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NICHTE. Bedenken Sie –
MARQUIS. Ich weiß nicht, wie ich dein Betragen erklären soll. Wär es möglich, daß man mir schon dein Herz entwendet hätte? – Nein, es ist nicht möglich! Du bist verlegen, aber nicht verändert. Laß dich nicht etwa den anscheinenden Reichtum des Domherrn blenden; wir sind jetzt reicher als er, der in kurzem sich in der größten Verlegenheit sehen wird. Ich habe alles genau berechnet. Du magst heute nacht die Person der Prinzessin noch vorstellen. – Es ist die Absicht meiner Frau, daß ich euch hinausbegleiten und dann gleich weiterfahren soll. Ich nehme deswegen einen besondern Wagen. Ist die Szene vorbei, so erkläre ich der Marquise kurz und gut, daß du mich begleitest. Du magst ein wenig widerstehen, ich führe dich mit Gewalt weg. Lärm darf sie nicht machen, aus Furcht, daß alles verraten wird. – Du hörst nicht zu; was ist dir?
NICHTE. Verzeihen Sie mir – dieser Vorschlag – Ich bin verwirrt – ich verstumme! Bedenken Sie, in welcher Lage wir die Tante zurücklassen!
MARQUIS. Sie wird sich schon helfen, sie ist klug genug. Sie hat diese Sache so weit gebracht, und wir verderben ihr nichts an ihrem Plan. Genug, ich will, ich kann dich nicht entbehren, und wenn du je an meiner Liebe zweifeltest, so siehst du nun, wie heftig sie ist. Ich werde dich nicht hier lassen, so vielen Nachstellungen, so vielen Gefahren ausgesetzt; nicht acht Tage, so hab ich dich verloren. Die unsinnige Leidenschaft des Domherrn zur Fürstin hält ihn nicht von andern Liebeshändeln zurück. Nur wenige Tage, und du wirst unter dem Schleier seine Gebieterin und ohne Schleier sein gehorsamstes Liebchen sein. Komm! – So hab ich es beschlossen, und davon laß ich nicht ab. Er umarmt sie. Du bist mein geworden, und niemand soll dich mir rauben! Meine Frau war mir niemals hinderlich, und wenn sie die Steine glücklich davonbringt, wird sie uns gern verzeihen. – Wie ist dir? Du bist nicht bei dir!
NICHTE. Es ist um mich geschehen! Führen Sie mich, wohin Sie wollen.
MARQUIS. Wisse nur, es ist schon alles richtig. Unter einem andern Vorwande habe ich von deinem Kammermädchen nur das Notwendigste zusammenpacken lassen. Es kommt auf wenige Tage an, so sind wir neu und besser als jemals gekleidet. Wir wollen uns nicht mit alter Trödelware beschweren. Er führt die Nichte ab, die ihm trostlos folgt und nochmals zurück nach der Garderobetür sieht.
Achter Auftritt
DER RITTER der aus dem Kabinett hervorgeht. Was hab ich gehört, und in welchen Abgrund von Verräterei und Nichtswürdigkeit hab ich hineingeblickt! Niemals konnte ich diese Menschen achten, mit denen ich leben mußte! Oft waren sie mir verdächtig; aber wenn man sie bei mir solcher verruchten Handlungen wegen angeklagt hätte, ich hätte sie gegen jedermann in Schutz genommen. Nun versteh ich dich, schöne Verführerin, warum du mich erst morgen früh sehen wolltest! Gewiß war es ihr bekannt, daß der Marquis heute nacht verreisen solle; aber daß er sie zwingen würde, mit ihm zu gehen, dachte sie nicht. Sie glaubte gewiß, seine Neigung zu ihr sei erschöpft, wie ihre Neigung zu ihm. O die Abscheuliche! Diese Unschuld zu heucheln! – Wie ein himmlischer Geist stand sie vor uns, und die reinsten Wesen schienen durch ihren Mund zu sprechen, indes sie, eines Liebhabers überdrüssig, sich nach andern umsieht und über die Zauberkugel weg nach den betrogenen Männern schielt, die sie als ein himmlisches Wesen anbeten. Wie soll ich das alles zurechtlegen, was ich gehört habe? Was soll ich tun? Der Graf und die Marquise spinnen den unerhörtesten Betrug an. Um