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»Senftl, an schön’ Gruß vom Prinz Carl, und Sie solltertn glei umi zur G’sellschaft, samt dem Herrn Hofjäger Simmerl! Und nach ’m Brandner hat er auch g’fragt! – Hö, was is denn da g’schehn? – des is ja ’s Marei …«
»Ja, das Marei!«, funkelt der Senftl, »dei Herzi, unbotmäßig, keck und ohne Respekt für die Obrigkeit. Aber des sag i dir, Madl, koan Kreuzer kriegst du für den heutigen Tag, für des sorg i. Und i überleg mir überhaupts noch, ob i net Anzeige mach gegen dich, wegen Verbotesmissachtung, und …«
»Und – was? Gar nix macha Sie!«
Der Flori schiebt sich, fest und bestimmt, mit breiten Schultern zwischen den Schimpfenden und das geängstigte Mädchen. »Aber scho gar nix! Des braucht’s net, dass Sie des Mädel so anplärrn, ham S’ mi verstanden?«
Der Senftl schluckt und bringt gegen diesen Beschützer der Unschuld nur ein mattes: »Ja, wie traust di denn du mit mir reden?«, heraus.
»Nix für ungut«, beschließt der Flori die Zurechtweisung, »aber a so a Schreierei z’wegs einer solchen Lappalie, des is koa G’hörtsi.«
Die Augen des Senftl glühen gefährlich auf, während er Luft holt:
»So, des waar koa G’hörtsi, aha? – Brav, a so mag i ’s! A meiniger Fuaderknecht möcht mir Manieren befehlen, taat mi abkanzeln vor alle Leut – hätt den Fiduz, dass er si auflehnert gegen sein’ eigenen Brotherrn! Was buidst dir denn du ein, Bürschei? Aber pass auf, i sag dir was Schön’s: Du bist ausg’stellt, und zwar auf der Stell!«
Das schlägt ein. Die Kündigung als Quittung für ein mutiges Wort? Das Marei ruft ganz verzweifelt:
»Vom Dienst jagen, mitten unter’m Jahr? Des is net Ihr Ernst, Senftl! Sowas tut ma doch net!«
»I wer’ mi geniern! Ich jag an jeden davon, wenn’s mir so passt! Und weil mir der Kerl, der freche, scho lang nimmer passt – basta und aussi, fort ohne Schaden! Er braucht gar nimmer kemma auf mein Hof! Sein’ restlichen Lohn b’halt i ein, weil er Schulden g’nua hat bei mir. Dir werd i ’s lerna, wiest du reden muaßt mit Respektspersonen!«
Er ist keinem Einwand zugänglich. Auch nicht, als der Simmerl und das Marei gemeinsam ihn bitten, sich noch einmal zu bedenken, es sei nicht böse gemeint gewesen. »Nix, nix, nix«, schreit er und säbelt mit den Händen durch die Luft. »Er ist und bleibt ausg’stellt! Basta damit!«
Da ertönt ein Lachen. Der Kaspar hockt noch auf dem Holzstoß, hat seine Pfeife angezündet, dem Streit zugeschaut, schüttelt tadelnd den Kopf und amüsiert sich. Der Senftl kann nichts anderes glauben, als dass der Schuss den Alten um den Verstand gebracht hat.
»Spinnst jetzt du vollends? Du bist schwer verwundet, rauchst wie a Schlot, beutelst dein’ Belli – und was gaab’s da zum Lachen?«
»Entschuldige schon, Senftl, aber es is gar zu g’spaßig, wie er dir wegen am jeden Schmarren gar a so schön stinkt! Spannst denn du nie, wenn was a Gaudi is und sonst nix? Verstehst net: Das Marei hat sich an G’spaß g’macht! – net mit dir! Mit dem schelchaugerten Loichinger und mit’m Simmerl dazua – und du rumpelst drauf rein, wo’s dich doch gar net betrifft. Da brauchst di net wundern, wenn ma di diam derbleckt.«
»Ja, derblecken, des is alles, auf was sich die Brandnerische Sippe versteht!« Der Senftl mag nicht von seinem hohen Ross herunter und käme sich windig vor, wenn er mitlachen würde. »Derblecken, so wie du damals mein’ Vater!«
»Geh, die uralte G’schicht’!« winkt der Brandner ab. »Des is über fuchz’g Jahr her, dass ich mir mit dem den sellen G’spaß erlaubt hab.«
»Aber vergessen is’ net, deine Untat! Die Leut reden heut noch davon, und des verzeih ich dir nie! Freilich, für dich waar ’s ganze Leben a G’spaß, des is allbekannt«, geht der Senftl ihn immer härter an, sodass der Söllmann sich aufsetzt und zu knurren beginnt. Der Wütende achtet nicht darauf.
