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MARIE. Hoffnung! O der süße einzige Balsam des Lebens bezaubert oft meine Seele. Mutige jugendliche Träume schweben vor mir und begleiten die geliebte Gestalt des Unvergleichlichen, der nun wieder der Meine wird. O Sophie, wie reizend er ist! Seit ich ihn nicht sah, hat er – ich weiß nicht, wie ich's ausdrücken soll – es haben sich alle großen Eigenschaften, die ehemals in seiner Bescheidenheit verborgen lagen, entwickelt. Er ist ein Mann worden, und muß mit diesem reinen Gefühle seiner selbst, mit dem er auftritt, das so ganz ohne Stolz, ohne Eitelkeit ist, er muß alle Herzen wegreißen. – Und er soll der Meinige werden? – Nein, Schwester, ich war seiner nicht wert – Und jetzt bin ich's viel weniger!
SOPHIE. Nimm ihn nur und sei glücklich! – Ich höre deinen Bruder!
Beaumarchais kommt.
BEAUMARCHAIS. Wo ist Guilbert?
SOPHIE. Er ist schon eine Weile weg; lang kann er nicht mehr ausbleiben.
MARIE. Was hast du, Bruder? – Aufspringend und ihm um den Hals fallend. Lieber Bruder, was hast du?
BEAUMARCHAIS. Nichts! Laß mich, meine Marie!
MARIE. Wenn ich deine Marie bin, so sag mir, was du auf dem Herzen hast!
SOPHIE. Laß ihn! Die Männer machen oft Gesichter, ohne just was auf dem Herzen zu haben.
MARIE. Nein, nein. Ich sehe dein Angesicht nur wenige Zeit; aber schon drückt es mir alle deine Empfindungen aus, ich lese jedes Gefühl dieser unverstellten, unverdorbenen Seele auf deiner Stirne. Du hast etwas, das dich stutzig macht. Rede, was ist's?
BEAUMARCHAIS. Es ist nichts, meine Lieben. Ich hoffe, im Grunde ist's nichts. Clavigo –
MARIE. Wie?
BEAUMARCHAIS. Ich war bei Clavigo. Er ist nicht zu Hause.
SOPHIE. Und das verwirrt dich?
BEAUMARCHAIS. Sein Pförtner sagt, er sei verreist, er wisse nicht, wohin; es wisse niemand, wie lange. Wenn er sich verleugnen ließe! Wenn er wirklich verreist wäre! Wozu das? Warum das?
MARIE. Wir wollen's abwarten.
BEAUMARCHAIS. Deine Zunge lügt. Ha! Die Blässe deiner Wangen, das Zittern deiner Glieder, alles spricht und zeugt, daß du das nicht abwarten kannst. Liebe Schwester! Er faßt sie in seine Arme. An diesem klopfenden, ängstlich bebenden Herzen schwör ich dir. Höre mich, Gott, der du gerecht bist! Höret mich an, alle seine Heiligen! Du sollst gerächt werden, wenn er – die Sinne vergehn mir über dem Gedanken – wenn er rückfiele, wenn er doppeltes gräßliches Meineids sich schuldig machte, unsers Elends spottete – Nein, es ist, es ist nicht möglich, nicht möglich – Du sollst gerächt werden!
SOPHIE. Alles zu früh, zu voreilig. Schone ihrer, ich bitte dich, mein Bruder!
MARIE setzt sich.
SOPHIE. Was hast du? du wirst ohnmächtig.
MARIE. Nein, nein. Du bist gleich so besorgt.
SOPHIE reicht ihr Wasser. Nimm das Glas!
MARIE. Laß doch! wozu soll's? – Nun meinetwegen, gib her.
BEAUMARCHAIS. Wo ist Guilbert? Wo ist Buenco? Schick nach ihnen, ich bitte dich. Sophie ab. Wie ist dir, Marie?
MARIE. Gut, ganz gut! Denkst du denn, Bruder –?
BEAUMARCHAIS. Was, meine Liebe?
MARIE. Ach!
BEAUMARCHAIS. Der Atem wird dir schwer?
MARIE. Das unbändige Schlagen meines Herzens versetzt mir die Luft.
BEAUMARCHAIS. Habt ihr denn kein Mittel? Brauchst du nichts Niederschlagendes?
MARIE. Ich weiß ein Mittel, und darum bitt ich Gott schon lange.
