Süffiger Single Malt für MacDonald

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»Bald werden wir noch aus Kaffeesatz lesen.«
»Trinken Indianer Kaffee?«
»Nur in romantischen Hollywoodfilmen. Apropos, sehr pittoresk ist die Auchentoshan-Destillerie, mein Freund.«
Alberto grinste. »Früher oder später wirst du also hinfahren müssen? Wer ist der Besitzer?«
»Beam-Suntory.«
»Da haben wir es! Du weißt, welch schlechte Erfahrungen ich mit Japanern in meinem Guest House gemacht habe.«2
»Ich sehe keine Verbindung zu unserem Fall.«
»Entsetzlich war das mit denen und ihren kampflustigen Klosett-Reinigern. Die chemische Reaktion in der Schüssel vergesse ich meinen Lebtag nicht!«
»Alberto!«
»Sisi.« Vitiello sah ihn wie ein kleiner Junge an, der warmen Kuchen vom Blech stibitzt hatte.
»Wenn du keine Fragen mehr hast, werde ich die Koffer bestücken. Du erinnerst dich noch, wo das Futter für Sir Robert steht?«
»Mach dir keine Sorgen, ich kümmere mich um deinen Edelkater, werde ihn füttern und ausgiebig kraulen. Aber jetzt muss ich mich auf den Weg machen. Heute reisen neue Gäste an.«
»Hättest du morgen Zeit?«
»Wofür denn, bitte?«
»Um Imperial Whiskys zu observieren.«
»Geh du mal lieber alleine. Zwei Mann braucht es dazu nicht.«
MacDonald nickte und verabschiedete Vitiello freundlich, obwohl er sich über sein seltsames Verhalten wunderte. Dass er sich bei jedem neuen Fall ein wenig zierte, war Usus. Aber befederte Klempner als Kronzeugen vorzuschieben, um zu schwänzen, war neu. Er spülte das Geschirr mit dem restlichen Wasser aus den Flaschen, ging nach oben und packte Kleidung und Bücher für zwei Wochen ein. Seine Koffer schleppte er zum VW Käfer und hievte sie in den Kofferraum. Wehmütig sah er sein geliebtes Dean Village im Rückspiegel verschwinden. Wenigstens hatte sich der Verkehr auf der Morningside Road gelegt. In weniger als 15 Minuten stand er vor der Eingangstür des Hotels, die sich automatisch in seine Richtung öffnete. Das Braid Hills erfüllte all seine Wünsche an ein Hotel, war gemütlich und zugleich elegant eingerichtet. Dem Himmel war es gedankt, dass weder Sauna, Schwimmbad, Wellnessoasen und die entsprechende Kundschaft vorhanden waren. Nur weil diese überflüssigen Einrichtungen fehlten, trug das Braid Hills keine fünf Sterne. Zunächst trat man in einen kleinen Vorraum, der an einen Wintergarten erinnerte. Innen fiel dann die gemütliche Telefonzelle auf, die den Computer mit Internetanschluss beherbergte. Zur Linken drei mal vier gemütliche Ohrensessel und gegenüber die Empfangstheke aus dunkelbraunem Holz. Eine nette junge Frau begrüßte ihn im melodischen Sprachgesang der Iren. Auf MacDonald wirkte dieser wie Musik und er hätte ihr auf Wunsch mindestens zwei Waschmaschinen abgekauft. »Zimmer 326, Mister MacDonald«, sagte sie und reichte ihm das Heftchen mit dem Scheckkarten-Schlüssel. »Brauchen Sie Hilfe mit Ihrem Gepäck?«
MacDonald wollte der hübschen jungen Frau nicht als Schwächling erscheinen. »Meine Koffer sind zwar nicht sehr schwer, doch etwas unhandlich.«
»Natürlich, einen Moment, bitte.« Sie griff zum Telefonhörer und tippte eine hausinterne Nummer ein. Ein hinkender, junger Mann tauchte auf, halb so groß wie er. Wie sollte er diesem Dilemma entkommen? Ohne ihn zu beleidigen, konnte er dem Hotelangestellten schwerlich vorschlagen, das Gepäck selbst zu tragen. Wohin war er nun entschwunden? MacDonald drehte sich um, sah den Pagen seine beiden Koffer aus dem Käfer wuchten und die leichte Anhöhe zum Eingang hochrennen, so schnell, dass er beinahe mit der automatischen Tür kollidierte, durch die Lobby und die Treppen hoch. MacDonald schleppte sich hinterher und kam bereits im nächsten Stockwerk außer Atem. Vom langen Korridor mit dem dicken Teppich und den Ölporträts schottischer Berühmtheiten wie Bonnie Prince Charlie, Walter Scott, Robert Burns und Mary, Queen of Scots, war er aber sehr angetan und, sich keuchend seinem Zimmer nähernd, kam der junge Mann ihm auch bereits entgegen. »Habe Ihr Gepäck ins Zimmer gebracht, Sir.«
»Das dachte ich mir«, sagte MacDonald und reichte ihm diskret eine mehrfach gefaltete Fünf-Pfund-Note.