ihren ungeheuern Plan durchzuführen, wagen sie es, den Namen einer vortrefflichen Fürstin zu mißbrauchen, ja sogar ihre Gestalt in einem schändlichen Possenspiel nachzuäffen. Früher oder später wird sich's entdecken, und die Sache endige sich, wie sie wolle, so muß sie dem Fürsten und der Fürstin höchst unangenehm sein. Es leidet keinen Aufschub. – Soll ich hingehen und dem betrogenen Domherrn die Augen eröffnen? Noch wäre es möglich, ihn zu retten! Das Halsband ist zerstückt; aber noch ist der Marquis hier, man kann sie festhalten, ihnen den Schmuck abnehmen, die Betrüger beschämen und sie in der Stille verjagen. – Gut, ich gehe. – Doch halt! Das tu ich um des kalten, eigennützigen Weltmannes willen? Er wird mir danken und für die Rettung aus der ungeheuren Gefahr mir seine Protektion versprechen, mir eine ansehnliche Charge zusichern, sobald er sich wieder würde in Gunst gesetzt haben. Diese Erfahrung macht ihn nicht klug; er wird dem ersten besten Betrüger sich wieder in die Hände geben, sich immer leidenschaftlich, ohne Sinn, Verstand und ohne Folge betragen; wird mich als einen Schmarotzer in seinem Hause dulden; wird bekennen, daß er mir Verbindlichkeiten habe, und ich werde vergebens auf eine reelle Unterstützung warten, da es ihm, ungeachtet seiner schönen Einnahme, immer an barem Gelde fehlt. – – Geht nachdenkend auf und nieder. Törichter, beschränkter Mensch! Und du siehst nicht ein, daß sich hier der Weg zu deinem Glücke öffnet, den du so oft vergebens gesucht hast? Mit Recht hat dich heute der Domherr als einen Schüler verlacht, mit Recht der Graf deine Gutmütigkeit auf eine verruchte Weise mißbraucht! Du verdientest jene Lektion, da du nicht einmal durch sie klüger geworden bist. – Sie glaubten nicht, dich zu ihrem Verderben zu unterrichten. – Wohl, so soll es sein! Ich eile zu dem Minister. Er ist eben auf dem Landhause, wohin diese Betrüger zusammen in die Falle gehen. Sie sind keiner Schonung wert! Es ist eine Wohltat fürs menschliche Geschlecht, wenn sie nach Verdienst gestraft werden, wenn man sie außerstand setzt, ihre Künste weiter fort zu treiben. Ich eile; der Moment ist entscheidend! Werden sie über der Tat ergriffen, so ist alles bewiesen. Die Steine, die der Marquis in der Tasche hat, zeugen wider ihn; es hängt von dem Fürsten ab, die Schuldigen zu behandeln, wie es ihm recht dünkt, und ich werde mit leeren Versprechungen gewiß nicht hingehalten. Ich sehe mein Glück mit dem Anbruche des Tages hervortreten! Hier ist nicht ein Augenblick zu säumen! Fort! Fort!
Fünfter Aufzug
Erster Auftritt
Nacht.
Ein Lustgarten. Rechter Hand der Schauspieler eine Laube.
Der Graf. La Fleur.
LA FLEUR. Ich höre noch niemand. Es rührt sich nichts im ganzen Garten. Ich bin recht verlegen. Ich habe doch gewiß recht gehört.
DER GRAF mit anmaßlicher Bedeutung. Du hast recht gehört.
LA FLEUR. Nun, wenn Sie es selbst wissen, so ist es desto besser; denn Sie können versichert sein, daß ich immer die Wahrheit sage. Um diese Stunde wollte meine Herrschaft hier in diesem Garten sein. Ich weiß nicht, was sie vorhaben. Mit vier Pferden sind sie vor uns weggefahren, und ihr Wagen wird an der kleinen Tür stillhalten. Ich habe Sie deswegen an der andern Seite aussteigen lassen. Ich vermute, der Domherr ist auch hierher bestellt.
GRAF wie oben. Warte! Er hält seinen kleinen Finger ans Ohr. Dieser Ring sagt mir, daß du gewissermaßen wahr redest.
LA FLEUR. Gewissermaßen?
GRAF. Ja. Das heißt: insoferne du es selbst wissen kannst. Ich bin nicht allwissend; aber dieser Ring sagt mir immer: ob die Menschen lügen oder ob sie sich irren.
