Wissensbasierte
Prozesse lassen sich mit den bekannten
Methoden des Prozessmanagements gestalten, sind leicht zu verbreiten, unabhängig vom Talent der Mitarbeiter und unempfindlich gegen
Seitenwind. Wegen dieser Robustheit waren sie erfolgreich und gelten in der konventionellen Managementlehre bis heute als Maßstab professioneller Betriebsführung.
Doch die Zeiten, in denen es vor allem auf Wissen ankam, sind vorbei. Die hohe
Marktdynamik des
globalisierten Wettbewerbs erzeugt viel mehr
Innovationen als früher. Innovationen sind historisch neu. Darüber kann es noch kein Wissen geben. Sonst wäre es keine Innovation. Deshalb kann man einer fremden Innovation nur mit einer eigenen begegnen. Oder anders: Wenn unserem Konkurrenten etwas eingefallen ist, dann muss uns auch etwas einfallen.
Das geht nicht ohne Könner. Jeder kennt sie. Man fragt sie um Rat, wenn man nicht weiterkommt. Nehmen wir Emma. Sie ist begehrtes
Teammitglied bei schwierigen
Projekten im Ausland, obwohl sie nur hessisch spricht und auch ihr Fachwissen nicht das beste ist. Aber wenn Emma dabei ist, sind Mitarbeiter und
Kunden meist zufrieden. Das ist die Hauptsache. Wenn es mal brenzlig wird, mischt Emma sich ein: „Man muss mit den Leuten nur vernünftig reden“, sagt sie, und alle wundern sich, warum ausgerechnet sie das schafft.
6.5 Höchstleister als Vorbild
Bei Höchstleistern haben wir beobachtet, wie sie Können sichtbar machen und nutzen. Hier einige Denkanregungen:
Personalauswahl: Konventionell wird Personal ausgewählt, indem zwei formale Beschreibungen verglichen werden: das Anforderungsprofil einer Stelle und das Skill-Profil des Kandidaten. Das Problem: Beide beziehen sich nur auf Wissen. Vom Können des Bewerbers bemerkt man allenfalls die Fähigkeit, im Bewerbungsgespräch zu beeindrucken oder im Assessment-Center zu glänzen.
Höchstleister nutzen die Erkenntnis, dass sich Talente nur gegenseitig erkennen. Sie bringen einen ihrer Könner mit dem Bewerber zusammen und lassen sie an einem aktuellen
Problem arbeiten. Danach verlassen sie sich auf das Urteil ihres Könners. Die Personalabteilung stellt nur noch die passende Umgebung, aus der Bewertung hält sie sich raus. Problemlöserkarrieren: Viele
Höchstleister haben neben der üblichen Linienkarriere einen zweiten Karriereweg für Problemlöser. Sie bewegen sich von Problem zu Problem. Wichtig ist, dass Talent und Problem möglichst gut zusammenpassen. Der Karriereweg eines solchen Mitarbeiters ist eine Kette gelöster Probleme. Projektleiter sind typische Problemlöser in diesem Sinne. Personalentwicklung: Wir meinen damit die Entwicklung der
Kompetenz der Belegschaft. Für die Mehrung von Wissen gibt es genügend leistungsfähige Instrumente. Die Förderung von Können bleibt meist unterentwickelt, da die konventionelle Managementlehre nur Wissen kennt und meint, mit „ Wissensmanagement“ sei alles abgedeckt. Da Höchstleister zwischen Wissen und Können unterscheiden, können sie auch die Entwicklung von Können fördern. Naturgemäß gibt es dafür weder
Methoden noch Prozesse. Können wird gefördert, indem ein Meister einem vermuteten Talent ein Problem zeigt. Wenn Talent und Problem in Resonanz geraten, entsteht maximale Motivation und, wenn man Glück hat, auch Können. Zwei Werkzeuge dieser Talentförderung sind das sogenannte Meister-Schüler-Verhältnis und die Meisterloge.
6.6 Resümee
In der betrieblichen Praxis wird zwischen Wissen und Können meistens nicht unterschieden. Sämtliche Kompetenzen werden als Wissen bezeichnet. Wann immer ein Mitarbeiter einer Aufgabe nicht gewachsen ist, wird mangelndes Wissen unterstellt. Schulungen sollen die Lücken schließen. Wie oben ausgeführt, sind Schulungen nur zur Verbreitung von Wissen geeignet. Zur Förderung von Können sind sie bestenfalls nutzlos. Wahrscheinlich schaden sie, weil sie knappe Ressourcen vergeuden, Frustration erzeugen und das Denken in falschen Kategorien zementieren.
