erwischt. Da läuft helles Blut aus der Wunde. Der Flori tastet vorsichtig.
»Ouh, du, des war haarscharf! Da kannst fei a Kerzen stiften zum Dank. Oa Alzerl daneben, und du wärst nimmermehr da.«
Der Alte ist noch ganz dasig.
»Einen Schuss in der Näh hab ich grad noch vernommen, aber was danach g’wesen is, Flori … des war mehra wie g’spaßig«, murmelt er und rappelt sich mühsam empor auf die Füß. Er beutelt den Schädel, tappt sich ans Ohr und schaut kopfschüttelnd auf das Blut an den Fingern.
»G’spürst was? Is dir net extra? Draht sa si vor deine Augen oder so eppas?«, fragt der Flori besorgt.
»Naa naa, nixi. I bin aufm Posten, es tut net amal weh. Grad so a g’spaßiges Singen und Zirpen hab i im Schädel«, erwidert der Brandner wie in Gedanken, fingert sein Sacktuch heraus und presst es aufs Ohr.
»Wer schießt da auf mich und verschwindt … und warum? I kann mir des all’s net so recht z’ammadipfin …«
»Hast den Schützen denn g’sehen?«
»Ja. Nein. Glaub scho. I bin mir net g’wiß.«
»Hast ’n net ’kennt?«
»I moan, net. A ganz a schwarz ang’legter Kerle könnt’s g’wen sein.«
»A Jager, a fremder, von die Belgischen einer?«
»Wär gut möglich.«
»Solchene Lalli g’hörert a Lehre verpasst für den Leichtsinn! Schießen, wenn Leut davor san!«
Von unten tönt soeben das Hornsignal ›Hirsch tot‹ und danach das wilde Geschrei und Getön. Ein Vieh bricht in der Nähe durchs Holz, läuft bergan, Schüsse fallen, und gleich darauf schreit wer:
»Hö, wer strawanzt da umanander im Schussfeld!«
Der Brandner horcht auf:
»Des is doch der Simmerl –«
»Der sell Jager vom Prinzen? No, von dem is’ bekannt, dass er schießt wie a Wildsau, wenn sich wo was rührt. Ob ’s am End der war, der dich derwischt hat?«
Ein Fehlschuss des eifrigen Haller Simon? Gewiss, der schwarzschädlerte Bursch war ständig bemüht, durch besondere Tüchtigkeit sich beliebter zu machen, als dies seinem verschlossenen, etwas groben Wesen beschieden war. So brav er auch war und obwohl er sich nie einen Tadel verdiente, er hatte es immer schwer gehabt, Freunde zu finden und fröhlich zu sein. Er musste sich eine jegliche Anerkenntnis sauer erringen. Gut möglich, dass er im Eifer und um sich hervorzutun blindlings dem flüchtigen Hirschen nachgeschossen und dabei den aufrecht stehenden Brandner übersehen hatte.
»Der Simmerl?«
Ein winziges Lächeln zieht um den Mund des Alten. Er schaut listig zum Florian hin:
»Du meinst, dem sollt ma auf alle Fälle die Lehre erteilen?«
»Dem ganz g’wiß. Wurscht, ob er ’s war oder net. Eh ’s ’n zerreißt, vor lauter Bedeutung, die er sich einbild’t.«
Der Brandner, das Schlitzohr, von dem allbekannt ist, dass er keine Gelegenheit vorbeigehen lässt, jemandem einen Streich zu spielen, feixt:
»Guat, tratz ma ’n a bissei. Pass gut auf und spiel mit. Des gibt a Gaudi!«
Er reckt das Ohr hin und fragt: »Bliat ’s noch?« Und als der Flori nachschaut und nickt, zwinkert er zufrieden, legt sich gestreckterlängs auf den Boden und beginnt recht zu jammern: »Ah ah – au au«, und, als sei er eingeweiht und spiele mit, hebt der Söllmann wiederum herzzerreißend zu winseln an und tänzelt mit krummem Rücken um ihn.