LA FLEUR. Wenn ich Ihnen raten sollte – doch Sie wissen schon, was das Beste ist.
GRAF. Sprich nur! ich will schon sehn, ob du mir das Beste rätst.
LA FLEUR. Ich dächte, wir gingen sachte diese dunkle Allee hinauf und horchten immer im Gehen, ob wir nicht irgend etwas kommen oder lispeln hören.
GRAF. Ganz recht. Geh nur voraus und horche, ob der Weg sicher ist.
Zweiter Auftritt
DER GRAF allein. Ich begreif es nicht – und nach allen Umständen, die dieser Mensch angibt, ist es höchst wahrscheinlich. Die Marquise bestellt den Domherrn hier heraus; wär es möglich, daß es ihr gelungen wäre, die Prinzessin zu gewinnen? was ich immer für ein albernes Unternehmen, was ich für Lüge und Trug hielt. – Wenn ihr das gelingt, was soll dann dem Menschen nicht gelingen! Er geht von der linken Seite im Grunde ab.
Dritter Auftritt
Der Ritter. Der Oberst der Schweizergarde. Sechs Schweizer kommen von der linken Seite aus den vordern Kulissen.
OBERST der zuletzt herauskommt, nach der Szene. Hier bleibt versteckt und rührt euch nicht eher, es mag sich zutragen, was will, bis ihr Waldhörner hört. In dem Augenblick, da sie stillschweigen, fallt zu und nehmt gefangen, wen ihr im Garten findet. Zu den Schweizern, die auf dem Theater stehn. Ihr gebt auf das nämliche Signal acht. Viere verbergen sich bei der großen Pforte; laßt herein, es komme, wer will, aber niemanden hinaus.
EIN SCHWEIZER. Herein mögen sie kommen, hinaus soll keiner.
DER OBERST. Und wer hinaus will, den haltet fest.
SCHWEIZER. Wir wollen schon wacker anfassen.
OBERST. Und wenn die Waldhörner schweigen, so bringt hierher, wen ihr etwa angehalten habt. Zwei aber halten die Pforte besetzt.
SCHWEIZER. Ja, Herr Obrist. Ich und mein Kamrad bringen Euch die Gefangenen, und der Michel und der Dusle bleiben bei der Pforte, daß nicht etwa ein anderer hinausschlupfet.
OBERST. Geht nur, Kinder, geht, so ist's recht!
Die vier Schweizer gehen ab.
OBERST. Ihr beiden tretet etwa zehn Schritte von hier ins Gebüsch; das übrige wißt ihr.
SCHWEIZER. Gut.
OBERST. So, Ritter, wären unsre Posten alle besetzt. Ich zweifle, daß uns einer entgeht. Wenn ich sagen soll, so glaub ich, wir werden hier auf diesem Platze den besten Fang tun.
RITTER. Wieso, Herr Oberst?
OBERST. Da von Liebeshändeln die Rede ist, so werden sie dieses Plätzchen gewiß aussuchen. In dem übrigen Garten sind die Alleen zu gerade, die Plätze zu licht; dieses Buschwerk, diese Lauben sind für die Schalkheiten der Liebe dicht genug zusammengewachsen.
RITTER. Ich bin recht in Sorgen, bis alles vorüber ist.
OBERST. Unter solchen Umständen sollt es einem Soldaten erst recht wohl werden.
RITTER. Ich wollte als Soldat lieber an einem gefährlichen Posten stehn. Sie werden mir es nicht verdenken, daß es mir bang um das Schicksal dieser Menschen ist, wenn sie gleich nichtswürdig genug sind und meine Absicht ganz löblich war.
OBERST. Sein Sie ruhig! Ich habe Befehl vom Fürsten und vom Minister, die Sache in der Kürze abzutun; man verläßt sich auf mich. Und der Fürst hat sehr recht. Denn wenn es Händel gibt, wenn die Geschichte Aufsehn macht, so denken doch die Menschen von der Sache, was sie wollen, und es ist also immer besser, man tut sie im stillen ab. Desto größer wird auch Ihr Verdienst, lieber junger Mann, das gewiß nicht unbelohnt bleiben wird. Mich dünkt, ich höre was; lassen Sie uns beiseite treten.
Vierter Auftritt
Die Marquise. Der Marquis. Die Nichte.
DIE MARQUISE zum Marquis, der nur eben heraustritt. Bleiben Sie nur immer in diesem Gebüsch und halten Sie sich still. Ich trete gleich wieder zu Ihnen.
