- -
- 100%
- +
Und schon ist sein Lachen wieder aus und vorbei. Todernst starrt er zum Brandner herüber. Der denkt sich, wenn ich ihn anbrüll, ist es vielleicht besser, und fetzt hinterher:
»No, und ich? Hab ich an Rausch? He? Da schau her – die ganze Flaschn Kerschgeist saufert ich aus und stehert danach noch allerweil kerzengrad aufrecht, als wie a alter Baum steht!«
Zum Beweis reißt er den Korken heraus und tut einen tiefen Zug. Der Boanlkramer schaut zu, lächelt milde, und raunt feierlich, seltsam und still:
»Nur zu! – ’leicht ist es dir aufgesetzet, dass da draus a Schlagerl wurert – und dass sie dir stehen bleibert, die Uhr.«
Die Uhr?
Der Brandner setzt in Verwirrnis die Flasche zurück auf den Tisch und weiß nicht, was tun. War das eine Drohung? Gäb es das wirklich, die Lebensuhr anhalten, wie es heißt in der Redensart? Was hat er vor, der ungebetene Gast?
Der weist mit dem Finger bedeutsam hinüber zur Wanduhr, deren unbeirrbares Hacken nicht mehr alles durchdringt, sondern die unbekümmert wie sonst ihren Gang geht. Will er am End mit dem knochigen Finger den Perpendikel berühren, auf dass sie ihm still steht? Sie, deren Ticken und Schlagen den Kaspar von Kindstagen an durchs Leben geleitet, war sie nicht wie ein Herzschlag der Zeit, wie der Puls des Verrinnens? War sie jemals stehen geblieben? Nein. Nicht in der Todesstunde des Vaters und nicht, als die Mutter verschied. Der Schwarze wendet sich um und scheint hinüber zur Uhr gleiten zu wollen, in seiner seltsam schwebenden Art. Was mach ich? Gegen den hilft mir keine Gewalt, ich kann doch nicht raufen mit ihm, denkt der Kaspar, und schon schreit er, ohne sich lange besonnen zu haben:
»Geh, lass doch den Schmarrn! Überhaupts, g’scheiter als die ganze Rederei da waar’s, wenn du mittrinkertst!« – und streckt ihm die Flasche entgegen.
Das reißt den Boanlkramer herum. Es schaut aus, als würde er auf den Schlag ein Stück kleiner. Er rutscht an den Tisch, starrt die Flasche an und sagt, gar nicht mehr feierlich jenseitig, sondern ganz nah und wahr und skurril:
»I? – An Schnaps?«
Oha, schießt es dem Brandner ein, des verfängt! Er hält ihm die Flasche grinsend unter die Nase:
»Elendig und sper, wiest du bist, taat dir a Glasl gwiss gut.«
Der Seltsame scheint sich kaum fassen zu können vor Staunen und Unglauben und gackst nur heraus:
»Du meinst … dass i sollt … dass i derfert?«
»I trink net gern allein. Pass auf, mir mach ma ’s uns kommod, wie es sich g’hört für so an besonderen Gast!«
Mit einem Griff holt er aus dem Wandkastl hinter sich zwei Glasln heraus und schenkt sie eilends so voll, dass sie überlaufen: »Alleinig trinken nur solche, die’s Leben vergessen möchten – und des könnt keiner mir nachsagen. Da! – Wohl bekomm’s!«
Der Boanlkramer glotzt in Sprachlosigkeit auf das Glasl. Dann räuspert er sich und murmelt: »Des hat mir keiner noch ’boten, und viel is mir schon g’schehn«, beugt sich hinab und schnuppert in Vorsicht:
»Des is gwiss ganz a milder, gell?«
»A guater is es, a starker. Probier nur!«
Der Kaspar hebt sein Stamperl und wartet gespannt. Wie sehr sein Gast aus der Fassung ist, kann er gut sehen, denn der rutscht hin und rutscht her, schnauft, hebt und senkt seinen Schädel und schmatzt lüstern. Dann aber, auf einmal, wendet er sich brüsk ab und knautscht, als habe man ihn beleidigt:
»Naa naa, nix, und des geht amal net.«
»Warum net? Traust du di eppa net?«
»Geh – trau’n! Es is net ums Trau’n. Warum sollt ich mich net trau’n?« Er schnauft, und er wackelt erneut. Er schaut, er schnuppert und hüstelt: »Es is bloß an dem: Ich weiß grad net so genau, ob des gern g’sehn wurert«, und schickt einen raschen Blick auf gen Himmel.
