Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft

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Die Antwort folgte rasch, so als habe Graham sie erwartet: »Kaum. Zumindest ist keine tragende Rolle vorgesehen«, gab Graham zu. »Es sind eher kleine Auftritte, die jede ihrer Angestellten übernehmen könnte.«
Die Gedanken des Regisseurs kreisten unversehens um jene Frau, die er eben zu Gesicht bekommen hatte … wie war doch der Name … richtig, um Marie.
Sir Edward hatte wohl ebenfalls in Windeseile die Frauen des Hauses Revue passieren lassen und war zum gleichen Ergebnis gekommen, denn er sagte: »Ich weiß nicht, Mister Graham, ob Sie Marie zum Mittun überreden könnten.« Er schmunzelte, als er die Verlegenheit des Regisseurs bemerkte. »Und eines noch«, fügte er, in schrofferem Ton als zuvor, hinzu. »Von Samstagabend bis Montagmorgen erlaube ich keinerlei Filmaufnahmen auf meinem Gelände. Das ist eine Bedingung, von der ich nicht abgehen werde.«
Graham überlegte fieberhaft, wie sich das auf die Drehzeiten auswirkte, willigte aber ein: »Das lässt sich einrichten.« Er musste mit den Verhandlungen schnellstens zum Ende kommen, ehe dem Lord neue Bedingungen einfielen. Deshalb erklärte er: »Wir wollen Ihre kostbare Zeit nun nicht weiter in Anspruch nehmen. Wann dürfen wir mit Ihrer Antwort rechnen?« Bewusst vermied er das Wort Zusage, um den Lord nicht unter Druck zu setzen.
»Welche Entscheidung ich auch treffen werde, ich erwarte Sie alle am Mittwoch um neunzehn Uhr zum Supper«, erklärte der Lord und fragte dann ziemlich übergangslos: »Wo sind Sie eigentlich untergebracht?«
Graham reagierte nicht sofort. Er war eher ein Mann des bedachtsamen Wortes.
Karl Landmann übernahm die Beantwortung der Frage. »Im Hotel Rex, Sir«, informierte er kurz und bündig.
Er war den Ausführungen des Lords mit Interesse gefolgt. Der alte Mann schien viel über Neapel und seine Bewohner zu wissen. Es klang einleuchtend, was er über die Furcht der Leute in Bezug auf die Mafia berichtete. Und das machte den Neuseeländer nachdenklich.
Graham hatte bei seinen Ausführungen verschwiegen, dass dieser Film ein Tatsachenbericht über die jüngsten Morde der Camorra in Neapel werden sollte. Recherchiert waren die Hintergründe dieser Verbrechen aus den Berichten der polizia civile und der Staatsanwaltschaft. Wer auch immer dem Regisseur dieses Wissen hatte zukommen lassen, kannte sich im einschlägigen Milieu aus, war vielleicht selbst Teil dessen.
Landmann selbst war relativ rasch damit einverstanden gewesen, die Rolle des Angelo Cortesa zu übernehmen, des Sekretärs des Padrone. Es reizte ihn, einmal in diese Welt des Verbrechens einzutauchen, in einem Film mitzuwirken, der so nah an der Realität war, dass er schon wieder fantastisch wirkte.
Die Stimme des Lords riss Landmann aus seinen Gedanken. »Ah, das Rex! Das ist ein gutes Hotel in der Nähe von Santa Lucia. Haben Sie einen Mietwagen?«
Landmann zog eine verlegene Grimasse. »Nein, Sir. Wir sind mit dem Taxi hergekommen. Um ehrlich zu sein, wir hätten uns wohl in diesem Chaos auf den Straßen Neapels nicht zurechtgefunden.«
Vor sich sah Landmann im Geist die hupenden und ständig die Vorfahrt missachtenden Italiener in ihren kleinen, meist ziemlich verbeulten Autos. Zeitweilig hatte er sogar die Augen geschlossen, wenn der Taxifahrer sich ein Rennen mit Kollegen lieferte, in dem es darum ging, wer zuerst in den Kreisverkehr einbiegen durfte.
