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DOMHERR. Und diesen trefflichen Mann sollen wir sehen? Gib mir einen Wink, auf welche Weise es möglich sei?
GRAF. O du Kurzsichtiger! welche Winke soll ich dir geben? Dir, dessen Augen geschlossen sind!
DOMHERR. Nur ein Wort!
GRAF. Es ist genug! – Was der Hörer wissen soll, pflege ich ihm nie zu sagen.
DOMHERR. Ich brenne vor Begierde, besonders seitdem du mich in den zweiten Grad der Geheimnisse erhoben hast. Oh! daß es möglich wäre, daß du mir auch sogleich den dritten schenktest!
GRAF. Es kann nicht geschehen!
DOMHERR. Warum?
GRAF. Weil ich noch nicht weiß, wie du die Lehren des zweiten Grades gefaßt haben magst und ausüben wirst.
DOMHERR. Prüfe mich sogleich.
GRAF. Es ist jetzt nicht Zeit.
DOMHERR. Nicht Zeit?
GRAF. Hast du schon vergessen, daß die Schüler des zweiten Grades ihre Betrachtungen bei Tage und besonders morgens anstellen sollen?
DOMHERR. So sei es denn morgen bei guter Zeit.
GRAF. Gut! Nun aber zuvörderst die Buße nicht versäumt! – Hinunter zu den andern in den Garten! – – Aber du sollst einen großen Vorzug vor ihnen haben. – – Wende ihnen den Rücken zu – schaue gegen Mittag. Von Mittag kommt der Großkophta; dieses Geheimnis entdeck ich dir allein. Alle Wünsche deines Herzens eröffne ihm; sprich, so leise du willst, er hört dich.
DOMHERR. Ich gehorche mit Freuden. Er küßt dem Grafen die Hand und entfernt sich.
Fünfter Auftritt
Der Graf. Saint Jean.
SAINT JEAN der vorsichtig hereintritt. Hab ich meine Sachen nicht recht gemacht?
GRAF. Du hast deine Pflicht erfüllt.
SAINT JEAN. Flogen die Türen nicht auf, als wenn Geister sie voneinander sprengten? Meine Kameraden erschraken und flohen; es hat keiner was gesehen noch gemerkt.
GRAF. Es mag gut sein! Ich hätte sie auch ohne dich aufgebracht; nur verlangt eine solche Operation mehr Umstände. Ich nehme nur manchmal zu gemeinen Mitteln meine Zuflucht, um die edlen Geister nicht immer zu inkommodieren. Einen Beutel eröffnend. Hier für deine Mühe! Gib dies Geld nicht frevelhaft weg; es ist philosophisches Gold. Es bringt Segen! – – Wenn man's in der Tasche behält, wird sie nie leer.
SAINT JEAN. So! da will ich's wohl verwahren.
GRAF. Wohl, und spare dir immer zwei, drei Goldstücke dazu, du wirst Wunder sehen.
SAINT JEAN. Haben Sie das Gold selbstgemacht, Herr Graf?
GRAF. Ich gebe gar kein andres aus.
SAINT JEAN. Wie glücklich sind Sie!
GRAF. Weil ich Glückliche mache.
SAINT JEAN. Ich bin Ihnen mit Leib und Seele ergeben.
GRAF. Das soll dein Schade nicht sein. Gehe hin und schweige, damit nicht andre diese Quelle kennenlernen. In wenig Zeit sollst du die Stelle haben, um die du gebeten hast.
Bedienter ab.
Sechster Auftritt
Der Graf.
DER GRAF. Glücklicherweise find ich hier eine wohlbesetzte Tafel, ein feines Dessert, treffliche Weine. Der Domherr läßt's nicht fehlen. Wohl, hier kann ich meinen Magen restaurieren, indes die Menschen glauben, ich halte meine vierzigtägigen Fasten. Ich scheine ihnen auch darum ein Halbgott, weil ich ihnen meine Bedürfnisse zu verbergen weiß.
Zweiter Aufzug
Erster Auftritt
Wohnung des Marquis.
Der Marquis, hernach La Fleur.