Höchstleister unterscheiden Wissen und Können und fördern auch das Können.
7 Blinde Kostensenkung verbessert nicht die Effizienz
Viele
Unternehmen meinen - immer wieder - unter zu hohen Kosten zu leiden. Immer wieder stellen sie fest, dass sie viel zu viele Mitarbeiter beschäftigen, viel zu viel Geld für ihre EDV ausgeben oder ganze Standorte nicht wirtschaftlich arbeiten. Dann ist es wieder höchste Zeit für ein Kostensenkungsprogramm. Dieses Vorgehen scheint ohne Alternative. Wenn die Gewinne zu gering sind und die Preise sich nicht erhöhen lassen, müssen die Kosten runter. Das ist doch völlig klar. Irritierend ist allein die Erfahrung, dass die pauschalen Kürzungen, die nun folgen, immer nur für kurze Zeit Entlastung schaffen. Spätestens nach einigen Jahren steht man wieder vor dem gleichen Problem.
Hier überlegen wir, warum.
7.1 Weniger Verschwendung statt weniger Kosten
Der
Controllingbegriff „Kosten“ verdeckt eine Unterscheidung: einerseits Kosten, die nichts zur Wertschöpfung beitragen, und andererseits Kosten, die die Wertschöpfung ermöglichen. Die ersten sind Verschwendung, die den Gewinn schmälern, die zweiten sind Investitionen, die Gewinn erst möglich machen. Kostensenkung hat nur Sinn, wenn sie sich auf die Verschwendung bezieht und Investitionen ungeschoren lässt. In
dynamischer Umgebung hat es zum Beispiel keinen Sinn, einen Prozess billiger zu machen, wenn dadurch die nächste Produktanpassung unmöglich wird. Eine Investition in flexible Alternativen brächte langfristig vielleicht mehr Gewinn als Kosten. In dynamischen
Märkten ist die Grenze zwischen Kosten und Investitionen ständig in Bewegung. Es ist schwierig, immer richtig zu unterscheiden. Wer es aber schafft, kann die fantasielosen Kostensenker schlagen. In dynamischer Umgebung sind konventionelle Kostensenkungsprogramme ein gefährlicher Blindflug. Oder ein anderes Bild: Um im Notfall schnell zu steigen, hat ein Heißluftballon Ballast an Bord. Wer aber nicht nur die Sandsäcke, sondern auch die Gasflaschen abwirft, kann zwar einen grandiosen Effekt erzielen, aber keinen Wettbewerb gewinnen. (Es sei denn, die anderen sind auch nicht klüger.)
7.2 Mehr Steuerung heißt weniger Durchblick
Die meisten Manager wissen schon, dass es keine Erleichterung bringt, die zentrale Steuerung (
Planung und Kontrolle) auszubauen. Doch solange die Alternative unbekannt ist, gilt das Motto: „Irgendwas muss man doch machen!“ Für die dynamischen Anteile des
Managements ist Steuerung aber grundsätzlich untauglich. Bei hoher Dynamik kann sich die Steuerung nur an sogenannten internen Referenzen orientieren - auch wenn sie mit hohem Aufwand „modernisiert“ ist. Das heißt, sie beschäftigt sich immer schneller und besser mit sich selbst. Die Welt draußen bleibt jenseits des Horizonts. Man sieht sie zwar, reagiert aber nicht darauf. Ein Bild: Einige Havarien in Kernkraftwerken sind entstanden, weil das Personal nur noch das Kontrollzentrum bedient hat und nicht mehr das Kraftwerk. Der Qualm wurde zwar bemerkt, er wurde aber ignoriert, weil die Instrumente nichts Ungewöhnliches angezeigt haben.
Um zu steuern, braucht man Messwerte. Wegen der gewachsenen Dynamik sind diese außerhalb des Unternehmens schwer zu beschaffen. Deshalb wird lieber intern gemessen. Die Begründung lautet meist, dass nur wichtig ist, was gemessen werden kann, über den Teich geschwappt als „What gets measured gets done“. Bei hoher Dynamik sind aber
Ideen das Wichtigste und die sind nicht messbar. Sie können nur von talentierten Könnern mit dem Risiko des Irrtums beurteilt werden. George Yau, ein begnadeter Controller der niederländischen Rabobank, hat den obigen Glaubenssatz abgewandelt zu: „What gets measured gets cheated upon.“ Dieser Aussage wird meistens zugestimmt. Wie sollte es auch anders sein: Wo Nichttriviales systematisch ausgeblendet werden muss, können talentierte Manager sinnvolle
Entscheidungen nur dadurch begründen, dass sie die Zahlenbasis so lange fälschen, bis die Schlussfolgerungen wieder zu ihrer komplexen Realität passen.
7.3 Resümee
Solange die Steuerung nicht durch eine dynamikrobuste
Kopplung von Zentrum und Peripherie1 ergänzt wird, entsteht immer wieder existenzgefährdende Verschwendung.Hilflos wird dann alles, was das Controlling Kosten nennt, gekürzt. Das führt oft zu gefährlicher Unterversorgung zukunftsträchtiger Bereiche, während anderswo die Verschwendung schnell wieder altes Niveau erreicht. Überlastete
Taylor-Unternehmen leisten sich einen unbewusst verschwenderischen Umgang mit knappen Ressourcen. Diese Verschwendung kann man auch als Reserve deuten. Höchstleister nutzen diese Reserve, indem sie Verschwendung systematisch aufspüren und unterbinden. Diese Optimierung der Wertschöpfung ist die intelligente Alternative zur üblichen Kostensenkung nach der „Rasenmähermethode“. Denn selbst wenn der Rasen so kurz ist, dass er nicht weiter gemäht werden kann, sind die Kosten immer noch um Größenordnungen höher als bei den Höchstleistern.
8 Der Erfolg macht gute Kultur - nicht umgekehrt
Die konventionelle Managementlehre sagt, dass die
Kultur eines Unternehmens zu den sogenannten Erfolgsfaktoren gehört. Für den Erfolg sei sie mindestens so wichtig, wie schlanke Prozesse, der sparsame Umgang mit knappen Ressourcen oder eine moderne EDV. Auch die Höchstleister scheinen dies zu bestätigen. Wer dort einen Besuch macht, spürt die besondere Kultur und zieht den Schluss: Eine gute Unternehmenskultur ist eine der Voraussetzungen für ihren Unternehmenserfolg. Das ist falsch. Hier erfahren sie, warum.
8.1 Was ist Kultur?
Kulturentwicklungsprojekte scheitern immer. Wer daher glaubt,
Kulturentwicklung sei unmöglich, der irrt und hat recht. Kulturentwicklung ist ein unlösbares Problem, weil es keines ist. Die Kultur ist nicht Ursache, sondern Folge der Verhältnisse im Unternehmen. Weil eine beeindruckende Kultur und Höchstleistung nur gemeinsam beobachtet werden kann, können Ursache und Wirkung leicht verwechselt werden. Kleinen Kindern kann man noch erzählen, der Wind komme von den Windrädern. Das ist aus den gleichen Gründen plausibel und genauso falsch.
Die Kultur einer Organisation ist wie ein Schatten. Sie folgt dem, was ist. Ändern sich die Verhältnisse, dann ändert sich die Kultur. Kultur stiftet die Identität sozialer
Systeme, ähnlich wie das Gedächtnis die Identität von Personen stiftet. Wie sonst könnten wir beim Aufstehen noch wissen, dass wir der sind, der sich gestern schlafen legte. Erfahrungen werden in Form von
Werten aufgehoben. Sie sind die Atome der Kultur und wirken als Kraftfelder für Verhalten. Das heißt: Sie legen bestimmtes Verhalten nicht fest, erleichtern oder erschweren es aber. Etwa so, wie eine Landschaft keine Wege vorschreibt, aber manche Wege leichter zu gehen sind als andere. In einem Trauerzug wirken andere Werte als für einen Zug im Karneval. Man kann Werte ignorieren und sich auf einer Beerdigung aufführen wie im Karneval. Das hat aber unangenehme Konsequenzen. Sind
Erfahrungen erst einmal in das kulturelle Gedächtnis aufgenommen, kann sich jeder auf ihr Wirken verlassen. Sie sind für alles Denken und Handeln als selbstverständlicher Kontext gegenwärtig - wie ein Gedächtnis eben. Ohne das Kulturgedächtnis wäre Kommunikation zu schwierig. Nichts wäre selbstverständlich. Über alles müsste immer wieder neu verhandelt werden. Kultur erleichtert die Kommunikation in Organisationen, indem sie Selbstverständlichkeiten zeigt und Verstöße sanktioniert. In diesem Sinne wirkt Kultur konservativ.
