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Und dennoch konnten Sophie und ich unsere Blicke nicht vom Meer losreißen. Das wunderbar blaue Meer. Ich hätte so gerne hier ein Haus. Es wäre so leicht, diese Stadt zu lieben, bis zum Wahnsinn zu lieben.
Nur von meinen Hofdamen begleitet werde ich die Stadt zu Fuß erkunden. Die Venezianer werden meine Schönheit und meinen Charme rühmen.
30. November 1856
Gestern haben wir einen Empfang im Dogenpalast gegeben. Die vornehmen Familien waren fast alle nicht da und haben uns gezeigt, wie sehr sie uns hassen. Ich spürte den Eiseshauch, viele Logen blieben leer, kaum jemand grüßte.
02. Dezember 1856
Der Kaiser ist zur Tat geschritten. Die Venezianer geben sich nicht mit einem freundlichen Lächeln und einem Festakt zufrieden. Franz hat heute das beschlagnahmte Vermögen der im Exil lebenden Italiener wieder frei gegeben, den gedemütigten italienischen Adel rehabilitiert und das Allerwichtigste, den politischen Gefangenen eine Generalamnestie erlassen.
03. Dezember 1856
Heute haben wir beim Spazierengehen einen armen, alten Mann getroffen, der Franz Joseph angesprochen und ihm erzählt hat, dass ihm seine Offizierspension gestrichen worden sei, weil er an der Revolution von 1848 teilgenommen hat. Franz wollte schon weitergehen und hat ihm nur kurz angebunden mitgeteilt, dass er seinen Bittbrief im Palais abgeben soll. Mir aber tat der alte Mann, der so verzweifelt aussah und schon einmal vergebens im Palais vorgesprochen hatte, leid und ich habe auf meinen Franzl eingeredet. „Gib ihm doch einen deiner Handschuhe, dann werden wir Befehl geben, dessen Besitzer hereinzulassen.“ Am Nachmittag ist der Mann dann in unseren Palais gekommen und Franzl hat ihm die Offizierspension zugesichert. Ich bin so stolz auf meinen Kaiser.
Und das beste: Sophie wird sich totärgern! Einem Revolutionär Geld zu geben, undenkbar in ihren Augen!
15. Dezember 1856
Ich fühle mich nicht gut. Ich spüre einen starken Drang, mich zu bewegen, aber das geht nicht, weil der kleinste Spaziergang einen Menschenauflauf auslösen würde.
Nachts stehe ich oft auf, ganz leise, um Franz und die kleine Sophie nicht zu wecken, stehe am Fenster und schaue raus, male mir aus, was die anderen Reisenden machen würden. Was ich auch tun wollen würde, wenn ich reisen könnte, wie ich wollte. Was ich mir anschauen wollen würde.
15. Januar 1857
Wir haben Weihnachten in Venedig verbracht, Sophie hat mit den Kerzen am Weihnachtsbaum um die Wette gestrahlt, der direkt aus dem botanischen Garten in Wien kam. Es war ein richtig schönes Fest und der Weckbecker und selbst die Esterházy waren guter Laune.
Heute sind wir in Mailand angekommen. Die Polizei hat die Landbevölkerung in die Stadt getrieben, damit sie uns mit Ovationen begrüßen. Dennoch haben die meisten geschwiegen wie ja auch schon in Venedig.
Am Abend waren wir in der Scala. Hier gab es einen Affront, da die Aristokraten Mailands ihre Dienstboten in feine Kleider gesteckt und diese statt ihrer selbst in die Oper geschickt haben. Darüber hinaus stimmten sämtliche Besucher beim Eintreten des Kaiserpaares Verdis Gefangenenchor an, um uns dazu zu bewegen, gekränkt die Oper zu verlassen. Irgendwie ist es mir gelungen, den Kaiser zu besänftigen, indem ich dem Chor applaudiert habe. Wir sind bis zum Ende der Vorstellung geblieben und ich habe mir mit großem Vergnügen Tante Sophies Gesicht ausgemalt.
