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„Wieso das jetzt? Die Strecke wurde angeblich von euch abgeändert, so jedenfalls glaube ich Benno verstanden zu haben“, entgegnete Klaus irritiert.
„Immerhin erinnerst du dich, mit Benno gesprochen zu haben! Keiner hat die Strecke geändert!“, behauptete Paul wahrheitsgemäß, was Klaus erst recht verblüffte. Kurz tauschte er mit Petra einen Blick, dann suchte er sich nochmals zu erklären. „Es war Benno, der mir von einer Änderung erzählte.“
„Das ist seltsam. Von einer Streckenänderung war nie die Rede gewesen“, gab sich Paul überzeugt, dass Klaus etwas falsch verstanden haben musste. „Vielleicht klärst du das morgen früh noch mal vor der Abfahrt.“
„Na gut, ich spreche Benno darauf an. Als wir uns entschlossen haben, direkt in die Stadt weiterzufahren, haben wir die Hotelrezeption verständigt, mit der Bitte, euch sofort zu benachrichtigen. Nach der Stadtbesichtigung sind wir am Marktplatz auch noch eingekehrt. Das hat gedauert, weshalb wir leider erst verspätet ins Hotel zurückgekehrt sind.“
„Und mal zu überlegen, ob ihr uns nicht direkt informieren könntet, darauf seid ihr nicht gekommen. Ganz abgesehen davon, dass es dafür Handys gibt!“
„Paul, jetzt komm doch mal runter!“, suchte Klaus seinen Kollegen zu beruhigen, wobei er eine leicht spöttische Miene zeigte. „Es ist doch überhaupt nichts passiert. Wir sind doch keine kleinen Kinder, auf die man aufpassen muss, oder?“
Darauf konnte Paul nichts erwidern. Der Verdacht von Klaus, einfach nicht verstanden worden zu sein, wirkte ernüchternd. Er drehte sich abrupt um und lief stracks zur Treppe, er wollte nur noch in sein Zimmer.
„Wir hätten die tatsächlich nicht mitnehmen sollen!“, sagte er leise zu sich, als er schon oben war. Einer weiteren Radtour mit den Benders würde er in diesem Moment nicht noch einmal zustimmen, war er sich sicher.
Wie diese Auseinandersetzung bei Klaus gewirkt hatte, erfuhr Petra in ihrem Zimmer. Dort brach seine ganze Wut und Enttäuschung aus ihm heraus, auch weil sein Kollege ihm unterstellte, Benno nicht korrekt verstanden zu haben. Plötzlich redete er nur noch von falschen Freunden, über die er sich auf das Heftigste beklagte.
„Kann es sein, dass uns dieser Benno mit seiner Tusnelda tatsächlich verarschen wollte? Sieht ganz so aus, oder sehe ich deiner Meinung nach nur wieder eine Verschwörung?“
Diesmal legte er sich noch lange nicht ins Bett, sprang immer wieder von der Bettkante auf und lief im Zimmer umher. Was Benno Klaus erklärt hatte, wusste Petra nicht, aber auch sie wollte inzwischen nicht ausschließen, von dem und Rosa gezielt gemobbt zu werden.
Jetzt versuchte sie mit aller Kraft, ihren Mann ins Bett zu ziehen, um ihn ganz fest an sich drücken zu können.
Das war gar nicht so einfach. Der kämpfte immer noch mit seiner Wut und damit auch gegen alle Beschwichtigungsversuche seiner Frau. Pauls belehrender Ton hatte ihn zusätzlich aufgebracht. Und so konnte er kaum einschlafen. Er richtete sich erneut im Bett auf, und dann passierte mit ihm etwas, was Petra schon lange nicht mehr erlebt hatte. Sie spürte das Zittern, das seinen gesamten Oberkörper packte, und die Tropfen, die ihre Arme benetzten.
„Es macht doch überhaupt keinen Spaß, wenn wir in diesem Klima nebeneinander radeln. Und selbst wenn wir uns genau an deren Fahrrhythmus anpassen, wird das kaum helfen“, wehrte er sich gegen ihre Umarmung. „Jetzt steht nicht mal Paul auf unserer Seite.“
Petra wollte dem nicht widersprechen, sie ahnte, dass sie bei Klaus nichts erreichen würde. Dennoch hoffte sie, dass die beiden letzten Etappen noch eine Wende bringen könnten.