DER MARQUIS in einem sehr eleganten Frack vor dem Spiegel. Geburt, Rang, Gestalt, was sind sie alle gegen das Geld! Wie dank ich der kühnen Industrie meiner Frau, daß sie mir soviel verschafft. Wie anders seh ich aus, da ich nun das erstemal nach meinem Stande gekleidet bin! Ich kann nicht erwarten, bis ich mich öffentlich zeige. Er klingelt.
LA FLEUR. Was befehlen Sie, gnädiger Herr?
MARQUIS. Gib mir die Schatulle.
LA FLEUR bringt sie. So schwer hab ich noch nie daran getragen.
MARQUIS indem er die Schatulle öffnet. Was sagst du, sind diese beiden Uhren nicht schön, die ich gestern kaufte?
LA FLEUR. Sehr schön.
MARQUIS. Und diese Dose?
LA FLEUR. Kostbar und zierlich.
MARQUIS. Dieser Ring?
LA FLEUR. Gehört auch Ihnen?
MARQUIS. Diese Schnallen? Diese Stahlknöpfe? Genug, alles zusammen! Findest du mich nicht elegant und vornehm gekleidet?
LA FLEUR. Sie zeichnen sich nun auf dem Spaziergange gewiß vor vielen aus.
MARQUIS. Wie wohl mir das tut! – Aus Not ewig in der Uniform zu gehen, immer in der Menge verloren zu sein, die Aufmerksamkeit keines Menschen zu reizen! Ich hätte lieber tot sein mögen als länger so leben. – Ist die Nichte schon aufgestanden?
LA FLEUR. Ich glaube kaum. Sie hat wenigstens das Frühstück noch nicht gefordert. Es scheint mir, sie ist erst wieder eingeschlafen, seitdem Sie heute früh von ihr wegschlichen.
MARQUIS. Unverschämter! – Stille!
LA FLEUR. Unter uns darf ich doch aufrichtig sein!
MARQUIS. Wenn dir in Gegenwart meiner Frau so ein Wort entführe!
LA FLEUR. Glauben Sie nicht, daß ich Herr über meine Lippen bin?
MARQUIS. Noch kann die Marquise unmöglich etwas argwöhnen. Sie hält die Nichte für ein Kind, in drei Jahren haben sie sich nicht gesehen; ich fürchte, wenn sie das Kind recht ansieht –
LA FLEUR. Das möchte noch alles gehen. Wenn sie nur nicht die Bekanntschaft mit dem alten Hexenmeister hätte; vor dem fürchte ich mich. Der Mann ist ein Wunder! Alles weiß er, alles verraten ihm seine Geister. Wie ging es im Hause des Domherrn? Der Zauberer entdeckte ein wichtiges Geheimnis, und nun sollte es der Kammerdiener verschwatzt haben.
MARQUIS. Er ist eben, soviel ich weiß, nicht der größte Freund meiner Frau.
LA FLEUR. Ach, er bekümmert sich um alles; und wenn er seine Geister fragt, bleibt ihm nichts verborgen.
MARQUIS. Sollte denn das alles wahr sein, was man von ihm erzählt?
LA FLEUR. Es zweifelt niemand daran. Nur die Wunder, die ich gewiß weiß –
MARQUIS. Es ist doch sonderbar! – Sieh zu, es fährt ein Wagen vor.
La Fleur ab.
MARQUIS. Wenn meine Frau mein Verhältnis zur schönen Nichte erfahren könnte! – Nun, es käme auf den ersten Augenblick an. Wenn sie ihre Plane durchsetzt, wenn ich ihr zum Werkzeug diene, läßt sie mich dann nicht machen, was ich will? – Sie selbst!
Zweiter Auftritt
Der Marquis. Die Marquise.
MARQUISE. Ich komme früher, als ich dachte.
MARQUIS. Ich freue mich, dich endlich wiederzusehen.
MARQUISE. Warum kamst du mir nicht auch entgegen? Der Domherr hatte dich eingeladen.
MARQUIS. Verzeih mir! Ich hatte eben gestern vieles zu berichtigen. Du schriebst mir ja, daß ich mich zu einer Reise vorbereiten sollte.
MARQUISE. Du hast nicht viel verloren. Der Domherr war unleidlich und die Gesellschaft verstimmt. Zuletzt überraschte uns noch der Graf und jagte uns auseinander. Man muß sich nun einmal die Tollheiten dieses Menschen gefallen lassen.
