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Und ich soll mich von meinen Tieren fernhalten, weil mein Kind dann wie ein Papagei aussehen würde, wenn ich meinen Papagei in seinem Käfig betrachte. Tante Sophie ist so blöd!
30. Juli 1854
Ich bin in Ischl, wo die Sophie uns die Villa Marstallier nach unserer Verlobung als Hochzeitsgeschenk gekauft hat, die zur Kaiservilla umgebaut wird. Mama, Karl Theodor und Mathilde sind da. Mein Gott, war das ein Spaß mit dem Telegramm, denn in dem war zu lesen: Kaiserin Elisabeth, Ischl, eintreffe mit Spatz und Gackel, Mimi.
So nahm jeder an, die reisende Mimi, die am Bahnhof abzuholen war, wäre eine exzentrische Reisende mit zwei Vogelkäfigen, dabei ist Mimi meine Mama, Gackel mein Bruder Karl Theodor und der Spatz meine jüngste Schwester Mathilde, die so klein und so zierlich wie ein Spatz ist.
Meiner Mama war die Angelegenheit vor Sophie peinlich, aber ich musste so lachen!
22. August 1854
Franz Joseph hat nie Zeit für mich, immerfort beschäftigt er sich mit diesem blöden Krimkrieg, der schon seit letztem Jahr dauert. Mir geht es nach immer noch schlecht, ich muss oft brechen und weinen. Tante Sophie hält mich für unreif und behauptet, ich würde Theater machen, ich sei selber noch ein Kind. Ich sollte mich zusammenreißen. Immerfort würde ich jammern, statt ihren Unterweisungen, die sie nur gut meint, zu folgen. Mein Unwohlsein reicht nicht aus, Termine abzusagen und ich muss weiter spazieren gehen, damit jeder sehen kann, dass ich den Thronfolger oder zumindest eine kleine Erzherzogin, die man später gut verheiraten kann, erwarte. Als ob sie mir das nicht ohnehin schon klar gemacht haben.
Sie wird mir ohnehin das Baby wegnehmen. Lässt den Wickelraum des kleinen Prinzen schon in ihren Gemächern herrichten. Das Kind ist noch nicht mal geboren und schon will sie es mir wegnehmen, bis ich bewiesen habe, dass ich mich selber um das Kind kommen kann. Bis dahin wird sie das Kind großziehen. Ich werde erstmal nicht mehr schreiben. Auch Mama rät mir, mich nicht so in meinem Selbstmitleid zu vergraben. Das würde mir nicht bekommen. Und ich soll laut ihr nicht so viel lesen, weil dies meine Nerven strapaziert. Auch mein Papa liest viel, aber der darf das, weil er ein Mann ist. Männer dürfen lesen, Männer dürfen reisen.
Ach wäre ich doch nur als Mann geboren!
Ich will mich nun in der Handarbeit versuchen.
Ich lese immer noch.
Ich habe nämlich Heinrich Heine für mich entdeckt. Einen großen Dichter, der am Hofe nicht gut gelitten ist, da er angeblich ein Aufrührer und ein Atheist sei. Die Menschen an diesem Hof sind im Gegensatz zu meinem Vater erschreckend wenig belesen und üben sich lieber im Klatsch, vor allem die Esterházy. Und mich halten sie für geistlos, weil ich mit fremden Menschen keine Konversation betreiben kann. Aber die sprechen mit mir auch nicht über Bücher und ich weiß nicht, was ich mit denen sonst reden soll. Für den Hof gilt nur die richtige Abstammung und nicht wie klug oder gebildet jemand ist. Auch ein Shakespeare hätte es in ihrer Mitte schwer.
Selbst die Politik bespricht Franz hauptsächlich mit seiner Mutter. Was ich denke, interessiert niemanden.
15. Oktober 1854
Hofburg, prunkvoll eingerichtete Räume, aber schlecht durchlüftet, überall zieht es und es ist bitterkalt. Man kommt sich wie in einem Museum vor und nicht wie in einem behaglichen Heim.