»Oh, vielen Dank, Sir. Wenn Sie während Ihres Aufenthaltes etwas benötigen, eine spezielle Flasche Whisky vielleicht …«
»Darf ich fragen, wie Sie darauf kommen?«
Der Page deutete auf MacDonalds Aktenmappe. »Glen Garioch. Nicht jeder kennt diesen Highland Malt.«
»Hm, da haben Sie Recht. Sie interessieren sich für Whisky?«
»Nur so ein bisschen. Ein Verwandter von mir hat … ich will Sie nicht länger aufhalten, Sir. Wünsche eine schöne Zeit im Braid Hills.«
MacDonalds Zimmer war von angenehmer Größe, kein Riesenraum, in dem man sich verlor, aber auch nicht zu klein. Ein kleiner Vorraum trennte es vom Badezimmer, das fast so geräumig wie das Zimmer war. Durch drei schmucke Panoramafenster in jedem Raum bot sich ein prächtiger Ausblick. Auf der anderen Seite der Straße, über die seine geliebte Bus-Linie Elf fuhr, befand sich der Braidburn Valley Park. Darüber erhoben sich schmucke, kleine Häuser. Robert Louis Stevenson marschierte zwei Jahrhunderte zuvor von der City über den Park nach Hause, zum Swanston Cottage. Zur Linken konnte MacDonald die Braid Hills sehen, und zur Rechten war in der Ferne das Meer auszumachen. Wie konnte man dieses Spektakel noch steigern? Er zog kurzentschlossen Mister Glen Garioch aus seiner Mappe und entfernte die Plastik-Ummantelung vom Flaschenhals. Verdächtig leicht ging das vonstatten. Er schenkte zwei Schlückchen Whisky in ein Nosing-Glas, nippte daran und beließ ihn, den zwölf Lebensjahren entsprechend, ein Dutzend Sekunden im Mund, über der Zunge, darunter, links, rechts, bis er zu brüllen begann: »Krakelendes Moorhuhn! Das darf doch nicht wahr sein!«
»Mein Gott, ich mag den Geschmack von Whisky so sehr, dass ich mitunter denke, ich sollte Igor Strawhisky heißen.«
Igor Strawinsky (1882-1971),
Komponist
1 Alberto spielt hier auf MacDonalds Hausgast in »Currys für Connaisseure« an, das Gespenst Dougal Dinwiddie.
2 Vitiello bezieht sich auf »Dicke Luft in der Küche«, das zweite Abenteuer unserer beiden Detektive.
Balmorals feine Whisky-Bar
MacDonald schlief unruhig. Alpträume wechselten sich ab, und am Morgen war er froh, aufstehen zu können. Neben seinem Kopfkissen lag ein Zettel, auf dem groß »Karen« stand. Er wollte seine Herzensdame bereits am Abend anrufen und ihr den Menüvorschlag präsentieren, doch nach dem flüssigen Schock verließ ihn die Stimmung. Er nahm den vermeintlichen Glen Garioch und brachte ihn außer Sicht im Schrank unter. Nach einem gemütlichen Vollbad begab er sich nach unten, in den Frühstücksraum. »Nummer 326«, informierte er den langen Gentleman in weißem Hemd und schwarzer Hose, der hinter der Theke stand. Die anderen Angestellten traten ganz in schwarz auf. Er musste der Chef sein. »Sie haben freie Tischwahl, Sir.«
Ein Nordire, dachte MacDonald. Die grüne Insel war gut vertreten.