»Aber dir wird noch das Lachen vergehn, wenn i Ernst mach und klag alles ein, was du mir schuldest. Dann is’ aus! Dann heißt’s ’naus aus deim Hof, dann stehst auf der Straß, mitsamt dei’m gaudigen Enkelkind da! Dann könnts alle zwoa ’as ganze Jahr Maschkra laufen, als Bettelleut nämlich von einer Ortschaft zur ändern, und schau’n, wo’s ihr bleibts! – Ich bin ganz g’wiss die Langmut und Nachsicht in Person, aber was z’viel is, is z’viel – und wehe, mir reißt die Geduld! Wehe!«
Die Geduld reißt dem Söllmann. Er meint seinen Herrn verteidigen zu müssen, er greift an, packt sich den Senftl, springt an ihm hoch, erwischt sein Gewand, zerrt einen Fetzen heraus vom Gilet und ist vom Brandner kaum mehr zu halten.
Der Gebissene schreit, schlägt um sich, läuft, was die Beine hergeben, bleibt in der Entfernung noch einmal stehen und brüllt, krebsrot im Gesicht, seine Kriegserklärung herüber:
»Des werd’s ihr mir büßen, ihr Krattlergesindel! Simmerl, geh her da! Dass i dich nie mehr derwisch mit dene Leut! Ihr sollt’s alle noch denken an mich!« – und rennt fort.
Dem Simmerl ist dieser Auftritt am ärgsten. Er muss dem Oheim folgen und mag ihm nicht folgen.
Er muss das Marei hier lassen und mag es nicht lassen. Schon gar nicht beim Flori, der sich so ritterlich aufgeführt hat, wo er, der Simmerl, nur schweigend daneben stand. Er möchte sich um den Kaspar kümmern und muss gehorsam zum Prinzen eilen, wenn der nach ihm schickt.
Ihm ist elend zumut. Nach ein paar Schritten schaut er hilflos zurück:
»Sollt i dich nochmals tragen, Kaspar, bis abi?«
»Naa naa, Simmerl, dankschön, i geh gut auf meine eigenen Füß. Ich hab vorhin a bissei Komödi g’spielt und mir a wengerl an G’spaß g’macht mit dir – derfst mir net gram sein.«
»Woher denn. Ich versteh ja an G’spaß«, antwortet der Simmerl traurig. »Was is, geh ma mit’nander, oder kommt’s ihr mir nach?«
»Geh nur voraus, wir säumen net lang.«
Die drei schauen ihm nicht hinterher, wie er trotzig davongeht, ohne sich umzusehen. Sie sitzen versonnen, und jeder überlegt vor sich hin. Der Kaspar setzt die Pfeife umständlich in Brand, ohne wahrzunehmen, was er tut. Nicht die Senftlische Drohung bedrückt ihn, nein, da ist ein dumpfer Schmerz über den Augen, und fließende Farben wechseln vor seinem Blick. Das macht ihn unsicher, das beobachtet er wie ein ungewohntes Naturschauspiel.
Der Flori fragt in das lange Schweigen hinein:
»Kann denn der Senftl euch wirklich ’nausteufeln, so, wie er sagt?«
»Rundum gehört eh schon bald alles sein«, erwidert das Marei bedrückt, »bis ’nauf zur Neureuth, zum Dr. Senger, zum Westerhof, und abi bis in die Grund vom Pfliegelhof. Viel is nimmermehr übrig für uns, im Albachtal.«
Der Kaspar kneift die Augen zusammen, weil das Sirren und Klingen im Schädel, auf das er eine Weile vergessen hatte, wieder lästig anzuschwellen beginnt.