Nun ist es am Brandner, sanft und verführend zu säuseln:
»Schau, du musst doch kennen lernen, von was für Seligkeiten du die Leut wegholst. Trau di nur, glaub mir, du wirst ’s nicht bereuen!«
Das verfängt nicht. Der Boanlkramer raunzt lediglich barsch zurück: »Geh – ›Seligkeiten‹, du waarst guat. Irdische Freuden san des, allenfalls, vergängliche! Seligkeiten, mein Lieber, Seligkeiten san was ganz was anderes, aber scho ganz. Des san …«
Er unterbricht seine Predigt. Während er sie erteilte, war er mit dem dürren Finger dem Glasl zu nahe gekommen und hatte in die Lackn aus übergeronnenem Schnaps hineingetappt. Er erstarrt und verstummt, führt den Finger zum Mund, leckt zaghaft daran und meint sogleich ehrfurchtsvoll:
»Schmecka taat er, scheint mir, guat!«
Der Brandner grinst: »No, auf was wartest denn dann noch?!«, und macht Miene, mit ihm anzustoßen. Das bricht das lange Sich-Widersetzen, und mit einem scheinheiligen: »No, wennst mich zwingst, und wenn ich dir damit einen Gefallen erweis – «, nimmt er endlich das Glasl zwischen seine dürren Finger und trinkt einen winzigen Schluck.
Im nächsten Augenblick reißt ihn ein Husterer halb von der Bank. Er hat sich verkutzt, schluckt, schnauft, pfaunzt und pfutschert und schielt dabei ängstlich gen Himmel, als erwarte er von dort einen Blitzstrahl und ein schreckliches Donnerwetter.
Der Brandner ruft: »Bravo«, und schenkt augenblicks nach: »Nur zua! Des macht unsern Diskursi glei leichter, wirst es sehn!«
Das tröstet den Boanlkramer offenbar, denn er greift beherzt nach dem wieder gefüllten Stamperl und salbadert dazu: »Dann ist es gut, denn alles, was dir’s Ja-Sagen leichter macht, soll gerne geschehn. Weil Ja-Sagen muaßt, es is dir so aufgesetzet – verstehst mich?«, und schüttet den zweiten Kerschgeist in einem Schwapp hinunter.
›Aufgesetzet.‹
Da ist es erneut, das feierliche Wort, das der Herr Pfarrer nicht öfter als zweimal im Jahr ausspricht. Waren dem Menschen sein Schicksal und sein schließliches Ende denn wahrhaftig lediglich aufgesetzet? Konnte er sein Leben nicht selber schmieden, durch die Vernunft und die Mäßigkeit und den Glauben?
Der will mich einschüchtern und durchanand bringen, denkt der Kaspar, ist auf der Hut und trinkt nicht vom Kerschgeist, sondern tut nur, als trinke er mit.
Er schenkt allsogleich nach und überlegt fiebernd, wie er den ungebetensten aller Gäste hinausexpedieren kann. Er muss auf eine Gelegenheit passen, denn für einen solchen Hinausschmiss gibt’s kein Rezept und kein Vorbild. Einstweilen hockt er ja friedfertig da und säuft wie ein Loch. Der Kerschgeist verschafft ihm sichtbar ein ruhiges Behagen. Er trinkt aus, und gleich darauf noch einmal. Dann macht es aus ihm:
»Hick!«
Und gleich noch einmal: »Hick«. Er glotzt ganz verwundert. »Was is des?«
»Des is stets a so, auf ’n Kerschgeist«, grinst der Brandner und schenkt wiederum nach.