BEAUMARCHAIS. Du sollst's haben, und ich hoffe, von meiner Hand.
MARIE. Schon gut.
Sophie kommt.
SOPHIE. Soeben gibt ein Kurier diesen Brief ab; er kommt von Aranjuez.
BEAUMARCHAIS. Das ist das Siegel und die Hand unsers Gesandten.
SOPHIE. Ich hieß ihn absteigen und einige Erfrischungen zu sich nehmen; er wollte nicht, weil er noch mehr Depeschen habe.
MARIE. Willst du doch, Liebe, das Mädchen nach dem Arzte schicken?
SOPHIE. Fehlt dir was? Heiliger Gott! was fehlt dir?
MARIE. Du wirst mich ängstigen, daß ich zuletzt kaum traue, ein Glas Wasser zu begehren – Sophie! – Bruder! – Was enthält der Brief? Sieh, wie er zittert! wie ihn aller Mut verläßt!
SOPHIE. Bruder, mein Bruder!
BEAUMARCHAIS wirft sich sprachlos in einen Sessel und läßt den Brief fallen.
SOPHIE. Mein Bruder! Sie hebt den Brief auf und liest.
MARIE. Laß mich ihn sehn! ich muß – Sie will aufstehn. Weh! Ich fühl's. Es ist das Letzte. Schwester, aus Barmherzigkeit den letzten schnellen Todesstoß! Er verrät uns!
BEAUMARCHAIS aufspringend. Er verrät uns! An die Stirn schlagend und auf die Brust. Hier! hier! es ist alles so dumpf, so tot vor meiner Seele, als hätt ein Donnerschlag meine Sinne gelähmt. Marie! Marie! du bist verraten! – und ich stehe hier! Wohin? – Was? – Ich sehe nichts, nichts! keinen Weg, keine Rettung! Er wirft sich in den Sessel.
Guilbert kommt.
SOPHIE. Guilbert! Rat! Hülfe! Wir sind verloren!
GUILBERT. Weib!
SOPHIE. Lies! Lies! Der Gesandte meldet unserm Bruder: Clavigo habe ihn peinlich angeklagt, als sei er unter einem falschen Namen in sein Haus geschlichen, habe ihm im Bette die Pistole vorgehalten, habe ihn gezwungen, eine schimpfliche Erklärung zu unterschreiben; und wenn er sich nicht schnell aus dem Königreiche entfernt, so schleppen sie ihn ins Gefängnis, daraus ihn zu befreien der Gesandte vielleicht selbst nicht imstande ist.
BEAUMARCHAIS aufspringend. Ja, sie sollen's! sie sollen's! sollen mich ins Gefängnis schleppen. Aber von seinem Leichname weg, von der Stätte weg, wo ich mich in seinem Blute werde geletzt haben. – Ach! der grimmige, entsetzliche Durst nach seinem Blute füllt mich ganz. Dank sei dir, Gott im Himmel, daß du dem Menschen mitten im glühenden unerträglichsten Leiden ein Labsal sendest, eine Erquickung! Wie ich die dürstende Rache in meinem Busen fühle! wie aus der Vernichtung meiner selbst, aus der stumpfen Unentschlossenheit mich das herrliche Gefühl, die Begier nach seinem Blute herausreißt, mich über mich selbst reißt! Rache! Wie mir's wohl ist! wie alles an mir nach ihm hinstrebt, ihn zu fassen, ihn zu vernichten!
SOPHIE. Du bist fürchterlich, Bruder.
BEAUMARCHAIS. Desto besser. – Ach! Keinen Degen, kein Gewehr! Mit diesen Händen will ich ihn erwürgen, daß mein die Wonne sei! ganz mein eigen das Gefühl: ich hab ihn vernichtet!
MARIE. Mein Herz! Mein Herz!
BEAUMARCHAIS. Ich habe dich nicht retten können, so sollst du gerächet werden. Ich schnaube nach seiner Spur, meine Zähne gelüstet's nach seinem Fleisch, meinen Gaumen nach seinem Blut. Bin ich ein rasendes Tier geworden? Mir glüht in jeder Ader, mir zuckt in jeder Nerve die Begier nach ihm! – Ich würde den ewig hassen, der mir ihn jetzt mit Gift vergäbe, der mir ihn meuchelmörderisch aus dem Wege räumte. O hilf mir, Guilbert, ihn aufsuchen! Wo ist Buenco? Helft mir ihn finden!
