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„Wir haben ja schon mal von einem Puzzle geredet“, hilft Amara Manuel. „Alles was du hier erlebst hat einen Sinn. Hier ist etwas, oder jemand, der unbedingt will, dass die Wahrheit ans Licht kommt. Jeder Schritt hat einen Sinn und führt euch zu eurem Glück“, redet Amara nun wieder leise auf mich ein.
„Jemand?“, piepse ich und fühle mich augenblicklich beobachtet. Gleichzeitig fällt mir ein, wie Amara sich hier umgesehen hat. Weiß sie doch mehr, als sie uns sagen will? Nein, das möchte ich einfach nicht glauben. Sie war immer offen, ehrlich und aufrichtig zu mir.
„Stella, du darfst dich nicht verrückt machen lassen. Du wirst jeden Tag dem Geheimnis etwas näher kommen und ihr werdet es zusammen durchstehen. Ihr müsst nur daran denken, dass ihr hier sehr glücklich werden könnt“, versucht mich Amara zu beruhigen.
„Und wenn wir das nicht schaffen?“, entgegne ich ihr.
„Das kann ich mir nicht vorstellen. Du musst nur offen sein für das, was auf dich zukommt, auch wenn du es nicht glauben willst“, hält Amara dagegen.
„Wie meinst du das denn wieder? Weißt du mehr als du uns sagen willst“, zische ich nun auch Amara an und bereue aber sofort mein Verhalten nicht unter Kontrolle zu haben.
„Bleib ruhig“, sagt Manuel und greift nach meinen Händen.
„Ich kann dir nur sagen, dass alles von diesem Haus ausgeht. Lass es auf dich zukommen. Es wird sich alles zum Guten wenden“, betont Amara noch einmal, aber mir fällt es schwer, mich damit abzufinden.
„Dann ziehen wir eben wieder aus“, bricht es aus mir heraus und in dem Moment schlägt die Terrassentür zu, die ich offengelassen habe. Amara zuckt zusammen und schaut mürrisch in die Richtung der Tür.
„Was ist hier los?“, stottere ich und starre ebenfalls dahin.
„Es wird wohl nichts bringen wieder auszuziehen. Es wird dich immer wieder einholen und so wird es besser sein, du nimmst diese Aufgabe jetzt an“, flüstert Amara, steht auf und hat wohl im Sinn, auf dem schnellsten Weg von hier zu verschwinden.
„Uns will jemand hier festhalten. Kannst du mir nicht helfen?“, schaue ich sie entsetzt und flehend zugleich an, aber sie schüttelt nur mit dem Kopf.
„Nein, ich darf anscheinend nicht und ich könnte es auch nicht. Eins ist aber sicher, du bist nie in Gefahr. Dir wird nichts passieren, du sollst nur etwas in Ordnung bringen. Was es ist, kann ich dir jedoch nicht sagen, ich weiß es wirklich nicht“, kommt von Amara und sie zieht mich in ihre Arme.
„Ich werde dir helfen. Du bist nicht allein, egal wer oder was hier ist“, sagt Manuel im Hintergrund und seiner Hilfe kann ich mir absolut sicher sein. Wird sie jedoch reichen? Darf er mir überhaupt zur Seite stehen? Betrifft es allein mich und er wird auch blockiert. Dann ist er am Ende vielleicht ebenso außer Stande mir zu helfen.
„Du schaffst das. Du musst versuchen dich abzulenken“, murmelt Amara ganz nahe an meinem Ohr und reißt mich so aus den Gedanken, die wieder anfangen zu kreisen.
„Wie soll ich das denn machen?“
„Was ist eigentlich mir deiner neuen Schmuckkollektion?“, fällt Amara im nächsten Moment ein und bewegt sich immer weiter zur Tür. Sie will einfach nur noch weg, was ich jedoch gar nicht mehr so richtig mitbekomme. Dank ihr habe ich plötzlich etwas ganz andres im Sinn. Die Schmuckstücke, die ich schon lange entwerfen und kreieren wollte.