»Bei dir macht’s aber net so.«
»Weil ich ’n g’wohnt bin. Trink nur getrost, nach’m nächsten vergeht’s, wirst es sehn.«
Der Schwarze greift gierig zu: »Des waar mir fei lieb, weil, des stößt a so schierli her, dass ei’m glei die Boaner klappern.«
Er schlürft, und er schmatzt, setzt das Glas ab und erwartet den nächsten Stesser. Als er ausbleibt, lächelt er glücklich: »Ja, tatsächlich. Weg is ’s.«
Doch da reißt es ihn wieder, und zwar gleich so, dass es ihn halb von der Bank haut:
»Hick.«
Er sinkt mutlos zusammen. Der Brandner betrachtet ihn lauernd und ein wenig mitleidig und gießt noch einmal nach:
»Bist halt nix Gutes net g’wohnt, des is zum Merken.«
Nichts Gutes gewohnt – der Boanlkramer fängt zart zu greinen an. Sein Knochengesicht wird trübe im Kummer. Der Brandner kann es gut sehen, denn mit jedem Glas Kerschgeist sind die unheimlichen Züge deutlicher sichtbar, scheint der schwarze Schleier vor ihnen lichter zu werden.
Grad schön ist er ja nicht anzuschauen, mit seinen hohlen Wangen, dem luckerten Gebiss und der kleinen Nasen mit den großen Nasenlöchern. Von seinen dunklen, brennenden Augen aber geht eine Gewalt aus. Jetzt grad sind sie halb verschlossen von schweren, wimpernlosen Lidern, als er, angetrunken, voll Selbstmitleid anhebt:
»Naa, i bin wirkli nix Gutes net gewohnt. Weißt, diese Menschen! – Da jammern s’ und greinen s’, das Leben is gar so schwer und die Welt nix als wie ein Jammertal!«
»Geh!«
»Doch! Des sagen s’ im Ernst! Aber komm ich dann, sie zu erlösen, dann geht des G’schrei erst recht los! Da wollen s’ ums Verrecken weiterleben, und auf einmal wär alles so schön hier auf Erden, und grad Angst hams’.«
Er leert zur Bekräftigung sein Glas in einem Zuge.
»Musst es verstehn«, begütigt der Brandner und schenkt ihm das siebente Stamperl ein. Der unheimliche Besucher schüttet es gierig in sich. Man sieht ihm die Wirkung dieser ungewohnten Sauferei bereits an. Er lallt, als er heftig zu widersprechen beginnt:
»Naa, muaß i net. Und ich versteh’s auch net! Tu ich sie doch geleiten in zarter Gnade und die Luft erfüllen mit sanfter Musik auf ihrem Wege, auf dass sie sollen getröstet sein.« Er grinst. »Magst es hören? Pass auf – horch!«
Er tut eine große Handbewegung, und augenblicklich erschallt von fern ein Klingen von Harfen und Geigen und einer leisen Orgel dazu. Es dringt von oben herein und erfüllt allen Raum, es zieht den Brandner magisch empor in die Höh, auf die Füß, und er richtet den Blick nach oben. Er geht in der Stube herum und streckt sich, weil er es immer näher zu hören verlangt, und wäre gern aufgeschwebt, diesen Klängen nachfolgend.
Der Boanlkramer hockt auf der Bank, trinkt, und der Rausch macht ihn müde. Die Augendeckel sinken herab. Erst als der Brandner beim Umhergehen an den Tisch stößt, schreckt er auf, entsinnt sich der Pflicht und will sogleich wissen:
»No? Was is? Magst net doch mitgehn? Hm?«
Der Kaspar schüttelt den Kopf und versucht einen Ton der Vernunft:
»Es geht net, schau, siehg ’s halt ein, endlich. Ich bin noch vonnöten dahier. ’s Enkelkind und auch der Flori, denen muss ich das Gütl erhalten, auf irgend a Weis.«