***
Am Morgen beim Frühstück kam Benno mit einem Vorschlag, wobei es ihn nicht störte, dass die Benders noch nicht erschienen waren.
„Gestern Abend haben wir im kleinen Kreis diskutiert, ob wir Klaus und Petra nicht vorschlagen sollten, dass die unabhängig von uns die Tour zu Ende fahren sollten. Zwischenziele könnten wir gemeinsame abstimmen, wo wir uns dann treffen. Morgens und abends im Hotel sehen wir uns ohnehin.“
Das war umständlich formuliert der Wunsch, ohne Klaus und Petra weiterfahren zu wollen. Zumindest Paul verstand das so und brauchte kaum Zeit zum Nachdenken, um darauf zu antworten. Bennos Idee, sich nur im Hotel zu treffen, aber tagsüber getrennt zu fahren, hielt er für absurd. Es widersprach seiner Vorstellung vom Umgang in der Gruppe. „Wer ist denn wir?“, fragte er ungewöhnlich scharf.
„Na ja, Rosa, Beatrix, Lars und ich halt“, klang Benno schon etwas verunsichert. Er nickte den Genannten zu, hoffte aber vergeblich bei denen auf ein sicht- oder hörbares Signal der Unterstützung.
„Habt ihr auch darüber diskutiert, wie das funktionieren soll? Im Hotel treffen wir uns, und tagsüber gehen wir uns aus dem Weg. Wie soll das funktionieren?“, hakte Paul unerbittlich nach.
„Das ist nun wirklich kein großes Problem. Im Hotel sind wir sowieso zusammen. Und auf der Tour können die ihr Tempo fahren, wie sie wollen!“, mischte sich Rosa aggressiv ein. „Darum geht es doch gar nicht. Die passen einfach nicht zu uns, oder?“
„Nein, Rosa, vielleicht ist es genau andersherum“, erwiderte Paul. „Aber bei mir kommt nur an, dass ihr die Benders künftig ausschließen wollt.“
Er schaute in die Runde, in der alle jetzt betreten schwiegen.
„Leute, wir sind doch als eine Gruppe gestartet, wer ist denn dafür, ganz direkt gefragt, dass Petra und Klaus die letzten Etappen allein fahren müssen?“
Die Stille blieb, und Paul meinte deutlich zu spüren, dass er nicht alle Freunde auf seiner Seite hatte. Die Benders schienen weit weniger akzeptiert zu sein, als er angenommen hatte, was jetzt nochmals Beatrix betonte.
„Das passt einfach nicht richtig, mit denen zusammenzufahren. Keine Etappe bisher, wo es nicht irgendein Problem gab.“
„Und wie der sich immer aufbläst mit seiner tollen Norwegen-Radtour …“, maulte Rosa.
„Was ist jetzt?“, fragte Paul ungeduldig die Runde und schien Rosas Bemerkung gar nicht zu beachten. Jeden Moment könnten die Benders erscheinen, und die Situation wäre noch peinlicher, als sie ohnehin für Paul schon war. „Wenn die künftig allein fahren sollen, dann muss das jemand von uns denen auch beibiegen. Und der werde nicht ich sein!“
Wahrscheinlich hatten genau das alle von Paul erwartet, denn keiner wagte, sich zu melden.
Dass jetzt Klaus und Petra erschienen, beendete zwar ihre Diskussion, nicht aber den offenen Dissens zwischen den Freunden. Nur wagte keiner in der Runde im Beisein der Benders, das Thema fortzusetzen. Stattdessen verschwand jetzt einer nach dem anderen in sein Zimmer, um sich für die weitere Fahrt vorzubereiten.
„Haben wir euch gerade gestört?“, frage Petra Paul misstrauisch, die sich über die Stille am Tisch bei ihrem Eintreten gewundert hatte.
„Ach was! Alles bestens!“, erwiderte Paul wahrheitswidrig und suchte ebenfalls schleunigst in sein Zimmer zu kommen.