»Tee oder Kaffee, Sir?«
»Tee, bitte.«
Der Mann nickte und schritt mit riesigen Schritten in die Küche. MacDonald ging zu seinem Tisch. Hohe, schlanke, mit Leder bezogene Holzstühle standen an dunkelbraunen Tischen. Durch zwei bodenlange, karierte Vorhänge wurde der lange Raum geteilt. MacDonald verstaute seine Aktenmappe auf der Fensterbank, ging in den Nebenraum und holte sich am Buffet Müsli und Orangensaft. Auf dem Tisch dampfte aus einem Kännchen sein Tee. Hätte der Oberkellner nicht an ihm vorbeikommen müssen? Ein Brummen in seiner Tasche lenkte ihn ab. »Angus Thinnson MacDonald. Alberto, schön, dass du anrufst. Ich muss dir dringend etwas erzählen.« Als er mit seiner Glen-Garioch-Story zu Ende war, blickte er sich im Raum um. Ein kleiner Mann asiatischer Provenienz kippte ruckartig den Kopf nach unten. Der Bursche hatte seine Konversation belauscht! Lustlos beendete MacDonald sein Müsli und holte sich nur Eier und Speck. Als er zurückkam, waren sowohl Oberkellner als auch Beobachter verschwunden. Was für ein komischer Morgen. Er ging in sein Zimmer, putzte sich die Zähne und verbrachte die nächsten Stunden damit, an den neuen Rezepten zu feilen. Falls Karen seine fleischlichen Versöhnungsmenüs nicht zusagten, würde er sich mit einer Kreuzung zwischen schottischem und orientalischem Essen lieb Kind machen. Feuriger Rote-Bete-Salat, Gerstentopf und süßsauer eingelegter Kürbis.
Gegen halb zehn wandelte er die enge, steinerne Treppe nach unten, zur Straße. Die Linie Elf fuhr um diese Uhrzeit sehr häufig und so musste er nicht lange auf den nächsten Doppeldecker warten. Er schob seine Karte über den elektronischen Scanner, bedankte sich beim Fahrer und setzte sich in den vorderen Bereich. Die Morningside Road war schon immer eine seiner liebsten Straßen in Edinburgh. All die vielen kleinen Geschäfte bewiesen, dass sich mit einem treuen Kundenstamm eine Existenz abseits von Ladenketten führen ließ. Er fuhr bis zur Princess Street, nahm von dort ein Taxi in die Old Town und ging noch einige Meter zu Fuß, um etwas für seine Gesundheit zu tun. Was er von weitem sah, als er sich Imperial Whiskys näherte, konnte nicht wahr sein! Somerled, der komische Stellvertreter, schloss die Tür ab und drehte das Schild mit dem Hinweis »Sorry, we are closed« nach außen. Angesichts der Tatsache, dass sie in fünf Minuten öffnen sollten, war das bodenlos! Dann streckte der Kerl auch noch den Daumen nach unten! Was bildete er sich ein, nach zwei Flaschen Fusel! So einfach käme er ihm nicht davon. Wenn er vor der Tür stehen blieb, erschiene niemand. Auf der anderen Straßenseite würden sie aber nicht merken, dass er observierte. Er musste nur noch für eine gute Verkleidung sorgen. In einem der Touristengeschäfte wurde er fündig: ein Schlapphut mit angenähter, roter Perücke und ein Schal im Royal-Stewart-Tartan aus Polyacryl sollten genügen. Seine Mappe steckte er in eine große Plastiktüte und fertig war der Zwei-Tage-Stadtbesucher. Etwa dreißig Minuten später riss ein Mann in Tour-de-France-Montur die Ladentür auf, Sturzhelm auf dem Kopf und Rad auf dem Rücken. Der unhöfliche Verkäufer! »Hallo, Sie da!«, rief MacDonald laut und eilte über die Straße. Als Somerled ihn ausmachte, sprang er aufs Rad und strampelte davon, mit der Linken abermals den Daumen nach unten richtend. Auch ein schlankerer Mensch hätte den Mann nicht stellen können. MacDonald klopfte an die Tür und rief nach dem Besitzer. »Kevin Wordie, bitte für ein klärendes Gespräch erscheinen.