„Dazu bin ich noch gar nicht gekommen“, gebe ich nachdenklich, aber ehrlich zu.
„Na, dann hast du doch etwas zu tun. Mach dich an die Arbeit und lasse die düsteren Gedanken hinter dir“, lächelt Amara aufrichtig.
„Du hast Recht. Ich werde mich in die Arbeit stürzen. Bestellungen gibt es bestimmt auch schon wieder“, schmunzele ich zurück und öffne Amara die Tür, vor der wir schon längst stehen.
Ich winke Amara noch einmal zu und dann sind auf einem Mal die Bedenken wegen des Hauses und was so auf mich zukommen könnte wie weggeblasen und in meinem Kopf gehe ich schon alles durch, was die neue Kollektion betrifft. Das wird sehr viel Arbeit und eigentlich bin ich darüber froh, denn das wird mich wohl wirklich ablenken.
Amara hat mir noch einmal gesagt, dass ich jeder Zeit anrufen kann, auch wenn kaum Möglichkeiten bestehen, mir weiterzuhelfen. Aber ein beruhigendes Telefonat vermag schon Wunder zu bewirken.
Ich schließe die Tür und Manuels Arme schlingen sich um meinen Körper. Ich lasse es zu und falle regelrecht an seine Brust.
„Wir schaffen das schon, egal wer oder was da ist“, flüstert er mir so leise ins Ohr, dass es niemand anders hören kann.
„Hm“, kommt nur von mir, zu mehr bin ich nicht fähig.
Der Gedanke, dass sich irgendetwas hier im Haus befindet, was unser Leben beeinflusst, jagt mir einen Schauer über den Rücken. Ich werde es herausfinden und versuchen, mich dem entgegenzustellen, aber es ist schon angsteinflößend, wenn man nicht weiß, was alles auf einen zukommen könnte.
Kapitel 6
Manuel ist heute sehr früh in die Schule und seit dem sitze ich in meinem Arbeitszimmer. Als Erstes habe ich die Bestellungen abgearbeitet und bemerkt, dass ich fast keine Vorräte mehr habe, um diese zu bedienen. Ich sollte mich nun voll in die Arbeit stürzen, wobei die neue Kollektion jetzt noch etwas warten muss. So vergehen die Stunden wie im Fluge. Erst als sich mein Magen bemerkbar macht, schaue ich auf die Uhr. Es ist schon nach zwölf und so räume ich den Arbeitstisch auf, denn ich habe genug geschafft und kann mich nun doch, nachdem ich etwas gegessen habe, um die Erweiterung meiner Kollektion kümmern. Ich lege die neuen Steine schon einmal auf eine weiße Unterlage und bei dem Anblick vergesse ich darüber den Hunger. Ich bleibe sitzen und meine Hände arbeiten von ganz allein weiter.
Zwei Stunden später, nach absoluter konzentrierter Arbeit, merke ich, wie Unruhe in mir aufsteigt. Ich fühle mich beobachtet und es kommt mir vor, als würde die Luft zum Atmen im Raum immer geringer. Langsam drehe ich mich um und meine Augen suchen das Zimmer ab. Im ersten Moment kann ich nichts entdecken, bis ich im Augenwinkel den Schaukelstuhl schwingen sehe. Mein Blick bleibt an ihm hängen und augenblicklich steht er wieder still. Habe ich mir das eingebildet? Nein! Ich habe es genau gesehen. Ich stehe auf und öffne das Fenster, um frischen Sauerstoff hereinzulassen. Nach ein paar tiefen Zügen will ich hinunter in die Küche gehen. Der Magen schmerzt schon fast, weil ich den Hunger übergangen habe.
Aber so weit kommt es nicht. Meine Beine führen mich automatisch auf den Schaukelstuhl zu. Kurz davor bleiben sie stehen und was ich da sehe, überschreitet mein Verständnis. Über dem Stuhl hängt wie immer ein Schaffell und darauf liegt ein Buch. Nicht irgendein Buch, nein, eine Bibel. Wie kommt die denn hier her? Ich habe noch nie eine besessen. Schnell drehe ich mich im Kreis und überzeuge mich davon, dass ich wirklich allein bin. Allein? Und wer hat dann das Buch auf den Stuhl gelegt? Ich husche zur Tür und schaue die Treppe hinunter.
