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ging er vor allen hinaus,
so dass sich entsetzen alle
und Gott rühmen,
sagend:
»Derartiges sahen wir noch nie!«
Nach mehreren Tagen seiner Lehrtätigkeit in Galiläa war Jesus wieder nach Kapharnaum am (Galiläischen) See zurückgekehrt, wo seine Jünger Simon (Petrus) und Andreas ein Haus besaßen. Als bekannt wurde, dass der berühmte Wundertäter, welcher böse Geister vertrieb und Kranke heilte, Jesus von Nazareth, wiedergekommen sei und im Haus der Jünger weilte, versammelten sich viele, so dass kein Platz mehr zu finden war, auch nicht vor der Tür, und er begann ihnen das Wort zu sagen. Nur vorläufig hatte Jesus sich aus Kapharnaum entfernt, so dass man nach ihm fragen, ihn suchen oder auf ihn warten musste. Das alles aber nicht vergeblich. Nun war er also wieder da, und die Leute strömten zahlreich seinem Aufenthaltsort zu und drangen sogar ins Haus ein. Jesus aber begann nicht etwa Wunder zu tun, sondern ihnen das Wort zu sagen, das freilich wunderliche Wort vom Kommen der alles mit Heil erfüllenden Herrschaft Gottes. Nicht ihr Gekommensein sagte er ihnen an, sondern ihr Kommen, ihre Nähe, ihr sich Nahen.
Da kommen sie und bringen einen Gelähmten zu ihm, getragen von vier Leuten. Die Menschen, die in Kapharnaum ins Haus der Jünger eindrangen, blockieren den Weg. Da war kein Durchkommen mehr, schon gar nicht für einen Gelähmten auf einer Trage. Weil seine Freunde ihn wegen des Gedränges nicht vor Jesus absetzen konnten, deckten sie, ohne um Erlaubnis zu fragen, das Dach an der Stelle ab, wo er war, gruben es auf und ließen die Trage, auf der der Gelähmte lag, an Seilen oder Stricken hinab. Man stelle sich das bildlich vor! Was sind das für Freunde, Freunde, die nicht eher Ruhe geben, bis sie ihren gelähmten Freund nicht irgendwo, etwa in einem berühmten Heiltempel oder in einem gut geführten Pflegeheim, sondern unmittelbar vor Jesus abgesetzt haben!
Und nun wird großer Wert darauf gelegt, zu berichten, was Jesus sah. Herabstürzende Dachteile, das mehr oder weniger gefährlich große Loch in der Decke, Bauart und Baujahr der sich herabsenkenden Trage, das entsetzte Gesicht der Eigentümer, denen das Haus beschädigt wurde, die Wirkung auf die Leute – all das scheint der Erwähnung nicht zu bedürfen. Auch eine Beschreibung der Art der Lähmung des Gelähmten unterbleibt. Jesus sieht, worum es geht, und vor allem, worauf es ankommt. Er sieht, wie jene Vier das Unmögliche möglich machen und ihrem gelähmten Freund trotz des Gedränges Zugang verschaffen, er sieht ihr unbeirrtes, erwartungsvolles Kommen mit ihm zu ihm. Er sieht ihren zwar nicht Berge versetzenden, aber immerhin Dächer abdeckenden Glauben. Dieser ihr Glaube lässt sich sehen, und Jesus sieht ihn. Es ist ihm nicht fremd, was er bei ihnen sieht. Es entspricht dem sogar ziemlich genau, was er selbst sagt und tut. Nachdem er gesehen hat, was es da zu sehen gab, wendet er sich – ohne dass jene vier Männer und Jesus ein Wort miteinander gewechselt hätten – dem Gelähmten zu: »Kind, deine Sünden werden erlassen!« Nicht irgendwann einmal, sondern jetzt. Sie werden jetzt erlassen.
War schon erstaunlich, was Jesus sah und anerkannte, so ist es umso erstaunlicher, was er zu dem Kranken sagt: »Kind, deine Sünden werden erlassen!« Auf diese Zusage ist man nicht gefasst. Denn von seinen Sünden war bis jetzt keine Rede, und Jesus war von niemand um ihren Erlass gebeten worden, auch von dem auf der Trage vor ihm liegenden Gelähmten nicht. Aber auch auf seine Anrede ist man nicht gefasst. Sie will ja nicht sagen, dass es sich bei jenem Gelähmten um ein Kind gehandelt habe. Kind – das ist der Mensch im Blick auf seine Beziehung zu Gott, die jetzt in Ordnung gebracht wird.