GUILBERT. Rette dich! Rette dich! Du bist außer dir.
MARIE. Fliehe, mein Bruder!
SOPHIE. Führ ihn weg, er bringt seine Schwester um.
Buenco kommt.
BUENCO. Auf, Herr! Fort! Ich sah's voraus. Ich gab auf alles acht. Und nun! man stellt Euch nach, Ihr seid verloren, wenn Ihr nicht im Augenblick die Stadt verlaßt.
BEAUMARCHAIS. Nimmermehr! Wo ist Clavigo?
BUENCO. Ich weiß nicht.
BEAUMARCHAIS. Du weißt's. Ich bitte dich fußfällig, sag mir's!
SOPHIE. Um Gottes willen, Buenco!
MARIE. Ach! Luft! Luft! Sie fällt zurück. Clavigo!
BUENCO. Hülfe, sie stirbt!
SOPHIE. Verlaß uns nicht, Gott im Himmel! – Fort, mein Bruder, fort!
BEAUMARCHAIS fällt vor Marien nieder, die ungeachtet aller Hülfe nicht wieder zu sich selbst kommt. Dich verlassen! Dich verlassen!
SOPHIE. So bleib, und verderb uns alle, wie du Marien getötet hast! Du bist hin, o meine Schwester! durch die Unbesonnenheit deines Bruders.
BEAUMARCHAIS. Halt, Schwester!
SOPHIE spottend. Retter! – Rächer! – Hilf dir selber!
BEAUMARCHAIS. Verdien ich das?
SOPHIE. Gib mir sie wieder! Und dann geh in Kerker, geh aufs Martergerüst, geh, vergieße dein Blut, und gib mir sie wieder!
BEAUMARCHAIS. Sophie!
SOPHIE. Ha! und ist sie hin, ist sie tot – so erhalte dich uns! Ihm um den Hals fallend. Mein Bruder, erhalte dich uns! unserm Vater! Eile, eile! Das war ihr Schicksal! Sie hat's geendet. Und ein Gott ist im Himmel, dem laß die Rache.
BUENCO. Fort! fort! Kommen Sie mit mir, ich verberge Sie bis wir Mittel finden, Sie aus dem Königreiche zu schaffen.
BEAUMARCHAIS fällt auf Marien und küßt sie. Schwester! Sie reißen ihn los, er faßt Sophien, sie macht sich los, man bringt Marien weg, und Buenco mit Beaumarchais ab.
Guilbert. Ein Arzt.
SOPHIE aus dem Zimmer zurückkommend, darein man Marien gebracht hat. Zu spät! Sie ist hin! Sie ist tot!
GUILBERT. Kommen Sie, mein Herr! Sehen Sie selbst! Es ist nicht möglich! Ab.
Fünfter Akt
Straße vor dem Hause Guilberts. Nacht.
Das Haus ist offen. Vor der Türe stehen drei in schwarze Mantel gehüllte Männer mit Fackeln. Clavigo, in einen Mantel gewickelt, den Degen unterm Arm, kommt. Ein Bedienter geht voraus mit einer Fackel.
CLAVIGO. Ich sagte dir's, du solltest diese Straße meiden.
BEDIENTER. Wir hätten einen gar großen Umweg nehmen müssen, und Sie eilen so. Es ist nicht weit von hier, wo Don Carlos sich aufhält.
CLAVIGO. Fackeln dort?
BEDIENTER. Eine Leiche. Kommen Sie, mein Herr.
CLAVIGO. Mariens Wohnung! Eine Leiche! Mir fährt ein Todesschauer durch alle Glieder. Geh, frag, wen sie begraben?
BEDIENTER geht zu den Männern. Wen begrabt ihr?
DIE MÄNNER. Marien Beaumarchais.
CLAVIGO setzt sich auf einen Stein und verhüllt sich.
BEDIENTER kommt zurück. Sie begraben Marien Beaumarchais.
CLAVIGO aufspringend. Mußtest du's wiederholen, Verräter! Das Donnerwort wiederholen, das mir alles Mark aus meinen Gebeinen schlägt!
BEDIENTER. Stille, mein Herr, kommen Sie! Bedenken Sie die Gefahr, in der Sie schweben!
