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»Wenn ich was finde, dann legen wir es in euren Kofferraum. Nach der Besprechung fahren wir zuerst vom Deck, und ihr lasst den Kofferraum zu, bis wir weg sind. Der Ali hier«, damit zeigte er mit dem Kinn auf den Schrank in Schwarz, »hat euch im Blick. Dick und Doof wissen ja, wie schnell er sein kann. Und du, Auer, willst es gar nicht erst wissen. So, wer hat was einstecken?«
Max hob die Hand.
»Hol es mit zwei Fingern raus. Langsam. Leg es auf die Motorhaube.«
Auer fischte mit Daumen und Zeigefinger seinen Revolver aus der Jackentasche und tat, wie ihm geheißen. Danny zeigte auf seinen linken Fußknöchel. Dann ging er langsam auf ein Knie nieder und holte vorsichtig eine kleine braune Automatic aus dem Knöchelholster und legte sie neben Auers Waffe.
Der Stupsnasige schaute Arnold an. Der zuckte mit den Schultern, fasste unter seine linke Achsel und seine Hand kam mit einem finnischen Wurfmesser wieder zum Vorschein.
»Sehr gut. Großer, mach den Kofferraum auf. Fass nicht hinein, nur aufmachen.«
Arnold drückte auf den verchromten Knopf und zog den Deckel hoch. Der Schlanke kam um sie rumgetänzelt, nahm die zwei Schusswaffen und das Messer, legte es in den Kofferraum und schloss ihn mit einem dumpfen Knall.
»Gut. Ich werde euch noch schnell abklopfen. Kann ja sein, dass einer von euch in der Eile was vergessen hat.«
Er tastete Arnold ab, der knurrte, dann Max. Mit gekonnten, schnellen Bewegungen strich er über den Körper. Dann stellte er sich vor Danny: »Nimm die Arme hoch, Zwerg.«
Danny hob beide Arme über den Kopf und sagte: »Bitte nicht die Achselhöhlen, ich bin kitzlig wie der Teufel.«
Der Schlanke verzog das Gesicht, durchsuchte Danny von den Schultern bis zu den Füßen und griff ihm abschließend prüfend zwischen die Beine.
Danny grinste. »Fühlt sich an wie fünf Kilo Kartoffeln, findest du nicht?«
»Sauber?« Das kam von dem Schrank mit der Waffe in der Hand.
»Ja. Der Chef kann rauskommen.«
Undercut ging mit zwei schnellen Schritten zur Beifahrertür, ohne die Szene aus den Augen zu lassen. Er zog die Tür auf: »Alles klar, Chef.«
Max sah einen Krokodillederstiefel, darüber ein schwarzes Hosenbein, dann kam der zweite Stiefel in Sicht, das zweite Bein, dann schwang sich der Schirmer Heinzi singend aus dem Auto: »Va’, pensiero, sull’ale dorate; va’, ti posa sui clivi, sui colli, jaja. Na, wen haben wir denn da?« Heinzi strich seinen Leopardenpelzmantel glatt, fuhr sich mit der Hand über das lichte Haupthaar und fummelte mit zwei Fingern in seinem Gesicht herum.