Die Musik war aber auch zu herrlich!
20. Januar 1857
Franz Joseph hat General Radetzky, den Gouverneur und militärischen Oberbefehlshaber von Lombardo – Venetien, all seiner Ämter enthoben. Dies war auch an der Zeit, der Name Radetzky steht in ganz Oberitalien als Synonym für Unterdrückung. Er wird von Erzherzog Maximilian von Österreich, dem Bruder des Kaisers, abgelöst. Dies begrüße ich sehr, da Maxi sehr viel liberaler als der Kaiser ist. Maxi ist auch irre klug, er spricht acht Sprachen, liebt Literatur und schreibt melancholische Gedichte wie Heinrich Heine, mein liebster Schriftsteller.
Er reiste gestern an und wir verstehen uns prächtig. Er ist viel lockerer und umgänglicher als sein Bruder. Allerdings taucht der Name seiner Verlobten, Charlotte von Belgien, viel zu häufig in den Gesprächen auf, was mich merkwürdigerweise eifersüchtig macht.
25. Januar 1857
Maximilian ist jetzt Vizekönig und Gouverneur von Lombardo – Venetien. Ob das genügt, ich weiß es nicht. Die Italiener wollen uns nicht liberaler und humaner wie Maxi es zweifelslos ist, sie wollen, dass wir verschwinden. Aber das würde der Kaiser nie tun.
Vielleicht kann man trotzdem ein kleines Evviva hören, denn Max ist als Generalgouverneur von Mailand gewiss beliebter als Radetzky, der sehr hart zu den Italienern war.
„Mama“, sagt Sophie und zupft an mir herum. Lachend versteckt sie ihr kleines Gesicht in meinem Rocksaum. Sie ist nicht mehr so blass wie in Wien, bricht nicht mehr dauernd und hustet weniger. Ach möge der Schatten des Kränkelns, der auf ihr liegt, von ihr weichen.
17. März 1857
Wir sind wieder in Wien. Die kleine Gisela hat mich gar nicht erkannt und keine Miene verzogen. Gar Angst hatte sie angeblich vor mir. Das Werk der Erzherzogin. Paula Bellegarde meint jedoch, dies sei bei so kleinen Kindern durchaus normal, was ich aber nicht glaube. Sophie war ja auch erzürnt, dass wir Sophie nach Italien mitnahmen. Angeblich behaupten böse Zungen, dass der Kaiser die Kleine nur mitnahm, um sich vor möglichen Attentätern zu schützen. Welch Unsinn! Von nun an werde ich meine Kinder auf die Reisen mitnehmen. Sophie ging es im Süden gut. Kein einziges Mal war sie kränkelnd.
Franz sitzt immerfort über seinen Akten. Und ich soll den verhassten Cercle wieder aufnehmen. In den Augen dieser hochnäsigen Adelsleute, die fast alle miteinander verwandt sind, bin ich eine dumme Göre aus Bayern, deren Ahnentafel es weder mit dem österreichischen noch mit dem böhmischen Hochadel mithalten kann. Sie verachten mich und lästern wahrscheinlich hinter meinem Rücken über mich und geben mir Schimpfnamen.
18. März 1857
Heute ist etwas Entsetzliches passiert!
In meinen Privatgemächern lag ein sehr altes Buch mit vergilbten Blättern auf meinem Schreibtisch.
Auf französisch stand da zu lesen: „Der Krone, Erben zu schenken, ist das Lebenswerk einer Königin. Der Herrscher, der seiner Frau antwortete: Wir haben Euch erwählt, damit Ihr uns Söhne schenkt und keine Ratschläge, war allen anderen ein gutes Beispiel. Das nämlich ist das Schicksal und die natürliche Bestimmung der Königinnen. Wenn sie sich nicht daranhalten, werden sie zur Wurzel allen Übels. Wie Katharina von Medici und Anna von Österreich. Wenn eine Königin schon das Glück hat, einem Staat Prinzen zu schenken, so sollten sie dafür ihren ganzen Ehrgeiz einsetzen und sich unter keinen Umständen in die Regierungsgeschäfte einmischen, denn diese sind nun einmal keine Angelegenheiten für eine Frau. Eine Fürstin, die keine Söhne zur Welt bringt, ist eine Fremde im eigenen Land, eine äußerst gefährliche Fremde sogar.“
Ratschläge für die Königin Marie Antoinette, ausgedacht und niedergeschrieben von jemanden, der sein Land und seine Herrscher liebt.