„Manuel? Bist du da?“, rufe ich, bekomme jedoch keine Antwort.
Ich will hinuntergehen, aber irgendetwas zwingt mich zurück in mein Arbeitszimmer. Wie von jemand Fremden geführt, nehme ich das Buch in die Hand und mir fallen sogleich zwei Klebezettel auf, die an der Seite herausschauen und anscheinend bestimmte Abschnitte des Buches markieren sollen.
Etwas unwillig nehme ich die Bibel und gehe nun endlich nach unten. Sie landet erst einmal auf der Arbeitsplatte in der Küche. Sie nicht aus dem Auge lassend, suche ich im Kühlschrank nach etwas, was meinen Hunger stillen könnte. Ich werde fündig und schiebe eine kleine Lasagne in die Backröhre. Ich stelle die Uhr ein und so lange habe ich jetzt auch Zeit, um in die Bibel hineinzuschauen. Das erste Mal in meinem Leben habe ich solch ein Buch in den Händen.
Ich schlage eine der markierten Seiten auf und sofort fällt mir eine angestrichene Stelle auf. Es ist nicht viel, aber ich muss trotzdem mein Gehirn erst einmal auf die Schreibweise einstellen. Die Bibel ist in alter deutscher Schrift geschrieben, die ich einst von meiner Oma ein wenig gelernt habe. So fällt es mir nicht allzu schwer, die Worte zu entziffern.
Hebräer 1, 14:
Sind sie nicht allesamt dienstbare Geister, ausgesandt zum Dienst um derer willen, die das Heil ererben sollen?
Ich schließe die Augen und lasse die Worte auf mich wirken. Sie sind komisch geschrieben und so vermag ich nicht gleich zu erkennen, was damit gemeint ist. Mir ist bewusst, dass Bibel lesen schwer sein kann, aber so? Ich überlege nicht weiter, sondern schlage die zweite markierte Seite auf. Auch da sind wieder ein paar Zeilen angestrichen.
Hebräer 13, 2:
Gastfrei zu sein, vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt.
Um Gottes willen, was soll das denn heißen?
Mir fällt das Buch fast aus den Händen und meine Augen durchsuchen, soweit es möglich ist, die Zimmer. Ich kann wieder nichts sehen, aber spüre, dass ich wirklich nicht allein bin.
Was ist hier nur los? Wer könnte denn durch unser Haus schwirren? Will mir jemand nur Angst machen? Nein, das glaube ich nicht. Dann wären bestimmt schon andere Sachen passiert, die uns richtig in Panik versetzt hätten.
Was soll ich jetzt tun? Nach demjenigen rufen? Aber nach wem denn eigentlich? Einem Geist? Oder einem Engel? Gibt es da einen Unterschied? Wer könnte mir das denn erklären? Amara? Sie hat gesagt, dass sie von jemanden blockiert wird und uns somit nicht weiterhelfen kann. Ist das dieser Engel? Sind diese Wesen dazu überhaupt im Stande? Und was vermögen sie dann noch alles anzurichten? Verdammt, wer ist in der Lage mir zu helfen?
Bibel? Kirche? Natürlich, der Pfarrer!
Ich lege das Buch auf den Couchtisch in das Wohnzimmer, schalte den Backofen aus, obwohl die Lasagne noch gar nicht fertig ist, laufe zurück und greife doch wieder nach der Bibel. Mit ihr verlasse ich hastig das Haus in Richtung Kirche. Meinen knurrenden Magen ignoriere ich nun zum zweiten Mal komplett. Ich laufe, so schnell meine Beine es ermöglichen, die Bibel an die Brust gedrückt und den Kopf gesenkt, damit ich ja niemanden in die Augen schauen muss. Wenn mir jemand entgegenkommt, wechsele ich die Straßenseite aus Angst vor irgendwelchen Berührungen und dann vielleicht auch wieder einer Vision.