« Im Geschäft fiel eine Flasche auf den Boden. Ob Wordie seine falschen Whiskys zerstörte? Er konnte ihn leise wimmern hören. Was hatte der Mann bloß? Am besten warten, bis er ebenfalls das Geschäft verließ. Doch war nicht gesagt, wie das vonstattengehen würde. Wordie kam vielleicht auf einer Kanonenkugel geflogen! Nein, da ging er lieber zum Coffee-Shop in der Blackwell’s-Buchhandlung und trank eine schöne Tasse Kaffee. Über drei Scones kam die Mittagszeit und er schlenderte ins Kebab Mahal am Nicholson Square, um seinen gewohnten Imbiss zu nehmen: Chicken Curry mit Cashewnüssen, Reis und Naan. Um sich eines Völlegefühls zu entledigen, würde ein Spaziergang hilfreich sein, in die Whisky-Bar des Balmoral Hotel, für weitere Ermittlungen …
Im Jahr 1902 unter dem Namen North British Station Hotel eröffnet und direkt am Waverley-Bahnhof gelegen, war das Balmoral der Inbegriff eines gediegenen Etablissements. Wie eine Burg ruhte es in der Stadt. Nicht zufällig war Balmoral das gälische Wort für majestätisches Gebäude. Etwa 460 Scotch Whiskys, und nur solche, konnten in der Whisky-Bar verköstigt werden, denn niemand reiste nach Edinburgh, um Bourbon zu trinken. Gordon and MacPhail, der Händler und Abfüller von raren Whiskys, hatte bei der Bestückung der Bar geholfen. Alle 122 Malt-Destillerien waren vertreten. Es gab Whiskys zu einem Betrag in dreistelliger Höhe und Flaschen für 8.000 Pfund, etwa einen Benromach, Jahrgang 1970. Doch auch für wenige Pfund konnte man ein Gläschen trinken. Natürlich versuchte keiner der drei Whisky-Botschafter, so hießen die versierten Barkeeper, Gäste reinzulegen. Man war bemüht, im Zwiegespräch ein passendes Tröpfchen zu finden. Zwischen 35 und 40 Flaschen sehr alter Scotch wurden offeriert, von stillgelegten Destillerien wie Port Ellen, Rosebank oder Little Mill. Die Whisky-Botschafter, alle sehr nett, teilten sich die Bar. Da die meisten Gäste aus dem Hotel stammten und sich nicht zwangsweise mit Scotch auskannten, waren die Herren immer erfreut, MacDonald zu sehen. Der wiederum hoffte, den Jüngsten von ihnen anzutreffen. Es war beeindruckend, wie gut der Herr sich bereits mit Scotch Whisky auskannte. Als der Gourmet das Hotel betrat, bereute er es fast, sich nicht hier einquartiert zu haben: Eine von seinen Eltern tradierte Vorsicht im Umgang mit Geld hatte ihn davon abgehalten. An der Rezeption fiel ihm ein Mann auf, der mindestens 2,20 Meter groß war, karierte Hose und Gehrock trug. Gehörte er zum Personal? MacDonald sah durch die Glastür in die Bar. Blitzblank poliertes Parkett aus Kiefernholz, eine Theke aus Kirschbaum, davor schwarze Hocker mit schwarzweißem Schaffell, die Bar dreigeteilt mit einem dunkelbraunen Regal in der Mitte. Links und rechts davon standen in beleuchteten Glasschränken Whisky-Flaschen. Sein favorisierter Botschafter war zugegen und bislang noch ohne Gäste. Da ließ es sich gut plauschen. Der junge Mann polierte Gläser und lächelte ihm zu. »Mister MacDonald, wie schön, Sie zu sehen.« Er trug einen Kilt in Farben, die mit Whisky harmonierten: gold, beige und braun, dazu weißes Hemd, Krawatte und schwarze Weste, die Haare akkurat gescheitelt.