CLAVIGO. Geh in die Hölle! ich bleibe.
BEDIENTER. O Carlos! O daß ich dich fände, Carlos! Er ist außer sich! Ab.
Clavigo. In der Ferne die Leichenmänner.
CLAVIGO. Tot! Marie tot! Die Fackeln dort! ihre traurigen Begleiter! – Es ist ein Zauberspiel, ein Nachtgesicht, das mich erschreckt, das mir einen Spiegel vorhält, darin ich das Ende meiner Verrätereien ahndungsweise erkennen soll. – Noch ist es Zeit! Noch! – Ich bebe, mein Herz zerfließt in Schauer! Nein! Nein! du sollst nicht sterben. Ich komme! Ich komme! – Verschwindet, Geister der Nacht, die ihr euch mit ängstlichen Schrecknissen mir in den Weg stellt – Er geht auf sie los. Verschwindet! – Sie stehen! Ha! sie sehen sich nach mir um! Weh! Weh mir! es sind Menschen wie ich. – Es ist wahr – Wahr? – Kannst du's fassen? – Sie ist tot – Es ergreift mich mit allem Schauer der Nacht das Gefühl: sie ist tot! Da liegt sie, die Blume, zu deinen Füßen – und du – Erbarm dich meiner, Gott im Himmel, ich habe sie nicht getötet! – Verbergt euch, Sterne, schaut nicht hernieder, ihr, die ihr so oft den Missetäter saht in dem Gefühl des innigsten Glückes diese Schwelle verlassen durch eben diese Straße mit Saitenspiel und Gesang in goldnen Phantasieen hinschweben, und sein am heimlichen Gegitter lauschendes Mädchen mit wonnevollen Erwartungen entzünden! – und du füllst nun das Haus mit Wehklagen und Jammer! und diesen Schauplatz deines Glückes mit Grabgesang! – Marie! Marie! nimm mich mit dir! nimm mich mit dir! Eine traurige Musik tönt einige Laute von innen. Sie beginnen den Weg zum Grabe! Haltet, haltet! Schließt den Sarg nicht! Laßt mich sie noch einmal sehen! Er geht aufs Haus los. Ha! wem, wem wag ich's unters Gesicht zu treten? wem in seinen entsetzlichen Schmerzen zu begegnen? – Ihren Freunden? Ihrem Bruder? dem wütender Jammer den Busen füllt! Die Musik geht wieder an. Sie ruft mir! sie ruft mir! Ich komme! Welche Angst umgibt mich! Welches Beben hält mich zurück!
Die Musik fängt zum dritten Male an und fährt fort. Die Fackeln bewegen sich vor der Tür, es treten noch drei andere zu ihnen, die sich in Ordnung reihen, um den Leichenzug einzufassen, der aus dem Hause kommt. Sechs tragen die Bahre, darauf der bedeckte Sarg steht.
Guilbert, Buenco, in tiefer Trauer.
CLAVIGO hervortretend. Haltet!
GUILBERT. Welche Stimme!
CLAVIGO. Haltet! Die Träger stehen.
BUENCO. Wer untersteht sich, den ehrwürdigen Zug zu stören?
CLAVIGO. Setzt nieder!
GUILBERT. Ha!
BUENCO. Elender! Ist deiner Schandtaten kein Ende? Ist dein Opfer im Sarge nicht sicher vor dir?
CLAVIGO. Laßt! macht mich nicht rasend! die Unglücklichen sind gefährlich! Ich muß sie sehen! Er wirft das Tuch ab. Marie liegt weiß gekleidet und mit gefalteten Händen im Sarge.
Clavigo tritt zurück und verbirgt sein Gesicht.
BUENCO. Willst du sie erwecken, um sie wieder zu töten?
CLAVIGO. Armer Spötter! – Marie! Er fällt vor dem Sarge nieder.
Beaumarchais kommt.
BEAUMARCHAIS. Buenco hat mich verlassen. Sie ist nicht tot, sagen sie, ich muß sehen, trotz dem Teufel! Ich muß sie sehen. Fackeln! Leiche! Er rennt auf sie los, erblickt den Sarg und fällt sprachlos drüber hin; man hebt ihn auf, er ist wie ohnmächtig. Guilbert hält ihn.
CLAVIGO der an der andern Seite des Sargs aufsteht. Marie! Marie!