Der Simmerl taucht am Rande der Lichtung auf, schreit herüber: »Seids ihr denn narrisch, dass ihr im Schussfeld …«, erblickt die Gestalt auf dem Boden und rennt erschrocken herzu:
»Brandner, was is denn?«
Der Flori zieht die Augenbrauen recht weit hinauf: »Taat er noch fragen. Statt dass er a Brillen aufsetzert, ehvor dass er ’s Gewehr in die Hand nimmt.«
»I hab bloß dem Hirschen hinterhergschossen«, stammelt der Simmerl.
»– und an alten Dackel getroffen, au au.«
Der Simmerl kniet und betrachtet die Wunde: »Da ham ma, scheint’s, grad noch a Massl g’habt. Schlimm schaut’s net her.«
»Aber schwindlig is mir, so vui schwindlig«, wimmert der Alte und rollt in gespieltem Schmerz den Kopf hin und her.
Der Simmerl ist einen Atemzug lang ratlos. Dann wirft er den Rucksack von seiner Schulter: »Wart, ich verbind dich«, zieht ihn auf, kramt herum und bringt Leinzeug und Charpie heraus.
»Gell«, feixt der Flori gelinde, »so a ganz a sicherer Schütz hat allerweil a Verbandszeug im Sack, is ’s net so?«
»Du musst mi ausspotten, du Ratschenbertl, du windiger Treiber«, knurrt der Simmerl, hebt eine helle, eckige Glasflasche aus dem Sack, korkt sie auf, schüttet ein wenig über das Linnen und tupft damit auf der Wunde herum. Ein zarter Duft breitet sich aus.
»Ui, is des wahrhaftig a Kerschgeist?«, fragt der Brandner und windet sich nicht mehr und ächzt auch nicht weiter.
»Freili. Des Beste, dass die Wunde sich schließt.«
»Geh, aber äußerlich is es doch ewig schad um a selchterne Kostbarkeit. Gebertst mir besser a Schlückerl für einwendig, zu meiner Stärkung, gegen mein’ Schwindel, verstehst.«
»Von mir aus.«
Der Kaspar schnuppert, ehe er trinkt, und bezeigt Überraschung: »Uh, der is aber was ganz was Rar’s, kimmt mir für. An sowas kommt unsereins sonst net so leicht. Wo hast denn den her?«
»A Wurzer-Burgl’scher is’, a G’schenk vom Prinz Carl.«
»An dich?«
»Ja, an mich.«
»Da schau her. Für Verdienste am End?«
Der Simmerl bemerkt nicht den Spott, sondern ist stolz: »Ja, für die heutige Jagdausrichtung.«
»Na mach i mei’ Gratulation und dank dir, dass du die Kostbarkeit teilen willst mit mir. Vergelt’s Gott, Simmerl.«
»G’segen’s Gott.«
Er verbindet mit Sorgfalt den Schädel und merkt in der Pflicht nicht, wie viel auf einen einzigen Zug, grinsend, genüsslich, der Alte aus seiner Flasche heraustrinkt. Im Eifer entgeht ihm auch noch, dass hinter seinem Rücken der Flori einen gewaltigen Zug tut, eh er dem Kaspar die Flasche zurückreicht. Der setzt abermals an, um sich noch mehr zu vergönnen, da schreit schon der Simmerl: »Hö – net a so viel! Der ist kostbar! Und b’suffa bal dich die Herrschaften finden –«
Der Flori macht recht kummervolle Augen her und derbleckt den Jäger im Jammerton: »Simmerl, bedenk doch, wie groß dass der Schwindel vom Kaspar is, vermutlich durch deine eigene Schuld –«
Das ist zu viel. Da fährt er auf und rückt ihm nah auf den Leib: »Du, sei net so frech, du Lauser, und schmatz da net so a Zeugs umanander. Lauf lieber ’nunter zur Gesellschaft und vermeld, dass ich aufg’halten bin, für den Moment!«
Der Flori nickt und heuchelt Gehorsam:
»Weil du wen ang’schossen hast, sag ich.«
Da packt ihn der Simmerl hart am Schlafittl und zieht ihn sich nah vors Gesicht:
»Untersteh dich und sag des! Es is net erwiesen, dass des mei Schuss war! Wehe, du probierst es, dass d’ mich blamierst vor die Herrschaften, Bürschei!«
»Guat«, grinst der Flori und schaut ihn treuherzig an. »Na lüg i was z’amm, und du tust es beichten, hernach.«
Jetzt merkt es sogar der Simmerl, dass man ihn ausspottet, und löst den harten Griff an Floris Gewand, während er drohend erwidert:
»Schau du nur drauf, dass du dei’ eigene Hoffart derbeichtst, und bekümmmer dich net um mein Seelenheil. Schieb ab!«
Wenn zwei so junge Burschen einander nicht grün sind, ist meistens ein Weiberts dran schuld. Der Brandner weiß nur zu gut, wer es ist, sein eigenes Enkelkind nämlich, die Marei, die zusammen mit ihm das klein gewordene Anwesen bewirtschaftet.