Er schaut noch immer nach oben, als könne er die Musikanten der Himmelsweisen doch noch erspähen, und merkt kaum, wie der Boanlkramer hinter ihn tritt und ihm leise gebieterisch zuredet:
»Kaspar! Dein Leben währet nun schon zweiundsiebzig Jahre …«
Da fährt er herum:
»Ja, woaßt denn du, wie z’ kurz dass des is? Des lauft doch dahin, wie der Bach abi vom Berg, und stürzt mit jedem Jahr schneller talab, wie der Wasserfall! Vierzig Jahr waren ’s auf Lichtmess, dass mir mei Traudl g’storben is, und einundzwanzig, dass mir die Tochter wegg’holt worden is aus’m Kindbett. Von dir! Und mir is’ noch immer, als wär’s grad erst gewesen, grad gestern!«
Er redet sich in einen solchen Zorn hinein, dass der Boanlkramer vor dieser Anklage zurückwankt und kaum weiß, was erwidern, so hart geht der Alte ihn an: »Und jetzo, wo ich mich dreinfind’, wo grad alles wieder a bissei ins Lot kommt, da kamertst du mir daher, mitten im Sommer, zur Jagdzeit, wo d’ Rehbirsch beginnt, und taatst penzen und mich drangsalieren, dass i mitgeh – freiwillig! I bin doch net narret! Und außerdem is’ jetzt aa z’ hoaß!«
»So, zu heiß?« Der Boanlkramer zeigt sich beeindruckt und nickt ehrerbietig, als er auf die Ofenbank zurücksinkt und erneut nach dem Schnaps greift. Er wird wieder elegisch und beginnt leise zu jammern:
»Weißt, mir is es niemals z’ hoaß. Bloß jetzt grad is’ angenehm, bei dir da herin.« Er trinkt, setzt ab und lächelt recht freundlich: »Kaspar, des hast du schön vorgetragen, wirkli. Da will i aa net a so sein. Net, dass es heißert, an seinem Schnapse erlabet er sich, aber derkennt is nix. I sag dir was Schöns: I hol di im Hirgscht. Is des was? No, wie bin i zu dir? Sag selber!«
Der Kaspar gießt ihm abermals nach. Den Kerl würde er doch unter den Tisch saufen können, das wär doch gelacht! Er verzieht das Gesicht:
»Im Hirgscht? Was fallert denn dir ein? Sollt i die Hirschbrunft hint’ lassen? Und die Klopfeter?«
»Was is des?«
»’s Treibjagen! Ja, woaßt denn du gar nix?«
»Verzeih …«
»Und ’s Oktoberschießen? Und die großen Hofjagden?«
Abermals zeigt sich der Boanlkramer beeindruckt und voll Respekt: »Des is alles im Hirgscht?«
»No freili!«
»Die großen Hofjagden, soso? Net solche wie heut? G’scheide? Mit dem Eurigen Kini? Majestät persönlich?«
»Mit eahm selm. Und grad der möcht mi allweil dabei haben.«
Der Boanlkramer kratzt sich am Kopf und meint kleinlaut:
»Das freilich hab ich nicht bedenket.«
»Also. Was redst dann daher?«
Der Schwarze wackelt, seufzt tief, denkt angestrengt nach und kratzt sich dabei abermals ausgiebig am Kopf und den Schultern, ehe er würdig verkündet:
»Also, von mir aus, guat. Na mach ma ’s a so: I hol di im Winter. Punktum!«
Der Kaspar trumpft noch einmal auf:
»Punktum? Ja freili, so redt ma daher, wenn ma von nix was versteht. Und was is mit ’m Fuchspassen und ’m Marderausjagen? Außerdem is’ im Winter aa z’ kalt. Punktum!«
Ist dem Boanlkramer in seinem Surri das Heulen schon nahe? Er greint jedenfalls: »Ja, z’ kalt! Mir is’ immer z’ kalt! Verstehst, was des heißt, Kaspar? Zu kalt in Ewigkeit«, und legt die Knochenhänd auf den Kachelofen.