BEAUMARCHAIS auffahrend. Das ist seine Stimme! Wer ruft Marie? Wie mit dem Klang der Stimme sich eine glühende Wut in meine Adern goß!
CLAVIGO. Ich bin's.
BEAUMARCHAIS wild hinsehend und nach dem Degen greifend. Guilbert hält ihn.
CLAVIGO. Ich fürchte deine glühenden Augen nicht, nicht die Spitze deines Degens! Sieh hierher, dieses geschlossene Auge, diese gefalteten Hände!
BEAUMARCHAIS. Zeigst du mir das? Er reißt sich los, dringt auf Clavigo ein, der zieht, sie fechten, Beaumarchais stößt ihm den Degen in die Brust.
CLAVIGO sinkend. Ich danke dir, Bruder! Du vermählst uns. Er sinkt auf den Sarg.
BEAUMARCHAIS ihn wegreißend. Weg von dieser Heiligen, Verdammter!
CLAVIGO. Weh! Die Träger halten ihn.
BEAUMARCHAIS. Blut! Blick auf, Marie, blick auf deinen Brautschmuck, und dann schließ deine Augen auf ewig. Sieh, wie ich deine Ruhestätte geweiht habe mit dem Blute deines Mörders! Schön! Herrlich!
Sophie kommt.
SOPHIE. Bruder! Gott! was gibt's?
BEAUMARCHAIS. Tritt näher, Liebe, und schau! Ich hoffte, ihr Brautbette mit Rosen zu bestreuen – sieh die Rosen, mit denen ich sie ziere auf ihrem Wege zum Himmel.
SOPHIE. Wir sind verloren!
CLAVIGO. Rette dich, Unbesonnener! rette dich, eh der Tag anbricht. Gott, der dich zum Rächer sandte, geleite dich! – Sophie – vergib mir! – Bruder – Freunde, vergebt mir!
BEAUMARCHAIS. Wie sein fließendes Blut alle die glühende Rache meines Herzens auslöscht! wie mit seinem wegfliehenden Leben meine Wut abschwindet!
Auf ihn losgehend.
Stirb, ich vergebe dir!
CLAVIGO. Deine Hand! und deine, Sophie! Und Eure!
Buenco zaudert.
SOPHIE. Gib sie ihm, Buenco!
CLAVIGO. Ich danke dir! du bist die alte. Ich danke euch! Und wenn du noch hier diese Stätte umschwebst, Geist meiner Geliebten, schau herab, sieh diese himmlische Güte, sprich deinen Segen dazu, und vergib mir auch! – Ich komme! ich komme! – Rette dich, mein Bruder! Sagt mir, vergab sie mir? Wie starb sie?
SOPHIE. Ihr letztes Wort war dein unglücklicher Name. Sie schied weg ohne Abschied von uns.
CLAVIGO. Ich will ihr nach, und ihr den eurigen bringen.
Carlos. Ein Bedienter.
CARLOS. Clavigo? Mörder!
CLAVIGO. Höre mich, Carlos! Du siehest hier die Opfer deiner Klugheit – Und nun, um des Blutes willen, in dem mein Leben unaufhaltsam dahinfließt! rette meinen Bruder –
CARLOS. Mein Freund! Ihr steht da? Lauft nach Wundärzten!
Bedienter ab.
CLAVIGO. Es ist vergebens. Rette! rette den unglücklichen Bruder! – Deine Hand darauf! Sie haben mir vergeben, und so vergeb ich dir. Du begleitest ihn bis an die Grenze, und – ah!
CARLOS mit dem Fuße stampfend. Clavigo! Clavigo!
CLAVIGO sich dem Sarge nähernd, auf den sie ihn niederlassen. Marie! deine Hand! Er entfaltet ihre Hände und faßt die rechte.
SOPHIE zu Beaumarchais. Fort, Unglücklicher! fort!
CLAVIGO. Ich hab ihre Hand! Ihre kalte Totenhand! Du bist die Meinige – Und noch diesen Bräutigamskuß. Ah!
SOPHIE. Er stirbt! Rette dich, Bruder!
BEAUMARCHAIS fällt Sophien um den Hals.
SOPHIE umarmt ihn, indem sie zugleich eine Bewegung macht, ihn zu entfernen.
Der Bürgergeneral
Personen.