Das Marei meint weiter: »Unser Herr Pfarrer hat neulich amal g’sagt: ›Euer Gütl is bald wie eine Insel im Senftlschen Meer!‹ Und jetzo g’lust’ ihn die Insel halt auch noch. Es is wie verhext, wir werkeln und macha und toa und kommen doch net vom Fleck.«
Der Flori nickt: »Des geht viele Leut so, heutzutag. A jeder is froh, der sei’ Auskommen hat«, und das Marei fragt ihn: »Was hast jetzt du im Sinn, nach dem Nausschmiss?«
»Weiß net. Ich find schon an Platz. Ich könnt wieder im Holz droben arbeiten, da war i schon vor meiner Militärzeit.«
»Die Holzarbeit is net gar leicht«, meint der Kaspar bedächtig. »Die braucht’s G’wöhnen, wennst länger pausiert hast. D’ Holzknecht san hagelbucherne Lackeln, allesamt. Des is aa net jedermanns Sach.«
Der Flori zuckt die Achseln: »Ich werd mir’s net aussuchen können.«
»Ob ’s net in der Schussermühle eppa wen brauchen?«, fällt dem Marei ein. Nahe Kreuth wird Marmor vom Ringberg auf durch Wasserkraft getriebenen neumodischen Säge-, Dreh- und Poliermaschinen verarbeitet: zu Bodenplatten für die Oper und die Glyptothek in München, zu griechischen Säulen, Tischplatten, Vasen, Schmuck und so Glump. Die Werkstätte gehört doch, ja – dem Herrn von Reichenbach, »den kennst du doch. Großvater! Is der net überhaupt heut bei der Jagdgesellschaft dabei? Ob du den amal fragst?«
»Ma kannt ’s ja versuchen.«
Der Brandner erhebt sich und klopft seine Pfeife aus: »Es is ohnehin Zeit. Wir müssen nunter, zum Sammeln ham’s scho geblasen.«
Auf dem Streckplatz sind bald alle beinander. Die Strecke wird auf Tannenzweigen säuberlich ausgelegt, die Hornisten stehen bereit, sie zu verblasen. Man verabreicht allseits den Jagdtrunk. Für die Feinen sind ein Champagner und edle Weine vorhanden, der Prinz, die Zünftigen und die Kenner bevorzugen den Kirschgeist und halten sich an die Spezialitäten, die ein grobes, älteres Frauenzimmer, die Wurzer-Burgl, rundum ausschenkt.
Die ist weithin bekannt und berühmt. Vor Jahrzehnten war sie mit ihrem Geliebten aus dem Zillertal zugewandert. Die beiden hatten sich eine Hütte erbaut, er ging in die Holzarbeit, sie strich mit Hacke und Korb durch die Gegend und sammelte Wurzeln und Kräuter.
Man hielt sie für spinnert, bis Holzknechte die ›geistigen Wässer‹, die sie aus Kräutern, aus Kalmuswurz, Brunnkress und Enzian höllisch scharf zu brennen verstand, zu kosten bekamen und ganz narrisch waren darauf.
Da musste ihr Jörgl bald feste Bänke und Tische vor die Hütte ins Gärtchen zimmern. Sie schenkte aus, Gäste kamen von weither, Hoch und Niedrig saßen selig-gierig beisammen und ließen sich von der Burgl allerlei Wahrheiten sagen, denn dies gewitzte, tüchtige Leut scheute keinen Erlauchten, und neben der Wirkung der Wässer erfuhren jene gleich auch noch, was das Volk denkt.
Bis hinunter nach Preußisch-Berlin drang dann ihr Renommee, als sie dem armen, matten, dürstenden Kronprinzen der Pruzzen im Gärtlein einen reschen Enzian einflößte, gegen das Zetern seiner mitwandernden Höflinge, die Vergiftung und Aussterben des Hohenzollernstammes befürchten zu müssen sich veranlasst sahen.
Zum heutigen Jagdtrunk ist sie samt ihrem Fässchen geladen und trägt zur Erbauung verbal und kulinarisch Erhebliches bei.
Die meisten der Damen sowie jene, denen von Arzt oder Gattin Mäßigung befohlen ist, laben sich, wie die meisten Einheimischen, die Diener, Kutscher und Treiber, am dunklen Bier aus dem Bräuhaus von Tegernsee, das den Wittelsbachern gehört, seit 1817 König Max der Erste – ob der grünen Filzkappe, die er so gern trug, ›Moosmaxl‹ geheißen – das den Benediktinern böse gewaltsam enteignete Kloster samt Brauerei insgeheim aufgekauft und vor dem Verrotten gerettet hatte. Insgeheim hatte er auch verjagte benediktinische Bräumeister heimgeholt, und das Ergebnis, die jährlichen tausend Hektoliter, befriedigte die Erwartungen aller.