Wenigstens konnte ich erreichen, dass mir ein Badekabinett eingerichtet wird. Dann ist endlich Schluss damit, dass mein Kammermädchen das Badewasser über endlose Gänge schleppen muss und es kalt und in einer nicht ausreichenden Menge vorhanden ist, wenn ich bade. Sophie war natürlich dagegen. Mitglieder des Kaiserhauses wären nicht schmutzig, es würde genügen, sich mehrfach am Tage umzuziehen und die armen Kammermädchen und die Lakaien könnten ruhig schleppen, es sei ja deren Arbeit. Außerdem trinke ich Bier statt Wein zum Essen und gehe alleine spazieren.
15. November 1854
Tee mit Sophie.
„Russland ist jetzt unser Feind“, bringe ich ihre etwas langatmigen Erklärungen auf einen Nenner.
„So kann man es sagen. Wir müssen seinen Einfluss zurückdrängen, damit es sich nicht auf Kosten des osmanischen Reiches noch weiter ausbreitet und noch mächtiger wird. Unser Heer besetzt nun auf Bitten des Sultans die osmanischen Reiche in Moldawien und der Walachei. Verstehst du jetzt, warum sich Franz so sorgt und so im Geschirr ist? Es ist kein böser Wille, dass er wenig Zeit für dich hat, wirklich nicht, Elise.“
02. März 1855
Bald habe ich es überstanden. Hoffentlich ist es ein gesunder Sohn, die Mühe hat sich dann wenigstens gelohnt und alle sind zufrieden mit mir.
Soeben ist ein Telegramm eingetroffen. Zar Nikolaus I. von Russland ist gestorben. Er hatte Franz verflucht, weil er ihm 1848 gegen die Ungarn geholfen hatte und Franz ihm nicht im Krimkrieg. Trotzdem müssen wir vier Wochen lang Staatstrauer tragen.
Zudem hat die Erzherzogin eine Baronin Welden zu meiner Kinderfrau bestimmt. Eine Frau, die selber keine Kinder hat und deren verstorbener Mann beim Aufstand 1848/49 in Ungarn sehr brutal zu Werke gegangen ist. Als ob sie für seine „Verdienste“ belohnt werden muss!
05. März 1855
Meine Kleine ist da!
Gottseidank war Franz Joseph nicht enttäuscht, dass es nur ein Mädchen ist. Ich war nämlich furchtbar enttäuscht, heißt es doch, noch einmal schwanger zu werden, noch einmal diese Tortour, solange bis ich einen Sohn bekomme. Qualvolle Aussichten.
Die Kleine wird nach Tante Sophie benannt, was mich traurig stimmt, denn ich mag den Namen nicht, genauso wenig wie ich Tante Sophie mag. Obwohl sie so sanft und liebevoll an meinem Bett saß, dass ich sie gar nicht in Einklang mit meiner strengen Schwiegermutter brachte und sie fassungslos anschaute. Fast war ich angefasst und sie war gerührt, dass die Kleine nach ihr benannt wird. Allerdings hatte sie mir noch eingeschärft, dass es nicht nur mein Kind, sondern das der Krone sei, da ich kurz vor der Niederkunft ungehorsam war und an die frische, kühle Märzenluft wollte.
Meine Mama war leider nicht da, da Sophie ihr, die sie immer noch Louise und nicht Ludovika nennt, die Reise nicht zumuten wollte.
08. März 1855
Tante Sophie hat die kleine Sophie zu sich geholt. Ich sei selber noch ein Kind und unreif, so wie ich mich in der Schwangerschaft betragen habe und könnte nicht auf ein weiteres Kind aufpassen.
