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Drei Wochen nach Mr. Carlyles Besuch in Castle Marling sprach Barbara Hare eines Abends bei Miss Carlyle vor und stellte fest, dass diese früher als gewöhnlich ihren Tee einnahm.
„Wir haben früher gegessen“ sagte Miss Corny, „und ich habe den Tee bestellt, sobald das Abendessen abgeräumt war. Ansonsten hätte Archibald keinen getrunken.“
„Ich komme ebenso gut ohne Tee aus. Und ich habe noch viele geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen“, sagte der Angesprochene.
„Du kommst nicht ebenso gut ohne Tee aus“, rief Miss Corny, „und ich lasse nicht zu, dass du ohne ihn weggehst. Nehmen Sie Ihre Haube ab, Barbara. Er macht alles anders als andere; morgen fährt er nach Castle Marling, und er hat bis gerade eben kein Wort über die Reise verlauten lassen.“
„Ist dieser Invalide – Brewster, oder wie sein Name auch war – immer noch in Castle Marling bettlägerig?“, rief Barbara.
„Er ist immer noch dort“, sagte Mr. Carlyle.
Sobald der Tee vorüber war, sprang Barbara auf.
„Dill wartet im Büro auf mich“, erklärte Mr. Carlyle, „und ich habe noch einige Stunden Arbeit vor mir. Ich nehme allerdings an, es wird Ihnen nichts ausmachen, mit Peters Gesellschaft vorlieb zu nehmen, also beeilen Sie sich mit Ihrer Haube, Barbara.“
Sie nahm seinen Arm, und die beiden spazierten davon. Mr. Carlyle schlug hier und da mit Barbaras Regenschirm auf die Hecke und das Gras ein. Es dauerte nicht lange, da war der Griff zerbrochen.
„Ich habe mir gedacht, dass es so kommen würde“, sagte Barbara, während er den Schirm noch mit übertriebenem Entsetzen betrachtete. „Das macht nichts, der ist schon alt.“
„Ich werde Ihnen einen anderen als Ersatz mitbringen. Welche Farbe hat er? Braun. Ich werde es nicht vergessen. Halten Sie die Überreste einen Augenblick fest, Barbara.“
Er drückte ihr die Stücke in die Hand, nahm ein Notizbuch heraus und machte sich mit Bleistift eine Notiz.
„Wozu ist das?“, erkundigte sie sich.
Er hielt ihr das kleine Buch dicht vor die Augen, damit sie erkennen konnte, was er geschrieben hatte: „Brauner Regenschirm. B. H.“
„Zur Erinnerung für mich, Barbara, für den Fall, dass ich es vergesse.“
Barbaras scharfer Blick entdeckte noch einige weitere Gegenstände, die bereits in dem Notizbuch vermerkt waren: „Klavier“, „Teller“.
„Ich schreibe die Dinge auf, wie sie mir einfallen, denn ich muss sie in London besorgen“, erklärte er. „Ansonsten würde ich die Hälfte vergessen.“
„In London? Ich dachte, Sie reisen in die entgegengesetzte Richtung nach Castle Marling?“
Es war eine unbedachte Äußerung gewesen, aber Mr. Carlyle brachte sie in Ordnung.
„Ich werde vermutlich nicht nur nach Castle Marling, sondern auch nach London fahren müssen. Wie schön es aussieht, wenn der Mond dort drüben aufgeht, Barbara!“
„So hell – der Mond oder der Himmel – und ich habe Ihr Geheimnis gesehen“, antwortete sie. „Klavier! Teller! Was können Sie mit solchen Dingen anfangen, Archibald?“
„Sie sind für East Lynne“, erwiderte er leise.
„Ach, für die Carews.“ Damit war Barbaras Interesse an dem Gegenstand erloschen.
Sie bogen in die Straße unmittelbar unterhalb des Wäldchens ein und gingen darauf zu. Mr. Carlyle hielt Barbara das Tor auf.
„Kommen Sie doch herein und sagen Sie Mama gute Nacht. Erst kürzlich hat sie noch gesagt, Sie hätten sich in letzter Zeit sehr rar gemacht.“
„Ich war beschäftigt; und heute Abend habe ich wirklich keine Zeit. Stattdessen müssen Sie sie an mich erinnern.“ Er schüttelte ihr herzlich die Hand und schloss das Gartentor.