»Der Ofen is aa kalt. Da, trink, des wärmt. Was Bessers gibt’s net für di.«
Er schenkt abermals ein, er weiß nun schon selber nicht mehr, wie viele Kerschgeist er seinem Bedränger schon eingeflößt hat. Der bringt währenddessen einen letzten Vorschlag daher:
»Guat, Kaspar, wenn’s alles so schwierig sein soll, na kimm i im Fruahjahr! Aus Äpfi Amen! Aber des is mei allerletztes Wort!«
Der Kaspar verdreht nur die Augen:
»Im Fruajahr! Woaßt denn du net, dass da d’ Hahnfalz is und der Schnepfenstrich und die kloan Vögel am schönsten singen im Wald! Des kannst du im Ernst doch net moana, geh zua!«
Der Boanlkramer weiß keine Antwort mehr. Er klappt den Mund auf und zu, und der Kaspar nutzt das, um endlich zur Handelschaft mit dem Berauschten zu kommen, aber so, wie er sie sich vorstellt:
»Schau, bei mir bist eh an der falschen Adress’. Ich g’hör noch net ’nüber. Des muss ohnedem a Irrtum sein.«
Das hätt er nicht sagen sollen. Der Boanlkramer lässt das Glasl stehen, hebt sich würdig zu drohender Größe und donnert den Erdensohn an, so gut es ihm im Gewackel gelingen will:
»Irrtum?! Mir san die oberste aller Instanzen, du Mensch!«
Was soll der Kaspar da anderes tun, als behutsam einlenken:
»Is ja gut, hock di nur grad wieder hin. I moan bloß, ’leicht gibt’s noch an anderen Brandner Kaspar, könnt doch sein. Im Werdenfelser Land eppa …«
Die oberste aller Instanzen aber erweist sich als äußerst gekränkt und donnert unbeirrt weiter:
»Erdenwurm du! Ich komme aus der Allweisheit daher! Ich bin ausgesandt, dich zu geleiten in den ewigen Glanz – öha!«
Da dreht ihn der Kerschgeist, die Knie knicken ein, er plumpst zurück auf die Bank und vermag nur noch nachzumaulen: »Und du Bursch, du kecker, du werfertst mir eine Amtsverwechslung vor – i muss schon sagen –, naa!«
»Is ja guat, es war net a so g’meint.«
»Also! Was redst na! – Weißt was, jetzt trink ma aus, und dann gehn wir zwei miteinand auf die Reise, als guate Freund!«
Auf die Reise – die letzte, die endgültige? Nichts hatte der Kerschgeist genützt, nichts die schönen Worte und guten Wahrheiten allesamt. Der Unheimliche bleibt unerbittlich. Den Brandner packt eine Wut. Die Furcht vor dem Schwarzen hat er verloren, seit er ihn so lallend vor sich sieht, und darum traut er sich blaffen:
»Guate Freund, soso! Des wär mir a saubere Freundschaft, mit dem Kommando: ›Mir gehn mitnand auf die Roas!‹ Des is koa G’hörtsi unter g’standene Leut – und braucht auch nix weiter zum Trinken – Punktum!«
Mit einem ganz raschen Griff nimmt er dem Gast die Flasche gach aus der Hand und stellt sie weit weg, unter sich, unter die Bank auf den Boden. Punktum!
Dem Boanlkramer reißt es die rauschigen Augen weit auf:
»Kasper, ich hab dir a ganzes Jahr ’boten, als Zuwag, aber du, du hast ja für alles a Ausred. Willst denn du noch zehn Jahr leben?«
Er kann einem schier Leid tun, so kläglich schaut er jetzt drein. Der Brandner aber schüttelt nur seinen Kopf:
»Mein Vatern selig hast du schon vor der Zeit g’holt …«
»Geh, vor der Zeit, woher möchtst du des wissen?«
»Weil mei Großvater und fast alle meine Ahndln Neunz’ge worden san! Jaja, des is so bei uns! Und so alt werd i aa! Nachert kannst kommen, von mir aus, ehnder net.«
Das ist zu viel. Da schnappt der Boanlkramer nach Antwort und bringt keine heraus. Er wiegt sich und stöhnt, wie man es bei einer Handelschaft tut, und zieht seine Finger herauf, zählt an ihnen herum und murmelt dazu:
»Neunz’ge – achtz’ge – siebz’ge – äh – wie viel gaab denn des nachert, so alles mitnander?«
»Akkrat achtzehn Jahr«, sagt der Brandner leise und fest, holt tief Luft, greift zum ersten Male von sich aus nach seinem Stamperl und trinkt es leer auf einen einzigen Zug. Der Boanlkramer achtet nicht darauf. Er spitzt das faltige Maul, siffelt leise, pfeift vor sich hin und denkt nur und denkt. Dann sagt er entschieden:
»Naa – geht net!«
Ehe der Brandner etwas erwidern kann, hört er von draußen, ganz nah vor der Tür, ein Wiehern und Schnauben. Ein Ross? – Wo käm denn da mitternächtlich eines daher, denkt er erschrocken, und fragt:
»Was war des?«
»No, mein Karrenross, was denn sonst.«
Der Schwarze wundert sich nicht, dass der Brandner sich wundert. Er tut auf zwei Fingern einen gellenden Pfiff, und aus ist’s und gar mit dem Wiehern und Schnauben.