Mit meinem Betragen in der Schwangerschaft mag sie recht haben, aber ich habe ja auch keine Erfahrung damit, schwanger zu sein. Der Rest ist aber Blödsinn. Daheim habe ich mich mit sehr viel Freude um meine jüngeren Geschwister gekümmert. Was haben sie mich geliebt und was haben wir alle geweint, als ich fortging nach Wien. Meine Eltern hatten nie Bedenken, wenn ich der Amme zur Hand ging. Und hier muss ich um Erlaub bitten, wenn ich mein Kleines sehen will.
20. März 1855
Ich möchte heulen oder schreien vor Wut! Vorhin wollte ich die kleine Sophie sehen. Der Weg zu ihrem Schlafzimmer ist weit und führt über eiskalte Treppen und endlose Gänge. Als ich dann endlich da war, haben sie mich behandelt wie einen ungebetenen Gast. Ich durfte meine Tochter nur streicheln, weil Tante Sophie dabei war. Wie sehr ich diesen Namen hasse. Warum muss man diesem unschuldigen Wesen nur die Aura einer bösen alten Fee überstreifen? Wie soll ich mein Kind lieben, wenn ich es nicht einmal richtig kennenlernen darf. Die Amme gibt ihr Milch und die Aja, die Kinderfrau, erzieht das Kind. Und ich, die Mama? Franz steht wie immer hinter seiner Mutter. Seit Menschengedenken wird dies am Hofe so gehandhabt, ich darf nicht daran rütteln, da es nicht meine Aufgabe ist, mein Kind zu pflegen und erziehen. Ich bin wahrscheinlich nur die Gebärmaschine. Mehr steht mir nicht zu.
Soll schön sein, Kinder bekommen und ansonsten den Mund halten!
Eine leere Hülle, ein Köper ohne Geist und Seele.
Mama meint, dass ich übertreibe, auch bei uns gab es Ammen fürs Stillen und Kinderfrauen fürs Erziehen der Kinder. Das ist halt so.
20. Mai 1855
Ich habe wieder angefangen zu reiten. Ich habe die Macht meiner Schönheit entdeckt und werde diese nutzen. Ich werde Gymnastik treiben, um schlank zu bleiben. Eine schlanke Taille ist mir das wichtigste.
Karoline Lemberg war natürlich alles andere als begeistert, als ich den guten Forrester satteln ließ und einfach davonritt, ohne mich nach ihr umzudrehen. Es war herrlich, die pure Leichtigkeit!
Dem Kaiser und der Erzherzogin gefällt das natürlich nicht, da ich mit der Reiterei noch warten soll und mich überanstrengen würde. Aber was soll ich sonst tun? So wie eine Mama an der Wiege meines Kindes stehen? Es in meinen Armen wiegen? Ihm vorsingen? Darf ich alles nicht!
Außerdem fahre ich jeden Tag im offenen Wagen über den Graben, was Tante Sophie natürlich unanständig und anstößig findet. Schon seltsam, vor wenigen Monaten hat sie mich gezwungen, mit meinem dicken Bauch spazieren zu gehen, damit alle Welt sieht, dass ich schwanger bin. Ich habe mich aufgedunsen und hässlich gefühlt. Jetzt dagegen bin ich schön.
Im Sommer werde ich viele Bälle geben und mich ordentlich amüsieren. Und ich werde in mein geliebtes Possi reisen, so sehr freut es mich, alle wiederzusehen.
10. November 1855
Ein Sommer voller Bälle, voller Rastlosigkeit geht in einen tristen Herbst über. Das Gefängnis schließt seine Toren und ich komme mir wie eine Gefangene im eigenen Heim vor. Die kleine Sophie erkennt mich fast nicht mehr, so sehr erstickt sie unter der übertriebenen Fürsorge der Erzherzogin.
15. Dezember 1855
Gestern wäre ich fast gestorben, leider nur fast.