Der Marquis tritt zurück.
MARQUISE. Hier, liebes Kind, ist die Laube, hier ist die Rose; das übrige wissen Sie.
NICHTE. O liebste Tante, verlassen Sie mich nicht! Handeln Sie menschlich mit mir; bedenken Sie, was ich Ihnen zuliebe tue, was ich Ihnen zu Gefallen wage!
MARQUISE. Wir sind bei Ihnen, mein Kind; nur Mut! Es ist keine Gefahr, in fünf Minuten ist alles vorüber. Die Marquise tritt ab.
NICHTE allein. O Gott, was hilft es, daß eine tiefe Nacht die Schuld bedeckt? Der Tag bewillkommt eine jede gute Tat, die im stillen geschah, und zeigt ein ernstes fürchterliches Gesicht dem Verbrecher.
Fünfter Auftritt
Die Nichte. Der Domherr.
Die Nichte setzt sich in die Laube und hält die Rose in der Hand.
DER DOMHERR der von der entgegengesetzten Seite aus dem Grunde des Theaters hervorkommt. Eine tiefe Stille weissagt mir meine nahe Glückseligkeit. Ich vernehme keinen Laut in diesen Gärten, die sonst durch die Gunst des Fürsten allen Spaziergängern offenstehn und bei schönen Abenden oft von einem einsamen unglücklich Liebenden, öfter von einem glücklichen frohen Paar besucht werden. O ich danke dir, himmlisches Licht, daß du dich heute in einen stillen Schleier hülltest! Du erfreuest mich, rauher Wind, du drohende trübe Regenwolke, daß ihr die leichtsinnigen Gesellschaften verscheuchet, die in diesen Gängen oft umsonst hin und wider schwärmen, die Lauben mit Gelächter füllen und ohne eigenen Genuß andere an den süßesten Vergnügungen stören. O ihr schönen Bäume, wie scheint ihr mir seit den wenigen Sommern gewachsen, seit mich der traurige Bann von euch entfernte! Ich seh euch nun wieder, seh euch mit den schönsten Hoffnungen wieder, und meine Träume, die mich einst in euern jungen Schatten beschäftigten, werden nunmehr erfüllt. Ich bin der glücklichste von allen Sterblichen.
MARQUISE die leise zu ihm tritt. Sind Sie es, Domherr? Nähern Sie sich, nähern Sie sich Ihrem Glück! Sehn Sie dort in der Laube?
DOMHERR. O ich bin auf dem Gipfel der Seligkeit!
Die Marquise tritt zurück.
DER DOMHERR tritt an die Laube und wirft sich der Nichte zu Füßen. Anbetungswürdige Sterbliche, erste der Frauen! Lassen Sie mich zu Ihren Füßen verstummen, lassen Sie mich auf dieser Hand meinen Dank, mein Leben aushauchen.
NICHTE. Mein Herr –
DOMHERR. Öffnen Sie mir nicht Ihre Lippen, Göttliche! es ist an Ihrer Gegenwart genug. Verschwinden Sie mir wieder, ich habe jahrelang an diesem glücklichen Augenblicke zu genießen. Die Welt ist voll von Ihrer Vortrefflichkeit; Ihre Schönheit, Ihr Verstand, Ihre Tugend entzückt alle Menschen. Sie sind wie eine Gottheit; niemand naht sich ihr, als um sie anzubeten, als um das Unmögliche von ihr zu bitten. Und so bin ich auch hier, meine Fürstin –
NICHTE. O stehn Sie auf, mein Herr –
DOMHERR. Unterbrechen Sie mich nicht. So bin ich auch hier, aber nicht um zu bitten, sondern um zu danken, für das göttliche Wunder zu danken, womit Sie mein Leben retteten.
NICHTE indem sie aufsteht. Es ist genug!