»Ganz meinerseits, Mister Weir.«
»Geht es Ihnen gut, Sir?«
Er hätte seinen Wasserschaden erwähnen können, aber wie die Queen von England zu sagen pflegte: »Never complain, never explain«, sich niemals beschweren oder für irgendetwas entschuldigen. »Danke, alles bestens bei mir.«
Die Antwort schien Mister Weir zu verunsichern. »Sind Sie sicher?«
Wieso sollte er sich irren? »Ja, keine Sorgen.«
»Was darf ich Ihnen eingießen?«
»Gute Frage. Es ist noch früh, vielleicht einen Auchentoshan zum Start?«
»Bitte?!«
MacDonald nahm auf einem der sandfarbenen, um ein Tweed-Sofa gruppierten Sessel Platz. »Au-chen-to-shan, von den Lowlands.«
»Ich weiß, Mister MacDonald. Es ist nur so, dass ich gestern Abend die letzte Flasche ausgegossen habe und noch kein Nachschub eintraf.«
»Bitte? Ausgegossen?«
»Verbraucht, ausgeschenkt, meinte ich.«
Bei einem Haus wie dem Balmoral durfte so etwas nicht passieren. »Dann nehme ich einen Glen Garioch.«
»Puh!«
»Wie meinen?«
»So leid es mir tut, aber damit haben wir ebenfalls einen Engpass.« Weir sah über MacDonalds Haupt hinweg.
»Zwölfjährigen Highland Park, bitte. Am Orkadier wird sich hoffentlich niemand vergriffen haben?«
»Haha, aber nein.«
Der junge Mann klang komisch. Wenn MacDonald nur den geringsten Fehlton entdeckte, würde er in Zukunft Whisky anderer Länder trinken! Ohnehin wollte er das profunde Buch Canadian Whisky seines Kollegen Davin de Kergommeaux studieren. »Wissen Sie was, ich nehme einen Doppelten.«
Weir holte eine Flasche Highland Park aus dem Regal, schenkte vier Zentiliter in ein Gläschen und stellte es ihm hin. MacDonald zog einen Bogen weißes Papier aus seinem Jackett und hielt den Whisky davor. »Bernsteinfarben. Wie er sein sollte.«
»Darf ich Ihnen einen Snack reichen, Mister MacDonald?«
»Nein, danke. Im Moment nicht.« Warum war der junge Mann so fahrig?
»Wildschweinsalami, dunkle Schweizer Schokolade, geräucherte Mandeln, auf Kosten des Hauses selbstverständlich. Nur wenn Sie möchten …«
Der Gourmet schüttelte den Kopf. Nicht unhöflich, aber entschieden genug, um nicht weiter behelligt zu werden. »Nun zum Geruch oder zur Nase, wie wir sagen.« Er führte das Gläschen zum linken Nasenloch, dann nach rechts.
»Alles in Ordnung?«
»Oh ja, rauchige Kartoffelfeuer-Süße, wie mein Freund Michael Jackson meinte. Heidekraut und Sherry.« Er nahm ein Schlückchen und ließ es im Mund kreisen. »Perfekt.«
Weir tupfte sich Schweiß von der Stirn. »Da bin ich aber erleichtert!«
»Sie meinen das ironisch«, erwiderte MacDonald stirnrunzelnd.
»Natürlich, ja.«
»Er prostete ihm mit dem Gläschen zu. »Süßer Heidehonig und ein Malzton. Rundum köstlich. Eine herausragende Destillerie, in der man die Gerste noch selbst mälzt. Hatten Sie schon Gelegenheit, die Damen und Herren auf Mainland/Orkney zu besuchen, Mister Weir?«
Der Whisky-Botschafter trat einen Schritt zurück. »Nein, warum?«
»Ich frage nur, weil Sie mir einmal erzählten, dass Sie gerne Destillerien besichtigen.«
»Stimmt, aber auf den Orkney-Inseln war ich leider noch nicht.«
»Ihr Steckenpferd sind die Flaschen der Flora-und-Fauna-Serie, nicht wahr?«
»Mortlach und Rosebank interessieren mich auch!«
»Wo erstehen Sie die Flaschen?«
»Bei verschiedenen Händlern.«
Unpräziser ging es nicht. »Imperial Whiskys?«
»Nicht mehr so oft«, rutschte es dem Barkeeper heraus.
»Hat die Qualität nachgelassen?«
»Dazu würde ich keinen Kommentar abgeben wollen. Ich dachte mehr an den Service der Angestellten …«
»Ich empfinde es ebenso. Kevin Wordie ist allerdings ein nobler Mann, der seine Whiskys kennt.«
»Sie hatten Grund zur Beanstandung?«, fragte Weir etwas zu neugierig.