Heut ist das Bier so, wie es sein soll, weil es aus den kühlen Kellern von Kaltenbrunn kommt. Oft ist es lack und lau, wenn kein Eis da ist, und oft ist es rar. Man kann davon nicht genügend aufbewahren, wenn der Sommer heiß ist, Durst macht und viele Fremde am Ort sind. Dann geht es aus, und man muss anderes von weit herschaffen, etwa aus Tölz.
»No, Brandner, war die Jagd net ganz nach Ihrem Geschmack, oder was? Sie schauen a bissei dernepft drein«, fragt der Herr Dr. Senger, als er ihn ganz draußen am Rande des Platzes bei den Treibern entdeckt, dort, wo auch Bettelleut lungern und gierig nach Almosen spähen.
»Treibjagden san net mein Fall, Herr Doktor. Was is des gegen a g’scheite Pirsch, wo man ansitzt und lurt und warten muss, bis was daherkommt, und es bleibt fraglich, ob ma zum Schuss kommen kann.«
»Sie ham a Berechtigung? Sie dürfen schießen?«
»Ich hab’s amal g’habt, aber dann is was fürkemma …«
»Was?«
»Ah, nix weiter. A dumme G’schicht. Da hätt einer g’moant, i hätt was erlegt, was eigentlich ihm g’hört hätt – und der hat prozessiert.« »Lassn S’ mich raten, wer’s war – der Senftl?«
»Der sell kunnt’s g’wesen sein, ja. Aber es macht nix.«
»Da kann man doch was unternehmen, damit Sie die Erlaubnis wieder erlangen. Ich bin gern bereit, als Jurist …«
»Dankschön, Herr Dokter, aber ’as Mitgehen am Pirschgang is genau a so scho schön, gar, wenn ma älter wird und bläder dazua.«
»Na, Sie doch net. Sie san doch das leibhaftige Leben, mit Ihre – wie alt san S’?«
»Zwoarasiebaz’ge bin g’wesen, vor etliche Wochen.«
»Na, also – mit zweiundsiebzig so vif beianand, des is doch a Gnade vom Herrgott.«
»Kann ma in Dankbarkeit sagen, ja.«
»Was ham S’ denn für an Verband um den Kopf? Is Ihnen was g’schehn?«
Es ist dem Kaspar nicht recht, dass man von seiner Verwundung erfährt. Und dem Senftl ist es schon gleich gar nicht genehm. Er hat zu langsam geschaut, als die Brandnerleut auf dem Platz erschienen sind. Als er sie verjagen hat wollen, hat der Hofadvokat schon mit dem Alten geredet, und er hat es sich nicht mehr getraut.
Nun muss er mit ansehen, wie der Senger den Alten zu den Großkopferten führt und berichtet, dass es unbemerkt zu einem gefährlichen Vorfall gekommen ist. Voll Ärger sieht er den Kobell, Graf Arco und den Reichenbach um den Brandner herumstehen und sich den Hergang erzählen lassen. Dann holt man gar noch den Prinzen dazu, den Gastgeber und Herrn der Jagd.
»Sie ham wirklich nicht g’sehn, wer’s gewesen sein könnt?«
»Tut mir Leid, Königliche Hoheit, nix.«
»Wer hat Sie denn in der Ohnmacht gefunden?«
»Der Florian Högg.«
»Geh, seids so gut, bittet’s mir den amal her. Vielleicht hat der wen erkannt. Wer war überhaupt droben platziert? Ist da nicht mein Jäger g’standen, der Haller? – Simmerl, kommen S’ doch amal her, bittschön!«
Sakradi, denkt der Senftl, jetzt kommt’s auf. Der Hundling, der Högg, wird’s verklagen, der Simmerl in seiner Blödheit bringt’s Herauslügen nicht z’amm, der Makel bleibt meiner Familie und mir. So ein Hundskopf, der Brandner! Nicht genug, dass er mir ein Wild weggeschossen hat, seinerzeit, jetzt macht er auf dem Wege des Mitleids sich gar noch Liebkind. Wer weiß, ob er denen nicht auch von dem Streit was erzählt, den wir gehabt ham –?