»Gefangenenchor aus Nabucco. Ein wunderschönes Stück. Soll ich weitersingen?« Er hob den rechten Arm über den Kopf, und zwischen Daumen und Zeigfinger hielt er nun ein blassblaues Glasauge, das er mit der Hand hin und her drehte wie das Periskop eines U-Bootes: »So, ich schau mich nur ein bissel um, dann können wir zur Sache kommen.«
Mit einer flüssigen Bewegung steckte er das Auge wieder in die leere Höhle in seinem Gesicht, klatschte in die Hände und kam schräg tänzelnd auf Auer zu: »Du bist der neue Neffe. Von der Friedl. Jaja. Gut schaust aus. Der Chili hat mir schon von dir erzählt. Ein gschasster Kieberer. Des san mir die Liabsten. Desillusioniert. Dankbar. Zuverlässig. Weil sie wissen, a zwoats Mal kannst es ned verkacken. Oiso, Oida, was is mit meine Flocken?«
»35.000, richtig.«
Der Heinzi klatschte wieder begeistert in die Hände, lachte und drehte sich zu seinen beiden Kerlen: »Habts es g’hört? Ich sag ja, gut, der Mann.« Und zu Auer: »Und jetzad?«
»Der Brunner kann nicht zahlen. Der Chili hat zwar für den Brunner gebürgt, aber nicht so. Trotzdem will er dir was vorschlagen.«
Heinzi lachte wieder, wischte sich eine Träne aus dem gesunden Auge, während das blasse Glasauge wie eine Murmel in der Augenhöhle lag und zum Himmel schaute. Dann breitete der Schirmer theatralisch die Arme aus, sodass sich der Leopardenpelz vorne öffnete und den Blick auf fünf oder sechs dicke goldene Ketten freigab, die auf seinem schwarzen Hemd glänzten: »Er will mir was vorschlagen. Eine Überraschung, wie? Ich liebe Überraschungen! Wir können das aber auch so machen: Du zahlst. Du hast doch als ehemaliger Staatsdiener eine dicke Pension, oder?«
Auer schüttelte den Kopf: »Die ham s’ mir ganz bös gekürzt. Ich mach aber nächste Woche eine eigene Firma auf. Ein Startup. Sobald ich damit Geld verdiene, können wir über alles reden.«
»Was für eine Firma denn?«
»Einen Brennholzverleih. So was gibt’s noch nicht. Läuft aber nur im Winter, glaub ich.«
Heinzi wieherte los wie ein Pferd. Das Lachen brach plötzlich ab, er zischte etwas Unverständliches, und der Schlanke hatte plötzlich ein Messer in der Hand. Keiner von den Rosenheimern hatte die Bewegung gesehen.
»Ich hab ihm bloß gesagt, er soll dir, mein lieber Neffe, die Ohren abschneiden und in den Kofferraum zu euren Ballermännern legen. De Oarwaschel, wie wir hier sagen. Dann sieht der Chili, dass sich der Schirmer Heinzi ned veroarschen lasst, host mi?«
Er trat ganz dicht an den Max heran und sprach langsam und leise: »Pass auf, Kieberer, ich … will … mein … Geld. So weit ois leiwand? Guad. Des Abschneiden tut ned besonders weh. Du kannst halt dann keine Sonnenbrillen mehr tragen, weil die dir immer runterrutschen.«
Dann trat er zurück und lachte wieder wie irre. Der Schlanke trat an Max heran: »Ist nichts Persönliches, Alter. Mach keinen Blödsinn, dann geht es ganz schnell.«
Danny trat langsam einen Schritt zur Seite: »Wegen dem Blut. Die Flecken kriegt man nie mehr aus dem Anzug raus.« Im Zeitlupentempo hob er die Hände über den Kopf.
Heinzi lachte immer noch und prustete los: »Du brauchst de Patscherl ned hochnehmen, Zwerg, dir tut keiner was. Im Moment jedenfalls ned.«
Arnold rutschte langsam mit dem Rücken an der Brüstung nach unten und saß mit gespreizten Beinen, an die Betonmauer gelehnt.
»Was hat der?«, fragte der Messermann und Danny sagte: »Er kann kein Blut sehen, wahrscheinlich wird er gleich ohnmächtig.«
Die drei Salzburger sahen sich an, der Heinzi prustete wieder los und schrie: »I scheiß mi an. Die Haberer san sensibel. Los, auf geht’s, i mecht zum Fußball wieder daheim sein.«
Danny sagte zu dem Messermann: »Übrigens, hast du den Film gesehen, den mit dem Robert De Niro, ›Taxi Driver‹? Wo er zu dem Zuhälter sagt: ›You are talking to me? Tom me?‹«
Der Messermann sah Undercut und seinen Chef verständnislos an, alle drei starrten auf Danny.
Der sagte: »Nicht? Wie schade. Sonst würdet ihr das hier kennen!«
Ruckartig nahm er beide Arme runter und streckte sie von sich. In der rechten Hand hielt er einen flachen zweiläufigen Derringer: »Das war Roberts Trick, als er später in dem Haus mit den Kerlen aufgeräumt hat. Am Unterarm, in Schienen, da war die Kanone. Genau wie die hier. Gut, was? Du, schmeiß deinen Kracher weg, sonst hat dein Chef gleich noch ein weiteres Loch für ein Glasauge in der Rübe.«
»Des is ein Spielzeug, i sag euch, des is ein Spielzeug!«, schrie der Heinzi und ging auf Danny los. Der senkte einen Arm und schoss dem Heinzi in den Fuß. Peng.