Röse
Görge
Märten
Der Edelmann
Schnaps
Der Richter
Bauern
Erster Auftritt
Der Schauplatz ist vor Märtens Hause, wie in den vorigen Stücken.
Röse. Görge.
GÖRGE der zum Hause mit einem Rechen herauskommt, spricht zurück. Hörst du, liebe Röse?
RÖSE die unter die Türe tritt. Recht wohl, lieber Görge!
GÖRGE. Ich gehe auf die Wiese und ziehe Maulwurfshaufen auseinander.
RÖSE. Gut.
GÖRGE. Hernach seh ich, wie es auf dem Acker aussieht.
RÖSE. Schön! Und dann kommst du aufs Krautland und gräbst, und findest mich da mit dem Frühstück.
GÖRGE. Und da setzen wir uns zusammen und lassen es uns schmecken.
RÖSE. Du sollst eine gute Suppe haben.
GÖRGE. Wenn sie noch so gut wäre! Du mußt mitessen, sonst schmeckt sie mir nicht.
RÖSE. Mir geht's ebenso.
GÖRGE. Nun leb wohl, Röse!
RÖSE. Leb wohl, Görge!
GÖRGE geht, bleibt stehen, sieht sich um; sie werfen sich Kußhände zu, er kehrt zurück. Höre, Röse! – die Leute reden kein wahr Wort.
RÖSE. Selten wenigstens. Wieso?
GÖRGE. Sie sagen: als Mann und Frau hätte man sich nicht mehr so lieb wie vorher. Es ist nicht wahr, Röse. Wie lange haben wir uns schon? Wart!
RÖSE. Zwölf Wochen.
GÖRGE. Wahrhaftig! Und da ist immer noch Görge und Röschen, und Röschen und Görge wie vorher. Nun leb wohl!
RÖSE. Leb wohl. Wie oft haben wir das nicht schon gesagt!
GÖRGE entfernt sich. Und wie oft werden wir es noch sagen!
RÖSE. Und uns immer wieder suchen und finden.
GÖRGE stille stehend. Das ist eine Lust!
RÖSE. Ich komme gleich nach. Leb wohl!
GÖRGE gehend. Leb wohl!
RÖSE unter der Türe. Görge!
GÖRGE zurückkommend. Was gibt's?
RÖSE. Du hast was vergessen.
GÖRGE sich ansehend. Was denn?
RÖSE ihm entgegenspringend. Noch einen Kuß!
GÖRGE. Liebe Röse!
RÖSE. Lieber Görge! Küssend.
Zweiter Auftritt
Die Vorigen. Der Edelmann.
EDELMANN. Brav, ihr Kinder! Brav! an euch merkt man nicht, daß die Zeit vergeht.
GÖRGE. Wir merken's auch nicht, gnädiger Herr.
RÖSE bedeutend. Sie werden's auch bald nicht mehr merken.
EDELMANN. Wieso?
RÖSE. Machen Sie nur kein Geheimnis daraus! – Sie ist ja so hübsch.
EDELMANN lächelnd. Wer?
GÖRGE. Hm! Röse, du hast recht. Jawohl, recht hübsch.
RÖSE. Und Sie sind auch so ein schöner junger Herr.
EDELMANN. Görge! Darf sie das sagen?
GÖRGE. Jetzt eher als sonst. Denn ich will's nur gestehen, ich bin oft eifersüchtig auf Sie gewesen.
EDELMANN. Du hast's auch Ursache gehabt. Röse gefiel mir immer.
RÖSE. Sie scherzen, gnädiger Herr.
GÖRGE. Es ist mir nur immer gar zu ernstlich vorgekommen.
RÖSE. Er hat mich oft genug gequält.
GÖRGE. Und sie mich auch.
EDELMANN. Und jetzt?
GÖRGE. Jetzt ist Röse meine Frau und, ich denke, eine recht brave Frau.
EDELMANN. Das ist gewiß.
RÖSE bedeutend. Und Sie? –
EDELMANN. Nun?
GÖRGE mit Bücklingen. Darf man gratulieren?
EDELMANN. Wozu?
RÖSE sich neigend. Wenn Sie's nicht ungnädig nehmen wollen.
GÖRGE. Sie werden bald auch ein allerliebstes Weibchen haben.
EDELMANN. Daß ich nicht wüßte.