Zwei oder drei Tage nachdem Mr. Carlyle abgereist war, kam Mr. Dill zu Miss Carlyle und brachte ihr einen Brief. Sie war gerade eifrig damit beschäftigt, die Wirkung einiger neuer, kürzlich aufgehängter Musselingardinen zu begutachten und schenkte ihm keine große Beachtung.
„Würden Sie bitte den Brief entgegennehmen, Miss Cornelia? Der Postbote hat ihn bei uns im Büro gelassen. Er ist von Mr. Archibald.“
„Was? Warum muss er mir denn schreiben?“, erwiderte Miss Corny. „Sagt er, wann er nach Hause kommt?“
„Sehen Sie besser selbst, Miss Cornelia. Mir hat er es nicht mitgeteilt.“
Castle Marling, 1. Mai
Meine liebe Cornelia – Ich habe heute Morgen Lady Isabel Vane geheiratet und beeile mich, Dich kurz mit der Tatsache bekanntzumachen. Ich werde Dir morgen oder übermorgen ausführlicher schreiben und alles erklären.
Dein Dir zugetaner Bruder
Archibald Carlyle.
„Das ist eine Fälschung“, lautete die erste erstickte Äußerung, die aus Miss Carlyles Kehle drang, als sie die Sprache wiedergefunden hatte.
Mr. Dill stand nur da wie eine Steinsäule.
„Ich behaupte, das ist eine Fälschung“, tobte Miss Carlyle. „Was stehen Sie hier herum wie ein Ganter auf einem Bein?“, fuhr sie fort, womit sie ihrem Ärger an dem unschuldigen Mann ausließ. „Ist es eine Fälschung oder nicht?“
„Ich bin überwältigt von der Verblüffung, Miss Corny. Es ist keine Fälschung; ich habe ebenfalls einen Brief bekommen.“
„Es kann nicht wahr sein – es kann einfach nicht wahr sein. Als er hier vor drei Tagen abgereist ist, hat er nicht mehr ans Heiraten gedacht als ich.“
„Woher wollen wir das wissen, Miss Corny? Woher wollen wir wissen, dass er nicht abgereist ist, um zu heiraten? “
„Abgereist, um zu heiraten!“, kreischte Miss Corny in einem Anfall von Leidenschaft. „Ein solcher Narr wäre er nicht. Und dann diese feine Kinderlady! Nein – nein.“
„Er hat das hier geschickt, das in den Lokalzeitungen erscheinen soll“, sagte Mr. Dill, wobei er ein Stück Papier in die Höhe hielt. „Sie sind verheiratet, das steht fest.“
Miss Carlyle nahm das Papier und betrachtete es: Ihre Hand war kalt wie Eis und zitterte wie von einer Schüttellähmung.
„Eheschließung – am 1. des Monats in Castle Marling durch den Kaplan des Earl of Mount Severn: Archibald Carlyle, Esqire, aus East Lynne, und Lady Isabel Mary Vane, einziges Kind von William, verstorbener Earl von Mount Severn.“
Miss Carlyle zerriss das Papier in kleine Stücke und verstreute sie. Mr. Dill fertigte anschließend Abschriften aus dem Gedächtnis an und schickte sie an die Zeitungsbüros. Aber lassen wir das durchgehen.
„Das werde ich ihm nie verzeihen“, murmelte sie bedächtig, „und ich werde auch ihr nie verzeihen oder mich mit ihr abfinden.“
Kapitel 14 Das Erstaunen des Earl
Lord Mount Severn erfuhr erst durch die Heiratsanzeige in den Zeitungen von der Eheschließung. Er war kaum weniger vom Donner gerührt als Miss Corny und kam noch am gleichen Tag mit dem Dampfer nach England. Deshalb verpasste er den Brief, in dem seine Frau ihre Version der Angelegenheit darlegte. In London traf er sich mit Mr. Carlyle und Lady Isabel. Die beiden wohnten dort in einem der Hotels im Westend, allerdings nur für einen oder zwei Tage, dann wollten sie weiterreisen. Als der Earl gemeldet wurde, war Isabel allein.