Der Schirmer wirbelte durch die Wucht des Einschlages einmal um die eigene Achse und ging schreiend und mit den Armen rudernd zu Boden.
»Wer will noch mal, wer hat noch nicht? Ich hab zwar nur noch einen Schuss. Aber er hier …«, damit nickte er zu dem sitzenden Arnold hin, »er bläst euch alle mit seinem 12er-Schrot vom Parkdeck.«
Jetzt schaute auch der Max zu Arnold. Der hatte sein Holzbein abgestreift und hielt plötzlich eine abgesägte zweiläufige Schrotflinte in den Händen.
Der Heinzi wimmerte, und Max sagte zu dem Messermann: »Gib mir die Klinge. Ist übrigens eine ganz blöde Idee, mit einem Messer zu einer Schießerei zu kommen. Ach so, ja … heb deinen Chef auf. Ich muss ihm was sagen. Und ich bück mich so schlecht, irgendwas mit der Bandscheibe.«
Der Große glotzte, zeigte auf den sitzenden Arnold, wie er mit der Schrotflinte eine leicht kreisende Bewegung machte. Sein hellbraunes Holzbein lag neben dem Stumpf des linken Knies.
»Die Sau hat ein hohles Holzbein, das ist unfair«, sagte er anklagend.
Danny kramte mit der Linken in seiner Hosentasche: »Der Klügere lädt nach.«
Undercut zog den wimmernden Heinzi an seinem Leopardenfellmantel hoch und lehnte ihn an den Kühlergrill des Cadillacs. Murmelgroße Regentropfen glitten träge wie Schnecken über den schwarzen Lack. Heinzi wollte sich abstützen, rutschte aber an dem nassen Blech ab, und seine Finger hinterließen vier Bahnen auf der Kühlerhaube.
Max trat an ihn heran, hob ihm mit einer Hand das Kinn an und nahm den Unterkiefer des Mannes in einen festen Griff: »Warum lässt du mich nicht ausreden? Wie du siehst, zahlt sich unhöfliches Benehmen nicht aus. Was jetzt kommt, das sage ich nur einmal, also pass auf. Der Chili gibt dir die nächste Produktion, die er macht. Komplett. Mit Druckvorlagen für das Cover, die Mutter-DVD, die Rechte an der vollständigen Verwertung, alles, ohne Zeitlimit. Es wird eine gute Sache, wir denken, dass dir die DVDs um die 100.000 bringen können.«
Weiter unten an der Straße röhrten zwei Motorräder los. Harleys. Für einen Moment war der Lärm, der in der Straßenschlucht stand, allbeherrschend. Max und Heinzi schauten sich an. Danny hielt seinen nachgeladenen Derringer auf Undercut gerichtet, und Arnold saß immer noch da wie ein Straßenbettler und fixierte den Großen, der am Auto lehnte.
Der Schirmer Heinzi stöhnte laut auf und brach das Schweigen: »Du dumme Sau, warum hast denn des net glei g’sagt? Jessas, tut mir der Fuß weh.«
Max schaute über die Schulter zu Danny: »Wir haben einen Deal mit dem Mann hier. Geh und hol unsere Kanonen aus dem Kofferraum.«
Danny ging am Benz entlang, ohne den Arm mit der Waffe zu senken. Er drückte mit der Linken auf den Kofferraumverschluss, der Deckel glitt auf, und Danny fasste hinein. Er warf seinen Revolver zu Arnold, der ihn mit einer Hand auffing und neben sich auf den Boden legte. Dann schob er die Schrotflinte in die Höhlung des Holzbeines und schnallte sich die Prothese mit schnellen Bewegungen an den Kniestumpf. Mit einem Ächzen stand er auf, hob den Revolver vom Betonboden und ging zu Undercut. Er setzte ihm die Waffe in den Nacken und knurrte zu Danny, während seine freie Hand schnelle Bewegungen vollführte.