Andererseits gibt es im Zuständigkeitsbereich einer Kultur immer wieder Situationen, in denen die zuständigen Werte nicht passen oder sich gar widersprechen. Das ist gut so. Denn wären die Werte logisch konsistent, wäre irgendwann alles klar, alles wäre gesagt, Kommunikation nicht mehr nötig. Nur weil die Kultur so gebaut ist, dass sie nicht zur Ruhe kommen kann, ist sie noch da.
Weil die Kultur eben auch mit Unklarheit versorgt, provoziert sie Entwicklung. Immer wieder muss ausprobiert werden, ob und für welche Situation welcher Wert noch Geltung hat. Kultur ist eine unruhige Abbildung der Verhältnisse. Sie provoziert zum Bewahren und zum
Lernen. In diesem Sinne sorgt Kultur für Neugier und Innovation.
Weil die Kultur nur die bestehenden Verhältnisse abbildet, kann sich ein Unternehmen seine Kultur nicht aussuchen. Es muss mit der Kultur zurechtkommen, die es hat. Es ist sinnlos, von den Mitgliedern einer Organisation eine bestimmte Kultur zu fordern. Da sie ihre Kultur nicht „gemacht“ haben, können sie diese auch nicht ändern. Jeder ist beteiligt, aber keiner ist Autor der Kultur - so, wie auch keiner die Rushhour macht und doch alle gemeinsam im Stau stecken.
Kulturentwicklung als Erziehung von Menschen endet immer in einer
Havarie. Weil das Kulturproblem nicht aus der Dummheit oder dem bösen Willen einzelner Personen besteht, kann es durch Belehrung und Ermahnung nicht gelöst werden. Wer nun glaubt, sich mit einer unangenehmen Kultur auf immer abfinden zu müssen, liegt auch falsch. Kultur ist keineswegs starr. Sie ändert sich ständig. Wie jedes Gedächtnis nimmt sie alles auf, was geschieht. Was aber damit gemacht wird, was vergessen und was mit welcher Bedeutung erinnert wird, entscheidet sie selbst.
In diesem Sinne ist Kultur autonom.
8.2 Kultur zeigt das Dynamikproblem
Unternehmen, die in träger Marktumgebung erfolgreich waren, kennen nur die Kultur tayloristischer Wertschöpfung. Diese Kulturen stabilisieren Hierarchie, Disziplin, Ordnung und Gehorsam, weil ihre Träger über Generationen die Erfahrung gemacht haben, dass sie damit gut fahren. Diese Werte scheinen ohne Alternative zu sein; waren sie doch schon immer so - und: Wie sollte es denn anders gehen? Diese Haltung passt zur trägen Umgebung. Heute bewegen sich auch diese Unternehmen in dynamischer Umgebung. Wegen der geringen Lernfähigkeit ihrer Organisation können sie sich nur schwer an veränderte Bedingungen anpassen. Die Konkurrenzkraft schwindet. Es kommt zu einer permanenten Überlastung der
Organisation, ihrer Organe und Mitglieder - und damit zu einer weiteren Reduktion der Lernfähigkeit. Bleibt diese Situation länger bestehen, so „verblödet“ die Organisation schließlich. Die Kultur spiegelt diese Tragödie nur wider, sie ist nicht die Ursache.
8.3 Die zwei Aspekte der Unternehmenskultur
Verhaltenskultur der Vorderbühne
Den sichtbaren Teil einer Kultur nennen wir die
Vorderbühne. Sie besteht aus Geschäftsordnungen, aus Prozesshandbüchern, Protokollen, Zielvereinbarungen, Verträgen, Betriebsvereinbarungen und dem Verhalten der Mitarbeiter im Umgang mit diesen Dokumenten. Wir nennen diesen Kulturaspekt Verhaltenskultur. Hier kann man gestalten: Wenn’s in der Tiefgarage eng wird, gibt’s eine neue Parkplatzordnung. Tayloristische Organisation funktioniert schon, wenn
Regeln eingehalten werden. Deshalb besteht tayloristische Kultur fast nur aus der gestaltbaren Vorderbühne, aus dem sichtbaren Verhalten von Menschen. Werden die gesetzten Regeln eingehalten, ist die Kultur in Ordnung. Wenn nicht, muss sie „repariert“ werden. Steht genügend Macht zur Verfügung, so ist dies mit den drei Werkzeugen „Argument“, „Belohnung“ und „Strafe“ relativ leicht möglich.