Prinz Carl besteht darauf, dass ein Medicus sich die Wunde besieht. Des Belgierkönigs Vertrauter, der sächsische Baron Christian von Stockmar, der Arzt war, ehe er sich der Geheimdiplomatie verschrieb, wickelt persönlich den Verband ab. Das Ohr blutet kaum mehr. Immerhin, kein Zweifel, das ging haarscharf am Tode vorbei. Sowas darf bei einer sauberen jagdlichen Ordnung nicht vorkommen. Der Florian Högg wird herbeigeführt und berichtet, dass der Brandner beim Erwachen etwas von einem schwarzen Kerl gefaselt hat.
Der Kobell flüstert ironisch zum Arco hinüber: »A ganz a Schwarzer? Uiui! War a Pfarrer dabei?«
»Wer sonst wär zuständig für die Schwelle zum Jenseits?«, grinst der leise zurück.
Der Medicus hält die Gestalt für ein Traumbild, das der Patient ins Erwachen geschleppt hat. Als aber der Prinz sich beim Simmerl erkundigt, ob jemand bei der Gesellschaft schwarze Kleidung trägt, da schluckt der verlegen, kriegt einen ganz roten Schädel und würgt schließlich heraus:
»Des net, Hoheit, aber – ich muss es vermelden, dass ich ganz in der Näh war und dass ich g’schossen hab.«
»Gib a Ruh«, fährt ihm der Kaspar ins Wort. »Dein Schuss war zu späterer Zeit, da bin ich schon wieder erwacht. Des hat nix zu tun mit dem!«
»Ich hab aber zweimal g’schossen, mit Verlaub, Königliche Hoheit. Einmal den Lenkschuss, wie der Hirsch abi zur Fürlege g’saust is, absichtlich nahe vorbei an ihm, in den Boden, und ’as zweite Mal, wie er wieder auf und davon g’roast is, ganz überraschend, als an versuchten Fangschuss.«
»Beide Schüss’ hab ich vernommen, und keiner von denen is’ g’wesen«, beharrt der Kaspar.
Prinz Carl legt seinem Jäger die Hand auf den Arm: »Es ehrt Sie, lieber Haller, dass Sie an diese Möglichkeit denken, aber san S’ friedlich: Sie waren’s net, wir müssen uns anderweitig erkundigen. Ich bring es zur Sprach bei der Jagdtafel, später, im Schloss drüben. Jetzt holen S’ an Wagen, dann fahren wir ihn heim, den Herrn Brandner.«
»Des braucht’s aber wirklich net, Hoheit, ich bin gut auf die Füß und hab auch zwei Leut zur Begleitung.« Der Kaspar beharrt aus Bescheidenheit und wehrt sich auch, als der Prinz ihn dem König von Belgien vorstellen will: »Hoheit, des braucht’s doch net, und i kann ja aa net Französisch.«
»Lieber Freund, einmal hat der Coburger auf sein Deutsch net vergessen, zum ändern waren Sie es, der den Hirschen für ihn aufg’funden hat. Also kommen S’ getrost, der Leopold freut sich, ich versprech’s Ihnen.« Des aa no, denkt der Senftl voll Ingrimm, wie der Prinz höchstselbst den Brandner vor den König hinführt. Ihn schmerzt diese Huld. Er ist neidig, dass dem Hofmeister gewinkt wird, der ein Geschenk zureicht und der Brandner einen goldenen Taler bekommt, als Dank, zum Trost und als Angedenken, und dass die Herrschaften um den Alten scharwenzeln, als sei er der Mittelpunkt. »Vielen Dank, zu viel Ehr, unverdient«, murmelt der Kaspar verlegen ein über das andre Mal, und weil er sich der Franzosenzeit seiner Jugend erinnert, sagt er noch mutig zum Belgier: »Merci beaucoup, Majestät«, eh er sich unter Verneigungen zurückzieht.