Danny grinste und sagte zu Max: »Arnold meint, er hätte gerne die Ohren von dem Mann mit dem komischen Haarschnitt. Ob wir noch so viel Zeit haben?«
Auer lachte, ließ den Heinzi los und rief dem Großen am Auto zu: »Pack deinen Chef in die Kiste und dann macht euch vom Acker.« Und zu Undercut: »Möchtest du noch ein bisschen hierbleiben? Ich glaube, du hast was, was unser Arnold gerne möchte.«
Undercut funkelte die drei an, ging auf die Fahrerseite des Caddys und stieg ein.
Heinzi saß jammernd auf dem Beifahrersitz und ließ das Fenster runter. Sein Glasauge rollte in der Höhle hin und her, und aus seinem gesunden Auge flossen Tränen: »Mir san no ned fertig, Burschi. Sag dem Chili, außer dem Deal zahlts ihr alles, was mit meinem Bein zu tun hat.«
Max beugte sich zu ihm runter: »Du bist doch bestimmt gut versichert, oder?«
Heinzi lachte trotz der Schmerzen los: »Hearst, du Trottel, wer versichert denn unser Berufsrisiko?« Und zu Undercut: »Grins ned und fahr los, du Inzuchtler, sonst rauch i dir no eine auf.«
Der Motor des Caddys drehte hoch, und der Wagen machte einen Satz rückwärts, drehte nach ein paar Metern und verschwand mit quietschenden Reifen in der Abfahrt.
Über den Alpen blitzte es, Gewitterwolken jagten heran und der Regen wurde stärker. Unten, auf der Straße, schrie eine Frau auf, und gleich darauf weinte ein Kind. Arnold lehnte mit einem Arm auf dem Dach des Mercedes’, legte seinen schweren Kopf darauf, und sein ganzer Körper wurde von einem wilden, lautlosen Lachen geschüttelt.
Die Stille, verstehst du, die macht etwas mit einem. Wie wenn man in seinem eigenen Körper gefangen ist. Kennst du das? Für den Auer, während sie schweigend dahinfuhren, wurde die Welt immer kleiner. Auch das Innere des Autos ist plötzlich nicht mehr existent. Du kannst dich nicht an die Straße erinnern, du fährst wie in Trance. Deine Welt wird immer kleiner, bis sie nur noch aus deinen Gedanken besteht.
Der Max fuhr mit einer Hand am Lenkrad, mit der anderen kratzte er sich am Kinn. So unterbewusst zärtlich, wie ein Mann seine Frau im Schlaf berührt, wenn sie sich neben ihm bewegt.
Seine Gedanken überschlugen sich, und er fragte sich, ob es so ist, dass er die Gewalt anzieht oder umgekehrt. Wer lässt in meinem Leben die Würfel rollen, denkt er sich. Früher, ach was, so lange ist das ja noch gar nicht her, bei der Polizei, da schließt man unter seinesgleichen einen Bund, der nichts mit Freundschaft zu tun hat. Etwas ganz Besonderes, das es in anderen Berufen nicht gibt.
Versteh mich jetzt nicht falsch, Polizisten oder auch die Feuerwehrprofis, die sind nichts Elitäres oder Besonderes. Die wollen oder können halt nur ihre Erlebnisse und Erfahrungen nicht mit Außenstehenden durchsprechen. Wenn sie es täten, würde man ihnen vieles einfach nicht glauben.
Der Auer kannte da mal einen, der hat im Dienst drei Leute erschossen. Einer hat auf Knien um sein Leben gefleht, ein Kinderschänder, der zwei kleine Mädels umgebracht hat. Aber was soll’s, das ist eine andere Geschichte.
Auf jeden Fall, ein paar Jahre später starb der Sohn dieses Polizisten an einer Überdosis. Mit grade mal 15. Der Kollege vom Auer Max glaubte, dass das jetzt die Strafe war für die drei Leben, die er genommen hat. Auch wenn’s Verbrecher waren, und auch, wenn er zwei in Notwehr umgelegt hat.
Seit dem Tod seines Sohnes waren die drei Seelen der Verbrecher in ihm und erinnerten ihn an jedem neuen Tag daran, was er gemacht hat. Und nachts saßen sie an seinem Bett oder spielten in seinen Träumen.
Warum ich das erzähle?
Weil es diese Gedanken sind, die dem Max jetzt durch den Kopf jagen. Weil er sich fragt, ob ihn auch mal eine Bürde heimsucht, die er ab dann tragen muss.