Ich bin mit der Gräfin Bellegarde nach Schönbrunn gefahren, als ein Pferd gescheut hat. Der Kutscher wurde vom Bock geschleudert und das herrenlose Gespann ist davon gestürmt. Die Bellegarde ist in Panik geraten und wollte sich aus dem Wagen stürzen. Ich habe sie zurückgehalten, ich war ganz ruhig, vielleicht, weil ich ähnliches daheim in Possenhofen auch schon erlebt habe.
Ein Fuhrmann hat dann seinen Wagen quer gestellt und den unseren zum Stehen gebracht. Die Bellegarde war vielleicht blass. Wir sind dann mit dem Fiaker zur Hofburg zurückgebracht worden und ich habe jetzt nur einen Wunsch: Tot zu sein.
Mir geht es schauerdhaft schlecht, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass ich wieder schwanger bin.
24. Dezember 1855
Ich bin jetzt 18 Jahre alt. Das nächste Jahr muss einfach besser werden. Ich brauch dazu ganz dringend einen Sohn, den Thronfolger.
27. Februar 1856
Das neue Jahr ist nicht besser als das alte. Die Friedensverhandlungen in Sachen Krimkrieg haben begonnen. In Paris beraten die Kriegsgegner und Franz Joseph ist natürlich sehr angespannt. Er hat Angst vor Russland, das nicht vergessen kann, dass er es im Stich gelassen hat. Außerdem hofft Franz, mit der Hilfe Napoleons III., seine italienischen Besitztümer zu retten. Ich glaube nicht, dass das gut geht, ich traue Napoleon III. nämlich irgendwie nicht.
29. März 1856
Ich hatte recht, Napoleon denkt gar nicht daran, Franz Joseph zu helfen und mein Franzl ist ganz niedergeschlagen. Moldawien und die Walachei bleiben unter osmanischer Herrschaft. Der Zar ließ wutentbrannt Franzens Portrait in seinem Arbeitszimmer entfernen, weil er so wütend war, dass der Kaiser ihm nicht zu Hilfe gekommen war wie er ihm damals bei den Ungarn. Kann ich irgendwie sogar verstehen. Napoleon, dem Kaiser Frankreichs, war unsere Unterstützung zu wenig. Er stellt nun unsere Herrschaft in Norditalien in Frage. Misserfolg auf ganzer Linie, würde ich sagen. Das alles weiß ich von Grünne.
Ich muss zusehen, dass ich diesmal einen Sohn bekomme.
15. Mai 1856
Franz ist so in Gedanken, dass er gar keine Zeit für mich hat. Ich bin wohl wirklich nur dazu da, einen Thronfolger zu bekommen. Dabei will ich so viel mehr im Leben, ich will, dass er mir erzählt, was ihn belastet, mit mir über seine Politik diskutiert, mich um Rat fragt, hören will, was ich denke. Ich muss diesmal wirklich einen Sohn bekommen.
15. Juli 1856
Vorgestern, am 12. Juli, habe ich mein zweites Kind zur Welt gebracht.
Wieder nur ein Mädchen!
Ich bin so furchtbar enttäuscht. Mein Franzl war richtig lieb. Er hat versucht, mich aufzuheitern und gemeint, es sei nur deswegen kein Sohn geworden, weil wir den Rat des Rabbiners Alexandersohn aus Pest, während der Entbindung ein hebräisches Gebet an die Tür zu heften, nicht befolgt haben. Da musste sogar ich lachen und mir Tante Sophies Gesicht vorstellen. Der Rat eines Ungarn in Schloss Laxenburg.
