Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft

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»Wenn wir uns in der Hafengegend noch umsehen wollen, sollten wir langsam in die Gänge kommen«, erinnerte Ronald an den eigentlichen Grund ihres Tagesausflugs.
Es war nicht einfach, diesen Ort zu verlassen, denn es gefiel den Männern hier mit jeder Minute besser.
Roberto hatte versucht, seinen Gästen ein wenig Italienisch beizubringen. Immerhin schafften die Männer zum Abschied ein: »Ciao, fino alla prossima volta!«, was soviel bedeutete wie: ›Tschüss, bis zum nächsten Mal.‹
Und als sie, infolge ungewollter Umwege, nach einem mehr als halbstündigen Weg endlich den Hafen erreichten, stand für Ronald fest: In dieser Stadt würde sein Film spielen – Originalschauplatz war und blieb eben Originalschauplatz.
Erwartungsvoll näherten sie sich dem Teil des Hafens, wo um diese Zeit ein besonders geschäftiges Treiben herrschte. Kisten wurden von den Frachtschiffen gehievt und entlang des Kais deponiert. Die dicken Taue, mit denen die Kähne festgemacht waren, zerrten an den Anlegepollern. Auf dem Kai tummelten sich neben streunenden Katzen, die gierig nach jedem Happen schnappten, auch Kinder, die sich verstohlen hier und da einen Fisch schnappten und mit ihm davonrannten, nicht einholbar für die schimpfenden Fischer, die ja letztendlich bei ihrer Ware bleiben mussten. Die Kisten, deren Deckel oft nur einen Spaltbreit offenstanden, enthielten Fische, Langusten und Muscheln.
Frauen mit großen Körben wählten aus dem reichen Angebot. Das Geräusch der vielen Stimmen hörte sich an wie das Rauschen der Meeresbrandung, zumal weder Karl noch Ronald ein Wort verstanden. Über allem lag der intensive Geruch von Fisch.
Unversehens stieß Landmann Graham an und wies nach vorn. »Sieh mal, wer da ist!« Nur er bemerkte, dass sich sein Puls beschleunigte, dennoch befürchtete er, man könne es geradezu sehen.
Wenige Meter von ihnen entfernt stand Marie, die junge Frau, der sie gestern bei Sir Edward begegnet waren.
Lachend und ungezwungen unterhielt sie sich mit dem Fischer, scheute sich nicht, die Fische selbst aus den großen Behältern herauszuholen und besiegelte deren Kauf mit Handschlag. Die fangfrischen Tiere wurden in Nylonsäckchen verpackt und in einen großen Korb gelegt.
Mit dem Handrücken strich Marie sich eine widerspenstige Strähne aus dem Gesicht und packte dann den Korb, um ihn aufzuheben. Karl war mit wenigen Schritten bei ihr.
Marie erschrak, als so plötzlich jemand neben ihr auftauchte und nach dem Henkel griff. Sie reagierte automatisch und schlug mit der Faust zu … Erst danach erkannte sie die Situation und fuhr in tödlicher Verlegenheit zurück. »Oh, es tut mir ja so leid«, rief sie. »Wie hätte ich ahnen sollen, dass Sie es sind. Ich dachte, es sei einer dieser flinkfingrigen Burschen. Mister Landmann, bitte entschuldigen Sie.« Marie wusste nicht, was sie noch sagen oder tun sollte.
Der Schlag hatte gesessen. Karl – in gebückter Haltung – bemühte sich, eine regelmäßige Atmung zustande zu bringen.
Ronald stand einige Meter entfernt und schnappte ebenfalls nach Luft, jedoch vor Lachen. Es hatte aber auch zu komisch ausgesehen, als die kleine Lady dem großen Mann eine Breitseite verpasste, dorthin, wo es Mann am schmerzhaftesten trifft!