»Hey, Mann, wohin fährst du denn?«
Danny klopfte ihm auf die Schulter und riss ihn so aus seinen Grübeleien.
»Du hättest die Ausfahrt Rohrdorf nehmen sollen!«
»Was? Wie? Nein, ich fahr die nächste. Da sind wir schneller bei euch.«
Der? Der ist doch ein Kugelfisch
So gegen 21 Uhr, 21.15 Uhr kamen sie am »Wild Wild West« an. Der Parkplatz war schon ziemlich voll, und beim Reingehen dröhnte ihnen »Viva Las Vegas« entgegen. In der Fassung von ZZ Top, die ich persönlich eh für die Beste von allen halte. Elvis hat das ja immer so aus dem Unterleib raus genölt, aber bei den ZZ Top-Jungs, da knallt dir das ganze Las Vegas in den Kopf. Du siehst die vielen glänzenden Autos, die Menschenmassen auf beiden Seiten der Boulevards, die Lichter der gigantischen Hotels, die riesigen Neonreklamen, die Stars wie Jennifer Lopez, Rod Stewart oder die Back Street Boys ankündigen. Aber zurück nach Rosenheim:
Danny und Arnold gingen an die Bar. Arnold schob drei Typen zur Seite. Einer ballte die Faust und drehte sich schnell um. Dann sah er Arnold. Schnell hob er beide Arme, die Handflächen flach nach vorne und grinste dümmlich. Danny klopfte ihm auf die Schulter und ließ seinen Zeigefinger über dem Kopf kreisen: »Bier und Schnaps für alle am Tresen!«
Auer ging zwischen den voll besetzten Tischen durch und hämmerte zweimal an die Bürotür, bevor er sie aufschwingen ließ. Chili, hinter seinem Schreibtisch sitzend, die gestiefelten Füße auf dem Tisch, hielt sein Handy ans Ohr. Mit erhobenem Zeigefinger gebot er dem Max, die Tür zu schließen und sich zu setzen, dann sprach er weiter: »Was? Nein, das war die Tusse von der Bar. Ich ruf dich an, sobald sie zurück sind. Nein, sie haben nicht hier angerufen. Was? Jetzt geh, Heinzi, ich kann sie doch nicht alle drei erschießen. Gut, den Max vielleicht, aber die anderen zwei? Weißt du überhaupt, wie schwer man heute qualifiziertes Personal bekommt? Was? Na also. Wir? Ja, klar. Die ganze Produktion hat er dir versprochen? Der spinnt doch. Was? Ja dann. Na servus, das kostet mich ein Vermögen.«
Der Chili legte das Handy auf seinen Bauch, holte eine Flasche Jack Daniels aus dem Schreibtisch und fischte ächzend zwei Gläser aus dem Regal hinter sich.
Dann drehte er den Verschluss auf, schob Max die Flasche rüber und kreiste mit dem Finger über den Gläsern, das Handy schon wieder am Ohr: »Heinzi, hallo? Bist du noch da? Ja, da war grade so ein statisches Rauschen und du warst weg. Aber jetzt verstehe ich dich wieder. Wie? Schon klar, wenn er das gesagt hat, dann stehe ich zu seinem Wort. Du kriegst alles in drei oder vier Wochen. Als Zugabe, Schmerzensgeld oder so gebe ich dir eine Roh-DVD, die ich letzte Woche gemacht habe. ›Geile Klempner beim Rohrverlegen‹. Echt gut. Mit Nachwuchstalenten. Was? Okay, du hörst von mir. Tschau, Heinzi. Wie? Ja, du mich auch. Gute Besserung. Over.«
Chili ließ zischend Luft aus seinem Brustkorb und nahm einen Schluck Bourbon: »Ahhh, jetzt geht es wieder. Sag einmal, warum wolltet ihr euch da drüben gegenseitig die Ohren abschneiden? Macht man das jetzt so?«
»Die haben damit angefangen. Der Heinzi ist ausgetickt, der ist in seinem Steifftiermantel rumgehüpft wie ein Derwisch und hat seinem Sklaven befohlen, mir an die Ohren zu gehen.«
»Ja, so was macht er gerne. Er hat halt einen schrägen Humor. Aber: Ich habe dich gewarnt. Der Typ ist von einem anderen Planeten. Gut, dass meine Jungs dabei waren.«
»Der Kleine mit seiner Robert-De-Niro-Nummer, der ist schon ein Hammer.«
Chili strahlte: »Ja, oder? Ich hab ihm die Szene gezeigt. ›Taxi Driver‹. Robert mit Irokesenschnitt. Die kleine Kanone mit einem Stück Vorhangschiene und auf Rollen. Wow. Hat der Kleine alles selber gebastelt, nachdem er sich die Sache im Film ein Dutzend Mal angesehen hat. Robert macht das ja glasklar vor. Hast du ›Taxi Driver‹ auch gesehen?«
Max nickte, den Mund voll mit Jacky D.