Eine leise schnarrende Stimme fragt den lurenden Senftl: »Pardong, Sie wissen, wer dieser Mann ist, um den man sich derart auffällig bemüht?«
»A windiger Jagdhelfer, der sich an Schuss eing’fangen hat, a Irgendwer, weiter net wichtig.«
Der Fragende ist ein eleganter junger Herr mit Schmissen im glatten Gesicht, gekleidet in eine nagelneue Jagduniform. Er blickt leicht blasiert, raucht eine Zigarette und sieht so wichtig und einflussreich aus, dass der Senftl sich allsogleich anbiedert:
»Gestatten, dass ich mich vorstell, Alois Senftl mein Name, eigentlicher Bürgermeister von Tegernsee, gewissermaßen. Und mit wem hab ich die Ehre?«
»Leutnant von Zieten, Adjutant des königlich preuß’schen Gesandten am bayerischen Hofe. Finde alles hier kolossal. Bin erst seit drei Tagen im Lande, muss sagen, äußerst disturbierend, verstehe kein Wort von dem, was die Leute so reden, aber insgesamt kolossal urig.«
»Gell, ja. Den meisten nördlichen Herrschaften gefallt’s bei uns gut. Wenn Sie mir die Ehre erweiserten, dass ich Ihnen beim Eingewöhnen behilflich sein dürft …«
»Wird dankbarst angenommen, Herr Bürgermeister.«
Das tut gut. Der Senftl belässt es bei der Titulatur. Er hört sie gar zu gern, und der Fremde braucht ja nicht wissen, dass er nur der Stellvertreter ist. Er wird es schon noch erreichen, dass ihn die zähen Leute zum Alleinherrscher des Ortes erwählen, na was denn …
Der Brandner kommt am Senftl vorbei, beider Blicke streifen sich, und wie der Senftl sieht, ist der Kaspar totenblass. Da kann er nicht anders, er grinst ihn mit seinen glühenden Augen so freundlich an, als sei nie etwas zwischen ihnen gewesen, der falsche Hund. Der Kaspar schüttelt nur seinen Kopf und geht weiter, zum Marei, das mit dem Flori bescheiden abseits steht.
Da geschieht ihm abermals etwas Unerwartetes. Sein Schritt wird unsicher, er stolpert, schwankt, taumelt und wäre gestürzt, hätte der Flori ihn nicht rasch noch gestützt.
Wieder muss der Senftl erleben, dass es ein Hallo gibt um den Alten, dass man sich erneut um ihn schart, dass der Freiherr von Stockmar noch einmal beigezogen wird, einen Schwächeanfall nach der übergroßen Aufregung feststellt, Ruhe verordnet und der Prinz apodiktisch befiehlt, der Brandner sei in einer Kutsche nach Hause zu fahren.
Der Simmerl bittet dringlich, ihn kutschieren zu dürfen, aber die Dienstpflicht verbietet es, er ist im Moment unentbehrlich. Während die Gesellschaft zur Jagdtafel hinüber ins Schloss Tegernsee zieht, ist er es, der beaufsichtigen muss, dass die Strecke und alle Jagdgerätschaften pünktlich dorthin verbracht werden.
Im Hin und Her stellt Dr. Senger seinen Jagdwagen zur Disposition. Der Flori soll ihn kutschieren, den Alten abliefern und das Gefährt dann zum Schloss Tegernsee bringen.
»So a G’schiss um den alten Deppen«, knirscht der Senftl in sich hinein, während er huldvoll lächelnd behilflich ist, den Wagen herbeizuführen. Er tut öffentlich dar, wie gewogen er der Brandnerfamilie ist, denn er kennt das Leben. Er weiß, der Kaspar ist von nun an nicht mehr nur ein geduldeter Kleinhäusler, der keinen Rückhalt hat. Wer von den hohen Herrschaften bemerkt und gefördert wird, darf ein besseres Leben und Beachtung erhoffen.
Das weiß er genau, weil sein eigener Aufstieg begann, als er sich beim König anwanzte, durch jene G’schicht, an die er nimmer erinnert sein mag.
Damals, als Jungem, war es ihm notig gegangen, und er hat Straßenarbeiten gemacht. Er war nicht grad fleißig dabei, das kann niemand behaupten. Oft ist er auf seinem Schubkarren gesessen und hat Brotzeit gemacht. Wie er einmal so dahockt, kommt die Kalesche des Königs Max I. Joseph vorbei, und der Monarch ruft herüber, leutselig oder ironisch, das hat er nicht ausmachen können:
»Recht guten Appetit, lieber Freund!«
Er ist hochgerumpelt, hat sich verneigt, hat im Verwirrnis sein Brot hingestreckt und gerufen:
»Dank, gnädiger König! Wir waar’s – mitgehalten?«
Da sind Majestät tatsächlich ausgestiegen und haben in das dargebotene Brot gebissen. Das war der entscheidende Augenblick.