Wenn die Benders etwas bemerkt hatten, so ließen sie es sich bei der Vorbereitung für die Etappe nicht anmerken.
Als Klaus Benno zu der Konfusion vom Vortag befragte, zeigte der sich ahnungslos. „Was meinst du, von einer Streckenänderung habe ich nicht geredet. Da hast du etwas falsch verstanden.“ Damit drehte sich Benno abrupt ab, sprang auf sein Rad und fuhr los. Die anderen Freunde nahmen das als Startsignal und folgten dessen Beispiel.
Klaus und Petra fuhren mittendrin und suchten sich an den Gesprächen zu beteiligen, was allerdings nur zäh gelingen wollte. Wenn jemand auf ihre Beiträge einging, dann hörte sich das eher desinteressiert an, gelegentlich warteten sie sogar vergeblich auf eine Reaktion. Oft liefen die Gespräche an ihnen vorbei.
„Ich glaube, dass dir das Radfahren nichts ausmacht, so wie du drauf bist!“, sagte Klaus zur neben ihm fahrenden Beatrix, was er sofort bereute, weil er solche flachen Sprüche selbst nicht mochte. Sie empfand seine Worte wohl ähnlich, was sie prompt erkennen ließ. „Was soll das jetzt heißen?“, antwortete sie unwillig, als vermutete sie hinter seiner Rede eine Art Anmache.
„Sollte nur ein Kompliment von mir sein, Beatrix“, versuchte er sofort abzuwiegeln.
„Merkwürdiges Kompliment! Siehst du unter uns jemanden, der nicht gut drauf ist?“, erklärte sie kopfschüttelnd.
„Es sollte wirklich nur ein Kompliment sein, ich wollte weder dir noch den anderen zu nahe treten. War wohl nichts“, resignierte Klaus. Klar war, dass er wieder einmal den falschen Ton getroffen hatte. „Aber mich interessierte, wie ihr euch auf so eine Radtour vorbereitet. Mit Petra haben wir extra noch an einem Spinning-Kurs …“
„Oh Gott!“, unterbrach sie ihn jetzt genervt. „Davon hattest du uns schon sehr ausführlich erzählt, Klaus, gibt’s noch andere sportliche Großtaten, die wir noch nicht kennen?“
Da war er wieder, der abschätzige und unwillige Ton, den er so verabscheute. Er hätte besser das Gespräch von sich aus beenden sollen. Nur: So souverän war er zumindest jetzt nicht, er versuchte prompt, ihre Unhöflichkeit zu kontern.
„Im Moment fällt mir nichts ein. Ich will dich auch nicht mit meinem lockeren Plaudern überfordern. Muss ja nicht verstehen, was dich gerade verärgert und dich so unhöflich reagieren lässt. Irgendein Problem mit dir, von dem ich besser wissen sollte?“
Sympathiepunkte brachte ihm das bei Beatrix sicher nicht. Sie ließ jetzt unverhohlen ihre Antipathie hervorblitzen. „Weißt du, nicht nur ich halte dich für ziemlich aufgeblasen, wenn du nach meiner Meinung fragen solltest …!“
Das reichte Klaus, er scherte abrupt mit seinem Rad so weit aus, dass er mit angezogenem Tempo an den vor ihm radelnden Mitfahrern vorbeiziehen konnte.
Am liebsten hätte er jetzt sofort das Rad zur Seite geworfen und die gemeinsame Radtour beendet. Seine Hände umklammerten so fest die Lenkergriffe, dass sich die Handknöchel deutlich zeigten. Wie sehr ihn inzwischen solche Wortwechsel forderten, merkte er an seinem gefühlt verstärkten Puls, an der Hitze im ganzen Körper, die ihm den Schweiß ins Gesicht trieb. Schnell bildeten sich auf der Haut Schweißperlen, die von seinem Hemd aber aufgesogen wurden.
Er sah sich gedemütigt, meinte, in der Gruppe als Blender zu gelten, den sie nicht ernst nahmen. Und das erfuhr er vor allem durch zwei Frauen, die sich hinreichend in der Gruppe geschützt wähnten, um ihm solche groben Unhöflichkeiten zu servieren. Er vermutete, dass alle anderen deren Haltung teilten.