RÖSE. In wenig Tagen leugnen Sie es nicht mehr.
GÖRGE. Und sie ist so liebenswürdig.
EDELMANN. Wer denn?
RÖSE. Fräulein Karoline, die neulich mit der alten Tante hier zum Besuche war.
EDELMANN. Daher habt ihr euren Argwohn? Wie ihr fein seid!
GÖRGE. Ich dächte doch, so etwas ließe sich einsehen.
RÖSE. Es ist recht schön, daß Sie sich auch verheiraten.
GÖRGE. Man wird ein ganz anderer Mensch. Sie werden's sehen.
RÖSE. Jetzt gefällt mir's erst zu Hause.
GÖRGE. Und ich meine, ich wäre da drin im Hause geboren.
RÖSE. Und wenn der Vater die Zeitungen liest und sich um die Welthändel bekümmert, da drücken wir einander die Hände.
GÖRGE. Und wenn der Alte sich betrübt, daß es draußen so wild zugeht, dann rücken wir näher zusammen und freuen uns, daß es bei uns so friedlich und ruhig ist.
EDELMANN. Das Beste, was ihr tun könnt.
RÖSE. Und wenn der Vater gar nicht begreifen kann, wie er die französische Nation aus den Schulden retten will, da sag ich: »Görge, wir wollen uns nur hüten, daß wir keine Schulden machen.«
GÖRGE. Und wenn er außer sich ist, daß man allen Leuten dort ihre Güter und ihr Vermögen nimmt, da überlegen wir zusammen, wie wir das Gütchen verbessern wollen, das wir von dem Lottogelde zu kaufen gedenken.
EDELMANN. Ihr seid gescheite junge Leute.
RÖSE. Und glücklich.
EDELMANN. Das hör ich gern.
GÖRGE. Sie werden's auch bald erfahren.
RÖSE. Das wird wieder eine Lust auf dem Schlosse werden!
GÖRGE. Als wie zu Lebzeiten Ihrer seligen Frau Mama.
RÖSE. Zu der man immer lief, wenn jemand krank war.
GÖRGE. Die einem so guten Spiritus auflegte, wenn man sich eine Beule gestoßen hatte.
RÖSE. Die so gute Salben wußte, wenn man sich verbrannt hatte.
EDELMANN. Wenn ich heirate, will ich mich nach einem Frauenzimmer umsehen, die ihr ähnlich ist.
GÖRGE. Die ist schon gefunden.
RÖSE. Ich denk's. Sein Sie nicht böse, gnädiger Herr, daß wir so vorlaut sind.
GÖRGE. Wir können's aber nicht abwarten –
RÖSE. Sie so glücklich zu sehen als uns.
GÖRGE. Sie müssen nicht länger zögern.
RÖSE. Es ist verlorne Zeit.
GÖRGE. Und wir haben schon den Vorsprung.
EDELMANN. Wir wollen sehen.
GÖRGE. Es tut freilich nichts, wenn unser Junge ein bißchen älter ist als der Ihrige; da kann er desto besser auf den Junker achthaben.
RÖSE. Das wird hübsch sein, wenn sie zusammen spielen. Sie dürfen doch?
EDELMANN. Wenn sie nur schon da wären. Ja! – meine Kinder sollen mit den eurigen aufwachsen, wie ich mit euch.
RÖSE. Das wird eine Lust sein!
GÖRGE. Ich sehe sie schon.
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Märten am Fenster.
MÄRTEN. Röse! Röse! Wo bleibt das Frühstück?
RÖSE. Gleich! Gleich!
MÄRTEN. Muß ich schon wieder warten! Das Fenster zu.
RÖSE. Den Augenblick!
GÖRGE. Mach nur, Röse.
RÖSE. Da werd ich ausgeschmält.
EDELMANN. Daran ist der Kuß schuld, über dem ich euch ertappte. Ich vergaß auch darüber mein Wildpret.
GÖRGE. Ihre Freundlichkeit ist schuld, gnädiger Herr!
RÖSE. Jawohl. Ich vergaß darüber den Vater.
GÖRGE. Und ich Wiese, Acker und Krautland.
EDELMANN. Nun denn jedes auf seinen Weg.
Unter wechselseitigen Begrüßungen an verschiedenen Seiten ab, und Röse ins Haus.
Vierter Auftritt