Sie wollen mich verletzen und mir Angst machen, für sie bin ich niemand, solange ich keinen Sohn zur Welt gebracht habe. Ich muss unbedingt einen Sohn bekommen. Ich frag mich auch, wer diesen schrecklichen Text auf meinen Sekretär gelegt hat, wer mich so sehr hasst? Gewiss Sophie oder Erzherzog Albert, denn die zürnen mir, dass der Kaiser durch mich milder und liberaler wurde und Radetzky abgesetzt hat.
Und dennoch:
Ich muss meine Pflichten tun!
Dem Kaiser einen Erben schenken!
Ansonsten bin ich für den Kaiser eine Last!
Angeblich soll Maria Theresias Vater, Kaiser Karl VI., seiner Frau Elisabeth Christine nach dem Leben getrachtet haben, weil sie nur Mädchen zur Welt brachte. Interessanterweise starb er aber vor ihr, eventuell an einer Vergiftung mit Knollenblätterpilzen.
Auch die erste junge Gemahlin Kaiser Leopolds I, soll eines nicht ganz natürlichen Todes gestorben sein.
Napoleon hat seine heiß und innig geliebte Josephine verbannt, weil sie ihm keine Kinder schenkte. Und Josephine soll wie ich wunderschön gewesen sein.
Mir graut!
Ich brauch dringend einen Sohn!
28. April 1857
Wir fahren nach Ungarn, ich freue mich wahnsinnig auf diese Reise.
Ungarn, mein Herzensland.
Wie gerne kehre ich Wien den Rücken zu, es kommt einer Befreiung gleich.
Natürlich steht es auch in Ungarn nicht zum Besten. Das Land ist besetzt, unterdrückt, unzufrieden und es hasst die Österreicher aus tiefster Seele. Dennoch, oder vielleicht gerade deswegen, liebe ich dieses Land wie kein zweites und nichts, aber auch gar nichts, kann mich davon abhalten, vor allem da Tante Sophie Ungarn hasst wie die Pest.
Die Ratgeber des Kaisers haben in Italien gemerkt, wie gut ich auf rebellische Untertanen wirke.
Ich erinnere mich so gerne am Janos Majlath und meine letzten Tage in Possi. Wie er von seiner schönen Heimat geschwärmt hat und ich mir ganz fest vorgenommen habe, diesem wunderbaren Land zu helfen. Jetzt kann ich es einlösen und Herr Majlath wäre stolz auf dich. Ich lerne eifrig ungarisch und hoffe, es besser zu lernen als italienisch und tschechisch. Die Italiener waren nämlich gar nicht zufrieden mit meiner Sprache. Hoffentlich werden es die Ungarn sein. Ich darf sie nicht enttäuschen.
Seit Janos Majlath habe ich keine echten Ungarn mehr gesehen. Die Ungarn am Wiener Hof sind mir zu angepasst und durch den Umgang am Hof verdorben. Ich kann sie nicht als echte Madjaren akzeptieren.
Wir nehmen beide Mädchen mit. Tante Sophie war nicht begeistert, da Gisela noch so klein ist, hat aber dann zugestimmt, weil Dr. Seeburger, unser Leibarzt, mitfährt. Und mit Sophie ging in Italien ohnehin alles recht gut.
Allerdings hat sie mich damit natürlich gezankt, weil ich die Kinder mitnehme, da Sophie immer noch zahnt und gerade erst krank war.