MARQUIS lächelnd. Wie geht es denn mit deiner Unterhandlung? Ironisch. Hast du dich bei Hofe recht eingeschmeichelt?
MARQUISE. Es ist wahr, wir haben uns lange nicht gesehen. Du warst abwesend, als ich verreiste. Gleich als der Fürst und die Prinzessin auf das Lustschloß hinausgezogen waren, mietete ich mir ein kleines Landhaus in der Nähe und wohnte da ganz im stillen, indes sich der Domherr einbildete, ich sähe die Prinzessin täglich. Ich schickte ihm Boten, ich erhielt Briefe von ihm, und seine Hoffnung war aufs äußerste gespannt. Denn wie unglücklich dieser Mann ist, seitdem ihn sein unkluges Betragen vom Hofe entfernt hat, wie leichtgläubig, wenn seinen Hoffnungen geschmeichelt wird, läßt sich nicht denken. Ich brauchte es nicht so künstlich anzulegen, als ich es getan habe, und ich überredete ihn doch.
MARQUIS. Aber auf die Länge kann dieses Märchen nicht halten.
MARQUISE. Dafür laß mich sorgen. Er ist jetzt nahe dem Gipfel seiner Glückseligkeit. Heute nacht, als er mich auf seinem Landhause empfing, brachte ich ihm einen Brief von der Prinzessin –
MARQUIS. Von der Prinzessin?
MARQUISE. Den ich selbst geschrieben hatte. Er war in allgemeinen Ausdrücken gefaßt; die Überbringerin, hieß es, würde mehr sagen.
MARQUIS. Und weiter?
MARQUISE. Ich kündigte ihm die Gnade der Prinzessin an; ich versicherte ihn, daß sie sich bei ihrem Vater verwenden und die Gnade des Fürsten gewiß für ihn wiedererlangen würde.
MARQUIS. Gut! aber welchen Vorteil versprichst du dir von allem diesem?
MARQUISE. Erstlich eine Kleinigkeit, in die wir uns auf der Stelle teilen wollen. Sie zieht einen Beutel hervor.
MARQUIS. Bestes Weib!
MARQUISE. Das erhielt ich vom Domherrn, um die Garderobe der Fürstin mir günstig zu machen. Zähle dir nur gleich deine Hälfte davon ab.
Marquis tritt an den Tisch und zählt, ohne auf das, was sie sagt, achtzugeben.
MARQUISE. aber, wie gesagt, eine Kleinigkeit! – Gelingt mir mein Anschlag, so sind wir auf immer geborgen. – Die Hofjuweliere haben schon lange ein kostbares Halsband liegen, das sie gern verkaufen möchten; der Domherr hat so viel Kredit, daß sie es ihm wohl einhändigen, wenn er ihnen eine terminliche Zahlung garantiert, und ich –
MARQUIS der nach ihr hinsieht. Was sagst du von Terminen? von Zahlung?
MARQUISE. Merkst du denn nicht auf? Du bist so ganz bei dem Gelde.
MARQUIS. Hier hast du deine Hälfte! Die meine soll gut angewendet werden. Sieh einmal, wie ich mich herausgeputzt habe. Er zeigt sich ihr; dann tritt er vor den Spiegel.
MARQUISE für sich. O des eitlen, kleinlichen Menschen!
MARQUIS sich herumkehrend. Was wolltest du sagen?
MARQUISE. Du hättest besser aufgemerkt, wenn du hättest ahnen können, von welcher wichtigen Sache ich sprach. Es ist nichts weniger, als mit einem einzigen Schlage unser ganzes Glück zu machen.
MARQUIS. Und wie?
MARQUISE. Erinnerst du dich, von dem kostbaren Halsbande gehört zu haben, das die Hofjuweliere arbeiten ließen, in Hoffnung, der Fürst solle seiner Tochter damit ein Geschenk machen?