Auch Giuseppe der Fischer hatte seine Kappe nach hinten geschoben, kratzte sich das Kinn und grinste unverschämt. Er mochte Marie, die schon seit langer Zeit bei ihm die Fische kaufte. Sie wusste genau, was sie wollte und zahlte gern einen vernünftigen Preis. Er hatte es inzwischen aufgegeben, ihr mehr Euros zu berechnen. Das funktionierte nicht bei dieser Frau. Außerdem gefiel es ihm, dass sie italienisch sprach, sich nie zu fein war, selbst mit anzupacken, obwohl man bei ihrer grazilen Erscheinung eher dazu neigte, gleich hilfsbereit zur Stelle zu sein, wie soeben dieser junge Mann. Aus seiner Jackentasche holte Guiseppe eine kleine Flasche und hielt sie dem noch immer mit dem Schmerz Kämpfenden hin, der wohl das erste Mal in seinem Leben von einer Frau geschlagen worden war und dann noch … na ja …
»Bere!«, forderte er Karl freundlich auf und hielt ihm die Flasche unter die Nase.
»Sie sollen trinken, das hilft«, übersetzte Marie. »Giuseppes Grappa ist gut, fast schon Medizin.«
Karl nahm dankbar einen kräftigen Schluck. Zu kräftig! Statt sofortiger Besserung fehlte ihm urplötzlich wiederum die Luft und er erlitt einen Hustenanfall.
Ronald, der inzwischen neben der Gruppe stand, traten Tränen der Heiterkeit in die Augen. Einer seiner Filmhelden sah hier gerade gar nicht wie ein verwegener Mafioso aus, eher wie eine ausgepresste Zitrone.
Dankend nahm auch er die Flasche entgegen, die ihm der Fischer reichte, der nun ebenfalls herzlich lachte. Puh, das war vielleicht ein Zeug! »Himmel! Was trinkt ihr da? Das brennt ja wie Feuer.«
Giuseppe verstand nicht, was der Fremde sagte, konnte sich aber denken, was die Worte bedeuteten und lachte erneut.
Der Grappa brannte Ronald bis in den Magen hinunter, von dort jedoch breitete sich eine wohltuende Wärme in seinem Körper aus.
Marie war inzwischen zu ihrem Auto gelaufen, das nur wenige Meter entfernt stand und kam mit einer Flasche Mineralwasser zurück. Schuldbewusst beugte sie sich zu dem hustenden und prustenden Karl hinunter, der noch immer nach Luft schnappte, und reichte ihm die Plastikflasche. Als er abwinkte, sprach sie ihm gut zu: »Das ist nur Mineralwasser, ehrlich. Bitte, trinken Sie in kleinen Schlucken.«
Endlich griff er zu und nippte sehr vorsichtig an dem klaren Nass. Er hatte ehrlich gezweifelt, dass es sich wirklich um Wasser handelte. Langsam fühlte er eine Besserung und vermochte sich aufrichten. Doppeltes k.o. war der richtige Ausdruck dafür, was ihm soeben widerfahren war. Als er endlich wieder aufrecht zu stehen vermochte, traf sein Blick auf den besorgten Gesichtsausdruck von Marie. In ihren Augen flackerte noch immer Erschrecken und etwas wie Angst.
Sie war heute ungeschminkt und auf ihrem Gesicht zeigten sich hektische rote Flecke. Der üppige Rollkragen des Pullis schien ihren Kopf verschlucken zu wollen und eine Windböe zerrte an ihrem aufgesteckten Zopf.
Karl drängte es, die Hand zu heben und Marie über die Wange zu streichen, sie zu trösten, wie man es bei einem Kind tut, das ungewollt eine Dummheit begangen hat. Im letzten Moment besann er sich und verlangte nur den Verschluss der Wasserflasche.
Als Marie ihm die Kappe reichte, berührten sich ihre Hände und es war, als spränge ein elektrischer Funke über. Gedankenschnell fuhren beider Hände auseinander und der Plastikverschluss fiel zu Boden. Beide bückten sich, gleichzeitig, und – stießen nun auch noch mit den Köpfen zusammen.
Giuseppe und Ronald – abwechselnd am Grappa nippend – beobachteten die beiden interessiert, grinsten einvernehmlich und gaben jeweils ihre Meinung kund – für den einen so unverständlich wie für den anderen. Aber sie waren sich vollkommen einig: Wer den Schaden hatte, brauchte für den Spott nicht sorgen …
Marie hatte inzwischen ein krebsrotes Gesicht und das Karls näherte sich der gleichen Farbe. Er murmelte fast nicht Verständliches, das gleichzeitig wie eine Entschuldigung und wie ›das gibt’s doch nicht‹ klang. Immerhin hatte er es geschafft, die Flasche wieder zu verschließen und Marie zu reichen.
Wie kam es nur, dass er so unvermittelt auf eine Frau reagierte? Er wusste nichts von ihr, außer, dass sie hervorragende Petit Fours machte, ihre Finger – wenn auch unbeabsichtigt – seinen Nacken berührt hatten, dass sie einen treffsicheren Schlag auf edle Körperteile ausführen konnte, ihr Kopf eine richtig harte Nuss war und – dass sie ausdrucksvolle Augen besaß, Haar, das zum Streicheln einlud, Hände, die man in die seinen nehmen wollte, einen Körper, den man augenblicklich zu umarmen wünschte und … Karls Magen zog sich warnend zusammen. Wann hatte er das letzte Mal solche Gefühle für eine Frau gehabt?
Marie hatte sich gefangen; sie griff nach dem Korb mit den Fischen und eilte – in der anderen Hand die Wasserflasche – auf den Kombi zu. In ihrem Hals saß ein Kloß. Wahrscheinlich hätte sie den Rest Grappa in der Flasche leeren müssen, um ihn fortzuschwemmen. Distanz war das Einzige, das helfen würde. Daher wollte sie so schnell wie möglich von diesem Mann fort, der sie so aus dem Konzept brachte. Sie hatte sich geschworen, nie mehr solche Gefühle zuzulassen, wie sie sich ihr nun aufdrängten. Zornig über sich selbst warf sie die Fische in die große Kühlbox, die sich im Kofferraum des Kombis befand. Und ihr seelischer Zustand besserte sich erst recht nicht, als Karl schweigend neben sie trat und ihr beim Beladen half.
Zum Glück ahnte sie nichts von den Bildern in seinem Kopf …
Er sah sich Marie in die Arme nehmen, sah, wie er sie entkleidete und auf die freie Ladefläche des Kombis bettete … Einen Augenblick schloss er die Augen, meinte zu spüren wie ihr Mund den seinen berührte, seine Finger durch ihr Haar glitten, das sich anfühlte wie …
»Mister Landmann, ist Ihnen nicht gut? Ich würde gern den Kofferraumdeckel zumachen.« Jetzt erst registrierte er, dass Marie auf ihn einredete. Sie musste ihn schon einige Male angesprochen haben, denn ein besorgtes Lächeln lag auf ihrem Gesicht, das die normale Farbe zurückgewonnen hatte.
»Natürlich, ja. Ich war nur etwas … abwesend. Soll ich helfen?«, bot er höflich an.
»Lieber nicht.« Marie wehrte in komischem Entsetzen ab. »So gut, wie wir beide das heute können, schlage ich Ihnen letztendlich noch die Klappe auf den Kopf. Schadensersatzforderungen kann ich mir nicht leisten.« Sie hatte sich wieder im Griff und das war das Wichtigste.
Der Wind trieb dunkle Wolken heran und einzelne Regentropfen fielen vom grauen Himmel.
Giuseppe rief Marie etwas zu und deutete auf das Meer hinaus. Die Frau nickte und wandte sich an Karl, der noch immer wie ein Schatten neben ihr stand.
»Ich bringe Sie beide ins Hotel. Es wird gleich regnen. Sehen Sie, Giuseppe schafft alles an Bord. Ich muss zwar noch einige Besorgungen machen, doch solange können Sie im Wagen warten.«
Der Wellengang verstärkte sich, die Gischt spritzte über die Kaimauer.
Auch die anderen Fischer brachten ihre Waren in Sicherheit und der zuvor dicht belaufene Kai lag bald wie leergefegt da. Man kannte hier die Vorzeichen des Wetters nur zu gut. Sobald der Wind über das Meer hereinpeitschte, war es besser, Schutz zu suchen.
Ronald überlegte gar nicht erst, schob Karl zur Beifahrertür und ließ sich selbst auf die Rückbank fallen, was in Anbetracht dessen, dass die Parkplätze neben Maries Wagen bereits leer waren, nicht mehr so schwierig war. Fischgeruch wölkte im Lieferwagen.
Ronald gingen bereits wieder sehr praktische Gedanken durch den Kopf: Diese Frau sprach perfekt italienisch, schien gut mit den Menschen hier auszukommen und Karl hatte ganz offensichtlich eine Schwäche für sie. Marie würde sich also wunderbar als Sprachmittlerin zwischen ihm und den Neapolitanern und vielleicht sogar als heimliche Geliebte Angelo Cortesas eignen, der rechten Hand des Padrone. Es hieß nur abwarten, bis sich die geeignete Gelegenheit ergab, ihr dies schmackhaft zu machen.
Der Regen prasselte auf die Windschutzscheibe; die Scheibenwischer waren schon auf die schnellste Geschwindigkeit gestellt, um einigermaßen freie Sicht zu gewähren.
Marie konzentrierte sich auf den Straßenverkehr und achtete nicht auf ihren Beifahrer. Sie hatte Francine angerufen, die sowohl die Bluse für sie, als auch für sich selbst einige Dinge erstanden hatte. Die Anzüge des Lords aus der gleich neben der Galleria liegenden Reinigung hatte sie bereits abgeholt. Der Gang zum mercato musste verschoben werden. Bei diesem Wetter waren die Markstände mit Sicherheit bereits geschlossen. Fehlten nur noch die Zigarillos für Frederic.
Die Französin staunte nicht schlecht, als sie bemerkte, wen Marie aufgelesen hatte. Sie schlüpfte hochbeglückt rasch auf den Platz hinter Marie, neben Ronald Graham.
»Wir bringen die Herren ins Hotel«, erklärte Marie. »Ehe der Bus kommt, sind die beiden bis auf die Knochen durchgeweicht.«
»Ischt gut, ischt gar keine Problem.« Francine blinzelte Ronald zu. Vielleicht wurde der Regisseur auf sie aufmerksam und entdeckte sie! Eine Rolle beim Film – das klang wie Himmel auf Erden. »In welsche 'otel wohnen Sie?«, fragte sie neugierig.
»Im Rex schönes Kind«, Ronald lächelte galant. Wenn er wollte, konnte er!
Marie stoppte den Wagen in einer kleinen Gasse, die alles andere als einladend oder gar seriös wirkte. Einen nicht minder schäbigen Eindruck vermittelte eine hölzerne Tür, die schief in den Angeln hing. Die undefinierbare Farbe blätterte an mehreren Stellen ab und der Türknauf war nichts weiter als ein metallener Haken, umwickelt mit Garn. Die junge Frau sprang aus dem Auto und lief, sich das Gilet über den Kopf ziehend, auf die Tür zu. In der Wand versteckt gab es einen Klingelknopf. Sie musste ein paar Mal drücken, ehe die Tür von einem alten Mann geöffnet wurde und sie eintreten konnte.
»Der sieht so zerknittert aus wie seine Tür«, scherzte Karl. »Er ist doch seriös, hoffe ich?«
Über Francines Gesicht huscht ein amüsiertes Lächeln. »Keine Angst. Marie weiß, was sie tut. Außerdem 'at sie erst kürzlisch eine Kurs in Selbstverteidigung gemacht«, erklärte sie.
»Ah ja? Das hat mein Kollege heute schon zu spüren bekommen.« Ronald bemühte sich um einen übertrieben sachlichen Ton.
Karl schickte einen vorwurfsvollen Blick nach hinten. Graham prustete nun doch los.
Francine schaute erwartungsvoll von einem der Männer zu anderen. Als niemand sie aufklärte, zuckte sie mit den Schultern, murmelte beleidigt: »Isch muss ja nischt alles wissen«, und beobachtete angelegentlich die Regentropfen, die an der Seitenscheibe herunterliefen.
Karl fixierte die Zeiger der Uhr am Armaturenbrett.
Endlich öffnete sich die verrottete Haustür und wenige Augenblicke später rutschte Marie rasch auf ihren Sitz. Sie presste einen unterdrückten Fluch durch ihre Lippen: »Sch... Regen!« Unter ihrem Gilet hatte sie ein Päckchen vor dem Regen geschützt. Ihre Hände waren klitschnass, aus ihrem Haar und den Hosenbeinen tropfte das Wasser. Schweigend reichte sie das in Zeitungspapier gewickelte Paket an Francine weiter und startete den Wagen.
»Aber sischer 'alte isch das gern für disch.« Die Stimme der Französin hatte einen deutlich vorwurfsvollen Unterton.
Marie zog die Brauen hoch. Was war denn dem Mädchen über die Leber gelaufen? »Danke! Weiß ich doch!«, sagte sie und lächelte. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße.
»Das sind Zigarillos für Frederic, die Butler«, erklärte Francine in die Stille hinein. Ihr Mitteilungsbedürfnis siegte über ihre Verstimmung, in etwas nicht eingeweiht worden zu sein. »Marie 'at sie in eine Sommer entdeckt, als diese alte Mann, er 'eißt Tonio, vor seine Tür saß und die braune Dinger drehte. Isch glaube, Frederic wird sisch vergiften mit die Zeug.«
Ronald meinte, das sei eine hübsche Geschichte, aber der Butler komme ihm vorerst noch recht gesund vor.
Francine überlegte nun krampfhaft, womit sie den Regisseur noch beeindrucken könne, aber es wollte ihr nichts einfallen. Also richtete sie ihr Augenmerk auf Karl und bemerke, dass dieser Marie ständig beobachte. Oh, là, là … Da schien sich wohl etwas anzubahnen. Der Schauspieler war schon ein hübscher Mann, aber viel zu alt für sie.
Karl ahnte nichts von den Gedanken des Küchenmädchens. Er hätte nur etwas darum gegeben, mit Marie allein im Wagen zu sein. Eine Frage schoss ihm durch den Sinn und ehe er es verhindern konnte, hatte er sie ausgesprochen: »Sind Sie verheiratet, Marie?«
»Ich bin geschieden«, antwortete sie kurz angebunden.
›Welch ein Idiot muss dieser Mann gewesen sein, dass er sie gehen ließ‹, dachte Karl.
Wieder breitete sich Schweigen im Wagen aus.
Karl hätte später nicht einen Meter Fahrt rekonstruieren können, so sehr war in Gedanken mit der Frau an seiner Seite beschäftigt. Marie hingegen achtete nur darauf, gut durch den Verkehr zu kommen, der trotz des Regens an Dichte nichts zu wünschen übrigließ. Irgendwann hielt sie vor dem Hotel und meldete, wieder gut gelaunt: »Meine Herren, da sind wir. Bis morgen Abend also! Ein Tipp von mir: Sir Edward liebt außer der Pünktlichkeit bei einem solchen Abendessen etwas formellere Kleidung.«
Ronald reichte ihr die Hand. »Danke, Marie, für den Tipp und fürs Herbringen. Mit dem Bus wären wir wohl noch nicht hier.«
»Nein, Monsieur«, meldete sich Francine lachend. »Der Wind 'ätte Sie schon in die Meer getrieben. Die Bus fährt bei diese Wetter nicht die 'afen an.«
»Na, dann danken wir auch dafür, dass wir nicht zu Fischfutter wurden.«
Marie aber flüsterte Karl zu, der den Türgriff in der Hand hielt und vergeblich nach einer geeigneten Verabschiedung suchte: »Es tut mir leid wegen vorhin. Ich wollte Ihnen nicht wehtun.«
»Ist schon in Ordnung. Man schleicht sich ja auch nicht von hinten an. Ich freue mich jedenfalls, Sie morgen wiederzusehen.« Dann stieg er schnell aus.
Unter dem schützenden Vordach des Hotels sahen die beiden Männer dem Kombi nach, der rasch davonfuhr. »Na, bist du wieder unter den Lebenden? Ich dachte, du seist während der Fahrt in Agonie verfallen«, neckte Ronald.
»Wie meinst du das?« Karl gab sich begriffsstutzig. »So ein bisschen Fischgeruch bringt keinen um. Nachher werde ich Victor anrufen. Wir zwei sehen uns beim Abendessen.«
Aber Ronald ließ ihn nicht aus den Krallen. »Ja, geh nur, und nimm gleich ein kühles Bad. Bei so viel Hitze von innen ist eine Abkühlung angebracht. Glaub ja nicht, dass es zu übersehen war, was da im Hafen zwischen euch ablief. Sogar der gute Guiseppe hat sich dabei bestens unterhalten. Ich muss schon aus Freundschaft dafür sorgen, dass die hübsche Marie deine Filmpartnerin wird. Dann darfst du sie sogar küssen.«
Ronald bewegte sich in bester Laune auf den Eingang des Foyers zu. Karl folgte ihm schweigend. Grahams Idee war nicht die schlechteste und nicht nur, weil es ihm die Möglichkeit verschaffte, Marie näher zu kommen.
Den beiden Männern war nicht aufgefallen, dass hinter der Glastür des Foyers ein Mann stand, der ihre Ankunft beobachtete. »Na, hattet ihr einen schönen Tag?«, empfing Malcolm Mortimer sie jetzt. »An weiblicher Gesellschaft scheint es euch ja nicht gemangelt zu haben, wie zu sehen war. Hattet ihr Spaß im Auto? Die Damen rochen leider ein wenig streng, eurem Duftschweif nach zu urteilen.«
Es kostete Karl Mühe, Malcolm nicht tätlich anzugehen.
Ronald rettete die brenzlige Situation. »Schönen Flug morgen!«, wünschte er. »Wir werden uns ja nicht mehr sehen.«
Er ließ den Streitsuchenden einfach auflaufen, schlendert weiter und wandte sich an Karl: »In zwei Stunden essen wir in meinem Zimmer, wie ausgemacht.«
Nichts hatten sie ausgemacht, aber mit Mortimer würde Ronald sich heute Abend sicher nicht an einen Tisch setzen.
Der aber war nicht gewillt aufzugeben. Er folgte den beiden Männern durch das Foyer. »Hab' schon gehört, dass sich der Lord willige Frauen in seinem Haus hält. Aber dass er sie auch verleiht, wusste ich nicht«, höhnte er.
Ronald fasste Karl energisch am Oberarm und zwang ihn weiterzugehen. Er wusste, wenn er ihn nicht gleich aus Malcolms Nähe brachte, kam es zu einer Schlägerei.
An ihm selbst prallten derartige Beleidigungen ab, doch Karl, der mit Sicherheit für diese Marie etwas empfand, würde nicht dulden, dass man sie in den Schmutz zog.
»Komm!«, flüsterte er. »Marie würde nicht wollen, dass du dich schlägst!« Das wirkte.
Im Lift lehnte sich Karl an die kühle Innenwand. »Danke. Ich hätte ihm fast eine in seine blöde Visage verpasst.«
»Ich weiß. Und genau darauf hatte er es angelegt. Er hat begriffen, dass nicht er mir die Tour vermasselt hat, sondern dass ich ihn gefeuert habe. Das schmerzt einen Mann wie ihn gewaltig. Und ich vermute mal, da gibt es gar keine Rolle, die man ihm angeboten hat. Er sitzt jetzt auf dem Trockenen. Was ich dir zuletzt gesagt habe, ist übrigens meine feste Meinung: Ich denke nicht, dass Marie es schätzt, wenn du dich prügelst.« Und nach einer kleinen Pause fügte er grinsend hinzu: »Allerdings würde es dir sicher gefallen, von ihr nach der Prügelei gepflegt zu werden.«
Jetzt lächelte auch Karl. Sicher würde ihm das gefallen. Doch nun brauchte er erst einmal eine kalte Dusche, um sein Gefühlsleben wieder auf ein normales Level zu bringen.
***
Marie und Francine hatten doch noch einen mercato aufgesucht. Es wäre schließlich unproduktiv gewesen, diesen Tag nicht für die angefallenen Einkäufe zu nutzen. Wie vermutet, war der Gemüsemarkt, in dem sie üblicherweise einkauften, aufgrund der Witterung bereits geschlossen, die trockene Markt-Variante war zwar mit einem Umweg verbunden, aber eine bessere Alternative, als am nächsten Tag noch einmal in die Stadt zu fahren. Der Kofferraum war vollgepackt, als sie zum Anwesen des Lords zurückkehrten.
Frederic nahm dankbar das Päckchen mit den Zigarillos entgegen.
»Sie ischt ganz nass geworden, als sie die kleinen Stinkbomben für disch ge'olt hat«, zwitscherte Francine und deutete auf Maries pitschnasse Hosenbeine.
»Marie, du hast einen Wunsch frei. Immer zu deinen Diensten.« Frederic lächelte Marie an und verneigte sich tief.
»Schon gut, gern gemacht«, versicherte sie lachend. Während sich die anderen Mädchen um die Fische kümmerten, wies Frederic Pascale an, für Marie ein heißes Bad einzulassen. Irgendwie sah sie heute blass um die Nase aus. Sie würde doch nicht krank werden? Und das womöglich wegen seiner Zigarillos!
Marie ließ sich wohlig seufzend in den duftenden Schaum gleiten und schloss die Augen. Wärme umgab sie. Vor ihrem geistigen Auge tauchte ein braunes Augenpaar auf, ein schmaler, energischer Mund in einem Gesicht mit Dreitagebart. Sie verspürte ein inneres Zittern und wünschte sich … was eigentlich? Es war schon so lange her, dass sie Liebe gefühlt und erfahren hatte. Sexuelles Verlangen, das wohl! Aber Liebe?
Kapitel 3
Nachdenklich lehnte Karl an der gekachelten Wand seines Bades. Der eiskalte Wasserstrahl, der ihm fast die Luft genommen hatte, setzte ihm auch den Kopf wieder zurecht. Er war ja nicht hier, um Frauenbekanntschaften zu machen und sich aus diesem Grund gar noch zu prügeln. Zwar lebte er nicht abstinent, aber er wechselte seine Gefährtinnen auch nicht wie Unterwäsche. Der Beruf brachte es mit sich, dass die Frauen ihn umschwärmten, er hätte nur mit dem Finger schnippen müssen …
Dabei empfand er sich selbst nicht als besonders attraktiv. Diese Eigenschaft gestand er eher Brendon Pitts zu. Ohne Neid dachte er an die Szenen in einem verfilmten Geschichtsepos, in denen dieser viel gestählten Körper zum Einsatz gebracht hatte. Mit derartigen Muskelpaketen konnte er nicht aufwarten. Auch verwunderte ihn immer wieder, dass er selbst als Schauspieler einen relativ großen Bekanntheitsgrad besaß, obwohl über Karl Landmann nun wirklich nicht viel in den Medien oder im Internet zu finden war.
Das hatte auch einen guten Grund: Er wollte sein Privatleben schützen, so gut es eben ging, vor allem wegen seines Sohnes. Leider war es so, dass Ben ihn nicht so oft zu sehen bekam, wie ein Sohn seinen Vater eigentlich sehen sollte. Und einige Erlebnisse der negativen Art hatte ihm die allzeit gegenwärtige Presse auch schon beschert: Die überzogenen Geschichten jener Darstellerinnen, die sich durch die Bekanntschaft mit ihm Vorteile im Filmgeschäft erhofft hatten und sich damit brüsteten, ›mit einem Star im Bett gewesen zu sein‹.
Zwangsläufig kehrten seine Gedanken zu Marie zurück. Wie alt war sie? Was veranlasste eine attraktive Frau wie sie, vergleichsweise abgeschieden als Angestellte zu leben? Woher stammte sie? Ihr Englisch war sehr korrekt, das vermochte er zu beurteilen. Ihr Italienisch erschien ihm perfekt, aber darüber hätte wohl der Fischer Guiseppe eher ein Urteil fällen müssen. Worauf – außer aufs Backen und Organisieren – verstand sich Marie noch?
Genau genommen kannte er sie – zusammengerechnet – kaum zwei Stunden. Dennoch beschäftigte sie ihn mehr als ihm lieb war. Seufzend drehte Karl erneut den Wasserhahn auf und stellte ihn auf kalt. Danach zog er ein Shirt über, warf sich aufs Bett und zog die Decke über die Beine. Er würde jetzt versuchen, Victor zu erreichen. Hoffentlich übernahm der Freund die Rolle.