»Und der Große hat nicht geschossen? Mit seiner Schrotspritze?«
Max schüttelte den Kopf.
Chili kratzte sich am Ohr: »Komisch, macht er sonst gerne. Vielleicht war das Ding nicht geladen? Ist ja auch egal. Der Heinzi hat einen glatten Durchschuss im Oberschenkel. Die haben ihn zu einem Arzt gefahren, der auch zockt und die Brüder wieder auf Vordermann bringt, wenn was ist. Der Heinzi organisiert ja auch diese Boxkämpfe ohne Regeln und Handschuhe. Im Käfig oder in einer Grube. Da brauchst du als Arzt viel Fantasie, wenn du solche Kerle wieder auf menschliches Aussehen trimmen sollst.«
Chili strich mit den Fingern durch seinen strohblonden Pferdeschwanz und griff dann in eine Schublade. Aus der holte er zwei 500er, schob sie dem Auer rüber und klopfte mit dem Zeigefinger drauf: »Hier, Lärmzuschlag und Bonus. Hast du gut gemacht. So bin ich fein aus der Sache raus. Gschamster Diener, sagt danke. Der Spruch ist vom Heinzi. Diese Österreicher. Sind immer lustige Burschen, auch wenn sie ein zusätzliches Loch in den Kadaver gestanzt kriegen, was?«
Der Auer wollte aufstehen, aber Chili hob die Hand: »Bleib sitzen. Ich hab vorhin noch was aufs Handy gekriegt. Ein Video von der Sissi. Schau dir das an und sag mir, ob du dadraus schlau wirst.«
Chili fummelte an seinem Samsung rum, drückte ein paar Tasten und schob das Handy zu Max rüber.
Jetzt stell dir das mal vor: Displayfüllend das verheulte Gesicht von der Sissi. Die goldblonden Haare zerzaust, das Augen-Make-up verwischt, sodass sie aussah wie einer dieser Nachwuchsvampire aus »Biss zum Morgenrot« oder wie diese Filme heißen.
In der einen Hand eine Zigarette mit viel Asche dran, in der anderen ein Glas mit einer blassblauen Flüssigkeit. Max drückte auf »Pause« und schaute sich den Hintergrund an: Gelb-rote Blümchentapeten wie aus der Ex-DDR, weiter hinten eine mit einem Nachthemd oder so was Ähnlichem abgehängte Stehlampe. Das Bett fleckig und zerwühlt. Jedenfalls das, was man sehen konnte.
Max drückte »Play«, der Kopf von der Sissi ruckte wie bei einem Huhn, dann hörte er ihre Stimme: »Chili, Schatz, schau, wie i schau. Gut geht’s mir nicht, aber es ist alles nicht so schlimm, wie du vielleicht meinst. Du machst dir wahrscheinlich wahnsinnige Sorgen, deswegen meld ich mich ja. Ich darf eigentlich mit niemandem sprechen, aber ich hab ihm vorhin sein Handy aus der Jacke gezogen. Chili, unternimm nix, lass deine Hunde nicht los, ich krieg das alles irgendwie in den Griff. Glaub auch nicht, was andere dir vielleicht erzählen, ja? Ich muss Schluss machen, unten geht wer die Treppe hoch. Tschau Schatz, ich hab dich ja so geliebt. Fast, jedenfalls, ich meine, du weißt schon. Bussi!«
Dann wurde das Display dunkel. Max spielte die Nachricht zurück und schaute sich das Video noch mal an. Und dann noch mal.