Sie kennt den Haller Simon schon, seit sie ein halbertes Kind war, weil der Simmerl sich immer beim Kaspar Rat geholt hat. Erst hat er sie wenig beachtet, aber dann, nachdem er sie auf Ostern beim Kirchgang im von der Mutter ererbten Sonntagsstaat sah, muss es ihn jählings erwischt haben. Von da an ist er weit öfter auf dem Brandnerschen Anwesen erschienen, als es nötig gewesen wäre.
Im folgenden Herbst, zum Kirchtag, hat der Alte sie nach dem Amt zum ersten Mal mitgehen lassen ins Gasthaus zur Post, zum Feiern und Tanzen. Sie ist brav abseits auf der Bank an der Wand gesessen, wo die unverheirateten Töchter abwarten, bis einer sie holt, während die Eltern, die Erwachsenen, die Reichen und Ärmeren, mit ihren Frauen an der langen Festestafel im Saal hocken. Wer nur ein Dienstbot ist, hat überhaupt draußen zu bleiben. Die Ehhalten versammeln sich in der Schwemm oder lungern auf der Stiege herum, hoffend, dass sie jemand für wert hält, mit ihnen zu tanzen.
Es hat damals kein Geriss gegeben ums Marei, überhaupt keines. Die Danzl Maria – so hieß sie nach ihren Eltern, der Kaspar ist der Vater von ihrer verstorbenen Mutter – war noch ein junges, mageres Ding. Eines zwar mit einem bildhübschen, frischen Gesicht, aber doch ›no net bacha‹, nicht fertig gebacken, sodass die Burschen sich lieber um die ausgewachsene Ware gekümmert haben.
Da hat sie der Simmerl vom Hoffen und Warten erlöst. Er hat nur mit ihr getanzt und sie sogar an den Tisch zu den Erwachsenen und den Verheirateten gebracht. Das wurde allseits bemerkt, und fortan galten im Ort er und das Marei als ein sicheres Paar, mit dem man einverstanden sein konnte.
Das Jahr darauf haben die Burschen das inzwischen nicht mehr magere, blühende Marei gar nicht erst aufgefordert, weil sie ihrer unbändigen Tanzlust ohnehin nur mit dem Haller oblag. Die Ratschweiber warteten schon, dass der Simmerl mit ihr zum Stuhlfest beim Pfarrer erscheint, zum Aufgebot. Hoffentlich, denn auf den Brandnerhof gehört eine Jugend. Der Kaspar ist viel zu alt. Er hätte schon längst übergeben an seinen Schwiegersohn und die Tochter. Da waren aber beide gestorben, und das Marei, ihr einziges Kind, wuchs bei dem Großvater auf.
Seit zwei Jahrzehnten werkeln die beiden nun schon recht und schlecht. Einen Knecht oder eine Stalldirn konnten sie sich nicht leisten. Der Kaspar hat das Regieren nie richtig erlernt, weil ja sein ältester Bruder der Hoferbe gewesen wäre, und man hat ihn, den Jüngsten von dreien, das Schlosserhandwerk erlernen lassen, auf dass er später ein Auskommen habe. Er hat es gern ausgeübt und sich als Büchsenmacher schon in jungen Jahren bewährt.
Da waren aber seine beiden Brüder im Tiroler Krieg gefallen, und er blieb allein übrig. Sein Vater hatte einen schweren Stand in den notigen Jahren nach den Napoleonkriegen, die Europa um und um gerührt und gänzlich verarmt hatten. Das Brandnersche Sach ging zurück, der Vater schon musste ein Trumm Land nach dem ändern veräußern, und der Kaspar war dann noch tiefer in die Schulden geraten.