Wir haben aber Dr. Seeburger dabei.
Es kann uns nichts passieren.
04. Mai 1857
Wir sind mit dem Schiff über Preßburg nach Budapest gefahren. Budapest ist wunderschön. Es besteht aus zwei ganz verschiedenen Städten, Buda und Pest. Buda ist eine barocke Stadt und liegt auf den Hügeln, hier ist auch der Königspalast. Wir wohnen aber auf dem linken Donauufer in Pest. Hier gibt es viele verwinkelte Sträßchen mit herrlichen Ausblicken, die sich in der weiten Ferne verlieren. Zwischen den beiden Städten gibt es prachtvolle Brücken.
Ich fühle mich ganz anders als in der Hofburg, wie befreit bin ich und ich liebe die Nationaltracht der Ungarn. Sie steht mir sehr gut und ich will den Ungarn gefallen. Der ungarische Adel gefällt mir sehr gut, viel besser als die Wiener Aristokratie, sie sind so stolz und selbstbewusst.
Der erste Empfang war jedoch wie in Italien frostig. Es waren nur unsere schwarzgelben Habsburger Fahnen erlaubt, so waren keine bunten ungarischen Wimpel zu sehen. Mich scheinen sie jedoch interessant zu finden, da ich schön bin und sie wissen, dass ich mich mit Sophie nicht so gut verstehe. Deswegen nehmen sie an, dass ich zu Ungarn eine andere Haltung haben werde und irren sie sich nicht.
Die Oper „Erzsebet“, was mein Name auf Ungarisch ist, war sehr unterhaltsam und mir gefielen die Kostüme der Herren und die Juwelen der Damen.
05. Mai 1857
Die Ungarn lieben mich. Sie wollen die Wiedereinführung der ungarischen Verfassung und hoffen, dass ich ihnen helfen kann. Außerdem loben sie meinen Eifer, ungarisch zu lernen. Ich spreche es noch nicht sehr lange, aber mir gefällt die Sprache, es ist eine so schöne Melodie, wie singen, nur noch schöner. Ich muss mich gar nicht einmal anstrengen, es zu lernen.
Beim Hofball sah ich den ungarischen Tänzen zu und tanzte dann selbst die Quadrille, einmal mit Erzherzog Wilhelm und einmal mit Graf Nikolaus Esterhazy, der auch ein guter Reiter sein soll.
Die Ungarn finden auch meine Reitkünste toll, wenn ich neben dem Kaiser hoch zu Pferd einer militärischen Revue beiwohne oder Paraden abnehme.
Erfolg auf ganzer Linie! Ich erobere ihre Herzen im Sturm!
Soll der alte Crenneville doch der Tante gegenüber über meine Reitkünste lästern!
Sollen sie mich doch die Königin der Amazonen nennen!
Ich finde es wunderbar!
08. Mai 1857
Franz Joseph hat eine Amnestie erlassen. Auch Rebellen wie Gyula Andrassy dürfen nach Ungarn zurückkehren. Die Ungarn halten aber an ihrem Wunsch einer Verfassung fest, was Franz ablehnt, denn wenn dieses Beispiel Schule macht, dann wollen alle anderen Nationen, die zum österreichischen Großreich gehören, auch eine solche Verfassung haben. Ich kann mir vorstellen, dass es selbst in Österreich liberale Gegenstimmen zu der Politik des Kaisers gibt.
23. Mai 1857
Wir sind in der Puszta.
Die beiden Mädchen sind mit Dr. Seeburger in Ofen geblieben, da beide nicht ganz gesund sind. Gisela hatte Fieber und Durchfall und steckte Sophie an, die ärger dran war als Gisela, da sie zarter ist als ihre robuste kleine Schwester. Seeburger meint, bei beiden Mädchen wäre es das Zahnen und wir sollten uns keine Sorgen machen, Durchfall und auch Fieber wären beim Zahnen nichts Ungewöhnliches, selbst dann, wenn dieses in einem nächtlichen Fieberwahn münden würde. Aber Sophie weinte und schrie man in einem fort, dass es einem schier das Herz zerriss und ich dauernd an ihrem Bettchen blieb und sie pflegte. Der Kaiser ging jedoch in den Wäldern rund um Budapest jagen, da er meine Fürsorge übertrieben fand, er erlegte 72 Reiher und Kormorane. Diese armen Tiere, ich sitze an Sophiens Bett und er amüsiert sich auf diese scheußliche Art und Weise.