DOMHERR kniend und sie zurückhaltend. Jawohl, der Worte genug, der Worte schon zuviel! Vergeben Sie! Die Götter selbst verzeihen, wenn wir mit Worten umständlich bitten, ob sie gleich unsre Bedürfnisse, unsre Wünsche lange schon kennen. Vergeben Sie meinen Worten! Was hat der arme Mensch Bessers als Worte, wenn er das hingeben möchte, was ihm ganz zugehört. Sie geben den Menschen viel, erhabene Fürstin; kein Tag, der nicht durch Wohltaten ausgezeichnet wäre; aber ich darf mir in diesem glücklichen Augenblicke sagen, daß ich der einzige bin, der Ihre Huld in diesem Grade erfährt, der sich sagen kann: Sie bezeigt dir Vergebung auf eine Weise, die dich höher erhebt, als du jemals tief fallen konntest. Sie kündigt dir ihre Gnade an auf eine Art, die dir ein ewiges Pfand dieser Gesinnungen ist; sie macht dein Glück, sie befestigt's, sie verewigt's, alles in einem Augenblick.
DIE NICHTE macht eine Bewegung vorwärts, die den Domherrn nötigt, aufzustehn. Entfernen Sie sich; man kommt! Wir sehn uns wieder. Sie hat ihm, indem er aufstand, die Hand gereicht und läßt ihm, da sie sich zurückzieht, die Rose in den Händen.
DOMHERR. Ja nun will ich eilen, ich will scheiden, will dem brennenden Verlangen widerstehn, das mich zur größten Verwegenheit treibt. Er naht sich ihr mit Heftigkeit und tritt gleich wieder zurück. Nein, befürchten Sie nichts! Ich gehe, aber lassen Sie mich es aussprechen, denn es hängt doch nur mein künftiges Leben von Ihren Winken ab. Ich darf alles bekennen, weil ich Macht genug über mich selbst habe, diesem glücklichen Augenblick hier gleichsam zu trotzen. Verbannen Sie mich auf ewig von Ihrem Angesicht, wenn Sie mir die Hoffnung nehmen, jemals in diesen Armen von allen verdienten und unverdienten Qualen auszuruhn. Sagen Sie ein Wort. Sie bei der Hand fassend.
NICHTE ihm die Hände drückend. Alles, alles, nur jetzt verlassen Sie mich!
DOMHERR auf ihren Händen ruhend. Sie machen mich zum glücklichsten Menschen, gebieten Sie unumschränkt über mich.
Es lassen sich in der Ferne zwei Waldhörner hören, die eine höchst angenehme Kadenz miteinander ausführen. Der Domherr ruht indessen auf den Händen der Nichte.
Sechster Auftritt
Die Vorigen. Die Marquise. Der Marquis, hernach der Oberste der Schweizergarde. Schweizer.
MARQUISE zwischen die beiden hineintretend. Eilen Sie, mein Freund, entfernen Sie sich; ich habe ein Geräusch gehört, Sie sind keinen Augenblick sicher. Man könnte die Prinzessin im Schlosse vermissen; eilen Sie, wir müssen weg.
DOMHERR sich losreißend. Ich muß, ich will hinweg. Leben Sie wohl, lassen Sie mich keine Ewigkeit schmachten. Er geht sachte nach der linken Seite des Grundes.
MARQUISE. Nun folgen Sie mir, Nichte. Leben Sie wohl, Marquis, machen Sie Ihre Sachen gut, Sie sollen Ihre Frau – Ihre Freundin bald wiedersehn. Umarmen Sie ihn zum Abschied, Nichte.
DER MARQUIS umarmt die Nichte und zieht sie auf seine Seite herüber. Hierher, schönes Kind, kommen Sie mit mir; vor jener Türe steht mein Wagen.
DIE NICHTE zaudernd. O Gott, was will das werden!
MARQUISE nach der Nichte greifend. Was heißt das, Marquis? Sind Sie toll?
MARQUIS. Machen Sie keinen Lärm; das Mädchen ist mein. Lassen Sie mir dieses Geschöpf, in das ich rasend verliebt bin, und ich verspreche Ihnen dagegen, alles treulich auszurichten, was Sie mir aufgetragen haben. Ich gehe nach England, besorge Ihre Geschäfte, wir erwarten Sie dort und wollen Sie wohl und redlich empfangen; aber lassen Sie mir das Mädchen.
MARQUISE. Es ist nicht möglich! Folgen Sie mir, Nichte. Was sagen Sie zu der Verwegenheit meines Mannes? Reden Sie! Sind Sie mit ihm einverstanden?
NICHTE zaudernd. Meine Tante –
MARQUIS sie fortziehend. Gestehn Sie es ihr, keine Verstellung! Es ist abgeredet! Kommen Sie! Keinen Widerstand, oder ich mache Lärm und bin in diesem Augenblicke meiner Verzweiflung fähig, uns alle zu verraten.