MARQUIS. Ganz recht! Ich habe es sogar diese Woche noch bei ihnen gesehen, als ich diesen Ring kaufte; es ist von unglaublicher Schönheit. Man weiß nicht, ob man die Größe der Steine, ihre Gleichheit, ihr Wasser, die Anzahl oder den Geschmack, womit sie zusammengesetzt sind, am meisten bewundern soll. Ich konnte mich vom Anblick nicht scheiden; dieser Ring verschwand zu nichts dagegen; ich ging recht unzufrieden weg und konnte mir das Halsband einige Tage nicht aus dem Sinne schaffen.
MARQUISE. Und dieses Halsband soll unser werden!
MARQUIS. Dieses Halsband? Unser? Du erschreckst mich! Welch ein ungeheurer Gedanke!
MARQUISE. Glaubst du, daß ich weiter keine Absicht habe, als dir für Uhren, Ringe und Stahlknöpfe zu sorgen? Ich bin gewohnt, armselig zu leben, aber nicht armselig zu denken. – Wir haben uns lange genug elend beholfen, unter unserm Stande, unter der Würde meiner großen Vorfahren leben müssen; jetzt, da sich eine Gelegenheit darbietet, will ich gewiß nicht kleinlich sein und sie entschlüpfen lassen.
MARQUIS. Aber um's Himmels willen, was ist dein Plan? Wie ist es möglich, ihn auszuführen?
MARQUISE. Höre mich! Dem Domherrn mach ich glauben, die Prinzessin wünsche das Halsband zu besitzen, und daran sage ich keine ganze Unwahrheit: denn man weiß, daß es ihr außerordentlich gefallen hat und daß sie es gern besessen hätte. Ich sage dem Domherrn ferner: die Prinzessin wünsche das Halsband zu kaufen, und verlange von ihm, daß er nur seinen Namen dazu hergeben solle, daß er den Kauf mit den Juwelieren schließe, die Termine festsetze und allenfalls den ersten Termin bezahle. Sie wolle ihn völlig schadlos halten und diesen Dienst als ein Pfand seiner Treue, seiner Ergebenheit ansehen.
MARQUIS. Wie verblendet muß er sein, so viel zu wagen!
MARQUISE. Er glaubt ganz sicher zu gehen. Auch habe ich ihm schon ein Blatt zugestellt, in welchem die Prinzessin ihm Sicherheit zu versprechen scheint.
MARQUIS. Liebe Frau, das wird gefährlich!
MARQUISE. Schäme dich! Mit mir darfst du alles wagen. Ich habe mich schon vorgesehen in Absicht auf die Ausdrücke, die Unterschrift. Sei nur ruhig! – Und wenn alles entdeckt würde, bin ich nicht als ein Seitenzweig der fürstlichen Familie so gut als anerkannt? – Höre nur! Der Domherr ist jetzt voller Freuden über dieses Vertrauen; er sieht darin ein gewisses Zeichen der neugeschenkten Gunst und wünscht nichts sehnlicher, als daß der Kauf zustande und das Halsband schon in ihren Händen sei.
MARQUIS. Und dieses Halsband denkst du zu unterschlagen?
MARQUISE. Natürlich! Mache dich nur immer reisefertig. Sobald der Schatz in unsern Händen ist, wollen wir ihn nutzen. Wir brechen den Schmuck auseinander, du gehst nach England hinüber, verkaufest, vertauschest zuerst die kleinen Steine mit Klugheit; ich komme nach, sobald mir meine Sicherheit nicht mehr erlaubt, hier zu bleiben; indessen will ich die Sache schon so führen und so verwirren, daß der Domherr allein steckenbleibt.
MARQUIS. Es ist ein großes Unternehmen; aber sage mir, fürchtest du dich nicht, in der Nähe des Grafen, dieses großen Zauberers, solch einen Plan zu entwerfen?
MARQUISE. Ein großer Schelm ist er! Seine Zauberei besteht in seiner Klugheit, in seiner Unverschämtheit. Er fühlt wohl, daß ich ihn kenne. Wir betragen uns gegeneinander, wie sich's gebührt; wir verstehen einander, ohne zu sprechen; wir helfen einander ohne Abrede.
MARQUIS. Aber die Geister, die er bei sich hat?
MARQUISE. Possen!
MARQUIS. Die Wunder, die er tut?
MARQUISE. Märchen!
MARQUIS. So viele haben doch gesehen –
MARQUISE. Blinde!