Sir Edward sah dem Neuseeländer die Gedanken am Gesicht an. Den neapolitanischen Verkehr kannte auch er zur Genüge. Nur zweimal, seit er hier wohnte, hatte er selbst seine Limousine nach Neapel gesteuert, um bei der Eröffnung des Museo Archeologico Nazionale nach dessen Restaurierung und bei der Schiffstaufe der Regina del mare, seiner Motorjacht, dabei zu sein. Jedes Mal war sein Anzug danach schweißnass gewesen und er einem Herzinfarkt nahe. Auch sein Chauffeur scheute Fahrten in die Innenstadt. Nur Francine und Marie fanden nichts dabei, sich in die hupenden Kolonnen einzureihen. Nun, das war wohl ein Vorrecht der jüngeren Generation.
»Haben Sie auch die Rückfahrt gleich organisiert?« Als Sir Edward in die Gesichter seiner Gäste blickte, wusste er, dass dies nicht geschehen war. Oh, diese naiven Ausländer!
»Mein Chauffeur wird Sie ins Hotel bringen, denn Sie werden kein Taxi mehr bekommen. Heute findet das Nachtragsspiel des AS Roma gegen Napoli statt«, erklärte er. Als er Verständnislosigkeit bei seinen Gästen bemerkte, ergänzte der Lord: »Fußball, das ist hier wie ein Feiertag. Selbst wenn Sie einen Taxifahrer fänden, müssten Sie damit rechnen, dass er während der Fahrt über Radio das Spiel verfolgt, das Lenkrad loslässt und sich die Haare rauft, wenn seiner favorisierten Mannschaft ein Tor entgangen ist oder weil er meint, er sei der Verteidiger und müsse mit den Füßen wild um sich treten.«
An solche Dinge hatte Graham überhaupt nicht gedacht. Italien war ihm so fremd wie der Nordpol. »Es ist sehr freundlich von Ihnen, Sir, dass Sie uns einen Wagen zur Verfügung stellen«, bedankte er sich erleichtert und fügte hinzu: »Könnten Sie uns vielleicht auch einen Sprachmittler empfehlen? Es geht um Verhandlungen und … ja, einfach um alles für den täglichen Sprachgebrauch bei den Dreharbeiten.«
Lindsay nickte nachdenklich. »Wenn es soweit ist, werde ich Ihnen bei der Suche behilflich sein. Doch es wäre unnütz, bereits jetzt jemanden zu bemühen, ehe meine Entscheidung gefallen ist.«
Diese Antwort kam einer deutlichen Bremsung voreiliger Aktivitäten gleich.
Sir Edward erhob sich. »Meine Herren, ich erwarte Sie übermorgen um neunzehn Uhr.«
Die Unterredung war beendet.
Der Lord würde, sobald die Besucher das Anwesen verlassen hatten, seinen Avvocato anrufen und ihn bitten, sich die Unterlagen, die Graham mitgebracht hatte, genau anzusehen. Er selbst beschäftige sich selten mit solchen Dingen.
Auch die Männer hatten sich erhoben. Sir Edward bemerkte Karl Landmanns begehrlichen Blick, der dem letzten petit four auf dem Silbertablett galt. »Nehmen Sie nur. Marie macht sie einzigartig, man kann kaum widerstehen«, forderte Lindsay den Neuseeländer freundlich auf, zuzugreifen.
Karl zierte sich nicht und verspeiste mit Appetit die mit Schokolade überzogene Mandelcremeköstlichkeit.
Als der Lord Landmann zum Abschied die Hand reichte, äußerte er noch ein paar freundliche Worte über Neuseeland. Dieser Karl Landmann gefiel ihm – ein angenehmer Zeitgenosse. Außerdem war Lindsay davon angetan, dass der Neuseeländer Marie nicht mit jenem taxierenden Männerblick verfolgt hatte wie Mortimer, sondern er ganz offensichtlich vom Auftreten der Frau beeindruckt gewesen war. Die Blicke des Regisseurs freilich entsprachen eher einer Materialmusterung: Es schien, als wolle er ermessen, ob Marie in eine bestimmte Schublade seiner Drehpläne passte.