Kurze Zeit später stehe ich nun vor der großen Tür der Kirche. Ich brauche etwas Kraft, um sie aufdrücken zu können und husche hindurch, wobei sie sich schwerfällig hinter mir wieder schließt. Nach ein paar Minuten, in denen ich mich an das düstere Licht und die Kühle gewöhnt habe, laufen meine Beine langsam und ehrfürchtig auf den Altar zu. Ich bin nicht gläubig und bis heute nur sehr selten in einer Kirche gewesen. Beeindruckt von der Größe dieses Gotteshauses, bemerke ich nicht einmal, dass ich anscheinend nicht allein hier bin.
Ich verbeuge mich vor dem Altar, als hätte ich das schon öfters gemacht und wäre das Normalste der Welt. Dann trete ich ein paar Schritte zurück, will mich auf die erste Bank setzen, um das alles erst einmal auf mich wirken zu lassen. Dabei fällt mein Blick auf eine ältere Dame, die einige Reihen weiter hinten sitzt und mich mit entsetzt aufgerissenen Augen anstarrt. Ich versuche noch sie anzulächeln, aber in diesen Moment steht sie auf und wird leichenblass. Sie hält sich mit ihren alten, vor Angst bebenden Händen an der Lehne der Vorderbank fest und schreit, ohne den Blick von mir zu wenden.
„Sie soll gehen! Sie ist wieder da und wird uns alle ins Verderben stürzen“, kreischt sie los.
Ihre Worte ersticken fast in ihrer Kehle und ich bekomme Angst, dass sie am Ende umfällt.
Plötzlich packt mich der Pfarrer an den Schultern und schiebt mich zur Seite. Ich erschrecke, da ich ihn gar nicht habe kommen sehen. Er bittet mich, platz zu nehmen und die Dame möglichst nicht mehr anzusehen. Dem entspreche ich gern, denn der Frau ist das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben und ich weiß nicht warum. Anscheinend hat es mit mir zu tun, aber was sie gesagt hat, entzieht sich meinem Verständnis. Während der Pfarrer die Frau beruhigt und aus der Kirche hinausführt, schallen ihre Worte immer noch in meinem Kopf. Sie ist wieder da! Was denkt denn die Frau, wer ich bin? Ich bin doch das erste Mal hier und es ist absolut nicht möglich, dass sie mich kennt.
Keine zwei Minuten später steht der Pfarrer wieder neben mir und sieht mich ernst an. Es ist ein erstaunlich junger Mann und ich könnte mir vorstellen, dass er noch nicht lange hier in der Kirche tätig ist. Ich sitze einfach da, den Schrecken des Gehörten noch in den Knochen und halte die Bibel verkrampft an meine Brust gepresst. Dazu schaue ich etwas ängstlich zu ihm auf.
„Wer sind Sie denn?“, fragt er jetzt ruhig und nimmt neben mir platz. Seine Gesichtszüge werden weicher, wohl weil er merkt, dass mich ebenso die Angst gepackt hat.
„Ich wohne seit einer Woche hier im Ort“, presse ich durch meine zusammengekniffenen Lippen und ich bin mir nicht sicher, ob sie zu verstehen sind. Zeitgleich streift mein Blick seine Augen, die auf einmal Wärme versprühen und mir anscheinend zeigen wollen, dass ich vor ihm keine Angst haben muss.
„Sind Sie die neuen Besitzer des letzten Hauses in der Siedlung?“, lächelt er mich an und ich werde etwas lockerer.
„Ja, das haben wir vor einem halben Jahr gekauft“, antworte ich und lasse gleichzeitig die Bibel in den Schoß sinken. Sie ist so schwer und meine Hände tun mir schon weh, weil ich sie so verkrampft festgehalten habe.
„Warum laufen Sie denn mit einer Bibel durch die Gegend? Wir haben hier jede Menge davon und man muss wirklich nicht die eigene mitbringen“, schmunzelt er mich an.
„Ich habe erhofft hier ein paar Antworten zu bekommen“, murmele ich und schaue verlegen zu Boden.
„Dann müssen Sie die mir stellen. Wenn Sie nicht gerade eine Gabe haben mit unserem Herrn persönlich reden zu können, werden Sie sonst keine Antworten bekommen“, sagt er sicher und ich zucke bei seinen Worten zusammen. Wenn er wüsste! Natürlich habe ich eine Gabe, aber die nützt mir hier vor Gott überhaupt nichts.
„Alles in Ordnung mit Ihnen? Oder habe ich etwas falsches gesagt?“, weicht er verlegen zurück, beobachtet mich jedoch sehr genau.
„Na ja, wegen der Gabe“, beginne ich zu stottern und überlege, ob ich ihm eine Erklärung geben sollte. Aber wen denn sonst. Vielleicht versteht er mich und außerdem hat er ja auch so was wie Schweigepflicht. Also ist er verpflichtet, dafür zu sorgen, dass das von mir Gesagte, hier in der Kirche und bei ihm bleibt.
„Das habe ich nicht so gemeint“, spricht er schnell und macht Anstalten aufzustehen.
„Ich habe eine“, platze ich heraus und seine Augen fixieren mich nun erst recht. „Ich habe seit ich zehn Jahre alt war Visionen“, rede ich unbeirrt weiter.
„Das ist ja interessant. Wir sollten nach hinten gehen und in Ruhe darüber reden. Das ist doch nicht alles, was Sie auf den Herzen haben?“, fragt er und ich nicke ihm schüchtern zu.
Er steht auf und bittet mich, mit einer Geste ihm zu folgen. Mein Blick huscht noch einmal über die Bankreihen, aber wir sind allein. Warum können wir dann nicht gleich hier reden? Oder hat die Kirche überall Ohren? Ich frage jedoch nicht, sondern laufe ihm hinterher. Neben dem Altar ist eine Tür und die führt uns in ein kleines Hinterzimmer. Hier scheint der Pfarrer seinen Papierkram zu erledigen, denn auf dem Tisch liegen einige Ordner.
„Setzen Sie sich doch bitte“, fordert er mich auf und dem komm ich nach. Schnell räumt er die Akten zusammen und lässt sie in einem Schrank verschwinden.
Ich lege die Bibel auf den nun freien Tisch und atme tief durch. Wie soll ich ihm das alles erklären?
„Was haben Sie denn für Fragen? Oder darf ich erst einmal fragen, was für Visionen Sie haben?“, beginnt er, nachdem er sich ebenfalls gesetzt hat.
Ich schaue in sein Gesicht, was jetzt sehr freundlich aussieht. Seine Augen werden immer größer und zeigen mir so, dass er neugierig ist, auf das, was ich zu erzählen habe.
„Die Visionen haben mir immer Unfälle gezeigt, die am nächsten Tag passieren sollten. Ich konnte mit Hilfe einiger Vertrauten den Betroffenen helfen. Ja, ich habe manchen sogar vor dem Tod bewahrt“, sage ich gerade heraus. Mit jedem Wort werde ich lockerer und der Pfarrer aufmerksamer.
„Das ist doch eine gute Sache“, nickt er mir aufmunternd zu.
„Ja, schon, aber seit ich hier wohne, ist das anders“, flüstere ich.
„Haben Sie zu ihren Visionen Fragen? Da kann ich vielleicht gar nicht helfen“, sagt der Pfarrer ehrlich.
„Nein, eigentlich nicht. Ich wollte gern etwas über das Haus und deren Vorbesitzer wissen. Denn irgendetwas ist da nicht so, wie es sein sollte“, versuche ich vorsichtig zu erklären.
„Hat denn niemand mit Ihnen darüber gesprochen? Der Makler oder so?“, will er wissen und seine Miene verliert das Lächeln.
„Da gab es keinen bestimmten Makler“, murmele ich.
„Wie sind sie dann an das Haus gekommen?“, hakt er nach.