Wenigstens ist der alte Drachen diesmal nicht die Patin des Kindes, sondern meine Mama, die aber wieder nicht da ist. Meine Tochter heißt Gisela nach einer bayerischen Prinzessin aus dem 10. Jahrhundert, die ihren ungarischen Ehemann König Stephan I. so erfolgreich zum Christentum bekehrt hat, dass dieser sogar heiliggesprochen wurde. Dass mir der Name nicht besonders gefällt, interessiert niemanden. Mich, die Mutter, haben sie gar nicht einmal gefragt. 4
20. Juli 1856
Gisela hat natürlich ihr Zimmer neben der kleinen Sophie bekommen und ist damit natürlich auch in der Obhut meiner „lieben“ Schwiegermutter. Meine seelische Verfassung und meine „Ausbildung“ zur Kaiserin reichen anscheinend immer noch nicht aus, um eine Erzherzogin zu erziehen. Ich bin also wieder die Bittstellerin, die eine Audienz braucht, um ihre eigenen Kinder zu sehen. Dr. Seeburger ist natürlich Tante Sophie treu ergeben. Ich verstehe ja, dass der Nachwuchs des Kaisers nicht aufwachsen darf wie Bauernkinder und wahrscheinlich nicht einmal wie wir daheim in Possenhofen. Natürlich verpflichtet die Krone und die Kinder brauchen eine gute und strenge Erziehung, aber, wenn sie so klein sind, brauchen sie vor allem ihre Mama und die bin ich.
Sophie sagt unermüdlich, dass sie es nur gut mit mir meint und ich erst mal wieder auf die Füße kommen muss was die Entbindung angeht. Ich glaube ihr nicht. Für die bin ich doch nur ein kleines Dummchen, das als Kaiserin nicht taugt.
Mag sie nur immer wieder sagen. „Elise, trink eine kräftige Hühnerbrühe, damit du Kraft sammeln kannst nach der Entbindung, das hat mir sehr wohl getan. Ich meine es doch nur gut mit dir, Liebes. Du kannst dich schonen und wieder zu Kräften kommst, während ich in der Kinderkammer nach dem Rechten sehe. Ich habe dies in deiner Situation als wohltuend empfunden, da ich mich nach meiner Niederkunft ganz auf mich besinnen konnte.“
Ich glaube ihr nicht, ich hasse sie.
15. August 1856
Franz Joseph muss sich endlich entscheiden und Stellung beziehen. Das kann doch nicht so schwer sein, dieses ewige neutrale Hin und Her hat ihm schon in der Politik sehr geschadet, jetzt droht es, seine Familie zu zerstören.
30. August 1856
Ich habe gewonnen!
Mein Franzl hat sich für mich entschieden und meine Partei ergriffen. Schließlich will ja auch er mehr Zeit alleine mit den Kindern verbringen und dass sie nicht so vor fremden Menschen produziert werden.
Die Kinder werden ab jetzt in der Radetzky – Wohnung untergebracht. Die Räume sind groß, hell und ganz in meiner Nähe. Sophie hat die Kinder nämlich nach Seeburgers Anweisung verzärtelt. Kein Tageslicht, keine frische Luft, keine Temperaturwechsel. Das sind doch Ansichten von vorgestern. Ich habe Franz Joseph natürlich ein wenig erpresst. In drei Tagen fahren wir nach Kärnten und in die Steiermark. Ich habe ihm gesagt, dass er auf mich verzichten muss, wenn er sich gegen mich entscheidet.
Nun ja, er wird nun nicht auf meine Gesellschaft verzichten müssen. Jetzt werde ich meine neue Heimat so richtig kennenlernen, nicht nur Wien und Bad Ischl.
Kapitel 4 – Auf Reisen
03. September 1856
„Ist es nicht wunderschön hier?“ Franz hält meine Hand in der seinen und lächelt mich an. Ich lächle zurück.
„Ja, es ist wunderschön, diese reine Luft, so reine Luft haben wir nicht mal daheim in Bayern. Mein Papa hat immer gesagt: Öffne deine Lungen und fülle sie, bis sie platzen. Spüre das Leben, mein Kind. Atme es ein und genieß es. Lass es auf keinen Fall wieder los. Ich verstehe jetzt, was er damit gemeint hat, lass uns wandern gehen, Franzl“, sage ich und atme tief durch. Jetzt, in diesem Moment, ist die Hofburg, meine Kerkerburg, die mir die Luft zum Atmen nimmt, weit weg, ganz weit weg.
„Ja, das machen wir, die Berge hier in Tirol sind formidabel, fast viertausend Meter sind sie hoch.“
„Sie sehen wunderschön aus, ich habe ganz vergessen, wie schön die Berge sind. Meine Kopfschmerzen sind wie weggeblasen und auch du, lieber Franzl, bist viel weniger angespannt. Du bist wieder der junge Mann, in den ich mich in Bad Ischl verliebt habe. Komm lass uns den Großglockner besteigen.“
Wir küssen uns zärtlich und es fühlt sich wunderbar an. Es ist mir völlig gleichgültig, was meine Hofdamen denken. Die sind nämlich der Meinung, dass eine Frau im Tal wartet, wenn der Mann den Großglockner, den höchsten Berg Österreichs, besteigt.
Pustekuchen. Jetzt müssen sie mit uns hochsteigen. Sonne, frische Luft und körperliche Ertüchtigung haben noch niemandem geschadet.
Wien ist weit für uns beide, die Hofburg ist weit weg, Tante Sophie ist weit weg.
Ach, ist das Leben herrlich! Ich wünschte es könne immer so bleiben und strahle Franz breit an.
04. September 1856
Gestern kam ein böser, rachsüchtiger Brief von Tante Sophie. Franz Joseph hat sich aber fest entschlossen, nicht zu antworten und die Spione und Höflinge zum Teufel zu schicken. Wir sind hier für uns und die Bergbauern lauschen nicht an den Türen.
Wir haben uns die stillen Tage in den Bergen auch redlich verdient. Der offizielle Besuch in der Steiermark und in Kärnten war ein voller Erfolg. Die Menschen sind sehr nett, haben uns mit offenen Armen empfangen und uns zugejubelt. Ich höre diesen einfachen Menschen so gerne zu, ich spüre, wenn sie traurig sind und ich möchte ihnen so gerne helfen.
Die Prügelstrafe ist abgeschafft worden und eine Reihe politischer Gefangener freigekommen. Sehr gut, aber es muss noch mehr passieren. Die Bauernkinder brauchen die gleiche Schulbildung wie die Kinder aus der Stadt. Auch ihnen muss der Zugang zu einer Universität offenstehen.
Die Menschen hier auf dem Land mögen und respektieren mich. Für sie bin ich nicht das dumme Mädchen, das nur Kinder bekommen und zu politischen Themen den Mund halten soll.
Ich glaube auch, dass ich einen gewissen Einfluss auf den Kaiser habe, ihn weicher und milder, gar liberaler mache.
„An was denkst du gerade“, reißt mich Franz aus meinen Gedanken.
„An nichts Besonderes“, schwindle ich „Ist es nicht herrlich, spazieren zu gehen. Wir haben eine gemeinsame Leidenschaft, die Natur, ist das nicht wunderbar?“
Franz nickt und zieht mich mit sich fort.
Keiner von uns beiden verschwendet einen Gedanken an Tante Sophie. Sophie, die erzürnt ist, dass die Mädchen nicht mehr in ihrer Nähe untergebracht sind. Sie hat gar gedroht, die Hofburg zu verlassen und ihre Stellung bei Hofe aufzugeben (herrlich!), wenn wir nicht augenblicklich nach Hause kommen und unser Leben weiter unverantwortlicherweise beim Bergwandern aufs Spiel setzen. Wir sollen die Kinder in ihre Obhut zurückbringen.
18. September 1856
Zurück in Wien!
Meine Töchter sind bei mir und Franz untergebracht. Der Kaiser hat noch einmal einen sehr direkten Brief an seine Mama geschrieben, dass ich eine selbstlose Gattin und Mama bin und sie mich mit Nachsicht behandeln soll. Zudem hat er ihr auch klar gemacht, dass es für uns ein Unding ist, lange Wege auf uns zu nehmen, um unsere eigenen Kinder zu sehen und dann dort wildfremde Menschen vorzufinden.