Dem Brandner ist es wieder eisig ins Herz gefahren, weil er sich vorstellt, wie da draußen die Fuhr auf ihn wartet, nur auf ihn, für die letzte Reise, deren Ziel niemand kennt. Wie oft hat er beim Rosenkranzbeten gedankenlos leiernd den Satz wiederholt: ›– jetzt und in der Stunde unseres Todes – Amen‹, und nun soll sie wirklich gekommen sein, die grausame Stunde der Überfuhr zu dem Ort, den keines Lebenden Aug je gesehen, für den er mit allen anderen um Gnade und Fürbitt gebetet, sein Leben lang. Dort draußen im Dunkel soll es beginnen –
»– auf am Karren?«
»Sowieso. Ich kann meine Passagier ja net gut auf’m Buckel spedieren oder auf meine Arm tragen«, grinst der Fuhrmann grob und ungerührt zu ihm her. Dann gedenkt er und lispelt mitleidig vor sich hin: »Höchstens die klein’ blassen Kinder, wenn s’ im Eis ein’brochen san – die sind eine leichte Last.« Und, als gereue es ihn, sich dem Lebendigen verraten zu haben, faucht er noch hinterher: »Aber so a Prügel Mannsbild wie du!« Da kann der Brandner auftrumpfen: »Prügel Mannsbild, soso? No also, jetz b’stehst es ja selber zu, dass i noch lebendig gnua wär für den Neunz’ger. Horch amal zu und pass auf …«
Er kommt nicht dazu, erneut über den Handel zu disputieren. Von draußen ist abermals, näher als vordem, das durchdringende Wiehern zu hören. Es gellt dem Brandner schmerzhaft im Ohr.
»Malefizkrampen! Is jetzt a Ruah!«, schreit der Boanlkramer, pfeift abermals auf den Fingern, fährt hoch, die Türe ins Freie schwingt dienstbar auf vor ihm, ohne dass er sie berührt hätte, er wankt hinaus und schimpft ins Dunkel. Er kommt zurück und lallt die Entschuldigung: »Der wird mir ungeduldig. So lang hat er noch nie warten müssen.«
»Z’wegs meiner braucht er net warten«, faucht der Brandner und ballt seine Fäuste. Er würde nicht mitgehen, ums Verrecken nicht, das steht für ihn fest.
Nun, da er grad wieder auf Füßen steht, wenn auch recht schwankend, scheinen Pflicht und Auftrag in den jenseitigen Boten zurückzukehren. Der frühere Glanz leuchtet wieder aus seinen seltsamen Augen, als er verheißt:
»Kaspar, sei halt vernünftig. Schau, die Welt dreht sich behaglich ohne dich weiter.«
Der aber blickt fest und finster, schaut nicht auf, und hört nicht auf den Ton der Verlockung:
»Nix! Neunz’ge sag i, und dabei bleibt’s!«
»Bedenk, für dich fängt’s dann doch erst an …«
»Was nacher?«
»Das wahrhaftige Leben«, haucht es ihm zu.
»Jaja, ich weiß schon. Des sagt der Herr Pfarrer aa. G’sehn hat er’s net.«
»Aber ich – ich hab’s g’sehn, Kaspar! Du, es is so unendlich wahr und gut dorten. Ich derf ja net ’nein. Im Paradies, da brauchen s’ koan Boanlkramer, so schön is’ es da, glaub mir’s, so schön – ach, bal du wissertst …«
Er seufzt verzückt und verdreht vor Wonne seine Augen gen Himmel. Da der Kaspar sich nicht regt und nicht rührt, nicht antworten will, sondern sich mit den Händen am Tisch einkrallt, greift der Bote listig lockend zum Glas, hebt es und zwinkert versöhnlich:
»Wie waar ’s, mir trink ma a letztes Glasl mitnand – als ein Siegel auf unser Verständnis. Gönnst mir net eines zum Abschied? Sei net a so, kumm –«
Der Kaspar brummt und wiegt sich in Missmut, ehe er grimmig die Flasche unter der Bank herausholt, eingießt und dabei fordernd und grob, dem Gast fest in die Augen schauend, sagt:
»Aber – neunz’ge, gell! Dass i mich vor die Ahndln net genieren müsst!«
»Wuh«, macht der Schwarze verzweifelt und versucht es erneut mit der gütigen Überredung: »Kaspar, hab doch a Einsehen. Schau, die Uhr da …« Er wendet sich hin und macht Miene, hinüberzuwanken.