Nur ein geldiger Bauernsohn als Hochzeiter fürs Marei hätte die Rettung sein können, einer, der tüchtig zu arbeiten versteht. Der Simmerl aber, ein vierter Sohn aus der Gegend von Tölz, erbte nichts. Auch seine Leut krebsten nur so schlecht und recht, wie die meisten in diesen Jahren. Er verstand was von Jägerei und von Forstarbeit, aber wenig vom Bauernberuf. Darum tat er beim Kaspar den Mund wegen einer Heirat gar nicht erst auf. So auskömmlich sein Sold beim Prinzen für ihn allein war, zur Rettung des Brandnerschen Erbes langte es auf keine Weiten.
Er kam auf Besuch, saß in der Stube herum, half da und dort bei der Arbeit und gewöhnte sich dem Marei gegenüber eine besitzergreifende Art an, die den Kaspar mehr und mehr ärgerte. Er tat, als sei sie sein Eigentum, bewachte sie und ließ keinen anderen Burschen in ihre Nähe. Weil er sie niemals hitzig bedrängte und das Marei ihn so hinnahm, wie er war, mischte der Kaspar sich weiter nicht ein. Es war recht, wenn er da war, aber wenn er nicht kam, war es auch gut.
Dann aber, und das lag erst ein paar Wochen zurück, lief dem Marei der Florian Högg über den Weg, und alles war anders als vordem.
Der Simmerl schaut dem lachend zu Tal laufenden Flori hinterher: »Frecher Kerle. Den nimm i nimmer zu die Treiber, wenn er so frech ist.«
»Er is a braver Bua, tu ihm net unrecht«, hält der Brandner dawider und spielt weiter den schwindligen Kranken. Der Simmerl hilft ihm vorsichtig auf, hebt ihn, setzt ihn sacht auf einen Baumstumpf, rückt und drückt ihm seinen alten Hut so über den verbundenen Kopf, dass nur noch ein schmaler Streifen weißen Leinens am Ohr hervorschaut.
»So siecht ma nix mehr – und dei’m Enkelkind sagst einfach, du hast dich g’rissen an am Ast im Unterholz, verstanden?«
Der Kaspar schaut forschend, denn da ist wieder der Ton von Anspruch und Anordnung:
»Is dir des gar a so wichtig, was ’s Marei von dir denkt?«
»Frag net so dalkert!«
Der Simmerl geniert sich, seine Empfindung verraten zu haben. Er ist froh, dass sich darüber kein Disputieren ergeben kann, weil von unten das Hornsignal ›Sammeln für Jäger und Treiben‹ ertönt. Er packt seinen Rucksack und das Gewehr:
»Komm, steh jetzt auf, wir müssen ’nunter zur G’sellschaft.«
»Wir zwei? Mitanand? Dass ma fragt, was du g’macht hast mit mir?«
»Was hab i denn g’macht, nix hab i g’macht, Herrschaftszeitn! G’funden hab i di, verbunden hab i di – komm, steh jetzt auf!«
Er schreit, weil sein Gewissen ihn zwickt ob seines Schießens. Sein grobes Betragen spornt den Kaspar erst recht an, ihn zur Strafe weiter zu tratzen. Er wackelt den Kopf, klappert recht hilflos die Augendeckel und haucht:
»I kann leider net aufstehen. Der Schwindel, verstehst. Du müssertst mich tragen.«
»Tragen??!«
»Am Buckel, freundlicherweise, bis abi –«
»Tragen? Mich blamieren vor alle die Leut, wenn ich daherkomm, mit dir huckepack? … Mann Gottes, mach mi net narrisch!«
»Wennst mich so anschreist, krieg ich völlig ’as Zittern«, klagt der Kaspar und sinkt tragisch in sich zusammen. Das wirft den Jäger nun vollends aus dem Gleis.
»Du, i lass dich da liegen«, droht er.