Ich werde im November nach Italien fahren. Ich freue mich ganz besonders auf das Meer. Ich war noch nie am Meer. Ich werde reisen und glücklich sein. Die kleine Sophie nehmen wir mit, gottseidank nicht die große. Die große ist natürlich dagegen, dass die Kleine mitfährt, weil sie zart ist, sich viel erbricht und oft kränkelt. Ich denke, der Winter im Süden tut ihr gut, das Klima soll dort sehr milde sein. Und auch mir wird es gut gehen. Sobald ich die Hofburg verlasse, habe ich keinen Husten und kein Kopfweh mehr.
21. November 1856
„Blau“, sagte Sophie und strahlte mich an. Das Meer ist blau, ein wunderschönes, leuchtendes Blau, viel schöner als das dunkle Wasser des Starnberger Sees. Die Adria gefällt mir viel besser, ich habe noch nie so etwas schöneres gesehen, nicht einmal in den Bergen. Ich würde gern hier ein Haus haben, weg aus Wien ziehen. So ganz utopisch ist das eigentlich gar nicht, da Italien zur Monarchie gehört.
Ich schaute von den dalmatinischen Bergen hinunter auf das Meer, ein herrlicher Anblick, die Hafenstadt Triest breitete sich zu unseren Füßen aus.
„Ja, blau“, sagte ich zu Sophie und strich über ihren Kopf, „das Meer ist blau, es ist wirklich ein Traum.“
Die Stimmung in Italien ist allerdings feindlich. Man hat versucht, uns schon gestern in Triest umzubringen. Wir wollten auf das Meer rausfahren, worauf ich mich sehr gefreut hatte. Kurz bevor das Schiff anlegte, war jedoch eine, zwischen zwei Schiffsmasten aufgehängte, Kaiserkrone aus Kristall auf das Deck gestürzt und in tausend Splitter zersplittert, sodass wir nicht fahren konnten. Ich dachte zuerst an einen Schuss und riss die kleine Sophie aus den Armen der Gräfin Esterházy, so sehr hatte ich mich erschrocken. Es wurde zwar gottseidank niemand verletzt, es war aber wahrscheinlich ein Attentat, uns hat man versucht zu beruhigen und die Ursache des Unglücks auf den Bora, den Wind, der aufgekommen war, zu schieben, was wir nicht recht glauben konnten. Während des Empfangs im Triester Rathaus brach auch noch ein Feuer aus.
Es war wie Grünne mir sagte: Ablehnung und Hass, unser Leben in Gefahr und wir müssen den Mut und die Entschlossenheit der Dynastie unter Beweis stellen.
Die Italiener können uns, ihre Besatzer, genauso wenig leiden wie die Ungarn und wollen nicht mehr zu Österreich gehören. Sie wollen ihre Freiheit haben, was ich verstehen kann.
24. November 1856
Wir sind heute in Venedig angekommen!
Eine bezaubernde Stadt mit herrlichen Bauwerken und weiten, lichtdurchfluteten Plätzen und das Meer fließt durch die Stadt hindurch. Überall ist das herrlich blaue Meer und Sophie ruft die ganze Zeit begeistert „blau“. Leider sind die Menschen sehr unfreundlich und ich sehe keine lächelnden Gesichter. Sie hassen uns und zeigen es uns deutlich. Wir sind auf einer Galeere in die Stadt eingefahren, es wäre schön gewesen, wenn nicht am weiten Markusplatz bei San Marco die schweigende Masse gewesen wäre. Kein einziges „Evviva“, nur vereinzelte, verzweifelte Hochrufe der österreichischen Soldaten, die „Hoch“ und „Hurra“ riefen. Der venezianische Adel war erst gar nicht erschienen, sondern blieb auf seinen Landsitzen. Eine zum Zerreißen gespannte Stimmung, es riecht förmlich nach Krieg.