„Ich habe mehrmals von dem Haus geträumt und dann hatten wir eines Tages einen Flyer im Briefkasten. Genau von diesem Haus. Ich hatte mich so gefreut und meine Maklerin, die uns schon einige Häuser angeboten hatte, hat dann alles organisiert, obwohl sie es nicht hätte machen müssen“, sage ich und sehe, wie der Pfarrer den Kopf schüttelt.
„Sie haben Visionen. Sie träumen. Und nun sitzen Sie bei mir und wissen nichts von dem Haus“, sagt er nachdenklich, aber mehr zu sich selbst und langsam zweifele ich daran, dass er mir helfen kann.
„Können Sie mir etwas über das Haus erzählen?“, frage ich trotzdem direkt.
„Ich kann Ihnen nur das sagen, was hier alle wissen, oder hinter vorgehaltener Hand getuschelt wird“, kommt von ihm und er holt tief Luft, bevor er weiter redet. „Da hat eine junge Frau gelebt. Sie soll angeblich eine Schwarze Witwe gewesen sein. Erst hat sie ihre drei Männer, mit zwei von ihnen war sie verheiratet, umgebracht und am Ende sich selbst.“
Ich glaube nicht, was ich da höre und dann fallen mir die zwei markierten Stellen in der Bibel wieder ein. Ich greife nach dem Buch und schlage eine der Seiten auf. Ich schiebe es zu dem Pfarrer und er überfliegt das Geschriebene. Er selbst schlägt dann auch die weitere Seite auf und ich spüre, wie sein Atem schwer wird.
„Wer hat denn die Stellen markiert?“, fragt er mich und scheut offensichtlich den Blickkontakt.
„Ich weiß es nicht. Ich habe nie eine Bibel besessen und diese lag einfach so in meinem Haus“, sage ich leise und warte auf eine Reaktion von ihm.
„Einfach so?“, schürzt er seine Lippen und zwinkert mich gleichzeitig an.
„Ich war am arbeiten. Dann habe ich mich beobachtet gefühlt, obwohl ich allein zu Hause war. Als ich mich umdrehte, wippte mein Schaukelstuhl und dann lag die Bibel darauf. Klingt komisch, stimmt´s?“, antworte ich streng und das Lächeln ist wieder aus seinem Gesicht verschwunden.
„Seltsam, ja. Aber wissen Sie, ich habe mit Engeln noch nichts zu tun gehabt. Ich will nicht sagen, dass es keine gibt, aber ich bin persönlich noch keinem begegnet“, entgegnet er mir und zuckt mit den Schultern.
„Heißt das, Sie könnten sich vorstellen, dass wir nicht allein im Haus sind?“, frage ich und sehe ihn prüfend an.
„Man kann nie wissen. Vielleicht kommen Verstorbene als Engel oder Geist wieder, wenn sie noch etwas zu erledigen haben. Ich habe aber leider keine Erfahrungen damit“, bekomme ich als Antwort und er lehnt sich zurück. Seine Mimik zeigt mir, dass es ihm nicht egal ist und in seinem Kopf durchaus arbeitet.
„Die alte Dame vorhin. Sie hat doch etwas von > sie ist wieder da < gesagt. Hat es damit etwas zu tun? Ich meine mit dem Engel, oder der Frau, die sich damals umgebracht hat“, hake ich neugierig nach. Die ältere Dame hat in mir etwas gesehen und ich will wissen, was es ist.
„Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Aber ich habe eine Idee. Ich bin ja nun noch nicht lange hier der Pfarrer und so kann ich auch nicht alles über meine Schäfchen wissen. Jedoch hat mein Vater, der vor mir hier gearbeitet hat, alles akribisch aufgeschrieben. Ihm ist nichts entgangen und jeder hier im Ort hat ihm auch alles anvertraut. Mich hat es auch gewundert, wie die Frau auf Sie reagiert hat und ich denke, da muss es eine Verbindung geben. Das bekommen wir aber nur heraus, wenn ich die alten Unterlagen meines Vaters durchgehe“, erklärt mir der Pfarrer.
„Und wo sind diese Unterlagen?“
„Hier im Archiv. Ich würde vorschlagen, dass Sie morgen noch einmal wiederkommen und ich suche bis dahin alles heraus. Aber eine Frage habe ich trotzdem noch“, er holt tief Luft und schaut mich intensiv an. „Die Visionen. Sie haben gesagt, dass sie jetzt anders sind. Wie haben Sie das gemeint?“
„Na ja, ich konnte nicht mehr helfen, weil die Männer von denen ich die Visionen hatte, schon tot waren.“
„Was für Männer? Beziehen sich die Visionen auf unseren Ort?“, fragt der Pfarrer jetzt leicht nervös.
„Ja. Sie müssen in den letzten Wochen gestorben sein. Sie hatten alle drei Unfälle und bei allen war etwas komisch dabei.“
„Wer waren sie?“, schluckt der Pfarrer schwer.
„Der Fleischermeister, der Mann von Frau Büttner, sie ist auch die einzige, wo ich den Namen kenne und der kam bei einem Dachbrand um. Außerdem der Mann von meiner direkten Nachbarin, er war im Forst tätig. Er wurde von einem Baum erschlagen“, zähle ich auf und bei jeder weiteren Aufzählung, weicht mehr Farbe aus dem Gesicht des Pfarrers.
„Das passierte alles nachdem bekannt wurde, dass das Haus verkauft worden ist“, murmelt der Pfarrer vor sich hin.
„Was haben die Todesfälle mit unserem Haus zu tun?“, frage ich entsetzt, denn ich finde absolut keinen Zusammenhang.
„Ich wollte nur sagen, dass einige Frauen Bedenken gezeigt haben und andere froh waren, dass da endlich wieder Leben einzieht.“
„Aber vorhin die Frau hat auch gesagt, dass ich sie ins Verderben stürzen würde.“
„Ich glaube, wir sollten dem allen auf den Grund gehen. Aber dazu müssen wir wissen, was damals passiert ist. Erst dann können wir Verbindungen herstellen“, sagt der Pfarrer, schließt meine Bibel und schiebt sie zu mir herüber. Dann steht er auf und zeigt damit, dass die Unterhaltung hiermit anscheinend beendet ist.
Ich greife nach meiner Bibel, wieso eigentlich meine, die wurde mir ja aufgezwungen. Aber ich nehme sie trotzdem wieder mit und folge dem Pfarrer still zurück in die Kirche. Vor dem Altar bleibt er stehen und dreht sich zu mir um.
„Passen Sie auf sich auf. Und haben Sie keine Angst, wenn Sie etwas Ungewöhnliches in ihrem Haus bemerken“, sagt der Pfarrer und hat ein erzwungenes Lächeln im Gesicht.
„Leicht gesagt“, versuche ich locker zu bleiben. „Dann bis morgen“, lege ich noch nach und in dem Moment löscht ein spürbarer Windhauch alle Kerzen auf dem Altar.
„Zieht es hier?“, rutscht mir heraus und der Blick vom Pfarrer geht ebenfalls zum Altar. Er zuckt merklich zusammen und mir ist augenblicklich klar, dass das wahrscheinlich nicht sein kann. Sind wir hier auch nicht allein? Ist da wirklich ein Engel? Und verfolgt er mich sogar? Was will er denn von mir?
Erklärungen dafür könnten wir vielleicht morgen aus den Unterlagen erfahren. Ich hoffe nur, dass es mich wenigstens etwas weiter bringt.
„Ich werde dann mal gehen“, sage ich und wünsche mir insgeheim, dass der Engel, wenn es einer sein sollte, gleich hier in der Kirche bleibt. Hier wäre ein besserer Platz für ihn. Am liebsten würde ich es herausschreien, aber bin mir immer noch nicht sicher, dass es so etwas überhaupt gibt.
„Ja, bis morgen“, knirscht der Pfarrer durch seine Zähne und ich würde jetzt gern wissen, was er von all dem hält. Er hat doch einen Draht nach oben und müsste am besten damit umgehen können. Aber wenn ich ihn mir so anschaue, hat er am Ende mehr Angst als ich. Vielleicht auch, weil er so jung ist und ihm die Erfahrungen fehlen.