»Des machert beim Marei fei einen mäßigen Eindruck. Solltest dich schon derbarmen –«
Weil der alte Hallodri gar so jammervoll dreinschaut und Miene macht, demütig bittend die alten Hände zu heben, kann der Simmerl nicht anders:
»Alsdann, von mir aus – hopp!«
Das Manöver des Aufsteigens erweist sich als schwierig. Der Kaspar kriecht schlenkernd und wackelnd auf den dargebotenen gekrümmten Buckel hinauf und schlingt die Arme derart fest um den Hals des Helfers, auf dass er nicht hinunterrutsche, dass er dem Simmerl den Adamsapfel zusammenquetscht und der nur röcheln kann:
»Derwürgen brauchst mi fei net!«
Der Söllmann, verwirrt von dem ungewöhnlichen Vorgang, beginnt warnend zu bellen. Der Simmerl hat nun den Alten im Genick. Der macht sich schwer und lässt seine Beine von rückwärts her gegen die Haxen des Lastträgers schlagen. Der Simmerl muss sich noch einmal bücken, um sein Gewehr und den Rucksack aufzuheben. Das ist mühsam genug. Als er sie endlich geangelt hat, wobei der Kaspar ihm mehrmals seitlich hinabgleitet, was besorgte Angriffe des wild kläffenden Söllmann zur Folge hat, kann er sich seine Ausrüstung nicht, wie gewohnt, über die Schultern hängen, weil ja der Kaspar da hinten wie ein Sack auf ihm lastet. Er muss sich Gewehr- und Rucksackriemen, albern genug, von vorn her über den Kopf auf den Nacken ziehen, sodass sie ihm störend und ungewohnt vor der Brust pendeln.
»Glump, varreckt’s«, knirscht er, und der Alte mahnt ihn mit schwacher Stimme zu alledem noch:
»Wackel net so umanand wie der Schwoaf von der Kuh, sonst kann i mich mit mei’m Schwindel net halten und fall abi, sei so freundlich.«
Der wütend-verzweifelte Simmerl packt mit den Pratzen den Kaspar so fest in den Kniekehlen, dass die Rutscherei auf dem Rücken ein End haben muss, der Alte ruft fröhlich: »So passt’s, auf geht’s – hüah, alter Schimmel« – und der Herr Hofjäger in seiner Jagdlivree tappt brav und ergeben mit seiner ächzenden Last bergab, wobei ihm bei jedem Schritt Gewehr und Rucksack auf die Brust schlagen und der unzufriedene Söllmann ihn, unaufhörlich bellend, kämpferisch immer wieder von allen Seiten her anspringt.
»So is es brav«, lobt der Brandner.
»Halt du bloß dei Mäu, ehvor dass i grantig werd«, keucht es zurück.
Der Simmerl hofft inständig, dass ihnen niemand begegnet und dass er den Alten nahe dem Sammelplatz irgendwie ungesehen loswerden kann. Das aber ist ihm nicht beschieden. Keine zweihundert Schritte vor dem Ziel kommt ihm, ausgerechnet, der emsige Senftl entgegen, reißt seine glühenden Augen weit auf und plärrt:
»Ja, gibt’s denn des aa! – I glaub, i träum! – Darf ich mir die ergebenste Frage erlauben, ob Hofjäger neuerdings ’as Hutschpferd machen für alte Krattler?«
»Plärr net a so«, fleht der Simmerl, weil er zwischen den Stämmen erkennt, wie in einiger Entfernung etliche Jäger, Treiber und Gäste aufmerksam werden, herschauen und Miene machen, herüberzuschlendern.
»Er kann net gehn. Er hat an Streifschuss derwischt.«
»So? Wo?«
»Am Ohr.«
»Aha! Und seit wann geht der auf die Ohren«, höhnt der Senftl und sieht missbilligend zu, wie der Simmerl versucht, den Alten vom Rücken zu schütteln. Der aber hält sich dort eisern fest.