„Was hat das zu bedeuten, Isabel?“, hob er an, ohne den Umweg über eine Begrüßung einzuschlagen. „Du bist verheiratet?“
„Ja“, antwortete sie mit ihrem hübschen, unschuldigen Erröten. „Schon seit einiger Zeit.“
„Und zwar mit Carlyle, dem Anwalt! Wie konnte es dazu kommen?“
Isabel überlegte, wie es dazu gekommen war, und das so lange, dass sie schließlich eine klare Antwort geben konnte. „Er hat mich gefragt, und ich habe zugestimmt“, sagte sie. „Er ist zu Ostern nach Castle Marling gekommen und hat mich gefragt. Ich war sehr überrascht.“
Der Earl sah sie durchdringend an. „Warum wurde ich darüber in Unkenntnis gelassen, Isabel?“
„Ich wusste nicht, dass du in Unkenntnis gelassen wurdest. Mr. Carlyle hat an dich ebenso geschrieben wie an Lady Mount Severn.“
Lord Mount Severn tappte im Dunkeln und sah auch so aus. „Ich nehme an“, sagte er laut zu sich selbst, „dass dein Vater diesem Gentlemen gestattet hat, täglich in East Lynne seine Aufwartung zu machen. Deshalb hast du dich in ihn verliebt.“
„Eigentlich nicht!“, antwortete sie in amüsiertem Ton. „Ich habe nie auch nur entfernt daran gedacht, mich in Mr. Carlyle zu verlieben.“
„Dann liebst du ihn also nicht?“, fragte der Earl unvermittelt.
„Nein!“, flüsterte sie ängstlich. „Aber ich habe ihn gern – oh, sogar sehr gern! Und er ist so gut zu mir.“
Der Earl strich sich über das Kinn und überlegte. Isabel hatte die einzige vernünftige Schlussfolgerung zerstört, zu der er gelangt war, was die Motive für die übereilte Eheschließung anging. „Wenn du Mr. Carlyle nicht liebst, wie kommt es dann, dass du so klug bist und zwischen ‚mögen‘ und ‚lieben‘ unterscheidest? Es ist doch nicht etwa so, dass du einen anderen liebst?“
Die Frage hatte ins Schwarze getroffen, und Isabel wurde dunkelrot. „Ich werde meinen Ehemann zu gegebener Zeit lieben“ – mehr sagte sie nicht, während sie den Kopf senkte und nervös mit ihrer Uhrkette spielte.
„Mein armes Kind!“, rief der Earl unwillkürlich aus. Aber er gehörte zu den Menschen, die gern alles bis in die Tiefe ausloten. „Wer hat in Castle Marling gewohnt, seit ich abgereist bin?“, fragte er in scharfem Ton.
„Mrs. Levison war zu Besuch.“
„Ich meinte Gentlemen – junge Männer.“
„Nur Francis Levison“, erwiderte sie.
„Francis Levison! Du warst doch nicht etwa so töricht, dich in ihn zu verlieben?“
Die Frage war so zugespitzt und kam so plötzlich, und Isabels Unsicherheit war zu allem Überfluss so groß, dass sie eine beklagenswerte Verwirrung erkennen ließ und der Earl es nicht nötig hatte, weiter zu fragen. Mitleid schlich sich in seinen harten Blick, der sich auf ihr niedergeschlagenes, glühendes Gesicht richtete.
„Isabel“, begann er gewichtig, „Captain Levison ist kein guter Mensch; wenn du jemals geneigt warst, ihn für einen zu halten, mache deinen Geist von dem Gedanken frei und halte ihn auf eine Armeslänge Distanz. Gib die Bekanntschaft auf – ermutige ihn zu keinerlei Vertraulichkeit.“
„Ich habe sie schon aufgegeben“, sagte Isabel, „und werde sie auch nicht wieder aufnehmen. Aber Lady Mount Severn hält offenbar viel von ihm, sonst hätte sie ihn nicht dort wohnen lassen.“
„Sie hält nicht allzu viel von ihm; niemand kann viel von Francis Levison halten“, gab der Earl nachdrücklich zurück.
Bevor Isabel noch antworten konnte, trat Mr. Carlyle ein. Er streckte dem Earl die Hand hin, aber der bemerkte es scheinbar nicht.
„Isabel“, sagte er, „es tut mir leid, dich hinauswerfen zu müssen, aber ich nehme an, ihr habt nur dieses eine Wohnzimmer. Ich möchte ein paar Worte an Mr. Carlyle richten.“
Sie verließ die beiden. Der Earl drehte sich auf dem Absatz um, sah Mr. Carlyle ins Gesicht und sprach in strengem, überheblichem Ton.