Wie von Geisterhand öffnete sich nun die schwere Holztür des Salons und wie ein Geist erschien der befrackte Diener. Seine Miene sagte deutlich: Wenn die Herren nun bitte gehen würden …
In der Diele erwartete Marie die Besucher. War es Zufall? Sie hielt Karl Landmanns Mantel bereit.
Es war dem Mann unangenehm, von ihr eine derartige Dienstleistung anzunehmen. Sein Mantel schien schwerer zu sein als sie selbst. »Mister Landmann, bitte!« Maries auffordernde Geste erinnerte ihn daran, dass er den Arm in den Ärmel schieben sollte. Als ihre Finger dann zufällig seinen Nacken berührten, weil sie ihm den Kragen zurechtrückte, wünschte er, dieser Augenblick möge etwas länger andauern. Himmel! Welche Gedanken kamen ihm da?
»Danke«, sagte er mit belegter Stimme. »Sehen wir uns am Mittwoch wieder?« Fiel ihm denn keine intelligentere Floskel ein? Karl Landmann ärgerte sich über sich selbst.
»Sicher sehen wir uns. Ich arbeite ja hier.« Marie lächelte freundlich und unverbindlich.
Sie hatte während des Servierens im Salon wohl bemerkt, dass sie die Männer in besonderer Weise beeindruckte. So etwas geschah ihr nicht zum ersten Mal. Der Lord erhielt häufiger männlichen Besuch, doch Maries Interesse an Männern hielt sich in Grenzen: Sie hatte eine gescheiterte Ehe hinter sich und keinen Bedarf an Erfahrungen ähnlicher Art.
Sir Edward war seinen Besuchern in die Diele gefolgt. »Ist Antoine vorgefahren?«, erkundigte er sich bei Frederic.
»Ja, Eure Lordschaft, der Wagen steht bereit«, meldete der Butler und hielt das Portal höflich für die Männer auf.
»Auf Wiedersehen«, sagte Karl Landmann leise zu Marie.
»Kommen Sie gut ins Hotel«, erwiderte Marie ebenso leise.
Die Männer schritten die geschwungene Außentreppe hinunter und stiegen in die Limousine.
Marie lief in den Salon zurück, stellte das Geschirr auf den Servierwagen, säuberte den Tisch und öffnete für ein Weilchen die Fenster, um Frischluft hereinzulassen. Wind war aufgekommen, man spürte eine salzige Brise in der Luft.
Sir Edward verschwand mit der Mappe ins Arbeitszimmer. Er rief den Anwalt an. Avvocato Girardi war ihm mit den Jahren ein guter Berater und fast ein Freund geworden, dessen Meinung ihm in diesem Fall besonders wichtig war. Sie verabredeten sich zum Abendessen.
Auf dem Weg in den Wintergarten warf Sir Edward noch einen Blick in den Salon. Alles stand wieder auf seinem Platz. Er informierte Frederic, der sich dezent im Hintergrund hielt, dass Signore Girardi gegen Abend zum Supper zu erwarten sei.
Mit den Unterlagen der Winestore Company ließ er sich dann auf seinem Lieblingsplatz im Wintergarten nieder. Sobald die wärmenden Strahlen der Frühlingssonne das Wolkenmeer durchbrachen, würde Frederic die gläsernen Flügeltüren in den Garten öffnen. Bald war es so weit, denn hier währte der Winter nur kurze Zeit und Nebel war so gut wie unbekannt.
***
Gegen achtzehn Uhr vernahm Frederic die quietschen Reifen eines bremsenden Wagens.
Der Avvocato hatte seinen Chauffeur heute nicht bemüht. Der durfte dem Duell der rivalisierenden Fußballclubs sein Interesse schenken, statt den Rasern auf der Straße, zu denen der Anwalt – nebenbei gesagt – auch selbst gehörte.
Der reiche Club des AS Roma spielte gegen den immer mit Geldsorgen kämpfenden Club von Napoli. Für die Neapolitaner bedeutete es ein Freudenfest, sollte ihr Club gewinnen. Mit erhobener Faust würden sie durch die Straßen laufen und forza Napoli brüllen. Eine Niederlage zog man vor dem Spiel gar nicht erst in Betracht.
Der Avvocato war kein Anhänger des Ballsports. Viel lieber hörte er sich in seinem appartamento mittels einer gigantischen Musikanlage eine der italienischen Opern an. Nicht selten schwang er dazu einen imaginären Taktstock.
Sir Edward und Girardi begrüßten sich herzlich. Mit einladender Geste bat der Lord den Gast ins Arbeitszimmer. »Erst die Arbeit, dann das Vergnügen«, scherzte er.
Girardi wusste die gute Küche des Hauses zu schätzen, deshalb lag ihm daran, die Prüfung des Vertrages rasch hinter sich zu bringen.
Sir Edward schob ihm die Unterlagen über den Tisch und hielt sich ansonsten still in seinen Sessel.
Der Avvocato überflog die ersten Absätze. »Diesen Vertrag hat ein Manager geschrieben, kein Jurist«, murmelte er.
Seine Formulierungen wären anders gewesen, eleganter, um vieles ausgefeilter. Aber darum ging es ja nicht: Es galt, Fallstricke aufzuspüren. Gedanklich zerlegte Girardi Zeile für Zeile. »Ich werde den Vertrag neu ausformulieren, dann können Sie unterschreiben«, sagte er schließlich. »Über die Nutzungssumme werden Sie, wie ich Sie kenne, nicht verhandeln wollen, obwohl da noch einiges …« Er sprach nicht weiter. Ein Blick in Sir Edwards Gesicht hatte ausgereicht. Für ihn als Italiener war es unverständlich, dass jemand nicht feilschen wollte.
»Ich möchte nur die Sicherheit haben, dass auf dem Anwesen kein Schaden entsteht«, unterstrich Sir Edward. »Insbesondere ist festzuhalten, dass mein Personal nicht für die Obliegenheiten der Filmcrew zuständig ist. Für die Trailer müsste der große Platz am Ende des Anwesens ausreichen. Die Leute könnten dort für die Dauer der Dreharbeiten wohnen, Strom und Wasser sind vorhanden. «
Es wurde Zeit für das Supper.
Vorsorglich erkundigte sich der Anwalt, ob sie später eine Partie Schach spielen würden.
»Aber gern, ich bin Ihnen doch noch die Revanche vom letzten Mal schuldig.«
Es klopfte an der Tür. Frederic trat ein und verkündete, dass angerichtet sei. Die lange Tafel des Esszimmers war für nur zwei Personen gedeckt.
Der Butler erkundigte sich nach den Wünschen für einen Aperitif. Danach servierte Marie die verschiedenen Gänge und nach einem hervorragenden Tiramisu zogen sich die Männer mit einem Glas Sherry in den Salon zurück, wo bereits das Schachbrett auf dem Tisch stand.
Girardi beneidete Sir Edward um diese Leute, die offenbar immer im Voraus wussten, was ihr Herr wünschte.
***
Die Angestellten saßen währenddessen beim gemeinsamen Abendessen zusammen.
Francine wollte wissen, wie der Regisseur und die Schauspieler ausgesehen hätten.
Marie ließ sich nicht lange bitten: Mit treffsicheren Handbewegungen und Gesten imitierte sie die drei Männer, was zeitweilig für Belustigung sorgte. Der eine schnitt besser, der andere schlechter ab. Besonders Mister Mortimer war Marie negativ aufgefallen. Auch der sonst zurückhaltende Frederic äußerte sich wenig freundlich über ihn. »Der Kerl trägt die Nase sehr hoch. Irgendwann wird er stolpern und sich ordentlich dran stoßen«, prophezeite er. »Er fand es nicht einmal der Mühe wert, sich zu bedanken, als ich ihm in den Mantel half. «
Marie dachte an den Moment, in dem sie Karl Landmann in den Dufflecoat geholfen hatte. Als Schauspieler war ihr der Mann natürlich ein Begriff. Mehr als einmal hatte sie seine positive Ausstrahlung in Filmen bewundert. Doch wer wusste bei einem Darsteller schon, wie viel davon Spiel, wie viel davon eigener Charakter war? Heute hatte sie den Eindruck gewonnen, dass er diese sympathischen Eigenschaften auch ins Privatleben übertrug.
***
Sir Lindsays Chauffeur empfand es als große Erleichterung, dass aufgrund des Fußballspieles nicht so viel Verkehr herrschte. Das Chaos würde erst wieder ausbrechen, wenn das Spiel zu Ende war. Egal, ob gewonnen oder verloren – auf der Piazza würde es brodeln und die Straßen wären heillos verstopft.
Vorschriftsmäßig diskret hatte er die Scheibe zum Fahrgastraum hochgefahren, sodass die Gespräche der Männer nicht nach vorn drangen. Ihn interessierte wenig, worüber sie sich unterhielten.
»Ich denke, Lindsay hat meinen Vortrag gut aufgenommen. Was meint ihr?«, wollte Graham wissen.
In Malcolm nagte noch immer der Zorn darüber, dass der Lord ihn so abgekanzelt hatte. Von sich selbst eingenommen, suchte er natürlich den Grund dafür nicht bei sich. »Der Alte sollte seinen Tee besser in London schlürfen, als sich hier um Dinge zu kümmern, von denen er nichts versteht«, knurrte er.
Karl ignorierte die rüde Äußerung und meinte: »Ich fand ihn ein wenig steif, aber sehr nett. Außerdem besitzt er ein kompetentes Wissen über Land und Leute, das uns ganz offensichtlich fehlt.«
»Was dir in Wirklichkeit gefiel«, schoss Malcolm jetzt mit scharfer Munition, »das war die Lady mit Häubchen, die so lange brauchte, um dir in den Mantel zu helfen.«
»Ach, und wessen Augen sind fast in ihren Ausschnitt gefallen, als sie die Backware auftrug?« Auch Karl reagierte nun aufgebracht.
»Um die Frau geht es doch jetzt gar nicht«, versuchte Ronald zu schlichten. »Obwohl – ich dachte schon daran, dass sie sich für die Rolle der Freundin Carlo Montessas eignet.« Graham wandte sich an Karl. »Was meinst du? Könntest du dir vorstellen …«
»Karl kann sich bestimmt manches mit der Kleinen vorstellen.« Malcolm hörte nicht auf zu sticheln. Sein beleidigtes Ego wollte andere treffen. »Wenn er könnte, würde er sie flachlegen und es ihr gehörig besorgen.«
Noch hielt Landmann an sich, obgleich sein Pulsschlag stieg. Die Dummheit Mortimers stank zum Himmel: Mit jedem Wort, das er sagte, verriet er, mit welchen Augen er selbst diese Frau betrachtet hatte.
Der Neuseeländer bemühte sich um einen sachlichen Ton. »Ich denke, dass wir die Frau erst einmal fragen sollten, ob sie überhaupt Interesse hat mitzuwirken. Abgesehen davon wissen wir nicht, ob Lindsay ihr für solche Aktivitäten Zeit zur Verfügung stellt.«
»Ein berechtigter Einwand«, gestand der Regisseur ein. Sein Blick wanderte dankbar zu Karl. Dankbar, weil dieser versuchte, die Provokationen Malcolms zu ignorieren und das Gespräch in ruhige Bahnen zu lenken. »Zuerst müssen wir ohnehin abwarten, ob der Lord nach der Konsultation seines Anwalts unserem Projekt zustimmt«, setzte Graham berechtigterweise hinzu. »Vor den italienischen Rechtsverdrehern habe ich eine gewisse Scheu. Aber was soll’s! Übermorgen wissen wir mehr. Für heute bin ich froh, dass Sir Edward nicht von vornherein abgelehnt hat.«
Das Warten war gar nicht das eigentliche Problem, das lag ganz woanders: Diese Zwistigkeiten zwischen Malcolm und … eigentlich jedermann, mit dem der Schauspieler bisher zusammengetroffen war, nervten ungemein. Schon seit Tagen gestand sich Graham ein, dass die Besetzung einer Rolle durch Mortimer keine gute Idee gewesen war. Feste Verträge mit den Schauspielern gab es zwar noch keine, denn es bestand ja die Möglichkeit, dass das Projekt abgesagt werden musste. Doch woher sollte er im Ernstfall Ersatz nehmen? Mortimer war nun einmal da, hatte persönlich Zeit aufgewandt und Entschädigungen, welcher Art auch immer, konnte sich die Filmgesellschaft nicht leisten.
Der Wagen hielt vor dem Hotel, das in seinem Baustil an deutsche Kaiserzeiten erinnerte. Imposant thronte das Gebäude am Ende der breiten Auffahrt. Die zuckende, weil altersschwache Neonröhre beim ›R‹ des Hotelnamens tat dem herrschaftlichen Eindruck keinen Abbruch.
Direkt hinter dem Hotel lag das Meer. Die Wellen, die heute hohe Schaumkämme trugen, brandeten geräuschvoll gegen die Felsen.
Ronald und Karl bedankten sich beim Chauffeur, Malcolm leistete sich eine verächtliche Geste. »Überschlagt euch nicht«, knurrte er. »Das ist sein Job.«
Auch der Portier bekam die üble Laune des Schauspielers zu spüren. Weil er von seinem Platz an der Rezeption aus das Match im Fernsehen verfolgte und den Zimmerschlüssel nicht sofort parat hielt, schnauzte Mortimer ihn an.
Weder Graham noch Landmann verspürten Lust, noch beieinander zu sitzen, was in erster Linie Malcoms mieser Laune geschuldet war.
»Ich hau mich aufs Ohr«, verkündete der Regisseur. »Vielleicht lasse ich mir später noch etwas Essbares aufs Zimmer bringen. Ihr könnt es halten wie ihr wollt.«
»Gute Idee«, stimmte Karl Landmann ihm zu. »Ich werde es ebenso machen.«
Die beiden Männer strebten auf den Lift zu.
»Dann bleibt mir nichts anderes übrig, als mich diesem interessanten Abendprogramm anzuschließen«, kommentierte Malcolm bissig.
Die Zimmer des Regisseurs und Landmanns lagen auf dem gleichen Flur, Malcolms befand sich eine Etage tiefer. Welch angenehmer Zufall! Sie wurden den Miesepeter los.
***
Karl schaltete das Licht im Zimmer ein. Auf dem Kissen des französischen Betts lockte wiederum eine süße Empfehlung – diesmal eine des Hotels. »Sehr aufmerksam«, dachte er erfreut. Vor deren Genuss erfrischte er sich im großzügig eingerichteten Badezimmer, ehe er sich – nur mit Shirt und Shorts bekleidet – aufs Bett fallen ließ. Was tun? Warum sollte er nicht auch einen Blick auf dieses Fußballspiel werfen, das in Neapel für eine so einschneidende Unterbrechung des normalen Tagesablaufes sorgte. Doch ihm fehlte ein wichtiges Detail, das zu einem Fußballspiel gehörte – ein gutes Bier.
Er stand nochmals auf und inspizierte die Zimmerbar. Sie war gut gefüllt. Karl griff nach der Flasche, die einer Bierflasche am ähnlichsten sah, ließ sich samt birra erneut auf die Überdecke fallen und startete den Fernseher. Sekunden später verfolgte er gespannt den emotionsgeladenen Kampf um das runde Leder auf dem grünen Rasen, bei dem letztendlich der AS Roma siegreich blieb. »Armes Napoli!«, dachte Karl belustigt.
Das Knurren seines Magens signalisierte Hunger. Allerdings bedeutete die Speisekarte für Karl eine Herausforderung: Sie war in italienischer Sprache verfasst. Nach einigem Hin und Her am Telefon war das Abendessen unterwegs. Während Karl darauf wartete, schloss er die Augen und gab sich dem Tagtraum hin, dass eine Frau, die unverkennbare Ähnlichkeit mit Marie aufwies, ihm das Essen servierte.
Der Abend war unbemerkt in die Nacht übergegangen. Trotz eingeschaltetem Radiator fröstelte Karl. Er zog eine Jogginghose über die Shorts, schlüpfte unter die Decke und wickelte sich förmlich darin ein. Die angenehme Vorstellung überkam ihn, wie es wäre, sich an den warmen Körper einer Frau zu schmiegen. Und wieder schlich sich ein bestimmtes Bild in seinen Kopf: Er sah Marie vor sich, ihre ausdrucksvollen Augen und den kleinen, schön geschwungenen Mund, erinnerte sich an ihre angenehme Stimme und die Berührung durch ihre Hand. So falsch war es gar nicht gewesen, was Malcolm behauptet hatte: Aus seinem Bett würde er die Frau gewiss nicht werfen. Nur Malcolms ordinäre Art, diesen Umstand auszudrücken empörte ihn maßlos.
Er gönnte es sich, ein wenig zu träumen: Wie mochte sich Maries Haut anfühlen? Verstand sie sich gut aufs Küssen? Er hatte schon längere Zeit mit keiner Frau geschlafen und die Vorstellung, es mit ihr zu tun, erregte ihn. Er merkte, dass sein Körper auf diese Gedanken mit einer Erektion antwortete und bezwang sich.
Die soliden Wände schützten vor Geräuschen aus den Nebenzimmern. Schlaf übermannte Karl und er glitt hinein in ein traumloses Nichts.
Kapitel 2
Der Dienstag begann mit einem orkanartigen Sturm, der es jedermann verleidete, vor die Tür zu gehen. Marie schaute missmutig aus dem Küchenfenster: Die nackten Zweige der Bäume bogen sich im Wind, der auf ihnen lagernde Schnee wurde durch die Luft gewirbelt und erweckte den Anschein, als schneie es. Missmut änderte nichts an der Tatsache, dass sie zum Hafen fahren musste. Giuseppe hatte angerufen, dass die bestellten Fische heute mit dem großen Fischkutter eingetroffen seien. Das Schiff liege zwar noch einige Tage im Hafen, aber durch zu lange Lagerung würde die Ware nicht besser. Marie hatte nicht die Absicht, den Kauf hinauszuzögern. Sie liebte es, als eine der ersten aus dem Angebot wählen zu können.
»Mon Dieu! Das wird ‘eute wieder eine Markttag mit fliegende Fische«, seufzte Francine, obgleich sie selbst mit den Fischen überhaupt nichts zu tun haben würde.
»Jammere nicht, Francine, wir fahren trotzdem. Ich will vor dem Abendessen zurück sein«, erklärte Marie. »Wir fahren auch gleich beim mercato vorbei und kaufen ein. Aus der Reinigung müssen wir für Sir Edward ebenfalls noch etwas abholen.«
»Isch komme ja schon«, beteuerte Francine. »Sei doch nischt so ‘ektisch, chérie.«
Für sie waren diese Fahrten eine willkommene Abwechslung im sonst langweiligen Alltag. Marie setzte sie immer bei der Galleria Umberto ab, damit sie in diesem Einkaufstempel oder auch in den in der Nähe liegenden Geschäften nach dem neuestem Modefummel Ausschau halten konnte. Francine hatte bisher stets etwas gefunden, wofür es sich lohnte, Geld auszugeben.
Zum Hafen fuhr Marie allein. Sie verstand sich bestens darauf, mit den Fischern zu verhandeln: Erstens beherrschte sie die italienische Sprache und zweitens war sie eine Könnerin, was das Feilschen um den günstigsten Preis betraf.
Erst beim mercato war Francine dann wieder dabei.
Frederic hatte inzwischen die große Kühlbox im Kombi verstaut, die für den Transport der Fische gedacht war. Höflich hielt er Marie nun die Wagentür auf und wünschte: »Gute Fahrt und lass dich nicht aufs Meer wehen.« Das Lachen war zu sehen, seine Gedanken gehörten ihm: »Selbst in den abgetragenen Jeans, dem dicken Pullover und dem wattierten Gilet, sieht sie reizend aus.« Marie hatte etwas an sich, das er sich nicht erklären konnte – eine spezielle Anziehungskraft, die selbst bei ihm, den eingefleischten Junggesellen, Wirkung zeigte.
»Danke, Frederic, aber ich kann schwimmen.« Auch Marie lachte. »Soll ich dir Zigarillos mitbringen?« Sie wusste, dass Frederics heimliche Leidenschaft diesen braunen Glimmstängeln von Tonio galt, die der Händler noch selbst drehte und verpackte. Den Tabak erhielt der Alte als kleine Lieferung mit einem der großen Schiffe, die aus aller Welt in Neapel vor Anker gingen.