»Auchentoshan und Glen Garioch.«
»Umso mehr tut es mir leid, dass wir die beiden nicht vorrätig haben.«
»Wann rechnen Sie mit einer neuen Lieferung?«
»Da müsste ich Mister Cipriano fragen. Er kommt leider erst in zwei Stunden. Wenn Sie so lange warten möchten …«
»Haben Sie herzlichen Dank, Mister Weir. Das wird nicht nötig sein. Sie veranstalten regelmäßig Seminare mit Destillerie-Managern? « »Äh, ja …?«
»Hatten Sie in der letzten Zeit Glen Garioch oder Auchentoshan zu Gast?«
»Nicht, dass ich mich erinnere. Vielleicht haben die beiden Destillerien gegenwärtig zu viel Arbeit? Extrem schwer zu sagen.«
Ob der Bar auch falscher Whisky untergekommen war? Wusste Mister Weir Kompromittierendes über die beiden Destillerien? Auch wenn es so wäre, könnte der junge Mann diese Fragen nicht bejahen. MacDonald verließ das Balmoral und trat auf die Princess Street. Er wollte ein wenig über die Einkaufsmeile schlendern, um seine Gedanken ins Reine zu bringen. Obwohl kein Freund von Ladenketten, bedauerte er, dass die East-End-Filiale der Waterstones-Buchhandlung ihre Pforten geschlossen hatte. Sie führten stets seine Bücher. Auch die Filiale in der George Street musste dichtgemacht werden. Desweiteren eine zweite Buchhandlung in der Straße. Kein Wunder, wenn träge Kunden alles übers Internet bestellten! So praktisch er das Medium für vergriffene Bücher fand, würde er niemals ein neues Werk darüber beziehen. Als er beim Scott Monument ankam, atmete er bereits stakkatohaft und stieg in den nächsten Bus, um ihn dann vor der West-End-Filiale von Waterstones zu verlassen. Ein Kassierer, der ihn bemerkte, grüßte respektvoll. Bislang hatte er aus jedem seiner neuen Bücher gelesen. So etwas merkten sich Buchhändler und schätzen es, wenn ein bekannter Autor keine Allüren hatte. Er nahm den Lift ins oberste Stockwerk, wo die Kochbücher feilgeboten wurden. Seine letzte Arbeit, »Currys für Connaisseure«, stand im Regal und war mehrfach auf einem der Tische ausgelegt. Zum zweiten Mal an diesem Tag hatte MacDonald das Gefühl, beobachtet zu werden.
Als Alberto den Frühstücksraum seines Guest Houses mit einer zweiten Kanne Tee betrat, hoffte er, schleunigst aus dem Alptraum zu erwachen. Die vier Chinesen, älteres und jüngeres Ehepaar – so wie seinerzeit bei den japanischen Gästen! Böses Omen! – packten die Bestandteile seiner professionell gekochten Full Breakfast zwischen Toastscheiben! Porca miseria! Waren die von allen guten Geistern verlassen? »Darf ich fragen, was Sie da machen?«
»Gutes Frühstück, Mister Vitiello«, antwortete der Sippenvorstand. »Sehr gut.«
»Si, das weiß ich! Nun?«
»In China machen wir gerne, wie sagt man …« Seine Frau flüsterte ihm diskret ins Ohr. »Experimente.«
Am liebsten hätte Alberto gesagt, dass sie sich nicht in Asien, sondern in Edinburgh, Scotland, befanden. Doch im Zeitalter extremer politischer Korrektheit und auch weil Maria ihn wegen seines Umgangs mit Gästen rügte, nickte er nur düster.
»Wir wollen finden, wie ein Full-Breakfast-Sandwich schmeckt.«
Alberto bemerkte eine farbige Substanz in einem der Brote. »Haben Sie etwa auch Marmelade reingeschmiert?«
»Alles, natürlich. So will es Experiment.«
Warum nicht noch eine Serviette zur Krönung! Gut durchgekaut, sollte das unproblematisch sein! Vitiello stellte die Teekanne auf den Tisch und ging in die Küche, wo Maria gerade sehr laut Teller in die Spülmaschine räumte. Er vermied es, ihr in die Augen zu sehen, um so mit etwas Glück das drohende Gespräch zu vermeiden.
»Hast du dich mit unseren neuen Gästen auch schon angelegt?«
»Besucher haben Rechte und Pflichten.«
»Was bedeutet, dass sie deiner strengen Regimentordnung folgen müssen. Warum bringst du deine Gebote nicht an zentralen Plätzen des Hauses an?«
Alberto setzte sich, was bedeutete, dass er interessiert war.