„Wie ist es zu dieser Eheschließung gekommen, Sir? Besitzen Sie so wenig Ehrgefühl, dass Sie meine Abwesenheit ausnutzen, um sich in meine Familie zu drängen und Lady Isabel Vane heimlich den Hof zu machen?“
Mr. Carlyle war verwirrt und wie vor den Kopf geschlagen. Er richtete sich zu voller Größe auf und sah mit jeder Faser ebenso furchtlos und weit edler aus als der Adlige. „Mylord, ich verstehe Sie nicht.“
„Ich habe mich doch klar ausgedrückt. Was ist es anderes als Heimlichtuerei, wenn man die Abwesenheit eines Vormundes ausnutzt und ein junges Mädchen zu einer nicht standesgemäßen Eheschließung überredet?“
„In meinem Betragen gegenüber Lady Isabel Vane war keine Heimlichtuerei; und in meinem Betragen gegenüber Lady Isabel Carlyle wird es nichts geben, was nicht ehrenhaft wäre. Eure Lordschaft wurden falsch unterrichtet.“
„Ich würde überhaupt nicht unterrichtet“, gab der Earl zurück. „Ich durfte es erst aus den Zeitungen erfahren – ich, der einzige Angehörige von Lady Isabel.“
„Als ich Lady Isabel den Antrag gemacht habe …“
„Vor noch nicht einmal einem Monat“, unterbrach ihn der Earl sarkastisch.
„Vor noch nicht einmal einem Monat“, wiederholte Mr. Carlyle in aller Ruhe, „bestand meine erste Handlung, nachdem Isabel den Antrag angenommen hatte, darin, Ihnen zu schreiben. Aber wenn ich mir nicht vorstelle, dass Sie den Brief vielleicht nicht erhalten haben – da Sie behaupten, sie hätten von der Eheschließung zum ersten Mal aus der Zeitung erfahren –, würde ich sagen, dass der Mangel an Höflichkeit auf Seiten Eurer Lordschaft lag, da Sie sich nicht dazu herabgelassen haben, mir zu antworten.“
„Was war der Inhalt des Briefes?“
„Ich habe erklärt, was geschehen war, habe erwähnt, was ich im Hinblick auf den Ehevertrag bieten könne, und habe auch geschrieben, dass Isabel und ich wünschten, dass die Zeremonie so bald wie möglich stattfinden möge.“
„Und wohin, bitte, haben Sie den Brief adressiert?“
„Lady Mount Severn konnte mir keine Adresse nennen. Sie sagte, wenn ich ihr den Brief anvertrauen würde, werde sie ihn zusammen mit dem, was sie selbst schrieb, weiterleiten, denn sie rechnete täglich damit, von Ihnen zu hören. Ich gab ihr den Brief und hörte von der Angelegenheit nichts mehr; ihre Ladyschaft schickte mir nur eine Nachricht, und darin stand, da von Ihnen keine Antwort gekommen sei, seien Sie natürlich einverstanden.“
„Ist das wirklich wahr?“, rief der Earl.
„Mylord“, antwortete Mr. Carlyle kühl, „welche Mängel ich in Ihren Augen auch haben mag, zumindest bin ich ein Mann der Wahrheit. Der Verdacht, Sie seien in Unkenntnis über die beabsichtigte Eheschließung gewesen, ist mir nie gekommen.“
„Dann bitte ich Sie insofern um Entschuldigung, Mr. Carlyle. Aber wie ist es überhaupt zu der Ehe gekommen – wie kam es, dass sie in so unziemlicher Eile geschlossen wurde? Wie Isabel mir sagt, haben Sie ihr zu Ostern den Antrag gemacht, und drei Wochen später haben Sie geheiratet.“
„Ich hätte sie noch an dem Tag, an dem ich den Antrag gemacht habe, geheiratet und mitgenommen, wenn es praktikabel gewesen wäre“, gab Mr. Carlyle zurück. „Ich habe jederzeit im Sinne ihrer Bequemlichkeit und ihres Glücks behandelt.“
„Ach, in der Tat!“, rief der Earl, wobei er zu seinem unfreundlichen Ton zurückkehrte. „Vielleicht wären Sie so gütig, mich über die Tatsachen und Ihre Motive in Kenntnis zu setzen.“
„Ich warne Sie: Die Tatsachen werden sich für Sie nicht angenehm anhören, Lord Mount Severn.“
„Gestatten sie mir, das selbst zu beurteilen“, sagte der Earl.
„Am Karfreitag führten mich Geschäfte nach Castle Marling. Am folgenden Tag sprach ich in Ihrem Haus vor; nach Ihrer eigenen und Isabels Einladung war das nur natürlich; es wäre sogar ein Bruch des angenehmen Verhältnisses gewesen, es nicht zu tun, aber ich musste feststellen, dass Isabel misshandelt wurde und elend aussah; sie erfreute sich in Ihrem Haus keineswegs eines angenehmen Zuhause…“
„Wie bitte?“, unterbrach ihn der Earl. „Misshandelt und elend?“
„Schlecht behandelt sogar bis hin zu Schlägen, Mylord.“
Der Earl stand da wie versteinert und starrte Mr. Carlyle an.
„Ich erfuhr es, das muss ich vorausschicken, durch die geplauderten Eröffnungen Ihres kleinen Sohnes; Isabel hätte es mir gegenüber natürlich nicht erwähnt; aber als das Kind gesprochen hatte, leugnete sie es nicht. Kurz gesagt, war sie zu sehr gebrochenen Herzens und zu vollständig in niedergeschlagener Stimmung, als dass sie es hätte abstreiten können. Es weckte in mir Gefühle der Empörung – in mir wuchs das unwiderstehliche Bestreben, sie aus diesem grausamen Leben zu befreien und sie an einen Ort zu bringen, an dem sie Zuneigung und, so hoffe ich, Glück finden konnte. Es gab dazu nur einen Weg, und ich riskierte ihn. Ich bat sie, meine Frau zu werden und in ihr Zuhause in East Lynne zurückzukehren.“
Langsam erholte sich der Earl von seiner Versteinerung. „Wenn ich es richtig verstehe, kamen Sie an jenem Tag, als Sie in meinem Haus vorsprachen, nicht in der Absicht, Isabel einen Antrag zu machen?“
„Nicht im geringsten. Es war ein spontaner Schritt, hervorgerufen durch die Umstände, unter denen ich sie vorgefunden hatte.“
Der Earl durchmaß, immer noch verblüfft und offensichtlich verwirrt, das Zimmer. „Darf ich fragen, ob Sie sie lieben?“, sagte er unvermittelt.
Mr. Carlyle hielt inne, bevor er etwas sagte, und ein plötzliches Rot trat in sein Gesicht. „Solche Gefühle gesteht ein Mann einem anderen kaum einmal ein, Lord Mount Severn, aber ich werde Ihnen antworten. Ich liebe sie leidenschaftlich und aufrichtig; ich habe sie in East Lynne lieben gelernt; aber ich hätte meine Liebe bis zum Ende meiner Tage still mit mir herumtragen können und nie verraten müssen; vermutlich hätte ich das ohne den unerwarteten Besuch in Castle Marling auch getan. Wenn der Gedanke, sie zu meiner Ehefrau zu machen, mir zuvor nie als praktikabel erschienen war, dann weil ihr Rang nach meiner Einschätzung nicht zu meinem eigenen passte.“
„Was ja auch der Fall war“, sagte der Earl.
„Landanwälte haben auch früher schon Töchter von Adligen geheiratet“, bemerkte Mr. Carlyle. „Ich habe zu der Liste nur einen weiteren Namen hinzugefügt.“
„Aber Sie können sie nicht als Tochter eines Adligen versorgen, nehme ich an?“
„East Lynne wird ihr Zuhause sein. Im Vergleich zu ihrem Vater werden wir einen kleinen, ruhigen Haushalt führen. Wie ruhig er ist, habe ich Isabel als allererstes erklärt, und sie hätte sich dann zurückziehen können, wenn sie es gewünscht hätte. Ebenso habe ich es Lady Mount Severn ausführlich erläutert. East Lynne wird an unseren ältesten Sohn fallen, falls wir Kinder haben sollten. Mein Beruf ist höchst einträglich, mein Einkommen gut; würde ich morgen sterben, könnte Isabel sich über East Lynne und rund dreitausend Pfund im Jahr freuen. Ich habe alle diese Einzelheiten in dem Brief dargestellt, der offensichtlich nicht zugestellt wurde.“
Der Earl antwortete nicht sofort; er war in Gedanken versunken.
„Ich hoffe, Eure Lordschaft bemerken, dass in meinem Betragen gegenüber Lady Isabel keine ‚Heimlichtuerei‘ zu erkennen ist.“
Lord Mount Severn streckte die Hand aus. „Als Sie hereingekommen sind, Mr. Carlyle, habe ich Ihnen meine Hand verweigert, wie Sie vielleicht bemerkt haben, und jetzt verweigern Sie mir vielleicht die Ihre, aber ich wäre stolz darauf, sie zu ergreifen. Wenn ich Unrecht habe, bin ich mir nicht zu schade, es einzuräumen; und ich muss jetzt meiner Ansicht Ausdruck verleihen, dass Sie sich höchst freundlich und ehrenhaft benommen haben.“
Mr. Carlyle lächelte und legte seine Hand in die des Earl. Dieser hielt sie fest, während er im Flüsterton weitersprach.
„Natürlich kann ich mich nicht der Tatsache verschließen, dass Sie im Zusammenhang mit Isabels schlechter Behandlung auf meine Frau angespielt haben. Hat es sich außer zwischen Ihnen noch anderswo herumgesprochen?“
„Sie können sicher sein, dass weder Isabel noch ich selbst es erwähnen würde; wir werden es aus unseren Erinnerungen tilgen. Tun wir so, als hätten Sie es nie gehört; es ist vergangen und vergessen.“
„Isabel“, sagte der Earl, als er am Abend ging, nachdem er den ganzen Tag mit den beiden verbracht hatte, „als ich heute Morgen herkam, war ich fast bereit, deinen Mann zu schlagen, und jetzt, da ich gehe, habe ich Hochachtung vor ihm. Sei ihm eine gute, treue Ehefrau, denn er hat es verdient.“
„Natürlich werde ich das sein“, antwortete sie überrascht.
Lord Mount Severn fuhr weiter nach Castle Marling und führte dort ein stürmisches Gespräch mit seiner Frau – es war so stürmisch, dass die Geräusche auch an die Ohren der Dienstboten drangen. Noch am gleichen Tag fuhr er wütend wieder ab und reiste nach Mount Severn.
„Dort wird er Zeit haben, sich abzukühlen, bevor wir uns in London wiedertreffen“, lautete der Kommentar von Mylady.
Kapitel 15 Heimkehr
Nachdem Miss Carlyle sich für die weitere Vorgehensweise entschieden hatte, verließ sie ihr Haus und zog mit Peter und ihren Dienstmädchen nach East Lynne. Trotz der bekümmerten Vorhaltungen von Mr. Dill entließ sie alle von Mr. Carlyle eingestellten Dienstboten mit Ausnahme eines Mannes.
An einem Freitagabend, ungefähr einen Monat nach der Hochzeit, kamen Mr. Carlyle und seine Frau nach Hause. Sie wurden erwartet: Miss Carlyle ging durch die Diele, um sie zu empfangen, und stellte sich zwischen den Säulen der Eingangsveranda auf die obere Stufe. Eine elegante Kutsche mit vier Postpferden fuhr vor. Als Miss Carlyle die beiden musterte, zogen sich ihre Lippen zusammen. Sie trug ein hübsches schwarzes Seidenkleid und eine neue Haube; ihre Verärgerung hatte während des letzten Monats Zeit gehabt, um abzukühlen, und ihr gesunder Menschenverstand sagte ihr, dass es klüger war, das Beste aus der Situation zu machen. Mr. Carlyle kam mit Isabel die Stufen herauf.
„Du hier, Cornelia! Das ist aber freundlich von dir. Wie geht es dir? Isabel, das ist meine Schwester.“
Lady Isabel streckte die Hand aus, und Miss Carlyle ließ sich dazu herab, ihre Fingerspitzen zu berühren. „Ich hoffe, es geht Ihnen gut, Maʼam“, stieß sie hervor.