»Kind, deine Sünden werden erlassen!« Jesus sagt es von sich aus dem Gelähmten zu. Er ist der Künder als auch die Verkündigung dieser Zusage, die Erledigung seines Beziehungsproblems. Da werden nicht nur ein paar freundlich unverbindliche Worte gesprochen, sondern da wird das Leben eines Menschen auf eine neue Grundlage gestellt, auf die Grundlage erlassener Sünden. Wie könnte Gottes Herrschaft denn auch kommen, ohne dass Sünden erlassen und gestrichen würden? ›Kind, deine Sünden werden erlassen! Du bleibst nicht mit ihnen liegen, sie werden dich nicht länger niederstrecken und lähmen, du gehörst woanders hin!‹
Nun könnte in jenem Haus jemand gesessen haben, der bei sich dachte: ›Was soll das? Das bringt doch nichts. Bei dem ist sowieso Hopfen und Malz verloren, der wird nicht wieder. Vergebung der Sünden, neue Lebensgrundlage – dass ich nicht lache!‹ Tatsächlich erwähnt werden einige Gelehrte, die sich in der Bibel auskennen und von Gott ein wenig Ahnung haben. Die nahmen Jesus beim Wort und dachten: ›Das geht zu weit! Wie kann der so reden? Was bildet er sich ein? Gott wird schon wissen, warum jener da gelähmt liegt. Es wird seine Richtigkeit damit haben. Im Übrigen ist es Gottes Sache allein, wann und wem er die Sünden erlassen will und wirksam erlassen kann. Wie kommt dieser Mensch dazu, Gottes Sache in die eigene Hand zu nehmen und hier und jetzt in seinem Namen Sündenerlass zuzusprechen? Das kann doch wohl nicht wahr sein! Anmaßung! Kompetenzüberschreitung! Gotteslästerung!‹
So wie jene Bibelgelehrten kann man mit Jesus leider auch umgehen. Kein dringliches, kein erwartungsvolles, kein zugunsten eines gelähmten Freundes alle Hindernisse überwindendes Zutrauen in ihn, sondern ein grundlos distanziertes, lauter Hindernisse aufrichtendes Misstrauen ihm gegenüber. Zum Glück aber ändert das nichts daran, was Jesus dem Gelähmten zusprach. Aber musste es sein?
Auch hier sieht Jesus sofort, was los ist, obwohl es gar nichts zu sehen gibt. Er sieht, er durchschaut ihre Gedanken. Darum fragt er sie, was ihrer Meinung nach leichter wäre: »zu dem Gelähmten zu sagen, ›Deine Sünden werden erlassen‹, oder zu sagen, ›Steh auf, nimm auf deine Trage und wandle‹?« Jesus wartet ihre Antwort auf seine Frage nicht ab, sondern gebietet. Die ganze Unanschaulichkeit seines Wortes an den Gelähmten macht er nun anschaulich, mit dem scheinbar Schwereren das scheinbar Leichtere. Er macht die Kraft seines belebenden, des Menschen Beziehungsprobleme ausräumenden Wortes sichtbar. Er macht sichtbar, dass er Vollmacht hat, auf Erden Sünden zu erlassen und sie zur Vergangenheit zu machen. Sünden, die ein Kind Gottes behindern, beschweren, einsam machen, niederstrecken, lähmen. Nicht morgen oder übermorgen, sondern hier und jetzt! Es verhält sich mit seinem Zuspruch – »Kind, deine Sünden werden erlassen!« – so ähnlich, als wenn er sagen würde: »Steh auf, nimm auf deine Trage und geh in dein Haus!« Da geschieht es, dass ein Gelähmter loswird, was ihn lahm machte und niederstreckte. Da geschieht es, dass er aufstehen und als freier Mensch wandeln kann, weil Jesus sich ihm zusprach und ihn aufrichtete. Da vermag der Betreffende dasjenige, worauf er festgelegt und niedergestreckt war, zu schultern und vor aller Augen sogleich frei auszugehen. Und da kehrt er auch nicht in irgendeine Beziehungslosigkeit zurück, sondern in sein Haus zu den Seinen. Die Anwesenden aber, die zwei Augen im Kopf haben und von ihren eigenen Beziehungsproblemen nicht völlig in Anspruch genommen sind, werden sich entsetzen und Gott rühmen. Das wäre auch eine Möglichkeit und nicht die schlechteste.
Wie gesagt, solche Vollmacht hat der Träger des göttlichen Geistes. Darum herrscht, man täusche sich nicht, wo er sich gerade aufhält, großer Andrang, dass nicht einmal vor der Tür des Hauses der Platz ausreicht, und man ihm womöglich aufs Dach steigen muss, um einen ganz bestimmten Menschen, einen armen Gelähmten, seinen Freund, unter nicht geringem Aufwand vor ihm abzusetzen und ihm ans Herz zu legen. Jener Gelähmte brauchte solche Freunde, und auch Jesus möchte offensichtlich solche Freunde haben, die ihn, ohne sich vom Gedränge der Menschen kopfscheu machen zu lassen, für jemand bitten. Er wird hinter ihnen nicht zurückstehen, sondern ihnen ihre Bitte, selbst wenn sie unausgesprochen blieb, herzlich gern erfüllen. Wie der Erlass der Sünden zum Kommen der Herrschaft Gottes gehört, so das Kommen solcher Freunde mit ihrem armen Freund zu ihm zur Erneuerung rechter Beziehungen.
Die Heilung des Menschen mit
der erstarrten Hand
Markus 3,1–6.7–12
7–12 Zweiter Bericht vom Andrang der Menschen
1 Und er (Jesus) ging wiederum in die Synagoge9.
Es war dort ein Mensch
mit einer völlig erstarrten Hand.
2 Da beobachteten sie ihn genau,
ob er ihn am Sabbat heilen werde,
damit sie ihn anklagen könnten.
3 Und er sagt zu dem Menschen,
dem, der die erstarrte Hand hat:
»Steh auf (und komm) in die Mitte!«
4 Und er sagt zu ihnen:
»Ist es erlaubt,
am Sabbat Gutes zu tun oder Böses zu tun,
Leben zu retten oder zu töten?«
Sie aber schwiegen.
5 Und er sah sie ringsum an mit Zorn,
aufgebracht über die Verhärtung ihrer Herzen,
(und) sagt zu dem Menschen:
»Strecke die Hand aus!«
Und er streckte sie aus,
und seine Hand wurde wiederhergestellt.
6 Da gingen die Pharisäer hinaus
(und) fassten zusammen mit den Herodianern
sogleich einen Beschluss gegen ihn,
dass sie ihn vernichten wollten.
7 Und Jesus zog fort mit seinen Jüngern an den See,
und eine große Menge [folgte nach] von Galiläa.
8 Auch von Judäa / und von Jerusalem,
auch von Idumäa und jenseits des Jordans
sowie aus der Umgebung von Tyrus und Sidon
kam eine große Menge zu ihm,
hörend, wie großes er dauernd tat.
9 Und er sagte zu seinen Jüngern,
dass (doch) ein kleines Boot ihm zur Verfügung stehe
wegen der Volksmenge, damit sie ihn nicht erdrücke.
10 Denn er heilte viele,
so dass alle, die Plagen hatten,
über ihn herfielen, dass sie ihn berührten.
11 Und wenn die unreinen Geister ihn erblickten,
fielen sie vor ihm nieder
und schrien,
sagend:
»Du bist Gottes Sohn!«
12 Aber er fuhr sie sehr heftig an,
dass sie ihn nicht bekannt machten.
Es gibt Menschen, die ihre Mitmenschen misstrauisch beäugen und nur darauf zu warten scheinen, sie bei einem Fehltritt zu ertappen, um alsdann aufzustehen, sich ins Recht zu setzen und zuzuschlagen. Und es gibt sie sogar innerhalb der Gemeinde. Von einer solchen Begebenheit wird hier berichtet. Jesus hatte in Kapharnaum am (Galiläischen) See und in der Umgebung gewirkt, das Kommen der guten Herrschaft Gottes angekündigt und sich bedürftigen und von allerlei bösen Geistern geplagten Menschen zugewandt.
Doch mit der Zeit wurde auch Widerspruch gegen ihn laut. Zuerst nur von weitem: »Wozu isst er mit Zolleintreibern und Sündern« (2,16)? Ein wenig später konfrontiert man Jesus mit Beschwerden über seine Jünger: »Warum fasten die Jünger des Johannes und die Jünger der Pharisäer, deine Jünger aber fasten nicht« (2,18)? Auf ihn und seine Jünger wird man je länger je mehr aufmerksam und schaut schon einmal genauer hin. Man sieht sie am Sabbat durch die Kornfelder gehen, Ähren rupfen und ausraufen, und einige Leute mit scharfen Augen und scharfer Zunge stellen Jesus zur Rede: »Sieh doch, warum tun sie am Sabbat, was nicht erlaubt ist«(2, 24)? Jesus aber ist um Auskunft nicht verlegen und hat jedes Mal eine passende Antwort parat. Er sieht die Dinge überraschend anders, als seine an Zahl so erschreckend zunehmenden Gegner sie sehen. »Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht, nicht der Mensch um des Sabbats willen« (2, 27), hält er ihnen entgegen.
Ein Konflikt spitzt sich zu. Am Ende werden nicht mehr nur Erkundigungen über ihn eingezogen, Fragen gestellt und Vorwürfe erhoben, sondern da wird eine richtige Front gegen Jesus aufgemacht und hinter seinem Rücken organisiert werden, und zwar ausgerechnet von den Frommen in Israel, den Pharisäern.
Zu verstehen ist das schwer, denn gerade diese Leute waren es doch, die die Fahne hoch hielten und den Willen Gottes in ihren Lebensalltag übersetzen und dort verwirklichen wollten. Gerade diese Leute waren es, denen Gottes Gebote über alles gingen. Gerade sie mochten sie nicht zur Farce erklären, sondern wollten sie aufrichten und gegen Zuwiderhandlungen warnend und strafend einschreiten. Gerade sie dachten ständig darüber nach, was Gott in dieser oder jener Lebenslage und Lebensfrage von ihnen erwartet. Schulen riefen sie ins Leben, um dort die mündliche und die schriftliche Thora, das Gesetz, zu studieren und für alle verbindlich auszulegen. Sie standen keineswegs in irgendeiner sektiererischen Ecke damit, sondern genossen in der Öffentlichkeit hohes Ansehen, auch wenn ihr Feuereifer, alles bis ins Kleinste zu regeln, gelegentlich skurrile Blüten trieb. Doch ihr Grundanliegen war klar und weithin anerkannt.
Berühmt geworden sind ihre Bestimmungen über den Sabbat. »Und er (der Herr) gab uns als ein großes Zeichen den Sabbattag, damit wir arbeiten sechs Tage die Arbeit, aber dass wir Sabbat halten am siebenten Tag von aller Arbeit« (Jub 2,17). Das Abstandnehmen von aller Arbeit war darum so wichtig, weil Gott selbst den Sabbat geheiligt und an diesem Tag von seinem eigenen Schaffen Abstand genommen hatte. So sollte auch der Mensch von seiner Arbeit an jedem siebenten Tag Abstand nehmen und nach genau definierten Regeln ruhen – ausgenommen »essen und trinken sowie Weihrauch räuchern und Opfer darbringen und Brandopfer vor dem Herrn« (Jub 50, 9f). Auch der Sklave und sogar das liebe Vieh sollten an der Sabbatruhe teilhaben und von ihr profitieren.
»Jeder Mensch, der diesen Tag befleckt, der mit einer Frau liegt und auch der, der eine Sache beredet, dass er sie an ihm tun werde, dass er an ihm eine Reise machen werde, und auch wegen allen Kaufens und Verkaufens und auch wer Wasser schöpft an ihm, das er für sich nicht am sechsten Tag vorbereitet hat, und auch wer jegliches aufhebt, dass er es trage, dass er es aus seinem Zelt herausbringe, und auch wenn aus seinem Haus, der soll sterben. … Und jeder Mensch, der eine Arbeit tut und auch der, der einen Weg geht, und auch der, der den Acker bebaut, sowohl wenn es in seinem Hause als auch wenn es an jedem Ort ist, und auch der, der Feuer anzündet, und auch der, der Lasten lädt auf jegliches Tier, und auch der, der im Schiff das Meer bereist, und jeder Mensch, der jemanden schlägt und tötet, und auch der, der ein Vieh schlachtet und einen Vogel, und auch der, der fängt, wenn es ein Tier und ein Vogel und wenn es ein Fisch ist, und auch der, der fastet und Krieg macht am Tage des Sabbats, und ein Mensch, der jegliches davon tut am Tage des Sabbats, soll sterben, damit die Kinder Israels Sabbat feiern gemäß den Geboten der Sabbate des Landes« (Jub 50, 8.12fa).
Da war in der Synagoge ein Mensch mit einer völlig erstarrten Hand (Mk 3,1). Auch Jesus war wieder in die Synagoge gekommen, und da waren auch sie alle beisammen. Jedoch nicht in froher Erwartung, sondern gespannt darauf, was er sich diesmal leisten würde, und durchaus schon mit Hintergedanken: Da beobachteten sie ihn genau, ob er ihn am Sabbat heilen werde, damit sie ihn anklagen könnten.
Die menschliche Hand ist ein Greifwerkzeug und mehr als das. Mit ihr wird gegeben, genommen, berührt, ertastet, geformt usw. Sie ist das Sinnbild oder der Inbegriff unseres tätigen Wesens. Ist sie krank, so ist der Mensch krank. Ist sie zurückgeblieben oder verkümmert, so ist der Mensch zurückgeblieben und verkümmert. Seine Taten sind dann dementsprechend. Der Mensch als tätiges Wesen kann aber auch zurückgebildet oder verkümmert sein selbst dann, wenn seine Hand, für sich betrachtet, funktionstüchtig wäre. Die Hand des Menschen in der Synagoge war völlig erstarrt. Sie war eine tote Hand. Sein tätiges Wesen war zur Hälfte erstorben. Warum und wie lange und in welcher Weise bleibt ungesagt.
Die am Sabbat dem Menschen untersagten Tätigkeiten machen allesamt den Eindruck, als ginge es in erster Linie darum, seine Hände zurück zu ziehen, sie ruhig zu stellen und ruhig zu halten, sie erstarren zu lassen, um auf keinen Fall zu viel bzw. dies und das überhaupt nicht zu tun. Ist der Mensch mit der erstarrten Hand der Inbegriff ihres Sabbats, das heimliche Ideal, das man da vor Augen hat, erstrebt und durchzusetzen sich bemüht? Was für ein Skandal, wenn Jesus ausgerechnet am Sabbat über das erlaubte Maß hinaus tätig werden und die zurückgebliebene, die verkümmerte, die erstarrte Hand eines Menschen heilen wollte und heil machen würde!
Und nun wird auch hier sehr schön erzählt, wie Jesus nicht etwa den Sabbat, sondern den Menschen in die Mitte holt, ja, dass er ihn gerade am Sabbat in die Mitte holt, damit er sich seiner annehme und seine erstarrte Hand heile: »Komm in die Mitte!«
Aber auch die übrigen sind ihm nicht gleichgültig. Er will sie durchaus gewinnen. Auch ihnen redet er gut zu: »Ist es erlaubt, am Sabbat Gutes zu tun oder Böses, Leben zu retten oder zu töten?«, fragt er sie. Doch die Anwesenden schwiegen. Das war nicht ihre Frage. Sie verfolgten bereits andere Pläne. Ihnen ging es ums Prinzip, dass am Sabbat geruht werden sollte, basta!
Weil sie beharrlich schwiegen, sah Jesus die Versammelten zornig an, aufgebracht über die Verhärtung ihrer Herzen. Nein, sie sind ihm nicht gleichgültig. Sie liegen ihm am Herzen, aber mit ihrem verhärteten Herzen nun eben schwer am Herzen. Er kann nicht anders, er muss ihnen ärgerlich werden, indem er sich des Menschen mit der erstarrten Hand annimmt: ›Strecke die Hand aus! Zieh deine Hand nicht zurück, sondern strecke sie mir entgegen!‹ Und er streckte sie aus, und seine Hand wurde wiederhergestellt. Der Mensch kann und darf mit seiner Hand wieder tätig sein und zum Beispiel tun, was Jesus tat – sich jemand zuwenden und Gutes tun. An sich selbst zu denken und zu sich selber zu kommen, die Seele baumeln zu lassen, wenig oder nichts zu tun, ist offenbar nicht der Sinn des Sabbatgebotes.
Wie die Heilung des Menschen mit der erstarrten Hand erfolgte, bleibt auch in seinem Fall schleierhaft. Es wird nur gezeigt, dass Jesus es so wollte, und dass es darum geschah. Und dies am Sabbat in der Gemeindeversammlung unter ihrem Widerspruch.
Freilich, geäußert wurde der Widerspruch nicht. Die Anwesenden schwiegen sich nur aus. Die Pharisäer jedoch gingen davon, um sich an die Herodianer, Parteigänger des Landesfürsten Herodes Antipas10, zu wenden und mit ihnen überein zu kommen, Jesus unschädlich machen, ja ihn vernichten zu wollen. So ärgerlich war er ihnen geworden. Dass sie selbst mit ihrem Treiben ihre Sabbatregelungen übertraten, spielte schon keine Rolle mehr.
Eine bedrückende Geschichte. Sie ist darum bedrückend, weil jene Frommen gerade unter Berufung auf Gottes Gebot Gottes freie Zuwendung zu seinen Geschöpfen am siebenten Tag offenbar aus den Augen verloren und ein starres Prinzip aus der Sabbatheiligung gemacht hatten. Zuwiderhandlungen dagegen empfanden sie als verwerflich. Doch das hat Jesus nicht gehindert, den Menschen mit der erstarrten Hand in die Mitte zu holen, wo er seiner Meinung nach hingehört. Es hat ihn nicht gehindert, sich seiner tätig anzunehmen, und das am Sabbat, an welchem Gott der Herr sich aller seiner Werke freuen möchte, und der Mensch eingeladen ist, seine Freude zu teilen! Wie aber könnte er sie mit ihm teilen mit einer völlig erstarrten Hand? Was wäre das für eine Sabbatruhe, da er nur seine tote Hand in den Schoß legte?
Nachdem die Pharisäer gegangen waren, um zur Durchsetzung ihrer Absichten die weltliche Hand zu gewinnen, zog auch Jesus mit seinen Jüngern fort an den (Galiläischen) See. Nicht um sich mit ihnen zurückzuziehen oder sich vor seinen Gegnern zu verbergen, sondern weil am See einfach mehr Platz war. Eine große Menge folgte ihm nach von Galiläa. Aber auch aus Judäa und Jerusalem und Idumäa im Süden, von der anderen Seite des Jordans im Osten sowie aus der Umgebung von Tyrus und Sidon im Norden kamen die Menschen in Scharen zu ihm, hörend, wie großes er dauernd tat. Darum suchten sie ihn, oder sie folgten ihm, damit er auch für sie tätig würde und sich ihrer und ihrer Nöte annähme.
Und er sagte zu seinen Jüngern, dass doch ein kleines Boot ihm zur Verfügung stehe wegen der Volksmenge, damit sie ihn nicht erdrücke. Zum ersten Mal nach ihrer Berufung bekommen die Jünger auch einmal etwas zu tun. Ein kleines Boot sollen sie für Jesus besorgen, damit er nötigenfalls aufs Wasser ausweichen könne und von den Menschen, die ihn bedrängen, nicht zerquetscht werde. Denn er heilte viele von ihren Plagen, so dass die noch übrig Gebliebenen sich kaum mehr zu zügeln vermochten, sondern geradezu über ihn herfielen und ihn berühren wollten – sei es, um seine Aufmerksamkeit zu erregen, sei es, um ihrer Sehnsucht Ausdruck zu verleihen, sei es, um von seinen Wunderkräften unter allen Umständen auch für sich etwas zu ergattern. Lauter Gutes begehrende Hände können, wenn sie sich einem zahlreich und massiv entgegenstrecken, auch zu einer tödlichen Gefahr werden. Erst recht, wenn bei alledem die bösen Geister, sobald sie ihn erblicken, wie vom Blitz getroffen unterwürfig vor ihm niederfallen11 und – um nur ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen! – aus Geisteskräften schreien: »Du bist Gottes Sohn!« Ihr ohrenbetäubendes, entsetzliches Geschrei kann unter den ihn bedrängenden Menschen leicht zur Massenpanik führen, und das fehlte gerade noch. Die Distanzen zu wahren, dabei sollen ihm die Jünger helfen und ihm ihrerseits zur Hand gehen. Den unreinen Geistern aber trat er selbst entgegen und fuhr sie sehr heftig an, dass sie ihn nicht bekannt machten, bevor sie, einer nach dem andern, an die Reihe kämen.
9 Ort unklar, gemeint ist aber wohl Kapharnaum.
10 Herodes Antipas, * 23 v., † 40/45 n. Chr., ein Sohn Herodes’ des Großen, Tetrarch von Galiläa und Peräa 4 v. – 39 n. Chr.
11 Auch beim Niederfallen von Menschen vor Jesus Mk 5, 33 und 7, 25 handelt es sich um eine Geste der Betroffenheit und des Sichergebens, nicht unbedingt des Bittens.
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