Da ist aber der Kaspar schon aufgefahren, ihm voraus auf den Platz vor der Uhr in zwei Sätzen und stellt sich schützend davor. Der Boanlkramer gerät aus dem Lot, verhält, schaut auf seine dürren Haxen hinunter, reibt sich die Augen, und deutet erschrocken vor sich:
»Hui, da wackelt fei was. Der Boden hebt sich – da ’nüber! Was is des?«
»In einer Stund is er wieder eben, koa Sorg!«
Sich schüttelnd und vorsichtig tastend, stakt der Unheimliche weiter zur Uhr hin. Der Brandner breitet schützend die Arme und fleht:
»G’lang s’ mir net an! Die hat so redlich d’ Stunden zeigt, die voller Freud und die voll Kümmernis …«
»Alt is s’«, kommt es in lauernder Güte zurück, und ein förmliches Streicheln schwingt mit in der Stimme: »Schau, am Zifferblatt kannst kaum die Rosen mehr sehen, die aufg’malt g’wesen sind, da im Eck. Und d’ Zeiger wackeln, d’ G’wichtschnur rutscht …«
»Und dennoch arbeit s’ fleißig fort und macht so g’schäftig dipp und dapp.«
»Sie irrt sich freili g’nua dabei –«
»Aber lasst net aus! Ob s’ z’ fruah geht oder z’ spät, Herrschaftszeiten!«
Er schützt die Uhr, er steht und weicht nicht zurück vor dem drängenden Feind, der sie ihm würde anhalten wollen, und alles müsste stille stehen im nämlichen Augenblick und für immer. Das große Fürchten kriecht wieder in ihn.
Der Andere kichert: »Du g’freust dich halt, dass s’ überhaupts noch geht, gell. Und siehst ihr all ihre Fehler nach und hoffst dabei, dass dir die kommenden Jahr akkrat so alles nachg’sehen werdert, wenn bei dir die Zeiger wackeln und d’ G’wichtschnur rutscht«, und biegt sich vor Lachen über den eigenen Scherz.
»Lass nur mir getrost alle Sorg, wie ’s weitergehen soll«, fleht der Alte und streckt ihm mutig die Hand hin:
»Gilt’s? Schlag ein!«
Nickend und ob seines Scherzes noch kichernd, will der Rauschige brav gedankenlos in die Hand schlagen, doch im letzten Moment packt es ihn, was er da tut, es reißt ihn und er torkelt zurück:
»Naa naa, nix gilt! Sei doch g’scheit. Schau, ich könnt sie ja anhalten, einfach so, auf Ja und auf Nein!«
Und er hebt seine Hand und streckt sie gegen das hackende Pendel. Ums Haar hätte der Brandner ihm den Arm heruntergeschlagen, wäre sein Entsetzen nicht gar so groß gewesen. So schreit er nur aus seiner höchsten Not:
»Boanlkramer! Weißt du, was du da tust –?!«
»Und du? – Weißt denn du, wohin dass du derfst?«, ist die milde Antwort, sonst nichts. Feierlich hebt er beschwörend die Hand hoch empor, und augenblicklich erklingt wieder die ferne, verlockende Himmelsmusik und erfüllt die Stube. Sie dringt förmlich ein in den Kaspar, tief in sein Herz, kein Widerspruch ist ihm mehr möglich und kein Streit, er kann nur noch flehen:
»Boanlkramer, ich bin zufrieden allhier! Weißt du net, was des heißt: Zufrieden sein? Mit dem, was is, und dem, was man hat! Kennst net das Lied vom Zufriedensein?«
Weil keine Antwort erfolgt, beginnt er mit seiner kratzigen, alten Stimme über das himmlische Klingen hinweg aus der tiefen Verzweiflung heraus dem schwarzen Bedränger sein liebstes Gstanzl vorzusingen, wie eine Beschwörung: