Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft

- -
- 100%
- +

Il Vesuvio –
Die Ehrenwerte Gesellschaft
Renate Zawrel
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Das Werk einschließlich aller Inhalte ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck oder Reproduktion – auch auszugsweise – in jeglicher Form (Druck, Kopie oder anderes Verfahren) ist ohne schriftliche Genehmigung der Autorin untersagt. Übersetzungsrecht vorbehalten.
© Copyright by Renate Zawrel - 2017
Lektorat: Barbara Siwik
Cover © Detlef Klewer
Verlag: Renate Zawrel
4464 Kleinreifling
Österreich
renate.zawrel@gmx.at
epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin
Die Darstellung der Organisationen Camorra, N'drangheta oder Cosa Nostra beruht auf fiktiven Empfindungen und findet in der Realität keinen Niederschlag.
Viele Erzählungen ranken sich um die Position der Mafia - ›Il Vesuvio‹ ist eine davon …
*
Danke an Cathrin, die der Erstversion von ›Il Vesuvio‹ aus den Kinderschuhen geholfen hat.
*
Danke an Barbara, die durch ihre Erfahrung und ihren Wortschatz in Deutsch und Italienisch diese Neuauflage zu einem ›neuen‹ Roman macht.
*
Danke an Detlef für das grandiose Cover, das den Inhalt widerspiegelt ohne zu viel zu verraten.
*
Danke an meine Familie, dass es sie gibt und wir immer für einander da sind.
*
Ognuno la intende a modo suo.
Kapitel 1
»Marie, komm zu mir. Ich will dich – jetzt.« Schwer atmend breitete Sir Edward Lindsay seine Arme aus, um die schöne Frau im Empfang zu nehmen.
Es war Sonntag – sein Tag; der Tag, an dem er die Gespielin in sein Bett holen durfte. Das blonde, lange Haar trug sie heute aufgesteckt und mit perlenbesetzten Spangen verziert. Der kirschrote Mund leuchtete verführerisch, während dichte Wimpern ihre blaugrauen Augen fast verdeckten. Erregende Verruchtheit lag in ihrem lächelnden Gesicht.
Auf der Stirn des fast siebzigjährigen Mannes bildeten sich Schweißtröpfchen. Sein Mund wurde trocken. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Seine Finger zitterten, als die Frau ihm so nah gekommen war, dass er das pailettenbesticktes Kleid berühren konnte. Ihr Dekolleté bot dem Betrachter einen wundervollen Einblick.
»Nun, mon chérie, was kann isch für disch 'eute tun?«, schmeichelte Marie mit rauchiger Stimme und französischem Akzent. Sie legte den Arm um Sir Edwards Schulter und ihre Finger kraulten sein noch immer dichtes Nackenhaar.
Der Duft von Chanel No. 5 umwehte ihn. Die Lippen der Frau waren nur einen Hauch von den seinen entfernt. Ihre Augen blitzten neckisch unter den langen Wimpern.
»Möschte Monsieur, dass isch ihm beim Auskleiden be'ilflisch bin? So etwa?« Maries Finger fuhren zwischen seine Hemdknöpfe und berührten die nackte Haut darunter.
Der Lord keuchte und die Worte, die er ausstieß, verstand wohl nur die Frau.
Sie drängte den erregten Mann Schritt für Schritt rückwärts zu dem breiten, mit Seidenlaken ausgestatteten Bett. Dabei öffnete sie sein Hemd langsam mit ihren langen Fingernägeln. Ergrautes Brusthaar kam zum Vorschein. Sie senkte den Kopf und ließ ihre Zunge durch das Gekräusel gleiten.
Bebend keuchte der Lord: »Mach schneller, Marie. Ich möchte dich nackt sehen.«
»Aber mon chérie, wir 'aben doch Zeit.« Sie schüttelte tadelnd den Kopf. Und keinen Deut schneller als zuvor machte sie sich daran, Sir Edward von seinem Hemd zu befreien. Nun, die Jahre hatten deutliche Spuren des Alterns an seinem Körper hinterlassen. Von der stattlichen Figur eines Adonis war er weit entfernt. Dennoch beugte sich Marie vor und leckte spielerisch seine Brustwarzen.
Der alte Mann stöhnte auf und warf den Kopf zurück. Seine Hände griffen nach Maries Brüsten. Der dünne Stoff ihres Kleides riss, die Pailletten sprangen wie Glitzerstaub umher. Gierig kneteten Sir Edwards Hände die prallen Brüste, deren Brustwarzen bereitwillig darauf reagierten und sich verhärteten.
»Die Hose, Marie ... die Hose ... schnell«, bettelte er.
»Aber ja, chérie. Isch mach es ja schon«, gurrte die Frau. Blitzschnell löste sie den Gürtel und zog den Zippverschluss auf. Die Hose glitt zu Boden. Nur mehr mit dunklen Socken bekleidet stand Sir Edward mit dem Rücken vor dem Bett. Die Erigierung seines Gliedes war für sein Alter recht beachtlich. Mit glasigen Augen verfolgte er jede Bewegung Maries, die mit laszivem Blick das einzige Kleidungsstück abstreifte, das sie trug. Straffe Brüste, ein flacher Bauch, runde Hüften und ein draller Po boten sich seinen lüsternen Blicken dar. Gierig griffen die Hände des Lords zu und drängten die Frau aufs Bett.
Es gab nichts mehr hinauszuzögern. Er hatte schon viel zu lange gewartet. Und die Gespielin schenkte ihm, wonach er sich sehnte – heute war ihre französische Nacht.
***
Als Sir Edward am Morgen erwachte, war der Platz an seiner Seite leer. Die Erinnerung an die letzte Nacht wurde wachgerufen durch die am Boden verstreuten, glitzernden Pailletten. Der Duft nach Chanel No. 5 lag noch in der Luft. Zufrieden seufzend zog der Lord den Morgenrock über den seidenen Pyjama und läutete nach Frederic.
Lindsay hatte sämtlichen Angestellten französische Namen verpasst. Der Butler hieß eigentlich Friedrich und kam aus Deutschland, aber hier war er seit fünf Jahren Frederic.
»Sir?«, meldete sich eine leidenschaftslose Stimme. Frederic besaß die Fähigkeit, wie aus dem Boden gewachsen aufzutauchen.
In freundlichem Ton ordnete der Lord an: »Bitte sorgen Sie dafür, dass hier gesäubert wird, Frederic. Mein Frühstück möchte ich wie immer im Wintergarten einnehmen.«
»Sehr wohl, Sir.« Mit einem Seitenblick auf das Chaos im Zimmer erkannte Frederic, wie die Nacht verlaufen war und hob kaum merklich eine Augenbraue. Die Andeutung eines Lächelns huschte über sein schmales Gesicht, doch im nächsten Moment verschwand es wieder.
Alle Angestellten des Lords wusste über die Eigenheiten Sir Edwards, sein Privatleben betreffend, Bescheid. Keiner nahm daran Anstoß und niemand würde je in der Öffentlichkeit darüber sprechen. Untereinander rätselte das Personal dagegen, wer die Frau …
»Darf ich daran erinnern, Sir, dass heute die Leute von der Filmgesellschaft kommen?«, meldete Frederic höflich, während er den Lord zum Wintergarten begleitete.
Dort schien bereits der Frühling eingekehrt zu sein: Die Beleuchtung stammte von eigens installierten Tageslichtlampen. In den im Boden eingelassenen kleinen Beeten blühten Tulpen und Narzissen. Nur der Blick durch die tadellos sauberen Glaswände verriet, dass der süditalienische Winter noch nicht gewichen war. Eine dünne Schneelage bedeckte hier und da die Rasenflächen und die kurzgeschnittenen Hecken der Anlage. Die kahlen Äste der Bäume ragten glanzlos in den grauen Morgen. Die immergrünen Palmen waren aus diesem Blickwinkel nicht zu sehen.
Auf einem filigran wirkenden, silbernen Tablett erwarteten den Lord Croissants, Marmelade, Toastbrot, zarter Lachsschinken und Käseröllchen. Dazu gab es Kaffee und – nicht zu vergessen – ein Glas Tomatenjuice, das der Lord seit Jahren jeden Morgen zum Frühstück trank. Diesem Vitaminstoß schrieb er auch seine Vitalität und Manneskraft zu, obgleich er in dieser Hinsicht ein wenig mogelte.
»Ja, Frederic«, bestätigte er nun die Erinnerung des Butlers. »Ein Gespräch mit der … wie nannte sie sich doch …«
»Winestore Company, Sir«, half Frederic ohne Zögern aus.
»Winestore, richtig«, wiederholte der Lord. »So ist mir der Name auch erinnerlich.«
Damit war die Angelegenheit erledigt. Sir Edwards Aufmerksamkeit galt nun den Aktienkursen in der Financial Times. Ohne von der Zeitung aufzusehen, verlangte er nach dem Mobiltelefon. Der Butler reichte es ihm stumm und zog sich diskret zurück.
Mit langen Schritten durchmaß Frederic den Salon. Dort begegnete ihm Pascale – laut Geburtsschein Paula, ebenfalls eine Deutsche.
Pascale arbeitete als Zimmermädchen. ›Mädchen‹ im wörtlichen Sinn war stark übertrieben: Sie hatte die Fünfzig bereits hinter sich, sprühte jedoch vor Lebhaftigkeit und wirkte dadurch bedeutend jünger. Sie war zwei Köpfe kleiner als der Butler.
»Pascale, das Schlafzimmer des Lords sieht wüst aus. Kümmerst du dich?«, bat Frederic, jetzt allerdings grinsend. »Sein Sonntagsvergnügen war wieder da. Die müssen ordentlich ge…«
»Frederic, du sollst dich nicht so ordinär ausdrücken«, unterbrach ihn Pascale. Aber sie lachte. »Bin schon unterwegs.« Flink wieselte sie davon.
Die Angestellten pflegten untereinander einen lockeren Umgangston. Die ihnen von Lord Lindsay verordneten französischen Namen verwendeten jedoch auch sie der Einfachheit halber.
Frederic war der an Lebensjahren Älteste. Das schwarze, dichte Haar trug er, durch Pomade unterstützt, straff nach hinten frisiert. Es verlieh ihm einen achtungsgebietenden Ausdruck. Der schwarze Anzug saß tadellos und seine Schuhe glänzten wie Speckschwarte. Um die Angelegenheiten des Haushalts kümmerte sich vor allem eine attraktive Frau schwer bestimmbaren Alters. Sie stammte aus Österreich, hieß Marianne und der Lord hatte ihr den Namen Marie verpasst.
Diese Marie schien ein wahres Multitalent zu sein. Sir Edward hatte ihr die Leitung des Haushalts anvertraut, übertrug ihr desgleichen Arbeiten, die einer Sekretärin zukamen, und erbat sich ihren Rat sowie ihre Hilfe in vielerlei persönlichen Dingen. Wenn Gäste angesagt waren, ließ er ihr auch bei der Zusammenstellung der Speisen grundsätzlich freie Hand.
In der Küche betätigten sich Monique – abgeleitet von Monika, Francine – die einzige waschechte Französin – und Angelique, die eigentlich Angela hieß. Der Koch, Pierre, hatte eine etwas längere Gewöhnungszeit gebraucht, ehe er knurrend seinen italienischen Namen Pietro ablegte. Außer den bereits Genannten arbeiteten für den Lord noch zwei Gärtner, ein Chauffeur und zwei Kammerzofen – Mädchen, die für die Wäsche zuständig waren.
Falls für ungeplante Mehrarbeiten erforderlich, stellte Lindsay manchmal auch einfache Leute aus dem Volk ein, von denen er wusste, dass sie dringend eine finanzielle Aufbesserung der Haushaltskasse nötig hatten.
***
Sir Edward Lindsay – wie gesagt, erklärter Liebhaber des Französischen – hatte den Landsitz in der Nähe Neapels vor mehr als zehn Jahren von einer sehr weitläufigen Verwandten geerbt. Die alte Lady hatte zwar nicht auf dem Anwesen gelebt, es jedoch ganz im alten Stil pflegen lassen. Wanderte man durch den Garten, fühlte man sich in ein anderes Land versetzt. Überall dominierten die berühmten englischen Rasenflächen. Im Moment lag allerdings hier und da etwas Schnee, selten genug für die Gegend um den Vulkan.
Die Neapolitaner – soweit sie zur finanzkräftigen Oberschicht oder der Welt des Business gehörten – hatten sich an den in ihren Augen etwas verschrobenen Lord gewöhnt. Schließlich befand sich in einem der Flügel des Landsitzes eine umfangreiche und sehenswerte Bildergalerie, die er auf Wunsch auch Touristen zugänglich machte. Vor allem aber brachte er der Stadt Geld, allein schon durch die umfangreichen Einkäufe ausgesuchter Delikatessen, teure Ausstattungen aller Art und nicht zuletzt durch den Kauf kostspieliger Geschenke, für wen auch immer sie sein mochten. Seine soziale Kompetenz, wie schon erwähnt, tat ihr Übriges, um den Lord als einen der Ihren zu betrachten.
Sir Edward ließ sich in der Hafenmetropole allerdings sehr selten auf der Straße blicken. Besorgungen wurden größtenteils von Marie gemacht. Der Lord machte sich nicht so viel aus Italien. Viel lieber wäre ihm ein Gut in der Normandie gewesen, doch er hatte nun einmal dieses Anwesen geerbt. Und deshalb verband er hier, was er und wie er es sich wünschte: Englische Lebensart und französisches Savoir-Vivre – am Fuß des Vesuvs.
Ein Sonderling war Sir Edward Lindsay schon, aber ein liebenswerter und zudem ein Nachkomme britischer Lords, die darauf stolz waren, in einer Nebenlinie mit dem englischen Königshaus verwandt zu sein.
***
Ronald Graham hatte als Thema für sein Filmprojekt die Mafia, die scheinbar ›Ehrenwerte Gesellschaft‹ gewählt. Die komplizierten Ermittlungen der Rechtsorgane, die Mischung aus Korruption, Machtgier, Erpressung und nicht zuletzt Mord, machten diese Geschichte – betitelt Il Vesuvio – zu etwas äußerst Brisantem.
Beeindruckend waren auch die Namen der Schauspieler, die Graham für dieses Projekt bereits verpflichtet hatte: Brendon Pitts, Malcolm Mortimer jun., Karl Landmann. Diese Namen sollten die Menschen in die Kinos locken.
Das Landgut des Lords hatte er sich als Hauptsitz des Padrone Carlo Montessa gedacht. Natürlich würde Graham während der Dreharbeiten auf alles Rücksicht nehmen, was Interieur, Landschaft und das Privatleben des Lords betraf. Und das eben wollte er heute mit Sir Edward besprechen.
***
Lord Lindsay blickte auf seine Taschenuhr. Für zwei Uhr nachmittags war der Termin mit dem Regisseur vereinbart worden. Sir Edward liebte Pünktlichkeit – noch fünf Minuten. Sie würden mit darüber entscheiden, ob er dem Angebot der Filmgesellschaft zustimmte. Denn wenn schon jetzt Unzuverlässigkeit im Spiel war, wie sollte das dann in Zukunft aussehen? Keinesfalls wollte Sir Edward sich zudem in seinem gewohnten Lebensrhythmus stören lassen.
Die Geschichte, die hier verfilmt werden sollte, interessierte ihn allerdings. Schon immer waren die Mafia und ihre verborgene Welt sein Steckenpferd gewesen. Nur zu gut wusste er jedoch, dass alles, was dieses Thema betraf, hier nur hinter vorgehaltener Hand weitergegeben wurde. In der Öffentlichkeit vermied man es tunlichst, das Wort Mafia zu erwähnen oder Camorra, wie es in Neapel hieß. Es konnte infolge unbedachter Äußerungen durchaus passieren, dass der Betreffende an der nächsten Straßenecke plötzlich und unversehens einem Auto in die Quere lief – mit tödlichem Ausgang, versteht sich …
Es läutete am Portal: Zwei Uhr – auf den Punkt genau.
Der Lord nickte beifällig. Frederic würde die Besucher zu ihm in den Salon führen.
***
Graham war nicht ungeschickt in Verhandlungsdingen. Er hatte sich vor dem Treffen über Sir Lindsays Gewohnheiten informiert, wusste über dessen Pünktlichkeitswahn ebenso Bescheid wie über dessen Faible für französische Namen oder das Festhalten an englischer Kultur.
Natürlich war ihm ebenfalls bewusst, dass es nicht das Geld für die Miete war, das den Lord reizte, sein Anwesen als Kulisse zur Verfügung zu stellen, denn davon hatte er genug. Sir Edward war ein Börsenprofi und schien schon Tage vorher zu wissen, ob die Aktienkurse zu steigen oder zu fallen beliebten. Ronald Graham rechnete daher mit einem äußerst vitalen Menschen, der, wie man ihm gesagt hatte, noch immer gern Golf spielte, in seinem Pool einige Längen schwamm und häufig über seinen Besitz joggte. Es würde also Geschick erfordern, die Verhandlungen gut über die Runden zu bringen.
Als der Butler die Besucher ankündigte, erhob sich Sir Lindsay aus seinem ledernen Arbeitsstuhl.
Frederic verneigte sich andeutungsweise. »Sir, die Herren wären nun da – Mister Graham, Mister Mortimer und Mister Landmann.« Dann wandte er sich an die Besucher und deutete mit einer leichten Handbewegung auf die Erscheinung im tadellos sitzenden Nadelstreifanzug. »Meine Herren, Sir Edward Lindsay.«
»Danke, Frederic. Ich werde Sie rufen lassen, sobald wir Wünsche haben.«
Als Frederic den Raum verlassen hatte, musterte Sir Edward seine Gäste aufmerksam. Malcolm Mortimer jun. kannte er – nicht nur aus Filmen, sondern auch als Sohn des berühmten Malcolm Mortimer sen. Der etwas untersetzte Mann mit den rötlichen Haaren musste nach seinem Dafürhalten somit der Amerikaner Ronald Graham sein. Blieb noch der gutaussehende Mann mit dem dunklen Haar, der auch der jüngste war – Karl Landmann, der Neuseeländer.
Der Lord begrüßte zuerst den Regisseur: »Mister Graham, es freut mich, dass Sie den Weg hierher gefunden haben.«
Dann reichte er Malcolm Mortimer jun. die Hand. Lag Zögern in dem Tun des Lords? Jedenfalls war der Klang seiner Stimme ein anderer als zuvor. »Unverkennbar der Sohn seines Vaters. Malcolm Mortimer, wenn ich nicht irre?«
»Respekt! Sie sind gut im Raten!«, erwiderte der Schauspieler in arrogantem Ton. Schließlich war er ein ›Star‹, man kannte ihn daher. Warum also nicht auch der Lord?
Nun, Mortimer hatte die Rechnung ohne Sir Edward gemacht. ›Unsympathisch‹ war der Eindruck, den er von dem Mann gewann, und deshalb kühl bemerkte: »Ich bezog die Unverkennbarkeit ausschließlich auf das Aussehen. Ihr Vater strahlte wesentlich mehr Sympathie aus.« Und ehe Mortimer darauf etwas zu antworten wusste, war Sir Edward schon bei seinem dritten Gast angelangt.
Warum auch immer, dessen Hand hielt er länger in der seinen. »Sie kommen also aus Neuseeland, Mister Landmann? Bisher habe ich es nicht gewagt, so weit zu fliegen. Vielleicht finden Sie ja gelegentlich Zeit, mir etwas über Land und Leute zu erzählen.«
»Gern, Sir, doch werden Worte der Schönheit meines Landes nicht gerecht werden«, erwiderte Landmann freundlich.
Sir Edward lächelte. »Nun, einiges davon habe ich ja gesehen, als ich mir die Teile der großartigen Tolkien-Verfilmung ›Herr der Ringe‹ ansah.«
Landmann lächelte in sich hinein. Ein Lord und eine Fantasy-Saga? Damit hätte er nicht gerechnet.
Die Förmlichkeiten der Begrüßung waren abgeschlossen.
»Bitte, meine Herren, nehmen Sie Platz.« Sir Edward wies mit einer einladenden Handbewegung auf die mit edlen Stoffen bezogenen Hochlehner an einem Tisch mit bräunlich marmorierter Platte.
Nachdem die Männer sich gesetzt hatten, erkundigte der Lord sich, ob er ihnen etwas zu trinken anbieten dürfe: »Trinken die Herren Kaffee, Tee, Wein?«
Mortimer und Graham entschieden sich für Wein, während Landmann um Kaffee bat. Sir Edward zog an dem breiten Band, das neben der Tür zum Salon von der Decke hing. Dann setzte er sich auf den freien Stuhl an der Schmalseite des Tisches.
Geräuschlos öffnete sich die schwere Türe mit der Lederpolsterung.
»Sir, Sie haben geläutet?«, fragte eine Frau, deren Alter schlecht zu schätzen war. Sie trug ein dezentes, schwarzes Kleid mit weißem Schürzchen. Das dunkelblonde Haar war einem Zopf geflochten und aufgesteckt. Dezentes Make-up unterstrich die aristokratisch wirkenden Gesichtszüge der Frau.
»Marie, bitte bringen Sie uns zwei Gläser und Rotwein; für Mister Landmann und mich Kaffee. Bitte tragen Sie auch etwas süßes Gebäck auf«, bat der Lord.
»Sofort, Sir.« Die Frau lächelte freundlich und verschwand.
Bald darauf wurde der Wein von Frederic kredenzt, denn das war Männersache.
Marie stellte die Kaffee-Gedecke vor Landmann und den Lord, dazu Schalen mit Milch und Zucker und goss den aromatisch duftenden Kaffee ein. Vom Servierwagen holte sie darauf noch ein Silbertablett mit verführerisch duftenden petit fours.
Die Augen des Lords begannen in Erwartung des kulinarischen Genusses zu leuchten. »Ihr Werk, Marie?«, fragte er. Er wusste, sie war eine Perle. Nur dass die Perlen meist altgediente Hausdamen waren, also keinesfalls vergleichbar mit dieser attraktiven jungen Frau.
»Ja, Sir, mein Werk. Ich hoffe, es trifft Ihren Geschmack«, antwortete Marie bescheiden. Gemeinsam mit Frederic verließ sie den Salon. Die Blicke der Männer folgten ihr und zwar mit sehr unterschiedlichem Interesse …
»Greifen Sie zu, meine Herren«, forderte der Lord auf. »Es sind echte Köstlichkeiten.« Niemand ließ sich ein zweites Mal bitten.
Und dann leitete Lindsay endlich die eigentliche Unterhaltung ein. »Lassen Sie uns über das Geschäft sprechen. Deshalb sind Sie ja gekommen.«
Ronald Graham zog eine Mappe aus dem Aktenkoffer und legte sie vor sich auf den Tisch. Er räusperte sich ein wenig nervös, ehe er seine einstudierte Rede hielt.
»Verehrter Sir Lindsay, ich habe Ihnen ja schon einige Details am Telefon erläutert. In diesen Aufzeichnungen hier finden Sie eine ausführliche schriftliche Darstellung unserer Vorhaben, für die wir Ihr Landgut in Anspruch nehmen möchten, ebenso eine Auflistung der finanziellen Entschädigungen und Gewährleistungen, die wir anbieten, nicht zuletzt auch den Vertragsentwurf. Wenn Sie, bitte, einen Blick hineinwerfen wollen.«
Er reichte dem Lord die Mappe. Der legte sie beiseite, versprach jedoch: »Ich werde die Unterlagen durch meinen Rechtsanwalt prüfen lassen, Mister Graham. Erzählen Sie mir lieber mit eigenen Worten ein wenig über den Film. So kann ich mir ein viel besseres Bild machen.«
Graham räusperte sich erneut. »Wie bereits am Telefon angedeutet: Es wird ein Film über die italienische Mafia, speziell über die Camorra, die ja hier zu Hause ist. Mister Mortimer wird einen Staatsanwalt spielen, der die unehrenhaften Hintermänner eines Padrone überführen und schließlich deren Machenschaften durchkreuzen soll. Mister Pitts, der erst zu Drehbeginn anreisen kann, wird die Rolle eines Spitzels übernehmen und Mister Landmann die Rolle der ›rechten Hand‹ des Padrone.
Der Padrone selbst wird nur selten in Erscheinung treten und von einem italienischen Schauspieler dargestellt werden. Für Statistenrollen plane ich die Mithilfe der Bevölkerung ein. Allerdings scheitert eine Kontaktaufnahme im Moment noch an fehlenden Verständigungsmöglichkeiten, beziehungsweise möchte ich Ihrer Entscheidung nicht vorgreifen und …«
Der Lord hob leicht die Hand. »Verzeihen Sie, Mister Graham, wenn ich Ihren Überschwang dämpfe. Sie werden hier kaum Leute finden, die in einem Film über die Mafia als Statisten auftreten möchten. Das ist – wie ich das infolge der vielen Jahre, die ich hier lebe, beurteilen kann – ein sehr gefährliches Thema. Niemand will über diese Dinge sprechen.
Offiziell gibt es keine Mafia, man spricht allerhöchstens von der famiglia. Die Carabinieri haben das Verbrechen angeblich im Griff. Überfälle, die hier geschehen, sind eben Überfälle, wie sie sich überall in der Welt ereignen. Personen, die verschwinden, sind eben irgendwohin verzogen, nichts Besonderes bei der hohen Arbeitslosenrate in und um Neapel. Machen Sie sich doch selbst ein Bild: Es gibt mehr Armutsviertel als Villengegenden. Selbst die Zone um den Bahnhof herum gleicht eher einem großen Asylantenlager als einem Hauptbahnhof im Zentrum einer Stadt. Einzelne Häuser und ganze Wohnschluchten in der Hafengegend stehen leer. In den Gassen tummeln sich Junkies, zwielichtige Gestalten und Prostituierte. Selbst in den Hauptstraßen, die noch einen Hauch von Grandezza besitzen, sind die Portale der Geschäfte mit schweren Eisenketten gesichert. Einzig florierende Unternehmen sind die Galleria Umberto und einige Supergeschäfte der Markenindustrie, deren Besitzer sich entsprechende Schutzgelder leisten können. Natürlich gibt es auch noch die vornehmeren Wohngegenden. Doch dort werden Sie erst recht keine Freunde für Ihre Pläne finden.«
Betretenes Schweigen breitete sich aus.
Schließlich ergriff wiederum der Lord das Wort. »Und mein Haus soll nun als prunkvolles Heim des Padrone dienen, wenn ich Sie recht verstanden habe? Wie stellen Sie sich das vor? Sie werden ja nicht erwarten, dass ich während dieser Zeit ausziehe?« Lindsays Gesicht schien ernst, doch im Grunde genommen war er amüsiert über diese Vorstellung.
»Nein, Sir«, beeilte sich Graham zu versichern. »Wie gesagt: Die Szenen, in denen der Padrone eine Rolle spielen wird, sind sehr kurz. Es kommt uns eher auf die Außenansicht an, die wir öfter integrieren möchten, ebenso auf die Gartenanlagen.«
Erneut entstand eine Pause, in der Sir Edward scheinbar gedankenvoll die Tischplatte fixierte. »Und kommen in Ihrem Film auch Frauen vor?«, fragte er unvermittelt.