Dr. Seeburger meinte immer noch, dass es nur das Zahnen ist, was Sophie plagt und Franz meint, dass wir die verschobene Reise antreten müssen, weil alles für unseren Empfang vorbereitet sei. Ich hoffe der Seeburger und der Kaiser wissen, was sie tun. Da es ein wenig besser mit Sophie wurde, sind wir dann also doch gefahren.
25. Mai 1857
Die Puszta ist herrlich, genau wie es mir Janos Majlath erzählt hat. Eine unendlich weite Ebene. Eine Welt, die meinen Träumen entspricht. Ich habe meine Freude an den farbenprächtigen Nationalkostümen und den herrlichen Pferden. Reiten, Reiten, Reiten soweit die Sehnsucht trägt, ohne anzuhalten, das möchte ich. Natürlich begeistere ich die Ungarn zu Pferd. Diese schönen rassigen Tiere begeistern mich sehr viel mehr als die Volksfeste. Grünne hatte so recht, als er von diesen edlen Tieren schwärmte. Sie sind wunderbar. Einfach wunderbar.
Und dennoch denke ich immer an die kleine Sophie, schon ich fand in der Schwangerschaft das medizinsche Talent von Seeburger, Sophies altem Stiefellecker, nicht gut.
Der Kaiser vertraut ihm freilich. „Komm, Sisi, du kannst die Reise nicht absagen, die Leute warten auf dich und haben extra ein Programm zusammengestellt. Die Mädchen sind doch bei unserem guten Hofrat Seeburger in den besten Händen“, waren seine Worte gewesen. „Die Gisela hat er doch auch wieder gesund gemacht.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, hatte ich bang geflüstert. „Gisela ist ja auch ein stämmiger, robuster Säugling, der fast nie kränkelt.“
29. Mai 1857
Ich halte das Telegramm, das gestern in Debrecen eintraf, in der Hand festumklammert.
„Gisela wohlauf, Sophie sehr krank, aufs äußerste besorgt!“
Bitte lieber Gott, lass es nicht so schlimm sein! Vor wenigen Tagen waren Sophie und Gisela doch noch gesund genug, dass wir fahren konnten und sie in Ofen zurückließen. Sie kämpft um ihr Leben, kein Zahnen, sie hat Typhus. Dieser alte unfähige Trottel! Die Rückreise nach Budapest im Zug war ein langer, zäher Horror.
„Sophie“, rufe ich außer Atem, an ihr Bettchen stürzend. „Sophie! Sie ist ganz heiß!“
„Sie ist sehr fieberig, Majestät“, sagt Herr Dr. Seeburger leise. „Ihr Befinden bietet zu äußerster Besorgnis Anlass. Es sieht gar nicht gut aus. Sie kann nichts mehr bei sich behalten und hustet Blut. Es hat sich leider auch blutiger Durchfall einbestellt.“
„Es war doch nur ein einfacher Durchfall haben Sie gesagt, ein einfacher Durchfall vom Zahnen, kein Anlass zur Sorge, das ist der Typhus, der verdammte Typhus“, schreie ich wie von Sinnen und schlage Franzens Hand weg.
„Es tut mir leid, Majestät, die junge Erzherzogin ist delirant, aber sie hat“, Dr. Seeburger stockt ein wenig „immer wieder nach Ihnen gerufen, Mama blau, waren ihre Worte.“
Mir steigen die Tränen in die Augen. Die einzigen Worte, die Sophie spricht. Die Worte, die ich ihr in Venedig beigebracht habe.