MARQUISE. Entsetzlich! Entsetzlich! Ich bin zugrunde gerichtet.
Die Waldhörner schweigen auf einmal, nachdem sie ein lebhaftes Stück geblasen.
DER OBERSTE der den Domherrn zurückbringt und dem zwei Schweizer folgen. Hierher, mein Herr, hierher!
DOMHERR. Was unterstehn Sie sich? Dieser Spaziergang ist einem jeden freigegeben.
OBERSTER. Jedem Spaziergänger, nicht dem Verbrecher! Sie entkommen nicht; geben Sie sich gutwillig.
DOMHERR. Glauben Sie, daß ich unbewaffnet bin? Er greift in die Tasche und zieht ein Terzerol hervor.
OBERSTER. Stecken Sie Ihr Terzerol ein. Sie können nach mir schießen; aus dem Garten kommen Sie nicht. Alle Zugänge sind besetzt. Es kommt niemand hinaus. Ergeben Sie sich in das Schicksal, dem Sie mutwillig entgegenrannten.
MARQUISE die indessen aufmerksam geworden ist und gehorcht hat. Welch ein neuer, unerwarteter Auftritt! Kommt auf diese Seite. Wenn wir nicht einig sind, gehen wir miteinander zugrunde.
Die Marquise, der Marquis, die Nichte wollen sich auf die Seite zurückziehn, wo sie hereingekommen sind; es treten ihnen zwei Schweizer in den Weg.
MARQUISE. Wir sind zugrunde gerichtet!
MARQUIS. Wir sind verraten!
NICHTE. Ich bin verloren!
DOMHERR der in diesem Augenblick neben die Nichte zu stehen kommt. O Gott!
OBERSTER. Niemand gehe von der Stelle! Sie sind alle meine Gefangenen.
DOMHERR auf die Nichte deutend. Auch diese?
OBERSTER. Gewiß!
DOMHERR. Mein Unglück ist so groß, daß ich es in diesem Augenblick nicht überdenken kann.
OBERSTER. Nicht so groß als Ihre Unbesonnenheit!
DOMHERR. Ich will jeden Vorwurf ertragen, alles, was mir eine beleidigte Gerechtigkeit von Strafen auferlegen kann; ich folge Ihnen, schleppen Sie mich in einen Kerker, wenn es Ihnen befohlen ist: nur verehren Sie dies überirdische Wesen! Verbergen Sie, was Sie gesehen haben, leugnen Sie, erfinden Sie. Sie tun dem Fürsten einen größern Dienst als mit der traurigen, schrecklichen Wahrheit, daß seine Tochter, seine einzig geliebte Tochter –
OBERSTER. Ich kenne meine Pflicht. Ich sehe hier nur meine Gefangenen; ich kenne nur meine Ordre und werde sie vollziehn.
MARQUISE. Wohin!
MARQUIS. O warum mußt ich mit hieherkommen!
NICHTE. Meine Furcht war gegründet!
DOMHERR. So bin ich denn der unglücklichste aller Menschen! Was hat man im Sinn? Ist's möglich! Was kann der Fürst gegen das Liebste beginnen, das er auf der Welt hat? Meine Gebieterin – meine Freunde – ich bin's, der euch unglücklich macht! O warum mußt ich leben? warum so lieben? warum verfolgt ich nicht den Gedanken, der mir mehr als einmal einkam, in einem fremden Lande meine Zärtlichkeit, meine Ehrbegier an andern Gegenständen abzustumpfen? Warum floh ich nicht? Ach, warum ward ich immer wieder zurückgezogen? Ich möchte euch Vorwürfe machen, ich möchte mich schelten, mich hassen; und doch, wenn ich mich in diesem Augenblicke ansehe, so kann ich nicht wünschen, daß es anders sein möchte. Ich bin immer noch der Glücklichste mitten im Unglück!
OBERSTER. Endigen Sie, mein Herr; denn es ist Zeit, und hören Sie mich an.