Der Senftl hat gleich recht gezahnt und gejammert, wie schlecht es ihm geht, hat sich hingekniet und sein Lamento beschlossen:
»Sonst kann i nix tun für Enk, aber ich will fleißig beten für die gnädige Majestät.«
Das hat dem gutmütigen König gefallen. Er hat geschmunzelt: »Bet du für mich. Ich kann für dich auch was anderes tun«, hat sich den Namen sagen lassen, und schon am Abend hat der Senftl einen Beutel Dukaten bekommen und den Bescheid, dass er für den Hof arbeiten darf.
Von da an ist er überall besser behandelt worden, weil Protektion halt Reputation mit sich bringt, so sind die Leut, kannst nix machen. Damals begann sein Aufstieg, und wie man ihm draufgekommen ist, auf welch anlassige Weise er ihn erreicht hat, wurde er zum Gespött. Aber nicht lang. Er hat es den Klatschmäulern, den grinsenden, bald gezeigt, dass mit ihm von nun an zu rechnen ist.
Und jetzt, verflucht, denkt er, kann es sein, dass der Kaspar genauso in die Gnade kommt! Das hat noch gefehlt!
Eifrig besorgt hilft er beim Einsteigen und kommt dabei mit dem Marei in nahe Berührung, was ihm angenehm ist. So alt ist er nicht, trotz erwachsener ehelicher Kinder sowie derer, für die er insgeheim zahlen muss, dass ihm bei einem so frischen Geschöpf nicht einfiele, wie man herumtaubern muss, um sich zu nähern. Könnte er sich das Marei geneigt machen, würde der Kaspar zerspringen vor Wut, und er selber hätte zudem noch sein Vergnügen. Als er das denkt, lächelt er sie so liebreich und so verheißungsvoll an, dass die sich nur wundert, wie ein Mensch sich so zu verstellen imstand ist. Aber sie sagt es nicht.
Sie geniert sich ohnehin in ihrem Bubengewand und möchte rasch fort, ohne aufzufallen. Sie wagt es auch nicht, den Herrn Reichenbach wegen einer Arbeit für den Flori anzureden. Sie lächelt verlegen, als die Gesellschaft ihnen bei der Abfahrt zuwinkt und gute Wünsche nachruft.
Sie kutschieren im leichten Trab an Kaltenbrunn und dann an Gmunds dreißig Häusern vorbei, der Flori auf dem Bock, der Brandner und das Marei im Fond wie ein hochherrschaftliches Nobelpaar, zu ihren Füßen der Söllmann. Sie staunen, wie schnell es vorangeht, vorbei am Bauern am See, den Sandweg am Ufer entlang, schauen, genießen, kommen sich stolz vor, und der Kaspar denkt, dass es so eine Ehr in seiner Jugend gewiss nicht gegeben hätte, weil man damals noch nicht demokratisch war.
Sie begegnen Abendspaziergängern, Sommerfrischlern aus der Stadt. Man trifft sie seit einiger Zeit immer häufiger. Früher war ein fremdes Gesicht was Besonderes – wer kam schon hierher außer Weinreisenden, Schmusern, Händlern mit Holz oder Vieh und gelegentlich ein paar spinnerten Engländern. Seit aber König Max I. Joseph Schloss Tegernsee zur Sommerresidenz erkor, ist es, als sei dieses Tal entdeckt worden wie weiland Amerika und seine Indianer.
Die Sonne geht hinter dem Hirschberg hinab, der See erglänzt blau und golden, in den Rainen und Wiesen ratschen die Grillen, es wird kühler und stiller. In Quirin, beim Kircherl am See, hält der Viehtrieb vom Angermanngütl sie auf. Ihr elegantes Gefährt steckt in der muhenden, trottenden Herde. Die Kühe, die heim in den Stall geführt werden, sind aufgeregt, weil ein Pferd in der Nähe ist. Die Magd vom Gütl, die Genovefa, die mit dem Marei in die vom König eingerichtete Näh- und Strickschule geht, staunt nicht schlecht, als sie die Fahrgäste erkennt.