»Schwindlig is ihm«, erklärt er verlegen, was den Senftl zu einem spöttischen Lachen veranlasst:
»So? Dem? Dem seine Schwindel kennt a jeds in der Gegend. Dem machst doch du grad den Kasperl. Schau nur, wie der fürizahnt, der Spitzbua, der o’drahte!«
Der Simmerl schielt zur Seite und sieht dicht neben sich das grinsende Antlitz des Brandner über seiner Schulter. Es schwant ihm, dass er wirklich den Kasperl abgibt, und als der Brandner lächelt und säuselt: »So viel schwindlig«, da schmeißt er ihn vom Rücken herunter, um die Blamage los zu sein. Der Söllmann springt daraufhin gleich mit allen vieren in die Höhe, wähnt sich von Feinden umgeben, hat noch jemanden, den er nicht mag, zum Anbellen gefunden, und geht waffend los auf den Senftl.
»Pfeif gefälligst dei’ Raubersviech da z’ruck«, schreit der Spötter geängstigt und flieht ein paar Schritte zur Seite. Da sieht er, wie der Brandner gemächlich die Kirschgeistflasche des Simmerl aus seiner eigenen Rocktasche hebt und sich erneut eine Stärkung genehmigt:
»Ah, brav – und dein’ Schnaps hat er aa scho, der alte Dadädl!«
Der hilflose Simmerl raunt, um zu begütigen und sich zu entschuldigen:
»Wenn’s mein Schuss g’wesen wär, der ihn g’streift hat, muss ich doch …«, doch dieses Bekenntnis bringt ihm nur weiteren Hohn ein:
»Dein Schuss, ja da schau her, aha, soso. Und du ›muaßt‹! Ja, freilich. Du ›muaßt‹ ja auch dem Hirschn hinterherschießen, der dem König gehört, und ihn net amal treffen – net amal des! Der Prinz Carl hat a Wut auf dich, verlangt dringlich nach dir, und wer is net da? Du! Du musst ja zahnluckerte Spitaler spazieren tragen am helllichten Tag!«
»Was sollt i denn machen?«, plärrt der hilflose Jäger zurück.
»Ja, nix mehr«, giftet der Senftl ihn an. »Hast ja scho alles g’macht, was ma verkehrt machen kann, du Prachtexemplar! – Weißt wenigstens, wo der Hirsch ’naus is? Des könnt deine Rettung sein, wennst du des wissertst! –«
Der Simmerl hat keine Idee. Er schlenkert den Arm und deutet vage zur Holzeralm: »No, wo wird er sein. Da nauf is er – vermutlich.«
Darauf antwortet der Senftl ihm gar nicht erst, sondern tritt funkelnden Auges dicht vor ihn hin, sticht ihm, wie es so seine Art ist, den Zeigefinger hart in die Brust und höhnt in übel wollender Sanftheit:
»Freilich, jaja, da ’nauf is er, so wird’s sein. Des meldst jetzt den hohen Herrschaften. Wörtlich und genau in dem Ton. Dann sagst es noch auf Französisch, damit der König von Belgien und sei Töchterl auch eine Freud ham – und dann suchst dir a andere Arbeit – im Fall, dass d’ noch eine findst, im rechtsrheinischen Bayern, du Preisschütz.«
Auf den Kaspar scheinen die beiden vergessen zu haben. Der hat sich inzwischen auf einen Holzstoß gesetzt und genießt schmunzelnd den Zank. Der Söllmann ist still zu seinen Füßen gelagert und horcht erst wieder auf, als von unten das Halali der Hörner das Ende des Jagdtages kündet.
»Malefiz«, sagt der Senftl. »Die Herrschaften dürfen den Ang’schossenen da nicht zu Gesicht kriegen. Das fehlert grad noch, das verdürb ihnen vollends den Tag, und ich wär am End wieder schuld!«
»Ich bring ihn heim«, sagt der Simmerl.