DOMHERR. Ja, ich will; aber zuerst entlassen Sie unsre Gebieterin. Wie? sie sollte hier in Nacht und Tau stehen und das Urteil eines Unglücklichen anhören, an dem sie teilnimmt? Nein, sie kehre zurück in ihre Zimmer, sie bleibe nicht länger den Augen dieser Knechte ausgesetzt, die sich über ihre Beschämung freuen! Eilen Sie, eilen Sie, meine Fürstin! wer kann sich Ihnen widersetzen? Und dieser Mann, der mich gefangenhalten darf, diese Kolossen, die mir ihre Hellebarden entgegensetzen, sind Ihre Diener. Gehn Sie, leben Sie wohl! Wer will Sie aufhalten? Aber vergessen Sie nicht eines Mannes, der endlich zu Ihren Füßen liegen konnte, der endlich Ihnen beteuern durfte, daß Sie ihm alles in der Welt sind. Sehn Sie noch einen Augenblick auf seine Qual, auf seine Wehmut, und dann überlassen Sie ihn dem grausamen Schicksal, das sich gegen ihn verschworen hat.
Er wirft sich der Nichte zu Füßen, die sich auf die Marquise lehnt. Der Marquis steht dabei in einer verlegenen Stellung, und sie machen auf der rechten Seite des Theaters eine schöne Gruppe, in welcher die zwei Schweizer nicht zu vergessen sind. Der Oberste und zwei Schweizer stehn an der linken Seite.
Siebenter Auftritt
Die Vorigen. Der Graf.
DER GRAF den zwei Schweizer mit den umgekehrten Hellebarden vor sich hertreiben. Ich sag euch, daß ihr eure Grobheit zeitlebens zu büßen haben werdet! Mir so zu begegnen! Dem größten aller Sterblichen! Wißt, ich bin Conte di Rostro, di Rostro impudente, ein ehrsamer, überall verehrter Fremder, ein Meister aller geheimen Wissenschaften, ein Herr über die Geister –
SCHWEIZER. Bring Er das unserm Obersten vor, der versteht das Welsche, sieht Er; und wenn Er nicht geradezu geht, so werden wir Ihn rechts und links in die Rippen stoßen und Ihm den Weg weisen, wie's uns befohlen ist.
GRAF. Habt Ihr Leute denn gar keine Vernunft?
SCHWEIZER. Die hat der, der uns kommandiert. Ich sag's Ihm, geh Er geradezu, ganz gerade dahin, da steht unser Oberster.
GRAF gebieterisch. Wagt es nicht, mich anzurühren!
DOMHERR der auf die Stimme des Grafen zu sich kommt und auffährt. Ja, da erwartete ich dich, großer Kophta, würdigster Meister, erhabenster unter allen Sterblichen! So ließest du deinen Sohn fallen, um ihn durch ein Wunder wieder zu erheben. Wir sind dir alle auf ewig verpflichtet. Ich brauche dir nicht zu gestehen, daß ich dieses Abenteuer hinter deinem Rücken unternahm. Du weißt, was geschehen ist; du weißt, wie unglücklich es ablief; sonst wärst du nicht gekommen. In dieser einzigen Erscheinung, großer Kophta, verbindest du mehr edle Seelen, als du vielleicht auf deiner langen Wallfahrt auf Erden beisammen gesehen hast. Hier steht ein Freund vor dir, vor wenig Augenblicken der glücklichste, jetzt der unglücklichste aller Menschen. Hier eine Dame, des schönsten Glücks wert. Hier Freunde, die das Mögliche und Unmögliche zu wirken mit der lebhaftesten Teilnahme versuchten. Es ist was Unglaubliches geschehen. Wir sind hier beisammen, und wir leiden nur aus Mißtrauen gegen dich. Hättest du die Zusammenkunft geführt, hätte deine Weisheit, deine Macht die Umstände gefügt – Einen Augenblick nachdenkend und mit Entschlossenheit fortfahrend. Nein, ich will nichts sagen, nichts wünschen: dann wäre alles gegangen, wie es abgeredet war, du hättest nicht Gelegenheit gehabt, dich in deinem Glanze sehen zu lassen, gleichsam als ein Gott aus einer Maschine herunterzusteigen und unsre Verlegenheit zu endigen. Er naht sich ihm vertraulich und lächelnd. Was beschließen Sie, mein Freund? Sehn Sie, schon stehn unsre Wächter wie betäubt: nur ein Wort von Ihnen, so fallen sie in einen Schlummer, in dem sie alles vergessen, was geschah, und wir begeben uns inzwischen glücklich hinweg. Geschwind, mein Freund, drücken Sie mich an Ihre Brust, verzeihen Sie mir und retten Sie mich!