Ich schlucke schwer.
Schwer schluckend und mit den Tränen kämpfend setze ich mich an Sophies Bett und schließe sie in die Arme. Stunden um Stunden sitze ich, mein fieberndes Kind im Arm haltend, um sein Leben bangend, während Franz unruhig auf und abläuft, niederkniet und verzweifelt um Sophiens Genesung betet. Ihr Atem geht röchelnd und ihr Blick ist glasig. Es gibt keine Rettung mehr, selbst wenn Dr. Seeburger die noch so oft behaupten mag. Mit ihm habe ich kein Wort mehr gewechselt. Er ist schuld an allem. Er hätte erkennen müssen, wie krank Sophie wirklich ist.
Es ist alles seine Schuld!
Ich hasse ihn!
Aber auch ich bin schuld, wenn Sophie stirbt. Hätte ich nur auf die Erzherzogin gehört und die Kinder in der Hofburg gelassen. Den Typhus hätten sie dort nicht bekommen. Wahrscheinlich haben sie sich diesen schon auf der langen Dampferfahrt eingefangen, als die giftigen Dämpfe des Flusses zu ihnen waberten.
„Blau“, sage ich immer wieder und streiche Sophie über den Kopf, versuche ihr immer wieder Brei einzuflößen, alles vergeblich. Draußen ist es schon dunkel.
„Blau, Mama, blau“, sagt Sophie mit dünner, ermatteter Stimme und wird auf einmal ganz ruhig in meinen Armen.
„Sie schläft, Franzl, sie schläft“, flüstere ich unter Tränen, die bittere Wahrheit ahnend.
Franzl schüttelt mit zusammengebissenem Mund den Kopf und fährt mir unbeholfen über die Haare.
„Sie ist tot, Sisi“, sagt er schlicht.
„Majestät, sie ist tot“, wiederholt Seeburger überflüssigerweise die Worte des Kaisers. „Sie atmet nicht mehr. Geben Sie mir bitte die kleine Erzherzogin.“
Ich drücke tränenüberströmt der Kleinen ihre Äuglein zu und reiche ihm widerwillig mein Kind.
Ich hasse ihn!
„Unsere Kleine ist nun ein Engel im Himmel. Nach langem Kampf ist sie ruhig um halb 10 Uhr verschieden“, wird der Kaiser an diesem Abend an seine Mutter telegraphieren.
Wir sind vernichtet!
Vernichtet und trostlos bin ich!
Absolut trostlos!
Kapitel 5 – Kriegswirren
10. Juni 1857
Die Kleine ist beigesetzt. Tante Sophie hat mir keine Vorhaltungen gemacht, sie war wie ich am Boden zerstört, sie hat die Kleine sehr liebgehabt. Dennoch spüre die Vorwürfe in jedem ihrer Blicke. Die Beerdigung war furchtbar, das eigene Kind zu verlieren und ich bin doch selber erst 19 Jahre alt. Fast noch selber ein Kind.
Ich bitte Gott um Vergebung für meinen Starrsinn, immer und immer wieder!
15. Juni 1857
Ich bin in Laxenburg. Draußen regnet es. Der Kaiser wird noch einmal nach Ungarn fahren. Ich kann es noch nicht. Ich liebe Ungarn, ich werde es immer lieben, aber es geht einfach noch nicht. Ungarn ist Melancholie und tiefe Trauer. Sophie ist tot und der liebe, arme Herr Majlath hat sich schon vor zwei Jahren im Starnberger See gemeinsam mit seiner Tochter Henriette ertränkt, weil er kein Geld mehr besaß. Ich bin so in Kummer, dass ich fast nichts mehr essen kann. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke und ich ekele mich sogar ein wenig. Am liebsten würde ich der Sophie in den Tod folgen, so hoffnungslos fühle ich mich.
Warum lebt Tante Sophie und die Kleine ist tot? Überhaupt dieser Name, dieser schreckliche Name! Der Tod war sicher vorbestimmt, weil ich Tante Sophie hasse und auch diesen Namen immer gehasst habe.