»Willst du es gerne auf Endlosschleife haben oder was wird das?«
Max nickte, ohne die Augen vom Display zu lassen: »Ja, gib mir das auf mein Handy. Der Hintergrund, ich weiß auch nicht. In München bin ich durch so viele Puffs marschiert, dienstlich und privat, aber … irgendwie, ich hab so das Gefühl, dass ich das Zimmer schon mal betreten habe. Ich will mir den Film auf den Laptop spielen und den Hintergrund rausarbeiten. War eine Nummer dabei? Irgendwas?«
Chili grinste: »Anonym, ist doch klar. Was hast du denn erwartet. Sag dem Brunner kein Wort davon, klar?«
Max schaute auf: »Dem mache ich morgen einen Überraschungsbesuch im Büro. Dann falte ich ihn auf DIN-A4, so wird der Knabe schnell kooperativ. Der muss was wissen. Und das wird er mir sagen. Bin ich den beiden da draußen was schuldig für die Nummer in Salzburg?«
Chili lachte und schüttelte den Kopf: »Spinnt du jetzt? So was wie heute gehört zur Jobbeschreibung. Außerdem freue ich mich, dass die beiden mal ein bisschen rausgekommen sind und Spaß hatten. Man muss seinem Personal ein angenehmes Arbeitsumfeld bieten, die müssen sich gefordert und bestätigt sehen. Psychologie, verstehst?«
Es wurde an die Tür geklopft, die ging einen Spalt auf, dann war der Kopf der Bardame zwischen Tür und Türstock: »Darf ich eine Sekunde reinkommen oder störe ich grade?«
Chili winkte ihr, und sie kam ins Zimmer. Nervös strich sie mit den Händen über ihren extrem kurzen goldglänzenden Mini: »Chef, ich hab da was Wichtiges morgen früh. Die Sonja übernimmt jetzt draußen für mich die Bar, und …«
Chili nahm die Stiefel von Schreibtisch und beugte sich vor: »Ja, was ist denn? Red doch endlich! Hast du wieder mal Ärger mit deinem Kerl?«
»Mit dem Roberto? Den hab ich schon vor zwei Wochen entsorgt. Nein, es geht um den Carlo.«
»Schon wieder ein Italiener? Was haben die, was ich nicht habe, das vielleicht?« Chili hielt die Handflächen in einem Abstand von circa 30 Zentimetern vor sein Gesicht und grinste dreckig.
Auer stöhnte und schloss die Augen.
»Ach was, hör mir auf mit Kerlen. Der Carlo, das ist mein Kater. Der schwarze, den kennen Sie doch, Chef. Ich hab ihn auf der Weihnachtsfeier dabeigehabt und Sie haben ihn gestreichelt. Erinnern Sie sich?«
Chili überlegte: »Ja, klar. Und, was ist mit ihm? Soll ich ihn erschießen?«
Sie sagte: »Nein, ich hätte gerne, dass er heute hier im Büro übernachten kann, weil ich ja nach Niederbayern muss. Todesfall in der Familie. Da kann ich nicht mit einem schwarzen Kater auf den Friedhof gehen. Die sind doch alle so abergläubisch bei uns in der Familie.«
»Laura, dein Kater ist kein Kater, sondern ein fetter Kugelfisch. Weil du ihn zu Tode fütterst. Du hast dir einen Kugelfisch rangemästet. Und, siehst du hier irgendwo ein Aquarium? Schau ich aus wie einer, der mit fetten Fischen kuschelt?«
»Jetzt werden S’ nicht gemein, ja? Der Carlo hat sein astrologisches Idealgewicht. Er ist muskulös, aber nicht fett. Neun Kilo für einen Kater sind heutzutage nicht unnormal. Nicht besonders, jedenfalls. Ich hab ihn samt Korb im Auto. Da bei Ihnen unter dem Schreibtisch, da tät es ihm bestimmt gefallen. Und morgen ist er wieder bei mir. Bitte, bitte, ja? Nur bis morgen Nachmittag, Chef?«
»Ich bin einfach zu gut für diese Welt. Bring das Monster und leg ihn hier ab. Wenn ich Flöhe krieg oder sonst was, dann ist er dran.«
Die junge Frau warf dem Chili eine gehauchte Kusshand zu, machte einen Knicks und verschwand.