Schon fast wieder an der Spitze, bremste er nochmals sein Rad ab und ließ sich zurückfallen, bis ihn Petra eingeholt hatte. Die hätte ihm ebenfalls von einer frustrierenden Unterhaltung erzählen können, bei ihr mit dem Ehepaar Inge und Andy Schubert. Sie hatte es sogar aufgegeben, mit denen weiterzureden.
„Was ist?“, wollte die von ihm wissen, worauf er nur den Kopf schüttelte. Dann erst erzählte er, was er mit Beatrix erlebt hatte.
„So macht’s für uns keinen Spaß! Wir sollten lieber allein weiterfahren“, sagte Petra endlich leise zu ihrem Mann, der immer noch mit seiner Empörung kämpfte. „Hörst du, ich habe keine Lust mehr, mit denen zusammenzufahren. Sollen wir nicht besser nach dieser Etappe von uns aus die Tour abbrechen?“
„Die sind wahrscheinlich nicht nur sauer wegen gestern Abend, die haben wohl grundsätzlich etwas dagegen, dass wir hier mitradeln“, erwiderte Klaus endlich, ohne auf ihren Vorschlag einzugehen. „Warte erst mal ab! Wir können im Moment ohnehin nichts ändern. Vielleicht fällt uns noch was ein!“
Es arbeitete in seinem Kopf, dass sie beide nichts hatten, womit sie sich gegen dieses Mobbing von einigen Teilnehmern zur Wehr setzen könnten, das frustrierte ihn. Wie bei heftigem Stress fühlte er einen dumpfen Druck in der Magengegend, gegen den er hilflos war. Nicht einmal die Tour abbrechen bot einen Ausweg. Das Gefühl, schmerzhaft mit einem Poller zusammengeprallt zu sein, vermochte auch seine Frau nicht zu verändern. Eine Niederlage war es für ihn, was sonst?
So gestimmt, beschleunigte er wieder seine Fahrt, indem er sich sogar aus dem Sattel stemmte, um kräftiger in die Pedale zu treten. Was er vorhatte, erschloss sich Petra nicht. Sie sah nur, dass er sich an die Spitze setzte und davor kurz mit Paul redete. Und wenig später geriet er aus ihrem Blickfeld, weil er rasch hinter einer Wegbiegung verschwand. Irgendeiner in der Gruppe, der das beobachtet hatte, klatschte sogar dazu Beifall.
Schon wenige Augenblicke später entschieden sich die Freunde für eine Pause und suchten einen Rastplatz. Keine fünfhundert Meter weiter an einer freien Fläche am Ufer mit einem Tisch und Bänken hielten sie an.
„Was hat dir Klaus gesagt?“, fragte Petra Paul. „Er wollte vorausfahren, weil er im nächsten Ort seine Schaltung überprüfen lassen will. Das passt ja gut, weil wir gerade eine Pause machen wollen“, erklärte er ihr lapidar. „Den holen wir dann dort wieder ein.“
Petra war verwundert, denn von einem Problem an seinem Rad hatte ihr Klaus nichts gesagt. Und die Strecke bis zum nächsten Ort schätzte sie recht lang ein, weshalb ihr seine Idee, vorauszufahren, wenig einleuchtend erschien.
***
Klaus hatte mit Paul kurz darüber gesprochen, warum er vorausfahren wollte. Aber es gab sicher kein Problem mit seiner Fahrradschaltung. In der kleinen Stadt lag das Fahrradgeschäft direkt an ihrer Strecke, an dem er aber vorbeifuhr.
Ihn drängte es, einen möglichst großen Abstand zur Gruppe zu gewinnen, mit denen nicht sprechen und die nicht ständig sehen zu müssen. Mit zunehmender Distanz fühlte er sich befreiter, der Druck in seiner Magengegend verschwand und statt weiter im Kreisdenken zu verharren, richteten sich seine Überlegungen mehr darauf, wie er die Fahrradtour ohne Peinlichkeit oder gar Streit beenden könnte. Die Diskussion beim Frühstück kannte er nicht, und sein Gefühl schwankte hin und her. Mal sorgte er sich, dass die Gruppe ihnen den vorzeitigen Abbruch verübeln könnte, dann aber meldete sich sein Mobbing-Verdacht, der sich bei ihm durch die Vorfälle in den vergangenen Tagen verstärkt hatte.