»Naa, du net. Du g’wiss net«, kommt es verächtlich zurück. »Du wärst es bei deiner Geschicklichkeit imstand und kutschierertst ihn pfeilgrad in’ See eini, dass er dersauft. Naa naa, und sowas is a Verwandter zu mir – a Sohn von am meinigen Basl!«
So ist es. Die Mutter vom Simmerl ist der Senftlsippe verwandt. Darum kann er ihn abkanzeln wie einen Abc-Schützen, ohne dass der es wagen darf, sich wirksam zu wehren. Dieserhalb wäre es auch dem Senftl zupass gewesen, wenn eine Hochzeit mit dem Marei hätte stattfinden können, weil so der Brandnerbesitz an die Senftlfamilie gelangt wäre. Wer weiß, am End war die solenne Feindschaft gegen den Kaspar nur die Folge davon, dass daraus nichts werden konnte, weil der Simmerl zu dieser Hochzeit nicht taugte. Zudem hatte der Senftl, der seine Nase in alles steckte, längst erfahren, dass sich zwischen dem Mädchen und dem Futterknecht in seinen Diensten, dem Florian Högg, etwas anspinnt. Auch das ist ihm nicht recht, aber was ist dem Senftl schon recht, was andere tun. –
Er entscheidet: »Den Brandner bringt irgendwer heim, unauffällig und hint ’rum«, und ruft einen Treiber an, der ahnungslos durch den Wald kommt:
»Heda, du – Bursch! – Ja, dich mein ich, hörst du net? – Geh amal zuawi, gefälligst.«
Der Angerufene ist von zarter Gestalt und trägt ein zu großes, schlotterndes Gewand, grobe Stiefel und einen Tegernseer Stopselhut, der ihm fast über die Ohren rutscht. Er zögert und kommt nicht ›gefälligst zuawi‹. Er scheint den Brüller zu fürchten.
Der Kaspar schaut um, erkennt, wer es ist, und widerspricht augenblicklich: »Lass den Burschen in Ruh. Ich brauch neamds, i find scho alloa heim.«
»Nix da! Wenn ich a Anordnung treff, wird die befolgt! – Was is, kommst du jetz her, oder sollt ma dir a schriftliche Einladung schicken? Horch zu, du schaffst mir den Brandner da weg, der is ang’schossen.«
Das trifft die kleine Gestalt wie ein Blitz: »Ang’schossen? Wo is er?«, ruft das Krischperl mit hoher, kindlicher Stimme und läuft eilends herzu.
»No, da flackt er. Und außerdem – hast eppa du den Malefizhirschen gesichtet? Du, oder einer von die anderen Treiber? Was is, krieg i koa Antwort? Kannst du net reden?«
Die kleine Gestalt hört nicht hin. Sie hockt sich neben den Kaspar, sie redet leise und voller Besorgnis mit ihm, und der Söllmann schnüffelt vertraulich an ihr herum. Der Simmerl erkennt es als Erster, wer das Krischperl in Wahrheit ist, und gleich darauf erkennt es der Senftl. Er staunt nur so:
»I glaub, i träum! – ’s Marei! In am Mannderg’wand. Brav, so is’ recht. Als Treiber gehn is verboten für Weiberleut, und sie kostümiert sich als Bua! – Freili, bei uns geht ja alles! In meiner G’moa tut a jeder grad, was er mag. Unsere Erlässe san euch ja Wurscht, euch Bagasch!«
Das Marei richtet sich verlegen auf, stolpert dabei ein wenig in den Stiefeln des Großvaters, das lange, dunkle Haar rutscht ihr unter dem Hut hervor, sie sucht es zurückzustecken, schaut dem Senftl fest ins Gesicht und erwidert bescheiden:
»Wir sind koa Bagasch, Senftl, des wissen Sie genau, und wir befolgen ansonsten auch alle Ihre Erläss’. Bloß grad heut …«
Weil sie, während sie redet, den Simmerl mit einem ganz kurzen Blick streift, argwöhnt der Senftl sofort:
»Ah so, des is a Komplott! Ah so? Hast du mir des eing’rührt, Herr Hofjäger?«
»Der Simmerl kann nix dafür«, wiegelt das Marei tapfer ab. »Des is mir ganz von allein eing’fallen. Weil doch der Gendarm, der Loichinger, der wo die Treiber aufnimmt und einweist, a so schuiklert und kurzsichtig is, hab i mir denkt, probierst es amal, verdienst dir die fuchz’g Kreuzer, den Tag.«
»Du Anten, du freche!«, schreit der Senftl sie an, und er hätte seiner Empörung noch weiterhin Luft gemacht, wäre nicht just in dem Augenblick der Flori gelaufen gekommen, um, ein wenig atemlos, zu vermelden: