Il Vesuvio - Die Ehrenwerte Gesellschaft

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»Sein Abschiedsgeschenk«, knurrte er. »Der muss die ganze Bar geleert haben.«
Oh, oh! Es ging um Malcolm. Tatsächlich hatte der als letzten Gruß eine gesalzene Rechnung hinterlassen.
»Mögen die Promille seinen Heimflug begleiten!«, spottete Karl. »Aufs Saufen versteht er sich jedenfalls.« Es gelang ihm, Ronald zum Grinsen zu bringen.
Der langte nun nach den frischen Croissants und als sei ihm heute Morgen nichts Unliebsames über den Weg gelaufen, meinte er: »Das Wetter lass' ich mir gefallen. Wir werden gleich nach dem Frühstück losfahren und …«, da klingelte sein Handy.
Mit der angezeigten Nummer konnte Graham nichts anfangen, deshalb meldete er sich förmlich mit vollem Namen. Ein frohes Lächeln erschien bald darauf auf seinem Gesicht.
Aber aus Ronalds Antworten, wie »das ist sehr freundlich« ... »ja, um vierzehn Uhr« ... »Danke und Auf Wiederhören«, war es Karl nicht möglich zu erraten, wer anrief.
Um Victor konnte es sich nicht handeln, der hatte um Bedenkzeit gebeten.
»Wir werden abgeholt«, klärte der Regisseur ihn auf. »Marie muss zum Arzt und kommt anschließend …«
Karl unterbrach ihn besorgt. »Marie ist beim Arzt? Weshalb? Was ist passiert?«
»Das weiß ich doch nicht!« Ronald hob die Schultern. »Es wird schon nichts Ernstes sein, wenn sie selbst Auto fährt. Ich sitze übrigens gern auf der Rückbank.« Er lächelte spöttisch.
Karl überhörte die Spitze. Seine Gedanken waren bei Marie. Er rief sich ins Gedächtnis, wie sie vorgestern klitschnass ins Auto gestiegen war. Danach hatte sie ihn und Ronald ins Hotel gebracht und war anschließend doch noch zum mercato gefahren. Woher kamen sonst die Erdbeeren? Das war es – sie hatte sich eine Erkältung zugezogen! Die Aussicht, nun erneut neben ihr im Wagen zu sitzen, verursachte ihm ein angenehmes Kribbeln. Aber er blickte nicht auf, denn er war sicher, Ronald beobachtete ihn.
Bis sie abgeholt wurden, verblieben ihnen noch gut dreieinhalb Stunden Zeit, die es irgendwie zu vertreiben galt. Sie setzten sich in die Lobby. Ronald studierte seine Unterlagen und Karl langweilte sich. Hin und wieder blickte er auf die Armbanduhr – viel zu oft.
Ronald schlug vor: »Ehe deine Uhr vom Stieren Löcher kriegt, solltest du besser in deiner Rolle schmökern, meinst du nicht? Vielleicht gibt es da einige Stellen, die wir – der Originalität halber – in Italienisch sprechen sollten. Such sie, streich sie an und wir fragen Marie, ob sie uns – das heißt also dir – die Passagen übersetzt.« Ronald grinste unverschämt.
»Gute Idee«, murmelte Karl. Ihm wurde einmal mehr klar, dass er sich zusammenreißen musste, wollte er nicht während der gesamten Dreharbeiten wegen seiner Schwärmerei für Marie aufgezogen werden. Und wenn er sich selbst gegenüber ehrlich war – er benahm sich tatsächlich wie ein Kerl in der Pubertät. Nur, wie hieß es so schön: Vieles ist leichter gesagt als getan. »Ich verzieh mich dann mal auf mein Zimmer«, erklärte er und stand auf. »So was kann ich nicht in der Lobby erledigen.«
Ronald nickte abwesend. Er war in Gedanken mit irgendeiner günstigen Kameraeinstellung beschäftigt.
Seufzend ließ Karl sich im Zimmer aufs Bett fallen und vertiefte sich in sein Skript. Je mehr er sich in die Rolle hineinversetzte, desto mehr wurde er gefesselt und fand Szenen, die bei Verwendung italienischen Floskeln tatsächlich mehr Lokalkolorit erhielten.
Als das Zimmertelefon läutete, verwunderte ihn dies im ersten Augenblick, doch ein Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk genügte – es war schon viertel vor zwei. »Wir treffen uns vor dem Hotel. Ich hab' noch was für dich«, grummelte Ronald ins Telefon und legte auf, ehe Karl fragen konnte, worum es sich handelte.
Die Sonne lachte noch immer freundlich vom Himmel. Eilig zog er seine Jeans an und schnappte sich nach kurzem Luftschnuppern auf dem Balkon einen dicken Sweater. Diese Bekleidung genügte.
Ronald stand vor dem Portal und wandte ihm den Rücken zu.
»Was hast du für mich?«, fragte er und tippte ihm auf die Schulter.
Der Regisseur zuckte zusammen. »Erschrick einen alten Mann nicht so«, protestierte er und fügte dann lächelnd hinzu: »Gute Nachrichten.«
»Jetzt lass dir nicht alles aus der Nase ziehen.«
»Dein Freund Victor hat die Rolle angenommen.«
Ronald gab den Anruf wieder, den er bekommen hatte. »Victor muss noch einige Termine wahrnehmen, aber ich soll ihm das Drehbuch zuschicken. Rechtzeitig zu Drehbeginn wird er hier sein.« Graham strahlte gute Laune aus. Die Besetzung der Hauptpersonen war wieder komplett. Wenn auch Marie noch zusagte …
Aber durfte man wirklich so viel Glück an einem Tag verlangen?
Ein schwarzer Wagen bog in die Hotelauffahrt ein. Karl erkannte die Fahrerin des Wagens und … sein Puls erhöhte sich. »Solltest nicht besser du vorn sitzen?«, wandte er sich an Ronald. »Das ist die Gelegenheit, Marie zu fragen, ob sie für uns übersetzen und gegebenenfalls die kleine Rolle übernehmen würde.«
Ronald ging sofort auf das Angebot ein. »Keine schlechte Idee. Du siehst Marie noch oft genug, falls sie zusagt.« Er klopfte Karl kumpelhaft auf die Schulter.
***
Marie hatte es gern übernommen, die beiden Männer vom Hotel abzuholen. Es war für sie nicht wirklich ein Umweg. Der medico führte die Praxis in seiner Privatvilla am Meer. Von dort zum Hotel war es mit dem Auto nur ein Katzensprung. Sie würde die Männer auch in dem Glauben lassen, sie sei wegen einer Erkältung in Behandlung. Tatsächlich hatte Sir Edward sie damit beauftragt, ihm ein spezielles Medikament von Medico Vicenzo zu besorgen. Es gab nun mal Dinge, die wollte der Lord nur Marie anvertrauen. Dazu gehörte das Abholen eines Potenzmittels.
Es geschah durchaus nicht zum ersten Mal. Daher lächelte sie auch jedes Mal wissend, wenn der Lord sie in sein Arbeitszimmer bat und sich zwischen ihnen ein nur von Fall zu Fall leicht abgewandeltes Ritual vollzog.
»Marie, hättest du die Freundlichkeit, von Medico Vicenzo etwas abzuholen?«, fragte Sir Edward in seiner steifen Art. »Du weißt, es ist nicht unbedingt etwas, das die gesamte Belegschaft wissen muss.« Hier, in diesem Zimmer, in dem sie allein waren, sprach der Lord Marie mit einem vertraulich klingenden Du an, während er in der Öffentlichkeit und in Gegenwart des übrigen Personals selbstverständlich das höfliche Sie benutzte.
»Aber sicher, Sir Edward«, war die Antwort, die er erwartete. Allerdings pflegte Marie trotz der verschlossenen Tür das Sie beizubehalten, was er mit einem Schmunzeln registrierte.
Diesmal lautete die Abwandlung von seiner Seite: »Vielleicht solltest du dich ja auch untersuchen lassen. Frederic teilte mir mit, dass du am Dienstag ein bisschen viel Regen abbekommen hast und seither ein wenig blass zu sein scheinst. Das Wochenende steht bevor und ich denke, da solltest du gesund sein.«
»So ist es, Sir Edward«, hatte sie mit einem Lächeln zugestimmt und den Geldschein entgegengenommen, den sie an den medico weiterreichen sollte. Überrascht war sie dann nur gewesen, als der Lord sie noch einmal zurückrief und ihr auftrug, auf dem Rückweg die beiden ›Herren vom Film‹ abzuholen. »Wir beabsichtigen, uns das Gelände anzusehen, in dem sie die Trailer aufstellen werden. Verständige mich telefonisch, sobald du die untere Einfahrt erreicht hast. Wir treffen uns dort. Danach können die Herren, wenn es ihnen genehm ist, noch auf einen Fünf-Uhr-Tee bleiben. Dieser Karl Landmann gefällt mir ausnehmend. Ich beabsichtige, mit ihm ein wenig über Neuseeland zu plaudern.«
»Selbstverständlich, Sir Edward, kein Problem«, hatte sie freundlich geantwortet. »Frederic muss den Herren nur Bescheid geben.«
Marie brauchte nicht lange beim medico. Vorsorglich kontrollierte der Arzt ihren Gesundheitszustand, doch bis auf einen leicht geröteten Hals fehlte ihr nichts. Patienten wie sie machten den medico nicht reich. Er verschrieb Marie etwas zum Gurgeln und riet ihr, kürzer zu treten, obwohl er wusste, dass sie diesen Rat nicht befolgen werde. Die Medikamente für den Lord lagen bereit, wurden kommentarlos an die Frau ausgehändigt und schon stieg sie wieder in den Wagen und fuhr davon.
Es war fast zwei Uhr nachmittags, als sie den Gästeparkplatz vor dem Rex ansteuerte. Die Männer standen wartend neben dem Hotelportal. Maries Herz klopfte ein wenig heftiger als sonst. Sie kurbelte die Seitenscheibe herunter und rief ihnen ein fröhliches buongiorno zu. »Steigen Sie ein, ich fahre Sie zu dem Platz, den Sie mit Sir Edward besichtigen wollen.«
Karl hatte Mühe, seine langen Beine im Fond unterzubringen. Maries eigenes Auto war nun mal keine Limousine, sondern ein Kleinwagen. Ronald machte zudem keine Anstalten, seinen Sitz ein wenig nach vorn zu schieben. Maries Sitz war wesentlich weiter vorn eingerastet. Vorsichtig schob Karl sich hinter sie. Hier stießen seine Knie wenigstens nicht an den Vordersitz.
Marie trug das Haar wie immer hochgesteckt und Karl starrte auf die samtig weiche Haut des Halses, auf dem sich feine Härchen kringelten. Er verschlang die Hände ineinander, um nicht in Versuchung zu geraten, die sanfte Linie ihres Halses nachziehen. Wo waren seine guten Vorsätze geblieben? Er musste sie draußen vor dem Wagen verloren haben.
***
Lord Lindsay ging in seinem Arbeitszimmer auf und ab.
Auch für ihn nahte der Sonntag. »Marie, Marie«, pochte es in seinem Kopf. Alter schützte eben nicht vor Torheit und er sehnte den Tag herbei, an dem so vieles möglich wurde, denn es gab darüber hinaus innerhalb der Woche keinen zweiten oder dritten.
Mit der Gespielin seiner körperlichen Begierden hatte er diese Abmachung getroffen: Nur samstags oder sonntags. Und es blieb zudem ihr überlassen, diese Zeit einzuteilen, wie sie es für richtig hielt. Das bedeutete, dass die Spannung bereits am Samstag bei ihm stieg: Wann würde Marie erscheinen? Frühmorgens, wenn er noch schlief? Oder mittags, wenn er sich zur Siesta zurückzog? Oder erst gegen Abend, wenn er die Hoffnung, sie zu sehen, fast aufgegeben hatte? Manchmal blieb sie einen ganzen Tag und er durfte sich mit ihr vergnügen, wann immer er konnte, ein andermal waren es nur ein paar Stunden. Einmal überließ sie es ihm, sich erotische Spiele auszudenken, dann wieder übernahm sie die Macht und er genoss es, sich verführen zu lassen. Nicht zuletzt war es auch das Geheimnisvolle, das ihre Beziehung umgab, das dem Lord Herzklopfen verursachte und sein Blut in Wallung brachte: Eine etwas anrüchige Beziehung … in seinem Alter!
Sir Edwards Jugend war nicht so verlaufen, wie man es sich landläufig bei einem Adligen vorstellte: Sohn reicher Eltern, der ein freizügiges Leben mit allen Vorteilen der finanziellen Unabhängigkeit führte.
Lady Ingrim Lindsay hatte die Erziehung des Kindes einer freundlichen französischen Gouvernante überlassen. Sie selbst bevorzugte es, in verschiedenen Wohltätigkeitsvereinen und deren Veranstaltungen als barmherzige Samariterin zu wirken und zu glänzen. Sir Geoffrey Lindsay interessierten die kitchen and cookie parties seiner Frau, wie er die Wohltätigkeitsveranstaltungen nannte, nicht im Geringsten. Das galt auch in Bezug auf die Mitglieder der Königsfamilie, mit der er tatsächlich über eine Seitenlinie verwandt war. Es hielt ihn zwar nicht davon ab, auf diese Verbindung hinzuweisen, wenn es ihm nützlich erschien, aber für den hochgewachsenen Mann zählten nur militärische Auszeichnungen. Und genau diese Vorliebe und strikte Disziplin verlangte er auch von seinem Sohn Edward. Diesen wiederum kümmerten weder militärischer Glanz noch humanitären Aktivitäten, die doch nur dazu dienten, persönlichen Ehrgeiz zu befriedigen. Wirkliche Hilfe für Bedürftige leisteten weder die Mutter und schon gar nicht der Vater.
Edward lauschte als Kind lieber den Geschichten seiner Gouvernante, die ihm französische Lebensart, eben Savoir Vivre, näherbrachte und in ihm die Begeisterung für ihre Heimat weckte.
Als Jugendlicher lebte er eher zurückgezogen auf dem Landsitz seiner Eltern und widmete sich den Studien des Finanzwesens.
Weil seine Eltern es so wollten, heiratete Sir Edward mit 25 Jahren eine gewisse Lady Shannah D’Orsay. Edwards Mutter war begeistert von der Wahl des Sohnes, denn sie wurde von der sensationshungrigen Shannah bald auf jede Veranstaltung begleitet. Von der Verbindung entzückt gebärdete sich auch Sir Geoffrey, denn Shannahs Vater war oberster Befehlshaber der britischen Armee.
Ganze vier Jahre machte Sir Edward gute Miene zum ereignislosen Spiel.
Während dieser vier Jahre hatte er seine Frau einmal nackt gesehen und das auch nur, weil sie vergessen hatte, die Badtür zu verriegeln und er unbeabsichtigt in das Kabinett hineinplatzte. Ein wilder Aufschrei, wüste Beschimpfungen und ein kurzer Blick auf wohlgeformte Brüste blieben seine einzige Erinnerung an diese ›Begegnung der außergewöhnlichen Art‹.
Ihr ehelicher Beischlaf bestand darin, dass Shannah – wenn Edward sie wieder einmal daran erinnerte, dass sie verheiratet waren – den Slip auszog, den Rock hob und sich nach vorn über die Sofalehne beugte. Bei so viel Liebe war es nur verständlich, dass Edward es nicht zu Nachkommenschaft brachte. Er hatte auch den Gedanken nie zu Ende geführt, was Shannah getan hätte, wäre sie schwanger geworden.
Schon bald hatte er darauf verzichtet, sich seine Befriedigung von dieser nach seiner Meinung kalten Frau zu holen. Schließlich standen ihm als Mann auch andere Möglichkeiten zur Verfügung.
Erst nach vier Jahren freudloser Ehe kam Edward endlich dahinter, warum Shannah sich ihm entzog. Er kam von einer Vorlesung über Brokergeschäfte nach Hause, und das früher als angenommen. Gegen sechs Uhr abends betrat er das gemeinsame luxuriös eingerichtetes Haus. Aus dem Schlafzimmer seiner Frau drang unbekümmertes Kichern und lustvolles Stöhnen. Mit der Fußspitze drückte Edward die einen Spaltbreit offene Tür auf und erstarrte in der Bewegung …
Er kannte solche Bilder aus dem Etablissement, das er oft mehrmals wöchentlich besuchte: Zwei nackte Frauen balgten sich auf dem Laken. Nie hätte Edward für möglich gehalten, dass Shannah sich so hemmungslos gebärden konnte. Es war nicht einmal so, dass ihm dieses Liebesspiel nicht gefallen hätte! Er spürte im Gegenteil, dass Erregung in ihm aufstieg. Auf leisen Sohlen entfernte er sich und suchte sein eigenes Zimmer auf.
Nun stand es fest – er würde sich scheiden lassen.
Und Shannah? Sie brach weder in Tränen aus, noch beschimpfte sie ihn, als Edward ihr unter Hinweis auf seine Beobachtung noch am selben Abend die Scheidung antrug, sondern hörte ihm ruhig zu und küsste ihn anschließend auf die Wange.
»Danke, Edward«, sagte sie mit glänzenden Augen. »Und verzeih mir, dass ich dir nicht gestanden habe, wie es um mich steht. Du verstehst – die Etikette verlangte von mir eine herkömmliche Ehe.«
Als Edward seinen Eltern den Entschluss mitteilte, sich scheiden zu lassen, drohte der Vater, ihn zu enterben. Die Mutter zerfloss in Tränen und gefiel sich in einer Ohnmacht.
Einige Monate später wurde die Scheidung ausgesprochen und noch heute erhielt Sir Edward hin und wieder eine Ansichtskarte von Shannah, die – als geschiedene Frau geachteter, denn als ledige – in die High Society aufgestiegen war und ein reiselustiges Leben führte.
Edward war damals, wegen der Scheidung von der engeren Familie mit Nichtachtung bestraft, nach Frankreich gegangen. Dort absolvierte er ein Studium im Wirtschafts- und Bankenwesen und genoss die Liebe so mancher Französin. Er kehrte erst nach mehr als achtzehn Jahren nach England zurück. Die Londoner Börse wurde seine zweite Heimat. Schon damals gelang es ihm öfter, große Gewinne einzufahren. Sein Name war jedem Banker oder Broker bald ein Begriff.
Einmal im Monat besuchte er seine mittlerweile kränklichen Eltern – Pflichten eines wohlerzogenen Sohnes! Dort musste er jedes Mal einen Vortrag über die Unzulänglichkeiten seines Lebens über sich ergehen lassen.
Zum siebzigstem Geburtstag seiner Mutter, er selbst war damals kurz vor der Fünfzig, war auch eine Lady Rosebud geladen. Sie stellte sich ihm als Cousine soundsovielten Grades der Mutter vor. Diese alte Frau war der reinste Jungbrunnen, was ihre Aktivität und ihren Frohsinn betraf. Ihr gelang es, Edward aus der Reserve zu locken und ihm ein Lachen ins Gesicht zu zaubern. Seitdem verbrachte er viele Stunden im Hause der Lady. Sie wurde ihm die Mutter, die er sich immer gewünscht hatte: Gespräche, die von ernstem Charakter waren, unterhaltsame gemeinsame Ausflüge und das Gefühl, daheim zu sein. Eines Tages vertraute Lady Rosebud ihm auch ihr gesamtes Vermögen an. Edward vermehrte es noch um einiges.
Und dann kam ein trüber Tag im Oktober!
Trübe Tage waren zwar in England keine Seltenheit, doch für Sir Edward wurde es ein besonders denkwürdiger Tag. Die Glocke schellte und ein Polizist stand vor der Haustür. »Sir Edward Lindsay?«, fragte er.
Und als der Lord dies bejahte sagte der Polizist: »Lady Rosebud Laurence schickt nach Ihnen.« Auf so förmliche Art und Weise hatte die alte Lady noch nie nach seiner Gesellschaft verlangt.
»Warum ruft sie nicht selbst an?«, fragte er verwundert.
»Sie braucht die Zeit, bis Sie eintreffen, Sir.«
Die Aussage des Mannes ließ an Unklarheit nichts zu wünschen übrig. Seine Haltung signalisierte jedoch, dass er keinesfalls ohne Sir Edward umzukehren gedachte.
Der Lord betrat das Haus einer Sterbenden!
Die Zeit reicht gerade noch aus, um Lady Rosebud Lebewohl für immer zu sagen. Bis zuletzt hielt Edward die Hände der alten Frau in den seinen und sie lächelte, als sie den letzten Atemzug tat.
Ihr Vermächtnis an ihn war dieser Landsitz in Neapel gewesen und ihr gesamtes Vermögen. »Du warst mein Kind, das ich nie haben durfte. Ich danke dir für die schöne Zeit, die du mir geschenkt hast«, hatte sie mit klarer Stimme auf dem Sterbebett gesagt.
Im wunderschönen Rosengarten des Anwesens wurde ihre Urne beigesetzt, das war Teil ihres letzten Willens gewesen. Es hatte lange gedauert, bis Edward verstand, warum sie auf dem Landsitz zur letzten Ruhe gebettet werden wollte.
Hier war die junge Lady Rosebud aufgewachsen und einmal sehr glücklich gewesen. In einem Urlaub auf Ischia hatte sie den Neapolitaner Franco Rossini, einen Musiker, kennengelernt. Sie verliebten sich ineinander und Lady Rosebud brachte eine Tochter zur Welt – Chiara. Doch ebenso wie ihre Liebe musste die junge Adelige auch das Kind verleugnen. Seit damals lebte Lady Rosebud in England. Chiara wuchs bei ihrem Vater in Neapel auf. Der Kontakt zur leiblichen Mutter bestand aus Geldsendungen oder Geschenken. Liebe bekam sie von Sophia, der Frau, die Franco Rossini heiratete, als er begriff, dass Lady Rosebud nie zurückkehren werde.
Mehr als zehn Jahre waren vergangen, seit Sir Edward sich hier niedergelassen hatte. Seit seiner unglücklich verlaufenen Ehe war er nie wieder eine feste Beziehung eingegangen. Sein Stand und nicht zuletzt sein Reichtum erlaubten es ihm, unter vielen schönen Frauen zu wählen.
Vor einigen Jahren hatte er beschlossen, sich aus Altersgründen in Liebesdingen zurückzuhalten. Und gerade da war er Marie begegnet. Ihre Jugend hatte ihn betört, die schön geschnittenen Gesichtszüge, das langen Haar, ihre langen Beine und ihr Busen, von dem er seinen Blick so ungern trennte. Erst waren es nur Gespräche gewesen, dann folgten von seiner Seite Geschenke, zuletzt hatte er ihr ein Angebot gemacht. Und sie hatte es angenommen.
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