Er hielt ein unstetes Tempo. Hatte er gerade wie wild in die Pedalen getreten, bis ihm die Beine schmerzten, so bummelte er gleich darauf, dass er drohte umzukippen. Und dann schrie er auf, was für idiotische Mitfahrer er hätte und wie er sich nur auf diese Tour hatte einlassen können.
Dass er so emotionsgeladen kaum rational agieren könnte, nahm er gar nicht wahr. Die Aussicht auf das schnelle Ende der Tour hatte für ihn nicht nur etwas Befreiendes, es verteilte auch die Schuld an dieser missglückten Unternehmung völlig anders. Es weckte bei ihm den Wunsch, die Gruppe das vermeintliche Scheitern spüren zu lassen. Das war möglicherweise entscheidend für das, was ihn kurz darauf an Bösartigkeit einfiel.
Er folgte am Ende der Ortschaft einem gut befahrbaren Radweg, bis eine Absperrung ihn unvermittelt daran hinderte weiterzufahren. Ein an einem Holzgestell befestigtes Hinweisschild wies Radfahrer an, nach links in einen schmalen Feldweg einzubiegen. Er stieg vom Rad und überlegte – nicht über die Bedeutung des Schildes, die war ihm klar. Prüfend hob er das Absperrgestell an einem Ende etwas an. Mühelos konnte er es anheben, und da es klappbar war, würde er es problemlos versetzen können. Warum die Straße für Radfahrer gesperrt worden war, konnte er nicht erkennen, sein Navi wollte ihn an dieser Stelle weiter geradeaus fahren lassen.
Eine Idee setzte sich bei ihm fest, er könnte mit dieser Umleitung der Gruppe eins auswischen. Es war schlicht ein Rachegedanke, der ihn antrieb. Er wollte das Holzgestell genau vor dem Feldweg aufstellen. Ob diese plumpe Irreführung funktionieren würde – da war er nicht sicher. Auf einmal hatte er es eilig, beeilte sich sogar, um die Absperrung an ihren neuen Platz zu transportieren.
Wie sehr die Aktion von Rache getragen wurde, spürte er nach wenigen hundert Metern. Er hielt nochmals kurz an, schaute sich um und musste lachen. „Das habt ihr euch verdient!“, rief er laut, weil ihn niemand hören würde.
Jetzt fiel ihm ein, dass seine Frau ebenfalls betroffen sein würde. Er zögerte, ob er wirklich so eine Bösartigkeit begehen oder nicht besser alles zurückdrehen sollte.
Vielleicht sorgte er sich, von den anderen bei seiner Manipulation erwischt zu werden, von denen er annahm, dass die bald zu ihm aufschließen könnten. Jedenfalls fuhr er doch weiter, erst langsam, aber dann immer entschlossener.
Er hatte sich überhaupt nicht damit aufgehalten, im Navi zu prüfen, was die Fahrt über die Straße für die Gruppe bedeuten könnte. Ob dieser Umweg beträchtlich war oder es später noch eine alternative Abkürzung geben würde, das hatte ihn nicht gekümmert. Der Feldweg, den er jetzt fuhr, war nicht nur der kürzeste, sondern der vom Tourenveranstalter vorgeschlagene Radweg zu ihrem Zielort. Das hatte er nicht bedacht oder überprüft.
Was Klaus ebenfalls nicht wissen konnte, war, dass diese Straße noch eine unangenehme Überraschung für die Gruppe enthielt.
Das alles belastete ihn im Moment wenig. Der große Ärger war inzwischen zwar abgeklungen, aber die Abneigung gegen einige Mitradler hielt sich bei ihm. Das begrenzte auch sein schlechtes Gewissen. Nur der Gedanke an Petra bekümmerte ihn, der er eine längere Tour gern erspart hätte. Die müsste diese Strecke bewältigen, obwohl es sie konditionell an ihre Grenzen bringen könnte. Für die Batterien der E-Bikes, mit denen einige Kameraden unterwegs waren, sah er keine Probleme.