MARQUIS. So viele glauben –
MARQUISE. Tröpfe!
MARQUIS. Es ist zu allgemein! Die ganze Welt ist davon überzeugt!
MARQUISE. Weil sie albern ist!
MARQUIS. Die Wunderkuren –
MARQUISE. Scharlatanerie!
MARQUIS. Das viele Geld, das er besitzt –
MARQUISE. Mag er auf ebendem Wege erlangt haben, wie wir das Halsband zu erlangen gedenken.
MARQUIS. Du glaubst also, daß er nicht mehr weiß als ein anderer?
MARQUISE. Du mußt unterscheiden – wenn du kannst. Er ist kein gemeiner Schelm. Er ist so unternehmend und gewaltsam als klug, so unverschämt als vorsichtig; er spricht so vernünftig als unsinnig; die reinste Wahrheit und die größte Lüge gehn schwesterlich aus seinem Munde hervor. Wenn er aufschneidet, ist es unmöglich zu unterscheiden, ob er dich zum besten hat oder ob er toll ist. – – Und es braucht weit weniger als das, um die Menschen verwirrt zu machen.
JÄCK hereinspringend. Ihre Nichte fragt, ob sie aufwarten kann? – Sie ist hübsch, Ihre Nichte!
MARQUISE. Gefällt sie dir? – Laß sie kommen.
Jäck ab.
MARQUISE. Ich wollte dich eben fragen, wie dir es gegangen ist, ob du sie glücklich in die Stadt gebracht hast? Wie ist sie geworden? Glaubst du, daß sie ihr Glück machen wird?
MARQUIS. Sie ist schön, liebenswürdig, sehr angenehm; und gebildeter, als ich glaubte, da sie auf dem Lande erzogen ist.
MARQUISE. Ihre Mutter war eine kluge Frau, und es fehlte in ihrer Gegend nicht an guter Gesellschaft. – Da ist sie.
Dritter Auftritt
Die Vorigen. Die Nichte.
NICHTE. Wie glücklich bin ich, Sie wiederzusehen, liebste Tante!
MARQUISE. Liebe Nichte! Sein Sie mir herzlich willkommen.
MARQUIS. Guten Morgen, Nichtchen! Wie haben Sie geschlafen?
NICHTE beschämt. Ganz wohl.
MARQUISE. Wie sie groß geworden ist, seit ich sie nicht gesehen habe!
NICHTE. Es werden drei Jahre sein.
MARQUIS. Groß, schön, liebenswürdig! Sie ist alles geworden, was ihre Jugend uns weissagte.
MARQUISE zum Marquis. Erstaunst du nicht, wie sie unserer Prinzessin gleicht?
MARQUIS. So obenhin. In der Figur, im Wuchse, in der Größe mag eine allgemeine Ähnlichkeit sein; aber diese Gesichtsbildung gehört ihr allein, und ich denke, sie wird sie nicht vertauschen wollen.
MARQUISE. Sie haben eine gute Mutter verloren.
NICHTE. Die ich in Ihnen wiederfinde.
MARQUISE. Ihr Bruder ist nach den Inseln.
NICHTE. Ich wünsche, daß er sein Glück mache.
MARQUIS. Diesen Bruder ersetze ich.
MARQUISE zum Marquis. Es ist eine gefährliche Stelle, Marquis!
MARQUIS. Wir haben Mut.
JÄCK. Der Ritter! – Er ist noch nicht freundlicher geworden.
MARQUISE. Er ist willkommen!
Jäck ab.
MARQUISE zur Nichte. Sie werden einen liebenswürdigen Mann kennenlernen.
MARQUIS. Ich dächte, sie könnte seinesgleichen schon mehr gesehen haben.
Vierter Auftritt
Die Vorigen. Der Ritter.
MARQUISE. Es scheint, Sie haben sowenig geschlafen als ich.
RITTER. Gewiß, diesmal hat der Graf unsere Geduld sehr geprüft, besonders die meine. Er ließ uns eine völlige Stunde im Garten stehen, dann befahl er uns, in die Wagen zu sitzen und nach Hause zu fahren; er selbst brachte den Domherrn herein.
MARQUISE. So sind wir denn glücklich alle wieder in der Stadt zusammen.