Ich weine den ganzen Tag und ich kann auch die kleine Gisela nicht ansehen, ohne an Sophie denken und weinen zu müssen.
Und ich grüble über Dr. Seeburger nach, am liebsten würde ich den Hofrat entfernen lassen. Der Kaiser lehnt das strikt ab, da die Erzherzogin ihm Vertrauen schenkt. Aber wer nicht einmal Zahnen von Typhus zu unterscheiden im Stande ist? Dieser Mann ist unerträglich auf diesem Posten. Er muss weg.
25. Juni 1857
Heute habe ich in den Spiegel geschaut und bin richtig erschrocken. Ich sehe aus wie ein Gespenst, dunkle Augenringe, eingefallene Wangen, scharfe Gesichtszüge. Ich müsste essen. Mir wird schlecht, wenn ich nur ans Essen denke. Ich verkrieche mich einsam im Laxenburger Park unter den Bäumen, nur meine Tiere leisten mir Gesellschaft.
Franz meint, ich müsste endlich zur Vernunft kommen. In der Hofburg werde ich umziehen, da mich in den alten Räumen alles an die Sophie erinnert. Vielleicht wird es dann besser mit meinem Kummer.
13. Juli 1857
„Du wirst wirklich heiraten“, sage ich lächelnd, obwohl mir gar nicht nach Lachen zumute ist, nicht mal ansatzweise, nicht einmal nach lächeln, nicht einmal einsatzweise. Mein Maxi, mein Seelenverwandter, mein Verbündeter hier an diesem Hof, wird heiraten.
„Ja, das werde ich.“ Maximilian strahlt mich an.
„Am 27. Juli werde ich meine Charlotte endlich in Brüssel zur Frau nehmen können. Du wirst sie bald kennenlernen, hier sieh sie dir auf diesem Portrait an, ich trage es immer in meinem Amulett. Ist sie nicht reizend? Du wirst sie lieben, Sisi.“
„Sie ist reizend“, sage ich tonlos. Sophie wird sie vergöttern, ihre Linie aus dem Hause Sachsen – Coburg ist so viel edler als die meine. Und sie ist steinreich, viel reicher als meine unbedeutende Nebenlinie. Irgendwie hat Mama als einzige der Schwestern unter Stand geheiratet. Ihr Papa, mein Großvater, war König Maximilian I. von Bayern. Ihre Schwester Sophie heiratete an den österreichischen Kaiserhof, meine Tante Elise, meine Lieblingstante, den König von Preußen und meine Tante Maria Anna den König von Sachsen. Nur Mama musste mit einem unbedeutenden Vetter aus der Nebenlinie vorliebnehmen, meinem Vater.
Auch wenn ich meinen Papa von ganzem Herzen liebe, hätte ich meiner Mama einen anderen Gatten gewünscht, denn die beiden lieben sich nicht, was wir Kinder ganz deutlich spüren, Papa lässt die Mama auch ziemlich oft alleine und führt sein eigenes Leben, zudem wohl auch fremde Frauen und fremde Kinder gehören. Alle Angelegenheiten, welche die Vermählung der Kinder betreffen, überlässt er der Mama alleine.
Mama verliebte sich nämlich 1824 in Wien anlässlich der Hochzeit ihrer Schwester Sophie in Dom Miguel, einen portugiesischen Prinzen aus dem Hause Braganca. Dom Miguel war so angetan von ihr, dass er noch in Wien um ihre Hand anhielt. Großpapa allerdings lehnte seinen Antrag ab, weil Dom Miguel in Portugal einen Umsturz gegen seinen eigenen Vater angezettelt hatte und sich daher in Wien im Exil befand. Großmama, Königin Karoline von Bayern, bedauerte diese Entwicklung, da es selten sei, bei jungen Leuten eine so ausgesprochen natürliche Neigung zu finden wie in diesem Fall.