»Denk nicht darüber nach. Ich habe nur Spaß gemacht.«
»So schlecht ist deine Idee …«
»Alberto!«
»Überleg doch mal. Wenn alle die Regeln kennen und sich daran …«
»Basta cosi!«
Selten wurde seine Frau so wütend. Es war besser, den Rückzug anzutreten. »Ich schau mal, ob die Gäste noch etwas brauchen.«
»Ottima idea! Tolle Idee!«
Alberto klatschte in die Hände, als es an der Haustür klingelte. »Ciao, Angus, wie schön, dich zu sehen.«
»Oh, vielen Dank.« MacDonald hatte damit gerechnet, dass sein Freund auf die geschäftige Frühstückszeit verwies und war deshalb hocherfreut über die nette Begrüßung. »Ich schlief wieder sehr unruhig und …«
Alberto hob den Zeigefinger vor den geschlossenen Mund. »Lass uns nach oben gehen. Zimmer eins ist frei.«
»Sind noch Gäste im Frühstücksraum?«
»Die Chinesen!«
»Müssen wir unbedingt die Treppe hoch?«
»Si! Es sei denn, der Raum kommt zu uns geflogen!«
»Dicke Luft in der Küche?«
»Kann man wohl sagen. Hast du deine Ärztin angerufen, Angus?«
»Leider habe ich Sie, äh, noch nicht erreicht. Ich würde gerne über den Fall mit dir sprechen. Bei Imperial Whiskys bin ich nicht weitergekommen und schätze, morgen wird die Tür wieder verschlossen werden, sowie ich mich nähere. In der Balmoral-Whisky-Bar konnte ich auch nichts Sachdienliches ermitteln. Rufst du den Indianer an?«
»Hat das nicht Zeit, bis er die Arbeit in deinem Haus beginnt?«
»Ich fürchte nein, denn es ist die einzige Spur, die wir haben.«
Alberto grinste, verließ das Zimmer und kehrte erst nach fünf Minuten zurück. »Alles klar. Wir sehen ihn heute Abend um sieben Uhr in der Bow Bar.«
»Können wir uns nicht woanders treffen? Ich bin dort bekannt und möchte meinen schönen Pub nicht in Verruf bringen.«
»Genug, ich werde MacCracken nicht noch einmal anrufen.«
»Wird er gefedert erscheinen?«
»Non so. Weiß ich nicht!«
Wer Campbeltown-Whiskys im Sortiment hatte, so wie die Bow Bar, besaß MacDonalds Sympathie. Von einst stolzen 21 Brennereien im Jahr 1885 (1794 waren es sogar 34 gewesen) existierten nur noch drei: Springbank, Glen Scotia und Glengyle. Er war etwas früher erschienen, um einen Tisch zu besetzen. Keinesfalls wollte er mit MacCracken am Tresen stehen. Ein zehnjähriger Springbank würde ihn aufheitern. Sämtliche Produktionsschritte fanden in der Destillerie statt. Außer Springbank stellte man noch Longrow und Hazelburn Scotch her. Die Whiskys wurden keiner Kühlfilterung unterzogen. Er führte das Gläschen zur Nase. Die Marketingmenschen von Springbank verglichen den Geruch mit einem Obstgarten. Wem das zu allgemein war, der durfte mit der in Klammern aufgeführten Birne glücklich werden! MacDonald roch Eiche, Torf und eine exotische Frucht. Der Geschmack war salzig und pfeffrig, leicht getorft, mit einem würzigen Ende. MacCracken kam laut tönend herein, einen Kumpel, ohne Irokesenbürste, aber mit knallgelben Haaren, im Gefolge. Der Klempner blieb dicht hinter der Tür stehen und betrachtete aufmerksam alle vier Wände. Vorsichtsmaßnahme oder suchte er instinktiv nach einem lukrativen Wasserschaden? Er nickte seinem Begleiter zu und ging, das sah MacDonald erst jetzt, auf riesigen, breiten Füßen zur Theke. Im Ernstfall würde er keine Schneeschuhe benötigen! Die beiden Männer gaben ihre Bestellung auf. Mit vier Pints (!) kamen sie an seinen Tisch und setzten sich, ohne ein Wort zu verlieren.