„Mal sehen, wann sie dann heute am Ziel ankommen!“, rief er laut, und der Gedanke an die Radfahrkollegen, die nichts ahnend irregeleitet würden und lange strampeln müssten, gefiel ihm mehr und mehr. Das wurde auch nicht dadurch getrübt, dass er Regenwolken aufziehen sah. Es würde am Abend regnen, und sicher würde die Gruppe davon nicht verschont bleiben.
„Wenn es heftiger regnen sollte, müssen sie sich notfalls irgendwo unterstellen“, sagte er im sicheren Gefühl, davon nicht betroffen zu sein.
Der Himmel verlor mehr und mehr sein Blau, die untergehende Sonne steckte hinter dicken Wolken verborgen, es wurde dunkler. Der Wind frischte in Böen so merklich auf, dass er kräftig dagegenhalten musste. Rechts und links von ihm erstreckten sich offene Felder, was ihn ungeschützt dem Wind aussetzte.
„Hoffentlich bereue ich meinen Einfall heute Abend nicht, lange nachgedacht habe ich nicht!“
***
In der kleinen Stadt wunderten sich alle, dass Klaus nicht zu finden war. Sie hielten am Fahrradgeschäft und erfuhren dort nur, dass niemand sich im Geschäft gemeldet hätte.
„Dann hat er sein Problem anders lösen können“, bemerkte einer aus der Gruppe. „Aber typisch, dass Klaus ohne zu halten gleich weitergefahren ist.“
„Wir sollten auch weiterfahren“, drängte Paul, der die entfernt aufziehenden Wolken sah und sicher mit baldigem Regen rechnete. „Wenn wir nicht nass werden wollen, dann sollten wir jetzt zügiger fahren. Wahrscheinlich schaffen wir das noch rechtzeitig, bevor es zu regnen beginnt. Wir haben ja bereits zwei Drittel der Strecke zurückgelegt, und gleich werden wir von der Straße in einen Feldweg abbiegen müssen. Wenn wir uns beeilen, dann sollten wir es trocken ins Hotel schaffen.“
Das Hinweisschild für Autos am Ortseingang hatte keiner von ihnen beachtet. Das wies auf eine spätere Sperrung der Landstraße hin und verwies auf eine Umleitung für Kraftfahrzeuge. Abgelenkt durch Gespräche und in der Annahme, dass Radfahrer nicht betroffen sein würden, hatten sie diese Hinweise schlicht ignoriert. Der geringe Autoverkehr hätte ihnen am Ortsausgang auffallen können, sie beachteten es aber nicht.
Bei der Abzweigung in den Feldweg hielten sie an. Ihnen war unklar, ob sie der Straße weiter folgen oder in den Schotterweg abbiegen sollten, vor dem jetzt das Holzgestell mit dem Hinweisschild stand, das Klaus dort hingestellt hatte. Eine längere Diskussion entbrannte vor allem zwischen denen, die solche Schilder gern mal ignorierten und denen, die die normalerweise respektierten. Einige Freunde erinnerten sich jetzt an den Warnhinweis im Ort, nur meinten sie, dass der sich ausschließlich an Kraftfahrzeuge gerichtet hätte. Leider boten ihre Navigationssysteme auch keine Alternativen an. Die und auch die Routenbeschreibung des Veranstalters empfahlen übereinstimmend, in den Feldweg einzubiegen. Klaus’ Manipulation verursachte eine ziemliche Ratlosigkeit, was die nicht enden wollende Diskussion zeigte. Unklar blieb, ob sie später noch eine weitere Abzweigung finden würden.
„Wenn wir der Straße folgen, dann werden wir deutlich länger bis zum Hotel brauchen“, behauptete Lars, der intensiv sein Navigationssystem studierte.
„Aber wenn der Feldweg gesperrt ist, dann bleibt uns doch gar keine andere Wahl. Umsonst haben die doch diese Absperrung nicht aufgebaut“, widersprach ihm Benno.
„Er hat recht!“, pflichtete Beatrix ihm bei, was erstaunlich war, da sie weder über ein Navigationssystem verfügte noch sich die Mühe machte, die Touren-Unterlage zu studieren. „Also ich fahre nicht auf einem Weg weiter, der gesperrt ist.“
„Was machen wir?“, fragte Paul in die Runde, weil er diesmal nicht allein entscheiden wollte.