RITTER. Ist dieses Frauenzimmer Ihre Nichte, die Sie uns ankündigten?
MARQUISE. Sie ist's.
RITTER. Ich bitte, mich ihr vorzustellen.
MARQUISE. Dies ist der Ritter Greville, mein werter Freund.
NICHTE. Ich freue mich, eine so angenehme Bekanntschaft zu machen!
RITTER nachdem er sie aufmerksam betrachtet. Ihre Tante hat nicht zuviel gesagt; gewiß, Sie werden die schönste Zierde unsers gemeinschaftlichen Kreises sein.
NICHTE. Ich merke wohl, daß man sich in der großen Welt gewöhnen muß, diese schmeichelhaften Ausdrücke zu hören. Ich fühle meine Unwürdigkeit und bin von Herzen beschämt; noch vor kurzer Zeit würden mich solche Komplimente sehr verlegen gemacht haben.
RITTER. Wie gut sie spricht!
MARQUISE setzt sich. Sagt ich Ihnen nicht voraus, daß sie Ihnen gefährlich werden könnte?
RITTER setzt sich zu ihr. Sie scherzen, Marquise!
Marquis ersucht pantomimisch die Nichte, ihm an der Hutkokarde, an dem Stockbande etwas zurechtezumachen; sie tut es, indem sie sich an ein Tischchen der Marquise gegenübersetzt. Der Marquis bleibt bei ihr stehen.
MARQUISE. Wie haben Sie den Domherrn verlassen?
RITTER. Er schien verdrießlich und verlegen; ich verdenk es ihm nicht. Der Graf überraschte uns, und ich darf wohl sagen: er kam uns allen zur Unzeit.
MARQUISE. Und Sie wollten sich mit gewaffneter Hand den Geistern widersetzen?
RITTER. Ich versichere Sie, schon längst war mir die Arroganz des Grafen unerträglich; ich hätte ihm schon einigemal die Spitze geboten, wenn nicht sein Stand, sein Alter, seine Erfahrung, seine übrigen großen Eigenschaften mehr als seine Güte gegen mich mir wiederum die größte Ehrfurcht einflößten. Ich leugne es nicht, oft ist er mir verdächtig: bald erscheint er mir als ein Lügner, als ein Betrüger; und gleich bin ich wieder durch die Gewalt seiner Gegenwart an ihn gebunden und wie an Ketten gelegt.
MARQUISE. Wem geht es nicht so?
RITTER. Auch Ihnen?
MARQUISE. Auch mir.
RITTER. Und seine Wunder? Seine Geister?
MARQUISE. Wir haben so große, so sichere Proben von seiner übernatürlichen Kraft, daß ich gerne meinen Verstand gefangennehme, wenn bei seinem Betragen mein Herz widerstrebt.
RITTER. Ich bin in dem nämlichen Fall, wenn meine Zweifel gleich stärker sind. Nun aber muß sich's bald entscheiden, heute noch! denn ich weiß nicht, wie er ausweichen will. – Als er uns heute gegen Morgen aus dem Garten erlöste – denn ich muß gestehen, wir gehorchten ihm pünktlich, und keiner wagte nur einen Schritt –, trat er endlich zu uns und rief: »Seid mir gesegnet, die ihr die strafende Hand eines Vaters erkennt und gehorcht. Dafür soll euch der schönste Lohn zugesichert werden. Ich habe tief in eure Herzen gesehn. Ich habe euch redlich gefunden. Dafür sollt ihr heute noch den Großkophta erkennen.«
MARQUISE. Heute noch?
RITTER. Er versprach's.
MARQUISE. Hat er sich erklärt, wie er ihn zeigen will? Wo?
RITTER. In dem Hause des Domherrn, in der ägyptischen Loge, wo er uns eingeweiht hat. Diesen Abend.
MARQUISE. Ich verstehe es nicht. Sollte der Großkophta schon angelangt sein?
RITTER. Es ist mir unbegreiflich!
MARQUISE. Sollte ihn der Domherr schon kennen und es bis hieher geleugnet haben?
RITTER. Ich weiß nicht, was ich denken soll; aber es werde nun, wie es wolle, ich bin entschlossen, den Betrüger zu entlarven, sobald ich ihn entdecke.