Mr. Carlyle ließ die beiden stehen und ging noch einmal zurück, um nach einigen Kleinigkeiten zu suchen, die in der Kutsche zurückgeblieben waren. Miss Carlyle ging voraus ins Wohnzimmer, wo der Tisch für das Abendessen gedeckt war. „Würden Sie gern vor dem Essen nach oben gehen und ihre Sachen ablegen, Maʼam?“ fragte sie Lady Isabel in dem gleichen abgehackten Tonfall.
„Vielen Dank. Ich werde in meine Zimmer gehen, aber ich brauche kein Abendessen. Wir haben bereits gegessen.“
„Was würden Sie dann gern zu sich nehmen?“, fragte Miss Corny.
„Etwas Tee, wenn es recht ist, ich habe großen Durst.“
„Tee!“, stieß Miss Corny hervor. „So spät! Ich weiß nicht, ob es noch kochendes Wasser gibt. Sie werden die ganze Nacht kein Auge zutun, Maʼam, wenn Sie um elf Uhr Tee trinken.“
„Ach, dann eben nicht“, gab Lady Isabel zurück. „Es ist nicht von Bedeutung. Ich möchte keine Umstände machen.“
Miss Carlyle eilte aus dem Zimmer – in welcher Angelegenheit, wusste sie selbst am besten; in der Diele traf sie auf Marvel. Worte wurden nicht gewechselt, aber die beiden beäugten einander mürrisch. Marvel war sehr modisch gekleidet, mit fünf Rüschen am Kleid, einem Schleier und einem Schirm. Zur gleichen Zeit setzte Lady Isabel sich hin und brach in bittere Tränen und Schluchzer aus. Ein Schüttelfrost hatte sie befallen; es fühlte sich nicht an, als wäre sie nach East Lynne gekommen. Mr. Carlyle trat ein und bemerkte ihren Kummer.
„Isabel!“, rief er erstaunt, während er zu ihr eilte. „Mein Liebling, was bekümmert dich?“
„Ich glaube, ich bin nur müde“, antwortete sie sanft. „Als ich wieder in das Haus gekommen bin, musste ich an Papa denken. Ich würde gern in meine Zimmer gehen, Archibald, aber ich weiß nicht, welche das sind.“
Mr. Carlyle wusste es auch nicht, aber Miss Carlyle kam eilig herein und sagte: „Die besten Zimmer; die neben der Bibliothek. Soll ich mit Mylady hinaufgehen?“
Mr. Carlyle zog es vor, seine Frau selbst zu begleiten, und bot Isabel seinen Arm. Als sie an Miss Carlyle vorüberging, zog sie sich den Schleier über das Gesicht.
Die Zimmerflucht war nicht erleuchtet, und der Raum sah kalt und ungemütlich aus. „Im Haus scheint einiges im Argen zu liegen“, bemerkte Mr. Carlyle. „Ich nehme an, die Dienstboten haben meinen Brief missverstanden und uns erst morgen Abend erwartet.“
In den Salon zurückgekehrt, erkundigte sich Mr. Carlyle nach der Ursache für die Nachlässigkeit der Dienerschaft.
„Ich habe sie weggeschickt, weil sie eine überflüssige Belastung waren“, erwiderte Miss Carlyle hastig. „Wir haben vier im Haus, und wie ich sehe, hat Mylady ein gutes Dienstmädchen mitgebracht, das macht fünf. Ich bin gekommen und werde hier wohnen.“
Mr. Carlyle fühlte sich überrumpelt. Er hatte sich immer dem Willen seiner Schwester gebeugt, aber er ahnte, dass es ihm und seiner Frau ohne sie besser gehen würde. „Und dein Haus?“, rief er.
„Das habe ich möbliert vermietet; die Leute ziehen heute ein. Du kannst mich also nicht von East Lynne auf die Straße setzen oder in eine möblierte Wohnung schicken, Archibald. Wir werden genug Ausgaben haben, auch ohne dass wir zwei Haushalte führen; die meisten Menschen wären an deiner Stelle froh über die Aussicht, dass ich hier wohne. Deine Frau wird die Hausherrin sein. Ich habe nicht vor, ihr diese Ehre streitig zu machen; aber ich werde ihr bei der Verwaltung eine Fülle von Schwierigkeiten ersparen – werde mich als Haushälterin betätigen. Darüber wird sie froh sein, unerfahren wie sie ist. Ich wage zu behaupten, dass sie noch nie in ihrem Leben eine Anweisung im Haushalt gegeben hat.“