Eine Weile zögerten diejenigen, die eher auf dem Feldweg trotz Absperrung hätten fahren wollen, knickten aber dann ein.
„Also los, folgen wir der Straße“, gab sich Lars widerstrebend zufrieden. Der hatte sich vor allem über Beatrix’ leichtfertige Unterstützung für Benno geärgert. „Hoffentlich stoßen wir noch auf eine andere Abzweigung!“
„Auf der Straße kommen wir zumindest zügiger voran als auf diesem Schotterweg“, bemerkte Benno und fuhr los.
„Allerdings wissen wir nicht, was das für unsere Fahrstrecke bedeutet, die wird möglicherweise deutlich länger sein“, sorgte sich Paul in Gedanken.
Wenig später saßen sie alle wieder im Sattel und versuchten in Erwartung des Regens, das Tempo zu steigern.
Inzwischen kämpften sie auch gegen einen schärferen Wind an. Angenehm war nur, dass auf dieser Straße überhaupt kein Autoverkehr herrschte. So konnten sie zumindest nebeneinander fahren. Der Regen hatte sie noch nicht erreicht.
Und dann bemerkten es die Voranfahrenden zuerst. Es gab Schilder, nur konnten sie auf die Entfernung kaum erkennen, was die ankündigten. Und fast im selben Moment fielen schon die ersten Tropfen, verstärkten sich sehr schnell zu einem veritablen Regenguss. Nirgendwo sahen sie eine Möglichkeit, sich unterzustellen. Es war bereits dunkel geworden, und sie waren spät dran.
Aber nicht der Regen war ihr primäres Problem, direkt vor ihnen überquerte die Straße einen Zufluss des Neckars. Die Brücke war offensichtlich in der Mitte eingebrochen, eine Überquerung gab es nicht. Dabei war es nicht einmal ein breiter Fluss, sondern nur ein Bach, der in ihren Navigationssystemen gar nicht aufgeführt wurde. Jetzt verwehrte er ihnen aber die Weiterfahrt. Niemand hatte die leiseste Idee, wie sie diesen Wasserlauf trockenen Fußes überqueren könnten.
Einer ihrer Kameraden schlug vor, etwas abseits der eingestürzten Brücke den Bach zu durchwaten, was bei den Frauen sofort auf Ablehnung stieß. „Bestimmt gehe ich da nicht rein, schon gar nicht mit dem Fahrrad! Der Bach könnte ziemlich tief sein, und wenn wir ausrutschen …“
Dieser Einwand klärte sofort jede weitere Diskussion in dieser Richtung, und gleich darauf kam der Vorschlag, dem Wasserlauf entlang zu folgen, um nach einer anderen Überquerungsmöglichkeit zu suchen. „Vielleicht finden wir doch noch einen Steg“, warf Lars ein.
Unschlüssig verharrten sie vor der Brückenabsperrung. Die Erfolgsaussicht von Lars Vorschlag erschien ihnen aber zu vage. Und jetzt nahm der Regen an Stärke zu, die Suche nach einer passenden Möglichkeit, sich unterzustellen, wurde dringlicher.
Das unangenehme Gefühl, vom Regen kräftig durchnässt zu werden, überdeckte ihren Ärger über ihre Entscheidung, der Straße gefolgt zu sein. Noch erhob keiner einen Vorwurf an die, die für die Landstraße plädiert hatten.
„Wir können doch nicht mit unseren Rädern am Bach entlang nach einer Überquerung suchen“, meinte Paul, der sofort eingesehen hatte, dass sie zurückfahren müssten. „Wir müssen zurück, um dann doch über diesen Feldweg zu fahren.“
„Das kostet uns fast eine weitere Stunde“, entrüstete sich Beatrix, die zwar auch keine Alternative sah, aber in diesem Moment richtig wütend wurde über die Aussicht, umdrehen zu müssen. Und jetzt richtete sich ihre Enttäuschung doch auf ihren Mann, dem sie fälschlicherweise die Schuld an ihrer Entscheidung zuschob. „Das hast du uns eingebrockt!“