MARQUISE. Als Freundin kann ich Ihnen ein so heroisches Unternehmen nicht raten; glauben Sie, daß es so ein leichtes sei?
RITTER. Was hat er denn für Wunder vor unsern Augen getan? Und wenn er fortfährt, uns mit dem Großkophta aufzuziehen – wenn es am Ende auf eine Mummerei hinausläuft, daß er uns einen Landstreicher seinesgleichen als den Urmeister seiner Kunst aufdringen will: wie leicht werden dem Domherrn, wie leicht der ganzen Schule die Augen zu öffnen sein!
MARQUISE. Glauben Sie es nicht, Ritter! Die Menschen lieben die Dämmerung mehr als den hellen Tag, und eben in der Dämmerung erscheinen die Gespenster. Und dann denken Sie, welcher Gefahr Sie sich aussetzen, wenn Sie einen solchen Mann durch eine rasche, durch eine übereilte Tat beleidigen. Ich verehre ihn noch immer als ein übernatürliches Wesen. – Seine Großmut, seine Freigebigkeit und sein Wohlwollen gegen Sie! Hat er Sie nicht in das Haus des Domherrn gebracht? Begünstigt er Sie nicht auf alle Weise? Können Sie nicht hoffen, durch ihn Ihr Glück zu machen, wovon Sie als ein dritter Sohn weit entfernt sind? – – Doch Sie sind zerstreut – Irre ich, Ritter? oder Ihre Augen sind mehr auf meine Nichte als Ihr Geist auf mein Gespräch gerichtet!
RITTER. Verzeihen Sie meine Neugierde. Ein neuer Gegenstand reizt immer.
MARQUISE. Besonders wenn er reizend ist.
MARQUIS der bisher mit der Nichte leise gesprochen. Sie sind zerstreut, und Ihre Blicke scheinen nach jener Seite gerichtet zu sein.
NICHTE. Ich sah meine Tante an. Sie hat sich nicht geändert, seitdem ich sie gesehen habe.
MARQUIS. Desto mehr verändert find ich Sie, seitdem der Ritter eingetreten ist.
NICHTE. Seit diesen wenigen Augenblicken?
MARQUIS. O ihr Weiber! ihr Weiber!
NICHTE. Beruhigen Sie sich, Marquis! Was fällt Ihnen ein?
MARQUISE. Wir machen doch diesen Morgen eine Tour, Nichtchen?
NICHTE. Wie es Ihnen gefällt.
RITTER. Darf ich mich zum Begleiter anbieten?
MARQUISE. Diesmal nicht, es würde Ihnen die Zeit lang werden. Wir fahren von Laden zu Laden. Wir haben viel einzukaufen: denn es muß dieser schönen Gestalt an keinem Putze fehlen. Diesen Abend finden wir uns in der ägyptischen Loge zusammen.
Fünfter Auftritt
Die Vorigen. Jäck. Der Graf.
JÄCK. Der Graf! –
GRAF der gleich hinter Jäck hereinkommt. Wird nirgends angemeldet. Keine Tür ist ihm verschlossen, er tritt in alle Gemächer unversehens herein. Und sollte er auch unerwartet, unwillkommen herabfahren wie ein Donnerschlag: so wird er doch nie hinweggehen, ohne, gleich einem wohltätigen Gewitter, Segen und Fruchtbarkeit zurückzulassen.
Jäck, der indes unbeweglich dagestanden, den Grafen angesehen und ihm zugehört, schüttelt den Kopf und geht ab.
DER GRAF setzt sich und behält in diesem sowie in den vorhergehenden und folgenden Auftritten den Hut auf dem Kopfe, den er höchstens nur, um jemand zu grüßen, lüftet. Auch Sie treff ich wieder hier, Ritter? Fort mit Ihnen, überlassen Sie sich der Meditation; und diesen Abend zur gesetzten Stunde finden Sie sich in dem Vorzimmer des Domherrn.
RITTER. Ich gehorche. Und Ihnen allerseits empfehle ich mich. Ab.
NICHTE. Wer ist dieser Herr?
MARQUIS. Der Graf Rostro, der größte und wunderbarste aller Sterblichen.